RECHNITZ
(Der Würgeengel)
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Aufführung durch Berufs- und Laienbühnen, des öffentlichen Vortrags, der Verfilmung und
Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Abschnitte. Das Recht der deutschsprachigen Aufführung ist nur vom Rowohlt
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gegenüber als Manuskript gedruckt. Dieser Text gilt bis zum Tag der Uraufführung / deutschsprachigen Erstaufführung / bis zur ersten
Aufführung der Neuübersetzung als nicht veröffentlicht im Sinne des Urheberrechtsgesetzes. Es ist nicht gestattet, vor diesem Zeitpunkt das
Werk oder einzelne Teile daraus zu beschreiben oder seinen Inhalt in sonstiger Weise öffentlich mitzuteilen oder sich öffentlich mit ihm
auseinanderzusetzen. Der Verlag behält sich vor, gegen ungenehmigte Veröffentlichungen gerichtliche Maßnahmen einleiten zu lassen.
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Ein Schloß in Österreich. Jagdtrophäen an den Wänden. Boten und Botinnen
kommen von überall her, zum Teil in desolater Abendkleidung, zum Teil als
Fahrradkuriere gekleidet, sie laufen herein, in immer kürzeren Abständen, bis
irgendwann einmal der Raum gedrängt voll ist. Keiner verläßt diesen Raum. Sie
sind alle vollkommen zeitgemäß gekleidet. Bitte keine Anklänge an die
Vergangenheit, höchstens kleine Zitate in Frisur etc.! Ein Mann in Unterhose (von
Calvin Klein oder Hugo Boss) wird von zwei Boten gefilzt, sein Chauffeur schaut
dabei zu. Ab und zu kommt jemand in seiner etwas derangierten, aber sehr
eleganten großen Abendkleidung, aber mit Gewehr. Die betreffende Person drängt
sich durch die Boten, die weggeschoben werden, zu einem Fenster durch und schießt
ab und zu hinaus.
Ab und zu, vor allem, wenn von Deutschland oder den Deutschen die Rede ist,
macht die eine oder andere Botenperson einen gespielten Selbstmordversuch, den
man aber als unernst sofort erkennen muß. Vielleicht zieht sie sich eine Plastiktüte
über den Kopf und versucht, sie am Hals zuzuziehen oder so, also ironische
Selbstmordversuche.
Es sprechen nur die Botinnen und Boten (es kann auch nur einer oder eine allein
sein, das bleibt der Regie überlassen). Sie versuchen jeweils, den bewaffneten
Menschen entweder zurückzuhalten oder ihn nach vorn zu schieben, zum Fenster,
damit hinausgeschossen werden kann. Man kann das natürlich, wie immer bei mir,
auch vollkommen anders machen.
Wollen Sie uns sagen, daß Sie einen Menschen gesehen haben, der aus dem Schoß
seiner Mutter vom Strahl eines Blitzes herausgelöst worden ist wie ein Knochen aus
einem Huhn? Machen Sie sich nicht die Mühe, ich würde es Ihnen nicht glauben!
Haben Sie die Trümmer eines Schlosses rauchen sehen, schon bevor Sie kamen, und
das trotz Rauchverbot, das schwer an unseren Seelen hängt? Nein? Also das kommt
erst noch! Angezündet, wie alles, was je seit Hephaistos und Prometheus oder
meinetwegen den Russen angezündet wurde, die Russen waren ja die letzten, die uns
noch ein wenig Feuer gebracht haben, die uns noch ein wenig Feuer unterm Hintern
gemacht haben. Also ich sage Ihnen: Falls sie noch nicht da waren, dann kommen sie
noch. Die kommen sogar bald, sagt Ihnen ein Bote, wie Sie auch einer sind, Sie
wissen ja, wie weit man uns glauben kann. In den Russen ist jetzt der Stolz der
Eroberer, aber sie machen immer alles kaputt, was sie erobert haben, und den Rest
klauen sie und ruinieren ihn dann auch noch. Die Russen sind die Götter des Feuers,
doch woher kommt dieser hartnäckige Ruf? Ihr Jauchzen in der Ferne klingt für uns
wie Geschrei, woher tönt es, wann werden sie dasein? Wann? Warte nur, balde! Wer
wird mit allen Registern auf der Stalinorgel spielen?, welcher rasende Schwarm,
gehüllt in die Felle von Uniformen und fremden Uhren und fremdem Leben und
eigenem Blut und eigenem zerfetztem Fleisch, in die Felle von eigenen zerfetzten
Pferden und eigenen zerfetzten Schuhen, über die eigene zerfetzte Erde rennend,
hinweg über fremde vergewaltigte Frauen, na ja, die eigenen haben sie zu Hause von
den Deutschen vergewaltigen lassen. Eine Hand wäscht die andere. Außer dem einen
haben die Russen aber alles selber gemacht und selber machen müssen. Die sind
durch sich selber durchgezogen, denn der Russe kennt nur sich, der wird zum Dank
dafür unsere Frauen immer weiter vergewaltigen, immer weiterziehen und dabei
dauernd auf die Uhr schauen, die er uns geklaut hat, wie spät es ist und ob sich noch
eine ausgeht: und ob! Und ob das Wütende Reich auf der Flucht schon seine Sohlen
abgelaufen hat? Die Neutschen aus dem Reich, jawohl, Marianne, du hast sie
erfunden, die Neutschen, danke!, die reichen Neutschen, die neuchen Deutschen
haben wenigstens noch halbwegs ordentliche Schuhe. Sowas haben Sie noch nie
gesehen, gute Schuhe! Sie haben noch nicht gesehen, wie es ist, wenn der Russe
kommt, und noch dazu alle Russen auf einmal, ein riesiger Strom, der soviel Lärm
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macht, als würde eine Herde Tiere auf Blech klopfen. Alle gleichzeitig. Ein riesiger
Menschenauflauf. Sowas werden Sie in ein paar Jahrzehnten nur noch in Kitzbühel
oder Wengen oder Mürren und, ganz anders, in Sankt Moritz erleben, wo die Pferde
ballspielen und Menschen durch Eiskanäle gleiten statt rasen. Ich meine nicht, daß
die alle sich auf einmal fürchten und packen und abhauen, sondern mit einem Schlag,
das meine ich mit auf einmal, mit einem Mal, ganz plötzlich dieses eine Mal! Das ist
einmalig. Sowas werden wir sicher in unserem Leben nicht mehr erleben. Daher
können wir es genausogut sofort wieder vergessen. Außerdem ist mein Sagen
überflüssig: Keiner könnte sich vorstellen, daß noch jemand bleibt, wenn der Russe
kommt. Seid ihr alle da? Nein! Aber viele schon. Und am Ende wird er auch noch die
Preise ruinieren. Der Russe kommt nach Kitzbühel, Sankt Anton, Sankt Moritz, Sankt
Nimmerlein, heilig, heilig, heilig! – wir gehen. Wir rennen. Wir sind so einnehmend,
daß wir durchaus hierbleiben könnten, aber wir rennen, mit feinem Lächeln über das
Eingenommene.
Das Ende soll unser aller Grabmahl sein, soll ich Ihnen ausrichten, habe aber
vergessen, von wem. Dagegen können Sie aber gar nichts ausrichten. Der Herr
Geschichtsprofessor wieder läßt Ihnen durch sein Klitterungsklistier von der
Rückseite her – denn auf der Flucht sieht man die Menschen ja nur von hinten –
ausrichten, daß Menschen, die sich im schwärmenden Lauf vor der rotflammenden
Pechglut ihrer eigenen Häuser retten müssen, keine Zeit haben für Orgien,
Saufereien, kreuz und quer im christlichen Abendland bis zum Morgenland, bis zur
Menschheitsdämmerung in der Früh Rumficken und andre Blödheiten, bei denen
man letztlich doch die Arschkarte aus dem vollgebluteten Sakko zieht. In einem
Haus, in dem alle Lüste und Laster zu Hause sind, da bleibt man gern, da rennt man
nicht einfach weg, nur weil der Fremde zu früh kommt, von uns aus kommt jeder zu
früh, bevor wir fertig sind. Zumindest bleibt man bis zum letzten Moment. Man hat ja
nichts mehr zu verlieren und möchte bis zum letzten Augenblick noch etwas
gewinnen, und wäre es eine einmalige Erfahrung, die sich seither jedoch Tausende
Male wiederholt hat. Sich zuflüstern lassen: Müssen wir nicht alle schon einmal
dagewesen sein, um jetzt so lange zu bleiben, bis zum letzten Moment, und auch den
noch auskosten, ihn aus einem oder mehreren triefenden Menschen herauslecken?
Das war ein Gefolgschaftsfest, eindeutig ein Gefolgschaftsfest, einer folgte dem
anderen, bis um 23 Uhr der Anruf erfolgte, mitten im Fest. Dann verließen es 15
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zur Waffenspende an die Minderbemittelten, seine Eigner befinden sich im neutralen
Ausland, deshalb ist das Ausland schließlich die ganze Zeit neutral geblieben. Solange
man es gelassen hat, ist es gelassen geblieben: Das hat sich ausgezahlt. Alles, was
noch fahren kann, fährt jetzt dorthin, wohin man gelassen wird, weil im Inland alles
geschlachtet werden soll, nicht nur die Erstgeborenen, alle Geborenen mit Ausnahme
der Hochwohlgeborenen. Sie stellen sich schon an, die Massen, sie hetzen einander
und wissen nicht, wohin. So, der Wagen der Herrschaften fährt jetzt vor. Er hat
Benzin gebunkert wie eine Schmeichel-Bäckerei vor den Heerscharen, die bald
eintreffen, aber die Regale leer finden werden. Alles, was noch gehen kann, geht, aber
nicht weit, weil alles hier im Dorf bleibt, ja, die Kirche auch, wir aber auch. Die
Aristokratie, der Hort für große Gefühle und große Wagnisse, fährt mit der
Limousine, ich als Bote werde dauernd überholt und muß Abgase einatmen.
Mindestens Großraum-Limousine, die Frau Gräfin muß ja auch ihren Liebhaber
mitnehmen und noch einen weiteren Herrn, der auch ein Liebhaber ist, Liebhaber
teurer Weine, einer, der die Verantwortung trägt, und noch einer, der Verantwortung
trägt, und das Gepäck muß ja auch noch mit. Nein, es wird umgekehrt: Sie müssen
sich ihrer Verantwortung entziehen, die Verantwortung nennt man heute Steuer,
man muß es ergreifen, sie fällt nicht an, die Verantwortung, das wäre eher etwas für
die Verunfallung und die Unfallversicherung, sie fällt vielmehr bei jeder Gelegenheit
von uns ab, die Verantwortung, sie ergreift uns, wenn wir sie nicht sofort
übernehmen und dem Boten den Rückschein unterschreiben, und dann fällt sie ab,
wir sind und bleiben ihr alles schuldig. Wir können immer das nächste Mal zahlen.
Mit direkt gerichteten Augen durchkreuzen sie das Königreich des Todes, diese
Gründonnerstagsfeierlinge, ich meine, sie durchstreifen es, oder doch durchkreuzen?
Gedenket unser, wenn überhaupt, nicht als verlorene gewalttätige Seelen, sondern
denkt an uns nur als die hollow men the stuffed men, vollgestopft haben sie sich,
haben wir uns, wieso sind sie, wieso sind wir dann hohl, wieso sind die dann aber
Höhle und wir nicht? Hohlmenschen? Höhlenmenschen?, was weiß ich, was das ist,
der wir sind. Und die Herren P. und O. müssen wir auch noch mitnehmen, geht ja
alles in einem Blutaufwasch, denn das sind die echten hohlen Menschen, in die geht
alles rein. Oder sind es die anderen, die hohl sind, weil schon fast verhungert? Hohl
gegen hohl. Auf einen Totenacker hat sie ihr Weg geführt. Wenn der Russe sich nicht
benehmen kann, ziehen wir ihm alle Menschen, die er brauchen könnte, schon vorher
Vorher noch ordentlich anzünden, damit dem Russen eingeheizt wird, wenn er
kommt. Die Armen schweigen dazu, das tun sie immer. Sie sind zur Genüge mit ihrer
eigenen Rettung beschäftigt, mit sowas vergeuden die ihre Zeit, kein Wunder, daß sie
arm geblieben sind und es ewig, ewig bleiben werden. Die Reichen müssen sich gar
nicht retten, die sind schon gerettet, aus jeder möglichen Gefahr, die begeben sich in
die Zuflucht ihrer Eigenblut-Vorsorgebanken, die in Krisenzeiten mit ihrem blutigen
Geld alleingelassen werden, damit man ihre Besitzer nicht daneben findet und denen
am Ende doch noch was passiert. Wie sie auf dem Trockenen zucken und die Kiemen
weit aufsperren!, weil das Kapital, das Grundkapital und das Kapital an Grund und
Boden, ihr natürliches Element, ihnen jetzt schon fehlt, bevor sie es noch
zurückverlangen können! Bald werden sie es wieder bekommen, nur ein wenig
Geduld bitte, wir bearbeiten einen Antrag nach dem anderen. Ihre Seelen warten,
leider ungeduldig, ab, nein, natürlich nicht die der Banken, die haben keine, die
haben nur Vorstände, nicht mal Vorsteherdrüsen, ich war eine Drüse, nein, eine
Dose, die stehen ja immer wieder von alleine auf, die Banken, zum Glück gehören sie
jemandem, der geduldig ist und warten kann und menschlich ist und Ungar ist und
vorübergehend Holländer ist oder Schwede und daher nicht nach Sibirien kommt,
während Sibirien sich inzwischen die Mühe macht, zu uns zu kommen. Als hätten die
dort nicht genug Schnee. Na, dieser Bankvorstand hier geht den umgekehrten Weg,
sehr vernünftig, der muß ohnedies hin, nach Sibirien muß der rübermachen,
während ihm die meisten entgegenkommen, ich meine die meisten Sibirer, aber es
sind viel mehr, die in die Gegenrichtung müssen. Und in Sibirien, wo einem abfrieren
die Nirien, bleibt der Vorstand dann ein paar Jahre, der geht, wohin er geschickt
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wird. Nein, das Geld bleibt natürlich hier. Und die Seelen der Toten? Und die toten
Seelen der Lebenden? Wer verschickt die auf Lebensschulverschickung?, na, was ist
mit ihnen? Die hängen ihnen wie schmutzige Fetzen aus den Mündern, während sie
sich vom Chauffeur die Zündkerzen durchputzen lassen. So, jetzt haben sie das mit
unseren Zungen gemerkt und reißen uns den Lappen auch noch heraus. Wir sind
nicht hier, um heilige Scherzweisen zu hören, wir sind hier, um von hier
wegzukommen. Daher kann diese Geschichte gar nicht stimmen, sagt der
Geschichtsforscher, der eine Darmspiegelung bei der Geschichte vorgenommen hat,
zumindest hat er sich das vorgenommen, er hat quasi von ihrem andren Ende in die
Geschichte hineingeschaut, aber es blieb finster, in Halle und in Münster, nein, im
Burgenland, hier gehts lang, egal, er würde aus jeder Richtung ja doch nur Schwärze
gesehen haben. Er würde nichts sehen, auch wenn man es ihm auf einem Bild zeigte,
denn er ist es gewohnt, alles von Bildern abzulesen. Würde er dort endlich das Nichts
sehen, nachdem er das Ende ja schon gesehen hätte? Nein. Die Geschichte findet
doch noch gar nicht statt! Zumindest ist sie noch nicht am Ende, falls sie überhaupt
angefangen hat. Kommen Sie morgen wieder, dann vielleicht! Dann hören Sie
vielleicht: This is the way the world ends This is the way the world ends This is the
way the world ends Not with a bang but a whimper. Und wenn Sie den Anfang
verpaßt haben, macht es auch nichts, der Anfang ist zwar ein Gedicht, aber es macht
nichts, sie fängt extra für Sie jeden Moment an, die Geschichte, sie fängt jeden
Augenblick neu an, aber diesmal wütet sie in anderen Menschen und, in
Ermangelung andrer Menschen, die sie in die Mangel nehmen könnte, in andren
Städten. In jeder ordentlichen Geschichte hat der Besitzende, the stuffed man, der
Gestopfte, mindestens einen Stellvertreter, der an seiner Stelle badet, ich meine, der
alles an Stelle des Herrn ausbaden muß. Sie stimmt immer nur ihre Instrumente, die
Geschichte, zum Spielen kommt sie aber nur noch selten. Life is very long. Heute
allerdings ist so ein Tag, an dem sie mit uns spielt, als würde das Leben überhaupt
nicht vergehn. Wir sind ihre Instrumente. Wir stimmen jetzt. Wir stimmen die
Geschichte mit uns ab. Unsere Aussagen sollen ja stimmen, und sie sollen
übereinstimmen. Nein. Wir stimmen nie, es hört uns eh keiner zu. Die Geschichte soll
man also besser nachträglich in Ruhe betrachten, und während sie stattfindet, sollte
man sie auch besser in Ruhe lassen, sie lieber nicht einmal anschauen, man erstarrt
sonst zu Stein unter ihrem Basiliskenblick. Oder man sollte die Geschichte vielleicht
lieber in ein geheiztes Zimmer schleppen und dort unter allgemeinem Jubel auftauen,
Daß die diese letzten nackten Menschen hier auch noch aufnehmen!, hätte ich nicht
gedacht, diese herabgefallenen Maschen, ohne daß die es hätten ausbaden müssen,
äh, nein, umgekehrt wird ein Pullover draus – ausgezogen waren sie ja schon, aus
Ungarn ausgezogen und dann selber ausgezogen, man hatte es ihnen ausdrücklich
befohlen – bitte, legen Sie ab!, so lautete der milde Zwang, mehr war nicht nötig,
mehr haben sie nicht gebraucht, sie konnten sich eh nicht wehren, und ihre Körper
weigerten sich schon lang, schön artig bei ihnen zu Hause zu bleiben. Die wollten nur
noch weg. Haben es nicht mehr ausgehalten. Fielen einfach um! Man hätte gar nicht
nachhelfen müssen, man hätte sich die Mühe mit Feuerwaffen gar nicht zu machen
brauchen – daß diese letzten Hilflosen also abgeknallt werden, anstatt daß man
zuerst an die Rettung der eigenen Haut denken würde, die ja viel mehr wert ist in
death’s twilight kingdom, und auch die Zeit ist viel wert, es ist nämlich höchste Zeit,
jetzt Zeit-Bonusmarken kaufen, sonst kommen Sie in den Zeit-Malus! Untaten
abstoßen! Schnell, schnell weg vom Bullenmarkt! Abhauen! Nein, bevor wir die heiße
Glut über dieses Schloß bringen und die Sonne auf Urlaub schicken, die brauchen wir
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jetzt einmal nicht, was die kann, können wir schon lange: mehr scheinen als sein, so
grell scheinen, daß man das Sein gar nicht mehr sieht; also während andre vom
Schlummer ganz aufgelöst ruhen, die Knochen ganz ausgelöst ruhen, haben wir noch
einiges zu tun. Wir haben noch einiges vor. Das Jauchzen ist zu Ende, die Fackel
kommt aus dem hohlen Rohr heraus, die Himmlischen jubeln vor Freude, daß
endlich mal die Richtigen gewonnen haben, aber man hört sie nicht, man hört nur die
Menschen, wie sie jetzt nicht mehr jauchzen, schon lange nicht mehr. Sie fallen
schweigend zusammen wie Kartenhäuser. Viel Gewicht haben sie jetzt auch nicht
mehr und hatten sie nie. Wem fehlen sie? Sie müssen in die Ewigkeit, aber vorher
sollen sie noch schön durchgearbeitet werden. Herrschsucht, ja, haben wir, in
Ordnung, ist vorrätig. Aber wer könnte es Sucht nennen, wenn das Hohe hinab nach
Macht gelüstet? Daran ist nun wirklich nichts Krankes. Am besten, sie erledigen das
selber, die Mächtigen, denn morgen schon werden sie es wahrscheinlich nicht mehr
sein: mächtig. Sie werden sich dran gewöhnen müssen, daß man auf dieser Ebene
vereinsamen kann, wenn man nicht Freunde sich einlädt und Wein fließen läßt und
heiße Rohre in den Wind schießen läßt, bis der Berg zum Tal kommt und die Stürme
der Höhe zu den Niederungen, wo man den Stürmer liest, um sich drauf
vorzubereiten. In einer solchen kommenden, unkommoden Situation kann man sich
nur auf sich selbst verlassen, und das muß man können. Wir haben auch gelitten, und
das nicht zu knapp! Wir waren die Knappen des Wütenden Reichs! Wir haben alles
verloren, am Schluß auch noch Das Reich selbst. Wir mußten die Division Das Reich
abschreiben, wußten aber nicht, von wem, von welcher und auf welche Rechnung.
Daß so etwas geschah, es geschah zum ersten Mal und wird gewiß nicht wieder
vorkommen. Wir versprechen es. Wir versprechen uns. Wir haben alles verloren,
außer dem, was wir zum Glück noch haben. Glück gebührt allein dem Tüchtigen. Er
hat gar keine andre Wahl, als tüchtig und glücklich zu sein. Oder wissen Sie was
Besseres als das zu behalten, was man gar nicht verloren hat? Mehr als alles verlieren
kann man schließlich nicht. Man kann es dann nur noch behalten. Man hat die Wahl.
Selber schuld, die blöden Toten – was haben die auch keine Stimme zum Befehlen
und keine Kräfte zum Gehorchen? Ach was, wir hätten sie sowieso umgebracht, egal,
wieviel Leben noch in ihnen war, das mußte alles weg. Die letzte Röte muß von den
Wangen weggekost (weggekostet?) werden, der Schlaf muß fortgescheucht werden,
bevor er überhaupt kommt, und wenn, dann aber richtig!, dann: ewiger Schlaf. Auch
kein großer Unterschied zum täglichen Einschlafen. Das macht uns gar keine Mühe,
Wo haben denn Sie Ihren Fang gelassen? Steckt er etwa noch im Fleisch drinnen, Ihr
Fangzahn? Hat die Krone, äh, ich meine die Zahnkrone aus Ungarn gehalten, war sie
garantiert ohne Metall innen drinnen, gegen das man womöglich ganz energisch, ich
meine allergisch vorgehen könnte? Darauf haben die Ungarn sich inzwischen
spezialisiert, warum auch nicht, die Grenze ist endlich umgekippt, nur zu unsrem
Besten, die Zeit ist ja auch erneuert worden, sogar mehrmals, beim dritten Mal haben
wir den Blickwinkel etwas verändert, und jetzt stehen sie nicht mehr so unschön vor,
die Vorderzähne. Da sehen Sie außerdem längst, schon seit Ihrem zweiten geplatzten
Geschichts-Wechsel, keinen Unterschied mehr zu Ihrem eigenen, ganz persönlichen
Zahn mit seiner ganz persönlichen Geschichte des Verplombens von Gesichts-Zügen!
Wir machen Ihnen einen Pauschalpreis inklusive Hotel und Benutzung des
hauseigenen Spas, nein, nicht dem für Spastis, dem für die Gesunden natürlich, mit
Sauna und Whirlpool. Die Ungarn machen Ihnen auf Wunsch auch noch ein neues
Gesicht dazu oder ziehen das alte straff, das kostet natürlich extra, daß Sie nicht mehr
so natürlich aussehen, doch es lohnt sich. Noch. Da sehen Sie hoffentlich einen
eindeutigen Unterschied zu Ihrem eigenen, zu Ihrer eigenen Natur! Mal sehn, ob
diese goldene Grafenkrone noch leitfähig ist oder ob sie auch Plastikgeld genommen
haben, ja, Plastikgeld wurde genommen und wird immer gern genommen, schauen
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wir mal, ob nicht doch ein andrer bei der Abreise die Leitung übernehmen muß!
Nicht doch! Wir haben uns an diese Leitung inzwischen gewöhnt. An
Zusatzleistungen werden angeboten: Brustimplantate, Geschichtsplantate,
Zahnimplantationen und Menschenplantagen, von denen man die Ersatzteile
beziehen kann. Von irgendwo müssen die ja herkommen. Wir garantieren dafür, daß
diese Plantagen immer wieder frisch aufgeforstet und neu bestückt werden, ja, genau
wie Ihr Oberkiefer, den man aus dem Hüftknochen geschnitzt oder überhaupt
künstlich aus ein paar Zellen gezüchtet hat. Der wird wieder ganz neu aufgebaut, der
Kiefer. Oder haben Sie einen andren Fang gemacht? Oder haben Sie gar Ihren
eigenen Fangzahn verwendet? Oder haben Sie etwa diesen Mann erschossen, der
alles gesehen und es auch gesagt hätte? Haben Sie etwa auch noch seinen Hund
erschossen? Bitte, das wäre doch nun wirklich nicht nötig gewesen, der Hund kann ja
nicht sprechen, nicht wahr, nein, nicht wahr. Dieser Zeuge wäre jetzt weg. Sonst noch
einer? Noch ein Kandidat für Ihren Hirschfänger? Ja, dort, der im Auto, der einzige,
der überlebt hat. Den können Sie jetzt in Ruhe auch noch abknallen, jetzt haben Sie ja
alle Zeit der Welt. Damals haben Sie sich ja die Zeit dafür nicht genommen, es war
eine irrsinnige Hetze, es war eine tolle Hatz, ja, damals, aber der eine ist
übriggeblieben, und jetzt knallen wir ihn in seinem Auto ab, dann kann er nichts
mehr sagen. Nein, einen Hund hat er nicht, er hat ein Auto. Wir knallen alle ab, die
einen früher, den andren später, und jetzt ist keiner mehr da, den wir noch fangen
und abknallen müßten. Nur noch Zahn- und Gesichtstouristen übrig. Die aber
reichlich. Kein Wunder, wo unser Fangzahn doch jetzt im Fleisch von einem Fremden
steckt und wir einen neuen brauchen! Daß der nicht mehr gehalten hat, ist kein
Wunder, der Zahnzement war schon lose, anders kann ich mir das nicht erklären. Sie
haben aber auch selber schuld. Was müssen Sie so fest zubeißen? Wir haben Ihnen
doch ausdrücklich erklärt, daß Sie diesen Fang eine Zeitlang schonen sollen, bis der
Knochen knochentrocken und von Ihrem übrigen Körper nicht mehr zu
unterscheiden sein wird! Hiermit haben Sie einen deutlichen Abdruck hinterlassen
und sollten schnellstens verschwinden, solange noch Zeit ist! Kein Wunder, daß Sie
schon wieder neue Zähne brauchen! Kein Wunder, daß Sie die letzten Zeugen Ihres
Fanges auch noch beseitigen müssen, es muß ja Platz für neue Fänge geschaffen
werden, die dazugehörigen Zähne, ich meine die Zähne dafür liefern wir, und wir
liefern sie längst billiger als die blöden Ösis. Aber endlos geht das nicht so weiter,
irgendwann ist die ganze Geschichte von Ihrem giftigen Speichel ruiniert, und dann
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stopfen, es hält oft nicht, was sie da reinstecken. Nicht einmal, wenn sie mit dem
Hammer draufhauen. Wer Mann ist, kennt das Problem, er kann sich da
hineinversetzen oder ihn sogar selber hineinstecken, die Frau kennt es aber auch,
dieses schwere Problem, für das sie oft hat proben müssen, und wir, damit meine ich
alle Menschen, sollen es dann ausbügeln, wo nicht einmal ein Zahn mehr stehen
bleibt! Dort sollen wir es ausbügeln, sonst werden wir noch niedergebügelt von den
Siegern, die längst die Verlierer sind, jetzt aber noch unsere Zügel halten, nur unsere
Züge konnten sie nicht anhalten. Dafür sind sie eindeutig zu spät gekommen. Was
regen Sie sich auf, das ist die ausgefeilteste Art zu heizen?, mit Gas natürlich, was
glauben Sie, wozu wir all diese Pipelines bauen, zum Teil durch ehemaliges
Feindesland, zum Teil durch künftiges Feindesland, das durch die Leitung erst
geschaffen werden wird?, gut so, diese Öfen sind einfach nicht mehr verbesserbar,
und mehr geht genauso einfach nicht rein, dort oben schmeißen sie es rein, als
Tablette, das Gas, und unten kommt es dann raus, in echt, nicht wahr, einfacher
gehts nicht mehr, nein, mehr kommt nicht durch, mehr geht nicht durch die Leitung,
die Leitung geht selber durch, sie geht durch mehrere Länder, mit denen wir
neuerdings befreundet sind oder zumindest befreundet sein wollen, weil sie es dort
billiger geben, und auch für Ihre Krone übernehmen wir – we are from Austria!– die
Garantie, da können die Ungarn nicht mit! Billiger sind sie, bitteschön, das gebe ich
zu, sonst gebe ich nichts zu und nichts aus, zumindest nicht zuviel aus, nicht das
mindeste, nein, sonst nichts. Die übernehmen für nichts eine Garantie, die Ungarn,
so sind die, sie übernehmen ausnahmsweise mal die Garantie für die
Staatsbürgerschaft eines deutschen Kriegsgewinners, den es aber gar nicht geben
kann, denn die haben nun mal nicht gewonnen, und das wissen Sie ganz genau, Sie
haben mein Mitgefühl, aber einen, der zuerst kein Gewinner und dann kein Verlierer
sein wollte, sowas gibts zwar, aber das spielen sie nicht. Obwohl es gar nicht so
dumm wäre!, nur Schifahren ist schöner, beim Schifahren Gewinnen ist am
schönsten, deshalb wohnt man am besten in der Schweiz oder in Österreich und
gewinnt dort in Adelboden oder Grindelwald oder am Arlberg, wenn man gern Schi
fährt, aber auch sonst ist es dort sehr angenehm, sogar im Sommer. Ja, im Sommer
auch. Eigentlich immer. Macht ja nichts, wenn Sie sich dann hier nicht mehr
auskennen, das lernt man schnell, Asche ist Asche, Ruinen sind Ruinen, Dreck ist
Dreck, dafür kennen andre sich aus, und es gibt ein Adelsprädikat zu Ihrem tollen
Prädikatswein gratis dazu, das ist aber nur ein ganz kleines Prädikat für diesen
Bitte, das erlauben sie, daß man durch Heirat, Tod oder Verklärung ihr Staatsbürger
ist, aber sonst kriegen Sie von den Ungarn keine Garantie, für gar nichts, da können
Sie sich auf den Kopf stellen, Sie kriegen keine, obwohl Ungarn längst wieder ein
vollkommen selbständiges Fachland ist, Fachland und Flachland in einem, und zwar
mit frei niedergelassenen Fachärzten unter freien, flachen Menschen mit heiler,
gesunder, flacher Selbstsucht, bei heilem Land und flachem, aber hellem
Mondenschein. Warum sollte es dort anders sein als bei uns, wo es entweder Dunkel
oder Helle gibt, ein Dunkles oder ein Helles? Warum sollte es dort besser sein? Es ist
nirgendwo besser. Nur bei uns ist es überhaupt nie gut. Fahren Sie woandershin! Bei
uns ist es nicht gut und wird nie wieder gut sein. Das sage ich!
Wenn es nicht anders ist bei uns als woanders anders, äh, anders als wenn wir
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woanders wären, woanders, wo wir anders wären, äh, warum ist dann dieser Mann,
ein echter Deutscher, ausgerechnet Ungar geworden, was hat er sich da ausgerechnet,
wozu ihm das nützen kann, wofür das gut sein soll? Man kann Ungar oder Holländer
oder Belgier sein oder was weiß ich, aber man sollte es nicht in Ungarn, Holland oder
Belgien sein, zumindest dann nicht, wenn die Zeit noch unreif ist, denn wenn die Zeit
reif wird, dann spucken einen diese Länder aus, wir schmecken ihnen auf einmal
nicht mehr, aber fressen müssen sie uns trotzdem, wir bekommen ihnen nicht, dafür
bekommen sie uns. Dafür gibt es viele Belege, die ich alle abgerissen und mitgebracht
habe. Die Geschichte hat mir da doch schon wieder einen Stapel hereingereicht! Die
Geschichte gereicht uns nicht grad zur Ehre, es wäre besser, Ungar oder Holländer zu
sein, und so sind wir es denn auch. Es ist später geworden, als wir gedacht hätten,
später, als wir es überhaupt zu erleben gedacht hätten. Wir sind jetzt in Südafrika.
Wir sind jetzt in Argentinien. Das ist ganz egal, denn wenn der Deutsche kommt,
sollten Sie überall sein, nur nicht dort, wo der Deutsche ist, und zwar jeder Deutsche,
der ja wir sind, zumindest waren, auch wenn wir es jetzt nicht sind, nicht mehr sind,
und in Deutschland sollten wir natürlich auch nicht sein, zuallerletzt in Deutschland:
Als Erste weg, als Letzte dort. Das Geflüster, nicht der Krach. Aber wenn Deutschland
auch nur flüstert, kracht es schon überall. Wenn aber gleich zwei Deutschländer mit
einem leisen Wispern, einem Wimmern von Millionen Stimmen, ineinanderstürzen,
dann gibt es keinen bang, dann gibt es eben genau dieses gewhisper, und danach
traut sich keiner mehr zu flüstern. Und laut reden trauen sie sich schon gar nicht.
Nein, das stimmt nicht. Ich höre die Deutschen überall laut reden, sie posaunen sich
lautstark heraus. Dann bemerken sie, daß in einem recht geringen Abstand zu ihnen
auch noch Menschen sind, und die reden sie dann nieder wie ein Scherkopf, der
durchs Gras fährt. Das Gras steht danach nicht mehr auf. Und auch sonst niemand.
Darüber redet man nicht. Warum kommt er denn her, der Deutsche, wenn es ihm bei
sich daheim so gut gefällt? Warum kommt er und redet einfach überall mit, vor allem
dort, wo der Sachverhalt nicht einfach ist, anstatt zu flüstern? Der Deutsche ist der
eifrigste Reisende und Redende, den ich kenne, und das nur, damit er danach nach
Deutschland wieder zurückkehren kann. Eben. Er reist und redet um sein Leben. Er
reist und redet für sein Leben gern. Wenn er kommt, sollten aber wir besser
woanders sein. Sonst kommt er uns wieder mit Krieg. Mit allem andren war er schon
da. Wenn er dann da ist, der Deutsche, sollten wir dort sein, wo nicht dieses Da ist,
das gilt aber nur für die Zeit der Gefahr, so will es der deutsche Geist, der schwere.
Ein Ausnahmebote: Halt halt halt! Wir haben heute doch eine kognitive Distanz
zu dieser Zeit der Extreme gewonnen, und diese Distanz sollten Sie nicht einfach so
im Casino des Denkens aufs Spiel setzen. Jetzt, da Sie endlich das selbständige
Denken und Handeln gelernt haben. Sie sollten zumindest nicht mehr alles auf eine
Farbe setzen, nicht die ganze Distanz setzen und auch nicht die Erkenntnis darüber,
was war, aufs Spiel setzen. Seien Sie froh, daß Sie sie endlich gewonnen haben, die
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Erkenntnis! Was rede ich da. An ein Minimum von Unbefangenheit ist bei mir ja
leider nicht zu denken, ich muß mich schon dermaßen anstrengen, mir alles zu
merken, was ich berichten soll. Eine total von sich eingenommene Frau hat es mir
eingetrichtert. Ein Glück, daß sie Ihnen so unsympathisch ist! Ich hab mir eh nicht
alles gemerkt. Und überhaupt, wenn niemand herrscht und nur jeder über sich
selber, entsteht ein Chaos, das dem Boten nicht zugemutet werden kann. Mir geht es
hier nicht in erster Linie um eine ideologische Linie, wie Sie mir und dieser Frau, die
wiederum mir meinen Text eingesagt hat, immer unterstellen, sondern um die
Menschen und ihr Verhalten, schon weil die meisten Leute widersprüchlich handeln
und weil sich ihre Einstellungen mit den Jahren situationsbedingt ändern. Also die
Leute sollen ihre Einstellungen ruhig ändern, von mir aus, aber ich als
Berichterstatter habe diese Einstellung, wenn auch verspätet, denn ich kann ja nicht
schon vorher von etwas berichten, nicht wahr, ich habe die Einstellung also für Sie
bereits kalibriert, nach dem Willen einer Frau, der aber zum Glück nicht zählt, und
Sie können sie übernehmen, diese Einstellung, so, wie ich sie Ihnen gebe, von mir
aus, meinen Charakter können Sie auch noch haben, denn mein Charakter ist
dauerhafter als meine Meinung, die ich ohnedies nicht in den Bericht einfließen
lassen darf, das hat mir die Frau eigens aufgetragen, obwohl sie gar nicht kochen
kann und daher auch nie etwas aufträgt, man geht immer hungrig von ihr fort.
Ständig unterstellen Sie mir, daß ich nur Eingelerntes aufsage, genau wie Sie dieser
Frau unterstellen, daß sie nur Eingelerntes von sich gibt, und was hab ich davon? Sie
hat ihren Schirm, meinen Unterstand, zurückverlangt! Und wie steh ich jetzt da? Wo
soll ich mich jetzt unterstellen? Denn diese Einstellung hatte ich mir von der Frau ja
ursprünglich nur geborgt und mußte sie schon zurückgeben, bevor ich mir meinen
Ursprung auch nur einmal in Ruhe anschauen konnte. Sie, diese Frau und noch ein
paar andre, die nicht mehr zählen, haben mir die Unterstellungen gegeben, und wer
steht jetzt darunter? Sie stehen selber drunter, regengeschützt, unter meinem Schutz
und Schirm, die ich mir selber nur ausgeliehen hatte! Einen eigenen Schutz hatte ich
nie, nicht einmal für mein schwächstes Glied. Sie unterstellen mir Deutschenhaß? Im
Ernst? Deutschenhaß? Aber ich kann es Ihnen nun endlich sagen, egal, was ich
vorher gesagt habe: Ich bin stolz darauf, Deutscher zu sein! Wir Deutschen unter
unseren Duschen, den echten Duschen natürlich, sollten endlich wieder Mut zu
einem starken Nationalgefühl haben, wir sollten es ordentlich tuschen lassen, auch
wenn wir gar keine Deutschen sind, das sage ich hier und jetzt, nicht nur, weil man es
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nicht bereit, Ihnen die Anstrengung des Selberdenkens zu ersparen! Hauptsache, ich
als Bote muß nicht selber denken. Das erledigen jetzt Sie. Gut. Wo waren wir? Hier.
Die Rolle des Richters steht uns nicht zu und Ihnen auch nicht.
Es hat uns immer schon, Moment, ich stelle nur mal mein schweres historisches
Gepäck hier irgendwo ab, wo es nicht im Weg steht, haben Sie vielleicht ein
Kämmerchen dafür, ein kleines genügt? Danke, Moment, danke, Moment, drängen
Sie doch nicht so, zerren Sie nicht so an mir, ich muß doch vorher nur mein Gepäck
abstellen, das sehen Sie doch. Ich weiß ja, daß Sie von der Geschichte dieser
schrecklichen Zeit geradezu hypnotisiert sind, Sie interessieren sich ja für gar nichts
anderes mehr, das sehe ich, und indem Sie auf das Entsetzliche starren, das dieses
Land verbrochen hat, machen Sie Deutschland wieder zum Nabel der Welt! Ja ist
Ihnen das denn nicht klar? Bitte, mir als Boten ist es egal, ich werde ja nur wichtiger
dadurch, aber es ist nicht gut, Deutschland wieder zu einem Nabel zu machen,
machen Sie es doch lieber zu einem Arsch, dann können Sie wenigstens drauf sitzen,
bitte um Entschuldigung, also gut, Nabel, aber Nabel in einem negativen Sinn jetzt.
Das ist nicht gut. Arsch wäre besser, auch praktischer. Wann können wir Boten uns
schon mal in Ruhe hinsetzen?, also ich kann Deutschland gut verstehen. Nabel ist
aber nicht so gut. Na, von mir aus, auch einen Nabel hat jeder, und mancher hält sich
für den Nabel der Welt, um den sich alles dreht, alles Walzer, so ein Unsinn, aber
meinetwegen. Aber um eine solche Fixierung auf die Vergangenheit zu vermeiden,
sollten Sie in Zukunft, falls Sie sie erleben, ein paar Jahrzehnte woandershin gehen,
vielleicht nach Südafrika, Argentinien, ja, Argentinien ist am besten, dorthin
kommen Sie am besten, egal, was Sie von Deutschland halten, egal, wer Deutschland
grade hält, und danach berichten Sie weiter. Nach Argentinien können Sie immer.
Warten Sie dort ab, und dann erst berichten Sie! Ja, ich weiß, ich sollte vor meiner
eigenen Tür kehren, aber da liegt immer soviel Mist herum, den der Post-Bote
gebracht hat, Reklamezettel hauptsächlich, obwohl ich mir die strengstens verbeten
habe. Während ich die noch in die Papiertonne schmeiße, höre ich eine Stimme von
oben, die wahrscheinlich gar nicht von einem lizensierten Boten stammt, und die
Stimme ruft: Sie sollten sich auch nie als Gesetzgeber der anderen aufspielen! Nein,
sollten Sie nicht. Da hat die Stimme recht, die Stimme der Frau und die Stimme des
Mannes, beide stimmen. Ich kenne noch jemanden, der macht das dauernd, der
verfertigt Gesetze, schon während er spricht, jedes Wort ein eigenes Gesetz, aber der
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moralische Grauwerte, geben wir es zu!, aber auf diesen Prospekten ist alles schön
bunt, da sieht man zwar nicht mehr, wer Henker und wer Opfer war, aber das
braucht man nicht zu sehen, das ist bloße Einteilung, die kann man jederzeit auch
ändern, nehmen Sie Ihren Kuli oder Ihren Filzstift, und ändern Sie es! Sie müssen
auch meine Kalibrierung nicht übernehmen, es ist egal, es ist heute egal, das weiß
man ja, wer Henker und wer Opfer war, aber auf diesen Prospekten sehen Sie extra in
Farbe auch alle Zwischentöne, aber die müssen jetzt auch gleich weg. Die haben einen
Termin. Die haben dort, wo der gesunde Mensch wohnt, jetzt einen Termin, den sie
wahrnehmen müssen, die Zwischentöne. Nein, Sie selbst müssen nichts
wahrnehmen, denn Wahr und Falsch gibt es auch nicht mehr, es gibt auch hier nur
noch ein Dazwischen. Weg die Zwischentöne, weg die Obertöne, Arm und Reich gibt
es auch nicht, was es sonst noch nicht gibt, habe ich vergessen, und das, was bleibt,
kommt jetzt auch weg. So.
Die Stimme, die Sie jetzt hören, diese Stimme ist die Stimme des Vorverdichters,
nein, die des Dichters selbst, vor der nicht gewarnt worden ist, so beschallt er mit
dichter Stimme die Lifte und Gasthäuser und Kaufhäuser und Kyffhäuser, ja, sie
schallt lauthals von überall her durch die Lüfte, diese Stimme, man kann ihr gar nicht
entgehn, und ihre Stunde, die Stimme der Stunde, äh, die Stunde der Stimme ist
immer, und sie ist immer gerade gekommen. Vielleicht, um mit Worten für Gut und
Schlecht zu sprechen, um das zum Thema zu machen für die Künftigen, die schon
wieder fleißig umherschweifen und Nächstenliebe zu ihren Nächsten bringen,
unermüdlich, wie Fackeln, mit denen man nicht lang fackeln muß, weil sie sie zu
Hause nicht brauchen können, die Liebe zum Nachbarn hinterm Maschendrahtzaun,
also, was wollte ich sagen, was soll ich Ihnen als Bote von den Deutschen jetzt
ausrichten, den Hauptverbrechern der alten Zeit? Doch in unserer neuen Zeit haben
wir andere, bessere Verbrecher. Die Deutschen lassen ausrichten, daß sie heute nicht
mehr kommen können, weil sie sich gerade am höchsten Gipfel befinden und von
dort nicht so schnell wieder runter wollen. Sie müssen die Aussicht ins Tal, wo die
andren sind, genießen, und erst dann wollen sie wieder von ihrem alten Dünkel
runter, denn sie alle dünken sich zu wissen, was dem Menschen gut und böse sei, und
daher ist immer seine Stunde, der Deutschen Stunde, der Deutschen Sendung ist und
geschieht immer und wird immer ausgestrahlt. Sie müssen nur aufdrehen, schon
hören Sie eine deutsche Sendung. Der Deutsche sendet, der Österreicher wird vom
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wo wir sind, wir bleiben einnehmend, wie wir sind, wir müssen nicht mehr Deutsche
werden, um einnehmend zu sein, das sind wir sowieso schon, und das waren wir
immer, einnehmend schon durch unsere Sprache, die gegründet wurde, damit wir
woanders Englisch sprechen können, und diesmal kommt einmal China dran,
diesmal kommt China, das Reich der Mitte, und löst unser Reich der Mittelmäßigkeit
ab, und China redet nicht, aber handelt umso mehr. China treibt den Handel derzeit
vor sich her. Sicher wollen Sie mehr über diese Europa-Garantie wissen, die wir
Ihnen hier beigelegt haben, damit Sie sich nicht fürchten: Sie garantiert, daß die
Therme von vorhin innerhalb Europas ohne die schädlichen Keime von Fremden
funktioniert, aber selbstverständlich nur, wenn sie keine Fremden reinlassen, für das
Thermalbad garantieren wir vielleicht auch noch, obwohl die Hitze dem Keimen von
Keimen im feuchtwarmen Regina-Coli-Bereich den Himmelsköniginnen und
-königen recht guttun soll, wie man hört, die wachsen ins Uferlose, for theirs is the
kingdom, meinetwegen, wir sind sowieso alle im Arsch, warum also nicht auskeimen,
wenn man den Herrenmenschen züchten will, das kann im Prinzip jeder sein, ein
Herrenmensch, und seine Sklaven züchtigen, die können im Prinzip auch jeder sein:
Sklaven, bis sie hin sind? Damit schneiden wir uns doch ins eigene Fleisch! Zu
dumm!, wir können uns nicht einigen, wir können uns nur darauf einigen, wer Herr
und wer Sklave ist, aber mit diesen Keimen kann man nicht früh genug anfangen, sie
zu bekämpfen und zu vertreiben. Wozu haben wir sie dann gekauft, warum haben wir
sie dann geholt? Haben wir ja gar nicht! So. Jetzt wissen Sies. Wir haben den
Garantieschein verloren, wir haben keinen Beweis, daß wir sie überhaupt geholt
haben, daß wir sie gekauft haben, die Sklaven. Die haben ja alle Spuren verwischt, ist
ja logisch. Die Opfer wurden in die Zickzack-Gräben geschmissen oder fielen, zum
Teil gewiß noch lebendig, denn das Töten macht Arbeit, das können Sie sich gar nicht
vorstellen, wieviel Arbeit, wir schmeißen also die Opfer, ob tot oder lebendig, hinein,
übereinander, eine Masse Menschen, gar nicht so wenige, die Frage war doch: Wie
kriege, nein, bringe ich eine möglichst große Anzahl von Menschen auf möglichst
geringem Raum unter, und das fragt sich nicht nur der Fremdenverkehr. Sicher ist,
daß diese Zickzack-Leichengräben jederzeit, am besten nachts, aber leicht wieder mit
schweren Baumaschinen geleert werden können. Man findet dann die Gräber nicht
mehr, weil wir z. B. Kiesgruben als Gräber umfunktioniert haben, jede gesunde
Bauwirtschaft kennt die Kiesgrube, jeder Bauunternehmer hat oder kennt eine
persönlich, woher hätte er sonst diesen wichtigen Baustoff der Zukunft? Den Kies,
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alles zentral geregelt. Eine Zentrale braucht man einfach, man steht ja kurzfristig
woanders auf der Matte als auf seinem Schicksalsboden, der einem zugedacht war.
Plötzlich ist man Ungar und weiß selber auch nicht, warum. Man hat mit
Deutschland überhaupt nichts zu tun, man hat vielleicht in Deutschland zu tun, der
Krieg braucht ja dauernd was, einmal verliert er seinen Turnbeutel, dann seine
Zahnbürste, dann seinen Tennisschläger, dann die Schistöcke, dann sein Leben,
dauernd fehlt was, damit dann den Menschen was fehlt, was damit endet, daß sie sich
selber fehlen. Es fehlen uns welche. Wir finden sie schon! Wir finden sie alle. Die
Zentrale ist in Berlin, die andre in Düsseldorf, der Vorstand ist bald in Sibirien, mit
dem nächsten Zug schon, allerdings wird das ganz schön dauern, bis er dort ist. Der
Besitzer von alldem oder zumindest der Hälfte von alldem ist in der Schweiz und
bleibt auch vorläufig dort, der läuft nicht weg, denn damals war das Reisen noch
gefährlich. Wir lagern Gut und Böse aus, dorthin, wo wir nicht sind. So gehört es sich,
das nennt man Outsourcing, glaube ich zumindest, die Guten ins Töpfchen, die
Schlechten ins Kröpfchen, aber ich bin ja nur der Bote. Das vergesse ich manchmal.
Ich muß gleich kotzen. Dann fällt der Schatten, und ich weiß wieder, wo ich bin, ich
sehe auf dem Boden, was ich von mir gegeben habe.
Sogar ich habe mir, als ich schon fast erfroren war, eine eigene Zentralheizung
angeschafft, nur ist der Bote leider nicht oft dort, wo seine Heizung ist. Immer muß er
rennen oder Fahrrad fahren, dabei wird ihm aber auch warm. Gehen Sie hin und tun
Sie desgleichen! Was, Sie haben kein Auto? Sogar in Ungarn hat man Autos, sogar im
Krieg, wenn auch nicht viele. Diesen Zahn hätten Sie mehr schonen sollen, Frau
Gräfin, nebenbei und hauptsächlich gesagt, sonst brauchen Sie auf dem auch noch
eine neue Krone, womöglich müssen Sie dann noch anschaffen gehen, die von dem
Grafen haben Sie ja auch durch Heirat erworben. Und es war nur ein sehr kleiner
Graf, aber immerhin ein Graf. Die Ungarn sind und waren eben an sich schon billiger,
warum mehr bezahlen?, wenn man schon eine ungarische Krone bekommen kann,
Krone ist Krone, und billiger sind die ungarischen immer gewesen und sind es noch!,
aber nicht mehr lange, aber geschenkt sind sie auch nicht. Geschenkt wurden sie uns
erst wieder durch die EU, was uns sehr freut. Doch soweit sind wir noch nicht, das
liegt noch zu weit im Nebel. Noch herrschen kleinliche Vorurteile und kleinste
Vorteile und strenge Urteile, die alle genutzt werden wollen. Und wir nutzen sie, auch
wenn sie das nicht wollen.
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geht zu Ende, also, was tun?, die alte haben wir etwas voreilig verbraucht, als wir die
neue bekamen, schon als sie uns angekündigt wurde. Doch es kam anders. Erst als
sich die Frau Gräfin selber auch ein Gewehr nahm, wußte ich, daß sie es war. Es stand
ihr zu. Die Waffe stand ihr und stand ihr zu. Wollte natürlich auch schießen. Es gibt
da beim Schießen eine Rangfolge, der Ranghöchste schießt zuerst, auf das
höchstrangige Wild, und das ist der Mensch nicht, das ist der Zwölfender, der
Mensch kann ja nur einmal enden, und wenn der Erstbeste erledigt ist, dann dürfen
auch die andren die Nächstbesten erlegen. Es ist genug da für alle. Ich sah erst viel
später, als ich sie nach Jahren wiedersah, daß sie damals eine scheue, zurückhaltende
Frau gewesen sein mußte. War das endlich die Banalität des Bösen, von der ich schon
soviel gehört hatte, allerdings erst viel zu spät, sonst hätte ich sie doch an ihrer
Banalität erkannt, diese Frau, oder? Eigentlich habe ich es gar nicht mehr erlebt, daß
das Böse banal sein soll. Sich wie gefällig und gefügig, je nachdem, was die tastenden
Hände wollen, auf den Rücken legen, als Demütige, aber die Weisheit verachten, die
demütig und hündisch und fromm und schnell-gefällig ist – sowas haben wir schon
gern, aber wir haben es nun mal! So sieht es aus, wenn die Mächtigen sich
kleinmachen. Und die wissen immer, wann sie sich kleinmachen müssen, ohne
wirklich klein zu sein, klar, sonst müßten sie es ja nicht vortäuschen. Wenn sie ganz
verschwinden, als wären sie tot, auch gut, das wollen sie ja, und sie verschwinden
immer nur, solange sie wollen. Sie tauchen, anders als die Toten, immer wieder auf,
sie tauchen in dem Spalt auf zwischen der Idee und der Wirklichkeit, zwischen der
Bewegung und der Tat, ja, genau dort tauchen sie auf, dorthin fällt der Schatten, den
dürfen wir haben. Von dem dürfen wir zumindest ein Foto sehen. Viele von uns
glauben, das wären schon sie, die Mächtigen, denn ihrer ist das Königreich, das
Leben ist sehr lang, aber man sieht es meist nicht. Auch die Demut kann weise sein!
Sie verschwinden nur, um wiederzukehren, die Machthaber. Ihr Geld verschwindet
schon vorher, damit es später wieder auftauchen kann, wenn sie es brauchen. Zum
Glück kann es jederzeit aufgetaut werden, das eingefrorene Geld. Für die
Machthaberischen ist das Leben ist für das Leben ist dieses ihre Weise, welche die
Welt dieses ist die Weise beendet, die Welt dieses ist die Weise beendet, die Welt
nicht mit einem Knall, aber einem Sie wissen schon was beendet.
Zum Glück sind wir nicht demütig, soll der Bote Ihnen ausrichten, ich sage, wies ist,
ich sage, wie man es mir gesagt hat, wörtlich: Verhaßt ist uns, wer sich nie wehren
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Glas der Füße der Ratten Überschuß in unserem trockenen Keller bedeutungslos. So,
jetzt ist dem Rechner die Sicherung rausgeflogen. Wir können mit diesen Männern
nichts mehr anfangen. Deswegen haben wir sie ja dorthin gesperrt, in unsere Keller.
Das war aber ein schöner Keller, sogar geweißelt, eigentlich der Aufenthalts- und
Erholungsraum für die Pferde, ja, ganz recht: schön geweißelt, nicht dreckig, er war
sauber, der Keller, wo die gehalten wurden, in einer ehemaligen riesigen Scheune, die
war weißgewaschen, whitewashed, und verfugt, wir haben die hohlen Männer dort
untergebracht, und, obwohl hohl: vollkommene Menschen, alles dran, ohne Form,
Farbton formen ohne Farbe, gelähmte Kraft, Geste ohne Bewegung, das haben wir
aus ihnen gemacht, und trotzdem: vollkommene Menschen, vollkommen wie wir, im
Grunde vollkommen wie wir – vollkommen, das ist ja nur ein Wort, wie die Liebe
auch nur ein Wort ist, diesmal hat es aber das Wort vollkommen getroffen, besser
getroffen als sonst, es paßt zu vielem als Beilage, danke, soviel Vollkommene reicht
mir schon, soviel Vollkommenheit muß sein, soviel Zeit muß sein, soviel Zeit muß
nicht mehr sein! Es zahlt sich trotzdem nicht aus, die alle zu erschießen, aber wir
müssen es tun, da sie nun schon mal hier sind, wo sie nie wohnen und weilen wollten,
aber ebenfalls mußten, zur Arbeit geboren, nein, nicht geboren, zur Arbeit gemacht,
zur Frau nicht geboren, zur Frau gemacht, so ist das Leben, jeder spuckt vor einem
anderen aus, wenn er die Gelegenheit hat, dabei jemand anderen zu treffen. Wir aber
schießen und treffen ebenfalls, leider ist es keine Kunst, denn die Männer wurden
uns zu diesem Zweck ja eigens gebracht, ein Anruf kam, und dann, um halb zwei,
zwei Uhr: Geschrei. Da konnte man Fenster und Türen schließen und sich die Ohren
zuhalten: Geschrei Geschrei Geschrei, furchtbare Schreie, können die denn keine
Rücksicht nehmen, um diese Zeit wollen wir schlafen, jeder will um diese Zeit
schlafen, außer denen, die es nicht wollen oder nicht dürfen, der Anruf kam, die
Waffen wurden ausgegeben, das politische Kleingeld wird erst in Jahrzehnten
eingesammelt werden können, und ohne Zinsen, denn es wurde nicht angelegt, es
wurde nur gemacht, und wir dürfen sie elimieren, sie sind da, sie müssen weg, so
einfach ist das, viel ist eh nicht mehr da, aber da, da stehen sie nun, bestellt und auch
abgeholt, die, die mit direkten Augen uns gekreuzt haben, zu anderem Königreich des
Todes erinnern sich an uns, aber dazu werden sie keine Gelegenheit haben, sie
wurden uns zum Erschießen übergeben, überlassen, und wir üben das Schießen aus,
das ist unser Privileg. Das ist das Privileg der Menschen, welche nicht hohl sind,
welche so angestopft sind mit Stroh, stuffed, im Gegensatz zu den andren, die nicht
Sie hörten soeben unsere tägliche Sendung von der Banalität des Bösen, Sie kennen
sie eh schon, und zwar von gestern und vorgestern, und jetzt wieder Musik. Diese
Musik ist doch von vorgestern, kennen Sie denn keine neuere, haben Sie denn keine
neue, nicht die Neueste? Dann legen Sie auf. Dann legen Sie sie auf. Wir haben aber
auch noch eine Musik vom vergangenen Jahr, die ist neuer als diese, aber es gibt
schon die von morgen und übermorgen, die laden wir uns heute schon runter. Sie ist
genau gleich wie das Vergangene, jede Musik ist da und schon vergangen, wenn sie
aufgelegt ist, Musik ist Zeit, die man hört, das Begangene im allgemeinen muß man
erst begehen, man muß es erst begehen, aber es gibt Begangenes, das man nicht mehr
begehen sollte und auch gar nicht mehr begehen kann. Was die hier begangen haben,
das sollte besser verschwinden, das sollte übergangen werden, aber nicht mehr
begangen, es sollte weggeräumt werden, das Begangene, damit keiner es mehr
begehen kann. Bitte, nicht noch mal! Doch auch morgen wieder werden Sie eine sehr
banale Sendung hören und sehen können, die nicht einmal mehr vom Bösen handelt,
aber trotzdem unglaublich banal sein wird. Man faßt es nicht! Wer es fassen kann,
der fasse es, das IST aber nicht zu fassen. Die Augen weg! Weg die Augen! Wieso? In
dieser Senke sind keine Augen hier in dieser Senke in dieser hohlen Senke. Trotzdem,
weg die Augen! Die Augen weg! Verpassen Sie trotzdem nichts!, genau jetzt wird es
interessant. Nein, doch nicht. Wieder nichts. Verpissen Sie sich endlich!
Dies ist das Fest, an dem jenes wahre Lamm getötet wird, durch dessen Blut die
Türen der Gläubigen gefeit sind. Also an dem Satz stimmt schon mal gar nichts. Es
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reicht nicht, daß ich ihn gar nicht hätte weitersagen dürfen, er stimmt auch nicht.
Wer hat denn hier diese rote Farbe an all die Fensterlein und sogar an die Tür
geschmiert? Der Bote sollte sich vorher vergewissern, wohin er nachher greifen wird.
Ich mach mich ja ganz dreckig, wenn ich an die Tür klopfe, poch poch! Was glauben
Sie, an wie viele Türen und Fenster ich täglich pochen muß? Wenn da jeder seinen
Dreck hinschmiert, wie schau ich denn da aus? Welche Tötung soll hier überhaupt
abgewendet werden? Eh keine. Es ist doch das Gegenteil der Fall, die Tötung soll
herbeigeführt und dann durchgeführt werden, denn nicht der Mensch opfert Gott,
nein, auch Gott opfert nicht Gott, und Gott opfert sich auch nicht seinem Vater, nein
neinnein, ich habe viele Opfer gesehen, dieses zwar nicht, aber so viele Boten haben
mir davon erzählt, daß ich es wohl glauben muß. Aber es stimmt nicht. Gott opfert
sich nicht. Gott verschenkt sich. Ich sehe nicht den Unterschied, aber ich verstehe
Gott recht gut. Bevor ich mich schlagen und kreuzigen lasse, verschenke auch ich
mich lieber! Ich sehe nicht unter Gott, und über ihn hinweg schon gar nicht. Aber
bevor ich mich schlagen lassen würde, könnten Sie mich sogar umsonst haben. Sie
könnten mich als Beigabe zu Gott gratis dazubekommen. Die Frau Gräfin opfert sich
ja auch auf, aber ich weiß nicht, für wen. Ich glaube, sie opfert sich für ihre Pferde
auf, das wurde mir so gesagt. Sie wird bald mit dem Auto wegfahren, ihre zwei
Atlanten, nein, Adlaten, nein, Adjutanten, nein, Jubelanten, also ganz bestimmt
nicht, welches Jubiläum hätten denn die zu feiern? Fast 200 erledigt, also 180? Das
ist nur einmal passiert, das ist nun einmal passiert. Also kein Jubiläum, das könnte
man frühestens in zehn Jahren feiern, und dann wird man andre Sorgen haben und
andre Gründe zu feiern. Die Jubiläen werden erst viel später kommen und nicht
gerade ein Grund zum Jubeln sein, die Augen werden nicht dabei sein, die Augen
werden nie dabei sein, bei der Gedenkfeier in der Senkfeier, in der Senkgrube, in
dieser hohlen Senke dieser gebrochenen Kiefer, dieser zerbrochenen Knochen. Und
eingraben müssen wir das alles auch noch, eingraben in dieser Senke, dieser
Senkgrube, in diesem letzten der Treffpunkte suchen wir 60 Jahre später oder so,
vielleicht 70, 80, 180?, etwa 60 Jahre schätze ich mal, aber es können auch mehr
sein, suchen wir diesen letzten der Treffpunkte, suchen wir ihn, zusammen tastend,
und vermeiden die Rede, indem wir sie halten, die Rede immer wieder halten, die
irgendwann von diesem Fluß des Gedächtnisses erfaßt werden wird, am Strand dieses
tumid Flusses, sightless heute, sightless morgen, es sei denn, die Augen wieder
erscheinen, aber nicht einmal im Traum uns erscheinen diese Augen. Kein Opfer –
Also was die Frau Gräfin macht, ist für mich kein Opfer, nein, für sie auch nicht, sie
tut es ja gern! Und was man gern tut, das ist wohlgetan, äh, nicht getan, äh, nein, das
wird einfach besser als das, was man widerwillig tut. Bitte, gern geschehen. Es ist
gern geschehen. Aber es wird später ungern geschehen sein. Komisch. Die Hoffnung
der leeren Männer läßt sie nicht steigen, obwohl sie leicht sind, knistrig, wie
Winddrachen.
Ja, die Frau Gräfin! Es war die ganze Zeit nichts, was sie sagte, aber viel, was sie tat.
Dafür redet ihre Familie umso mehr und umso lauter, die hatte noch Jahrzehnte vor
sich, die sie alle mit Gejuble und Umrubeln, jedenfalls nicht mit Grübeln, anfüllen
mußte, nachdem die Gräben gefüllt waren, die Frau Gräfin spricht jetzt, Ruhe!, je
toter diese Frau war, keine Sorge, das war Jahre später!, umso lauter redeten ihre
Verwandten, sie übertönten die Frau Gräfin mühelos. Doch heute redet noch mal sie,
und sie redet einfach überall mit, verstehen muß sie dazu nichts, und sie ist auch
heute und auch am Tag, von dem wir berichten sollen, und dann am Tag, von dem
wir keinesfalls berichten dürfen, körperlich sehr ansprechend, für die Herren P. und
O. zumindest, die Men in Black, gestopft mit Stroh, ich teile jetzt die hohlen Männer
von den Strohmännern, die keiner zur Verantwortung ziehen kann, denn sie sind
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eben: Strohmänner, das heißt, nicht mit Fleisch angefüllt unter ihrer Haut, und wir
wissen nicht, wie die heißen. Nicht mit Fleisch. Sondern mit Stroh. Mit Stroh. Die
Hohlen mit nichts. Die andern mit Stroh. Die Gräfin mit nichts, so, mir reichts. Sie ist
eine von den Nichten, die nichts sind, wie ihre eigene Nichte wird viel später,
Jahrzehnte später, etwas sein, sie wird jemand sein, die kann doch nichts dafür, doch
die wird mehr sein als wir, die wird mehr und woanders sein als wir, die wird zufällig
dort sein, wo auch wir sind, die wird alles sein, die wird sich alles sein, die wird auch
andren alles sein, ein unaufhörlicher Stern, ein Star, der Stern Multifoliate vom
Dämmerungskönigreich, diesmal nicht des Todes. Ja, ihre Nichte, Jahrzehnte später,
Nichte der Frau Gräfin, nicht jede Nichte eine der Frau Gräfin, die Hoffnung nur der
leeren Männer steigt sofort um zwanzig Zentimeter, nein, auch die nicht, hier steht
niemand mehr auf, damals ein Stern der Ungeborenen, die genichtete Nichte, die
noch nicht gesichtete Nichte, ein Star unter andren Ungeborenen, sie ist sogar das
Gegenteil des Nichtens, sie ist nicht ein Nichts, nein, sie ist das Gegenteil von nichts,
sie ist das Höchste, das es gibt, na, vielleicht nicht ganz hoch, aber das Höchste, was
wir uns vorstellen können, aber kein Ast, nein, sie ist kein hoher Ast, an dem sie
sägen könnte, sie hat den Stammbaum nur geheiratet, aber sie selbst ist auch ein Ast,
auf dem sie selber sitzt, doch auf etwas, das sie sägen könnte, setzt sie sich doch gar
nicht erst, würde sie sich gar nicht erst setzen, sie sitzt auf einem fremden
Stammbaum, so, das steht alles in der Zeitung, hier geht sie, und hier gehen wir und
schauen uns ihr Foto an, in der Zeitung, wir schauen uns ihren nackten Arsch an, in
der Zeitschrift, ringsum die stachelige Birne stachelige Birne, Abrißbirne?, daß wir
rings um die stachelige Birne um fünf Uhr morgens gehen, und um sechs ist dann
alles erledigt. In dieser Zeitschrift. Sie steht, die Frau steht, die Mutter steht nicht, die
Tante steht, ich sehe noch nicht, wer sie ist, auf alle Fälle eine Schwester, Tante,
Mutter? Nein, nicht Mutter steht, doch, die Mutter steht auch in der Zeitung!, jetzt
sehe ich, daß sie auch Mutter ist, und gewiß auch Tochter, oder?, geht ja nicht anders,
sie steht, sie steht in der Zeitung und schaut zwischen dem Wunsch und dem Spasm
zwischen der Kraft und dem Bestehen zwischen dem Wesentlichen und dem Abfall,
wohin der Schatten fällt, schaut sie hin und her, sie schaut und schaut, sieht aber
nicht, wohin sie sich setzen soll, sie hat nämlich keinen Stammbaum, auf den sie
noch höher hinaufklettern könnte, wenn es ihr unten zu heiß wird, aber das soll
keiner merken, daß sie da erst rauf muß. So, jetzt hat sie schon einen, jetzt ist sie
schon oben. Sie ist ganz oben. Inzwischen hat sie längst einen bekommen, einen
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der Bote sollte erst mal schauen, was das ist, bevor er mit einer Gabel den Ton angibt,
das ist eine große Gabe, den rechten Ton zu treffen, nein, eine kleine, und ein Ton,
den nach ein paar Jahrzehnten eh keiner mehr aufnimmt. Aber Deutschland sollte
natürlich besser in Ungarn oder der Schweiz liegen, nein, nicht liegen, stehen, damit
es aufrecht bleibt und keiner ihm was antun kann, was alle doch andauernd
versuchen, aber sie schaffen es nicht, sie schaffen nicht, es kleinzukriegen, es
umzubringen, dieses Königreich des Todes, sie schaffen es nicht, das schafft nur der
Tod selbst, der zuletzt schafft, der schafft am besten, trotzdem, nur der Gedanke an
Deutschland allein hält einen schon aufrecht, auch wenn Deutschland fallen muß.
Dann muß nicht gleich ganz Deutschland zu uns kommen und seinen Fall hier
herzeigen, es soll seinen Fall gefälligst im eigenen Land vortragen und sich gefälligst
den eigenen Fall selber vorhalten, nicht diese abschließende Sitzung bitte im
Dämmerungskönigreich! Wir sehen auch so, daß die Götterdämmerung bereits
stattgefunden und irgendwer danach wieder das Licht aufgedreht hat, und wenn man
springt, wenn man den großen Sprung wagt, nein, nicht den langen Marsch, das geht
zu langsam, dafür sind wir auch zu wenige und im falschen Land, aber den großen
Sprung, der geht, der Sprung, der geht, und wenn man den also wagt, dann landet
man in der Gegenwart, aus der Vergangenheit in die Gegenwart in einem einzigen
Sprung, und den Deutschen brauchen wir schließlich auch in der Gegenwart,
irgendwer muß ja die Arbeit machen, nicht wahr, und irgendwer muß sie sich machen
lassen, die Arbeit, bzw. irgend jemand muß immer Arbeit machen, arbeitsintensiv
sein, und das werden nicht die Deutschen sein, die aufbauen, das werden andre sein,
die nicht abgebaut wurden, nicht vom Angesicht der Erde wegradiert wurden, aber
als erstes abgebaut werden, wenn eine Krise droht, egal welche, sie werden uns dann
alles erklären, die Deutschen werden uns alles erklären, alles erklären können die
Deutschen besser als alles andre, die können sogar Kriege erklären, nein, dieser
Sprung geht nicht, der geht vielleicht durch die Erde, im Zickzack, solche Gräben
können leicht in einer Nacht geräumt werden, mit schweren Baumaschinen, aber
gehen kann er nicht, der Sprung, der geht nicht, ja, auch der in der Erde, im Zickzack,
der springt, wie schon sein Name sagt, er selbst sagt uns nichts, dieser Sprung vom
Mensch zum Tier ist ja so nichtssagend!, und so lange her!, und der vom Tier zum
Mensch sagt auch nicht viel, so, da wollen wir also springen, und im gleichen
Moment sehen wir jemand auf einer Tanne sitzen, natürlich ebenfalls eine
Einheimische, ein Fremder würde hier doch nicht wachsen, und etwas hält uns auf,
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genau hier ist das Wild, es will nicht gesehen werden, damit es nicht erschossen
werden kann, aber es muß, also muß man es auf den Baum oder auf die Lichtung
treiben, damit man es erwischt, so, und viele Hände fassen jetzt die Waffen, und es
sind nicht die Waffen des Geistes, es sind die Waffen, welche die Geister ja erst
machen sollen! Die werden das schon erledigen. Und dann werden sie auch dem
Geist noch den Rest geben. Es wird jetzt geschossen, ein Schößling wird ausgerissen,
der Schoß ist fruchtbar noch, aber den kann man nicht ausreißen, im Gegenteil, die
Gebärmutter verwest zuletzt, zuallerletzt, das ist erwiesen, diese Männer werden
noch früher verwesen als unsere Gebärmutter, wir haben jede nur eine einzige, ein
Stück Gebärmutter, die sich dafür lange halten wird, aber nicht mehr DAFÜR, wofür
sie einst vorgesehen war, eine Herzenstaktlosigkeit mehr von den Frauen, die zu
allem fähig sind, zum Äußersten, sogar mit ihren Organen, für die sie gar nichts
können, das müssen sie auch, zum Äußersten gehen, weil die Leute kein Herz mehr
haben, und wozu brauchen sie dann einen Takt? Der Takt kommt aus ihren Ohren,
aus denen Musik herauszischt wie giftiger Schlangenschaum, nein, nicht wie
Schlagobers, vor allem, wenn das Ohr nicht ganz festsitzt, ich meine der Ohrstöpsel,
der muß allerdings vorher ins Gerät hineingesteckt werden, auf einer Seite ins Gerät,
auf der andren ins Ohr, das hoffentlich festsitzt, sonst verpufft die ganze schöne
Musik vollkommen sinnlos. Nein. Sonst kommt da nichts raus. Das wird sonst nie
was! Nein. Es gibt so etwas nicht mehr. Es gibt nichts mehr. Die haben ja schon alles.
Doch die dazugehörige Frau, die zum Himmel ruft, aber keinen Feuerglanz von dort
mehr kriegt, der steht auch eine Art Schaum vor dem Mund, sehe ich grade, nein,
auch kein Schlagobers, sieh an, und ihr verdrehter Blick ist stier, sie hat kein
Bewußtsein mehr, fürchte ich, immer noch besser als tot sein. Mit ihren Armen packt
sie, die Frau Gräfin meine ich, die Frau Margit, die Frau Gräfin Margit, so kann man
das gewiß nicht sagen, sie packt also seine linke Hand, die linke Hand von dem Mann
da, nicht wahr, nein, nicht wahr!, sie könnte auch seine rechte ergreifen, aber Rechte
hat er schon längst keine mehr, also die linke packt sie, den Fuß stemmt sie in seine
Rippen, das darf sie, schließlich hat sie ihn ja auch geschossen, sie reißt ihm die
Schulter aus dem Arm, das Schultergelenk, aber bitte, das wäre doch nicht nötig
gewesen! Nicht durch Leibeskraft hat sie den Mann da erledigt, auch nicht durch
Liebeskraft, sondern durch Feuerkraft, durch die Feuerkraft keines Gottes, kein Gott
anwesend, ich hätte Ihnen gern von einem an- oder abwesenden Gott berichtet, doch
ich habe keinen gesehen, durch der Menschen Durcheinander, alle natürlich
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eingraben, das wird doch sogar den Leichen langsam fad!, ich könnte Ihnen noch
sagen, wo kein leichtes Finden dieser Leichen sein wird, kein leichtes Finden wird das
sein, aber ich sage nichts, sonst wäre es ja ein leichtes Finden und ein viel zu leichtes
Finale.
So, diese 180 Männer wären jetzt endlich auch gefallen. Das wäre also das Ende. Ich
habe nicht gewußt, wie ich davon berichten könnte. Ich weiß es auch jetzt nicht, aber
ich berichte weiter, obwohl es ja gar nicht weitergeht. Von der Stirne würden sie die
Binde werfen, die wir ihnen aber nicht umgebunden hätten, die kriegt nur der
Deserteur oder ein gegnerischer Anwalt oder ein Gegner im allgemeinen Prozeß der
Prozeß- Gegnerschaft. Oder Justitia selbst, die kriegt auch eine. Scheiß drauf. Diese
Männer kriegen schon mal gar nichts von uns, die haben keinen Anspruch auf Leben
angemeldet, sie haben ihren Anspruch auf Leben nicht rechtzeitig angemeldet, die
sind nicht bezugsberechtigt, aber sie sind auch nicht wegzugsberechtigt, nur unsere
Zweige, Äste, Wurfgeschosse und Allgemeingeschosse, die können sie haben. Da
spricht der nackte Mann doch: Mutter, ich bin es, bin dein eignes Kind, das du selbst
gebarst! Ich bin doch auch jeder andere, den du ebenfalls gebarst, nein, den du nicht
gebarst, entschuldige, ich habe mich geirrt, ich habe dich verwechselt, wenn du die
alle geboren hättest, das wäre eine ganze Menge. Und was gar nicht geboren wurde,
zumindest nicht von dir, Mutter, das wäre noch viel mehr. Wieso gebärdest du dich
dann dermaßen hysterisch? Was soll die Waffe? Weg mit ihr! Die Waffe nieder! Nein,
da wird nichts gesagt. Da wird nicht um seiner Missetaten der Sohn ermordet, denn
er ist zwar ein Sohn, aber nicht der von der Frau Gräfin. Er ist jeder Sohn. Er ist ein
Sohn. Aber nicht Ihrer. Was regen Sie sich auf?
Bitte, darf ich auch mal was sagen? Sie braucht ihn nicht mehr, diesen Titel, denn sie
hat schon einen, auch wenn der ihr ein wenig zu klein geworden ist. Ein Ruf eilt ihr
voraus, sie aber kann noch allein stehen, gestützt von ihrem Titel, gestürzt von den
Kommunisten, nicht mehr gestürzt von den österreichischen Hammer- und
Sichelherren, den großen Söhnen der Heimat, aber auch wirklich voll begabt für das
Schöne, vielgerühmt. Sie beißt mit gutem Biß, die Erzherzogin beißt mit gutem Biß,
wie ein Hirt, der die Nabelschnur eines Schafs durchbeißt. Ich glaube, ich bin das
Schaf, weil ich immer laufen und fressen muß und der Durst dafür an mir frißt, an
mir zumindest nagt. Ach, wir armen Boten! Ach, wir Armen! Meinetwegen, der
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werden sie dabei nicht gestört werden, denn die sind ja endgültig weg, die sind
machtlos, die haben endgültig Platz gemacht. Wo nichts ist, hat auch der Kaiser sein
Recht verloren. Und da gibt es lebende Tote, ich habe sie selbst gesehen, obwohl ich
eigentlich hätte von ihnen berichten sollen, die mußte man nur mit dem kleinen
Finger anstoßen, und schon fielen sie um, die Menschen, ja, diese hier ganz
besonders, 180 Stück, da liegen sie, und nichts mehr dran an ihnen, die sind
stundenlang aufgerieben worden durch Arbeit, wie Fußböden, aber sauberer sind sie
davon nicht geworden. Wer sich die Finger nicht schmutzig machen kann, ist auch
fürs Herrschen nicht geeignet, der kann auch nicht befehlen. Ein Haus, das sich die
Fenster mit Blut nicht beschmieren läßt, ist fürs Stehen sowieso nicht mehr geeignet,
es hat keinen inneren Zusammenhalt, den nur das Blutbad einem bereitet. Aber hier
machen wir eine Ausnahme. Dieses Haus da fällt, diese Hand da fällt, Hände werden
nicht erhoben, um zu flehen, Hände, die sich dann wie Blätter im Wald regen
würden, die nun keinen Laut mehr von sich geben, nicht einmal einen von einem
Tier. Diese Männer, die nicht einmal gespitzten Ohres lauschen, denen ist wohl alles
egal, die den Blick nicht mehr wild hin- und herwerfen, die Hände nicht mehr
erheben, den Männern ist jetzt alles wurscht, die sind schon gefallen, die sind nichts
Besondres, es ist in allen, wir alle werden schließlich vernichtet durch unsre Arbeit,
warum diese Männer nicht? Diese Männer werden zur Abwechslung einmal anders
vernichtet. Die Frau Gräfin richtet das Richtige ordentlich an, die ordnet das
Richtige, das aber gar nicht gerichtet zu werden braucht, äh, nur ich richte nicht,
niemals richte ich, ich richte nicht, auf daß ich nicht angerichtet werde, ich berichte,
was andre angerichtet haben, zum Selberrichten bin ich viel zu ungeschickt, grade
noch Bote, grade vorhin bin ich noch Bote gewesen, dafür hat es gereicht, ich räche,
aber die andren richten schon gern öfter was her, eine Jause, wenn sie schon nichts
ausrichten können, was die eigentliche Aufgabe des Boten ist, dann richten sie eine
Jause her, ihre Aufgabe wäre das Etwas-Ausrichten, das haben wir ihnen schließlich
angeschafft, die anderen sind aber auch nicht besser, wenn ich nur wüßte, wer sie
sind, ich würde es Ihnen natürlich sagen: Die halten nicht, die halten ja nichts aus,
daher werden sie billig sein wie diese Prothesen aus Ungarn, und es lohnt sich
überhaupt nicht, sie zu sammeln. Dort, wo die herkommen, gibts noch viel mehr
davon, nur haben wir nichts davon, wenn sie dort bleiben. Na ja, inzwischen kann
man natürlich selber hinfahren. Es gibt keine Grenzen mehr. Man kann immer
wieder was Neues kriegen, man kann es sich anschaffen, Boten, Prothesen, Zähne,
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bestätigt, als sie es in New York gefunden hatte, vorgestern, als sie es in Kroatien und
Slawonien gefunden hatte, wo noch keiner etwas gefunden hat, woran noch keiner
etwas gefunden hat, ich soll es Ihnen von ihr ausrichten, ja, sie findet die Kunst dort,
wo sie ist, und nicht dort, wo sie nicht ist, ich meine dort, wo sie und die Kunst
zufällig einmal gemeinsam sind, alle beide, sie und die Kunst, und wenn sie dort nicht
ist, weiß nicht mehr, wer, dann sucht sie sie, bis sie sie gefunden hat. Sie sucht, was
sie schön findet. Sie findet etwas. Was findet sie? Wie findet sie das und das? Das
möchte ich auch gerne wissen. Die Menschen treiben umher, mich persönlich treibt
es zwar um, doch ich bleibe hier, obwohl ich große Sehnsucht nach der Menschen
Lachen hätte, ein Lachen, das sich nicht bewegt, da könnte ich mich etwas ausruhen,
die Erzherzogin treibt es sicher auch, es treibt sie an, sie treibt es selbst, und sie hat
sogar ihr eigenes, ihr ganz eigenes Lachen, extra für sie kreiert, das ich erst gestern
wieder in einer Zeitschrift ganz deutlich zwischen ihren Lippen aufblitzen und perlen
gesehen habe wie etwas, das Zeus geschleudert hat, ein Schuß, eine Lichtinstallation,
da, noch eine!, dort, auf den Berg projiziert, das ganze schöne Licht, mein Gott,
welche Mühe du dir gibst, daß du Licht werden läßt!, von irgend jemandem muß das
alles ja kommen. Und du sagst, es kommt von dir, Gott. Soso. Und das sollen wir dir
glauben? Diese Dame hat dafür bezahlt! Und von dir, Gott, haben wir noch nicht
einmal eine Rechnung fürs Licht gekriegt. Ja, das sind feurige Menschen, feurigere
habe ich nie gesehn. Und das widerlichste Tier, der Schmarotzer, immer irgendwie
überall dazwischen. Die Elite der Unsrigen, der Unseligen, welche noch warten
müssen, die nur eine Wahl gehabt haben: Böse Tiere oder böse Tierbändiger sind die,
natürlich wählten sie letzteres, also dort würde ich mir keine Hütten bauen wollen,
wo die Menschen bändigen und zähmen wollen, die Schwarzen mit ihren
Totenköpfen und ihren Stiefeln und ihren Stiefelknechten und Stiefelleckern, die
müssen noch warten, aber nicht mehr lange, dann kommt ihr Wild, das sie selber sein
sollten, aber natürlich nicht sein wollen. Das Wild ist bereits vorhanden und im
Pferch untergebracht. Die stehen über allem, die Totenkopfmänner, welche die
dazugehörigen Menschen in ihren Pfeifen geraucht haben, die gehen, laufen, klettern,
tanzen und schießen schließlich. Schießen schließlich. Einer muß ja die Gewehre
eingeladen haben und geladen haben. Dies ist eine Einladung, falls Sie es noch nicht
gemerkt haben. Ich soll Ihnen diese Einladung ausrichten, ja natürlich, die Gewehre
werden auch geladen sein. Wer die Menschen einst fliegen lehrte, nach New York,
nach London, nach Mumbai, nach Tokio, egal wohin, der hat alle Grenzsteine
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Vater aufgehoben sind und ihr Vater in ihnen?, in denen ist niemand mehr
aufgehoben, in den hohlen Männern, das Hohlmantelgeschoß ist dort, wohin es
gehört, ein Mantel für die Hohlen wär jetzt fein, gelt, aber sie sind nackt, das
Geschoß, welches auch immer, sie haben ja alle geschossen, ich habe sie gesehen, nur
wir Boten nicht, wir müssen nur sitzen und warten, was man uns sagt, was man uns
anschafft, und dann rennen, die Gefallenen zählen und von ihnen erzählen, aber zu
Hilflosen kann man nicht Gefallene sagen, nicht wahr, das würde die Gefallenen, die
nicht hilflos waren, ein für allemal entehren, und eine Ehre braucht der Deutsche,
also wirklich, den Deutschen sofort in Ruhe lassen, wirds bald! Und der, den es trifft,
weiß, daß seine Stunde gekommen ist. Wem die Stunde schlägt. Es wird jemand
verwaist zurückgelassen, und sie kommen heim, zum Vater. Schluß, aus, Ende. Aber
er weiß es so schnell, eigentlich beinahe bevor er geboren wurde, daß er nichts mehr
damit anfangen wird können. Da kann man noch so viele Tage und Nächte beglückt
gekommen sein, meinetwegen auch in einer Frau, von mir aus auch zu zweit
gekommen, ich persönlich möchte keine sein, aber jetzt muß man wieder gehen, was
soll man sonst machen. Andre kommen und müssen auch wieder weg.
Die Wildschützen warten schon bei der verzückten Schar heiliger Fraun, vor allem
natürlich der Frau Gräfin, die zuvor schon einen natürlichen Adel hatte, bevor sie ihn
noch erheiraten konnte, die aber keine ganze Schar ist, diese Frau, nein, auch keine
Pflugschar, sie sieht nur so aus, die Menge teilt sich ja von selbst vor ihr, wie das
burgenländische Schilf, nicht das Rote Meer, das war ein Übersetzungsfehler, das
Schilfmeer, das sich teilt, was überhaupt keine Kunst ist, im Gegensatz zu dem, was
wirklich Kunst ist; diese Frau zieht eine ordentliche Furche, wohin sie auch kommt,
so, jetzt hat sie die Waffen eingeladen, die kurzen und die langen, und die
Schutzschar, ihre Schutzstaffel, ist bei ihr, zwei Stück mindestens, aber andre auch,
ein gewisser Herr P. und ein gewisser Herr O., herbei, so 30 Personen werden es
schon gewesen sein, aber nur 15 von ihnen bekamen Waffen und durften auf diese
Hohlen schießen, ja, die Frau Gräfin auch, von mir aus sehr gern, was kann ich von
mir aus schon tun? Also: von mir aus. Als Bote werde ich wertlos und wortlos
geworden sein. Man löst mich nicht aus. Da sagt ein Herr, der den Sturm anführen
will, er hat sich extra dafür einen Totenkopf an die Jacke genagelt oder nur getackert,
und eine Mütze braucht er auch, die Mütze kann optisch vergrößern, und sie bewirkt,
daß man ihm nicht zutraut, behutsam sein zu können: Die knallen wir jetzt alle ab,
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Grab. Bote auf einer Anhöh, das wäre nicht schlecht, von diesem Tannenwipfel
könnte ich das alles besser sehen, könnte ich dieses schändlich, jedoch fröhlich
Treiben besser überschaun. Na schön, mach ich also eine Wundertat. Bieg ich halt ein
himmelragend Tannenhaupt, so, und was mach ich jetzt damit?, bieg ich es also und
ziehe den Waldesschößling mit der Hand zum Grund und setz mich drauf, setz
keinen andren drauf, setz noch eins drauf, setz mich selber drauf und laß den Wipfel
wieder steigen grad empor, sacht und behutsam, daß es mich nicht vorzeitig
wegschleudert wie das Gewehr seine Kugel, mit Ziel, denn ohne Ziel, das wäre
kontraproduktiv, ich soll ja zuschauen, und schwindelnd rag ich nun in die
Schwindelhöh hinein, und ich werde immer schwindeln, wenn ich später davon rede,
das ist doch ganz natürlich, natürlich werde ich schwindeln, besser, ich werde gar
nicht davon reden, man wird es mir eh nicht erlauben, wozu mach ich mir also die
Mühe? Mehr als mit allem schießen, was man hat, ist nicht möglich und auch nicht
nötig. Nun tobe, Rache, tobe glänzend. Die Kehl ihm entzwei!, schlachte gnadlos,
bodengezeugte Brut! So. Und jetzt beruhigen Sie sich aber wieder, gelt?!
Der Bote läßt nun sein Lachen hören, das keines Menschen Lachen ist, er hört es ja
selber nicht, sonst würde er vor sich selbst erschrecken, noch im Lachen erschrecken
und sich womöglich verschlucken. Die Hunde treiben einen Hirschen heran, an dem
ein Mensch festgebunden ist. So, der hält, der Mensch. Er hält nicht viel aus, aber er
hält. Er darf keine nackte Göttin sehen, dieser schnellebige Aktäon, der alles aus
dieser Aktion herausholen will, was drin ist, der darf nicht hinschauen, auf wen
geschossen wird, es sind ja so viele, daß auf jeden Fall jemand erlegt werden wird,
auch wenn der Hirsch gemeint war, aber der Mann drauf getroffen wird, ein etwas
unruhiger Treffpunkt, wenn Sie mich fragen, und zur Belohnung wird er nicht, als
wäre er der Hirsch, von seinen eigenen Hunden zerfetzt, den dummen und törichten,
aber fein witternden Tieren. Damals hat man sich solche Extravaganzen noch
gestattet, und es mußte nicht einmal in der griechischen Antike sein, heute geht das
ganz ohne Umstände, ohne den ganzen Quatsch mit kristallklaren Bächen, Hirschen
und Göttinnen und Nymphomaninnen und einem wilden Jäger, heute bindet man sie
zu Bündeln zusammen, die Menschen, und zündet sie direkt an oder erschießt mit
einer Kugel gleich mehrere, so viele wie möglich, sie sind ja ziemlich weich, und wenn
danach noch welche leben, ist es auch egal, na ja, nicht überall, aber an den
entscheidenden Stellen sollten sie schon tot sein, das wäre besser für sie, sonst
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wieder. Ich glaube, Geld zu sammeln ist leichter als sich selbst zu sammeln. Wenn
man sich selbst sammelt, befindet man sich plötzlich in einem Kaff wie Purkersdorf
oder Mauthausen, wo man heute keine Maut mehr zu bezahlen hat, aber Eintrittsgeld
verlangen sie dort, glaube ich, schon, nein, doch nicht, an einem Ort jedenfalls, wo
die Promis im Wirtshaus für einen guten Zweck laut singen und spielen und einen
ordinären Eindruck zu machen versuchen, ohne je eindrucksvoll gewesen zu sein. Sie
stehen mit ihren Wünschen vor einer Wand, die weich ist, eine Wand aus Menschen,
die nicht haben, was sie wollen, aber bekommen, was sie verdienen. Diese Menschen
sind genau, was wir wollen, jedoch nicht verdienen. Die kommen uns gerade recht.
Das ist auch der Grund, weshalb ihre Gesichtszüge so entgleist sind, als sie uns sahen.
Sie sind gegen diese Wand gefahren, zum Glück wohl erst auf dem Heimweg,
zumindest schauen sie so aus. Sie haben sich versammelt, aber nicht gesammelt. Das
kommt erst nachher, das Sammeln. Das Sammeln an der Sammelstelle ist überhaupt
der Sinn des Ganzen, allerdings noch lang nicht das Ende. Es geht bis lang nach
Mitternacht weiter, bis in die frühen Morgenstunden. So, das Geld ist jetzt
gesammelt, gern auch in Gestalt von Gemälden. Welche Gestalt das Geld hat, das
bestimmt der jeweilige Besitzer. Als Bild ist Geld schöner als das Bild, das auf dem
Geld drauf ist. Keine Diskussion. Punkt.
Und für den Rest ... Wozu hat man Personal? Sie sah aus dem Fenster hinaus über
ihre Täler und fragte ihren Nachbarn, der sich ebenfalls vollständig ausgezogen und
damit längst jeder Verantwortung entzogen hatte, und das mehr als einmal, der also
ebenfalls ein Gewehr trug und sonst nichts: Wissen Sie überhaupt, wie hoch meine
Gipfel sind? Sie können sie gerne anschauen, meine Gipfel, ich kann auch mit den
Glocken läuten, wie diese Heidi K., die aus der Zukunft im Spiegel, der unsere
Zukunft zeigt, grade so nett und frech und zufrieden und absolut fröhlich zu uns
herübergrinst. Auch wir sind gut drauf. Er antwortet also: Welche Gipfel denn? Heidi
hat den beiden doch eigens Namen gegeben, und sie hat sie Glocken genannt! Sagen
Sie mir nur bitte, welcher welcher ist, damit ich die beiden nicht verwechsle, wenn
der Herr mich zur Messe ruft, der Herr, welcher der Weg, die Wahrheit und das
Leben ist, ein bißchen viel auf einmal, nicht wahr?
Aber andrerseits muß auch zugegeben werden, daß sie sich nicht lachend binden
ließen und verhaften, diese Männer, die als Fremde kamen und nicht unbedingt als
52
die sich ihre Abstammung nicht besser ausgesucht haben, selber schuld. Das hätte ich
ihnen schon vorher sagen können, daß sie hier nicht mehr wegkönnen, warum hätten
die Frau Gräfin und die Herren P. und O., über die die Geschichte noch so lang
schweigen muß, bis sie tot sind, und sie schweigt noch immer, vielleicht lebt ja noch
einer oder sogar beide, nein, ich glaube, die sind längst tot, denn ihr Leben war eine
Arbeit, und ihre Arbeit war letztlich für nichts, denn sie hätten die 180 auch leben
lassen können, vielleicht sind sie ja tot, und nur die Geschichte ist davon noch nicht
informiert worden, wir Boten dürfen uns ja keinesfalls überarbeiten, aber das alles ist
keinesfalls ungerecht, denn die Geschichte schweigt sowieso, wieviel man auch gräbt,
wie tief, wie seicht, sie schweigt, oder sie redet unaufhörlich, geladen von
Sündenstolz, niemand hat soviel gesündigt wie der und der und der, und von denen
reden wir, und wir nehmen einen Teil der Schuld gern auf uns, nein, nehmen wir
nicht, wir waren damals schließlich noch gar nicht geboren, warum sollten wir?, und
doch sind wir stolz auf unsere Sünden und reden darüber, denn welchen Sinn hätte es
zu sündigen, wenn man danach nicht darüber reden dürfte, und wie lang man auch
graben läßt, sie schweigt, die Geschichte, oder sie spricht zu uns, sie spricht, daß wir
uns schämen sollten, egal, wer wir sind, ich sage: Die sind es gewesen und bin so stolz
darauf, als wäre ich selbst von ihnen erschossen worden, das ist sehr wichtig, dieser
Stolz auf Buß und Reu, wieso hätten die Schloßbewohner diese Leute sie denn sonst
graben lassen?, wenn sie nachher nicht stolz sein und büßen und bereuen hätten
dürfen? Haben sie ja nicht, wissen Sie, wie das geht, beides gleichzeitig, stolz büßen
und stolz bereuen? Was ist? Ich höre nichts! Man schlägt mit einem Hohlstab in den
Grund, und wenn dann immer noch kein original burgenländischer Weinquell
hervorschießt, dann haben wir die richtige Stelle, wo es uns reuen wird, hierher
gefahren zu sein. Doch wenn da ein Wein ist, haben wir nichts mehr zu bereuen, das
wäre uns sogar noch lieber, aber keine Chance. Also graben wir hier, wir könnten
genausogut auch dort drüben graben, es wird ja keiner das Grab finden, und sogar die
nackten Männer, we are the hollow men we are the stuffed men leaning together
headpiece filled with straw. Alas!, die Nackten also müssen doch beim Graben schon
gemerkt haben, wohin der Hase läuft und daß es keinen Sinn hat zu graben, wenn das
Wild woanders ist, das sie aber sowieso selber sind, erst noch geschossen werden
muß, und sie wissen nur, daß sie nicht mehr woanders hinkönnen, was noch kein
Grund ist, stolz zu büßen und stolz zu bereuen, das sollen ja wir nachholen und tun es
auch, wir gedenken ihrer stolz und reuig und nicht immer ruhig, aber nicht lange, die
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wie ein Hund um Hilfe, so schreien wir alle uns gegenseitig an, allerdings sind wir
von Menschen schon eher gewohnt, daß sie um Hilfe schreien, nicht von Hunden.
Aber dieser Hund da hat echt auch geschrien. Alle haben sie durcheinandergeschrien,
wie soll der Bote sich bei dem Lärm überhaupt was merken? Wie soll er sich da
konzentrieren? Soll er sagen, welche Hilfe der Hund braucht, oder soll er zuerst
sagen, welche Hilfe dieser Mensch braucht? Er weiß es nicht. Er zögert. Sollte er nicht
machen, sonst kommt noch eine Schlange und beißt sich in seiner Kehle fest, und er
kann gar nichts mehr sagen. Komisch. Ich sage denen nachher doch niemals die
richtige Stelle, nur damit sie diese Männer wieder ausgraben!, die haben wohl nichts
Besseres zu tun, die Nachgeborenen, in ihrer öden Einsamkeit, aus der sie in ihrem
sündigen Stolz, ich meine ihrem Sündenstolz herausragen, diese hervorragenden
Menschen, an ihrer Stelle würde ich nichts mehr herausholen wollen, sondern in
Ruhe und Stolz bereuen, aber da graben sie schon wieder, graben an der richtigen wie
an der falschen Stelle – das merkt man ja immer erst nachher, was richtig und was
falsch ist –, aus der sie irgendwas herausholen wollen, und wären es diese Gräber, die
aber schon drinnen sind und nicht mehr gegraben werden müssen. Sie graben nach
den Gräbern. Dort haben Männer ihren Stolz verschlucken müssen, das werden wir
aber nicht machen, wir werden natürlich stolz sein auf unsere Sünden, auf unsre
Natur. Das ist nämlich unsere Natur. Damit sie was zu reden haben, die
Nachdrücklichen, die Nachgeborenen, welche nachdrücken, welche nachrücken.
Damit sie was zu schweigen haben. Oder damit sie wieder was Schlechtes über uns zu
reden haben, wofür sie gar keine Boten mehr brauchen, denn alle reden längst
schlecht über uns, sogar Radio und Fernsehn, und wir selber reden am schlechtesten
über uns, uns übertrifft darin niemand. Das ist so ungerecht, daß die andren es
überhaupt versuchen, daß sie einen Angriff auf unsere Reue starten wollen! Diese
Männer sind ja so ungerächt, das gibts nicht!, vollkommen ungerächt, bis heute.
Ausgerechnet von redefertigen Pflasterläufern, ich meine, wenn die schon mal
anfangen zu rennen, müssen sie sich gleich die Fersen und Zehen verpflastern, weil
sie so empfindlich sind, die Nachgeborenen, manche verpflastern sich schon vorher,
bevor sie laufen gehen, damit sie sich nicht aufreiben beim historischen Lauf, der
dem Gedächtnis des Vergangenen dient, von dem keiner weiß, was es sein soll,
deswegen ist es ja auch vergangen, einfach so, ohne daß es einer aufhielt, na ja, so
einfach war es nicht, was wollte ich sagen, uns wurde gesagt, hier wird heute ein Fest
gefeiert, Leute werden abgeknallt, und dann aber nichts wie weg!, das Schloß auch
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Komisch ...), also eines Projektils auf bestimmte Distanz, weil das Geschoß ja Energie
verliert, während es fliegt, nicht wahr, und über seine mögliche Mannstoppwirkung
oder seine Effektivität gegen uns, die wir ja gegen alles gepanzerte Ziele sind, also
überhaupt keine Ziele, die einem was bringen, aber die Ziele sollen ja im Gegenteil
was kriegen, und ohne diese Daten ist auch keine Auskunft zu erlangen, ich weiß nur
die Zahl von 180, das ist viel oder wenig, je nachdem, nicht der Bote gibt Auskunft,
obwohl: Niemand wird es gesehen haben außer mir, einem dieser weiteren Boten, die
von noch weiter, von weither kamen, einer, der es aber nicht viel weiter schaffen
wird. Ich bleibe also stehen. Ich werfe gewiß nicht den ersten Stein, denn auf mich
könnte er zurückfallen, weil ich zwar ziemlich schnell rennen kann, aber im
entscheidenden Moment eben noch nicht wirklich weg wäre. Den Weg könnte ich
verlieren, und die bringen jeden um, der was weiß, und den Rest haben sie davor
bereits umgebracht. So denken sie hier alle. Da können Sie jeden fragen. Erst sterben,
dann reden. Ich glaube, auch die Dienerschaft hält dicht, weil sie das schließlich weiß
und muß. Wir halten dichter, ja, meinetwegen, sie halten sich Maler, weil deren
Produkte was wert sind, und sie hielten sich auch Dichter, wenn sie welche kennen
würden, aber sie halten es nun mal nicht mit den Dichtern, diese Herren, die zum
Schutz einer Staffel abkommandiert worden sind, sie dichten selber, sie dichten,
keine Ahnung, welche Staffel, vielleicht ist ja eine Stafette gemeint, welche die Fackel
weiterreicht, weil ihre Ehre die Treue ist? Das ist auch der Grund, weshalb keiner
seine Fackel fallen läßt, höchstens noch in dieses Haus, und das ist zu einem guten
Zweck, damit der Russe nichts mehr findet, nicht einmal mehr das Haus. Das
leuchtet mir ein. Soviel Feuer hätte ich auch gern. Der Russe findet die Gräber und
schüttet sie sofort wieder zu. Etwas später wird man schon keine Gräber mehr finden.
Das Schloß wird bald im Feuerschein von selber leuchten können. Wir finden nichts
dran, und was wir drin finden, das nehmen wir mit. Sonst nimmt es der Russe. Und
die Frau Gräfin samt ihrem treuen Gefolge werden sie auch nicht finden. Sie werden
das Schloß nur als Ruine finden. Wenn man Millionen verschwinden lassen kann,
dann kommts auf die paar Hiasln hier auch nicht mehr an. Schließlich sind es keine
Hiesigen, wie unser Gauleiter Portschy, der friedliche, freundliche Mann, immer
gesagt hat, der natürlich nicht so blöd ist, zu früh zu sterben, der stirbt lieber zu spät
und in seinem eigenen Bett. Und was sagt die Gattin dazu? Sie sagt, sie sollen nicht
endlos nach den Toten graben, sondern nach dem Gold, das diese zuvor selbst
vergruben und dem sie natürlich nachfolgen mußten, weil sie es nicht aus der Hand
Hier die Stimme eines weiteren Boten, der von noch weiter herkommt und von hier
vielleicht nicht mehr wegkommen wird. Die Klingel haben Sie also auch bereits
abgestellt, danke, ich bin bereit. Die Herrschaften bitte mit dem Schießen noch einen
Moment aufhören, ich weiß, daß es Ihnen Spaß macht, aber erst muß der Mensch,
das mutigste Tier von allen, für die andren Tiere Vorbereitungen treffen, die weniger
mutig sind und sich nicht bis an den Abgrund trauen. Das ist kein echter Abgrund,
das ist doch nur ein Grab!, das ist ja lächerlich, keine zwei Meter tief, zig Millionen
liegen da schon drin, na, vielleicht nicht grad in diesem, in einem andren, in
mehreren, in vielen, aber immerhin, sie liegen, wenn auch nicht in diesem, davor
muß man sich nicht fürchten, da gehen alle rein, bitte nicht drängeln! Bitte warten
Sie, bis wir soweit sind, und dann drücken Sie für Ja bitte die Eins, für Nein bitte die
Zwei. Warten müssen Sie, da gibts nichts. Erst müssen doch die Gruben überhaupt
gegraben werden, denn Abgründe schaffen sie eben nicht, damit unsere tollen Kerle,
unsere blauen Jungs, nein, nicht die blauen, die sind aufs Meer hinaus, ich meine die
andren, die mit ihren sehenden Augen und den blinden Waffen, nein, die mit den
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blinden Augen und den sehenden Waffen, damit die diesen neuen Gott feiern
können, wer immer er ist, na ja, jeder weiß, wer er ist, nur diese Männer werden es
nicht gewußt haben, bis sie endlich abdrücken, diese einfach prachtvollen Burschen
plus eine Dame, die eine wirkliche Lady ist, mit ihrem Gatten, Geschöpfe, die sich
nicht schöpfen lassen, es gibt ja nichts, was groß genug für sie wäre, der Schöpfer
müßte ja größer sein als sie, die sich ins dichtest verzweigte Holz wagen, wie es sonst
nur die Dichter wagen, und dann wissen sie auch wieder nicht, warum, sie wissen gar
nichts, und mit solchen Bitternissen im Herzen werden sie, die ihren Schmerz, den
sie aber nicht empfanden, weil sie noch zu jung dafür waren, damals, ja damals, einen
Schmerz, den sie unwissend und bewußtlos, als glückselige Inseln auf einer
Abraumhalde aus Fetzen erleben mußten, mit solchen bitteren Erinnerungen also
werden sie dann, am Nachmittag ihres Lebens, Buchhalter oder Postboten oder
Lehrer oder Ärzte sein müssen, nein, dürfen. Das sind doch auch schöne Berufe.
Diese Menschen werden auch gebraucht, sie werden immer noch gebraucht. Die
Toten kann man natürlich nicht mehr gebrauchen, die aber schon, die leben ja noch,
damit wir bußfertig gebraten werden und wieder stolz auf uns sein können,
mindestens so stolz, wie wir einmal waren. Ärzte dürfen sie z. B. so lang bleiben, bis
sie vierzig Jahre später noch gesucht werden, und zwar für 50.000 Euro oder so, das
zahlt sich doch gar nicht mehr aus, da haben wir ja früher schon viel mehr
abgestaubt, und trotzdem ist es wieder im Staub versunken wie Atlantis im Meer! So
ein alter Arzt kann doch gar nicht mehr den Mord praktizieren, für den er
ursprünglich ausgebildet wurde! Der ist doch jetzt harmlos! Der ist längst in Pension!
Behalten Sie Ihr Geld, Staat! Mörder und Arzt, Arzt und Mörder, Dr. Jekyll und Mr.
Hyde: beides probiert – kein Vergleich! Am Abend sind wir oft beim Bier
zusammengesessen, unsere nicht gemischte Gesellschaft, garantiert nicht gemischt,
drauf haben wir geachtet, nicht gemischt mit welschem, sondern welchem? Volk,
welchem Volk?, der Bote sieht: Hier duckt sich schon eine und dort die andre am
öffentlichen Platz und gibt sich den Männern hin zur Lust, ja, so reich das Volk, daß
es Lust einfach so zu verschenken hat, so reich an diesen prächtigen, egal wer, damit
sie die Gruben dann ordentlich bestücken können, wenn auch nicht mit ihrem besten
Stück. Das bleibt dran. Wir bleiben auch dran. Sonst bleibt das doch ewig Stückwerk,
dabei haben wir noch an die 200 Stück unterzubringen und dann natürlich davor
auch noch umzubringen, damit sie sich gegen ihre doch recht enge Unterkunft nicht
wehren können. Ich weiß nicht, was mehr Arbeit macht, sicher das Graben der
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Augenblick damit auf, nichts zu sagen! Es ist auch zu früh zum Schießen! Später
dürfen Sie dann! Sag ich doch. Ich gebe Ihnen schon das Zeichen, aber Sie, geben Sie
mir bitte nur ein kleines Zeichen der Ungeduld bitte! Das Zeichen gebe ich! Der Bote
denkt bei sich: Muß nicht, was geschehen KANN von allen Dingen, schon einmal
geschehn, getan, vorübergelaufen sein?
Also folgendes: Sie sehen ja selbst, die sind jetzt toll geworden. Da kann man nichts
mehr machen. Man kann ja auch nichts machen, wenn die Sonne auf- oder untergeht.
Das ist eine Naturgewalt, sage ich Ihnen! Fehlen nur noch Frauenchöre am Fuß der
Berge, aber die Frau Gräfin allein ist noch kein Chor. Sie darf trotzdem mitsingen, bis
eine heiße Glut aus ihr hervorbricht, heller als tausend Sonnen, nein,
Entschuldigung, falsches Stück, heller als eine 40 Watt- Glühlampe, meine ich. Die
schläft heute nicht, die Frau Gräfin, die läßt sich nicht vom Schlummer auflösen, auf
Eichenlaub am Boden ruhend mit dem Haupt, so spannt sie den Hahn, beginnt zu
jubeln, jubelt noch mehr, zielt und schießt. Und schießt. Ich empfehle ihr, sich nicht
zu verletzen. Das wird nachher schon nicht so gewesen sein, daß sie selber
geschossen hat, nur keine Sorge! Wir Boten sorgen dafür, daß es nachher nicht so
geschehen sein wird! Wir werden einander widersprechen, manche werden gar nichts
sagen, doch ohne uns wüßten Sie überhaupt nichts, ohne die anderen wüßten Sie
mehr, seien Sie also froh, daß Sie nicht wissen, jedenfalls nicht von uns, sondern von
anderen, daß die Frau Gräfin überhaupt hier war, denn bald wird sie wieder weg sein.
Und dann sind alle Lebensfäden sauber abgeschnitten. Vom Augenlid den
Schlummer schmiß sie hin, ohne zu zögern, verzichtete gar ganz auf Schlaf, setzte
sich hinweg über Zwang, Not, Zweck, Wille, Gut und Böse, trank alles aus, tanzte
über alles hinweg, denn um dieser Leichtesten willen mußte das Schwere auch getan
werden und dasein, ja, der Ernst und die Schwere, die gehören schon auch dazu, und
so schoß sie also, die Frau Gräfin, die Berichte widersprechen sich ja jetzt schon, wie
soll das weitergehn und vor allem: mit wem?, und sie schoß, und sie schoß, oder
schoß sie nicht selbst? Schoß sie nur hervor aus dem Schloß? Und wir hätten das mit
ihrer üblichen Freimütigkeit und unserer Fernmündigkeit, wir waren ja nicht dabei,
verwechselt? Die Haarpracht ließ sie auf die Schultern sich fallen und schoß aus dem
Fenster oder von wo halt, die Männer fallen, sie fallen wie von weit, von wo sie ja
hergekommen sind, aber Ungarn ist nicht so weit, wie es sein könnte, es ist
überhaupt nicht weit. Diese Frau bringt ihr Rehfell vorher noch in Ordnung, sie
Es muß auch keinen Sinn haben. Sie muß einen Sinn haben, die Frau Gräfin. Ach
was! Der Sinn wird der sein, daß sie hier gewesen ist. Das muß genügen. Das muß
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sein. Soviel Zeit muß sein. Wenn keiner mehr da ist, hat sie keinen Grund dazu, hier
gewesen zu sein. Sie gürtet ihr Abendkleid mit so Schlangen oder was das ist, schaut
aus wie Schlangen, leckt nicht um das scheckige Vlies von Tieren herum, schießt
gleich auf die Menschen, Moment, ja, gleich!, jetzt!, hüpft vor Freude, winkt entgegen
nur dem Laub, dem Laub den Liebesgruß. Sie umgarnen keine finstren Mächte, sie
faßt keine Verzweiflung, sie foltert kein Spott, es dringt auch kein Strahl durch diese
Nächte, nur der Strahl aus den Gewehren, herrscht denn blind das Schicksal? Nein,
wir schauen durch den Sucher, wir schauen in die Röhre, aber suchen müssen wir
niemanden, die Opfer sind uns direkt vor die Flinte, die Pistole getrieben worden,
lebt kein Gott? Diese Frage kann ich mit einem eindeutigen Nein beantworten. Ein
jähzorniges Wesen ist das, diese Gräfin, möchte nichts tun, möchte nichts Großes tun
und nichts Kleines, möchte gar nichts tun, möchte gar nichts tun, tut aber was, nein,
es tut sich noch nichts, aber bald, in Kürze werden Sie erleben, wie sich etwas tut, es
tut sich selbst, es geht wie von selbst, die weißen Beine schwingen, fortbiestern und
schießen, das ist für sie gar nichts, die ist das von der Pirsch gewohnt, lange in der
Dämmerung zu gehen, nein, der Drang ist noch nicht gekommen, keinem von uns,
das zu melden. Der Bote schweigt. Andre Boten werden es sagen, doch es wird ihnen
nicht geglaubt werden. Keiner meldet das. Kein Bote da, wenn man ihn einmal
braucht. So. Das gilt für alle Zeiten, ab dem heutigen Datum. Aber woher soll dann
der Sündenstolz kommen, wenn keiner es weiß? Der kommt ganz tief aus uns heraus,
glaube ich. Das ist etwas sehr Tiefes. Diese Gräben sind ein Dreck dagegen.
Ich habe zu melden, daß es Orte gibt, an denen nichts zu gefährden, aber alles zu
gewinnen ist. Sind aus der Schweiz hierher gebiestet, wie der Kollege vorhin schon
sagte, und dann sind sie wieder zurück, nein, ich würde sagen: gebest, ich habe
gehört, in der Schweiz gibt es spezielle Abschußregeln, aber keine Anschlußregeln,
und wenn, dann werden sie vernachlässigt. Die Schweiz schließt sich an nichts und
niemanden an. Sie schließt gern aus, alles unter 100.000, aber sie schließt nicht an.
Das Geschäft braucht Ruhe, um gedeihen zu können, still, still, still, weils Kindlein
schlafen will! In der Schweiz schläft das Geld, diese langsame Spinne, die sich nur
bewegt, wenn neue Beute naht, dafür dann aber sehr schnell. Das Geld schläft auch in
Frankfurt, in Düsseldorf, in Berlin und so weiter, egal in welchem Bett, es kann
überall schlafen, ungestört, während alle andren weg sind oder tot sind oder so
schwer verletzt, daß das Geld nicht mehr ihnen gehört, sie können es nicht mehr
64
Sie mich fragen, ich habe es nicht selbst gesehen, und als korrekter Bote, der sich
weigert, sich selbst je zu korrigieren – das sollen andre besorgen –, kann ich es daher
auch nicht beglaubigen, wenn Sie also mich fragen, wenn Sie mich schon so fragen,
dann sage ich Ihnen: nichts. Wenn Sie mich anders fragen, sage ich Ihnen: Die haben
das selber angesteckt, gemäß diesem Nero-Befehl, der von Hunden für Hunde
ausgedacht war und den ich ursprünglich als einen Befehl, nur für Hunde gedacht,
verstand, ja, ich hab das so verstanden, tut mir leid, nur auf solche kurzen, knappen
Befehle hören ja die Tiere. Auf für sie zugeschnittene Befehle sozusagen. Wir Boten
verstehen auch kompliziertere Aufträge. Der arme Nero, der wird so fürchterlich
mißbraucht, dabei hat er immer nur Gitarre gespielt und gesungen. Wenn das Wasser
Balken gehabt hätte, wäre er in den Fluß gesprungen und hätte sogar dort noch
weitergesungen. Nur solche Befehle verstehen sie, die Tiere. Daß sie jemand fassen
sollen. Ich verstehe es zwar, doch ich fasse es nicht. Ich möchte aber schuldig sein
und stolz darauf sein.
Also ich habe gehört, es soll Jahreszeiten geben, man nennt sie Schonzeit, da darf
man es gar nicht, das Schießen. Laß irre Hunde heulen um ihres Herren Haus, bloß
weil es nicht mehr steht oder weil der Mond scheint, aber überlaß das Haus niemand
anderem. Das Haus kennt keine Schonzeit, egal, wie groß es ist, es geht, wann es will,
es geht zum Beispiel in Flammen auf, oder es geht halt woandershin, wie gut, wenn
jemand ganz in seiner Arbeit aufgeht, das gilt natürlich auch für Schlösser. Hier gibt
es solche Schonungs-Regeln nicht, und wenn, dann würden die sowieso nur für Tiere
gelten. Da ist einer von Sinnen geraten und dort ein andrer und dort noch einer, den
Rest hat man zum Glück rechtzeitig festgebunden, bevor der auch noch einen Sinn
suchen gehen konnte. Nein, weil Sie schon fragen: Für diese Tiere gilt die Schonzeit
natürlich nicht. Für andre Tiere schon, die werden selbstverständlich geschont, wenn
die Zeit dafür ist. Da wohnen Sie also demnächst im Gebirg in der Schweiz, sehr
interessant, und dort haben Sie es sicher schöner als hier? Dacht ich mirs doch! Ich
soll Ihnen vom Herrn Baron ausrichten, andre Gebirge interessieren ihn nur mäßig,
denn die liegen zum Teil im Feindesland, in Feindeshand, einem Feind, von dem man
nicht weiß, was einmal draus wird, was aus ihm wird, vielleicht ja Freund und
Freundesland, warten wirs ab, wir haben ja Zeit, das Geld langweilt sich schon, aber
warten wirs ab, wer weiß, ja, wer weiß, wie lang es dauert, bis es wieder Freundesland
ist. Ich glaube nicht, daß es in Rekordzeit soweit sein wird. Das wird ganz schön
Oft ist man zu zwein einsamer als allein, deswegen stopfen wir noch ein paar Leute
hier ins Auto mit hinein, ist das ein Daimler? Besetzt, mein Herr, nehmen Sie den
Güterwagen, den wir Ihnen in unserer großen Güte zugeteilt haben! Nein, im Keller
ist jetzt keiner mehr. Keine der verlorenen heftigen Seelen ist jetzt noch im Keller
anwesend. Das Auto ist anwesend, aber nicht mehr lange. Wir müssen fahren. Da
muß ich hinten nachschauen, wo ich mich vorn hineingesetzt habe.
Einmal wird es nichts als solche hohlen Männer geben, aber derzeit gibt es sie nicht
mehr. Sie sind nicht mehr erhältlich. Wir kriegen auch keine neuen mehr herein.
Ohne Form, Farbton formen ohne Farbe, gelähmt Kraft, Geste ohne Bewegung, weg
jetzt! Da staun ich ja, ich sage weg, und sie sind tatsächlich weg! Jetzt sage ich
66
überhaupt nichts mehr. Wahrscheinlich würde ich sonst Gefahr laufen, wo ich als
Bote doch ohnedies schon soviel laufen muß, Gefahr laufen, selbst eine Menge des
muffigen Strohs in meinen Zügen wiederzufinden, die ich aber gar nicht verloren
hatte. Sie sind mir nur kurz entgleist, die Züge. Das Stroh könnte auf mich abgefärbt
haben mit seinen züngelnden Flammen. Es könnte mich mit seiner Begeisterung
angesteckt haben. Dafür halte ich meine Zunge, meine züngelnde Zunge, besser im
Zaum, ja, das wäre besser. Und ja, den Zug entladen wir auch. Soviel Zeit muß sein,
diesen Menschen ihre Zeit zu verkürzen. Ob man Leute wie mich kennt, hängt sicher
auch vom eigenen Wertesystem und der Sensibilität bezüglich solcher Dinge ab. Ich
kann mir sehr viele Leute vorstellen, die sich im Leben nicht über sowas überhaupt
Gedanken machen würden. Also mach ich mir auch keine. Jeder Bote weiß, wann er
zu schweigen hat. Das hat er gelernt. Das hat er in diesem Land gelernt. Auf diesem
Land halten immer alle dicht, sogar die Senkgruben, zumindest ist das so Vorschrift,
damit die Landwirtschaft das Wasser noch ein wenig länger halten kann, denn wir
haben hier keine Kanalisierung, bitte, wir hatten mal Keller, aber keinen Kanal, nie
einen Kanal. Und damit die Umwelt vor unseren Abgasen geschützt wird, darum
haben die Senkgruben, in denen wir alles versenken, schließlich einen gut
abgedichteten Boden. In dem brauchen wir keine Dichtung, die haben wir schon.
Haben Sie das alles, was ich Ihnen da berichte, denn nicht längst von einem andren
Boten gehört? Also ich würde das der Geschichte nicht glauben, wenn ein andrer sie
mir berichtete, und es sagt ja auch nie einer die Wahrheit. Wer ist es dann, der das
sagt, was nicht die Wahrheit sein kann? Der Bote! Die letzte Instanz der gewaltigen
Macht der Wahrheit. Genau! Auf den sind Sie in dieser Hinsicht angewiesen. Bitte
warten Sie, Ihr Bote wird Ihnen in Kürze zugewiesen. Das ist der, um den volle Krüge
herum aufgebaut sind, aber keiner ist für ihn, das ist der, der verreist war, indem er
wiederkehrt und spricht, das ist der, der Vorkehrungen trifft, umkehrt und von
immer neuem Unfug berichtet, der Bote, den ich meine, bevor ich noch weiß, was er
selber meint, ist der, der selber gesehen hat, wie die Frau Gräfin am Abend vorm
Palmsonntag, als man sich mit einer Schlachtplatte auf die Schlacht vorbereitete, ein
Fest gegeben hat, zu dem zwischen dreißig und vierzig unverzagte Personen geladen
wurden, nein, wir nicht, wir sind nur die Boten, uns hat man hier herbestellt und
dann nicht abgeholt, herbestellt, aber wieder weggeschickt, der örtliche Geheimdienst
und die Parteijugend und die Verbandsjugend mit oder ohne Verbände, die sind
schon da; die sind alle schon durchgeblutet, die Verbände. Der Bote ist es, der
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so kam es, daß es nur noch Verlierer gab. Alles Verlierer, außer uns. Unsere Botschaft
hören Sie wohl, doch es fehlt Ihnen der Glaube? Es fehlt Ihrem Dach die Daube, ich
meine die Taube? Macht ja nichts. Wenn Sie taub sind, können Sie uns halt nicht
hören. Macht ja nichts.
Nein, das stimmt nicht. Versessen auf den Schicksalsgott, nein, besessen vom
Verzückungsgott, hören die Leute uns Boten nicht mehr zu, wir reden und reden,
Schaum vorm Munde, niemand hört uns zu, obwohl alles stimmt, auch die
Instrumente stimmen, die uns gegeben worden sind, alles stimmt, alles wahr und
echt, besessen vom Schicksalsgott also hören sie nichts. Den Besitzenden, ich meine
den vom Schicksalsgott Besessenen, denen nimmt keiner was weg. Über die wird
berichtet. Denen wird grundsätzlich nichts genommen, sonst hätte man ja nichts zu
berichten. Die wären sonst ein Nichts. Sie würden sich verbergen, obwohl sie nichts
zu verbergen hätten. Wir hätten alle Hände voll zu tun, sie zu bergen, zu entbergen,
wir würden sie entbehren. Sie haben keine Leistungen, aber sie haben Taten und
Begebenheiten, und jetzt begeben sie sich in die Schweiz. Genau das ist das Schicksal,
das dieser Gott für sie vorgesehen hat. Daß sie Gegenstände unserer erklärenden und
deutenden Erkundungen werden sollen, aber der Bote deutet nichts. Das müssen Sie
schon selber besorgen. Die Sorge müssen Sie sich schon selber besorgen.
Hören Sie, alles bleibt beisammen, daß mir niemand wegläuft! Daß mir niemand
einen Arm davonträgt, einen Fuß samt Schuhen, daß mir niemand die Rippen
rausreißt und wegträgt! Das gehört alles zusammen und bleibt auch zusammen! Die
hollow men schauen vorerst noch recht lebendig aus, als wären sie mit unserem
heftigen Atmen noch bestückt, das kann aber nicht sein, denn sie haben sich selbst
längst nicht mehr, und sie haben auch sonst nichts, und jetzt werfen wir jeder, ja,
jeder von uns, ihre Glieder, Bällen gleich, umher, ja, das machen wir jetzt. Es ist zwar
überflüssig, die sind ja selbst schon fast flüssig, so oft, wie wir in sie hineingeschossen
haben, aber das machen wir jetzt. Und wenn wir sie vorher in ein Gefäß reintun
müssen, damit sie nicht ganz auseinanderfallen. Und es ist nur ein Gerücht, daß die
Frau Gräfin das Haupt des einen Höhlenmenschen, den sie erschossen hat, auf ihren
Jagdstock gespießt und mitgenommen hat wie eines wilden Tieres Kopf. Ich müßte es
doch wissen! Die wird doch nicht so blöd sein, ihre unheilvolle Beute jubelnd auch
noch mitzunehmen, ausgerechnet in die Schweiz, wo nur das Geld zu Fuß geht, weil
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die von unseren Sünden erzählen. Wir können stolz drauf sein, egal auf was. Da ist
die Frau Gräfin, und dort, wo sie ist, ist die Schweiz oder ein Gestüt bei Bad Homburg
oder einer andren Badeanstalt für Blutwäschen, aber das kommt erst noch. Das
kommt, wir kommen nicht mehr. Auf Stroh liegt es sich halt bequemer als auf der
guten Mutter Erde, aber das Stroh brauchen wir nicht, wir brauchen es nicht zum
Anstopfen und nicht zum Bequem-Liegen. Die hohlen Männer, sie sind weg. Sie
brauchen nichts mehr, vielen Dank. Bescheidenheit und fromme Scheu vor Heiligem,
und wenn das Heilige noch so laut schreit, sind ihre Sache nicht gewesen, auch die
Sache der vollen Männer nicht gewesen, welche hohle Männer sind, die sie die
angefüllten Männer sind, obwohl diese Eigenschaften, Bescheidenheit und Scheu, ich
wiederhole, wohl das Schönste und zugleich das Weiseste sind für irdische Menschen.
Na gut. Dann schweigt sie halt, die Frau Gräfin. Alles schläft, einsam wacht, aber
schweigt. Sie schweigt in der Schweiz und sie schweigt in Deutschland und sie
schweigt in England und sie schweigt in Ungarn und sie schwelgt im Überfluß oder
was weiß ich.
Bald wird der Schatten grüner Tannen in die dachlose Höhle des abgebrannten
Schlosses fallen, bald wird gar nichts mehr fallen, weil das Schloß selbst eingefallen
sein wird, im Prinzip kein schlechter Einfall. Dort, die nackten Männer, sind ja nur an
die 200 oder so, die schaffen wir noch, für die brauchen wir keine lichtlosen
Kammern, über die man nicht spricht, von denen es keine Fotografie gibt, von denen
es auch keine Namen gibt, denn wenn es keine Gesichter gibt, kann es auch keine
dazugehörigen Namen mehr geben, Sie glauben, es muß wenigstens Namen geben?,
weil es kein Licht gibt und ohne Licht kein Foto, was die auch tun, sterben, das tun
sie in Dunkelheit, in schwarzer Dunkelheit, stumm, darauf kann sich niemand mehr
einlassen, und darüber kann sich auch niemand mehr einlassen, die muß kein Wagen
tragen ins Waldgebiet, wie einer uns von hier fortgetragen werden wird, und der eine
oder andre auch noch, diese Männer können doch noch selber gehen, allerdings nicht
mehr lange. Nur noch ein Stück. Weiter müssen sie nicht. Die haben Glück, müssen
sich nicht endlos vor der dunklen Kammer anstellen, hier auf diesem Foto sehen Sie
noch den dunklen Rahmen, das Foto ist genau aus dieser Öffnung heraus geschossen
worden, aber geschossen wurde sowieso dauernd, hier bitte anstellen, nein, nicht
bitte!, hier stellen sie sich an, um ihre Kleider und ihr Leben abzugeben, eins nach
72
Bericht.
Ich habe mit eigenen Augen, zumindest nehme ich an, daß es meine waren, da waren
ja so viele!, und später dann keine mehr, ich habe es selbst gesehen und auch gehört,
wie diese Männer ergriffen wurden, während keiner der Gäste und keiner der Diener
aus dem Dorf und keiner der Forstwarte im Wald und keine der Lilien auf dem Felde
davon ergriffen wurde, nur diejenigen, die dafür vorgesehen waren, ergriffen im Fell
ihrer Demut, was hätten sie auch tun sollen? Was hätten sie tun können? Die mit den
schwarzen Zungen im Maul, den Schlangen im Mund, wer ist der Hirt, der noch
kommen muß? Also wer der Herr, mein Hirte, ist, das weiß ich. Aber wer ist der Hirt,
dem die Zungenschlange, nein, die Schlangenzunge, nein, das Feuer und dann das
Schwerste, das Schwärzeste aus dem Mund hängt? Ich als Bote muß mich erkundigen
und mir den Namen buchstabieren lassen, so kompliziert ihre unmelodiöse
Schreibweise. Viele Namen kennen wir noch gar nicht, sie sind unaussprechlich, aber
nicht unaussprechlich wertvoll, wir sind aber gern bereit dazuzulernen. Die
schwarzen Hirten in ihrer Kammer also beißen, sie beißen mit gutem Bisse, was die
Schwarze Köchin gekocht hat, und weit weg spuckt die Schlange ihre Köpfe, nicht
umgekehrt, das hat der Denker falsch gesehen, die meisten Denker sehen die Dinge ja
falsch, weil sie nur drauf schauen, und so sehen sie die Dinge seitenverkehrt oder gar
nicht, Schuldige werden unschuldig, Unschuldige schuldig, weil die Denker in
Wirklichkeit überhaupt nichts sehen wollen, sondern nur drüber nachdenken, der
Bote jedoch berichtigt sie und berichtet es richtig. Er sah aber nicht, der Bote sah
aber nicht, wie die Hirten die Schlangenköpfe ihrer Zungen ausgespuckt haben, der
Bote sieht wieder mal nichts, aber dafür bietet er, dafür bootet er aus, dafür betet er,
dafür berichtet er, er weiß nichts, aber er verachtet die Denker und berichtet, er
berichtet ja nur, er ist nicht schuld, wir sind nicht schuld, da können noch Hunderte
von uns kommen, sie wären nicht schuld, denn niemand sieht etwas, dort ist
niemand, der etwas sehen könnte, wir sind ja alle hier, und von hier aus sieht man
nichts, nein, keiner kehrt zurück von dort, wo er was gesehen hat, keiner wird durch
den Tod ein Verwandelter, welcher zuletzt was zu lachen haben wird, er wird am
besten lachen, ich meine, er wird als Bester lachen, zuletzt, und dann wird er als
Berater gehen, irgendwohin, und dann wird er – wer auch immer er sein wird, er
wird einer von uns gewesen sein – einen provisorischen Himmel über die
provisorisch erzeugten Menschen hängen, und dann schaut er sich das an, ob es gut
Also so etwas habe ich noch nie gesehen, außer vielleicht mit andren Augen, dasselbe.
Der, den ich gesehen habe, sprach: Sie sind verhaftet. Sie sind noch nicht demütig
genug, Sie muß ich von der Straße abziehen, und die Bremsbeläge sind auch bis auf
den blanken Stahl durchgefahren, wenn Sie das nächste Mal bremsen, werden Sie ja
sehn, was dann passiert, ja, hören werden Sie es auch, ganz sicher, der Rahmen ist
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durchgerostet, die Scheinwerfer funktionieren überhaupt nicht mehr, wie wollen Sie
da in der Nacht fahren, und die Nacht kommt immer? Und die Stricke, die die
Einladung halten, haben fünf Zentimeter Spiel, und mit dem spielen Sie sich jetzt,
während die Ladung auf die Straße fliegt und mehrere Menschen töten kann, die
nach Ihnen, aber immerhin, auch noch ankommen wollen. Ich muß Sie sofort der
Straße verweisen, ein Verweis allein genügt bei Ihnen wohl nicht, mir ist nicht wohl
dabei, aber die Nummernschilder werden sofort abgeschraubt, der Wagen wird
eingezogen, seine Wände, sein Unterboden sind auf alle Fälle und für alle Fälle viel zu
dünn. Aber Ihre Demut hat das härteste Fell, das eigentlich überhaupt kein Fell ist,
das sehe ich schon, Sie sagen, dieser Laster sei Ihre einzige Einnahmequelle, und
wenn ich Ihnen den wegnehme, können Sie sich aufhängen? Ich weiß nicht, vielleicht
ist sie ja auch wie ein Auto, diese Demut, wartet auf ihr Upgrading in die
nächsthöhere Klasse? Aber andrerseits, wenn es ein Auto ist, kann es nicht die Demut
sein. Die beiden vertragen sich einfach nicht miteinander. Außer man muß von
seinem Auto leben, dann wird es prekär. Kaum hat einer ein Auto, wird er schon
hochmütig. Wenn das Auto dann einmal auf Schäden untersucht wird, wird auch er
wieder demütig. Doch die Demut will eine ungestörte, gesunde Welt, aber das Auto
will die Welt zerstören. Ihres wird das mühelos schaffen, wenn ich es nicht sofort
einziehe und weg von der Straße bringe. Wer ein Auto hat, ist nie mehr demütig, weil
er sofort ein größeres und stärkeres will. Sie wären schon froh, wenn Sie Ihres
behalten dürften, ich weiß, behalten dürfen Sie es ja auch, aber fahren darf es nicht
mehr. Der Autofahrer demütigt mit einem stärkeren Fahrzeug gern andere, aber Sie
können das nicht mehr, obwohl Ihr Laster der, nein, das Stärkste war von allen. Es
wird noch unser aller Untergang sein, das Auto, neben vielen andren Dingen, auch
gleich neben uns, doch untergehen tun wir auf jeden Fall, und wir haben nicht das
Glück, eine eigene Kammer dafür zu haben, außer man schiebt uns im Spital ins Bad,
weil Sie einen verdienten Unfall hatten und alles andre besetzt ist. Fallen aber tun
andere, die mehr Platz dafür haben. Aber warum so früh?
Die Frau Gräfin und ihre helle Menschen-Pflugschar wird es schon wissen, mit
klingendem Spiel überwinden die noch jede Schwelle und jeden Schmerz, es tut
ihnen aber gar nichts weh. Kann bitte einen Augenblick die Schritte etwas anderes
lenken als dieses Auto, welches diese Leistung ja nicht vollbringt, denn es nimmt den
Menschen die Schritte unter den Füßen weg. Das Auto ist unser Unglück. Es nimmt
Ich sah persönlich, wie die nackten Männer, die andren, nicht die Boten, die hatten ja
ihren Fahrraddreß an, das ist sogar besser als nackt, das ist mindestens so gut wie
nackt, nackt wie diese nackten Männer, gröblichst, handgrob und fußgrob verspottet
wurden, ich sah keinen Grund dafür, aber sie fanden ihren Weg auch in der Nacht
mühelos, die Jäger und die Frau Gräfin, und vor ihnen hergetrieben ein paar
Arbeitslose oder Arbeitsunfähige oder Sozialhilfeempfänger oder von Hartz klebende
und nach Hartz duftende Opfer, Opfer sind sie ja immer, alle!, die drängen sich
förmlich danach, wir jetzt auch, das geht nicht, es können nicht alle Opfer sein!,
jemand muß auch Täter sein wollen, bitte melden Sie sich, wir brauchen jeden Täter,
den wir kriegen können, denn dann können wir uns selbst dazurechnen, ohne daß
man es merkt, wir brauchen dringend Täter, zu denen auch wir gehören könnten,
wenn wir uns nur etwas mehr Mühe gäben, vor allem, wenn die Opferung vorbei ist,
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dann kommt ihr Stichwort, ihr Schußwort, ihr Schlußwort, dann sagen sie, daß sie
das nächste Mal aber ganz sicher dabei sein wollen, aber als Täter unter den
wohlriechenden Opfern, damit sie was zu bereuen haben, bitte, das weiß ich nicht so
genau, von wem die diesmal Opfer sein wollen, aber als ich sie zuletzt sah, ein andres
Mal, haben sie fleißig gegraben, natürlich in totaler Schwarzarbeit, ihr Arbeitgeber
hatte sie natürlich nicht angemeldet, und haben damit jeden Anspruch auf
Unterstützung verwirkt, und der Unternehmer wird angezeigt, vorher löst er aber die
Firma noch auf, und es bleibt nichts übrig. Es bleibt denen gar nichts andres übrig,
will man sogar den Mindestlohn noch verweigern. Sie glaubten nur, endlich ihren
eigenen Weg gefunden zu haben, diese schwarzen Arbeiter der Grube und des Walls,
beides große Gegensätze, ich weiß, aber sie haben nicht den Weg gefunden, noch
nicht, ihr eigenes Grab zu schaufeln, bis sie dann, wie gesagt, am Ende diese Gruben
mit diesen komischen Ausmaßen graben mußten. Zur Arbeit waren diese Hohlen, die
ich dort gesehen habe, ohnedies nichts mehr, nicht mehr zu gebrauchen. In
Wirklichkeit zitterten ihnen wahrscheinlich die Füße, die schlotterten vor Angst,
könne ich mir vorstellen, wenn sie nicht zu müde dafür waren, aber bezeugen kann
ich das nicht. Als es bereits einige Male geknallt hatte und einige in den Gruben
verschwunden waren, aber noch viele Gruben fehlten, zu viele Menschen aber noch
da waren, also was war dann?, als es geknallt hatte, wurde erst mal geschrien, aber
geschrien wird ja immer, ich glaube, da sind jetzt die nächsten dran mit Graben, die
nächste Partie, bitte vortreten, es sind ja insgesamt fast 200, ich glaube 180 oder so,
da gräbt man schon eine ganze Weile, und das noch dazu bei diesem harten Boden,
der einen ebenso harten Menschenschlag hervorgebracht hat, seit Jahrhunderten
schon, fleißig, fleißig!, wen wunderts, sind halt Sturschädel, dachte ich mir, wenn
mich mal einer später fragt, werde ich ihm sagen können: Sie verlernten den Weg,
nun verlernten sie auch das Gehen. Arbeiten können sie ja schon längst nicht mehr.
Und so war es auch. Und wir haben ihnen noch einen Gefallen damit getan, was für
ein schrecklicher Weg hätte ihnen bevorgestanden, wären sie nicht rechtzeitig in die
Grube gefallen! Aber ich schweige einen Moment, Moment mal!, obwohl ich Bote bin
und eigentlich Sprechen doch meine Aufgabe wäre. Der Menschen Verschwiegenster
einer werde ich sein, und das wird dann mein Sprechen sein, Moment mal!, so hat
man sich den Boten aber nicht vorzustellen. Dabei hätte ich noch etwas zu sagen und
etwas zu geben, da hat einer ungefähr zwei Kilo Zahngold weggeschickt und die
Adresse die nächsten 50, 60, 100 Jahre vergessen, ich habe es genau gesehen, er hat
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keinen Boten brauchen, und wir würden keinen Richter brauchen, wenn sie es heute
noch wären. Doch wo gab es je bessere Räuber und Totschläger in der Welt, als es
solche heiligen Worte waren? Indem solche Worte heilig hießen, wurde damit die
Wahrheit selber nicht totgeschlagen? Nein, wurde sie nicht. Denn wir geben ja alles
zu, wir geben zu, daß wir Mörder, Räuber und Totenschläger waren, und damit hat es
sich hoffentlich und endlich und hoffentlich endlich. Nachdem wir zugegeben haben,
gemordet und totgeschlagen und geraubt zu haben, können wir die alten Tafeln, auf
denen das geschrieben steht, endlich zerbrechen. Wir brauchen sie nicht mehr. Wir
können stolz auf uns sein. Wir sind der neue Mensch, der keine Tafeln mehr braucht,
weil er sich die Sachen auswendig merken kann. Wir sind die Boten der kommenden
Zeit, wir bieten mehr, wir bieten Gebote an. Mit der Vergangenheit haben wir Mitleid,
weil wir als Boten ja zuallererst sehen, wie preisgegeben das Vergangene ist.
Ausgerechnet Leuten wie uns. Jeder Bote erzählt etwas andres. Ein großer
Gewaltherr sei gekommen, er sei aber auch wieder gegangen, nachdem er die
Vorzeichen gesehen hatte, daß er einmal wieder fort sein würde. Mit den
Gebundenen, die sie als Beute gemacht haben, würden sie, wäre diese neue Zeit erst
angekommen, nichts mehr anfangen können. Das Vergangene ist also preisgegeben,
aber erst müssen wir bestimmen, was es überhaupt ist. Was ist da gemacht worden?
Welchen Zweck hatte es? Denn wir sind es, die es berichten. Das Erschießen ist
praktisch. Wer vom Erschießen zurückkommt, den schleppen die Frau Gräfin und ihr
Adjutant persönlich wieder zum Schlachten zurück. Jetzt, da wir schon dabei sind,
werden wir doch nicht aufhören! Jeder kommt dran. Nur nicht drängeln! Wir suchen
uns aber ein Land aus, wo nicht der Schlimmste aller Bäume wächst: das Kreuz. An
einem solchen Land wäre nichts zu loben. Es wäre von diesen Bäumen für alle Zeiten
überschattet. Nur die Feuerwaffe, die bringts. Kein Baum bringt uns etwas. Kein
Baum führt. Kein Baum führt herbei. An einem Baum führt höchstens eine Straße
vorbei.
Ab in die Schweiz! Auf in die Schweiz! Den Banken entkommt keiner und den
Schlachtbanken erst recht nicht. Das ist phantastisch organisiert. Was sagt das
Schwein, das Handy in der einen, den Palm, den Organizer, wo es seine Termine
notiert, in der andren Klaue? Es sagt: Freitag? Nein, am Freitag ist ganz schlecht! Am
Freitag werde ich nämlich geschlachtet. Vorher wollen wir es noch ordentlich krachen
lassen, und nachher lassen wir es auch ordentlich krachen. Nur keine Schulden beim
Die Kultur ist nämlich noch nicht eingetroffen. Ich schaue auf die Uhr, jetzt müßte
die Gemäldeausstellung kommen. Richtig. Ist schon da. Wir sind auch schon da, aber
das Kunsthaus muß noch kommen, für mich das Haus des Seins, wenn Sie mich
fragen, das Kunsthaus wird erst noch gebaut. Der Kunst ihre Zeit, der Kunst ihr
Haus. Dem Haus seine Kunst, und ein Haus bauen wir, und bis dahin nehmen wir
dieses, das ist auch schön, sie muß nur noch da rein, die Kunst, dieses Haus wird ihr
Favorit werden, es ist eine Sparkasse, dort stecken wir das Geld und die Kunst hinein,
zuerst das Geld, dann kommt die Kunst. Nein, Orest heißt er nicht, dieser Bruder, der
zum Glück das Gegenteil von bestattet ist, er hat bestanden, er wird nicht bestattet, er
hat die ganze schreckliche Zeit in der Schweiz seinen Bestand gehabt und seinen
Bestand sogar ständig erweitert, seinen Bestand hat niemand dezimiert, er mußte
nicht bestattet werden, nicht einmal beschattet, wir wissen ja, wo er ist, wo er
aufhältig ist und die eine Hand aufhält und mit der anderen ausgibt, sich verausgabt,
Orest nicht sein Name, um präzise zu sein, er heißt Heinrich oder so ähnlich, vor dem
graut keinem, danke, keine Ursache. In meinen Augen taugt er zu nichts Rechtem.
Aber jetzt hauen die noch kräftig auf die Pauke, denen am Rechten was liegt. Sie
sehen es ja selbst, ich muß da nicht viel berichten. Die Gewehre schießen mit hellem
Schall hinaus aus dem Schloß und machen die Pferde scheu, das ganze Gestüt, Sie
hören es ja, Sie hören sie ja trampeln und brüllen, Sie sehen das Weiße in ihren
Augen, nein, Sie sehen es eben nicht, dazu brauchen Sie wiederum mich. Oder Sie
können es sich denken. Sie könnten es sich vorstellen, wenn Sie wollten. Um Gottes
willen! Nur das nicht! Nicht die Pferde scheu machen! So, der Schall wandert jetzt
recht nett herum, Sie hören es ja, da muß ich auch nicht viel berichten. Die anderen
Damen und Herren nehmen bitte jetzt an den Tänzen und am Essen und an den
Getränken teil!
Ich zum Beispiel. Hotelzimmer, Capri, Nacht, Mord, äh, Mond, Sterne. Nein, Kuba,
ebenfalls Hotelzimmer, ein irrtümlich fehlgeleitetes Schreiben, dort sind die Boten
halt noch nicht so gut geschult, ich vermute mal, die Umschläge wurden irgendwie,
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irgendwo vertauscht. Ein Schreiben an den Papst, den, nein, das der Herr Baron
erhalten hat, und darin ein Kontoauszug, Banco di Roma, 500 Dollar Dividende für
einen US-Hersteller von empfängnisverhütenden Mitteln, Gott behüte, heißt es ja,
Gott erhalte, nicht Gott verhüte. Kleine Geschichten erhalten die Freundschaft. Da
muß der Papst was mißverstanden haben, denn auch der hat seinen Herrn, wie jeder
Bote an sich schon prinzipiell einen hat. Na ja, vielleicht Unheil verhüten. Viel Geld
ist das ja nicht. Da verdient der Herr Baron in einer Stunde mehr, in einer Minute.
Ich finde, das kann man dem Papst nachsehen, aber ich bin nicht Bote geworden, um
etwas zu finden, sondern um etwas zu überbringen bzw. einen Bericht abzuliefern,
den man mir gegeben hat. Der Herr Baron sagte mir, er habe an der ETH und dem
MIT studiert, aber er wird trotzdem, obwohl auch er viel zu berichten hätte, ab sofort
sein Hotelzimmer nicht mehr verlassen. Muß er auch gar nicht. Er hat ja alles hier, er
hat ja alles dort, kubanische Strände, Gemälde, Kunstgegenstände, Endlosigkeit, die
losen Enden, die keiner je zusammenfügen wird, halt, bitte, ich habe es selbst nicht
gesehen, es wurde auch mir nur berichtet, der Bote darf aber auch weitergeben, was
ein andrer ihm anvertraut hat, aber sein Sprechen, das Sprechen des Herrn Baron am
Telefon war schon irgendwie drückend, bedrückend, ich war froh, als ich aus der
Leitung mit heiler Haut wieder draußen war. Doch der Herr Baron war unbelastet.
Die Leitung war belastet, er aber nicht. Also mit Leitungsaufgaben möchte ich, wenn
Sie mich schon fragen, lieber nicht betraut werden, dafür eigne ich mich nicht. Da
könnte man mich ja später zur Rechenschaft ziehen. Nein. Könnte man nicht. Nur
das Reinigungspersonal hat zu diesem Hotelzimmer Zutritt, sonst niemand. Der Herr
Baron, ein andrer Baron, danke, wir haben schon, wir haben schon genug davon, wir
haben schon genügend Barone, Barone jetzt bitte nicht mehr melden!, der also lebte,
ich meine, der lebte dort mit Frau und erwachsener Tochter und einem gut
verschlossenen Koffer samt SS-Uniform und Eisernem Kreuz, immer noch so
gebügelt, nach seinem Tod noch gebügelt, zu Tode gebügelt, damit der Bügel sie nicht
fallen läßt, die Uniform, steif wie ein Sargbrett, hart wie ein Sargnagel, als hätte er
grade mindestens zwanzig Menschen niedergebügelt, gekonnt gebügelt, der Herr
Baron, nein, natürlich nicht persönlich, was fragen Sie immer, was jemand persönlich
gemacht hat?, das bleibt in tiefen Bezügen verhüllt, die ruhig auch ungebügelt bleiben
dürfen, aber selbst immer noch ganz geplättet davon, der Herr Baron, daß er
davongekommen ist, nur: Wovor fürchtet er sich? Es gibt keinen Grund. Ich sehe
nirgends einen Grund, ich sehe täglich über 30 Grad. Zwölf Jahre in Havanna im
Warum gebe ich den Bericht nicht her, den ich doch eigens hergestellt und dann
hierher zurückgestellt habe? Ich habe gesehen, wie einer gezittert hat und gesagt: Ich
will nicht! Da geschah ein Lachen um ihn herum. Die Frau Gräfin trat mit ihrer Flinte
vor ihn hin, doch sehen Sie selbst!, die Trunkenheit wirkte wahre Wunder, die Tore
und Schlösser sind von Menschenhand erbaut und können von diesen
Menschenhänden auch jederzeit wieder angezündet oder abmontiert werden, damit
sie nicht in fremde Hände fallen, die Schlösser ganz besonders, werden sie
abmontiert, muß man sie mitnehmen, sonst setzt sie sich ein andrer ein; sehen Sie
selbst, welche Hand da fällt! Jawohl! Genau diese. Sie war nicht mit einem Schloß
gesichert. Und die dort auch. Wer zündet nicht gern sich Schlösser an? Wer zieht
nicht gern sich Krankheiten zu? Wer zieht nicht gern den Stöpsel aus dem Abfluß der
Zeit? So, die Zeit ist jetzt abgeflossen. Mit dem Wasser ist es so: Entweder es
überflutet alles, und man sieht überhaupt nichts mehr, oder es versickert spurlos,
genau wie die Zeit. Aber danach fault dann alles. Danach darf man nie wieder faul
sein, weil man ja erneut an den Fundamenten arbeiten muß. Man muß das
übelriechende Faule irgendwie dort hinausbringen, damit wir alle wieder in sauberer
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unbelasteter Luft leben können. Sehen Sie! Hören Sie! Können Sie mir bitte sagen,
wo der Weg der Größe ist, ah, da ist er ja, er muß es sein, weil er gar kein Weg ist.
Welcher Weg sollte das auch sein, der hinter sich nichts hat, sondern nur vor sich?
Was, mein Fuß selber hätte hinter mir den Weg ausradiert? Er ist weg, der Weg,
warum, das wissen Sie nicht? Scheiße! Das ist doch dann kein Weg mehr, wenn nur
man selber ihn gehen kann. Weil man ihn schon gegangen ist, oder was? Weil man
ihn bestimmt, damit einem keiner nachschleichen kann wie der Dank, der einem
ewig nachschleichen soll, aber kaum schaut man einmal weg, ist der Dank auch schon
undankbar geworden? So, jetzt muß das Mildeste in Ihnen nur noch das Härteste
werden, und dann haben wir es, dann brauchen wir auch den blöden Weg nicht mehr,
denn schießen können wir auch direkt vom Fenster aus, das Gewehr noch warm aus
der Küche, frisch geladen und fertig. Wir können es aber auch einpacken lassen und
mitnehmen.
Wer sich zuviel geschont hat, der kränkelt zuletzt an seiner vielen Schonung. Gelobt
sei, was hart macht. Solche Wunder können die Menschen, ja, auch die Frau Gräfin
und ihre beiden Günstlinge, die Herren P. und O., ihre Geliebten, hintereinander?,
nebeneinander? , egal, die Liebe fragt nicht, sie fragt nicht wohin und wonach, sie
fragt nicht nach dem ihren, sie hätte ja keinen Vorteil davon, sie fragt: Wo bitte sind
P. und O.?, und wo ist bitte das Klo?, also ich weiß nicht, ob hintereinander oder
gleichzeitig, was für ein Wort, Günstling! Kein günstiges Wort, schon deshalb nicht,
weil es heute keiner mehr versteht. Und jeder muß eine schwarze Uniform tragen.
Oder er muß nicht. Egal. Eine Königin hat halt sowas, so einen Günsterling, so einen
Finsterling, ach, wie aufregend!, ein oder zwei Stück, eher zwei, nimm zwei, vernasch
zwei, da kann man nichts machen, sogar mir als Boten fehlen manchmal die Worte,
wer sollte da noch welche haben, wenn nicht einmal ich welche finde?, mal sehn, wo
hab ich das Verzeichnis der Worte für Boten? Das Wort für den Boten sagt, daß die
Frau Gräfin auf dem Schloß geblieben sei, um die Aufmerksamkeit der Offiziere zu
genießen, um den legendären Ruf einer Kunstsammlung zu genießen, um sich selbst
zu genießen, um ihre Reichtümer zu genießen, die sich aber längst ganz woanders
befanden, die wurden rechtzeitig ausgelagert oder waren es vielleicht immer schon,
denke ich mir, nein, die waren nie hier, die Kunst ist in der Schweiz geblieben, die
wollte nicht mit, was könnte der Russe denn schon damit anfangen?, unsere
Reichtümer bringen wir gar nicht erst her, der Russe wüßte eh nicht, was er mit
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ewig, sie gilt uns viel mehr und viel länger etwas, als Menschen Geltung haben. Auf
vielen meiner Botengänge begegnen sie mir dabei, diese Ausgesonderten, die eben
nichts Besonderes an sich haben, ich, selber schwer atmend, ich, der Luftbrausende,
muß dann immer zur Seite springen, wenn jene mir begegnen, welche die Luft
anhalten und sich dann ganz neue Luft holen. Möglichst rasch meide ich diese Leute,
weiche ihnen aus, sonst werde ich auch noch erschossen oder erschlagen oder gar an
Stelle der Luft eingeatmet, nein, falsches Stück, möglichst rasch muß ich zur Seite
springen, mich ins Gebüsch werfen, in einen Graben ducken, auf einen Berg klettern,
nein, das nicht, es genügt, sich klein zu machen, wenn ihre Autos auf dem Weg in die
Schweiz an mir vorüberrasen, an der Grenze werden sie kurz anhalten müssen, aber
nur kurz, das ist noch nicht Schengenland, noch lange nicht, aber fast, für die
Richtigen fast, für die andren gar nicht, nein, das ist natürlich auch nicht geschenktes
Land, dort muß man immer noch seinen Ausweis herzeigen, der hoffentlich gültig ist
und beweist, wer man ist, aber danach können sie sofort wieder beschleunigen, dann
können sie wieder Gas geben. Angasen. Ist ja nur ein Sprung. Sie können von hier aus
und von mir aus direkt bis Lugano durchfahren. Doch was wird aus mir? Ich armer
Bote habe leider kein Auto für diese Spur, und daher werde ich sie verlieren, weil es
zu lang dauern wird, bis ich mit meiner unglückseligen Botenbürde irgendwohin
gekommen sein werde. Ich werde die Spur verlieren, bevor ich sie gefunden habe. Die
Spur wird verloren bleiben. Die Kunst jedoch wird immer gesammelt bleiben. Was
heißt das, wie heißen Sie überhaupt?
Ich übernehme, hoffentlich übernehme ich mich nicht, ach was solls, einer wird mich
schon nehmen: Noch einen Tag zuvor haben sich diese verzückt Schwärmenden mit
dem Schießen des Wetterstrahls aus ihren Waffen amüsiert, und zwar glänzend
amüsiert, sehen Sie selbst!, da wird ein Atem drunten verhaucht, das gibts nicht,
soviel Atem verschwendet, einfach so in die Luft geblasen, Luft zu Luft, nur um zu
leben, die atmen auch gebrauchte Luft, die wir normalerweise alle meiden, da sind sie
nicht wählerisch, Hauptsache Luft. Den haben sie aber vorher schon nicht gebraucht,
den Atem, wenn Sie mich fragen, sie haben es nur geglaubt, ihn zu brauchen, und als
Bote bin ich Experte fürs Atmen, das kann ich Ihnen flüstern, denn ich bin selber
etwas atemlos, und dem Schoß, nein, dem Schloß bin ich grade entstürzt, das Schloß
ist eingestürzt, Asche zu Asche, aber hier bin ich nun, ein Gott, welcher in der
Schweiz wohnt, wo die Götter traditionell immer wohnen, wenn sie nicht woanders
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Brillantohrringe und ein Brillantarmband, ganz zu schweigen vom Brillantring,
angeheftet bzw. angesteckt, bevor sie endlich das ganze Schloß ansteckt, zehn Jahre
gut gelebt, das ist es für manche auch schon. Hier sehen Sie das Land der
Brausenden, die sich natürlich sofort brausen werden, als erste, wenn die Russen
kommen, aber das Blut muß vorher runter, sonst macht man die Sitzpolster im Auto
dreckig, sonst macht man Fenster und Türen dreckig, sonst macht man sich die
Hände dreckig, wenn man irrtümlich reingreift, also brausen wir uns, brausen wir
fort, brausen wir es alle fort, so enden die Maßlosen, in einem ganz andren Maß, das
aber auch sofort ihres ist. Die Maßlosen sind für sich selbst maßgeschneidert worden,
und die Haltlosen suchen nach einem Halt, finden ihn aber nicht. Egal. Wer will
schon Sicherheit? Rette sich, wer kann. Diese Leute können immer, was auch immer.
Der Bote führt auf Wunsch die Herrschaften, den Schwarm seiner Herrschaften, in
den Wald, in die Berge, wo vielleicht eine weibliche Schar weilt. Vorläufig ist sie aber
noch hier, im Ballsaal. Ich habe zu sagen, daß, obwohl sich niemand das vorstellen
kann, noch zwei Tage bevor der Russe kam, diese Orgie stattgefunden hat, deren
Teilnehmer Sie nicht sind, Sie sind nun mal nicht auf meiner Liste, tut mir echt leid!,
auf der Gästeliste stehn Sie nicht, und ich habe die Einladungsliste bekommen,
vielleicht stehn Sie auf der Opferliste?, aber das wollen Sie sicher gar nicht wissen.
Keiner kann es sich erklären, woher dieser Jubel der Lust angesichts des Untergangs.
Der Bote weiß, daß die Reichen anders sind, aber er weiß ja nicht: anders als wer?
Maßloses Elend! Jammer, den kein Aug erträgt! O blutiger, mit unseliger Hand
vollbrachter Mord! Ein Opfer ohnegleichen, Göttern hingestreckt, zu dessen Schmaus
du ganz Rechnitz, ich übertreibe, halb Rechnitz?, na ja, einen Gutteil davon, aber
nicht der beste, das steht fest, die eine Hälfte als Diener, die andre als andre Diener,
und mich laden willst, nein, nicht ganz Rechnitz, ein Teil davon muß servieren, der
größte Teil, ganz Rechnitz muß servieren und ist geliefert, während wir übrigen dann
nur bedient sind. Der Rest ist bereits abserviert. Weh, weh, das Unheil, deins zuerst
und meines dann, nein, meins zuerst und deines dann! Der Gott hat grausam, aber
leider billig uns vernichtet, uns so nah verwandt, der Brausende. Also das ist alles
nicht wahr. Ich bin wohl im falschen Stück! Bitte einen kurzen Applaus! Die blinden
Seher brauchen wir vor dem Fernseher, wo jetzt auch applaudiert wird, alle drei
Minuten ungefähr, manchmal auch öfter, der seinerseits natürlich nicht blind sein
darf, der Fernsehapparat. Hier brauchen wir sie sowieso nicht, die Bilder. Stellen Sie
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würde über das Ziel hinausschießen, wenn er es nicht sieht. Man würde vom
Erdboden und vom Lindwurm abstammen, gezeugt in einem Augenblick vor
Tausenden von Jahren. Wir Boten sind aber leider von Erdmenschen gezeugt, the
hollow men, ja, ungefähr, das sind auch wir, die Hoffnung nur der leeren Männer
steigt, weil die eben so leer sind, daß sie leicht sind, gebändigt werden müssen an
einer Schnur, mit einer Schnur, aber da wir in diesen Höhlen hier nichts sehen
könnten, da wir selber vollkommen hohl sind und auch nichts aufnehmen können, da
wir niemanden aufnehmen können, wie die Schweiz, die aber schon viele
aufgenommen hat, vielleicht zu viele, die sie sich vorher nicht genau angeschaut hat,
nein, sie hat nicht in leere Augen geblickt, sie hat in volle Augen geblickt, in
hoffnungsvolle Augen, da wir aber niemanden mehr aufnehmen können, haben wir
uns von selbst erhoben, und wir können bezeugen, daß Löcher in die Erde unsrer
Mütter gegraben wurden, ich meine: in die Mutter Erde, in den Mutterboden, um
Menschen dort verstauen zu können, in der Erde, über der Erde ist leider kein Platz
mehr, es gibt ja Rabenmütter, und die Erde ist so eine, aber selbst Rabenmütter
müssen ihre Kinder begraben, nur wo? Da ist guter Rat teuer. In Koffern, Schachteln,
auf Dachböden, in Blumentöpfen?, ihre Einfälle, aber auch Möglichkeiten sind
begrenzt, und dort wollen sie auch sicher nicht bleiben, die Kinder der Erde, wo die
Umwelt doch bereits so vergiftet ist, bei ihrer Geburt haben sie das noch nicht geahnt,
diese Kinder, daß sie einmal vergiftet werden sollen, das soll ich Ihnen auch noch
ausrichten, kurz gesagt, sie mußten ihre Freunde verlassen, diese Menschenkinder!,
ich habe keine Ahnung, wer diese Freunde überhaupt waren. Ich soll es ja nur
ausrichten. Ich kann nicht sagen, was sein wird, nur, was ich gesehen habe, also was
war. Nicht, was wahr ist.
Als Bote ist mir auf dem Weg auch noch folgendes aufgefallen: Man konnte Kind sein,
man konnte zu spät jung geworden sein, man konnte zu spät alt geworden sein, man
konnte sich schämen, wenn man sich ausziehen mußte, oder nicht, der Stolz eines
jungen Menschen, die Müdigkeit eines alten Menschen, die Schönheit eines
weiblichen Menschen, die Jugend eines unsicheren Menschen, der erst noch sicher
werden soll, wenn er die Zeit dafür hat, konnte in ihm sein, egal, Scham oder nicht,
wer zum Kind werden will, muß seine Jugend erst mal überwinden. Da habe ich als
Bote ein lautes Lachen gehört, das von überall herzukommen schien, und dann
Schüsse, ein Lachen, das einem die Eingeweide zerriß, wenn die nicht schon von den
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geschafft haben und jetzt mit Gewalt ringen. Frau Gräfin, schwingen Sie sich zum
Olymp in der Schweiz hin, schwingen Sie Ihren Arsch dorthin, genau nach Westen,
die Weste werden Sie doch wohl noch finden!, aber dalli, Tempo!, ich habe selber
gesehen, was Ihnen sonst blüht, wo der Russe ist, wächst und blüht nichts mehr,
hemmen Sie also bitte den Trotz des Russen, bevor Sie ihn noch sehen können, denn
wenn Sie ihn sehen, wird es zu spät sein für die Blüte der Frauen, dann gibt es in
diesem Jahr kein Obst mehr und keinen Wein mehr, fürchte ich. Nein,
Liebfrauenmilch auch nicht. Aber ich bin nur der Bote. Bitte nicht schlagen! Das hat
schon mein Papa gesagt, und es hat ihm genausowenig genützt wie mir.
Die Herren und Gebieter bitte hierher, zum Chor der Boten dort rüber, dort sind Sie
sicher, und Sie müssen schon brüllen, wenn man Sie verstehen soll. Nur das Grab ist
dauerhaft still, so still, daß es nie gefunden werden wird. Das ganze Dorf schweigt, die
Leute im Wirtshaus mit ihren hellen Stirnen, der Boden mit seinem hellen Gestirn
darüber in der Nacht, der See, die See, Entschuldigung, nein, die beiden meine ich
nicht, die sieht man von dort nicht, ach, diese schwangere nächtliche Verdrossenheit,
dagegen müssen wir was tun! Wir müssen wieder runter! Tiefer hinab in den
Schmerz, als sie jemals stiegen, im Ansitz auf den Hirschen, woher kommen die
höchsten Berge? Wenn ich das weiß, bestell ich mir auch welche, es darf sie für uns
nicht nur in der Schweiz geben, aber wohin sollten wir sonst? Wir brauchen diese
Berge, damit wir neben ihnen kleiner erscheinen, als wir sind. Es ist ja Krieg, da
bleibt kaum einer neutral, die Schweiz aber doch, aber doch! Schwärzeste Flut,
Schweizer Flut, Krieg! Krieg auch in Österreich, das erst später völlig neutral sein
wird, das es aber zum Glück, also zu seinem jedenfalls, zu seinem Glück, jetzt noch
gar nicht gibt. Früher schon mal gab, nur viel größer, dann viel kleiner, dann aber gar
nicht mehr. Kurz und gut. Klein, aber mein. Wir haben nichts, wir geben nichts. Das
wird es später immer behaupten können, dieses Land, und es wird die Schönheit der
Wahrheit haben, was immer es behauptet. Ja, es wird ganz genau wahr sein. Daher
ist es das unschuldigste Land überhaupt, denn wen es nicht gibt, der kann
selbstverständlich nicht sündigen. Der kann vielleicht einmal geboren werden, ein
freies Österreich wird gewiß einmal geboren werden, aus der Asche erstehen, aber
derzeit sehe ich das noch nicht. Über die Vergangenheit können keine Zeugnisse
ausgestellt werden, wenn es den dazugehörigen Schüler gar nicht gibt oder wenn der
Schüler sich ungehörig benommen hat. Dieses Zeugnis ist in Österreichs Gestein, ich
Drüben, bei der Jagdgesellschaft der Herren, sind sie jetzt ein wenig unsicher
geworden, da müssen wir was unternehmen. Als Schloß-Herren sollten sie wissen,
wann man sich abzuseilen hat, am besten, bevor man es anzündet, das Schloß, das an
die Russen gehen soll, aber gar nicht gehen kann. Umgekehrt wäre es blöd:
anzünden, bevor man noch abhaut. Wenn es nur wieder lebt, das schöne Schloß! Lebt
wie ganz Österreich, das um eine Namensänderung angesucht hat, dies aber nach ein
paar Jahren schon wieder rückgängig machen will! Dann würde man ja gern
verzichten reinzukommen, wenns dort brennt! Aber so ... Vorher bitte, das soll ich
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Ihnen aus der Schweiz ausrichten, wo Sie ja, wie ich sehe, alle wieder eingetroffen
sind, bitte durchzählen!, eins, zwei, drei, also drei Personen, mehr brauchen wir in
der Schweiz nicht, aber wir drei sind eingetroffen, weil das ein grundsätzlich absolut
sicheres Drittland ist, ein Land für Dritte, zuerst das Land Österreich, das es nicht
gibt, nicht einmal mehr zu einem Drittel, dann das Land Schweiz, das es zum Glück
länger gibt, als es überhaupt Menschen gibt, weil es eben so total sicher ist und die
Menschen sich daher dort zusammengedrängt haben, so viele wie halt reingehen,
wenn wir sie ließen, kämen noch mehr, wir drei sind ja auch noch reingegangen, in
das erste und das zweite sichere Drittland zum Drittabschlagen, kein Mensch weiß
mehr, was das ist, wie mein Botenbericht begonnen hat, aber es geschieht in dieser
Reihen- und Rangfolge, ich kenne beide leider nicht gut, keins dieser beiden Länder,
wo immer Leo ist, wo man immer in Sicherheit ist, außer man ist ein Opfer, dann
natürlich nicht, jedenfalls nicht immer, und es ist daher auch gut, daß Sie nicht
danach fragen, ob auch Sie in Sicherheit sind oder nicht, sonst werden Sie noch
unsicher, also bis in die Schweiz hinein sieht man nicht die lodernde Fackel der
Blitzglut, die die Frau Gräfin ins Haus, ins Schloß geschleudert hat, um es später
prompt den Russen anzuhängen, das Anzünden, den Russen, die ja auch reinwollten,
das haben sie nun davon, als sie dann endlich kamen, ins Land kamen, bewaffnet,
weil niemand mehr da war, der sie auf Waffen durchsuchen hätte können, das war
von vorneherein klar, daß die kommen, die Russen, da war das schöne Schloß
komplett abgebrannt. Nachdem die Deutschen einmal drinnen waren, wollten die
andren klarerweise auch rein. Nachdem die Deutschen wieder draußen waren, waren
wir alle abgebrannt. Aber geputzt ist ja schnell. Tu was und scheue niemand, sage ich
immer. Die Frau Gräfin wollte natürlich, das verstehe ich vollkommen, den Palast
zertrümmern, nach ihr die Sintflut, ich meine der Brand, sie ist ja eine schöne Frau,
und ein Original dazu, Pferdeverstand, den hat sie, hat sie immer bewiesen, nach ihr
der Schloßbrand, berühmt für seine Wirkung, er wirkt immer, das kann sogar ein
Bote von sich geben, vor allem, wenn er zuviel hat, und der Palast, das Schloß wird
ganz zertrümmert sein, das sehe ich voraus, obwohl der Bote eigentlich genau
nachsehen und erst dann berichten sollte, als wäre das alles eben erst geschehen,
aber was glauben Sie, wie lange es bis in die Schweiz dauert, und die Grenzen
dazwischen!, in diesem Palast hat kein Gott gewohnt, aber die Gräfin wurde von
ihren Kumpanen angebetet, angebetet sage ich, aber dann haben sie ja doch alles
angezündet. Sie schleuderten die Glut. Ich weiß nicht, wie ich es anders sagen könnte.
Was wollen Sie von mir hören? Zum Drachen umgewandelt sein, das Weib zum Tier
gemacht, Lindwurmsgepräng annehmen, der Rinderwagen, ich glaube, ein Daimler,
aber ich sehe ihn nirgendwo stehen, ich meine, es steht nirgends, was das für ein
Wagen war, mit dem sie abgehauen sind, er trägt sie alle drei, die Frau Gräfin plus
Podezin plus Oldenburg, P. und O., Podezin war schrecklich, das ist verbürgt. Dieser
Bürger wurde ertragen und getragen. Von vorübergehender Begeisterung getragen.
So, die Begeisterung ist jetzt schon vorüber. Lang, lang ists her. Das Schloß ist
angenzündet, nah endlich!, na endlich!, haben sie Phoibens heiligen Sehersitz, na ja,
das war er nicht immer, Phoibos hat ihn erst später entzündet und in uns unsre
Wünsche gleich mit, der Sitz geplündert und dann angezündert, dem Sitz wird nie
elendige Wiederkehr zuteil. Am besten, wir bleiben alle weg von dorten. Die Herren
des Schlosses aber, die Herrin, die Herren in der Schweiz, die Herren im allgemeinen
und auch die besonderen Herren, die wechseln ja dauernd, die wechseln ja dauernd
rüber in die Schweiz, die wechseln sich ab, die Herrn, weil jeder mindestens einmal
Herr sein möchte, die Herren, die machen rüber, wie soll man sich diese Herren alle
merken?, die jeweiligen Herren also rettet einer samt Harmonien, samt ihren
Harmonikas meine ich, samt ihren Mundharmonien und Knopfharmonien, alles muß
harmonisch verlaufen, alle müssen sich harmonisch verlaufen, die sind gerettet,
schon bevor sie in Gefahr sind, die sind gerettet, bevor sie die Gefahr noch sehen
können, deren Dasein ist versetzt in der Seligen Aufenthalt, noch bevor sie tot sind.
Das sprech ich als Bote, nein, als Sohn eines irdischen Vaters, nein, als Sohn eines
Gottes, die Irdischen aber sind Göttersöhne, und zwar alle, alle, alle. Außer mir.
Leider. Da kann man nichts machen. Ich bin außer mir, doch das hat wieder den
Vorteil, daß außer mir keiner da ist. Alle sind in mir und wollen raus, noch dazu alle
auf einmal. Aber außer mir: keiner da. Es hört einem keiner zu. Keiner da, der einem
zuhören könnte. Ich armer Bote. Und hätten diese Herren, hätte die Frau Gräfin, als
ihnen es nicht gefiel in diesen schönen Gefilden, zur Demut sich entschlossen, ihr
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Hort wäre ihnen verblieben, und sie könnten glücklich sein! Was? Sie sind glücklich,
die ganze Zeit glücklich? Da stimmt was nicht mit dieser Dichtung, und nicht nur das.
Moment, man reicht mir einen Zettel, denn der Bote darf auch ablesen, wenn er was
vergessen hat. Hier steht: Man muß nichts einsehen, um nicht hart gestraft zu
werden. Man muß überhaupt nichts einsehen. Die leben wohl, und es ist nicht
unmöglich für sie. Denn sie können ja jederzeit in ein Land gehen, wo die Greusel sie
nicht sehen werden und sie die Greusel nicht sehen oder auf einen Kuchen streuen
müssen und das Gebirge sie nicht sieht und sie das Gebirge nicht sehen und wo sie
kein Blick anschaut und sie keinen Blick zum Schauen haben.
Hier kann man verschiedenes machen. Ich biete an, völlig unverbindlich natürlich:
Eine alpenländische Krippe wird von Menschen in ziemlich derangierter
Abendkleidung geschmückt, aber die Tiere sind nicht Ochs und Esel und Lämmer,
sondern Wildtiere. Man reißt Hirschen und Rehböcken die Geweihe bzw. Krickel,
ausgestopfte Vögel, etc. herunter und nagelt sie an die Wand etc. etc. Als sie wieder
hinauswollen und die Türe öffnen, stehen ihnen die Tiere im Plüschanzug im Weg
und lassen sie nicht hinaus. Aber man kann es natürlich auch ganz anders machen.
Dazu wär die TV-Wetterfernsehsendung aus Österreich (TW1) fein, also die
ländliche Musik, die sie immer dazu spielen, zu den schönen Landschaften und
deren Fremdenverkehrsangeboten.
Nein nein, im Gegenteil! Schau! Den größten Raubvogel habe ich aus den Wolken
geholt. Der fährt mir nicht mehr in die Augen!
Entschuldige! Aber was ist das? Deine Locken sind blutig. Jesus Christus! Was ist dir
denn passiert?
Hast du es gehört? Die Turmuhr im Schloß droben am Berg hat kaum angeschlagen,
und schon hatte sie wieder ausgeschlagen. Man hat diesmal gar nicht gemerkt, daß
sie geschlagen hat. Sonst merke ich das schon, wenn mich was trifft oder wenn ich
wen treffe. Als ob sie sich vor dem Schlagen gescheut hätte. Aber die ist doch sonst
nicht so scheu!
Seltsam. Genau um diese Zeit muß es gewesen sein, daß ich den Bergadler geschossen
habe. Aus hoher Luft. (Zeigt einen blutigen Menschenkopf, den er aus dem
Alpinrucksack gezogen hat) Ich schoß den Adler aus hoher Luft. Ich kann nicht
rückwärts, mein Schicksal ruft!
Bin doch schon da. (Versucht, den Menschenkopf auch an die Wand zu nageln)
Hast du gesehn, wie sich die Wetterwolken geballt haben? Hast du die
Wettervorhersage gesehn? Hast du den Abgrund gesehen – welch ein Grauen! Und
des Himmels Wolken schauen, keine Ahnung wo, aber auf jeden Fall hoch hinein.
Jeder will ja rauf. Was hat dein Auge zu schauen geglaubt? Bitte sags mir!
Also wenn du unbedingt willst: Es hat gesehen, wie sich die Wetterwolken geballt
haben, wie der Mond einiges von seinem Schein verloren hat, wie gespenstische
Nebelbilder gewallt sind, wie sich das Gestein belebt hat, man würde es kaum
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glauben, hätte man es nicht gesehen, so wie ich, und ich würde es selber nicht
glauben. Was ich mir schon eher glaube und was ich auch gesehen habe, ist das ganze
Nachtgevögel, das im Busch aufgeflogen war.
Genau. Und ich habe gesehen, wie rotgraue, narbige Zweige ihre Riesenfaust nach
mir ausgestreckt haben. Meinem Herz hat echt gegraust. Aber ich mußte
weitermachen, trotz aller Schrecken.
Wär dir lieber gewesen, daß die Sonne am Himmelszelt geblieben wäre,
ausnahmsweise, daß es ausnahmsweise einmal nicht Nacht geworden wäre? Daß die
Welt nicht blindem Zufall dienen würde? Daß das Auge, ewig rein und klar, alle
Wesen liebend wahrnehmen würde? Wär dir das etwa lieber gewesen?
Waren Sie jemals schon so geil, daß Sie eine Spritze genommen und sich Blut
abgezapft haben, um es zu trinken?
Dein Blut hat dir geschmeckt, denke ich mal. Sonst hättest du es nicht gemacht.
Es war sehr lecker. Einmal beim Bohren mit der Black & Decker den Bohrer in die
Hand hinein ausrutschen lassen, das ist ein Hochgenuß.
Man kann auch Menschen essen. Ist dir der Gedanke schon gekommen?
Es ist mir schon gekommen. Aber lebendes Fleisch ist doch etwas widerstandsfähiger
als gebratenes oder gekochtes.
Aber ich krieg das schon hin. Man hat danach noch einen schönen Wandschmuck.
Das ist mein Extra.
Ach was! Alles klar. Ich muß noch ein bißchen einkaufen. Ich muß ja deine Beilagen
einkaufen. Ich meine, ich muß die Beilagen zu dir kaufen.
Ich bin überhaupt nicht nervös, nur tierisch geil. Ich kanns kaum noch abwarten.
Ich stelle mir vor, wie ich dich in den Hals, die Schultern, den Bauch, die Schenkel
beiße. Die du dann mit mir gemeinsam verspeisen wirst, diese Gustostücke.
Aber nicht nur reinbeißen bitte, ich möchte schon sehen und fühlen, wie du aus
meinem Hals, aus meinen Schultern, aus meinem Bauch, aus meiner Brust diese
Stücke herausbeißt.
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Würde gern was von dir kosten. Vielleicht können wir ja was kochen oder braten und
dann gemeinsam aufessen?
Es sollte schon für einige Zeit reichen. Davon gehe ich aus.
Ich möchte selber auch was von mir essen, vielleicht ein Stück Schenkel oder den
Schinken. Wenn ich mirs aussuchen könnte. Wenn ich mir was wünschen dürfte.
Brustwarze nicht, die steht zwar vor, ist aber zu gut durchblutet, dann geht es zu
schnell. Nimm lieber ein Stück drunter oder drüber.
Brustwarze. Okay. Ist klar. Obwohl, das wird nicht schwer sein, die abzubinden und
abzubeißen.
Falls du was nicht roh essen magst, hast du in meinem Mund einen gierigen
Abnehmer. Falls du mich mit meinem eigenen Fleisch füttern willst. Könnte ja sein,
daß du das möchtest. Mir liegt sehr daran, deinen Willen zu erfüllen.
Ein Loch zum Rausholen müssen wir natürlich auch machen. Wenn du was wegbeißt,
lass es noch an den letzten Verbindungen zum Körper hängen, während du es
langsam ißt, wie es noch an mir hängt. Nicht gleich schlucken. Erst mal kauen, dann
abbeißen. Erst am Ende die Verbindung trennen.
Wenn der Mensch kaut, gefällt es mir gut, wenn er seine Lippen beim Zubeißen
möglichst lange offenhält, damit man seine Zähne beim Kauen auch gut sehen kann.
Man sollte schon sehen, wie die Zähne arbeiten. Rohes Fleisch hat eine viel höhere
Festigkeit als zubereitetes. Das sage ich ganz allgemein.
Aber man ißt doch auch mit den Augen, vergiß das nicht! Es soll schön aussehen. Der
Die Rippen wird man separat braten müssen. Gut wäre, wenn man den Rippenbogen
ganz lassen könnte. Kommt aber auf die Größe des zur Verfügung stehenden
Backrohrs an. In einer Hotelküche ginge das. Nach dem Auftauen wird der
Rippenbogen dann im Ganzen gebraten oder gebacken.
Ja, das kann dann durchaus in feierlichem Rahmen stattfinden, da habe ich nichts
dagegen. Was meinst du? Wie willst du es haben? Ich denke mir das so: Man hebt
eine Grube aus, und dann legt man alles, was man nicht gegessen hat, hinein. Man
beerdigt das dann.
Man hebt bei Dunkelheit eine Grube aus, und dann legt man das eben hinein. Dann
spricht man den Psalm 23. Der ist schön. Ich glaub, den magst du auch. Man betet
danach das Vaterunser. Dann schaufelt man die Grube wieder zu.
Nein, das wäre wohl zu auffällig. Man kann vielleicht eine Blume dort hinlegen, aber
sonst nichts, nein. Die andren Knochen, die noch übrig sind, kann man dann an einer
andren Stelle vergraben. Aber man wird danach nicht wissen, wo, und man selber
wird es auch vergessen.
Nein, das wäre wohl zu auffällig und auch unnötig. Ich weiß ja die Stelle. Irgendwann
werde ich sie nicht mehr wissen. Das ist der Lauf der Zeit, Moment, ich schau mal auf
die Uhr, und ja!, die Zeit ist bereits gestartet. Wenn du dich diesem Lauf noch
anschließen möchtest, mußt du dich beeilen! Die Knochen dann ohne Zeremonie
eingraben. Die Läufer, der ganze Lauf, werden über sie hinwegeilen. Der ganze Pulk.
Nicht daß die drüber stolpern! Also da bin ich mir ganz sicher: Die Knochen werden
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ohne Gebete eingegraben werden.
Also die Räume in der Erde hätten wir ohnedies nicht gefunden. Aber im Haus
konnten wir uns immer frei bewegen. Das haben sie uns erlaubt. Wir sollten nur
vorsichtig sein, weil das Haus des Vaters viele Zimmer hat, er hat uns gesagt, wir
sollen vorsichtig sein, weil manche dieser Böden recht morsch sind und unter
unserem Gewicht einbrechen könnten. Damit waren wohl die Decken des Hauses
gemeint. Aus diesem Grund haben wir uns hauptsächlich im Erdgeschoß und im
ersten Stock aufgehalten.
Ich glaube, es heißt richtig: Im Hause meines Vaters sind viele Wohnungen. Wenn es
nicht so wäre, würde ich euch gesagt haben: Ich gehe hin, euch eine Stätte zu
bereiten? Und wenn ich hingehe und euch eine Stätte bereite, so komme ich wieder
und werde euch zu mir nehmen, damit auch ihr seid, wo ich bin. Und wohin ich gehe,
dahin wißt ihr den Weg. Und wenn einer sagt: Wir wissen nicht, wohin du gehst. Und
wie können wir den Weg wissen? Dann sagt der Herr: Ich bin der Weg und die
Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater als nur durch mich. Ihr seid
alle eingeladen. Und die Feier findet also statt, und es ging auf den Abend hin, und
wir haben uns den Film „Armageddon“ angeschaut. Die Hauseigentümer haben uns
gesagt, wir können von ihnen aus jederzeit vorbeikommen und am Abend mit ihnen
auch z. B. Filme anschauen.
In jeder von diesen Wohnungen wird, glaube ich, eigens ein Tisch bereitet werden
gegen die Feinde. Der Braten wird mit Öl gesalbt werden, und die Gläser werden
vollgeschenkt werden. Es wird überhaupt alles geschenkt werden. Geschenkt. Alles
geschenkt. Das wird mir folgen mein Leben lang. Das wird mir freiwillig folgen. Nein,
es wird mir doch nicht folgen. Das wird mich nicht verfolgen mein Leben lang. Nein,
leider wird es mir doch nicht folgen, zumindest nicht freiwillig. Und wenn ihr etwas
bitten werdet in meinem Namen, so werde ich es nicht tun.
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