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BERICHT/029: Anti-Drohnen-Demonstration bei Rheinmetall in Berlin (SB)

Straßentheater statt Rüstungswahn - Berlin, 9. Juli 2010

Friedensaktivisten prangern deutsch-israelische Waffengeschäfte an

Am 9. Juli 2005 haben Vertreter der palästinensischen Zivilgesellschaft zu einem Handels-


und Investionsboykott gegen Israel aufgerufen. Ähnlich der internationalen Kampagne, die
maßgeblich zum Ende des Apartheid-Regimes in Südafrika beitrug, sollte über Boykott,
Desinvestitionen und Sanktionen (BDS) die politische Führung Israels dazu gezwungen
werden, die Besetzung palästinensischen Territoriums einschließlich der Errichtung jüdischer
Siedlungen dort zu beenden, die Trennungsmauer zwischen Israel und dem Westjordanland
abzureißen, die arabischen Bürger Israels mit ihren jüdischen Mitbürgern vor dem Gesetz
gleichzustellen und das Recht der 1948 vertriebenen palästinensischen Flüchtlinge und ihres
Nachwuchses prinzipiell anzuerkennen. In den letzten Jahren hat die BDS-Kampagne
weltweit immer mehr an Bedeutung gewonnen, was nicht zuletzt auf das aggressive Verhalten
der israelischen Streitkräfte selbst zurückzuführen ist, die sich mit dem Libanon-Krieg im
Sommer 2006, der Operation Cast Lead gegen Gaza zur Jahreswende 2008/2009 und dem
piratenmäßigen Überfall auf die Gaza-Hilfsflottille in internationalen Gewässern des östlichen
Mittelmeers in den frühen Morgenstunden des 31. Mai wenig schmeichelhaft in Szene gesetzt
haben.

BDS-Aktivisten sammeln sich am Treffpunkt

Anläßlich des fünften Jahrestages des offiziellen Beginns des Versuchs, über
Handelssanktionen den Staat Israel zu einem anderen, weniger unversöhnlichen Umgang mit
den Palästinensern in dem besetzen Westjordanland und dem Gazastreifen sowie mit den
eigenen arabischen Bürgern zu bewegen, fanden am 9. Juli in vielen Ländern Aktionen der
Global BDS Movement statt. In Berlin haben an diesem Tag um 14.00 Uhr die Mitglieder der
dortigen BDS-Gruppe zu einer Demonstration vor dem Eingang der Büros des
Rüstungsunternehmens Rheinmetall in der Voßstraße 22, um die Ecke vom Potsdamer Platz,
aufgerufen. An der Demonstration nahmen rund zwei Dutzend Aktivisten, darunter von der
Jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden im Nahen Osten, der Nahostgruppe Berlin, den
Großmüttern gegen den Krieg, dem Solidaritätskomitee Kurdistan und den Israelischen
Anarchisten gegen die Mauer, teil.

Für die Entscheidung, Rheinmetall zum Zielobjekt der BDS-Aktion zu machen, gab es triftige
Gründe. Zusammen mit dem staatlichen Unternehmen Israeli Aerospace Industries (IAI) hat
die Düsseldorfer Waffenschmiede jene unbemannten Flugzeuge vom Typ Heron 1 entwickelt,
die seit einigen Monaten an die Bundeswehr in Afghanistan ausgeliefert und von ihr dort
zunächst zu Aufklärungszwecken eingesetzt werden. An der Steuerung des mit allerlei
Kameras und Sensoren gespickten Unmanned Aerial Vehicle (UAV), das praktisch lautlos
aus einer Höhe von 9000 Meter operieren und ohne Zwischenlandung bis zu 24 Stunden in
der Luft bleiben kann, wurden deutsche Soldaten in Israel ausgebildet. Die Heron 1 gilt als
"kriegserprobt", schließlich kam sie bei der Operation "Gegossenes Blei" zum Einsatz. Bei
dem mehrwöchigen Angriff, der rund 1400 Bewohner des Gaza-Streifens, die allermeisten
von ihnen Zivilisten, das Leben kostete, sollen 87 Menschen durch Bomben und Raketen
getötet worden sein, die von israelischen Drohnen abgeworfen bzw. abfeuert worden waren.
Sophia Deeg und Martin Forberg

Wie german-foreign-policy.com am 23. März unter der Überschrift "Die Ära der Drohnen (I)"
berichtete, hat Rheinmetall seit 2007 der Bundeswehr bereits über 60 Drohnen vom Typ KZO
("Kleinfluggerät Zielortung") zur Verfügung gestellt. Laut Angaben des Herstellers kann das
"Aufklärungssystem" KZO im Verbund mit einer Kampfdrohne der IAI geflogen werden, um
eine "punktgenaue Bekämpfung stationärer und beweglicher Ziele" am Boden zu
ermöglichen. Dazu zitierte german-foreign-policy.com folgenden Satz aus dem
Werbematerial der Rheinmetaller: "Die Kampfdrohne wird nach erfolgreicher
Zielidentifikation durch das Aufklärungssystem eingesetzt, und gemeinsame Bodenstationen
sorgen auf der Basis von Aufklärungsbildern/-videos für den kontrollierten Einsatz gegen
gepanzerte und ungepanzerte Ziele".
Man beachte die Verwendung des Adjektivs "kontrolliert", die vermutlich
gewissensberuhigend beim Leser wirken soll. Für die Familie al-Sultan, deren drei Söhne
beim Benutzen eines Waschraums auf dem Gelände der Grundschule Asma des UN-
Flüchtlingshilfwerks im Zentrum von Gazastadt am 5. Januar durch den Einschlag einer von
einer Heron-Drohne abgefeuerten Rakete vom Typ Spike getötet wurden, dürfte das Wort
eher höhnisch klingen. Laut der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW),
die den Vorfall untersuchte, fanden während der gesamten Operation Cast Lead keinerlei
Kampfhandlungen in der Nähe der Asma Schule, deren Position und Identifikation als zivile
Einrichtung vom UNHRW schon lange vor dem Ausbruch der Feindseligkeiten dem
israelischen Militär übermittelt worden war, statt.
Die-in I

Israel, dessen Streitkräfte Drohnen erstmals in den achtziger Jahren im Libanonkrieg


eingesetzt haben, gilt inzwischen als weltweit wichtigster Lieferant dieses neuartigen
Waffensystems. Nach Angaben von Jacques Chemla, dem leitenden Ingenieur der
Drohnenabteilung bei IAI, der am 3. Juli in einem Artikel der pakistanischen Daily Times
zitiert wurde, hat die israelische Rüstungsindustrie in den letzten Jahren mehr als 1000
unbemannte Flugzeuge an befreundete Nationen ausgeliefert. Die Einnahmen aus dem
einträglichen Geschäft dürften in die Milliarden gehen. Neben der Bundeswehr setzen in
Afghanistan die Armeen Australiens, Frankreichs, Spaniens und Kanadas UAVs Made in
Israel gegen Taliban und andere Gegner der NATO-Besatzung ein. Auch die türkischen
Streitkräfte greifen im eigenen Land bei ihren Militärmaßnahmen gegen kurdische Rebellen
im Grenzgebiet zu Iran und Irak auf israelische Drohnen zurück, für die Ankara bisher 190
Millionen Dollar ausgegeben haben soll. Im Januar hat die aufstrebende Großmacht Brasilien
aus Israel Beobachtungsdrohnen im Wert von 350 Millionen Dollar bestellt, um die
Fußballweltmeisterschaft 2014 und die Olympischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro sowie das
Grenzgebiet im Amazonas zu "sichern". Von der Drohne als Angriffswaffe machen
bekanntlich die Amerikaner den meisten Gebrauch. Allein bei ferngesteuerten Bomben- und
Raketenangriffen auf mutmaßliche Taliban-Ziele in Pakistan soll die CIA im letzten Jahr 700
Zivilisten getötet haben.
Mosse Palais, Voßstraße 22, Berlin

Bei der Demonstration vor dem Mosse Palais, in dem Rheinmetall nicht zufällig zusammen
mit dem Förderkreis Deutsches Heer e. V. am Rande des Berliner Regierungsviertels residiert,
sollte das alles angeprangert werden. Die BDS-Aktivisten zogen Transparente zwischen
Bäumen und Straßenlaternen hoch und verteilten Flugblätter an Passanten und die Insassen
vorbeifahrender Autos. Einzelne Organisatoren der Aktion wie Sophia Deeg, Martin Forberg
und Nick Brauns hielten kleinere Vorträge oder lasen Gedichte vor. Hin und wieder warfen
sich diejenigen, die sich extra deshalb weiß gekleidet hatten, auf den Boden und blieben eine
Weile liegen, um die getöteten Opfer eines Raketenangriffes zu mimen. Das war dann
jedesmal für sich ein sogenanntes "Die-in". Die Polizei, die sich mit zwei Mann und einem
Kleinbus vor Ort postiert hatte, schaute skeptisch, aber nicht unfreundlich dem bunten
Treiben zu. Sie bekam lediglich für einen kurzen Moment etwas zu tun, als ein paar
Demonstranten in das Gebäude marschierten, um sich in den Büros von Rheinmetall über
dessen geschäftliche Zusammenarbeit mit den IAI zu beschweren. Innerhalb kürzester Zeit
mußten die Eindringlinge das Gebäude wieder verlassen. Offenbar waren die Angestellten
eines der führenden Rüstungsbetriebe Deutschlands für ein Gespräch mit den
Friedensaktivisten nicht zu haben gewesen.
Berlins Polizei behält die Lage im Blick

Dafür konnte sich der Schattenblick ausgiebig mit einigen Teilnehmern der Aktion
unterhalten. Wir sprachen zum Beispiel mit dem dreiundzwanzigjährigen israelischen
Studenten Alex Penn, der fast vier Jahre in Berlin lebt. Er nahm an der Aktion teil, um, wie er
sagte, "Widerstand" gegen jede Form der militärischen Zusammenarbeit zu demonstrieren,
weil diese letztlich einfachen Menschen "in Israel-Palästina, in Afghanistan und in der
Türkei" das Leben koste. Penn, der ursprünglich aus Jerusalem kommt, meinte, daß
Deutschlands "historische Verantwortung" den Juden gegenüber "auf keinen Fall" bedeuten
könne, daß die Berliner Regierung "Kriegsverbrechen und Rassismus" seitens des Staates
Israels unterstütze oder rechtfertige. Er wähnt die israelische Gesellschaft in einem "sehr
klaren Prozeß der Faschisierung" begriffen, und meint, das Ausland müsse Israel mittels
wirtschaftlicher Sanktionen zu einem Umdenken in der Besatzungspolitik zwingen. Was die
Frage einer friedlichen Beilegung des Nahost-Konfliktes betrifft, so hat Penn wenig
Hoffnung, daß eine Ein-Staaten- oder eine Zwei-Staaten-Lösung den Streit zwischen Israelis
und Palästinensern aus der Welt schaffen wird, solange letztere vom kapitalistischen System
beherrscht wird.
SB-Redakteur und Nick Brauns

An Dr. Nick Brauns, der regelmäßig Artikel zum Thema Nahost in der Tageszeitung junge
Welt veröffentlicht, konnten wir eine Reihe von Fragen zum Thema der vor allem seit dem
blutigen Überfall auf den Gaza-Hilfskonvoi angespannten Beziehungen zwischen der Türkei
und Israel richten. Unter Verweis auf den rabiaten Umgang des türkischen Staats mit den
kurdischen Mitbürgern im Südosten Anatoliens bezeichnete Brauns den demonstrativen
Einsatz des türkischen Premierministers Recep Tayyip Erdogan als "heuchlerisch". Der
Historiker und Autor verwies auf die zahlreichen Militärabkommen, die Ankara und Tel Aviv
verbinden und die ungeachtet aller Empörung über die neuen Getöteten von der Mavi
Marmara bis heute nicht aufgekündigt worden sind. Schon während der Suezkrise 1956 hatte
die Türkei aus Protest die Beziehungen zu Israel vorübergehend abgebrochen, nur um sie
kurze Zeit danach wiederaufzunehmen. Diesmal dürften die Dinge einen ähnlichen Verlauf
nehmen, meinte Brauns, und führte zum Beleg seiner These das semi-geheime, inoffizielle
Treffen zwischen dem türkischen Außenminister Ahmed Davutoglu und dem israelischen
Handelsminister Benjamin Ben-Elizier am 30. Juni in Brüssel an. Er bezeichnete "die Lösung
der kurdischen und der palästinensischen Frage" als entscheidend, "um einen friedlichen und
demokratischen Mittleren Osten zu schaffen".
Die-in II

Brauns meinte, die zeitliche Übereinstimmung zwischen der Krise um den israelischen
Überfall auf die Gaza-Hilfsflottille und dem jüngsten Ausbruch von Kämpfen zwischen den
türkischen Streitkräften und Rebellen der Kurdischen Arbeiterpartei PKK sei reiner Zufall.
Mit der Aufhebung ihres etwa eineinhalb Jahre währenden Waffenstillstands hatte die PKK
schon länger gedroht. Schließlich hatte es "auf ihr Dialog-Angebot" seitens des türkischen
Staats kaum eine andere Antwort als "fortgesetzte Bombardierungen" gegeben. Darüber
hinaus machte Brauns die Regierung in Teheran für die aufgeflammten Kämpfe zwischen den
iranischen Streitkräften und der kurdischen Guerilla-Formation PJAK verantwortlich.
Angesprochen auf Zeitungsberichte, wonach die PJAK ähnlich der sunnitischen Jundullah in
Sistan-Belutschistan und den im irakischen Exil lebenden iranischen Volksmudschaheddin
(MEK) von der CIA zur Destabilisierung des Irans instrumentalisiert wird, bestritt Brauns
dies. Die PJAK und ihre Schwesterorganisation PKK seien anti-imperialistisch eingestellt.
Eine Zusammenarbeit mit der CIA oder dem Pentagon käme für sie nicht in Frage. Anders
sehe es dagegen bei den Machthabern im kurdischen Nordirak aus, die sich vor den Karren
der USA und Israels hätten einspannen lassen. Hinter der Kollaboration von Jalal Talabanis
Patriotischer Union Kurdistans und Massud Barsanis Demokratischer Partei Kurdistans stecke
ein "amerikanischer und israelischer Plan, ein Minikurdistan als imperialistischen
Brückenkopf" im Länderdreieck Türkei/Irak/Iran sowie in Reichweite des Kaukasus und des
Kaspischen Meers zu schaffen, der "für den kurdischen Befreiungskampf eine Sackgasse"
bedeutete, so Brauns.
SB-Redakteur mit Martin Forberg

Zu guter Letzt sprachen wir mit Martin Forberg, der aus seiner Perspektive den Zweck der
Demonstration vor dem Rheinmetall-Büro erläuterte. Forberg wies auf die immense
Bedeutung hin, welche die Rüstungsindustrie in der israelischen Volkswirtschaft inzwischen
erlangt hat. Obwohl nur ein kleines Land mit rund sieben Millionen Einwohnern, rangiert
Israel hinter den USA, Rußland und Deutschland gleich auf Platz vier der weltweit
erfolgreichsten Rüstungsexportnationen. Dazu trägt das Geschäft mit unbemannten
Flugzeugen in keinem geringen Ausmaß bei. Im Verkauf rechnen Israels Waffenfabrikanten
für das Jahr 2010 mit einem Rekordergebnis von acht Milliarden Dollar. Deshalb müsse die
BDS-Kampagne nicht nur aus moralisch-pazifistischen, sondern auch aus rein pragmatischen
Gründen für einen Handelsboykott bei israelischen Rüstungsprodukten werben. So wäre Israel
wirtschaftlich am effektivsten unter Druck zu setzen, so Forberg. In diesem Zusammenhang
verwies er auf die nicht allzu bekannte Tatsache - vor allem David Cronin von der
Nachrichtenagentur Inter Press Service hatte in den letzten Wochen darüber berichtet -, daß
die Europäische Kommission kurz davorsteht, die IAI und andere israelische
Rüstungsunternehmen mit zwei Forschungsprojekten in einem Volumen von rund 17
Millionen Euro zu beauftragen. Dagegen müsse protestiert werden, sonst drohe jede Kritik der
EU an Israel "zur Makulatur" zu werden, so Forberg. Gleichwohl betonte er an mehreren
Stellen des Gesprächs, daß er und seine Mitstreiter, obwohl sich die Aktivitäten der Berliner
BDS-Gruppe in erster Linie gegen die israelische Besatzungspolitik richteten, gegen Krieg
und Rüstungswahn generell seien, egal von wem diese ausgingen.
16. Juli 2010

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