INHALT
NACHWORT
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VORWORT
Es ist schon ein wahrer Jammer. Da kamen sie bei mir an,
saßen in meinem Vorzimmer, fahrig, nervös, gebeugt, durch
Jahre - oft jahrzehntelanges schweres Joch, das ihnen die
Seele wund gerieben hat. 0Bejammernswerte Ehekrüppel.
Wenn sie dann in mein Allerheiligstes traten, die Finger gelb
von Nikotin, die Augen blutunterlaufen, dann kamen sie mir
vor wie Krebsleidende, die erst im letzten Stadium den Arzt
konsultieren. Und jedesmal lag mir die Frage auf den
Lippen:„Guter Mann oder gute Frau. Warum kommen Sie erst
jetzt?“ Ist es wirklich so schwer, den Weg zum
Scheidungsanwalt zu finden, noch bevor der ganze Körper der
Ehe von Metastasen übersät ist? Könnte der oder die nicht um
einen diskreten Rat einkommen, sobald die ersten
Krankheitssymptome ruchbar werden? Ich versichere: Ein
guter Rat ist nicht so teuer wie sein billiger Ruf.
Nein, nein, ich verlange keineswegs, dass jedermann
anläßlich des glückbeseelten Einschwebens in den Stand der
heiligen Ehe oder gar davor automatisch wie den Pfarrer den
Scheidungsanwalt konsultiert. Wenngleich jenes fatale
Einschweben, vergleichbar der Erbsünde, den Keim der
Scheidung in sich trägt, so wie das Leben den Keim des
Todes. Ich würde bloß anregen, dass man jedem an die
Pforten des siebenten Himmels pochenden Paar einen kleinen
Hinweis zur Besinnung schenken sollte, wie in der Kirche das
zartfühlende Memento mori (= vergiß nicht, dass dich
garbald die Würmer fressen werden). Dies etwa in Form eines
unscheinbaren vorgedruckten Kärtchens: „Herzliche Grüße -
Ihr Scheidungsanwalt“.
Natürlich gäbe es auch weniger direktes, diskreteres
Gewinke mit dem berühmten Zaunpfahl. So zum Beispiel eine
Scheidungsversicherung, der Beitritt zu einem
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Scheidungsverein, oder schlicht und einfach die segenvolle
Übung, seinem künftigen Scheidungsanwalt allmonatlich
mittels unwiderruflichen Dauerauftrags eine bescheidene
Ehrengabe, branchenintern Honorar genannt, zu überweisen.
Betragsmäßig ausgewogen je nach der voraussichtlichen
Lebenserwartung der jungen Ehe. Statistische Berechnungen
würden sich garbald in Form von Tabellen mit
Erfahrungswerten erstellen lassen.
Der ungeneigte Leser wird mir entgegenhalten, dass es
immer wieder Ehen gibt, die sich ungeschieden über die
Ochsentour retten. In solchem Falle wäre der Anwalt glatt
bereichert. Dem aber ist keineswegs so. Zum einen würde ein
wohlgefülltes Konto beim Scheidungsanwalt den Gang dorthin
auch ohne Metastasen rein psychologisch erleichtern, was
jenes, nämlich das Konto, auf natürliche und schmerzlose Art
reduzierte. Zum zweiten unterschätzt er, nämlich der
ungeneigte Leser, die enorme Verwaltungsarbeit bei der
Bewahrung des künftigen Scheidungshonorars.
Verwaltungsarbeit wieder kostet Geld. Flugs stellte sich die
natürliche Reduktion in angenehmster Weise ein. Ich gebe
allerdings zu, in einseitig angenehmster Weise.
Sollte wider Erwarten bei scheidungslosem Ende, mithin bei
letaler Eheentsorgung, sei es in Form von Altersschwäche, sei
es mittels eines Hackebeils, ein Überschuß vorhanden sein,
dann könnte dieser unschwer auf ein Scheidungskonto der
Nachkommenschaft, bei Fehlen selbiger auf eines der
entfernteren Verwandtschaft umgelegt werden.
Kurzum: Ich halte es zumindest für angebracht, wenn der
Scheidungsanwalt zwecks Dienst am künftigen Kunden zu
passenden Anlässen ein Billett verschicken würde mit der
Aufschrift: Ihr Scheidungsanwalt läßt grüßen.
Nun noch ein aufklärendes Wort: Der geneigte Leser wird
sich und womöglich auch mich fragen, wieso ich erst jetzt,
nach so vielen durchlittenen Scheidungsfällen, zur mahnenden
Druckerschwärze greife. Das hat einen sehr bürgerlichen
Grund und ist keineswegs die Scheu des Bösen vor dem Licht.
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Nämlich nach dem gestrengen Ehrenkodex der
Anwaltskammer ist es deren Mitgliedern bei beruflicher
Todesstrafe untersagt, Werbung in welcher Form auch immer
zu betreiben. Bei Offenbarung nachfolgender
Leidensgeschichten während meiner heilsbringenden Zeit als
praktizierender Scheidungsanwalt wären die
Kammersiegelbewahrer mir zweifelsohne mit der Bezichtigung
unerlaubter Eigenwerbung auf den Pelz gerückt. Zumal mich
überdies, wovon sich der geneigte Leser überzeugen wird, die
Schilderung meiner Praxisfälle nicht unbedingt in üblem Lichte
stehen läßt.
Es wird der geneigte Leser auch fragen, warum ich ihn
hartnäckig als geneigt bezeichne. Nun, selbiges ist nicht im
bildlichen Sinne zu verstehen, wie der Turm von Pisa, der
bekanntlich stets geneigt ist und nie fällt, vielmehr als
Wunschform im übertragenen Sinne. Er möge sein willig' Ohr
in freundlichem Wohlwollen mir zuneigen, möge geneigt sein,
aber ungebeugt.
Lasse er mich also anhand einiger aus dem prallen Leben
gegriffener Scheidungsfälle aufzeigen, wie sehr mein Rat
geboten wäre, den Scheidungsanwalt zur rechten Zeit zu
konsultieren. Die meisten jener dargebotenen Ehebejochten
flüchteten erst zu einem Zeitpunkt in meine väterlich
hilfreichen Trösterarme, als der Stachel ihrer Metastasen
bereits tief im entzündeten Ehefleisch wütete. Wären sie
früher, viel früher zu mir gekommen...
Keineswegs soll der infame Eindruck entstehen, ich hätte
sündige oder gar sittenlose Betriebsanleitungen bereit
gehalten, wie Mann oder Frau ungerächt dem wollüstig
prickelnden Schauer des Ehebruchs Tor und Tür öffnen
könne, in eventu Hintertürchen. Mitnichten, ich höre förmlich
schon die schnöden Neider ihre Mäuler wetzen. Vielmehr war
es stets mein charismatisches Bestreben, jene, die bereits in
schändlicher Verborgenheit den ehelichen Ast besägten, nicht
etwa luziferisch anzuweisen, auf den baumnäheren Teil
desselben überzuspringen, sondern ist es allezeit mein züchtig
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Verlangen gewesen, sie zurückzuleiten auf den Pfad der
häuslichen Tugend.
Anhand der nachfolgenden abschreckenden Beispiele solle
jedermann erkennen, dass Böses nur Böses zeugt, dass
einzig die moralgeschwängerte Tugend zu höchstem Glücke
geleitet, und sei es in der lustfreien Entsagendheit der
quasizölibatären Monogamie. Jene Wenigen aber, die noch
nicht haben, mögen die Lehre ziehen, dass Sünde süß ist,
Reue aber bitter. Man soll nicht von allem haben wollen. Wer
unbedingt sündigen will, der soll der Reue entsagen. Und wer
bereuen will, der soll die Sünde meiden. Beides zusammen ist
fatal und nur für unbegabte Möchtegerne, denen die
Jauchegrube der Ertappung vorgegraben ist.
Wohlan, des Trockenkursens ist genug. Der geneigte Leser
lasse mich den Ärmel hochkrempeln und in das volle
Eheleben greifen. Ich werde keine Namen nennen. Etwaige
verräterische Identifikationsmerkmale werde ich mit dem
Skalpell meiner Phantasie so kunstgerecht entstellen, dass
selbst der brotneidende Nachbar keine Lunte riecht
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Dem Fall des Herrn A gebe ich deswegen als erstem die
Ehre, weil er so schrecklich lange zurückliegt und nicht zu
befürchten ist, dass seine Offenlegung meinem
hochgeschätzten damaligen Klienten in irgendeiner Weise
zum Schaden gereichen wird; ist es doch auf Grund seines
unvermeidlichen Alterungsprozesses nicht wahrscheinlich,
dass er noch ehebrechend unter uns weilt.
Nun, der Herr A war eine sehr lebensbejahende Frohnatur
in reiferen Jahren - wollte man pingelig sein, könnte man den
Zustand der Jahre durchaus mit überreif bezeichnen -
ausgestattet mit respektabler Leibesfülle und dem Fluidum des
wohlhabenden Geschäftemachers. Ich allerdings wußte dem
eine andere Bedeutung abzugewinnen, zumal ich ihn auch in
geschäftlichen Dingen zu vertreten die Ehre hatte. Es war mir
sohin nicht verborgen geblieben, dass Herr A in prekärer
finanzieller Beklommenheit sein geschäftliches Dasein fristete,
nicht jedoch sein privates. Obwohl er restlos pleite war, pflegte
er zwecks Übertünchung selbiger Misere im privaten
Lebenspraktikum durchaus großzügig zu verfahren. Er badete
demonstrativ in Galanterie und warf förmlich mit Geld um sich,
so er aus des Zufalls Gnaden eines solchen habhaftig werden
konnte. In geschäftlichen Dingen jedoch war er
ausgesprochen knauserig. Zu solchen zählte er auch den
gegenständlich erzählten Rechtsfall, wenn auch gewiß zu
Unrecht.
Der geneigte Leser wird mitfühlen, wenn ich die
schmerzvoll langwierigen Versuche andeute, die zu setzen ich
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genötigt war, um zu einem Vorschuß für meine segensreiche
Mühewaltung zu gelangen.
Außer offenbar unglücklichen finanziellen Fügungen des
Geschickes begleitete Herrn A auf seinem Lebensweg nebst
seiner angetrauten Ehegattin eine, wenn auch verständliche
Eigenheit, seiner Abneigung gegen Gerichtsbriefe jeder Art
freien Lauf zu lassen. Er pflegte sie zwar entgegenzunehmen,
sodann aber verachtungsvoll und ungeöffnet beiseitezulegen.
Die unvermeidliche Folge war eine Flut von
Versäumungsurteilen und nahezu täglichen Besuchen des
Gerichtsvollziehers.
Herr A trug es mit Würde. Als aber ebenso urplötzlich wie
hinterhältig seine zarten ehebrecherischen Bande zur schönen
Anuschka ruchbar wurden, begann ihn der Schlaf zu fliehen.
Mit diesem stand er als Besitzer einer florierenden Bar
ohnedies nicht auf Du; desgleichen die schöne Anuschka, die
des nächtens den schnapsgeweiteten Augen auf dem
Barhocker hautnah von hinter der Theke, wie weiland Eva,
wohlgerundete Früchte in Greifweite offenbarte. Kurz: sie war
eine Bardame. Chef und lustzeugende Angestellte - eine
unabwendbare Konsequenz, in unserem Falle geradezu
fatalisiert durch die Tatsache, dass der Ehemann der schönen
Anuschka just zu jener Zeit eine langjährige Studienreise
absolvierte, und zwar im staatlichen Erholungsetablissement
zu Stein an der Donau.
Wer sollte darüber besser Bescheid wissen als ich, der ich
zu den acht Jahren meinen bescheidenen Beitrag als
Verteidiger geleistet hatte.
Als, wie gesagt, die Sache mit der schönen Anuschka
ruchbar wurde, das heißt, sie stank bereits zum Himmel,
konsultierte mich Herr A endlich. Sein Eheweib hatte ihm
bereits handfest beweissuchend nachgestellt, und das nicht
ohne Erfolg. Zusammen mit ihrer zwecks späterer
Zeugenschaft beigezogenen Freundin, war sie ihm in den
frühen Morgenstunden bis zur Wohnung der Frau Anuschka
gefolgt. Dort läutend und tobend hatten sie vergebens der
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Öffnung geharrt. Lediglich ein bzw. zwei Blicke durch den
Briefschlitz hatten ihnen einen nackten Mann offenbart, der
aus dem Badezimmer durch den Vorraum huschte.
Infolge der Enge des Briefschlitzes und des neugierigen
Gedränges hatten die beiden Späherinnen nicht den Mann in
seiner ganzen Pracht, sondern lediglich dessen untere Partie
vom Nabel abwärts ins Visier bekommen. Dennoch hatten
beide unzweideutig jene untere Region als die des Herrn A
erkannt, da dieser infolge eines widrigen Geschwüres am
Hinterteil dortselbst ein auffallendes Klebepflaster trug.
Selbiges Gebrechen war offenbar beiden Damen
wohlbekannt. Leugnen schien zwecklos, die Misäre komplett.
Bei solch prekärer Beweislage konnte nur noch ein
gnädiger Wink des Himmels helfen. Und der wurde Herrn A
durch meinen Mund zuteil. Vor Gericht bekannte er freimütig
und treuen Blickes seine Identität mit dem durch das
Vorzimmer flitzenden nackten Pflasterträger in Anuschkas
Wohnung. Jedoch, so verkündete er gesenkten Kopfes und
ebensolcher Stimme mit festem und beleidigtem Ton, jedoch
könne von der ihm so meuchlerisch anverleumdeten ehelichen
Verfehlung keine wie immer geartete Rede sein. Denn eben
des Geschwüres wegen hatte ihm der Arzt verordnet,
allstündlich ein heilförderndes Bad zu sich und insonderheit zu
seinem Hinterteil zu nehmen. Zeitvergessend, in eiligen
Geschäften unterwegs, sei ihm urplötzlich das ärztliche Gebot
zu Sinnen gekommen. In seiner versäumungsgeschwängerten
Verzweiflung war ihm der rettende Einfall beschieden, dass
seine brave Angestellte Anuschka just in jener Gegend ihr
Logie hatte.
Im gestreckten Galopp sei er hingeeilt, habe zaghaft
angeläutet und entschuldigend um Einlaß und ein Bad
gebeten. Die brave Anuschka, von Mitleid überwältigt, habe
ihm das Badezimmer überlassen und sich selber keusch
entfernt, nach den Besorgungen des morgendlichen Einkaufes
strebend.
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Nun kann ich nicht behaupten, selbige todtraurige
Geschichte hätte den Richter zu Tränen gerührt. Sie stimmte
ihn vielmehr stocksauer. Er schleuderte den Akt mit solcher
Vehemenz auf den Tisch, dass der ehrwürdige Staub
kräuselnd nach allen vier Winden stob. Aber was blieb ihm
weiter übrig, als die rührselige Geschichte zumindest als nicht
widerlegt hinzunehmen. Die beweisheischenden Blicke durch
den Briefschlitz hatten zwar das wohlvertraute Hinterteil des
Herrn A ausgemacht, nicht aber die eventuelle Gespielin
Anuschka.
Ein angekränkeltes Hinterteil zu heilendem Zwecke in eine
fremde Wanne zu tauchen, ist schließlich kein ehewidriges
Verhalten.
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Der Herr E, das muß ich neidlos anerkennen, der war ein
Bild von einem Mann: groß, muskulös, männlich bis in die
Haarwurzeln, und er fuhr den dicksten Schlitten. Die Frage
nach seinem Beruf erübrigte sich. Er war offensichtlich Imker.
Zwar besaß er nur zwei Bienen, die aber waren sehr emsig.
Um dem eventuellen bösartigen Vorwurf der Zuhälterei zu
entgehen, hatte Herr E ein sehr umfangreiches und
eingehendes Vertragswerk mühevoll erarbeitet und von seinen
beiden vom Fleiß beseelten Bienen unterfertigen lassen. Es
enthielt nebst barocken Unsinnsfloskeln - der von allen
Paragraphen verlassene blutige Laie hängt der kindlichen Mär
an, die vertragliche Sicherheit steige mit der Zahl der
geschriebenen Worte - enthielt also die Abmachung, dass sich
Herr E in Hinkunft turnusweise und abwechselnd jeweils für
ein Jahr mit einer der beiden Damen vermählen sollte. Nach
Ablauf des Jahres würde eine einvernehmliche Scheidung mit
anschließender Ehelichung der anderen Dame erfolgen.
Selbige Prozedur hätte den schützenden Vorteil, dass der
ehrenwerte Herr E unbehelligt von lästigen Nachstellungen der
Sittenpolizei gemeinsam mit angetrauter Ehegattin und deren
zu Besuch weilenden Freundin in einem wenn auch
zweideutigen Hotel ehrbar Logis beziehen konnte, ohne dem
Geruch irgendwelcher Unsittlichkeit anheim gestellt zu sein.
Etwaige mißgünstige Lästerungen, sein angetrautes Weib
würde es während seiner einsamen Spaziergänge oder
gelegentlichen Barbesuche anderweitig treiben, konnte er mit
Entrüstung und dem zur Schau getragenen und nicht
unüblichen Starrsinn des gehörnten Ehemannes von sich
weisen. Was die zu Besuch weilende Freundin betrifft, wäre er
schließlich nicht deren Gouvernante.
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Die Sache scheint soweit ganz gut gelaufen zu sein, was
auf dem Sparbuch des Herrn E seinen wohligen Niederschlag
fand, bis das Ende der ersten vertraglich verbrieften Frist
nahte. Nach Ablauf des ersten Jahres suchte mich also Herr E
auf, damit ich die Scheidung möglichst form- und schmerzlos
über die Bühne der Justitia bringen sollte. Herr E war einer
jener seltenen Klienten, die ihrem Anwalt freimütig und
rückhaltlos die Wahrheit anvertrauen. Sosehr ich meine
Klienten immer eindringlich ermahnte, wenigstens mir die
Wahrheit zu sagen, so kam mir dieselbe diesfalls gar nicht
zupaß. Es wäre mir lieber gewesen, er hätte mich schamlos
belogen, wie das anständige Klienten sonst zu halten pflegen.
Denn die Angelegenheit war ja irgendwie faul. Also erhöhte ich
mein Honorar, so quasi als seelisches Schmerzensgeld, und
Herr E akzeptierte. Allerdings unternahm er andeutungsvoll,
doch in eindeutiger Weise, den schandbaren Versuch, mich
unter Anpreisung der außerordentlichen Qualitäten seiner
Bienen in Naturalien zu entlohnen. Jede weitere Diskussion
darüber aber lehnte ich mit dem Hinweis ab,
Tauschgeschäften grundsätzlich abhold und nur
Geldgeschäften zugetan zu sein.
Die Klage wurde eingereicht, der Scheidungstermin kam
programmgemäß. Vor dem Gerichtssaal wurde mir die
scheidende Frau E vorgestellt. Der Wahrheit die Ehre: Ich
habe selten eine so schöne Frau gesehen.
Der ungeneigte Leser wird mir jetzt unterschieben, es hätte
mich in diesem Augenblick meine Ablehnung der offerierten
Naturalien gereut. Aber was wird einem nicht alles
unterschoben.
Die Causa wurde aufgerufen, die Eheleute traten vor das
richtende Angesicht. Ich mußte vor dem Saale dem Gesetze
gemäß warten, da der Richter sozusagen unter sechs Augen
den letzten Versuch zu wagen hatte, unter Herbeiführung
einer Versöhnung die ins Wanken geratene Ehe zu retten. Das
Ganze nennt sich unsinnig genug „Sühneversuch“, als ob es
dabei etwas zu sühnen gäbe. Der Versuch zog sich unüblich
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in die Länge. Wie ich später erfuhr, weigerte sich Frau E
plötzlich, von ihrem geliebten Manne scheidungsvoll getrennt
zu werden. Erst ein trautes Gespräch mit demselben auf dem
Gerichtsgang, in einer meinem Gehör entrückten Entfernung,
belehrte sie eines Besseren und die Verhandlung konnte über
die Bühne gehen. Das Urteil wurde gesprochen, die Ehe
geschieden.
Aber es sollte noch ein dickes Ende kommen. Frau E
wartete in der Folge die postalische Zustellung des
Scheidungsurteils ab und legte in hinterhältiger Weise eine
schriftliche Berufung ein, so dass das Urteil dem Gesetz
gemäß nicht Rechtswirksamkeit erlangte. Herr E, derartige
Infamie nicht ahnend, ließ sich seinerseits das
Scheidungsurteil aushändigen und eilte schnurstracks mit
Biene Nr. 2 zum Standesamt. Der Standesbeamte übersah
sträflicherweise die Tatsache, dass das Urteil keine
Rechtskraftbestätigung aufwies und traute die beiden
Liebenden. Flugs war der ahnungslose Herr E zum Bigamisten
geworden. Ehe ihn aber der rächende Arm des
Staatsanwaltes in seine Klauen bekam, ließ Herr E Bienen
Bienen sein, und suchte alleine unter Mitnahme des Ersparten
das Weite. Ich habe nie wieder von ihm gehört. Auf das
versprochene Honorar wartete ich vergebens. Was die
angebotene Entlohnung in Naturalien anlangt, hat sich das
alte Sprichwort bewahrheitet: Besser das Täubchen im Bett
als der Goldspatz auf dem Dach. Dennoch bereue ich meine
Ablehnung seines gewiß wohlgemeinten Anbotes auch heute
nicht, zumal er mir später anvertraut hatte, dass die zwei
Schönheiten in Mußestunden an einander Genüge zu finden
pflegten. Was ihrer Kunstausübung außer Haus keinen
Abbruch täte. Wie andere Fließbandarbeiter gingen sie ihrem
Broterwerb schließlich nicht aus purer Lust am Werken nach
und seien gerade deswegen imstande, diesfalls in der Lage,
ohne schweißtreibende, damit störende Emotionen ihre
Kunden variantenreich zu bedienen.
Ob die beiden Bienen noch summen, ist mir nicht bekannt.
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Der Herr G, das war mein treuester Klient. Mit Fug und
Recht könnte ich in diesem Falle die Gegenwartsform wählen,
da dessen Vertretung in Scheidungssachen nicht der
Vergangenheit angehört, sein Fall als Ganzes nicht dem
Gewesenen überantwortet werden kann, weil er immer wehrt,
unausrottbar. Er ist ein Dauerbrenner, ein Hit, um es modern
auszudrücken, ein immer wiederkehrender schicksalhafter
Bumerang. Nicht, dass sich sein Scheidungsprozeß so
grausam in die Länge gezogen hätte, vielmehr ist es die Zahl
seiner Scheidungsprozesse, die die Jahre unserer
Zusammenarbeit zu monströser Länge knüpften. Viermal habe
ich ihn geschieden bzw. von einem lästigen Weib befreit, und
ich hatte das Gefühl, dass des grausigen Spieles noch nicht
genug war. Keineswegs ist es mein Bestreben, ihn durch
mißgünstiges Fabulieren in ein Negatives zu rücken; bestritt er
doch, wenn auch in sporadischen Abständen, zum Teil meinen
kärglichen Lebensunterhalt. Ich soll ihn daher, wie jedermann
seinem Ernährer, Dank und respektvolle Achtung zollen. Zwar
habe ich ihm nach gelungener vierter Scheidung pathetisch
beteuert, es sei nun genug des üblen Spieles, er möge in
Zukunft die Hände davon lassen, und ich würde ihn bei einer
künftigen Scheidung, also der fünften, nicht mehr vertreten,
doch war offenkundig ihm so klar wie mir, dass meine
Drohung dem eventuell künftigen Ernstfalle nicht standhalten
würde. Also betrachtete ich meine rechtsfreundliche
ehescheidende Vertretung seiner Person für nicht
abgeschlossen und gegenwärtig.
Der Herr G war ein Mann von durchaus Gegenteils -
hünenhafter Figur, markant ausgestattet mit Spitzbart und
Glatze. Auf Grund unserer jahrelangen Bekanntschaft konnte
ich es mir erlauben, ihm jedesmal zu versichern, zuversichtlich
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zu sein, dass der Prozeß so gut ausginge wie seine Haare.
Obgleich dieser blöde Witz schon einen Bart hat, pflegte er
sich dann in immer wiederkehrender Gleichmäßigkeit an dem
seinen zu zupfen und zu versichern, wenn er diesen nicht
zweimal die Woche ausschneiden ließe, könnte er schon im
stehen seine Schuhe damit putzen.
Als mich Herr G zum ersten Male konsultierte, besaß er
noch volles Haar, ein nacktes Kinn und ein angetrautes
Eheweib, das ihn an Haupteslänge überragte und dessen
Körpergewicht gut das Doppelte des seinigen zählte. Es
konnte mir natürlich nicht erspart bleiben, jenes voluminöse
Weib von Angesicht kennenzulernen, was meine Sinne den
Freiheitsbestrebungen des Herrn G näherbrachte. Als von
Berufswegen Reisender blieb es ihm nicht erspart, unstetig zu
reisen. Er reiste also geschäfteheischend durch das Land, was
zur unvermeidlichen Folge hatte, dass er sein angetrautes
Eheweib sehr oft des nächtens in durchseufzter Einsamkeit
beließ. Wenn er dann nach Wochen jener brotverdienenden
Kümmernis mit geblähten Segeln in den heimischen Hafen
steuerte, pflegte ihm das wortreich darbende Eheweib das
begierdenreiche Wiedersehen klagend zu vergällen. Gerührt
beschloß Herr G, hinkünftlich sein geliebtes Weib gesteigerter
zu umsorgen und des öfteren als bisher sich ihrer
anzunehmen. Ein fataler Entschluß, wie sich gar baldigst
erweisen sollte. Als er nämlich eines schönen Nachmittags
zum Behufe der freudigen Überraschung die Wohnungstür
aufschloß, stand hinter derselben ein ganz und gar fremder
Mann, bekleidet mit einem in aller Hast vor den Unterleib
gehaltenen Handtuch.
Herr G, seiner Gesamtanlage gemäß keine Kämpfernatur,
machte einen letzten Blick ins Schlafgemach, wo seine
Ehefrau mit lautem Gestöhne unter der Decke verschwand
und suchte grußlos das Weite. Zwar fand er nicht dieses, wohl
aber den Weg zu meiner Kanzlei. Zu meiner Überraschung
gestand Frau G den Fehltritt ein, besser gesagt zahllose, so
dass sie ausgereicht hätten, einen ganzen Trampelpfad zu
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hinterlassen. Die Ehe wurde eiligst geschieden. Herr G reiste
wieder als freier Mann durch die Lande. In dem Maße, wie
sich sein Kopfhaar lichtete, vernachlässigte er die Schur des
Kinnes. Auf diese Weise hielt er seinen Gesamthaarwuchs
konstant.
Offenbar ist Bart noch in, denn es rieselten nur wenige
Wochen durch die Sanduhr und Herr G steckte wieder
felsenfest im ehelichen Korsett. Aber nicht dieses war der
Grund, der ihn neuerlich in meine Praxis trieb. Seine
geschiedene Gemahlin verlangte nämlich von ihm dreist, er
möge seine Nichtvaterschaft an dem in der Ehe geborenen
Töchterchen anerkennen, damit dieses Stammbaum und
Name des vormaligen Liebhabers annehmen könne, welchen
sie ihrerseits inzwischen geehelicht hatte. Herr G aber zeigte
kein menschliches Rühren und wollte seinem Hörner die Tour
vermasseln. Zwar riet ich ihm mit dem Hinweis ab, dass
Rache gewiß süß, mitunter aber schmerzlich teuer sei, doch
blieb er mit hartnäckigem Starrsinn bei seinem Entschluß. So
kam es, dass ihm die stolze Vaterwürde unbenommen blieb,
als Anhängsel dieser Würde wurde er verpflichtet, dem Kinde
bis zu dessen Selbsterhaltungsfähigkeit den Unterhalt zu
reichen. Er hat lange gereicht.
Wie erwähnt, war es nicht meine letzte Segnung für Herrn
G. Nach Ablauf von etwa zwei Jahren - er scheint die Dauer
seiner Ehen auf diesen erträglichen Zeitraum programmiert zu
haben - war die zweite Scheidung fällig. Dieses Mal hatte er,
gewitzigt durch den Erfahrungsreichtum des gebrannten
Kindes, nicht abgewartet, bis ihm die Schmach in Form eines
Geweihes präsentiert würde. Vorbeugend, wie ein anderer
Vitamine zu sich nimmt, hatte er mit Fleiß und Emsigkeit die
Initiative an sich gerissen. Bei der rückhaltlosen Schilderung
seiner Emsigkeit stieg mir der Verdacht auf, dass diese vor
seiner beruflichen Tätigkeit entschiedenen Vorrang genossen.
Denn er hatte auf seinem Reiseweg, wann und wo immer ihm
der Zufall seine lasterhafte Hand darbot, zugegriffen und
Frauen allerlei Kalibers emsig beglückt. Er hätte die
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kräfteraubende Prozedur gewiß länger durchgestanden, wären
nicht habgierige Alimentationsforderungen, die an seine
Wohnadresse gerichtet waren, in mißlicher Form vor die
neugierigen Augen seiner Ehegattin geraten.
Der Hut brannte, es mußte geschieden sein. Es gelang
noch, die geschockte Ehegattin Nr. 2 von
Unterhaltsforderungen ihrerseits abzubringen. In zwei Fällen
der Folgen seiner Reisevergnügungen wurde seine
Vaterschaft mit eindeutiger Sicherheit erwiesen. Mit jener aus
der ersten Ehe waren es nun drei.
Ich möchte den geneigten Leser nicht mit der minuziösen
Schilderung der beiden weiteren Verehelichung- und
anschließenden Scheidungsfälle des Herrn G strapazieren,
zumal sich diese in dialektischer Konsequenz in nahezu
gleicher Weise wie die beiden ersten Fälle ereigneten. Nach
jeweils zwei Jahren des Eheglücks wurde geschieden. Mal
brach Herr G die Ehe, mal sein Weib. Ich will in diesem
Zusammenhang den zwar im laienhaften Volksmund
gebräuchlichen, meines Erachtens aber irreführenden
Ausdruck „Betrug“ vermeiden. Denn als Strafverteidiger weiß
ich, dass Betrug jemand begeht, der durch listige
Vorstellungen und Handlungen einen anderen in Irrtum führt,
um sich auf dessen Kosten zu bereichern. Wohl führt der an
fremden Kirschen Naschende seinen Ehegesponsen
normalerweise in die Irre, doch ist beileibe nicht gesagt, dass
er sich auch auf Kosten desselben bereichert. Zum einen
kenne ich viele, die aus solcher Fremdnascherei wie
begossene Pudel und damit keineswegs bereichert davon
geschlichen sind, oft unter saftigem finanziellem Aderlaß; zum
anderen sind sich auch hochkarätige Deuter der menschlichen
Psyche nicht im Klaren, ob ein außerehelicher Kontakt nicht
auch dem an selbiger Sportivität nicht beteiligten Ehegatten
zum handgreiflichen Vorteil gereichen kann. Wie man hört, soll
Derartiges wahrhaft beleben und dem schon Erlahmenden zu
neuen unverhofften Kräften verhelfen. Sollte man diesem
Berichte Glauben schenken können, so müßte logischerweise
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auch der nicht unmittelbar beteiligte Dritte ein potentieller
Nutznießer und keineswegs ein Geschädigter sein.
Nun, Herr G wurde zum vierten Male der Ehe entbunden,
und es gelang, ihn in allen Fällen von lästigen
Unterhaltszahlungen an geschiedene Ehefrauen rein zu
halten. Was die Folgen seiner Lustbarkeit, nämlich die Kinder
betrifft, trug er dieses Los mit Stolz und Würde. Er zahlte
allmonatlich unverdrossen an fünf verschiedene Adressaten.
Bei seinem letzten Abschied wollte ich ihm das Versprechen
abpressen, in Hinkunft die Finger davon zu lassen und
zumindest nicht wieder zu ehelichen. Herr G lächelte
verschmitzt aus seinem schwarzen Barte und meinte nur:
„Was soll ich machen, Herr Doktor, die Frauen mögen mich
eben.“ Und er vertraute mir an, dass die fünfte Eheschließung
bereits fixiert sei.
Ich machte mich erbötig, ihm einen Hammer zu leihen,
damit er sich die Sache aus dem Kopf schlagen könne. Er
aber winkte lächelnd ab und entwand sich meinen
wohlgemeinten Rat.
Vor kurzem mußte ich erfahren, dass ihm der oberste
Schiedsrichter inzwischen aus dem Rennen genommen hat.
Er hätte es ja durchgehalten. Sein Herz aber nicht. Wie man
sieht ist die Sache doch eine Herzensangelegenheit.
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Man sagt, das Schicksal sei etwas, das einem von dem
unerforschlichen Macher des Jenseits mitgegeben worden ist
auf den langen Marsch, wie etwa ein unabnehmbarer
Rucksack oder abstehende Ohren. Wann immer man
versucht, sich ihrer zu entledigen, ist das Ergebnis eine
schmerzvolle Resignation. Auch der Ehemann meiner Klientin,
nämlich der Frau L, hatte so einen verordneten Rucksack zu
schleppen in Form eines kapitalen Bauches, der ihm
beständig wie ein überdimensionaler aufgeblähter Frosch
voranhüpfte, sowie in Form seines beinah erotischen
Naheverhältnisses zu unserem Vetter Alkohol, mit dem er
eigentlich vermählt war. Als Mann in sogenannter gehobener
Position - er stand einer repräsentativen Bank vor -hätte der
mißgünstige Normalverbraucher von ihm gewiß ein höheres
Maß an Willenskraft zur Pflege von Abstinenz abverlangt. Aber
was vermag der Mensch schon gegen seine Gefühle? So
bemühte sich Herr L denn unablässig, beides nach Kräften zu
verbergen, sowohl die Freß- wie die Sauflust, sich im übrigen
aber keinen Zwang anzutun, Insonderheit im relativ
windgeschützten heimischen Bereich. Frau L allerdings bekam
ungeschützt die Leidenschaften ihres Gesponsen wie eine
Palatschinke ins Gesicht geknallt. Wegen der offenkundigen
Erfolglosigkeit eines derartigen Vertuschelungsunterfangens
unternahm er auch keinen diesbezüglichen Versuch. In den
häuslichen Wänden fraß und soff er ungehemmt, dass sich im
wahrsten Sinne des Wortes die Balken bogen. Sein
gequollener Leib hatte es wahlroßgleich auf das stattliche
Mastgewicht von 140 kg gebracht, wobei die Leber allein
schon an die 15 kg wog.
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Der geneigte Leser bedarf nicht der angefachten Phantasie
um zu ergründen, was Frau L in meine Obhut trieb. Sie selbst
war schlank, zierlich und abstinent bis zur Brutalität. Derartige
Merkwürdigkeiten finden sich bekanntlich zumeist bei
Ehefrauen von Schlemmern, was sich in unabwendbarer
Weise für beide Beteiligte früher oder später zur
Unerträglichkeit steigert.
Für Frau L war jener Siedepunkt erreicht, und sie berichtete
in bejammernswerter Leidenschaftlichkeit von ihrem
Martyrium: Des abends, wenn sich ihr kolossales Dickerchen
über den ächzenden Fahrstuhl durch die Wohnungstür
gezwängt habe, pflege er ohne unnötigen Umweg zielstrebig
wie eine Horde hungriger Wölfe über den Eiskasten
herzufallen und diesen im Stehen schmatzend und rülpsend
erbarmungslos zu leeren, und hernach, gleichfalls bar jedes
unnötigen Aufschubes, bis zu vier Liter Wein wie ein Ochse an
der Tränke in sich zu leeren. Der Erfolg sei von wahrhaft
viehischen Dimensionen. Er pflegte sich dann die Kleider vom
Leibe zu reißen und sich gleich einer suhlenden Wildsau am
Boden zu wälzen. Man stelle sich das bildlich vor. Nicht zu
vergessen die dabei freiwerdenden akustischen Kräfte.
Meine Klientin machte ihrem aufgestauten Kummer Luft:
„Herr Doktor, ein Vieh ist das, ein richtiges Vieh. Sie machen
sich keinen Begriff. Und impotent ist er auch.“
Gegenteiliges schien mir bei der geschilderten Konstellation
auch nicht denkbar.
Ich wog den Kopf und sah die Unerträglichkeit der Situation
ein. Wie immer aber in solchen Fällen, lag die Schwachstelle
bei den Beweisen. Denn mag sich einer im Bereiche der
häuslichen Taucherglocke, abgeschirmt von den Argusblicken
der wohlmeinenden Nachbarschaft, noch so animalisch
betragen, bei Gericht streitet er alles rundweg ab. Da hat er
niemals nicht so eine Ungeheuerlichkeit begangen, da ist ihm
jeder Schritt vom Pfade der Tugend eine undenkbare Greuel,
jeder diesbezügliche Vorwurf eine hinterhältig-bösartige
Verleumdung.
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Beweise mußten zur Hand. Aber wie? Man kann doch nicht
einen Detektiv in einen Eiskasten setzen. Folglich blieb nur der
bestellte Eideshelfer.
Eine seriöse Freundin nebst Ehegemahl wurde zwecks
Augenschein zur Abendzeit bestellt, und das an fünf
aufeinanderfolgenden Tagen. Das Ergebnis war positiv. Herr
L, der selbst infolge seiner bereits eingetretenen
Introvertiertheit der nächtlichen Besucher nicht gewärtig
wurde, wälzte sich jedes Mal in besagtem Zustand wie ein
Nilpferd durch den Raum. So konnte die Ehescheidungsklage
vom Stapel gelassen werden.
Bei der Ehescheidungsverhandlung stritt Herr „Direktor“ -
siehe oben - alle Behauptungen als glatte Verleumdung ab
und überantwortete sie der Bösartigkeit seines Eheweibes,
welch selbiges offenkundig aus ihm unerklärlichen Gründen
aus der Ehe strebe. Als ich jedoch mit den beiden
Augenzeugen winkte und auch die Impotenz nicht zu
erwähnen vergaß, knickte er ein. Besonders letzterer Vorwurf
pflegt bei altgedienten Ehemännern eine magische Wirkung zu
zeitigen. Der Herr Direktor gab nach und willigte in die
Scheidung ein. Alles andere war Routine und konnte wie
üblich abgewickelt werden. Frau L, ausgestattet mit einer
lebenslänglichen Unterhaltsrente, zum Dank für geleistete
eheliche Dienste, zog von dannen und ließ sich bei ihren
Eltern auf dem Lande nieder. Der Fall war für mich
abgeschlossen, wie ich dachte.
Das aber sollte ein Irrtum sein.
Es verging ein gutes züchtiges Jahr, da erschien bei mir
Frau L Nr. 2: Eine Frau in mittleren Jahren, selbst drall und
rosig feist, den irdischen Genüssen offenkundig zugetan. Was
sie mir zu berichten hatte, war verblüffend. Ihr Ehemann
fresse maßlos, wälze sich am Boden... wie gehabt. „Das ist
kein Mensch, das ist ein Vieh.“
Wie sich die Bilder gleichen. Nur eines hatte Frau L Nr. 2
mir vorenthalten, nämlich die Impotenz. Meine schüchterne
Frage danach bewirkte eine lebhafte Reaktion. Ja ja, das sei
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er wohl gewesen, aber nur bis zu ihr. Nicht ohne Erfinderstolz
vermeldete sie verklärten Blickes, dass sie ihn auf trab
gebracht habe.
Allerdings in letzter Zeit sähe sie sich um die Früchte ihres
Erfolges geprellt. Ich nickte zustimmend und verstehend. Für
den zweiten Scheidungsprozeß wollte ich schonenderweise
auf Eideshelfer verzichten. Um das Verfahren abzukürzen, lud
ich mir Herrn Direktor L vor. Zu meiner Überraschung kam er,
schwitzend, pustend und ließ sich krachend nieder. Aus
Mitleid zu meinem schönen Jugendstilsessel kürzte ich die
Unterredung eifrigst ab. Mein Gegenüber, gewitzigt aus der
letzten Schlacht, nickte nur ergeben und war mit der
Scheidung einverstanden. Nach Auslotung einer
angemessenen Rente auch für die zweite Gattin wurde die
Scheidung durchgeführt.
Beide Damen allerdings konnten sich nicht mehr lange ihrer
Pfründe erfreuen. Denn Herr Direktor L entfloh nur wenige
Monate danach in ein besseres Jenseits. Er hatte sich zu
Tode geschlemmt. Ob er zu bedauern ist, steht dahin. Denn
als lebenslanger Abstinenzler dahinzuscheiden ist gewiß nicht
erquicklicher, mit intakten Innereien und vor Gesundheit
strotzend.
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Die Frau N war nicht schön und nicht häßlich, nicht alt und
nicht jung, nicht dick und nicht dünn. Sie siedelte irgendwo
dazwischen. Vielleicht lag die Ursache in ihrem alldinglichen
Mittelmaß, dass sie es auf einmal satt hatte, des nächtens
neben jenem fauchenden, schwitzenden, schnarchenden
Unding zu liegen, an das sie seit 15 Jahren gekettet war. Mit
Gleichmut und Schicksalsergebenheit hatte sie all die Zeit
hingenommen, ohne zu murren und zu kneifen, wie es die
meisten Frauen ihresgleichen für schicklich halten. Eines
Tages aber war etwas über sie gekommen, das sie gemäß
ihrer Schilderung nicht zu definieren vermochte, und das wohl
wie ein Ungeheuer der Vorzeit aus den brodelnden Tiefen
ihres Unterbewußtseins jählings an die Oberfläche gegurgelt
war. Kurz, sie hatte es satt und wollte frei sein. Treulich
versicherte sie mir, kein anderer etwa hinterhältiger Grund
amouröser Provenienz bestimme sie dazu, sondern
ausschließlich der legitime Wunsch jeglicher Kreatur nach
Freiheit.
Da es uns nicht gegeben ist, selbiges unseren
Mitmenschen mit Fug und Recht abzuschlagen oder gar zu
verweigern, forschte ich denn in der eintönigen Tristesse ihres
Ehelebens nach dunklen Flecken auf der weißen Weste ihres
Ehegemahls, die ihm scheidungskläglich als Stolperprügel
zwischen die abgeschlafften Beine geworfen werden könnten.
So viel ich aber kreuzverhörlich zu erkunden suchte, so wenig
konnte ich fündig werden. Der bereits mit gutbürgerlichem
Bauche und ebensolcher Glatze ausstaffierte Angetraute
schien von keiner wie immer gearteten Leidenschaft
gesponsert zu werden. Er rauchte nicht, ging zu keinen
Herrenabenden, hatte auch sonst keine Weibergeschichten,
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lungerte beständig knabbernd vor dem Fernseher und
verabscheute Alkohol; Grund genug, den Knaben für äußerst
suspekt zu halten. Wie ein Aal glitt er einem durch die
scheidungsheischenden Finger, und Frau N mußte schließlich
gestehen, keinen stichhaltigen Scheidungsgrund zu haben.
Ohne einen solchen aber, mußte ich bedauernd darlegen,
würde der Richter mit den Ohren wackeln und uns in Form
eines abweisenden Urteils in die Wüste schicken.
Frau N, durch meine destruktiven Ausführungen
überraschenderweise nicht entmutigt, erkundigte sich
frohgemuts, was denn alles Scheidungsgrund sei, denn ein
solcher mußte her, um ihren Ehegemahl zwangsweise aus der
gemeinschaftlichen Wohnung zu entfernen. Selbige nämlich
gedachte sie alleine weiter zu behalten, um darin nach
erfolgreicher Scheidung sich der Freiheit genüßlich zu
bedienen. Etwa selbst aus der ehelichen Wohnung zum
Zwecke der ersehnten Freiheitserlangung auszuziehen, lehnte
sie als Ansinnen ab und erkannte, dass nur die Möglichkeit
verblieb, ihrem Ehegesponsen das Einverständnis zur
Scheidung abzuringen, womöglich aber gar eine
Schwachstelle in seinem trägen Dasein zu ergründen.
Zu meiner Überraschung verließ mich Frau N keineswegs
niedergeschlagen, sondern frohgemut, und versprach gar
baldigst unter einem besseren Stern wieder zu kommen. Flugs
begab sie sich, wie ich bei ihrem tatsächlichen späteren
Wiederkommen erfahren sollte, nach Hause und an die Arbeit.
Mit Fleiß und Unrast begann sie dem Ahnungslosen das
häusliche Leben mit einer Vehemenz anzusäuern, dass selbst
eine Zitrone dabei Sodbrennen bekommen hätte. Sie versalzte
ihm das Essen, goß Essig in den Kaffee, Speiseöl auf den
gekachelten Fußboden der Küche, so dass es ihn der Länge
nach hinlegte, füllte die Pantoffel mit Juckpulver und zerrieb
Knoblauch auf dem Kopfpolster. Des nächtens sprang sie
unentwegt aus dem Bett, drehte alle Lichter auf und
behauptete lauthals, die Braut des Teufels zu sein. Sie drehte
75
das Radio auf Discolautstärke, überschwemmte das Bad und
würzte das Mahl mit gemeinem Streusand.
Wochen des emsigen Treibens flossen dahin, und der
Erfolg stellte sich nicht ein. In seiner offenkundigen Infamie
schluckte Herr N alles hinunter, auch den Streusand, ließ sich
zu keinem Exzeß und zu keiner Prügelei hinreißen, nährte sich
weiter an der Labsal des Fernsehens und lehnte die
Scheidung ab.
In dieser Phase höchster Bedrängtheit griff Frau N zum
Letzten, dieses Mal aber erfolgreichen Mittel. Sie beklagte
ihrer Arbeitskollegin das mißliche Los und bekniete selbige, ihr
aus der Patsche zu helfen. Schwesterlich beflissen willigte
jene ein, und man begann gemeinsam und emsig ein Netz zu
knüpfen, in dem sich der Widerborstige fangen sollte.
Schließlich waren die Vorbereitungen getan, das Netz
wurde ausgeworfen, und der nichtsahnende Herr N biß in den
ihm in Form der ihm bislang unbekannten Arbeitskollegin
seiner Frau zugeworfenen Köder. Der programmierte Anbiß
mußte unweigerlich erfolgen, zumal Frau N ihren
Ehegesponsen seit Monaten auf amouröse Hungerkur gesetzt
hatte. Den süßen Duft der Sünde einmal erschnuppert, folgte
Herr N der aufgenommenen Fährte beinahe willenlos. Die
angeheuerte Metze lockte den von Sinnen geratenen Gockel
in ein Stundenhotel, wo der gleichfalls angeheuerte Ehegatte
der Arbeitskollegin hinter einem Vorhang mit blitzbereiter
Kamera lauerte. So kam es, dass sich Herr N schließlich bar
jeden Textils abgelichtet wiederfand, und das in einem
sündigen Bette, zusammen mit einer wenn auch nicht ganz
entkleideten fremden Frau. Frau N betrat, wie angekündigt, die
Fotos schwenkend, in Siegerpose meine Kanzlei. Auf Grund
der vorhandenen Beweise bedurfte es keines Kunstgriffes, die
Scheidung erfolgreich durchzuführen.
Herr N wurde als alleinschuldig erkannt und mußte noch
froh sein, mit heiler Haut und ohne Unterhaltsverpflichtung
davonzukommen. Die Wohnung wurde der Frau samt allem
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Inventar zugesprochen. Zerknirscht beugte sich Herr N der
letzten Forderung, die gesamten Kosten zu bezahlen.
Der Fall war erfolgreich abgeschlossen.
Nur durch Zufall kam mir einige Zeit später im Gespräch mit
einem Kollegen zu Ohren, dass der Fall eine Fortsetzung
gefunden hatte. Der Ehegatte besagter Arbeitskollegin nämlich
war bereits wenige Tage nach mit meiner Hilfe erfolgter
Scheidung bei meiner Klientin mit Sack und Pack eingezogen.
Dessen Ehefrau hingegen, an Hand der im Stundenhotel
geknipsten Bilder überführt, wurde des Ehebruchs schuldig
befunden und gleichfalls geschieden. Vergeblich hatte sie mit
Händen und Füßen das so schändlich abgekartete Spiel
offenzulegen
versucht. Sie fand kein Gehör, Beweis ist schließlich
Beweis.
77
Wie sagt der große Erich Kästner: Nicht die Zeiten sind es,
die schlechter werden, sondern die Menschen. Ich habe schon
bei der malerischen Offenlegung des Falles B darauf
hingewiesen: Da heiratet man, prallgefüllt bis über die Ohren
mit reinster Liebe, ein kleines süßes Mägdelein, hat treuen
Herzens nichts weiter im Sinn, als sich von diesem für alle
Zeiten glücklich machen zu lassen, und kommt, kaum dass ein
Stückchen plattgewalzten gelben Metalles den Finger
umwindet, unvermittelt dahinter, dass das kleine Mädchen
inzwischen maßlos gewachsen ist, und zwar weit über den
eigenen Kopf. Man kommt weiters darauf, dass die Süße
reiflich bitter geworden ist, ein wahres Chamäleon. Was aber
das Schlimmste ist: Man hat die gewachsene Größe und die
Bitternis alltäglich, ja allstündlich zu spüren und zu kosten. Zu
welch kapriolender Panik sich dann manch einer hinreißen
läßt, wurde in den vorstehenden Buchstaben beiläufig
angedeutet. Da gibt es eine ganze Palette zwischen dem
radikalen Löser und dem fatalen Dulder. Das Verhalten des
Herrn Q lehnte sich in seiner Resignation eher dem letzteren
an.
Als Spätzünder, wie alle Phlegmatiker, erreichte er das
Stadium des augenöffnenden Erkennens erst zu einem
Zeitpunkt, als ihm die zur Bitternis gewordene Süße bereits
drei Kinder geschenkt hatte. Freilich empfand er dies nicht
unbedingt als Schenkung, zumal eine solche den Besitz des
Beschenkten zu mehren pflegt, desgleichen seine Machtfülle
über Hab und Gut. Von dergleichen konnte bei Herrn Q jedoch
keine Rede sein. Sein Besitz war eher bedenklich
geschrumpft, und seine Machtfülle hatte sich zu einer
ohnmächtigen Leere gewandelt. Solcherart betrachtete er das
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Geschenk eher als ein trojanisches Pferd, in dessen Bauch
bekanntlich nicht eben das Heil verborgen war.
Wie gesagt, Herr Q war ein Mann des Duldens! Einfach den
Hut zu nehmen, mal um Zigaretten ums Eck zu gehen und
nicht wiederzukehren, lag nicht in seinem Sinne. Dazu wäre er
wohl zu feige gewesen. Überdies gab es da drei unschuldige
Kinder, die des Brotes aus Vaterhand bedurften und auch
sonst zu seelischem Gedeihen der geordneten
Hausgemeinschaft. Also zog er das Genick ein, ließ Bitternis
Bitternis sein und sklavte weiter. Wie aber jegliche Kreatur auf
diesem rotierenden Sternenunikum der Vollkommenheit
ermangelt, so war auch die Resignation des Herrn Q eine
totale. Der Mensch bedarf wohl der kleinen geborgten Freiheit,
um die große geschenkte Unfreiheit überhaupt tragen zu
können. Irgendwo muß jeder ein heimliches Gärtchen hegen,
um den Keim der Hoffnung am Leben zu erhalten.
Gemäß seiner besagten Sinneshaltung wählte Herr Q den
Weg des Totstellens. Wann immer seine Angetraute sich ihm,
mehr fordernd als werbend, zwecks Vermehrung der Zahl der
Geschenke ihm näherte, pflegte er sich zunächst schlafend zu
stellen. Alsbald aber hatte sein Weib die List durchschaut, so
dass ihm kein anderer Ausweg blieb, als zu einer radikalen
Methode zu finden und sich tot zu stellen. Ich meine damit
nicht, dass er seine gesamten körperlichen Funktionen und
Aktivitäten zum Zwecke friedhöflicher Verfrachtung eingestellt
hätte, vielmehr möge der geneigte Leser das Totstellen auf
einen kleinen, wenn auch sehr wesentlichen Teil der
Körperfunktion beziehen. Kurz gesagt, er griff zu der
schmählichsten aller Ausreden, nämlich zur Impotenz. Was
ihm anfänglich sein Weib nicht abnahm, verstand er in kurzer
Zeit durch eiserne Disziplin zur Gewißheit zu verdichten.
Zunächst erntete er bitteren Spott und Hohn. Nichts steht
dem Manne in den Augen seiner Angetrauten so wenig
trefflich, wie besagte Lahmheit. Allmählich aber begann in
Frau Q die Gewißheit zu dämmern, dass der Zustand der
Trauerweide ihr selbst zu allergrößtem Verdrusse geworden
87
war. Dem Hohn wich Sorge und Beklommenheit. Da nun
setzte Herr Q den Hebel an. Nicht dass er es nicht verstanden
hätte, schon reichlich Kapital aus seiner prekären Situation zu
schlagen; war er doch fürderhin unverdächtig und durfte
unbehelligt von lästigen Eifersüchteleien seinen
Herrenabenden fröhnen. Nicht genug damit, verfiel er eines
Tages auf die Idee, seiner Ehegattin ein längeres Fernsein
vom häuslichen Herd schmackhaft, ja willkommen zu machen.
Er erfand nämlich rundweg ein Sanatorium nebst
Wunderheiler in einer anderen Stadt, wo eine entsprechende
Kur Heilung seinem Leiden zu bringen vermöchte. Halb
resigniert und halb freudig erregt, stimmte Frau Q zu, und der
Ehemann reiste in banger Hoffnung für drei Wochen zu Kur.
Die Frist verstrich zwischen Bangen und Hoffen, Herr Q
kehrte trüben Blickes und reichlich mitgenommen zurück.
Seiner enttäuschten Ehefrau erklärte er achselzuckend, die
Kur habe noch nicht gewirkt, und er müsse in einigen Monaten
die Prozedur neuerlich über sich ergehen lassen. Ich will es
kurz machen: Der geneigte Leser wird erahnen, dass der arme
Herr Q solcherart Jahr um Jahr mit kummervoller Miene zur
Kur reiste und jeweils reichlich mitgenommen und seufzend ob
des ausgebliebenen Erfolges wiederkehrte. Allmählich aber
beschlichen Nattern des Zweifels die Brust seiner Gemahlin,
ob die Kur tatsächlich von der vorgegaukelten Art und Weise
war. Sie fand, dass der Doktor bei seiner Methode des
Kurierens übertreibe, reiste sie ihm das nächste Mal heimlich
nach. Und siehe da; der Doktor erwies sich als aufgedonnerte
Blondine, bei welcher Herr Q seit Jahr und Tag zu kuren
pflegte, offenkundig mitnichten als Trauerweide.
Das Donnerwetter war gewaltig. Reichlich deprimiert suchte
Herr Q meine Hilfe. So sehr hatte er sich an die
Annehmlichkeiten des Kurbetriebes gewöhnt, dass er sich mit
Händen und Füßen gegen die von seiner Gemahlin nunmehr
angestrengte Scheidung wehrte. Es war ihm durchaus
bewußt, dass die Blondine, würde er vom Ehejoch befreit bei
dieser für immer Logie nehmen, binnen kürzester Zeit sich von
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der schmollmundigen Freundin zum vollmündigen Eheweib
wandeln würde. Er käme also von der Traufe in den Regen,
und das war es, was er zu vermeiden gedachte. Ich aber
mußte meinem Klienten die Trostlosigkeit seines
Standpunktes vor Augen führen, denn die Beweise gegen ihn
waren erdrückend. Wollte er nicht die bittere Pille des
Schuldig-Geschieden-Seins schlucken - und er wollte um
seiner Kinder Willen nicht - so mußte ich zur bewährten
Strategie des altrömischen Feldherrn Cunctator greifen, der
als solcher, nämlich als der „Zauderer“ ruhmreich in die
Weltgeschichte einging. Er hat niemals eine Schlacht verloren,
weil er niemals eine geführt hat. Jeweils wenn der böse Feind
zum Angriff blasen ließ, befahl er seinen Soldaten den
Rückzug. Das ging solange, bis der Gegner müde geworden
war und resignierte.
Der geneigte Leser wird schon erahnen, dass auch der Fall
Q auf selbige Weise einem glücklichen, wenn auch nicht
billigen Ende zuging. Nach etlichen jeweils vertagten
Gerichtsverhandlungen war das Feuer des Zornes in der Brust
meiner Gegnerin soweit auf Sparflamme gebracht, dass Herr
Q zur Attacke blasen konnte. Meinem Rate gemäß ließ er die
Totenstarre fallen und war geheilt. Was Wunder, dass ihn sein
Weib, seit Jahren als solches darbend, vor Rührung über die
wundersame Heilung in die Arme schloß und Richter samt
Anwälte als Bösewichte verteufelte.
Da war sie wieder, die Sache mit dem verlorenen Sohn. Ob
ein Hammel geschlachtet wurde oder ein Schaf, ist mir nicht
bekannt.
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Mit Fug und Recht kann ich diesen Fall als einen
verworrenen bezeichnen. Was sich anfänglich wie eine
gutbürgerliche Ehescheidung anließ, zog nach und nach,
einem ins Wasser geworfenen Steine gleich, immer mehr
verworrene Kreise nach sich. Zunächst gab es da nur die
biedere Frau R mit ihrem außer Gunst geratenen Ehemann
und dem gemeinsamen Kind. Der entgunstete Mann schien
auf den ersten Blick phantasielos unergiebig, dass mich bei
der Schilderung der Sachlage die Langeweile überkam, und
ich nur mühsam ein herzhaftes Gähnen unterdrücken konnte.
Alles was Frau R ihm vorzuwerfen in der Lage war, gipfelte in
der zornigen Klage, er gehe fremd. Mir war auf Grund der
immer gleichen Informationen seitens meiner Klientinnen ein
solcher Vorwurf derart vertraut, dass ich versucht war, zu
glauben, das Fremdgehen sei bereits ein so unverzichtbarer
Bestandteil des ehelichen Zusammenseins, wie der Schlafrock
und das Fernsehen. Also unterdrückte ich zum zweiten Mal
die hinterhältige Gähnattacke und fragte routinegemäß nach
Name und Anschrift der seitenbesprungenen Sportsfreundin.
Da meine Klientin verlegen stockte, fragte ich neuerlich nach
dem Namen selbiger Dame. Verlegen rutschte Frau R auf der
sitzbaren Unterlage hin und her, und erklärte schließlich mit
leiser Stimme, es handle sich keineswegs um eine Dame,
sondern um einen Herrn. Und selbigen hatte Herr R unauffällig
als Freund ins Haus geschleust, wo er sich zum wahren
Hausfreund mit verkehrten Vorzeichen auszuwachsen
begonnen hatte. Mit dem Fortschritt des hausfreundlichen
Wachstums war das Interesse für Frau R gleich proportional
geschrumpft. Bis es schließlich danieder lag wie ein toter
Frosch am Straßenrand.
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Soweit die Schilderung meiner lieben Klientin. Nun halte ich
es ja nicht gerade für lobenswert, wenn ein dem ehelichen
Stand verpflichteter Mann der Ehefrau seine Geringschätzung
in Form einer triumphierenden Nebenbuhlerin vor Augen führt.
Dieses gereicht der Ehefrau gewiß nicht zur eitlen
Schmeichelei. Da es ja offenkundig bereits zum
einkalkulierbaren Berufsrisiko der Eheführenden gehört, früher
oder später gehörnt zu werden, nimmt das gestandene
Ehevolk gemeiniglich die Kunde davon mehr oder minder
gelassen entgegen. Nur weltfremde Exzentriker pflegen sich
dabei aufzuführen wie ein verzogenes Kind, dem man sein
Spielzeug weggenommen hat. Im allgemeinen sind die
Verhaltensregeln in selbiger Situation vorgegeben wie die
Gebrauchsanleitung bei eventuellem Hochwasser. Freilich
nimmt so Mancher die Gelegenheit beim Schopfe und nutzt
sie zum langersehnten Vorwand, um bar jedes eigenen
Verschuldens aus der Misäre zu steigen. Dann werden schon
mal die Reaktionen maßlos überspielt, der besseren Wirkung
wegen.
Mag sohin gemeiniglich die Kunde vom Gehörntsein als
zwar nicht erhoffter aber erfürchteter Schicksalsschlag
resignierend hingenommen werden, so gerät die Sache dann
zur empörenden Ungeheuerlichkeit, wenn, wie in unserem
Falle, der Seitenspringer sich eines gleichgeschlechtlichen
Sprunggenossen bedient. Dann nämlich werden die
primitivsten Regeln des Seitenspringens verletzt, dann wird
der Sprung zur meuchlerischen Moritat. Eine Nebenbuhlerin
vermag die weibliche Seele noch zu umspannen, ein
Nebenbuhler aber sprengt die Kapazität.
Bevor bei der Schilderung des Sachverhaltes auch bei mir
helle Empörung aufzukommen begann, flüsterte mir mein
kleiner Mann im Ohr zu, dass die Geschichte durchaus in der
Lage wäre, noch etwas herzugeben. Also stocherte ich wie ein
Schimpanse mit dem Stock im Termitenhaufen, in Frau R, und
entlockte ihr nach etlichem Sträuben das Geständnis, dass
auch sie der Gunst des Hausfreundes teilhaftig geworden war,
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und an selbigen Segnungen mitgenascht habe. Wie sie sich
aber eifrigst zu versichern beeilte, hätte sich das aber nur so
quasi zwischen Tür und Angel begeben und ohne Wissen
ihres Ehegemahls.
Zumal ihre Geständnisfreudigkeit damit erschöpft schien,
ließ ich es dabei bewenden, nahm die persönlichen Daten zu
Protokoll und verfaßte schließlich die Ehescheidungsklage. Da
ich hoffte, Herr R würde angesichts der peinlichen Tatsachen
keinen nennenswerten Widerstand entgegenbringen, ließ ich
es bei der Aufzählung seiner Verfehlungen bei mehr oder
minder konkreten Andeutungen bewenden, und führte
insbesondere aus, dass er unter grober Vernachlässigung
seiner Ehegemahlin seine Zeit mit einem Freund verbringe.
Ich sollte mich jedoch getäuscht haben. Herr R gab
keineswegs klein bei, sondern widersetzte sich der Scheidung
mit Vehemenz. Die Ehe bezeichnete er zwar als etwas locker,
doch beabsichtigte er diese im Hinblick auf das gemeinsame
Kind, dem er das geordnete Zuhause zu erhalten gedachte, in
bisheriger Harmonie weiterzuführen. Im übrigen möge sich
seine Gattin einer gewissen Zurückhaltung befleissigen - er
sprach etwas von blöder Schnauze halten - habe sie doch
selber reichlich Butter auf dem Kopfe. Da er sich zunächst
nicht näher ausdrückte, vermutete ich eine Kenntnis von dem
oben erwähnten zwischen „Türundangelgetriebe“. Ich wollte
der Sache auf den Grund gehen und stachelte ihn auf, mit
seinem Wissen nicht hinter den Berg zu halten. Es ist allemal
besser, den Inhalt des gegnerischen Köchers zu kennen, als
mit allerlei Spekulationen im Dunkeln zu tappen. Schließlich
rückte er heraus: die Klägerin unterhalte selber seit Jahr und
Tag ein schandbares Verhältnis zu einer anderen Frau, die in
ihrer Dreistigkeit so weit gehe, sich allnächtlich im ehelichen
Bette des Herrn R vorzufinden.
Die Empörung meiner Klientin manifestierte sich in einem
so leidenschaftlichen Ausbruch, dass mir der fürchterliche
Verdacht kam, Herr R hätte die Wahrheit gesprochen. Mit dem
Vorwand, die Klägerin zu beruhigen, erbat ich eine
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Unterbrechung der Verhandlung und begab mich mit ihr vor
den Gerichtssaal. Unter Zuhilfenahme einer Schocktherapie,
vorgetragen im erhobenen Baß, war der hysterische Ausbruch
augenblicks gestoppt. Mit entschuldigendem Lächeln gestand
sie alles ein, bat um Verständnis, dass sie sich mir gegenüber
geniert hätte, die Wahrheit zu sagen, doch möge ich sie nun
nicht im Stich lassen. Zwar hatte ich gut Lust, meinen Hut zu
nehmen. Andererseits ist es nicht meine Art, ein halbgeleertes
Glas stehen zu lassen. So überdachte ich die Situation und
mußte mir eingestehen, dass die in Rede stehende Ehe nicht
eine solche im Sinne des Erfinders war. Also kehrte ich in den
Gerichtssaal zurück, spielte den starken Mann und beantragte
die zeugenschaftliche Einvernahme des Hausfreundes. Ich
verabsäumte nicht, durchblicken zu lassen, dass dessen
Umtriebe im Hause R keineswegs von eingleisiger Art seien.
Dabei spekulierte ich gewiß nicht zu Unrecht, dass Herr R
seinem Sportsfreund ungesäumt den Verhandlungsverlauf
berichten würde, und dass selbiger, nur wenig Neigung zur
Zeugenschaft verspürend, alles daransetzen würde, eine
nächste Verhandlung überhaupt zu verhindern. Da sollte ich
mich nicht getäuscht haben.
Der Richter erstreckte die Verhandlung zur Ladung des
genannten Zeugen. Noch ehe es zu einer solchen kam,
erklärte Herr R bereits seine vollständige Einwilligung zur
Scheidung, sodass die nächste Verhandlung lediglich eine
Formsache war. Auf die Einvernahme des Hausfreundes
konnte verzichtet werden.
Nach vollbrachtem Werke herrschte auf dem Gerichtsgang
eine ausgesprochen gelöste Atmosphäre. Man scherzte und
lachte und gab sich heiter. Da wollte auch ich an der Freude
teilhaben und fragte beide nunmehr geschiedenen Ehegatten,
wie denn die Sache weitergehe. Ganz einfach, meinte meine
Mandantin. Sie werde mit ihrer Freundin eine
Ehegemeinschaft begründen und Herr R mit seinem Freund.
Bedauerlicherweise stünde der staatlichen Sanktionierung ein
rückständiges Gesetz entgegen.
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Wer denn nun wo der Mann und wer die Frau sei, wollte ich
in ernstem aber scherzhaft gemeinten Tone wissen. In
durchaus ebenso ernstem Tone erwiderte meine Klientin, sie
sei in ihrem neuen Hausstand der Mann und er in dem
seinigen die Frau. Ein perfekter Rollentausch also, und das
Ganze ohne Operation. Ich kam mir direkt von der Natur
benachteiligt vor.
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NACHWORT
Geschrieben 1980