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Fischbrötchen in Friedrichstadt

Wie streng man als Calvinist der Überzeugung


ist, dass die Festigkeit des Glaubens an Gott zum
Heil des Menschen führt, mag heutzutage nur
noch Theologen oder Historiker zu Streitge-
sprächen verleiten. Anfang des 16. Jahrhunderts
konnten solche Dispute dazu führen, dass Städte
gegründet wurden.
Herzog Friedrich III. aus dem Hause Schleswig-
Holstein-Gottorf gründete jedenfalls 1621 süd-
östlich von Husum zwischen Treene und Eider
das Städtchen Friedrichstadt und warb um die
holländischen Remonstranten, die sich um diese
Zeit mit anderen Calvinisten um den richtigen
Glauben stritten. Diese folgten der Einladung des
Herzogs und brachten neben ihrem Glauben auch
gleich die holländische Lebens- und Städtebauart
mit.

In einer geplanten Stadt verlaufen die Gassen wie


die Straßen in Manhattan, nämlich rechtwinklig
zueinander. Aber sonst hat Friedrichstadt wenig
mit Manhattan zu tun, sondern eher mit der Am-
sterdamer Altstadt, etwas, was man in New York
vergebens sucht. Altstädtisch kragen in Friedrich-
stadt Stufengiebel in die Gassen hinein. Parallel
zu einigen Gassen verlaufen Grachten. Es ist
schwer, beim Gang durch den Ort nicht der Illu-
sion zu verfallen, in Alkmaar, dem Geburtsort
von Rudi Carell, zu sein. Es fehlt nur noch, dass
Käse durch die Straßen getragen wird.

Bei unserer Ankunft schließt der Wochenmarkt.


Ein großer Käsestand hat noch geöffnet. Die Ge-
legenheit ist günstig, um übergroße Mengen an
Schafs- und Ziegenkäse der verschiedensten Art
zu erstehen, wobei sich länger hinziehende Ge-
spräche der käsefachlichen Art entwickeln. Die
Mahlzeiten der nächsten Tage werden eine beson-
dere Gewichtung zu Molkereiprodukten hin aus-
halten müssen. Die Oktobersonne ist freundlich
und macht tolerant wie der ursprüngliche Glaube
der Remonstranten. Diese gibt es allerdings kaum
noch.

Dafür wird Friedrichstadt in holländischen Häu-


sern von toleranten und freundlichen Schleswig-
Holsteinern bewohnt, die auch Läden mit Fisch-
brötchen zulassen. Hungrig betreten wir einen
solchen Laden. Während wir auf die Zubereitung
der Mahlzeit warten, können wir ulkige Schilder
an der Wand lesen, zum Beispiel: »Wenn Klug-
scheißer fliegen könnten, wäre das hier ein Flug-
platz.« - Wir halten den Mund und machen keine
Gesten, die als Flugbewegung missdeutet werden
könnten.

Die Fischbrötchen nehmen wir mit und essen sie


irgendwo in Friedrichstadt. Ein Mann geht vorbei
mit einer Leinentasche und der Aufschrift: »Nun
schicke ich meine Leute nach Friedrichstadt, und
was bringen sie mit? Diese Scheißtasche.« - Der
zusammengeklappte Käsestand wird von einem
Geländewagen gezogen an uns vorbeigefahren.
Auf der Rückseite steht: »Käse-Uschi kommt.« -
Nein, sie fährt weg. Käse-Uschi hat Feierabend.

Fotos Ulrike Kirsch

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