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Dieser opportunistische Kaffeehaus-Schreihals

Maxim Biller
04. Januar 2009
Das Arschloch Thomas Bernhard, und das sage ich, obwohl ich ungern schlecht über T
ote rede, das Arschloch Bernhard hat ziemlich sicher nur ein einziges gutes Buch
geschrieben. Dieses Buch erscheint erst jetzt, obwohl er es schon 1980 geschrie
ben hat, und es zeigt, was für ein Arschloch er war, und vielleicht wollte er daru
m nicht, dass es erscheint, solange er noch lebte - und wenn ich wollte, könnte ic
h in diesem einschläfernden, alles und nichts sagenden Thomas-Bernhard-Ton endlos
weitermachen, denn nichts ist einfacher, als so zu schreiben, ich meine, gedanke
nlos einen Satz an den anderen zu hängen, lauter Sätze, die sich gleichen und doch i
mmer wieder ein bisschen verändern, denn genauso geschieht es auch im Kopf eines S
chriftstellers beim Schreiben, und wenn man, sagen wir, Isaak Babel oder Junot Día
z heißt, sucht man sich schließlich den besten dieser sich so sehr ähnelnden Sätze herau
s, aber das ist natürlich mehr Arbeit, als alle diese Sätze, so wie Thomas Bernhard
es machte, einfach hinzuschreiben, damit sich der Leser den besten davon aussuch
t.
Und wenn man dabei auch noch wie das große, faule, provinzielle, österreichisch-deut
sche Arschloch Bernhard hier einen Maler, Politiker, Schriftsteller als Riesenar
schloch beschimpft und dort eine Stadt als provinziell und kulturlos und österreic
hisch oder deutsch, dann hat man sowieso die Leser auf seiner Seite, die glauben
, dass sie selbst keine kulturlosen, provinziellen österreichischen oder deutschen
Arschlöcher sind, also alle, also auch die Österreicher, also auch die Deutschen, u
nd das Wichtigste ist, seinen Hass nicht mit Argumenten zu untermauern und mit B
egründungen zu begründen, so wie es der polternde, grummelnde, opportunistische Kaff
eehaus-Schreihals Thomas Bernhard klugerweise auch nie getan hat, denn sonst hätte
sich wirklich mal jemand von ihm getroffen gefühlt und nicht bloß literarisch erwähnt
und geschmeichelt, und zwar zu Recht, und dann hätte der Oberheuchler Bernhard ni
emals zwischen Flensburg und Linz als Oberschriftsteller gegolten, und außerdem is
t so was sowieso nie die Aufgabe deutscher Dichter und Denker gewesen, ich meine
, ihre eigenen Leute grundsätzlich durcheinanderzubringen und ihre Lebenslügen in Fr
age zu stellen und so weiter. Aber das ist mir egal, und darum will ich, ein nic
ht ganz so deutscher Dichter und Denker, versuchen zu erklären, warum ich Thomas B
ernhard nicht ausstehen kann, tot oder lebendig, und zwar anhand des ziemlich si
cher einzigen guten Buches von ihm. Und damit mir das gelingt, muss ich zuerst b
egründen, warum es so gut ist.
Ja - warum eigentlich? Die ungewöhnlich leicht und unredundant und unverspannt und
ungestelzt und auch sonst nicht besonders bernhardesk erzählten autobiographische
n Geschichten in „Meine Preise“ (Suhrkamp 2009, 15,80 Euro) handeln davon, jedenfall
s auf den ersten Blick, wie unangenehm es für Thomas Bernhard immer war, für seine A
rbeit als Schriftsteller einen Preis zugesprochen zu bekommen - und ihn dann auc
h noch anzunehmen. Das klingt schon mal nach einem verdammt uninteressanten inte
ressanten Thema, und das ist es auch. Und es klingt widersprüchlich, verlogen, opp
ortunistisch und dadurch hochliterarisch - und das ist es ebenfalls. Doch bevor
man anfängt, Bernhard dafür zu hassen, dass er nein denkt, aber ja sagt, merkt man,
dass es in diesem so angenehm thesenlosen und dafür umso erzählerischeren Erinnerung
sband nicht nur darum geht, was für ein Heuchler er war, sondern auch, was für ein g
roßes Abenteuer es ist, Schriftsteller zu sein, obwohl man meistens allein an sein
em Schreibtisch sitzt, auch als Heuchler, gerade als Heuchler.
Jeder Preis, den Thomas Bernhard in seinem Leben bekam, hatte seine Geschichte,
und die war mal tragisch, mal komisch, mal beides. Einmal starb der einzige erträg
liche Mensch, der nach einer Preisverleihung beim Essen neben ihm saß und so viel
lebendiger und interessanter war als jeder Kritiker oder Kulturbeamte, zwei Woch
en später, genauso wie Bernhards vertratschter Verleger es flüsternd prophezeit hatt
e, und dass der Tote, der Präsident der Salzburger Handelskammer, Bernhard dreißig J
ahre vorher die Prüfung als Kaufmannsgehilfe abgenommen hatte, gab der Sache einen
ungewohnt menschlichen, melancholischen, unbernhardhaften Scott-Fitzgerald-Touc
h. Ein anderes Mal kaufte sich Bernhard eine halbe Stunde vor dem Festakt einen
sehr teuren Anzug, den ersten seit einem Vierteljahrhundert, bei „Sir Anthony“, am G
raben, und dann ging er in die Akademie, nahm genervt und beleidigt, weil er nic
ht so beachtet wurde, wie er beachtet werden wollte, der Doppelmoralist, den Gri
llparzerpreis entgegen, bei dem es nicht einmal Geld gab. Eine halbe Stunde dana
ch tauschte er den Anzug bei „Sir Anthony“ sofort wieder um, weil er sich vor lauter
Nervosität in der Größe verschätzt hatte, so dass irgendwann später irgendjemand anderes
diesen Anzug kaufte, der schon mal mit Thomas Bernhard beim Grillparzerpreis war
. Wie absurd, wie komisch - und mehr Kafka als Bernhard.
Am ergreifendsten und poetischsten und am wenigsten Bernhard ist aber die Geschi
chte von Bernhards weißem Triumph Herald mit den roten Ledersitzen. Damals, es war
das Jahr 1964, schwamm der Prosa-Parvenü Bernhard noch mitten in der postnatalen
Euphoriewelle, die man nach jedem zu Ende geschriebenen Roman hat, vor allem, we
nn es der erste ist, und das war „Frost“. Und dann kam auch noch der Julius-Campe-Pr
eis! 5000 Mark, 35 000 Schilling, keine feierliche Zeremonie, keine Reden von Id
ioten, keine Rede für Idioten, kein Händeschütteln, nur eine Reise nach Hamburg, das e
r immer schon liebte, weil man ihn dort schon immer liebte, im Gegensatz zu Salz
burg und Wien, und in Hamburg also den Scheck bei Hoffmann & Campe abholen, im V
erlag des von ihm vergötterten Heinrich Heine. Dies war ein Preis - der einzige in
seinem Leben -, den Thomas Bernhard mochte und wollte. Kaum war er wieder zurück
in Wien, sah er im Schaufenster des besten Autohauses der Stadt einen besonders
schönen Wagen, der genau 35 000 Schilling kostete. Er kaufte den kleinen, weißen, st
olzen Triumph auf der Stelle und liebte ihn, wie andere Menschen Menschen lieben
.
Er fuhr damit am gleichen Tag fast bis nach Ungarn, und dann fuhr er wieder zurück
und zeigte das Auto stolz seiner seltsamen Tante, die gar nicht seine Tante war
, sondern nur 35 Jahre älter als er und sein „Lebensmensch“, wie er sie nannte, und ge
nauso nannte neulich der Liebhaber von Jörg Haider den dreißig Jahre älteren Jörg Haider
nach seinem tödlichen Autounfall, und ob das etwas darüber sagt, ob Thomas Bernhard
auch sexuell ein Heuchler war und nicht nur moralisch-literarisch, ist eine and
ere Geschichte - oder auch nicht. Danach fuhr Bernhard mit der „Tante“ und dem Trium
ph nach Lovran, nach Kroatien, und dort schrieb er schnell die Erzählung „Amras“. Wenn
er nicht schrieb, bestieg er in Turnschuhen und Sommerhose und kurzärmeligem Hemd
den Monte Maggiore oder fuhr mit dem Triumph an der Mittelmeerküste spazieren und
„war so glücklich wie noch nie“. Fünf Tage, nachdem er das Manuskript von „Amras“ nach Fra
kfurt geschickt hatte, kam ein Telegramm aus Frankfurt: „,Amras' hervorragend, all
es in Ordnung.“ Jetzt war er noch glücklicher und fuhr singend nach Rijeka, und auf
dem Rückweg fuhr ihm ein dämlicher Jugoslawe seinen schönen Triumph total kaputt, und
Bernhard blutete so stark am Kopf, dass er dachte, das ist das Ende, auf das er
sich seit seiner Kindheit eingestellt hatte.
Seitdem, schreibt er, war nichts mehr, wie es vorher war in seinem Leben, obwohl
„Amras“ erschien und gelobt wurde, obwohl die Versicherung ihm einen neuen Triumph
bezahlte, obwohl er danach noch oft an die grünblaue Küste von Kroatien fuhr. Man gl
aubt es ihm, absolut, bis in die tiefsten metaphysischen Nervenspitzen, man fühlt
es, man will so was schrecklich Schönes selbst auch einmal erlebt haben, und man d
enkt, ganz schön Dostojewskij, dieser Bernhard, wenn er sich nur anstrengt.
Ja, es ist wirklich sehr aufregend, ein Schriftsteller zu sein - vor allem wenn
man so talentiert und mutlos ist wie Thomas Bernhard. Womit ich beim Bremer Lite
raturpreis wäre. Diesen Preis - es ist das Jahr 1964 - hasste Thomas Bernhard ganz
besonders, allein schon wegen der sterilen Kleinstadt Bremen und ihrer kleinbürge
rlichen Großbürger, von denen er ihn entgegennehmen sollte. Und dann saß er auch schon
in diesem spießbürgerlichen Bremen im Hotel, und ein paar Bremer Bürgermonster kamen,
um ihn zur Preisverleihung abzuholen. Er fühlte sich, sagt er, schreibt er, als füh
rten sie ihn „zu einer Gerichtsverhandlung“ ab. „Sie hatten ihren Häftling in die Mitte
genommen und waren mit ihm vom Hotel in die Stadt hineingegangen ins Rathaus“. Wer
fragt sich nicht an dieser Stelle, warum Bernhard auf Josef K. machte und mitgi
ng. Wäre es so schwer gewesen, nein zu sagen? Hätten sie ihn erschossen? Aber der gr
ummelnde Heuchler und Mitläufer und Schein-Widersprecher Bernhard hatte bei jedem
Preis, den er hasste, aber annahm, eine Begründung gefunden, warum er sich in sein
Preisträgerschicksal zu fügen hatte. Meistens war es natürlich wegen des Geldes, weil
er gerade Schulden bei seinem Lektor hatte oder er noch ein Haus kaufen wollte,
und den Büchnerpreis akzeptierte er nur deshalb, denkt er, sagt er, schreibt er,
weil die „Tante“ am selben Tag Geburtstag hatte wie Büchner, und den Österreichischen St
aatspreis nahm er nur an, weil sein geliebter Großvater, der heimatliche Schwachsc
hreiber Johannes Freumbichler, ihn auf den Tag genau dreißig Jahre zuvor bekommen
hatte, und so weiter.
Ein Jahr nach Bremen musste Thomas Bernhard wieder nach Bremen, jetzt war er sel
bst Mitglied in der Preisjury, und als er Elias Canetti vorschlug, sagte jemand
am Tisch, um seine Ablehnung zu begründen: „Der ist ja auch Jude“, und das war es. End
lich! Endlich konnte der große Held und Arschlochbeschimpfer und Mitläuferverächter Th
omas Bernhard zeigen, was für ein anständiger Mensch er selbst war. Aber er sagte ni
chts, gar nichts, er „zog es vor, mich an der weiteren Debatte überhaupt nicht zu be
teiligen“, dieser beschissene, feige Mitläufer, der er selbst war - und das ist noch
nicht alles. Als er drei Jahre darauf beim Österreichischen Staatspreis - dem ver
dammten Kleinen Staatspreis, denn wenn schon, dann hätte er natürlich lieber den Große
n Staatspreis bekommen, weil den Kleinen bekamen nur „Arschlöcher“, wie er in „Meine Pre
ise“ seitenweise seine jüngeren Kollegen beschimpft -, als er vom Kulturminister als
„ein in Holland geborener Ausländer, der unter uns lebt“ beleidigt wurde, stand er eb
enfalls nicht auf und widersprach nicht oder ging raus, obwohl er am liebsten de
n Minister geohrfeigt hätte. Und das ist immer noch nicht alles!
Als Nächstes kam der Anton-Wildgans-Preis, und weil derselbe Kulturminister seine
Teilnahme an dieser Preisverleihung aus natürlicher Bernhard-Aversion abgesagt hat
te, wurde die ganze Zeremonie abgesagt, und das fand der große Allesverneiner Thom
as Bernhard noch viel schlimmer als die Sache mit dem Ausländer beim verfluchten K
leinen Staatspreis, eine „Schweinerei“ fand er das, ja, genau. Dann traf er im Kaffe
ehaus seinen Freund Gerhard Fritsch, den Schriftsteller und Mitglied in der Anto
n-Wildgans-Preis-Jury, und forderte ihn auf, Zivilcourage zu zeigen und wegen de
r „Schweinerei“, die ihm angetan wurde, aus der Jury auszutreten. Aber Fritsch sagte
, das könne er nicht, er brauche das Geld für seine vielen Frauen und Kinder. Und al
s was beschimpfte daraufhin Bernhard den Fritsch, der genau wie Bernhard seinen
Opportunismus so gut und spießbürgerlich zu begründen wusste? Als inkonsequent und arm
selig. Aha, natürlich, danke. „Nicht lange nach dieser Unterredung“, beendet Thomas Be
rnhard die Anton-Wildgans-Preis-Geschichte in „Meine Preise“ mit einer Kälte, hinter d
er sich der hitzige Gedanke verbirgt, der verlorene Freund und Verräter habe es ni
cht anders verdient, „hat sich Fritsch an dem Haken seiner Wohnungstür aufgehängt. Sei
n von ihm selbst verpfuschtes Leben war ihm über den Kopf gewachsen und hatte ihn
ausgelöscht“. Ja, was für ein bigottes, katholisches, larmoyantes Mitläufer-Arschloch, d
ieser Thomas Bernhard!
Ich glaube, der verlogene Held unseres verlogenen Bildungsbürgertums war in keinem
seiner Bücher so ehrlich wie in „Meine Preise“. Das gehört aber immer dazu, wenn man ei
n großer Schriftsteller sein möchte. Endlich versteckte er sich nicht hinter seinem
fast schon kolumnistenhaften, unliterarischen, unbegründbaren Hass auf andere und
hinter seinem allesverdunkelnden, redundanten Schleifenstil, der den Leser so la
nge einlullt und hypnotisiert, bis der gar nicht mehr weiß, was er liest, außer, das
s er liest, und das ist etwas, was deutsch sprechende und deutsch nichtdenkende
Halbdenker immer am liebsten machen, also so tun, als ob - als ob sie die Litera
tur lieben, als ob sie verstehen wollen, was sie lesen, als ob sie die Welt schöne
r, wahrer, besser machen wollen. Auf dieser Lüge basierte schon immer die ganze an
tiaufklärerische Hölderlin-, Thomas-Mann- und Rainald-Goetz-Verschwörung, und wer mir
das Gegenteil beweisen kann, bekommt von mir den Ilf-und-Petrow-Preis und zehn R
ubel.
In „Meine Preise“ hat Bernhard endlich einmal mit diesem deutschen Bildungbürgerkonsen
s gebrochen, er hat erzählt, wie es wirklich war und wie es ist, er hat die Wahrhe
it gesagt, nichts als die Wahrheit, auch und gerade über sich und seine Heuchelei
und Schwäche, was er sonst nie tat, und darum ist dieses Buch so gut, so sehr LITE
RATUR und REALITÄT in einem, und darum erkennt man, wenn man es liest, wie beschis
sen und verlogen und unliterarisch seine anderen Bücher waren. Ihm selbst ist einm
al die ganze Wahrheit rausgerutscht, seine eigentliche Poetik sozusagen, er hat,
wenn man so will, gegen die deutsche Künstler-Omertà verstoßen, und er hat allen, die
es verstehen wollten, verraten, wie seine so raffiniert weltabgewandte Un-Liter
atur funktioniert. Das war in seiner Rede zum Büchnerpreis, den er natürlich annahm,
was sonst. „Was wir veröffentlichen“, sagte er dort, „ist nicht identisch mit dem, was
ist, die Erschütterung ist eine andere, die Existenz eine andere.“ Wenn Saul Bellow,
Denis Johnson oder Pasternak das hören würden, würden sie nicht glauben, dass es eine
Sprache auf der Welt gibt, in der man sich trauen kann, ein solches irreguläres,
unehrliches, dämliches, ängstliches, amateurhaftes Literaturkonzept zu formulieren,
ohne vom Podium verjagt zu werden.
Ich schwöre - das wollte ich übrigens auch noch schnell sagen, denn ich selbst bin a
lles andere als ein Mitläufer mit geballter Faust in der Tasche -, ich schwöre, ich
werde niemals einen Literaturpreis annehmen. Außer natürlich meine Tochter sagt, sie
will nach der Schule unbedingt nach Harvard, und wir brauchen das Geld.
Text: F.A.S.

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