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Emilias Abenteuer

Ipupiara

Peter Niederer

Für Meine Tochter Mira zu Weihnachten 2006

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Kapitel 1 Altes Pergament

Mitten im Urwald Brasiliens, umgeben von der immergrünen Wildnis des


Dschungels, lag eine kleine Siedlung. Dort lebte eine liebevolle Mutter mit
ihren zwei Kindern und ihrem Mann. Die Mutter hiess Emilia. Vor vielen
Jahren hatte sie im Indianerdorf Uwattibi manch gefährliches Abenteuer
durchgestanden, doch nun lebte sie an diesem friedlichen Ort in einem
kleinen, schönen Haus.

An ihrem Haus hatte Emilia ganz besonders Freude, denn sie hatte es
zusammen mit ihrem Mann und Freunden aus der Siedlung selber gebaut. Das
Haus war klein und bot gerade genug Platz um darin zu wohnen, doch war es
umgeben von einer grossen, gedeckten Veranda und dies gab der Familie viel
geschützten Platz um ihr tägliches Leben weitgehend im Freien verbringen
zu können.

Emilias Lieblingsplatz auf dieser Veranda war ihr Schaukelstuhl. Von dort
genoss sie den herrlichen Rundblick weit in den tiefen Urwald hinein, und sie
genoss es, mit ihrer Familie in diesem Haus in Brasilien zu leben. Emilias
Kinder hiessen Juanita und Thiago. Juanita war 9 Jahre alt und schon ganz
schön gross und schlau. Thiago, das war ihr kleiner Bruder, 2 Jahre alt und
ein Lausbub, wie es fast alle Buben in diesem Alter sind. Aber er war ein
lieber Lausbub und Juanita hatte grosse Freude an ihrem Bruder.

Eines Tages kamen die zwei Kinder eifrig mit einem riesigen Pergamentpapier
angerannt.„Meine lieben Kinder, Juanita - Thiago“, staunte Emilia, „was trägt
ihr denn da in euren Händen?“. „Mami, Mami, schau mal, ein grosses Papier,
ein Pergamet, es lag auf dem Dachboden“. Emilia lächelte überrascht. „Habt
ihr mein altes Pergament gefunden?“, wunderte sie sich, „das Pergament?“.
„Ja schau mal“, ereiferte sich Juanita, „schau mal Mama, ein Pergament.
Schau mal, wie schön es ist“. „Ja dieses Pergament“, erinnerte sich Emilia,
„dieses Pergament ... - einen grossen Teil meiner Zeit habe ich damals im
Indianerdorf mit diesem Pergament verbracht“.

„Ihr kennt es ja, das Indianerdorf Uwattibi“, sprach Emilia weiter, „von
diesem Dorf habe ich euch doch schon öfters erzählt. Seht ihr das Bild auf
dem Pergament? So sah das Dorf damals aus. Ich hatte es als kleines
Mädchen gezeichnet“, „Oh sööön“, freute sich Thiago, der inzwischen auf das

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eine Bein von Emilia gekraxelt war. Das andere Bein hatte sich Juanita zum
draufsitzen gewählt. So sassen die drei eng beisammen und bestaunten die
vielen Zeichnungen und Schriftzeichen auf dem Pergament.

„Es ist später Nachmittag“, erklärte Emilia ihren Kindern, „eigentlich wollte
ich jetzt das Abendessen zubereiten. Es gibt Eier Pfannkuchen und
Honigfrüchte“. „Mhhh fein, mhhh fein“, leckte sich Thiago die Lippen. „Nein
bitte, erzähl uns was vom Pergament“, wünschte sich Juanita, „bitte Maija,
erzähl uns vom Pergament“. „Ja aber euer Papa kommt schon bald und wird
Hunger haben“. „Nein bitte, erzähl uns was, bitte, bitte“, drängte Juanita.

„Ist Koo, ist Koo, Muh, Muh, dicke Schwanz“, plapperte Thiago und staunte
auf das Pergament. „Aber das ist doch keine Kuh“, lachte Juanita, „lieber
kleiner Thiago. Du bist auch eine Kuh. Thiago Muuh, Thiago muuh“. „Muuuh,
Muuh“, antwortete Thiago und zeigte mit seinem kleinen Zeigefinger aufs
Pergament, denn er glaubte steif und fest, dass die Zeichnung auf dem
Pergament eine Kuh darstellen würde. „Schau mal Thiago“, erklärte Juanita,
„deine Kuh auf dem Pergament hat ja einen Fischschwanz und keinen
Kuhschwanz. Sag mal Maija, was ist das für ein schreckliches Tier?“.

„Ich sehe schon“, seufzte Emilia, „jetzt Abendessen zubereiten zu wollen


hat keinen Sinn. Also ich erzähl euch ein bisschen was von der Geschichte.
Aber nur eine Viertelstunde lang, dann gehe ich kochen“. Emilia hielt das
Pergament vor sich. Sie zitterte leicht in ihren Händen. „Was hast du Maija,
was hast du?“, fragte Juanita besorgt und sah Tränen in den Augen ihrer
Mutter. Doch sie sah auch das feine, wehmütige Lächeln in Emilias
Mundwinkeln. So begann Emilia auf dem Pergament zu lesen:

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„Hüa, hüa, komm mein Pferd, komm meine liebe Rosabranca, komm zu mir,
komm zu Emila“, rief das Mädchen Emilia ihrer weissen Stute zu. Einen
Augenblick später stand Rosabranca vor Emilia. „So viele fremde Leute sind
heute nach Uwattibi gekommen“, erklärte Emilia, während sie ihr Pferd
sattelte, „des Indianerkönigs Ajun Bebe hochwohlgeborene Botschafter,
alles noble Indianer. Und dann die Aufregung, was sie wohl zu berichten
haben. Meistens erzählen die sowieso nur so langweiliges Zeugs, nur für
Erwachsene. Ach komm, Rosabranca, das kann ja nicht so wichtig sein. Ich
ziehe meine Indianerfedern über und dann gehen wir ans Meer“. Abare, dem
Papagei brauchte Emilia keine zwei mal zu rufen. Schon kam er
herbeigeflogen und hatte auf Rosabrancas Sattelholm Platz genommen. .
„Kraah, kraah“, grüsste Abare, „Kraah, kraahh, Abare Meer, krahhh, Abare
baden, kraaah, Wasser kalt, buuuaa, kalt, Wasser kalt...krahh, kraaah“. Emilia
lächelte. „Lieber Abare, du brauchst ja nicht baden gehen im Meer, wenn du
nicht willst“, meinte sie liebevoll zu ihrem Papagei. Darauf ging der Ritt los.

Emilia gefiel das Leben im Indianerdorf. Sie war ein Mischlingsmädchen, halb
Indianerin, halb Europäerin. Früher da lebte sie in einer grossen Stadt, in
Porto. Porto gehört zu einem Land, das heisst Portugal und liegt auf der
anderen Seite des Grossen Wassers, das die „Newe Welt Prasilien“ vom alten
Europa trennt. Vor etwas mehr als zwei Jahren, im Jahre 1533, hatten sich
Emilia, ihr Bruder Kevin und ihre Mutter Silivia aufgemacht, auf einem
Segelschiff von Portugal nach Brasilien zu reisen. Dies hatte seinen guten
Grund. Emilias Vater Luiz wurde nämlich ein Jahr zuvor im Urwald Brasiliens
von Räubern gefangen und die drei wollten mithelfen, ihren Vater zu
befreien.

Auf ihrer langen Reise lebten sie nun schon seit vielen Monden im
Indianerdorf Uwattibi, wo Emilias Mutter als Kind aufgewachsen war. Wenn
auch das Leben im Indianerdorf schön war, Abwechslung gab es nicht viel. Es
geschah fast jeden Tag dasselbe und Emilia wäre doch so gerne wieder zur
Schule gehen, wie damals in Porto. Nur Schule gab es im Indianerdorf weit
und breit keine. Und am heutigen Tag, da waren noch Botschafter des
Indianerkönigs ins Dorf gekommen und die redeten nur so Zeugs für
Erwachsene und sowas fand Emilia doppelt langweilig. Da war ein Ausritt ans
Meer schöner.

Eine Zeit lang ritten die drei einem Bach entlang. Hie und da konnte Emilia

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Fische im Wasser sehen, grosse, lange Lachsfische. „Nehmt euch bloss in
Acht“, warnte Emilia die Fische, „nehmt euch in Acht, dass euch keine
Piranhas Raubfische anschleichen. Sonst machts ‚Wuddrrrr’ und von euch ist
nichts mehr da, ausser ein paar Schuppen, die im Wasser schwimmen“. Aber
es nützte nichts. Die Lachse hörten Emilia nicht zu und schwammen weiter,
und - Piranhas haben halt manchmal einfach Hunger. Das ist so in der Natur.

Schon bald wurde der Boden sandig und nicht weit vor Emilia war das weite
Meer zu sehen. Kräftige Wellen schlugen an die hohen Steine der Küste.
Einige Felsen ragten am Strand empor, doch dazwischen lagen
Meeresbuchten mit feinstem Sandstrand. „Komm Rosabranca, hier bleiben
wir eine Weile und geniessen die Ruhe am Meer“. Abare flog derweil weite
Kreise am Strand und zischte mehrmals an den zweien vorbei, bevor er im
Sand neben Emilia Platz nahm.

Zwei, drei mal schwamm Emilia hinaus und genoss das Bad im warmen,
salzigen Wasser des Meers. Dann wieder lief sie dem Strand entlang und
suchte all die wertvollen Sachen, die es an einem Sandstrand am Meer zu
finden gibt, schöne Muscheln, bunte Steine, verwaschene salzige Hölzer, und
was sonst noch so alles am Sandstrand herumlag. Schliesslich aber legte
Emilia eine Pause ein und blickte lange Zeit hinaus aufs weite Meer.

Emilia blickte aufs Meer und sah das Licht der Sonne im Wasser glitzern.
„Ah das blendet“, stöhnte sie zu Rosabrance, „das ist ja so hell, so enorm
hell“. Emilia hielt sich die Arme vor das Gesicht um sich gegen das grelle
Sonnenlicht zu schützen. „So hell, mir wird schwindlig, was soll das?“,
stöhnte Emilia. Emilia schwankte ein paar Schritte hin und her, bevor sie ihre
Arme wieder vom Gesicht wegnahm. Erneut blickte Emilia aufs Meer hinaus,
doch was sie jetzt sah, liess ihr das Blut in den Adern stocken. Vor ihr lag
ein riesiger Wirbel im Wasser. In tösendem Donnern drehte sich der Wirbel
und verschwand in seiner Mitte in die Tiefe des Meers. „Träume ich oder bin
ich wach?“, wunderte sich Emilia, „ein Wirbel, der das Wasser im Meer
verschluckt?“.

„Banggg“, knallte es sogleich übers Meer und der Wirbel schoss nun aus der
Tiefe empor, mit Surren, Pfeiffen und Heulen, in die Höhe des Himmels. Der
Wirbel bäumte sich vor Emilia zu einem Berg, zu einem zackigen, schuppigen
Berg. „Baaahh“, knurrte eine Stimme tief aus diesem Berg heraus, und der

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Berg nahm allmählich die Form einer dämonischen Gestalt an.

Als nun allmählich das Wasser ins Meer zurück floss, grinste schliesslich ein
Dämonenwesen Emilia hämisch ins Gesicht, eine Dämonenfrau, halb Mensch,
halb Fisch, mit dem Kopf einer Frau und dem Fischschwanz einer
Meerschlange.

Emilia blickte ängstlich empor „Wer, wer bist du?“, fragte sie mit leiser
Stimme. „Hua, hua, hua, du kennst mich nicht? Ha ha, ich bin Ipupiara, die
Dämonin des Wassers“, antwortete sogleich das Unwesen, „.ich fresse alle
Indianermädchen, die sich alleine ans Meer wagen“. „Ich bin aber nicht
alleine“, wehrte sich Emilia und zeigte neben sich auf ihr Pferd, „da schau,
Rosabranca, mein Pferd ist auch bei mir“.

Ipupiara riss ihre Augen auf und glotzte auf Rosabranca hinunter. „Fress ich
auch gleich“, fauchte sie durch die Haifischzähne ihres Rachens. Dazu
streckte Ipupiara ihren langen Fischschwanz hinter sich in die Höhe, bereit,
jeden Moment damit zuzuschlagen. Ihr Oberkörper aber, den sie vorne nach
oben streckte, war von menschenlicher Gestalt, mit kräftigen Armen und
starken Schultern. Aus ihrer grimmigen Dämonenfratze blickte sie mit
feurigen Augen drohend zu Emilia hinunter.

Emilia rannte drauf los und wollte fliehen. Doch Ipupiara schlug mit ihrem
haushohen Fischschwanz aufs Wasser ein, sodass eine Sturmesgischt Emilia
in den Sand warf. „Ha, ha, mir entkommst du nicht“, schimpfte Ipupiara. Sie
griff mit ihren kralligen Fingern nach ihrem Dämonenstab, nach ihrem
Dämonenstab, der aus dem Sägeblatt eines Sägezahnfisches geschmiedet
war und zuvorderst, da steckte ein lebendiger Fischkopf darauf, der Kopf
eines gierigen, gefrässigen Riesen-Prianhas.

„Gsch, gsch, kä, kä kä“, klapperte und fauchte das Gebiss des Riesen-
Piranhas auf Emilia los. „Rosabranca, rette dich, rette dich“, rief Emilia zu
ihrem Pferd. Rosabranca wieherte und versuchte davonzurennen. Doch schon
schlängelte sich eine lange Zunge aus dem Mund des Riesenpiranhas um
Rosabrancas hinteres Bein. Nun hatte das arme Pferd keine Möglichkeit
mehr zu entkommen und konnte nicht mehr fliehen. Emilia blickte zurück und
ergriff blitzschnell einen Holzstecken, der neben ihr am Boden lag. Damit
schlug sie auf die Schlangenzunge ein, sodass der böse Fischkopf jaulte vor

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Schmerzen. Zornig glotzte Ipupiara auf Emilia runter. „Wart nur, du kleine
Göre, jetzt kannst du was erleben“, drohte sie hämisch.

Hilflos blickte Emilia nach oben in Ipupiaras feurig rote Augen. Doch Emilia
sah ob sich nicht nur Ipupiaras böses Gesicht, nein, weit oben im Himmel
erblickte sie Abare, ihren treuen Papageienfreund. „Abare, Abare“, rief
Emilia, „hilfee“. „Kraaah, krrahh“, krächzte der Papagei, der zu Emilias
Ueberraschung zwei Bündel scharfer Pfefferschoten in seinen Krallen hielt.
Kühn flog Abare Ipupiara vors Gesicht und warft die Pfefferschoten der
Dämonin in die Augen. „Ahh“, stöhnte Ipupiara schmerzhaft, „Feuerpfeffer,
oh das brennt, uh weeh “. Einen Moment lang zog sich die böse Dämonin
zurück und rieb sich die Augen. Kurz nur, doch Emilia und Rosabranca gelang
es, hinter einen Felsen zu fliehen.

Ipupiara hatte sich schnell erholt. Wenige Sekunden später schon stand sie
wieder da. „Wo seid ihr?“, erzürnte sie sich, „denkt bloss nicht, dass ihr mir
entkommen könnt“. Darauf spie sie wütend Feuer aus dem Rachen ihres
Mundes und schaute sich um. „Da hinter dem Felsen müssen sie sein“, knurrte
Ipupiara und begann um den Felsen herum zu schwimmen. „Nein, nein nur das
nicht“, fürchtete sich Emilia zitternd, doch in dem Moment erschien
unerwartet eine violette Lichtkugel über dem Wasser.

Emilia erkannte das Licht sofort. „Der liebe alte Schamane in seiner
Lichtkugel“, stellte sie erleichtert fest, während sie ihr Pferd an den Zügeln
hielt, „Rosabranca, jetzt ist Hilfe nahe“. Emilia sah einen alten Mann mit
runzliger Haut in der leuchtenden Kugel stehen. Der Alte war spärlich
gekleidet, ein Hüftgürtel, eine kleine Umhängetasche und einige wenige
Lederbänder mit dunklen Federn zum Schmuck. Mehr trug er nicht.
„Ipupiara“, erhob der alte Schamane seine Stimme „scher dich in die Tiefen
des Grossen Wassers zurück, wo du hingehörst, zu den Dämonen der Tiefe
und der Finsternis. Du hast nichts verloren im Land der Indianer“.

„Ha ha ha du alter Mann. Du hast mir nichts zu sagen. Siehst ja krank aus, du
alter Lümmel. Magst nicht mehr Alterchen?“, stänkerte Ipupiara, „die kleine
Indianerin da ..hääär. . sie gehört jetzt mir, die fress ich“. Emilia schaute
zum alten Schamanen. Tatsächlich, er sah schwach aus. Kalter Schweiss lag
auf seiner Stirne. „Du magst mächtig sein Ipupiara“, entgegnete der alte
Schamane, „aber deine Macht ist an den Fluch der Geister der Tiefsee

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gebunden. An Land sind deinen Kräften Grenzen gesetzt. Auch wenn du mich
inzwischen geschwächt hast. Die Kräfte des höchsten Schamanen stehen mir
bei, die Kräfte des Lichts und der Wärme. Nimm dich in Acht, Ipupiara“.

Ipupiara grinste hochmütig und streckte ihren Fischarm nach vorne. „Kräfte
des Lichts und er Wärme? Päh, dass ich nicht lache! Willst du etwas sehen
und etwas spüren, etwas helles und warmes, du alter Knacker?“, fragte
Ipupiara, „siehst du die Dämonenkugel in meiner Hand, du alter
Schamanenlümmel?“. Eine giftig gelbe Feuerkugel stieg aus Ipupiaras Hand
auf. Heisses Wasser brodelte aus dieser Kugel und Ipupiara warf das feurige
Geschoss mit voller Wucht auf den alten Schamanen los. Blitzschnell hob der
alte Mann die Hand und liess einen Lichtstrahl hervorschnellen. Ipupiaras
Kugel wurde zurückgeworfen, doch die Kräfte der Dämonenkugel warfen den
Schamanen hart zu Boden. „Hast du dich verletzt?“, fragte Emilia besorgt,
„kann ich dir helfen?“.

Der Schamane kniete kraftlos am Boden, blickte zu Emilia und stöhnt leise:
„Das Zauberkraut, schnell, gib mir das Zauberkraut aus meiner Tasche. Dort
drüben liegt sie. Schnell, hol sie mir, bevor es zu spät ist. Ich mag nicht
mehr“. Emilia rannte drauf los, doch schon stand wieder Ipupiara neben ihr
und begann mit ihren Krallen nach ihr zu greifen. Doch auch Abare blieb
nicht untägtig. „Kraah, kraah“, kam Abare nochmals mit einer Ladung
Pfefferschoten angeflogen: „Kraah, kraaah, blöde Ipupiara, kraah, kraaah,
kleine doofe Ipupiara, krahh krahhh kraaah“. Sowas hörte Ipupiara gar nicht
gerne. „RRrrggghhhh, warte nur du Vögelchen“, knurrte sie wütend und liess
sich ablenken, „du Vögelchen. Jetzt kannst du was erleben. Möchtest wohl
gerne ein Bratvögelchen werden, du dummes kleines Ding da, schmeckst
bestimmt nicht schlecht, hä hä hä“. Ipupiara machte Fäuste und spie feurige
Rauchwolken aus ihrem Rachen in die Höhe. Doch Abare flog noch höher und
neckte Ipupiara: „kraah, kraaah, blä blä blä“, bevor der brave Papagei zum
Sturzflug ausholte une eine weitere Salve Pfefferschoten der Dämonin
blitzschnell in die Augen warf.

Emilia konnte ein Kichern nicht verklemmen, doch rannte sie nun so schnell es
ging zur Tasche. „Das Kraut, das gelbe Kraut“, rief der Schamane mit letzter
Kraft. Emilia war schnell im Rennen. Im nu hielt sie die Tasche in den Händen
und war zum Schamanen zurückgekehrt. Der alte Schamane zog ein gelbes
Kraut aus seiner Tasche hervor. „Hier du böse Ipupiara, das Kraut der

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Urwaldfee“, rief er, so laut er noch konnte.

Auf der Stelle stand Ipupiara still vor Schrecken. „Waaass, Woo? Neiiiiin,
das kann nicht sein, woher, woher hast du das? keine gelbes Feenkraut,
ooohh, Neeeiiin“, knurrte Ipupiara ungläubig und blickte dem Schamanen
ängstlich ins Gesicht, Der Schamane streckte seine Hand aus und liess das
Kraut in Richtung Ipupiara aus seiner Hand fahren.

Auf der Stelle schoss ein heller Blitz auf Ipupiara los und warf die Dämonin
weit hinaus ins Meer, bis sie nicht mehr zu sehen war. Grell schoss der Blitz
aus der Hand des alten Schamanen nach vorne, heller wie das stärkste Licht
der Sonne. Emilia hielt sich beide Arme schützend vors Gesicht um nicht
geblendet zu werden. Zudem war es heiss und Emilia lief der Schweiss aus
allen Poren ihren Körper hinunter.

Als Emilia nach einer Weile ihre Arme senkte, sah sie vor sich das Licht der
Sonne im Wasser glitzern. Das Meer war ruhig. Von Ipupiara und dem Alten
Schamanen war nichts mehr zu sehen. Rosabranca stand neben ihr. „Habe ich
geträumt oder war ich wach?“, fragte Emilia ihr Pferd, „meine liebe
Rosabranca, war da gerade eine Dämonin und der alte Schamane oder war
alles nur ein Traum?“. Doch Rosabranca war ein Pferd, eine Stute , treu und
liebevoll, und Antwort geben, das konnte sie nicht.

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Kapitel 2 Paygis Drache

Es war spätabends, für Juanita und Thiago Zeit zum schlafengehen.


Juanita trug ihr weisses Nachtkleid und Thiago sein Lieblings-Pyjama,
das mit dem Bären drauf, denn das gefiel ihm ganz besonders. „Bäälen
Pischi.. Bäälen Pischi“, freute sich der kleine Hosenmatz.

Bevor Thiago jeweils zu Bett ging, spielte er ein wenig mit seiner
Schwester. „kempfen kempfen, komme böse Demon komm“, schrie der
kleine Thiago. Doch Juanita wehrte sich. „Nein nein, du kleiner wilder
Indianer, ich bin kein Dämon und kein Drache, Hilfe, tu mir nichts“.
Aber es half nichts. Ihr kleiner Bruder griff sie an und warf sie
rücklings auf die Bettmatraze.

So spielten sie eine Weile auf dem Bett. „Kinder, es ist Zeit zum
Schlafengehen“, mahnte Emilia, „Indianer, Dämonen und Drachen, ab
ins Bett“. Eine einzige Kerze erhellte das Schlafzimmer der Kinder.
Draussen war es stockdunkel. Die Zirkaden und Grillen sangen den
Kindern ein Schlaflied in der ruhigen, warmen Nacht.

„Maija, Maija, erzähl uns noch was von früher“, wünschte sich Juanita,
„erzähl uns was vom Indianerdorf, vom Pergament. Wie geht die
Geschichte weiter? Hat dich die Dämonin des Wasser nochmals
überfallen? Bitte erzähl uns weiter“. „zellen, zellen“, liebäugelte
Thiago, der bereits unter die Decke verkrochen war. Schliesslich legte
sich Emilia zwischen ihre zwei Kinder, hielt das Pergament in den
Händen, überlegte eine Weile und begann dann zu sprechen, „Auf
diesem Pergament habe ich damals im Indianerdorf soviel drauf
geschrieben und gezeichnet. Hm, wo geht’s denn da weiter? ... Also
gut, ich erzähl euch noch was vor dem Schlafen“.
„Der König kommt, der Indianerkönig kommt uns besuchen“, hörte
Emilia von weit her die Indianer rufen, wie sie nach ihrem Abenteuer
am Strand ins Indianerdorf zurückritt. Dazu sangen Frauen und Kinder
und die Männer trommelten einen Rhythmus, den sie eigens zum
Empfang des Königs spielten. Sie nannten diesen Rhythmus „Ipuvae
Maracatu“. Wenn der König seinen Besuch ankündigte, so wurde dieser
Rhythmus gespielt. Er wurde solange gespielt, bis seine Hoheit, der
König im Indianerdorf eintraf, ohne Unterbruch, Tag und Nacht. Stets
waren einige Indianer am Trommeln, während die anderen arbeiteten,
jagten oder des Nachts schliefen. Endlos war dieser Rhythmus.
Zurück im Dorf wurde Emilia von ihrem Bruder Kevin empfangen. Kevin
war zweieinhalb Jahre älter wie Emilia. Seit er mit seiner Freundin
Kwarahi zusammen war, hatte er nicht mehr soviel Zeit für seine
Schwester. Das ist halt so im Leben, so was kann ändern. Dafür hatte
Emilia in Kwarahi eine ganz gute Freundin gewonnen und das ist auch
viel wert „Emilia, Emilia, der Indianerkönig kommt“, freute sich Kevin,
„Ajun Bebe und sein Sohn Konyan Bebe kommen uns besuchen. Konyan
Bebe wird zum König ernannt, denn sein Vater meint, er habe jetzt
selber lange genug regiert und wünscht sich ein ruhiges Leben
zusammen mit seinen Frauen. Und da will Konyan Bebe alle Dörfer
besuchen, auch Uwattibi“. „Ach so“, staunte Emilia, „darum sind also all
die Königlichen Gesandten gekommen? Na ja, dann wird es hoffentlich
ein schönes Fest geben. Wann kommt er denn?“. „Hm !“, zögerte Kevin,
„das wissen wir noch nicht. Der König hat seine Ankunft erst
angekündigt. Irgendwann in der nächsten Zeit wird er dann kommen.
Er muss halt in vielen Dörfern vorbeigehen. Irgendwann kommt er,
genaueres wissen wir nicht“.

Zu Ehren der Gesandten des Königs wurde der Dorfplatz zum


Festplatz geschmückt. Männer, Frauen und Kinder trugen ihren
schönsten Federschmuck. Dazu tanzten die Indianer ums Feuer herum
und spielten Musik auf Trommeln, Schlaghölzern, Flöten und
Kürbisposaunen. Am Rande des Dorfplatzes waren etliche Kinder und
Frauen daran, ihre Körper in bunten Farben zu schmicken. So began
ein fröhliches Fest.

Einzig Emilias Mutter Silvia und Häuptling Avanene standen vor dem
Tor einer Strohhütte und schauten nachdenklich hin zu Emilia.
Avanene trug zwar seinen hohen Häuptlingsschmuck auf dem Kopf,
aber so richtig in Feststimmung schien er nicht zu sein. „Was ist denn
mit euch los?“, fragte Emilia, „habt ihr in einen sauren Apfel
gebissen?“. „Ach nein“, antwortete Avanene und kratzte sich am
Hinterkopf, „weißt du Emilia, so einfach ist das alles gar nicht“. „Was
ist nicht so einfach?“, fragte Emilia verdattert, „ der König kommt auf
Besuch - ist doch schön, da gibt es viele Feste, viel Musik und Tanz.
Das ist doch schön, und - unter uns gesagt, mmmh“. Emilia hielt ihren
Zeigefinger vor den Mund und meinte keck aber leise, „der König ist ja
gar nicht so wichtig. Hauptsache es gibt viele schöne Feste, feines
Essen, Musik und viel fröhliches Schmincken“. Avanene lachte auf den
Stockzähnen, sagte aber weiter nichts.

„Darf ich ein paar Honigbonbons schlecken, Avanene?“, fragte Emilia.


Avanene nickte. „Ja drinnen auf dem Bambustisch, hol dir welche“.
Emilia trat ein in die Hütte. Ihre Mutter und der Indianerhäuptling
folgten ihr. „Ach da sind ja noch meine Holzspielmännchen“, freute
sich Emilia und begann laut schmatzend zu spielen.

Avanene und Silvia standen neben Emilia und führten ihr Gespräch
fort. „Tja du musst schon verstehen“, sprach Avanene zu Silvia, „da
kann ich nichts ändern. Ihr wolltet zwar nächsten Monat weiterreisen
und deinen Mann Luiz im Urwald suchen, aber wenn der König seine
Ankunft ankündigt, darf niemand mehr das Dorf verlassen. Und vor
allem nicht du, Silvia. Du bist die einzige Indianerin, die auf der
anderen Seite des Grossen Wassers war und wieder zurückgekehrt
ist. Da will der König ganz bestimmt lange mit dir reden und alles
wissen, was du da drüben gesehen hast. Wenn du da nicht hier wärst,
das könnte ich nicht wieder gut machen“. „Aber wir müssen doch Luiz
suchen“, entgegnete Silvia, „das eilt. Er ist von Räubern gefangen und
braucht unsere Hilfe“. „Ja schon“, zeigte sich Avanene verständlich,
„da hast du Recht. Wenn wir doch wenigsten wüssten, wo sich die
Räuber aufhalten, dann könnte ich vielleicht eine Ausnahme machen“.
„Ich möchte halt von Ort zu Ort gehen und überall fragen, ob jemand
etwas weiss“, drängte Silvia, „Avanene, das muss doch möglich sein“.
Doch Häuptling Avanene schüttelt den Kopf. „ Du kannst auf jeden Fall
nicht gehen, auf keinen Fall“, liess er nicht locker, „Wenn du nicht da
bist, wenn der König kommt, so kannst du von ihm nie mehr Hilfe
erwarten. Ich kenne Ajun Bebe. Der ist schnell beleidigt. Nein, nein,
das geht nicht“. So diskutierten sie noch eine Weile am Brei herum.

„Ich kann dir nur etwas anbieten“, schlug schliesslich Avanene vor,
„wir schicken ein paar junge Männer los. Ajun Bebe kann verstehen,
dass ich nicht alle jungen Männer im Dorf zurückhalten kann. Von
denen darf ich einige gehen lassen. Da sagt niemand was“. „Ja“,
seufzte Silvia, die einsah, dass es zwecklos war, Avanenes Meinung
ändern zu wollen. „Schau Silvia“, erklärte Avanene, „ein Dutzend junge
Männer sollen losziehen. Kevin kann mitgehen, wenn er will. Er soll
sogar mitgehen, denn es müsste jemand dabei sein, der die
portugiesische Sprache spricht und die Sitten und Gebräuche der
fremden Leute kennt. Auch seine Freundin Kwarahi darf mitgehen,
denn sonst geht er ja bestimmt nicht. Wenn sie die Räuber und Luiz
aufspüren und wir dann wenigstens wissen wo sie sind, ja dann, dann
kann ich Verstärkung nachsenden. Dann wird auch der König gerne
seine besten Männer zur Verfügung stellen, denn einen solchen Kampf
will er sich ganz bestimmt nicht entgehen lassen. Aber du und deine
Tochter Emilia, die als gescheitestes Mädchen im ganzen Land
Ubatuba bekannt ist, ihr müsst hier bleiben“.

Wie ein schwerer unverrückbarer Stein lagen die Worte des


Indanerhäuptlings im Raum. Emilia, die immer noch ihre Holzmännchen
in der Hand hielt, hatte aufgehört zu spielen und stierte Avanene mit
grossen Augen an. Doch Silvia sprach weiter: „Es ist mir nicht mal so
sehr wegen mir. Ich bin ja froh, dass wenigstens Kevin gehen darf und
ich bin überzeugt davon, dass die jungen Leute Luiz und die Räuber
genau so gut finden können wie ich es könnte. Nein, es geht mir viel
mehr um Emilia. Was soll sie denn die ganze Zeit tun in diesem Dorf?“.
Nun meldete sich auch Emila zu Wort. „Uwattibi ist doch ein schönes
Dorf“, entgegnete sie, „hier kann ich machen, was ich will. Das ist doch
schön, oder?“. „Ja - schon, da hast du recht“, lächelte Silvia und
wandte sich wieder Avanene zu, „Emilia wird es langweilig werden. Wir
hatten das Problem schon in Porto. Dank Luiz guten Beziehungen zum
König konnten wir sie damals in die höfische Schule schicken, denn wir
wussten nicht mehr, was wir mit dem Mädchen anfangen sollten. Es
war ihr stets langweilig, bis sie mit 4 Jahren in die Schule gehen
konnte. Dort lernte sie Lesen, Schreiben und Rechnen. Sie war stets
die beste in der Klasse und hat selbst den adeligen Jungen nach dem
Unterricht bei den Hausaufgaben geholfen. Hier im Urwald, da hat es
ja keine Schule. Was soll sie hier lernen? Bei Kevin ist das etwas
anderes. Er trägt in sich die Natur eines Indianerjungen in sich. Wenn
der etwas spannendes unternehmen kann, so ist er zufrieden. Aber
Emilia....?“.

Lange schwiegen Avanene und Silvia. Doch dann eröffnete Avanene


zögernd das Wort. „Es gibt auch bei uns Leute, die weit weg waren“,
gab er zum besten, „Paygi, unser Urwald-Priester, zum Beispiel. Er ist
ein gescheiter Mann und weiss viel“. „Ach Paygi mit seinen schönen
Geschichten“, entgegnete Silvia mit einem Lächeln, „Paygi und Emilia
verstehen sich doch nicht. Und kann Paygi etwa lesen und schreiben?
Bis jetzt habe ich nur seine selbst erfundenen Zeichen gesehen, mit
denen er angibt. Er tut so wie wenn das geschrieben wäre, aber Emilia
hat sofort erkannt, das er nur ein paar wilde Zeichen hingekripselt hat
– alles nur Blöff. Nein, nein Paygi ist niemand für Emilia“. Avanene
verzog seinen Mund. „Wer sonst?“, fragte er , „wer sonst kann ihr was
beibringen in unserem Dorf?“. „Panyma“, schlug Silvia vor, „Mit Panyma
versteht sie sich gut“. „Panyma? Hm - Panyma ..“, antwortete Avanene
zögernd, „sie ist eine Medizinfrau, eine ruhige und zurückgezogene
Person. Wenn Paygi im Dorf ist, kommt sie höchstens bis zur
Materialhütte oder bleibt gar im Urwald draussen“. Emilias Mutter
Silvia blickte sauer zu Avanene. „Wieso ist er denn die ganze Zeit
hier? Wieso Paygi?“, fragte sie. „Du weißt ja“, antwortete Avanene,
„Ahatukka, der Weise Indianer hat uns grosse Gefahren vorausgesagt.
Gefahren, die weit grösser sein sollen als der böse Teufel Jngange,
dämonische Gefahren. Da haben die Indianer Paygi zum Schutze ins
Dorf gerufen. Und er wird mindestens ein halbes Jahr bleiben. Da
wirst du Panyma hier nicht sehen. Zudem ist Paygi beliebt im Dorf. Er
erzählt viel Spannendes und ist jederzeit für ein Fest zu haben. Er
treibts gerne fröhlich und das schätzen die Leute an ihm. Die Frauen
machen kein Geheimnis daraus, dass sie ihre ganz besondere Freude an
diesem Mann haben. Dagegen haben sie von Panyma nicht viel. Sie hilft
zwar, wenn jemand krank ist, aber sonst hört und spürt man von ihr
kaum was. Und lauten Festen geht sie aus dem Weg“.

Nun meldete sich auch Emilia zu Wort. „Darf ich denn nicht mit Kevin
mitgehen, Maija und Avanene?“, fragte sie bittend, „ich möchte auch
in den Urwald hinaus“. Doch Silvia schüttelte den Kopf. „Nein, das geht
nicht“, sagte sie zu Emilia, „dazu bist du noch zu jung und zudem ein
Mädchen. Nein das geht nicht“. Traurig verliess Emilia die Strohhütte.
Silvia und Avanene blickten ihr hinterher.

Kevin und Kwarahi sassen draussen auf einer Holzbank. „Hast du es


schon gehört, Kevin?“, fragte Emilia ihren Bruder mit einer Träne in
den Augen, „du und Kwarahi, ihr dürft mit einem dutzend junger
Männer im Indianerland herumreisen und unseren Vater suchen gehen.
Aber ich muss hier bleiben.... ich möchte auch mitkommen“. Kwarahi
zuckte ihre Schultern. „Das geht wohl nicht“, antwortete sie
mitleidvoll, „du bist zu jung“. „Möchte auch mitkommen“, schluchzte
Emilia leise. Nun nahmen Kevin und Kwarahi das traurige Mädchen in
ihre Mitte. Beide legten liebevoll einen Arm um Emilias Schultern und
Kevin begann zu erklären, „Ja ich habe es auch gehört. In zwei
Wochen werden wir das Dorf verlassen. Aber wir gehen ja nicht so
lange, Emilia. Zwei, drei Monde oder höchsten vier. Bis dahin ist
vielleicht der König schon da gewesen und wenn wir zurückkommen,
gehen wir alle zusammen weiter. Dann bist du auch mit dabei“. Emilia
rümpfte sich die Nase und versuchte so tapfer wie möglich zu sein.
Bitter schmeckten die Tränen, die sie schluckte. „Auch wenn ihr
fortgeht, trotzdem, zum Glück habe ich euch zwei“, tröstete sie sich
selbst ein wenig, „ich freue mich jetzt schon wenn ihr wiederkommt.
Und passt gut auf euch auf“. „Ja, ja das werden wir“, tröstete Kwarahi
Emilia, „ich werde viel an dich denken, Emilia. Du bist ja meine beste
Freundin“. Auch Kwarahi floss nun eine Träne aus den Augen. Aber wie
sie Emilia tief in die Augen blickte, fand allmählich ein Lächeln zurück
auf Lippen der zwei Mädchen.

So vergingen die nächsten Tage. An das ewige Trommeln des Ipuvae


Maracatu hatten sich die Indianer längst gewöhnt. Wenn die Kinder
auf dem Dorfplatz spielten, tanzen sie, ohne dass sie es noch
wahrnahmen. So allgegenwärtig war der Rhythmus geworden. Die
Männer und Frauen wechselten sich ab mit Trommeln, und auch die
Kinder lernten diesen Rhythmus zu spielen. Der Rhythmus wechselte
ständig zwischen verschiedenen Mustern hin und her. Bei den
Uebergängen wurde es besonders feurig und spannend und immer neue
Muster wurden hinzu erfunden, sodass der ewige Rhythmus doch nie
monoton oder eintönig wurde.

Eines Morgens sang und hüpfte Emilia auf dem Dorfplatz umher. Sie
genoss den sorglosen Morgen, hatte fein gefrühstückt und wusste
noch nicht, was sie weiter tun sollte. Doch dann sah sie Ojang Utan,
den kleinen zweijährigen Indianerjungen. Wenn auch Ojang Utan noch
klein war, er hatte schon ganz schön was drauf. Er war stark, konnte
gut kämpfen und hatte nicht so schnell vor etwas Angst, aber vor
allem war er ein Lausbub und für fast jeden Streich zu haben. Seit
Emilia Ojang Utan beim Schminkfest so schön getröstet hatte, waren
die zwei die besten Freunde.
„Oh da ist ja mein kleiner Räuber“, rief Emilia freudvoll zu Ojang
Utan, „den fang ich jetzt“. „Alme Indianelflau, Läubel kämpfe, blä blä
blä“, neckte Ojang Utan und machte Emila eine lange Nase und schon
begann ein fröhlicher Räuberkampf mitten auf dem Dorfplatz. Ojang
Utan, zwar noch ein kleiner Junge, war dennoch schnell im Rennen und
Emilia hatte Mühe ihm zu folgen. Schliesslich aber hatte sie den
Räuber gepackt und hielt ihn liebevoll auf den Armen.

Mit Ojang Utan auf den Armen lief Emilia auf dem Dorfplatz umher.
Zu Emilias Erstaunen hatten sich dort schon viele Indianer
versammelt. Das war ungewöhnlich zu dieser Tageszeit. „Was machen
denn all die Leute mitten auf dem Dorfplatz?“, wunderte sich Emilia.
Dann schliesslich sah sie Paygi, den Dorfpriester, auf seinem hohen
Priesterthron sitzen, umgeben von Frauen und Männern. „Komm Ojang
Uten, gehen wir zuhören, was Paygi erzählt“, schlug Emilia vor und so
lief sie, Ojang Utan auf dem Arm tragend, hin zur Versammlung auf
dem Dorfplatz.

Paygi war ein Wanderpriester der Indianer. Seine Hütte hatte er


draussen im Urwald, wo er alleine lebte. Doch reiste er fleissig im
Indianerland umher und besuchte ein Dorf ums andere. Ueberall wurde
er fröhlich empfangen und überaus reichlich bedient. Dafür erzählte
er den Indianern schöne Geschichten und segnete regelmässig ihre
Tammarakas neu ein. Tammarakas sind Kieselsteinrasseln, die aus
hohlen Kürbissen geschnitzt werden. Die Indianer glaubten damals,
dass in jedem ein Geist drin wohnen würde und so wurde das
Tammaraka von den Männern aufs beste gehütet und erhielt den
schönsten Platz in den Strohhütten. Diesmal jedoch war Paygi nicht
nur gekommen, um die Tammarakas neu einzusegnen. Nachdem
Ahatukka, ein weiser Indianer, vor zwei Wochen grosse Gefahr
vorausgesagt hatte, liessen die Indianer Paygi rufen, damit er mit
seinen Gebeten und seinem Segen das Dorf beschützen sollte.

Emilia und Ojang Utan standen schliesslich am Rande der Versammlung


und hörten dem hohen Priester zu. Paygi hielt beide Hände zum
Himmel. „Er war grösser wie eure Hütten im Dorf“, erzählte Paygi, „ein
fürchterlicher Drache, mit langen Zähnen und Krallen wie ein
Raubvogel. Dabei wollte ich letzte Nacht für euch Indianer im Urwald
Kräuter sammeln.....“. „Ahh, Ohhh“, staunten die Indianerfrauen und
hielten Paygi sein zartes Händchen zum Trost. „Und dann sowas“,
schluchzte Paygi weiter, „nur knapp konnte ich mit dem Leben
entkommen. Gar mit Feuer aus seinem Mund spie er nach mir“.
„Ahhhhh, hattest du denn keine Angst?“, staunte eine Indianerfrau.
„Sicher hatte ich Angst“, antwortete Paygi mit einer Träne in den
Augen, „jeder hat da Angst. Doch dann vertraute ich dem Geiste, der
in meinem Tammaraka drinne wohnet. ‚Lieber Geist da drinne hülf mir’,
flehte ich. Doch es tat sich nichts“. Die Indianer rissen staundend
Augen und Mund auf. „Was, das Tammaraka hat dir nicht geholfen?“,
fragte verdattert ein Indianer und schüttelte ungläubig den Kopf.
Paygi zuckte mit den Achseln und fuhr fort: „Nochmals flehte ich das
Tammaraka an: ‚Grosser Geist des Urwaldes, mächtige Tammaraka,
komm und hülf’. Darauf begann das Tammaraka goldgelb zu leuchten
und der Drache schritt zurück. Aber nur kurz, dann griff er mich
wieder an.“. „Uhhh“, staunte ein alter Indianer.

Emilia verzog ein schräges Gesicht. „Die Geschichte kenn ich“,


flüsterte sie Ojang Utan zu, „hör ich jetzt schon zum tausendsten
mal“. Sie rümpfte die Nase und lief davon in Richtung Materialhütte.
Ojang Utan zottelte hinterher. Eine Minute später folgte auch Kevin
seiner Schwester. Er wusste, dass Emilia in letzter Zeit oft traurig
war, da er übermorgen mit Kwarahi und einigen jungen Indianern das
Dorf für längere Zeit verlassen würde. So war es in den vergangenen
Tagen ein paar mal vorgekommen, dass sich Emilia plötzlich
irgendwohin zurückgezogen hatte und traurig zu weinen begann. Da
wollte er seine Schwester trösten, wenn dies nötig sein sollte.

In der Hütte sah Kevin seine Schwester neben Ojang Utan stehen.
Emilia hielt beide Fäuste in die Hüfte gestemmt. „Ich kann diese
Geschichten von Paygi langsam nicht mehr ausstehen“, entsetzte sich
Emilia, „immer die gleichen selbst erfundenen Heldengeschichten und
die Frauen drängen sich darum, welche von ihnen Paygi trösten darf,
wie liebevoll und zärtlich **!??!!!??*“. „Ja die Frauen“, antwortete
Kevin mit einem Lachen, „die brauchen halt hie und da eine schöne
Geschichte, dass sie so richtig warm werden. Und das weiss Paygi
genau. Er wird wohl zum Trost für sein gefährliches Abenteuer wieder
ein gebratenes Schwein ganz alleine verdrücken dürfen“.

Noch ein Mädchen folgte den Kindern in die Materialhütte, Iakunae,


Ojang Utans achtjährige Schwester. Iakunae ist ein schöner und
einzigartiger Name. Es gab bei den Indianern kein anderes Mädchen,
das so hiess. Als Iakunae auf die Welt kam und ihre Mutter sie das
erste mal in den Armen hielt, brachte ihre Mutter nur drei Worte
über die Lippen: „Iae Kuna nae“ und das heisst in unserer Sprache
„Herz Mädchen fröhlich“. Und so kamen die Indianer auf die Idee das
Mädchen Iakunae zu nennen, das herzensfröhliche Mädchen.

Wenn ihr glaubt, Ojang Utan sei ein schlimmer Lausbube gewesen,
dann kennt ihr seine Schwester Iakunae noch nicht. Iakunae war ein
lustiges, zappliges Mädchen. Sie lachte immerzu und hüpfte gerne auf
dem Dorfplatz herum. Sie war ein einfaches Mädchen. Komplizierte
Sachen verstand sie nicht immer so ganz und hatte ihren eigenen Reim
von der Welt und wie sie die Probleme lösen könnte. Und da fiel ihr
den ganzen Tag ein Streich nach dem anderen ein. Die Indianer
erzählten sich, dass es noch nie ein grösseres Lausemädchen im
ganzen Lande Ubatuba gegeben habe wie Iakunae.
Iakunae stand in der Materialhütte neben Emilia und grinste. „Der
Paygi, der geht mir auch langsam auf den Kecks“, lachte Iakunae laut,
„blä blä blä, ich habe den Drachen besiegt, hi hi hi, wers glaubt, hi hi“.
Emilia und Iakunae schauten sich in die Augen und lächelten sich an.
Das ist so, wenn zwei Mädchen Freundschaft schliessen. Sie mögen
sich auf den ersten Blick und wissen sofort, dass sie Freundinnen sein
werden. „doofer Paygi“, entsetzte sich Emilia, „tut so, wie wenn er der
grösste und stärkste wäre“. „Hi hi, komm Emilia“, grinste Iakunae,
„dem spielen wir einen Streich, einen lustigen Streich, hi hi hi“. Emilia
blickte fragend zu Iakunae. „Was sollen wir denn dem Paygi
anstellen?“, wollte Emilia wissen. Iakunae hüpfte um Emilia herum und
sprach: „Komm wir verkleiden uns als Teufel und machen ihm mal
gehörig Angst“. „Ja genau“, freute sich Kevin lachend, „genau, das
machen wir“.

„hmm?“, studierte Kevin, „am besten ist es, wenn Ojang Utan mir auf
die Schultern sitzt und die grosse Ritualmaske da umbindet. Um uns
herum binden wir Hängematten als Bauch des Drachens, und vorne
nehmen wir den grossen Federschmuck von Häuptling Avanene. Das
sieht fürchterlich aus“. „Oh ja, gute Idee“, pflichtete Iakunae freudig
bei, „Emilia und ich, wir verkriechen uns unter einen Schwanz aus
Hängematten und da drunter schlagen wir zwei mit Trommeln und
Rasseln gehörig Radau dass es kracht, wie es sich für einen richtigen
Teufel gehört. Hi hi hi“.

Es dauerte nicht lange und das fürchterliche Teufelsungeheuer


schlich hinter der Materialhütte hervor direkt auf den Dorfplatz zu.
„Räm päm, krrrr, kschsch“, krachte und toste es laut aus dem Innern
des Teufels. Die Indianer drehten sich verdutzt um und glaubten ihren
Augen nicht, was sie da sahen. Einzig Paygi nahm vorerst nicht wahr,
was da auf ihn zukam. Allzusehr war er mit einem saftigen, knusprig
gebratenen Scheinebeine beschäftigt. „Mmmhhh“, lechzte er vergnügt
und schmatzte laut. Erst als die ersten Indianer um ihn herum laut zu
schreien begannen, hob auch er seinen Kopf und sah sich um.

„Bah, bah bah“, stotterte Paygi mit vollgestopften Backen und riss
ungläubig Augen und Mund so weit auf, dass ihm das gebratene
Schweinebein aus dem Mund fiel. Die Haare standen ihm zu Berg. „Ji
Ji Ji Jingange, der leibhaftige Teufel“, stotterte er und stand auf.

Paygi, der mutige Dämonen-Kämpfer, zitterte am ganzen Leib, hielt


sich hilfesuchend an ein paar Indianern fest und zeigt mit seinem
Schweinebein in der Hand in Richtung des Ungeheuers. „Ji Jingange“,
lallte er verdattert und gab eiligst acht, dass er da auf keinen Fall
zuvorderst stand. Häuptling Avanene und seine Indianer aber lachten
leise auf den Stockzähnen, denn sie alle kannten Avanenes
Federschmuck und die Ritualmaske, doch Paygi, ihr Gast, kannte diese
Gegenstände nicht.

„Pa pa pa“, stotterte Paygi. Doch schliesslich fiel ihm ein, dass es
eigentlich seine Aufgabe war, den Teufel zu vertreiben. „Ta Ta Tamma
Tammaraka“, stammelte er und griff mutig nach seinem Tammaraka.
Schliesslich hob er seine Hand und rasselte laut drauf los.
„Tamaraaka“, schrie er laut dem Ungeheuer entgegen. Doch vergebens
hoffte er, dass dieses nun verschwinden würde. Ganz im Gegenteil, das
Teufelsungeheuer bäumte sich auf vor Paygi, schrie, donnerte und
krachte lauter denn je zuvor. Das war für Paygi zuviel, er zitterte vor
Angst so stark dass ihm das Tammaraka schliesslich aus den Händen
fiel. Häuptling Avanene grinste leise ob Paygis Missgeschick. Doch wie
es sich in solchen Situationen oft ergibt, war dies nicht das einzige
Missgeschick das geschehen sollte.

Zwei von Emilias Tierfreunden schauten nämlich äusserst misstrauisch


dem fremden Teufel entgegen. Nico, der kleine, wuschlige Hund
schnupperte etwas Verdächtiges in der Luft. Filippo, der Kater stand
neben ihm und warf einen langen Blick auf das herannahende
Ungeheuer. Ein skeptisches langes „Mauuu“ war seine lautstarke
Bemerkung zum Geschehen. Doch je näher das Ungeheuer kam, umso
mehr roch Nico, dass da irgendwo Emilia, seine liebe Emilia, in diesem
böse dreinblickenden Ding drin stecken musste. Die allerliebste Emilia
mit der er nun schon die ganze Reisezeit zusammen war, in dem
Ungeheuer drin da? „rrrgggg“, knurrte Nico böse und mochte wohl
denken, „rrgghh, Emilia da drinn, rrrggghh, grosse Tier da rrggggh
Emilia gefressen rrrgghh, befreien, kämpfen rrrghhh wuuh wuuh
wuuh“. Das sonst drollig verspielte Hündchen zeigte Zähne wie ein
Wolf. Filippo daneben heulte wie eine Katze im bedrohlichsten Kampf
nur fürchterlich heulen kann, „MMMaäääauuuuuuuuu“. Filippos
Gemauze war so laut, dass es den Umstehenden schmerzte in den
Ohren.

Nico und Filippo umkreisten wild den Teufel, bellten, kläfzten und
miauten so laut sie konnten. Kevin, überlegte sich in aller Eile, was er
dagegen tun könnte. Doch es war zu spät etwas zu tun. Die zwei
Vierbeiner hatten ihre letzte Angst überwunden. Nico biss in die
Hängematte und zerrte daran so fest er nur konnte. Filippo nahm
einen riesigen Satz, sprang die Hängematte hoch und klammerte sich
mit seinen langen scharfen Krallen am Tuch fest. „Autsch“, schrie
Kevin, denn unter dem dünnen Tuch, da war seine Hüfte und da hatte
nun Filippo ein paar ganz deftige Schrammen reingekratzt ... armer
Kevin.

Schliesslich zerrten die beiden Tiere so fest am Baumwolltuch, dass


dem armen Ojang Utan, der auf Kevins Schultern sass, die schützende
Hängematte vom Leib gezerrt wurde. Doch damit nicht genug, auch die
Maske und Avanenes Federschmuck fielen auf den Boden und Kevin
stand mit Ojang Utan auf den Schulter unbedeckt da. Emilia und
Iakunae guckten verdutzt aus dem Schwanz des Teufels heraus.
Iakunae lächelte verlegen „Hallo, Guten Tag“, grüsste sie leise, aber
freundlich, die herumstehenden Indianern.

Paygi aber atmete drohend tief ein. Er schaute gar nicht mehr
verängstigt drein, sondern sehr, sehr wütend. „Kommt“, meinte Kevin
im trockenen Ton „kommt, es ist glaub besser wenn wir jetzt
verduften“. Wie der Blitz rannten die Kinder vom Dorfplatz weg, Paygi
humpelte hinterher. Schliesslich gelang es den Kindern aber, zwischen
den Stecken des Dorfhages hindurch zu schlüpfen, wo Paygi nicht
mehr durchkam.

Juanita lag neben Emilia im Bett und hielt den Kopf an den Arm ihrer
Mutter. Emilia sah wie neben ihr Thiago seine Augen geschlossen hielt
und bereits schlief. „Und Paygi?“, fragte Juanita, „als ihr
zurückgekommen seid ins Dorf, hat er euch da verhauen?“. Emilia
lächelte zu Juanita. „Nein, nein“, antwortete sie, „die Frauen trösteten
ihn und schon bald war er wieder mild gestimmt. Das konnten die
Frauen gut und machten es gerne. Paygi hatte zwar keine Freude an
uns Lausekindern, aber so richtig böse war er dennoch nie mit uns. Da
hatte auch er eine gute Seele“. Juanita hielt ihren Kopf an Emilias
Schulter. „Oh liebe Maija“, seufzte sie erleichtert und kuschelte sich
bei ihrer Mutter ein. Juanita schloss ihre Augen und fiel in tiefen
Schlaf.
Kapitel 3 Kevins Abschied

Am nächsten Nachmittag sass Emilia mir ihren Kindern auf der


schattigen Veranda ihres Hauses. Die Kinder spielten und Emilia
genoss die Ruhe des nahen Urwaldes. Liebend gerne hörte sie dem
Zwitschern der Vögel zu, dem Schreien der Affen und dem endlosen
zirpen der Urwaldzirkaden.

„Und Paygi?“, fragte Juanita plötzlich, „war er dir nie böse wegen dem
Teufel Streich?“. „Oh doch“, lächelte Emilia, „der hatte sich auf seine
eigene listige Art an mir gerächt. Das war zudem noch an dem Tag als
Kevin das Dorf verlassen hatte, als ich schwer Abschied nehmen
musste von meinem Bruder“. „Maija das tut mir leid“, töstete Juanita
ihre Mutter Emilia, „du musst ja ganz traurig gewesen sein, als Kevin
das Dorf verlassen hat“. „Ja, das war ich.....„, antwortete Emilia und
schwieg eine Weile.

„Ich errinnere mich noch genau“, begann Emilia zu erzählen,“es war


mein traurigster Tag in Uwattibi. An diesem Tag habe ich doch etwas
aufs Pergament geschrieben. Wo ist das nur?“. Emilia nahm das
Pergament in ihre Hände und dann dauerte es keine zwei Sekunden, bis
Juanita und Thiago neben ihr sassen um die nächste Geschichte zu
hören.
In bester Laune standen ein gutes dutzend junge Indianer
abmarschbereit auf dem Dorfplatz. Unter ihnen befanden sich Kevin
und Kwarahi. Die ganze Dorfbevölkerung hatte sich zur
Abschiedszeremonie eingefunden. Häuptling Avanene trug seinen
schönsten Federschmuck. „Habt ihr alle eure Sachen gepackt?“,
fragte der Häuptling, „ich hab ja so Freude, dass ihr jungen Leute
dermassen begeistert seid von eurer bevorstehenden Reise durch das
Land Ubatuba. Geht soweit ihr könnt, geht soweit, dass euch die
fernen Bewohner Geschichten berichten, die ihr noch nie gehört, von
fremden Geistern und Teufeln“. „Ja verehrter Häuptling, das werden
wir“, bestätigte der älteste der Indianerjungen“. „Und dann versucht
euren Auftrag zu erfüllen und zu erfahren, wo sich die bösen Räuber
aufhalten. Sobald ihr das wisst, eilt hierher und wir werden zum
Kampfe aufbrechen. Und eins merkt euch. Pfleget Freundschaft mit
allen fremden Völkern und Stämmen, auch wenn ihre Sitten und
Gebräuche anders sind wie die unsrigen“.

Die Freude ob dem besonderen Ereignis des heutigen Abschiedes war


gross. Dennoch, viele Männer schauten wehleidig und etwas neidisch
auf die jungen Indianer und Kwarahi, die da in den Urwald loszogen.
Nur zu gerne wären sie am liebsten selber mitgereist.

Einzig ein Mädchen stand bockstill da, mitten auf dem Dorfplatz und
tat keinen Wank – Emilia - sie hatte sich ihre dicken schwarzen
Wuschelhaare rund um den Kopf geschlagen sodass niemand mehr
etwas von ihrem Gesicht sehen konnte. „Ich will nichts mehr hören und
ich will nichts mehr sehen“, trotzte sie. Dazu stampfte Emilia ein paar
mal kräftig auf den Boden, bevor nur noch ein Weinen von ihr zu hören
war.

Kevin seufzte und auch Kwarahi warf einen mitleidigen Blick hin zu
Emilia. Zusammen gingen sie auf Emilia zu und umarmten sie. Sogleich
blickte Emilia hoch und schlang beide Arme eng um Kevins Hals. „Komm
bald wieder, mein lieber Bruder“, schluchzte Emila und gab ihrem
Bruder einen Kuss. „Komm bald wieder liebe Kwarahi“, wandte sich
Emilia auch ihrer Freundin Kwarahi zu, „Auf Wiedersehen“. Darauf war
es soweit. Während Silvia ihre Arme um Emilia hielt, schritt die
Gruppe junger Indianer drauflos, in den Urwald hinaus, fernen Welten
entgegen.

Nach dem Abschied setzte sich Häuptling Avanene neben Emilia auf
eine Holzbank. Eine Weile schwiegen sie beide, doch dann begann
Emilia zu sprechen. „Ach ist das Dorf jetzt leer, ohne Kevin und
Kwarahi“, klagte Emilia,“ tot und ausgestorben“. „Ja Emilia, du hast
recht“, seufzte Häuptling Avanene, “die zwei fehlen mir auch. Kevin ist
ein lieber Junge und Kwarahi, deine Freundin, passt so gut zu ihm.
Aber weisst du, die jungen Leute müsssen halt mal raus in die Ferne,
etwas neues erleben, fremde Menschen kennenlernen. Und sie kehren
ja schon bald wieder zurück. Tja, tja.... ein paar Monde und dann sind
sie hoffentlich alle gesund wieder hier...Ich kann mich da auch nicht
anders darüber hinweg trösten“. So sassen der grosse Häuptling
Avanene und Emilia eine Zeit lang nebeneinander. Avanene hielt seinen
Arm um Emilias Schulter und Emilia lehnte ihren Kopf an Avanenes
Brust. „Tja Avanene“, schluchzte Emilia, „ich hoffe dass es meinem
Bruder gut gefällt“.

„Weißt du was Emilia?“, munterte Avanene Emilia auf, „ich habe doch
noch eine Schale voll Honigbonbons im meiner Hütte. Komm mit, da
naschen wir ein wenig“. Avanene und Emilia machten sich auf zu
Avanenes Hütte. Heimlich aber glotzte ihnen ein Mann mit grossen
Augen hinterher. Es war Paygi. Was der sich wohl ausheckte?

„Mh niamm miamm pläpf pfläpf“, genoss Emilia die Bonbons. „Ach
Emilia“, freute sich Avanene, „nimm doch gleich die ganze Schüssel
mit. Ich schenke sie dir“. Ueberrascht blickte Emilia zu Häuptling
Avanene hoch „Oh danke Avanene“, freute sie sich ,„das ist lieb von
dir. Dann will ich Iakunae und den andern Kindern auch gleich welche
geben“.

Gewitter sind häufig im Land Ubatuba. So geschah es, dass es in


diesem Moment stockdunkel wurde und ein fürchterliches Unwetter
drauflos kracht. Ein sintflutartiger Regen stürzte auf das Dorf
Uwattibi runter. Ein paar Minuten nur dauerte das Gewitter aber es
verwandelte den Dorfplatz für zwei Stunden in einen knöcheltiefen
Morast.

Im Normalfall liebten die Indianer diese kurzen Abkühlungen im


heissen Klima, dem sie sonst erbarmungslos ausgesetzt waren. Jetzt
aber, wo Ahatukka und auch Paygi dämonische Gefahren vorausgesagt
hatten, jagte es ihnen Angst und Schrecken ein. „Jngange, Jngange,
der Teufel, der Teufel“, schrieen die Indianer wild und rannten, um
Pfeil und Bogen zu ergreifen. Viele glauben sogar etwas gesehen zu
haben: „Da hinten, beim hinteren Tor ist eine schwarze dunkle Gestalt
rausgerannt, schnell hinterher“. Lange standen die Indianer, Männer
und Frauen am Schutzzaun ums Dorf. Aber der Jngange, wie sie den
leibhaftigen Teufel nannten, der ihnen so oft begegnet, liess sich
nicht mehr blicken.

Einem Mann kam das Gewitter gerade recht gelegen. Paygi, er betrat
Avanenes Hütte. Paygi war nicht alleine. Viele Indianerfrauen und
einige Männer begleiteten ihn. „Ich habs genau gesehen“, begann eine
von Paygis Lieblingsfrauen die Ansprache, „haargenau in dem Moment,
wo Emilia die Schale mit den Honigbonbons in die Hände genommen
hat, genau in dem Moment hats gedonnert und das Gewitter krachte
drauf los“. „Oh“, „Uhh“, „die Honigbonbons“, entsetzten sich die
anwesenden Indianer und starrten mit weit offenen Augen auf die
Schale vor ihnen. „Honigbonbons?“, staunte Paygi und nahm eines der
Honigbonbons vorsichtig in die Hand und schaute es genau und lange
von allen Seiten an. „Hm“, überlegte er laut, "ich sehs genau. Ja - das
ist nicht zu übersehen, da steckt der Teufel drinne“. Darauf hob Paygi
andächtig seinen Kopf und begann seine Erklärungen in der hohen
Stimme eines weisen Priesters darzulegen. „Ihr solltet es doch wissen,
liebe Indianer“, mahnte Paygi im ernsten Ton, „seit Ahatukka uns
grosse Gefahr varausgesagt hat, müssen alle Speisen vor dem Essen
den Göttern des Urwaldes vorgelegt werden. Wenn ihr nicht wollt,
dass uns der Teufel wieder angreift wie soeben, dann müssen wir das
mit diesen Honigbonbons aber unbedingt auch tun.“. „Ja genau, ja ja“,
bestätigten die Männer und Frauen, die ihren hohen Priester
begleiteten und denen der Schrecken noch immer im Gesicht stand.

Avanene verzog ein trauriges Gesicht und zuckte mit den Achseln.
„Ah“, seufzte Avanene und warf einen bittenden Blick auf Paygi. Doch
dieser winkte ab und erklärte demütig: „Vergiss nicht Häuptling
Avanene, es ist meine Aufgabe, euch vor dem Jngange und weit
grösseren Gefahren zu beschützen“. Und mit überschwenglich
liebevoller Stimme meinte Paygi schliesslich zu Emilia: „Morgen, wenn
die Honigbonbons eine Nacht auf dem Dorfplatz den Göttern des
Urwaldes dargelegt waren, schmecken sie bestimmt noch viel besser“.
Emilia blieb nichts anderes überig, als Paygi die Schüssel zu
übergeben.

So kam die Nacht. Emilia legte sich in ihre Hängematte. Iakunae


schlief neben ihr in Kevins Hängematte. Bis Kevin zurück sein würde,
durfte sie da schlafen. So war Emilias neue Freundin immer in der
Nähe. Und das erleichterte Emilia das Warten auf ihren Bruder um ein
gutes Stück. „Gute Nacht, Iakunae“, wünschte Emilia, „es ist schön,
dass du meine Freundin bist. Morgen schlecken wir von den
Honigbonbons, die ich von Häuptling Avanene geschenkt bekommen
habe. Dann machen wir uns einen schönen Tag. Abgemacht?“, „Ja,
abgemacht“, antwortete Iakunae. Es ging nicht lange und den beiden
Mädchen fielen die Augen zu.

Die ganze Nacht hielt Paygi draussen Wache unter dem Stohdach, wo
die Indianer jeweils ihre Zeremonieen abhielten. Von Zeit zu Zeit
segnete er die dargelegten Speisen ein. Da lagen die feinsten
Grilladen, bereit, um am nächsten Tag auf dem Feuer zu brutzeln,
ebenso Maniokawurzen und leckere Früchte. Gleich dahinter, grad vor
Paygi, stand auf einem Opfertisch Emlias Bonbonschüssel. „Mhhh“,
leckte sich Paygi die Lippen. So viele feine Sachen und es war seine
grosse Aufgabe, diese Köstlichkeiten zu segnen und vom Fluch des
fürchtlichen Jingange, des leibhaftigen Teufels zu befreien.

Nach langer Nacht wurde es wieder hell draussen. „Guten Morgen,


Iakunae, Hast du gut geschlafen in Kevins Hängematte?“, begrüsste
am Morgen Emilia ihre Freundin, „komm lass uns nach draussen gehen
und frühstücken. Doch zuerst holen wir die Honigbonbons“. Wie sie vor
der Hütte standen kam ihnen Paygi entgegen. „Ach war das eine
strenge Nacht“, jammerte der heruntergekämpfte Priester,
„mehrmals ist der Jngange gekommen, ist im Dorf herumgeschlichen
und hat allerlei gestohlen, einige Grilladen, Früchte und leider auch ein
paar von deinen Bonbons, Emilia“. Emilia erschrak. „Was sagst du?“,
entsetzte sie sich, „der Jngange hat Bonbons gestohlen? Der Jngange
sagst du?“. „Ja, und jetzt lasst mich in Ruhe“, antwortete Paygi
ungeduldig, „ich bin müde nach der strengen Nacht. Lasst mich in
Ruhe. Ich muss schlafen“. So verschwand Paygi in eine der
Strohhütten von wo eine Minute später lautes Schnarchen zu hören
war.

Die Mädchen eilten zum Opfertisch, wo ihre schlimmsten


Befürchtungen bestätigt wurden. „Kein einziges Bonbon hat er übrig
gelassen“, entsetzte sich Iakunae, „dieser böse Jngange“. „Ja dieser
leibhaftige Teufel, der Jngange ist ein schrecklicher Kerl“, stimmte
Emilia mit ein, „und Paygi musste ihn die ganze Nacht bekämpfen, der
~~ ärmste und mutigste ~~ .... und hast du gesehen, wie vorhin der
Leibhaftige mit seinem mächtig dicken Bauch sich schlafen gelegt
hat?“. Nun grinsten sich die Mädchen gegenseitig an und Iakunae kam
etwas neues in den Sinn „Komm, dem Jngange, der deine Bonbons
geklaut hat, dem bösen Teufel zeigen wirs jetzt mal“, kicherte
Iakunae, „und ich weiss auch schon wie“.

Iakunae nahm Emilia bei der Hand und führte sie in die Materialhütte.
„Diesen Lederbeutel da, den nehmen wir jetzt mit uns, hi, hi, hi“,
flüsterte Iakunae zu Emilia. Die zwei Mädchen schlichen sich durchs
Dorf zum hinteren Tor, wo niemand sie sah, vorbei an der Hütte in der
Paygi seinen wohlverdienten Schlaf abhielt. „Chnaaaa, Pfrrrrr -
Chnääää, Tschibüüüüü“, hörten sie das Schnarchen des braven Paygi
beim Vorbeilaufen. Iakunae grinste und zeigte mit ihrem Finger in
Richtung Schnarchgeräusche. „Oh der Aermste“, kicherte Emilia.
Darauf schlichen die zwei Mädchen weiter.

„Wo gehen wir jetzt hin?“, fragte Emilia neugierig, nachdem die zwei
unbemerkt das Dorf verlassen hatten. Eine Zeit lang blickte Iakunae
ihre Freundin an. Dann erklärte sie: „Erinnerst du dich an das Gebüsch,
wo die Indianer neulich glaubten, den Jngange gesehen zuhaben, als
beim Schminkfest eine Indianerfrau erschrocken ins Dorf gerannt
kam?“. „Ah ja, der alte Geissbock, der uns dort mit seinen spitzen
Hörnern so böse angeschaut hat. Aber sag mal, was willst du denn
dort?“, wunderte sich Emilia. „Na dann lass dich mal überraschen. Eine
Idee, die ich schon lange mal ausführen wollte. Hi hi hi hi“, kicherte
Iakunae. Mehr sagte sie nicht, denn sie machte es gerne etwas
spannend für ihre Freundin.

„Wääähh“, verzog Emilia schon bald ein langes Gesicht, „dem Gestank
nach zu urteilen liegt das Gebüsch nicht mehr weit entfernt, bääähh.
Willst du da wirklich hingehen, Iakunae?“. Iakunae grinste und legte
eine Hand auf Emilias Schulter. „Den Gestank wirst du schön
überstehen, Emilia. Stell dir einfach vor, du wärst am Meer unten beim
Baden und schleckst ein paar Bonbons. Dann vergisst du den Gestank
schnell“.

Schon bald konnten die Mädchen den alten Geissbock sehen. Er lag
friedlich in seinem Gebüsch und machte ein Nickerchen. Iakunae
winkte ihm zum Grusse. „Hallo lieber Geissbock, schlaf nur mal ruhig
weiter“, grüsste Iakunae, „schlaf weiter, du lieber Geissbock, wir tun
dir nichts ... tu du uns bitte auch nichts“. Der Geissbock öffnete kurz
die Augen, wie wenn er den Mädchen Guten Tag sagen wollte, dann
döste er weiter vor sich hin.

„So jetzt füllen wir den Sack mit Geissenböhnchen“, erklärte Iakunae,
„und mit stinkiger Furz Luft vom Geissbock. Wenn der Sack so richtig
gefüllt ist, so schleichen wir uns zurück ins Dorf und legen ihn Paygi
unter seinen hohen Priesterthron und warten bis er sich draufsetzt“.
„Ja, Iakunae“, kicherte Emilia begeistert, „füll ihn bis er prall voll ist
mit Kacke und Furz. Jetzt machen wir einen richtig stinkigen
Geissbock Furzsack für Paygi. Da kann er sich dann mal feste
draufsetzten, Paygi soll ruhig was abkriegen“. Schnell war der Sack
mit der klebrigen Masse und der stinkigen Luft gefüllt, bis er beinahe
kugelrund war. Iakunae band ein Lederband um die Oeffnung des
Sackes, sodass da jemand schon richtig drauf sitzen musste, bevor
der Sack losgehen würde.

Zurück im Dorf hatten sich die Indianer draussen vor dem Steckenhag
ums Dorf versammelt. Sie besprachen, wo sie das nächste Manioka
Feld anlegen wollten. „Das kommt uns gerade gelegen“, freute sich
Iakuane.

Schliesslich standen die Mädchen auf dem Dorfplatz. „Emilia, halte


mal Ausschau, dass niemand uns sieht. Ich werde mich an Paygis
Priesterthron schleichen und versuchen, den Sack unter das Sitzfell
zu legen“. Emilia hielt Ausschau. Eine Weile war niemand ist zu sehen.
Doch dann plötzlich erschien ein Mann am Tor. „Mach schnell, Iakunae,
mach schnell“, rief Emilia leise, „Häuptling Avanene kommt zurück ins
Dorf“. Doch es war zu spät. Avanene stand am Tor und staunte nicht
schlecht, wie er die Mädchen da sah. Doch er sagte kein Wort und ging
weiter in seine Hütte.

Rasch beendete Iakunae ihr Werk und dann verzogen sich die zwei
Mädchen in die Materialhütte, von wo sie durch ein kleines
Fensterchen auf den Zeremonienplatz direkt zu Paygis Priesterthron
blicken konnten. „Jetzt müssen wir nur noch warten bis es losgeht“,
kicherte Iakunae vergügt. „Freu dich nicht zu früh“, antwortete Emilia
etwas enttäuscht, „komm mal ans Fenster und schau dir an was ich
sehe“. Durchs Fenster sahen die Mädchen wie Häuptling Avanene, der
zuvor die Mädchen beobachtet hatte, auf Paygis Priesterthron zulief.
„So ein Mist“, seuftzte Iakuane, „wenn er etwas riecht ist Schluss mit
unserem Streich“. „Und noch schlimmer“, doppelte Emilia hinterher,
„Avanene weiss sogar wer es war, Scheibenkleister, das hat uns
gerade noch gefehlt“. Die zwei Mädchen beobachteten, wie Avanene
vor dem Priesterthron stehen blieb, kurz das Sitzfell an einem Ecken
ein wenig hob und wieder ablegte. Avanene verzog ein schräges
Gesicht und rümpfte sich die Nase. Doch dann lief er wieder in seine
Strohhütte, ohne dass weiter etwas geschah.

Zwei Stunden später hörten Emilia und Iakunae ein Rumoren in Paygis
Hütte. Schnell beendeten die zwei Mädchen ihr Spiel und begaben sich
ins Freie. „Ah, war das eine strenge Nacht“, jammerte Paygi vor seiner
Hütte und streckte seine Glieder aus, „und mein Magen knurrt“. Ein
paar Frauen winkten ihm freundlich zu. „Dein Frühstücksschwein ist
schon fast durchgebraten, lieber Paygi“, schmeichelte eine von ihnen.
„Nimm Platz und mach es dir bequem“, forderten die Frauen ihn auf,
„und erzähl uns, was du die letzte Nacht schreckliches durchstehen
musstest“.

Paygi lief zur Grillstelle. „Oh, sieht ja ganz lecker aus“, schwärmte er
und schleckte sich die Zunge, „mhh, da freue ich mich aber auf mein
Frühstück“. Paygi zwackte schon mal ein Stück ab vom Schwein und
fuhr dann schmatzend fort, „Pfniatsch, Ja, pfniatsch, etliche male ist
der Gehörnte letzte Nacht ins Dorf gekommen, pfniatsch. Immer
wieder hat er versucht, die leckeren Esswaren, die wir dem holden
Geiste der Urwaldes vorgelegt haben, zu stehlen. Aber ich konnte ihn
mit dem Tammaraka immer wieder kämpfend vertreiben. Pfniatsch. Er
konnte nichts stehlen ausser einige wenige Grilladen und ein paar alte
Bonbons, pfniatsch, die ohnehin nicht mehr gut waren. Also nicht so
schlimm, meine lieben Freunde, pfniatsch, pfniatsch“. „Alte Bonbons,
die nicht mehr gut waren“, knurrte Emilia auf ihren Zähnen, aber laut
sagen wollte sie nichts.

„Wie sah er denn aus?“, fragte Avanene, „hast du keine Angst


bekommen? Und hat er auch wieder so fürchterlich gestunken wie das
letzte mal? Weißt du noch, Paygi, wie wir gegen den Jngange gekämpft
haben beim Schminkfest, da etwas oberhalb vom Dorf? Da hat er doch
so schrecklich nach Geissbock gestunken“. „Ja das war auch diese
Nacht das schlimmste an allem, der Teufelsgestank, wie nach altem
Geissbock, typisch Teufel, der böse Jngange. Aber für euch liebe
Indianer, nehme ich alles in Kauf um euch zu beschützen“. Einige der
Indianerfrauen blickten gerührt hin zu Paygi. Iakunae aber schaute
mit strenger Mine zu ihm. „Aber heute werden dem Teufel seine Fürze
ganz bestimmt noch viel mehr stinken“, sprach Iakunae in ernstem
Ton, „wo er doch letzte Nacht eine ganze Schale voll Bonbons in seinen
dicken Bauch verdrückt hat“.

Ohne weiter auf Iakunae einzugehen näherte sich Paygi seinem Thron.
„Ich musste mir feste die Nase zuhalten“, erklärte er und drückte
dabei nochmals mit der rechten Hand seine Nase zu, „so fest
gestunken hat es nach Teufel, nach Geissbock. Aber für euch Indianer
mache ich das gerne“, In dem Moment setzte sich Paygi mit
zugehaltener Nase auf seinen Thron und „Pfrrrrr“, furzte und zischte
die Knete unter seinem Sitzleder hervor.

„Bääh, hilfe, rettet euch“, erschraken die Frauen, „es stinkt“.


„Geissbock, es stinkt nach Geissbock“, ensetzten sich die Indianer.
Avanene stand daneben, blickte Paygi tief in die Augen und grinste:
„Das stinkt schon eher nach Teufelfurz als nach Geissbock“, meinte er
trocken, „nach Teufel, der gerne Bonbons nascht“. Paygi schaute um
sich und wurde hochrot im Gesicht. Mit beiden Händen hielt er seinen
Priesterrock hinten fest zusammen. Iakunae flüsterte zu Emilia: „Der
hat nicht nur ein schlechtes Gewissen sondern noch etwas warmes und
weiches unter seinem Hintern“. Die Mädchen schauten sich ins
Gesicht und grinsten leise.

Avanene aber blickte zu Emilia und Iakune und gab ihnen mit seinem
Finger zu verstehen, sie sollen ihm in seine Hütte folgen. „Obs jetzt
wohl schimpfe gibt?“, fragte Iakunae etwas ängstlich ihre Freundin.
Emilia zuckte mit den Achseln und antwortete: „Weiss nicht, aber
komm, es bleibt uns nichts anderes übrig“.

So traten die zwei Mädchen in des Häuptlings Hütte ein. „Iakunae und
Emilia“, sprach Avanene, „ihr zwei Mädels, hat euch doch der böse
Teufel die Bonbons gestohlen. Dieser schreckliche Jngange. Aber
meine Frauen haben heute morgen neuen Honig gesammelt, extra für
euch zwei. Hier diese Schale gehört euch. Und gebt den anderen
Kindern auch welche“. „Klar machen wir gerne“, antworteten Emilia und
Iakuane, „und danke vielmals“.

Schliesslich traten sie ins Freie und liefen an Paygi vorbei, der immer
noch mit der Reinigung seines Thrones und seines Hintern beschäftigt
war. „Bäääh“, streckte ihm Emilia mit der Schüssel in der Hand die
Zunge raus. Iakunae, die beide Hände frei hatte, steckte die Daumen
in ihre Ohren und wackelt mit den Fingern. „illi illi illi gitt“, rief sie zu
Paygi, der hochrot im Gesicht war, aber für einmal nichts zu sagen
wagte. Verdutzt guckte er den beiden Mädchen hinterher. Die zwei
aber spazierten vergnügt von dannen und schleckten Bonbons.
Kapitel 4 Emilia lernt Zaubern

Juanita hatte es sich in einer Hängematte auf der Schattenveranda


bequem gemacht, guckte in den Urwald hinaus und stierte Löcher in
den endlos blauen Himmel. Ihre Mutter Emilia stand daneben.
„Juanita, hast du deine Hausaufgaben schon gemacht?“, fragte Emilia
ihre Tochter im mahnenden Ton.. „Ach, Maija, immer diese blöden
Hausaufgaben. Warum gehe ich eigentlich in die Schule? Die
Indianerkinder in ihren Dörfern gehen auch nicht zur Schule und viele
Kinder der portugiesischen Siedler auch nicht“. Emilia seufzte
daneben: „Sei froh, dass du in die Schule gehen kannst. Bis du gross
bist wird es hier in Brasilien anders aussehen wie heute. Da werden
noch mehr Siedler einwandern und du wirst viel mehr Möglichkeiten in
deinem Leben haben, wenn du Lesen, Schreiben und Rechnen gelernt
hast“. „Mh schon“, stöhnte Juanita, „ich sehs ja ein. Das ist sicher gut.
Aber Spielen ist halt viel tausend mal lustiger. Du hattest es als
kleines Mädchen schön im Dorfe Uwattibi. Da gabs keine Schulen und
du konntest den ganzen Tag nur Spielen“.

„Nur spielen...“, grinste Emilia und schüttelte den Kopf, „nur Spielen,
sagst du dem. Ich hatte vor der Reise nach Brasilien in Portugal Lesen
und Schreiben gelernt und alsbald aus der höfischen Bibliothek ein
Buch nach dem andern verschlungen. Und dann stand ich plötzlich
mitten im Indianerdorf, wo niemand lesen konnte und es keine Bücher
gab. Kevin war fort, Kwarahi war fort, und zu allem Uebel musste
meine neue Freundin Iakunae für zwei Wochen ins Nachbardorf an ein
Familienfest. Das war die härteste Zeit in Uwattibi. Es hatte viele
Kinder und ich habe mit ihnen lange gespielt. Aber immer nur Spielen,
wenn man Rechnen, Schreiben und Lesen kann, viele Bücher gelesen
hat und ein neugieriges Kind ist? Nein, nein, es war mir manchmal total
langweilig und ich habe mir nichts sehnlicher gewünscht als wieder zur
Schule gehen zu können oder so ein richtig dickes Buch zu
verdrücken. Doch es gab weit und breit keine Schule und kein Buch“.

„Ach Maija“, stimmte Juanita ein, „da hast du ja recht. Ich glaube, mir
würde es gleich ergehen. Auch wenn ich nicht immer so gerne in die
Schule gehe, ohne wärs mir langweilig. Zudem ist Spielen ist für die
Kinder ja viel schöner, wenn sie zwischendurch auch mal etwas
ernsthaftes machen müssen“. „Tja, Juanita, du hast es erlickt. Darum
gefällt dir spielen so gut, weil du hie und da was anderes machen
musst“.

„Maija, aber früher bei den Indianern, wie ist denn das weiter
gegangen, was hast du denn getan, wenn es dir oft so langweilig war?“.
„Wie das weiter gegangen ist? Ich hatte noch das grosse Pergament,
das mir Dottore einmal geschenkt hatte, sowie ein paar Federn und
Stifte zum Schreiben. Dieses Pergament war meine Rettung. Ich habe
es vollgekripselt und vollgeschrieben mit der Geschichte, die mir
damals passiert war. Es war meine rettende Insel, auf der ich der
Langeweile entfliehen konnte. Stundenlang hatte ich das Pergament
vor mir, zeichnete und schrieb“.

Emilia schob ihren geflochtenen Schaukelstuhl hin zu Juanitas


Hängematte, ganz zu Thiagos Freude, der auf dem Schaukelstuhl
„Boot fahren“ durfte. Emilia ergriff das Pergament, das daneben auf
dem schweren Holztisch lag und erzählte: „Schau mal hier zum
Beispiel, das habe ich geschrieben, als Iakunae ins Nachbardorf ging“.
Emilia sass alleine in der Materialhütte am Boden. Doch da trat ihre
Mutter Silvia ein. „Hast du dich seit neustem in der Materialhütte
niedergelassen, Emilia?“, fragte Silvia ihre Tochter, „ich habe dich im
ganzen Dorf gesucht. Magst du nicht mehr mit den Kindern spielen?“.
„Ach Maija“, antwortete Emilia, „ich habe doch schon den ganzen
Morgen gespielt. Es war schön. Wir haben Räuber und Indianer
gespielt. Die Räuber haben eine Indianerfrau gefangen genommen und
wir Indianer mussten sie befreien. Danach bin ich zu den Männern und
Frauen gegangen und habe eine Stunde Ipuvae Maracatu mitgespielt.
Das kann ich jetzt schon ganz gut. Aber jetzt Maija, jetzt möchte ich
etwas anderes machen. Wenn ich schon hier nichts zum Lesen habe,
dann schreibe ich halt etwas. Und hier in der Materialhütte habe ich
am meisten Ruhe zum Arbeiten“.
„Zeig mal her“, forderte Silvia auf. Sie kniete neben ihre Tochter
Emilia und las. „Ah du schreibst deine Geschichte auf“, wunderte sich
Silvia, „du scheinst ja die Schule in Porto sehr zu vermissen“. „Ich
schlag mich irgendwie durch“, erwiederte Emilia tapfer, „jetzt mache
ich selber ein wenig Schule und später am Nachmittag gehe ich mit
meinen Tieren auf einen Ausflug zum Meer. Das haben sie gerne“. So
liess Silvia ihre Tochter in der Materialhütte alleine, denn sie wusste,
dass wenn Emilia etwas am Arbeiten war, hatte sie es nicht gerne,
wenn sie länger gestört wurde.

„So jetzt ist genug“, sprach Emilia zwei Stunden später zu Abare, der
neben ihr auf einem Balken sass und geduldig und liebevoll zuschaute,
„komm Abare, ruf Nico und Filippo. Wir gehen ans Meer“. „kraah,
kraaah, Nico, Filipo, Meer Meer, Strand, komm, komm, kraah kraah“.
Mehr brauchte Abare nicht zu rufen. Wie der Blitz rannten die zwei
Vierbeiner herbei. Sie miauten und kläfzten freudig. Gemeinsam
stiegen sie alle das Pferd Rosabranca und ritten dem Bach entlang
Richtung Meer. Abare stand vorne auf dem Sattelholm während Nico
und Filipo es sich auf dem Sattel vor Emilia bequem gemacht hatten.
So gefiel es Emilia. „Wenn schon alle meine Freunde verreist sind,
dann reiten wir halt alleine ans Meer und geniessen es so gut es geht“,
sprach sie liebevoll zu ihren Tierfreunden. Schon bald kamen sie am
schönen Strand an.

„Siehst du die Wellen des Meeres?“, fragte Emlia ihren Papagei


Abare, „da geht’s ganz weit raus, und dann noch weiter. Ganz
zuhinterst, nach vieler Monde langer Schiffsreise, da liegt Porto, wo
ich früher wohnte. In Porto, da gibt es Schulen, Kirchen, Schlösser
Burgen und Häuser. Eines Tages haben wir ein Schiff bestiegen, die
Caravela Estrela Brilandu, und sind hierhergekommen, ins Land der
Indianer.“. „Kraah“, mehr weiss Abare nicht dazu zu sagen, denn so
schwierige Erklärungen verteht ein Papagei nie und nimmer.

„Komm Nico, fang den Ast“, Emilia nahm einen Ast und warf ihn Nico
weit ins Meer hinaus. Sie selber sprang auch gleich hinterher. Nur
Filippo der Kater, der wollte gar nicht baden gehen, denn Katzen
scheuen das Wasser. Mit der kleinen Pfote reichte er vorsichtig in das
salzigie Wasser hinein, floh dann aber schnell wieder zurück. „Filippo,
willst du nicht auch baden kommen?“, „Mau“, reklamierte Filippo, und
das heisst in Katzensprache „Nein“.

Eine Weile schwammen Nico und Emilia im Wasser. Dann begab sich
Emilia zurück an den Strand. Ein paar mal noch warf sie Nico den
Holzstab ins Meer. Schliesslich aber nahm sie den Holzstab und
zeichnete und schrieb in den Sand. Sie zeichnet das Indianerdorf
Uwattibi, das grosse Wasser und auf der anderen Seite weit weg
zeichnete sie Porto. „So jetzt zeichne ich euch eine Landkarte“,
erklärte Emilia ihren Tieren, Emilia zeichnete ihr Haus wo sie gewohnt
hatte, das Königsschloss und das Schulhaus. Als nun aber Emilia wieder
hochblickte, da stand plötzlich ein alter Mann vor ihr. Der alte Mann
stand im Nebel und ein Wind wehte ihm ins Gesicht. Der Wind blies,
doch der Nebel,der den Mann umgab, verschwand nicht. Emilia kannte
den Mann sofort. Es war der alte Schamane, ihr geheimnisvoller
Freund.

„Emilia, schön dich hier zu sehen“, grüsste der alte Schamane, „ du


bist an den Strand gekommen Emilia, wozu denn ?“. „Es war einfach so
ein Einfall, ein Ausflug mit meinen Tieren“, antwortete Emilia, „mir ist
so langweilig im Dorf, alter Schamane. Die Schule fehlt mir. Ich
möchte etwas lernen, lieber alter Schamane“. „Ja, ich sehe es, Emilia“,
antwortete der alte Schamane, „Emilia, vielleicht kann ich etwas tun
für dich. Ja, ich glaube ich kann etwas für dich tun“. „Was, was kannst
du für mich tun?“, fragte Emillia neugierig, doch der alte Schamane
schaute Emlia bloss ins Gesicht und schwieg. Emilia wusste, dass sie
den alten Schamanen kein zweites mal fragen sollte, wenn er nicht
antwortete.

„Schau hinaus aufs Meer und sag mir was du siehst“, forderte der alte
Schamane auf. „Ich sehe das Meer und weit draussen, da, da sehe ich
gelbe Blitze im Wasser zucken, helle Lichter im Wasser“. „Ja genau,
das gelbe Licht, es ist die Dämonin des Wasser, die schreckliche
Ipupiara. Sie vesucht erneut an Land zu kommen. Noch hat sie ihre
Kräfte nicht wieder beisammen. Sie ist geschwächt vom Feenkraut,
mit dem wir nach ihr geworfen haben. Aber es wird nicht mehr lange
dauern, da erhält sie ihre Dämonenkräfte zurück. Wenn es den
Schamanen, Zauberern, Medizinmänner und Medizinfrauen nicht
gelingt, sie zu besiegen, so sind die Indianer verloren“.

Emilia erschrak und schaute lange hinaus aufs Meer. Wie versteinert
stand sie da und fürchtete sich vor den Blitzen im Wasser. Als sich
Emilia nach einiger Zeit umdrehte und zurückblickte, da war der alte
Schamane verschwunden. „Kommt meine lieben Tiere“, sprach Emilia
nachdenklich, “für heute ist es genug, lasst uns ins Indianerdorf
zurückkehren“.

Im Indianerdorf wurde Emilia von lauten Rhythmen begrüsst. „Der


König, der König wurde gesehen im Urwald, er ist unterwegs“, riefen
ihr die Indianer begeistert zu, „jetzt wird er bald kommen, freut
euch“. „Ja, es wird auch Zeit, dass er endlich kommt“, antwortete
Emilia, „schon mehr wie vier Monde warten wir jetzt auf die Ankunft
des Königs. Da könnte er sich endlich mal blicken lassen“. „Ach weißt
du Emilia“, meinte Avanene der daneben stand, und weniger begeistert
dreinschaute wie die anderen Indianer, „der König lässt sich manchmal
viel Zeit. Das wär sehr früh, wenn er jetzt schon zu uns käme“. „Dann
hat die Warterei wohl nie ein Ende“, seufzte Emilia, „dieser König
muss sich dann gar nicht einbilden, ich freue mich noch besonders auf
seine Ankunft. Wenn es hier wenigsten eine Schule gäbe, wo ich etwas
lernen könnte. Aber so finde ich es langsam langweilig“. „Ach ja
Emilia“, lächelte Avanene zu Emilia, „geh doch mal in die Materialhütte.
Da ist ein Besuch für dich gekommen“. Mit offenem Mund und grossen
Augen stierte Emilia Avanene ins Gesicht. Ohne ein Wort zu sagen
drehte sie sich und rannte zur Materialhütte. Und dort war die
Ueberraschung gross. Zuhinterst in der Materialhütte sass Panyma an
einem Feuer, Panyma, die alte Medizinfrau, mit der Emilia so gerne
zusammen war.

„Panyma, Panyma“, freute sich Emilia und eilte hin zu der alten Frau.
Panyma stand auf und begrüsste Emilia: „Meine liebe Emilia, es freut
mich, dich wiederzusehen“. Schliesslich umarmten sich die zwei Frauen
und hielten sich eine Weile fest.

Panyma war die älteste Indianerfrau, die Emilia je gesehen hatte. In


ihr Gesicht waren tiefe Furchen und Falten des Alters eingekerbt.
Wenn jemand sie nicht kennen würde, so bekäme er im ersten Moment
wohl Angst vor der alten Frau. Panyma trug einige Federn in ihrem
grau-schwarz gesträhnten Haar. Sonst war ihre Bekleidung spärlich.
Sie trug einen Ledergurt mit Stoffbändeln dran, ein Amulett um den
Hals und ein paar kleinere Taschen um ihre Schultern, in denen sie
ihre Medizinkräuter mittrug. Panyma war zwar uralt, aber wenn sie
aufstand und sich bewegte, so glichen ihre Bewegungen der einer
jungen Frau, die sich zum Tanze erhebt. Wenn Panyma im Urwald
unterwegs war, sang sie denn auch immer ein fröhliches Lied vor sich
hin.

„Panyma, du bist hier?“, wunderte sich Emlia, „ich dachte du bist weit
weg im Urwald“. „Das war ich auch“, antwortete Panyma, „doch dann
wurde ich hierher geruften“, „Hierher?“, fragte Emilia, „ist denn
jemand krank im Dorf?“. „Nein, nein, krank ist niemand“, lächelte
Panyma, „aber es sei ein Mädchen im Dorf, ein Mädchen namens Emilia,
das sich fürchterlich langweilt, hat mir der alte Schamane mitgeteilt.
Da dachte ich mir. Ich komme mal ein wenig auf Besuch“. „Das ist aber
schön“, freute sich Emilia, die vor lauter Ueberraschung nichts mehr
zu sagen wusste, „wegen mir bist du gekommen? Das ist aber lieb von
dir. Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr mich das freut, dass du hier
bist“.

Hand in Hand liefen Panyma und Emilia in der Materialhütte umher. An


der Türe von wo die Sonne reinschien und Emilias Pergament am Boden
lag, blieben sie stehen. „Ist das dein Pergament, dass da auf dem
Boden liegt?“, wunderte sich Panyma, „hast du die schönen
Zeichnungen gemacht? Und was sind denn das für komische Zeichen
und Haken, die du da hingemalt hast?“. „Die komischen Haken?“,
lächelte Emilia, „das sind sind keine Zeichen und Haken. Das sind
Buchstaben und mit denen habe ich etwas geschrieben“.
„Geschrieben?“, staunte Panyma, „davon habe ich schon gehört. Es soll
möglich sein, damit gesprochene Worte für immer festzuhalten.
Stimmt das, Emilia?“. „Ja das ist so“, erklärte Emilia, „ich bin daran,
meine Geschichte hier in Uwattibi aufzuschreiben. Zum Glück habe ich
noch das grosse Pergament, das mir einmal Dottore geschenkt hat.
Wenn ich ganz klein schreibe und zeichne, so hat es darauf genug
Platz, um viel, viel hinzuschreiben“. „Hm schreiben“, murmelte Panyma,
„das sehe ich jetzt hier zum ersten mal. Wo hast du denn das
gelernt?“. „In Porto in der Schule“, antwortete Emilia, „das war schön.
Da habe ich viel gelernt und viel gelesen, dicke Bücher aus der
höfischen Bibliothek. Eins ums andere habe ich gelesen“. Panyma
verzog ein langes Gesicht und lächelte. „Jetzt spiele ich halt hier
selber Schule“ , erklärte Emilia weiter, „ich habe hier in der
Materialhütte selber eine Schule eingerichtet und da lerne ich jeden
Tag selber etwas. Ja und wenn dann meine Freundin Iakunae vom Fest
in Mambukabe zurück kommt, dann will sie bei mir Lesen und
Schreiben lernen. Dann werden wir zu zweit Schule spielen. Und das
wird dann richtig Spass machen. Darauf freue ich mich“.

„Kevin ist doch älter wie du“, meinte Panyma, „kann er dir da nicht
noch etwas mehr beibringen?“. „Ach Kevin“, seufzte Emilia, „Kevin ist
nie gerne zur Schule gegangen. Der arbeitet lieber im Freien etwas.
Da kann ich jetzt schon viel besser Lesen, Schreiben und Rechnen wie
Kevin. Zudem ist er jetzt mit seiner geliebten Kwarahi auf Reise im
Indianerland Ubatuba“. Emilia legte eine Pause ein beim Erzählen und
fuhr etwas später mit trauriger Stimme fort: „Er fehlt mir so sehr,
mein lieber Bruder“. „Ja die jungen Leute“, lächelte Panyma, „wenn sie
grad so frisch verliebt sind - die müssen halt mal raus in die Welt und
selber herausfinden, wo es ihnen am besten gefällt. Meistens kehren
sie dann letztendlich wieder nach Hause zurück oder bleiben ganz in
der Nähe, wo sie mal aufgewachsen sind. Dann gründen sie Familien
und noch bevor sie so richtig merken was passiert ist, haben sie schon
eigene Kinder, auf die sie aufpassen müssen“. Panyma schwieg und
blickte auf Emilias Pergament.

„Und du Panyma?“, fragte Emilia, „warst du nie verheiratet? Hattest


du selber nie Kinder?“. „Nein“, antwortete Panyma, während sie
gleichzeitig fest ausatmete, „Kinder hatte ich nie. Ich war nur ein
einziges mal, wie ich noch jung war, für einige Zeit mit einem Mann
verlobt. Am Anfang war das ja ganz schön und romantisch. Wir
verbrachten viel Zeit miteinander und er akzeptierte mich anfänglich
so wie ich war. Mit der Zeit aber änderte sich das. Ich war damals
damit beschäftigt, Medizinfrau zu lernen. So verbrachte ich viel Zeit
zusammen mit dem alten Schamanen im Urwald. Ich war zutiefst
fasziniert davon, was mir der alte Schamane, der damals schon gleich
alt aussah wie heute, alles beibringen konnte“. „Oh schön“, staunte
Emilia, als Panyma beim Sprechen eine kurze Pause eingelegt hatte.
„Ja schön sagst du“, fuhr Panyma fort, „meinem damaligen Verlobten
hat das ganz und gar nicht gepasst. Er meinte, ich dürfe jetzt nur
noch für ihn da sein und er könne mir auf das hinterst und letzte Wort
vorschreiben, was ich zu tun hätte. Anfänglich versuchte ich ihm
entgegen zu kommen. Aber er wollte immer mehr und mehr von mir.
Als er dann sogar begann, wütend zu werden, habe ich mich in den
Urwald hinaus begeben und als ich das nächste mal ins Dorf kam, war
er bereits mit einer anderen Frau zusammen und hatte mich kaum
mehr beachtet. Das war mir auch recht so“. „Warst du denn nicht
traurig, als du kein Schätzchen mehr hattest?“, fragte Emilia
mitleidig. „Oh doch“, antwortete Panyma mit einem Seufzer,
„anfänglich war es schwierig, aber der alte Schamane hatte mir immer
wieder weiter geholfen und mir gezeigt, wie ich im Herzen glücklich
werden kann. Er hat mir beigebracht, wie ich in noch nie gekannter
Freiheit leben kann. Seither interessieren mich die Männer nicht mehr
so sehr. Wenn ich gerade den richtigen antreffen würde, wieso nicht?
Aber bis heute ist das nicht geschehen und es gefällt mir so, wie ich
lebe“.

„Tja, da habe ich kleine Probleme dagegen“, gestand Emilia ein, „mir ist
halt einfach etwas langweilig bei dieser ewigen Warterei auf die
Ankunft des Königs. Ich möchte in die Schule gehen, etwas lernen.
Aber hier im Indianerdorf lernen die Kinder nur fischen und jagen,
Manioka pflanzen und Brot backen. Das ist ja schön und bestimmt
auch wichtig, aber ich bin mich halt von Porto her gewöhnt, Sachen zu
lernen, bei denen ich meine Gedanken viel mehr anstrengen muss“.

Panyma legte Emilia beide Hände auf die Schultern, schaute sie an und
sprach: „Zeig mal dein Amulett, das du um den Hals trägst. Du hast es
vom alten Schamanen geschenkt bekommen. Das gleiche wie ich es
auch trage“. Panyma blickte Emilia tief in die Augen und fuhr fort:
„Der alte Schamane hat mich gebeten, dich in die Zauberkünste der
Schamanen einzuführen“. Emilia riss ihre Augen auf und starrte
Panyma sprachlos an, denn die Ueberraschung war zu gross, als dass
sie noch ein einziges Wort über ihre Lippen gebracht hätte. „Ja du
hast richtig gehört“, schmunzelte Panyma, wie sie Emilias verdattertes
Gesicht sah, „ich soll dir die Zauberwelt näherbringen. Das wünscht
sich der alte Schamane. Wenn du willst, so wirst du meine
Zauberschülerin“.

„Aber zaubern?“, zögerte Emilia, „kann ich denn das lernen? Ich
dachte man kann das oder man kann es eben nicht? Muss jemand nicht
dazu geboren sein?“, „Du bist dazu geboren“, antwortete Panyma,
„aber lernen musst du es trotzdem noch. Auch wenn der alte
Schamane in dir die Ader einer Zauberin entdeckt hat, so musst du
noch lange üben und viele Kräuter, Hölzer, Wurzeln und Steine im
Urwald kennenlernen, bevor du diese Kunst als Meisterin
beherrschst“. „Warum soll ich begabt sein zum Zaubern und andere
nicht?“, wollte Emilia wissen. „Es ist ein kleiner Unterschied“, erklärte
Panyma, „eigentlich könnten alle Menschen zaubern, aber wenn jemand
nicht eine gewisse ruhige und klare Betrachtungsweise für die feinen
Unterschiede in der Unterwelt des Geistes schon in sich trägt, so ist
es fast unerreichbar. Und du hast diese Fähigkeiten in dir, liebe
Emilia“.

„Setz dich mir gegenüber ans Feuer“, wies Panyma Emilia an, „so, dass
du mich gut sehen kannst“. Emilia wurde ein wenig mulmig, aber sie
setzte sich Panyma gegenüber. „Es gibt viele Möglichkeiten den
Zauber zu beginnen“, erklärte Panyma, „ich selber begehe gerne den
Zauberpfad durch das Feuer“. Zwischen den zwei Frauen loderte
über einer tiefroten Glut ein kleines Feuer, auf das Panyma einige
wohlriechende Hölzer legte. „Maja ga maia, Maja ga maia....“, begann
Panyma dazu in tiefen Tönen zu singen. Die zwei Frauen blickten sich in
die Augen. Ein feiner Kranz aus goldenem Licht umgab Panymas Kopf.
Gebannt blieb Emilas Blick auf Panymas Gesicht stehen. Aus dem
goldenen Kranz um Panymas Gesicht begannen Farben auszufliessen,
die sich in Spiralen um Panymas Körper drehten. Allmählich
verwandelte sich Panymas Gesicht in hunderte Gesichter mit
tausenden von Augen, in eine unzahl von Teile, die sich aufzulösen
begannen, bis schliesslich von Panyma nichts mehr zu sehen war.

„Panyma, wo bist du?“, rief Emilia, „ich kann dich nicht mehr sehen“.
Doch schon erhob sich ein Schwall leuchtend brauner Brühe, da, wo
Panyma einen Augenblick vorher noch gesessen hatte. Durch diese
braune Brühe hindurch leuchtete ein helles Licht, bevor die Brühe
allmahlich ins nichts zerfloss und Panymas Körper langsam wieder in
Vorschein trat. „Sing jetzt leise mit mir mit“, forderte Panyma auf
und sang weiter: „Maja ga maia, Maja ga maia....“.

Nun sass Panyma wieder Emilia gegenüber. Farbige Kristalllichter


glitzerten an den Strohwänden der Materialhütte. Emilia kam zum
Staunen nicht mehr heraus, als die Farblichter an den Wänden zu
leuchtenden Klecksen heranwuchsen. Panyma hörte auf zu singen. „So
ist das Feuer des Zaubers aus uns herausgetreten in den Raum der uns
umgibt“, erklärte sie, „Der Einstieg ist nun vollbracht. Jetzt bist du an
der Reihe, Emilia“. „Was ich? Was soll ich denn machen. Ich habe doch
noch nie sowas gemacht“, staunte Emilia. Doch Panyma liess nicht
locker. „Nimm dieses zartrosa Kraut“, erklärte Panyma, „wirf es ins
Feuer und singe ‚balung ga nae’ dazu. Ich werde mitsingen und wenn
der richtige Zeitpunkt gekommen ist, so werde ich dir weiter sagen,
was zu tun ist“.

Emilia nahm mit ernster Mine das zartrosa Kraut in ihre Finger.
„Balung ga nae.... Balung ga nae“, sang sie dazu und Panyma begleitete
den Gesang mit leiser Stimme. Emilia öffente ihre Hand über der Glut
und lies das Kraut hinunterschweben. Ein tiefes Loch entstand im
Feuer an der Stelle, wo das Kraut auftraf, und ein schwarzgoldenes
Licht leuchtete durch das Loch hinauf. „Gut“, freute sich Panyma,
„gut, das klappt ja vorzüglich. Sing weiter Emilia, immer weiter und
noch länger“. „Balung ga nae.... Balung ga nae“, sang Emilia weiter bis
sie müde wurde und kaum mehr etwas spürte. Emilia erlebte, wie sie
weitersang, aber gleichzeitig auch mit Panyma sprechen konnte.
„Panyma ich kann ja mit dir sprechen“, staunte Emilia, „ich kann mit dir
sprechen, und singen tue ich gleichzeitig auch. Wie ist denn das
möglich?“. „Siehst du Emilia“, erklärte Panyma, „das sind diese feinen
Unterschiede in der Unterwelt des Geistes, die du erkennen musst um
zaubern zu können. Aber das ist bei weitem noch nicht alles. Unser
Zauber geht weiter und jetzt wird es entscheidend. Schau ins Feuer
so tief du kannst und solange es dir möglich ist“. Emilia blickte ins
Feuer, doch zu ihrem Erstaunen verschwand das Feuer auf der Stelle
und sie sah dunkle Wolken mit silbrig leuchtenden Rändern aus dem
Boden aufsteigen.

Zufrieden schaute Panyma ihrer Schülerin zu. „Jetzt Emilia, stell dir
einen Ort vor, den du kennst“, wies Panyma an. „Einen Ort?“, fragte
Emilia verlegen, „welchen Ort denn, Panyma?“. „Irgendeinen Ort -
sagen wir mal - stell dir den Dorfplatz von Uwattibi vor. Bleib sitzen,
konzentriere dich auf diesen Ort und schau weiterhin ins
Wolkenfeuer“. Panyma stand auf. Sie lief zu einem Holzbalken an dem
eine grimmige Ritualmaske hing und auf die zwei Frauen hinunter
stierte. Panyma nahm die Maske und legte sie neben Emilia auf den
Boden. Panyma holte einige spitze Dornen aus einer ihrer Taschen und
legt sie auf die Maske. „Leg nun diese Teufelsmaske ins Wolkenfeuer“,
sprach Panyma mit leiser Stimme.

Emilia kniete auf, nahm die Maske und senkt sie langsam und behutsam
in die sengende schwarze Glut. Allmählich verwandelte sich die dunkle
Maske in eine helle leuchtende Scheibe. „So und jetzt schauen wir da
mal hinein, was wir da so sehen können“, lächelte Panyma. „Buah, der
Dorfplatz“, staunte Emilia, „ich sehe den Dorfplatz da drin. Aber es
ist ja schon dunkel auf dem Platz. Sind wir schon so lange am
Zaubern?“, „Ja“, antwortete Panyma, „beim Zaubern vergeht die Zeit
schnell. Da musst du gut aufpassen. Sonst kann es dir geschehen, dass
du ohne es selber zu spüren, für viele Jahre aus deiner Zeit
verschwindest. Und das ist nicht immer gut. Aber schauen wir jetzt
mal was auf dem Dorfplatz geschieht. Das ist schliesslich der Sinn
unserer jetztigen Uebung“. „Mh, viel ist da nicht mehr los“, meinte
Emilia ein wenig enttäuscht, „die sind glaub alle in ihren Hütten am
Essen oder gar schon am Schlafen. Ach da schau mal, Panyma, da sitzt
noch einer auf einem hohen Stuhl“. Panyma fächerte mit ihrer Hand
etwas Dampf weg, der sich auf der Scheibe gebildet hatte. Nun
konnte Emilia mehr erkennen. „Paygi“, staunte Emilia, „jetzt kann ich
ihn sehen. Ist wieder einmal beim Einsegnen der Speisen für den
nächsten Tag“. „Mh Paygi“, entsetzte sich Panyma energisch, „Paygi,
immer dieser Paygi. Muss der uns wieder den ganzen Zauber
vermasseln. Verflixt und zugenäht... mhhh.. Ach Paygi, Paygi“.

Immer noch blickte Emilia in die geheimnisvolle Scheibe die vor ihr lag
und konnte kaum glauben, dass sowas möglich sit. „Jetzt ist er
aufgestanden, Panyma, schau mal“, wunderte sich Emilia, „er läuft um
den Opfertisch herum“. Emilia und Panyma konnten sehen wie Paygi am
Opfertisch stand. Er drehte seinen Kopf in alle Richtungen und
schaute, dass auch ja niemand ihn beobachtete, denn vor ihm stand
eine Schale mit Honigbonbons. „So ein Schuft“, entsetzte sich Emilia,
„meint wohl es sehe ihn niemand. Jetzt will er wieder den Kindern ihre
Honigbonbons klauen. So ein gemeiner Kerl, und morgen erzählt er
wieder der Jngange seis gewesen“. Paygi leckte sich die Lippen mit der
Zunge und streckte seine Hand nach der Bonbonschale aus. Panyma
kicherte auf den Stockzähnen und gab Emilia einen feinen Zweig in die
Hände. Mit einem Zwick im Handgelenk gab sie Emilia zu verstehen,
was sie jetzt tun sollte. Emilia zögert keinen Moment und gab dem
kleinen Paygi auf der Scheibe einen kräftigen Klaps.

„AAAAAhhhhhhh“, hörten die zwei Frauen in der Materialhütte einen


lauten Schrei von draussen hineindringen, „AAAAhhhhhh, Hilfe, der
Teufel, der Jngange hat mich geschlagen“. Panyma kicherte und Emilia
lachte laut raus. Schliesslich schwenkte Panyma ihre Hände im Kreis,
und die ganze Zauberkulisse mit samt allem verschwand.

„So das ist genug Zauberlektion für heute“, meinte Panyma zufrieden,
„und Paygi, der hat auch grad eine wohlverdiente Lektion abbekommen.
Morgen Nachmittag werden wir zuerst in den Urwald gehen und dann
zeige ich dir die wichtigsten Kräuter für den Anfang. Aber jetzt ist es
Zeit zum Abendessen und Schlafen gehen. Ich werde dich noch in
deine Hütte begleiten“.

Bei der Hütte angekommen, streifte Panyma Emilia zum Abschied mit
ihrer Hand über die Schultern: „Gute Nacht Emilia und träum süss“.
„Gute Nacht Panyma, schlaf gut“.
Kapitel 5 Die Zauberblätter

Juanita sass auf der Veranda und widmete sich fleissig ihren
Hausaufgaben. Thiago schaute ihr aufmerksam zu. Doch nur zuschauen
machte ihm keinen Spass. Wie so oft, wollte er wieder mal genau das
gleiche tun, wie seine Schwester, und dies ganz zu Juanitas Aerger.

„Thiago, du Nervensäge, das ist meine Schreibfeder und ich brauche


sie um meine Hausaufgaben zu schreiben“, entsetzte sich Juanita.
„Auch Laushaufgaben machen, will auch Laushaufgaben“, trötzelte der
kleine Thiago. Emilia sass daneben auf der Veranda und schaute ihren
Kindern zu. „Thiago, du kannst nicht immer dasselbe haben wie deine
Schwester“, mahnte Emilia den kleinen Thiago, „Juanita muss jetzt für
die Schule arbeiten und du sollst sie gefälligst in Ruhe lassen“.
„laushaufgaben, will laushaufgaben“, antwortete Thiago und kletterte
auf die Schoss seiner Mutter, wo er Trost suchte.

„Thiago ist halt noch ein kleiner Junge“, erklärte Emilia, „und die
wollen immer das gleiche haben wie die grossen“. „Ist aber ganz schön
nervig“, beklagte sich Juanita, „ich will auch mal was nur für mich
alleine tun können. Ich kann ja später wieder mit Thiago spielen“.

„Tja ja“, seufzte Emilia, die inzwischen das Pergament in die Hände
genommen hatte, das ein paar Tage zuvor ihre Kinder auf dem
Dachboden gefunden hatten, „wir hatten damals auch so einen kleinen
Jungen in Uwattibi, er hiess Ojang Utan. Der wollte oftmals immer
genau dasselbe haben, wie es seine Schwester Iakunae auch hatte. An
jenem Tag, Iakunae war gerade seit zwei Tagen aus dem Nachbardorf
zurückgekehrt, war es ganz besonders schlimm. Iakunae und ich
konnten am Morgen kaum Schule spielen in der Materialhütte. Immer
wieder ist Ojang Utan zu uns gekommen und wollte uns die
Schreibfeder und das grosse Pergament wegnehmen. Aber am
Nachmittag, als ich bei Panyma in der Zauberschule war, da war es
ganz besonders schlimm .... Ich habe es doch irgendwo auf dem
Pergament aufgeschrieben“. Eine Weile suchte Emilia auf dem grossen
Pergament. Dann las sie vor:

Emilia und Panyma hielten Zauberunterricht in der Materialhütte, so


wie sie dies fast jeden Nachmittag machten. Da kam Iakune in die
Hütte gerannt. „Darf ich mich bei euch verstecken?“, keuchte Iakunae
ausser Atem, „hier in der Materialhütte wird mich Ojang Utan nicht
suchen, solange ihr hier seid“. „Was ist denn schlimmes geschehen,
dass du dich verstecken musst?“, wollte Panyma wissen, „hast du soviel
Aerger mit deinem Bruder?“. „Ja, jetzt will er mir mein weisses
Steinmännchen wegnehmen, Schau da“, erklärte Iakunae und zeigte in
ihren Händen ein Männchen aus Stein, „zu allererst hat er mir den
Indianerhäuptling weggenommen. Dann habe ich gesagt ‚gut, dann
nehme ich halt die schöne Indianerfrau’. Und kaum hatte ich die
schöne Indianerfrau in den Händen, wollte er vom Indianerhäuptling
nichts mehr wissen, sondern wollte auch wieder die schöne
Indianerfrau. Einfach weggrissen hat er sie mir. Und jetzt rennt er
mir hinterher und will mir den starken Indianerjäger wegnehmen. Er
will einfach immer dasselbe wie ich“. „Ja, ja“, tröstete Panyma
Iakunae, „so sind die kleinen Jungen, wenn sie insgeheim ihre grosse
Schwester bewundern. Dann wollen sie halt immer genau dasselbe
haben“. Hoffnungsvoll wandte sich Iakunae an Panyma: „Darf ich mich
bei euch in der Hängematte verstecken? Da wird er mich ganz
bestimmt nicht finden“. „Hm“, überlegte Panyma, „dann musst du aber
ganz ruhig sein. Ich bin gerade daran, Emilia die Unterschiede
verschiedener Rankenkräuter zu erklären. Da darfst du nicht stören.
Also wenn du ganz ruhig bist, dann kannst du von mir aus eine Weile
hierbleiben“. Emilia schielte mit einem Lächeln zu ihrer Freundin
Iakunae. Es freute sie, dass Iakunae während des Zauberunterrichts
in ihrer Nähe bleiben durfte. „Oh danke vielmals“, freute sich Iakunae
und verschwand in die Hängematte.

Die zwei Zauberinnen aber liessen sich nicht länger ablenken. „Und nun
zum letzten Kraut, das wir gestern gesammelt haben“, begann Panyma
ihre Erklärungen, „wir nennen es Rotblutende Ranke. Es birgt viele
Kräfte in sich, doch das Problem ist, an diese Kräfte heranzukommen.
Wenn jemand nicht genau weiss wie das geht, so ist es ein Kraut wie
jedes andere. Nicht mal besonders schön. Im richtigen Zauber jedoch
legt es Kräfte frei, so stark, dass es für den Zauberer selbst die
grösste Gefahr bedeuten kann, es überhaupt zu verwenden“. „Ist das
nicht viel zu gefährlich?“, fragte Emilia etwas ängstlich. „Zaubern ist
immer gefährlich, merk dir das“, belehrte Panyma ihre Schülerin,
„wenn ein Zauberer etwas falsches macht oder sich in zweifelndem
oder gar argwöhnischem Geist befindet, so kann es für ihn gefährlich
werden. Da kann es geschehen, dass er krank wird, sich verwandelt
ohne zurückfinden zu können oder gar für immer und ewig
verschwindet. Ich weiss von einigen Zauberern, die plötzlich
verschwunden sind, und kein Mensch weiss wohin oder wo sie sich
jetzt befinden. Die Schamanen vermuten, dass es tief in der Erde
drin einen Ort gibt, an dem Zauberer, die einem falschen Geiste
verfallen sind, eingesperrt sind. Ein Ort, finster und grässlich, an dem
die bösen Zauberer und Magier in Schlingen gefesselt während
hunderten von Jahren allmählich vor sich hindörren und langsam
lebendigen Leibes in den Sumpf der Erde verschwinden. Noch nie ist
jemals ein an diesen Ort verdammter Zauberer zurückgekehrt“.
„Aah“, stöhnte Emilia, öffnete ihren Mund und starrte Panyma mit
weit aufgerissenen Augen an: „Meinst du da ist es richtig, dass ich
zaubern lerne?“. „Ja, ja, hab keine Sorge, mein Zauberkind“, beruhigte
Panyma ihre Schülerin, „bemühe dich, allen lebenden Wesen gutes zu
tun, dann besteht keine Gefahr, dass du diesen schrecklichen Ort
jemals sehen wirst“.

„Komm jetzt Emilia, ich glaube die Glut des Feuers ist soweit, dass wir
mit dem heutigen Zauber beginnen können. Wir brauchen eine grosse
Menge roter Glut. Sie muss ganz fein sein und es darf keine Flammen
mehr geben im Feuer“. Darauf setzten sich die zwei Frauen ums Feuer
und verteilten die Glut mit Holzstäben. „Oh das sieht schön aus“,
schwärmte Emilie, „das rote Funkeln der Glut - wie leuchtende Sterne
am Himmel“. „Ja das ist wichtig“, erklärte Panyma, „eine satte Glut
brauchen wir, dass unsere Zauberblätter genug Kraft in sich
aufnehmen können“.

„Für Iakunae wird es langsam Zeit, wieder nach draussen zu gehen“,


beschloss Panyma, „es hat keinen Sinn, wenn sie unseren Zauber sieht.
Sie kann ja doch nicht verstehen, was wir da machen“. Panyma stand
auf und lief zur Hängematte, in der Iakunae bequem lag. Emilia
grinste, wie sie Iakunaes friedliches Gesicht sah. Fest verschlossen
waren ihre Augen. „Schläft sie?“, fragte Emilia. „Hm ja“, anwortete
Panyma, „sie hat mal wenigstens ihre Augen geschlossen. Und sonst, na
ja, was solls? Lass uns jetzt beginnen, bevor die Glut in sich
zusammenfällt“. So liess Panyma Iakunae in ihrer Hängematte liegen
und begab sich zu Emilia zurück.

„Lass uns zuerst die feuchten Minzblätter aus der grossen Schale auf
die Glut legen“, wies Panyma Emilia an, „dies gibt uns magische Dämpfe,
mit denen wir zum Schluss die blutroten Rankenblätter zu
Zauberblättern verwandeln werden“. Emilia und Panyma legten die
Minze aufs Feuer. Ein silbriger Dampf stieg auf. „Hei hoha ha, ho
haha“, sang Panyma und tanzte ums Feuer. Emilia machte es ihr gleich.
„Hei hoha ha, ho haha“, sang auch Emilia.

Alsbald war die Materialhütte mit silbrigem Nebel erfüllt durch den
das Sonnenlicht an den Toren der Hütte nur noch ganz spärlich
eindringen konnte. Ein wohliger Geruch nach Silberminzendampf
machte sich breit.

„So, jetzt legen wir die blutroten Ranken auf die dampfenden
Minzenblätter“, erklärte Panyma. Emilia und Panyma nahmen je einige
der Rankenblätter und legten sie auf Feuer. Ein Blitz zuckte durch die
Hütte und im Feuer liegen silberglänzende Kristallblätter. Mit weit
geöffneten Augen kam Emilia nicht mehr zum Staunen hinaus. „Oh sind
die schön“, schwärmte sie, während Panyma die Blätter aus dem Feuer
nam. „Ja“, freute sich Panyma, „sie haben sich in silbrige
Zauberblätter verwandelt. Es sind Farbzauberblätter. Wenn du sie
etwas anwirfst, so kannst du dir eine Farbe wünschen, die der
angeworfene Gegenstand dann annimmt. Es ist ein Zauber, den
Zauberschüler am Anfang lernen müssen. Er birgt in sich hohe
Zauberkräfte ohne grossen Schaden anrichten zu können, denn sonst
könnte es gefährlich werden“. „Darf ich es einmal versuchen?“, fragte
Emilia. „Mh“, zögerte Panyma, „nur mit den Kristallblättern alleine ist
es wohl noch zu schwierig für dich. Lass uns zuerst im Urwald das
violette Runkelkraut suchen gehen. Dann kannst du beide zu Hilfe
nehmen. Das macht es dir viel einfacher. Ein forgeschrittener, guter
Zauberer könnte vielleicht mit den silberglänzenden Kristallblättern
alleine Zaubern, aber für einen Anfänger ist es fast unmöglich. Komm
lass uns die Blätter bis zu unserer Rückkehr in dieser Ledertasche
aufbewahren“. Panyma und Emilia legten die Kristallblätter vorsichtig
in die Ledertasche und hingen diese an einem Balken auf. „Lass uns
jetzt in den Urwald gehen“, schlug Panyma vor und die zwei Frauen
verschwanden ins Freie.

Kaum waren Panyma und Emilia aus der Materialhütte verschwunden,


blinzelte auch schon ein Mädchen aus einer Hängematte hervor. Es war
Iakunae. Das Lausemädchen, sie hatte doch gar nicht geschlafen. Nein,
gelauscht hatte sie, wie sie es eigentlich nicht hätte tun dürfen.
Vorsichtig schaute Iakunae sich um, dass auch ja niemand mehr in der
Materialhütte drin war. Dann schlich sie sich aus der Hängematte, hin
zur Feuerstelle, auf der immer noch die Minzenkräuter dämpften.
Gebannt starrte Iakunae auf die Tasche, die da am Balken hing. „Ohh“,
staunte Iakuane, „da sind jetzt also die Zauberblätter drin?“. Sie
konnte der Neugier nicht widerstehen und nahm den Sack in ihre
Hände. Einen kleinen Spalt nur öffnete sie den Deckel der Tasche. Da
glitzerte und glänzte es wunderschön hervor aus den Zauberblättern
die drin lagen. Vorsichtig zog Iakunae langsam ein Blatt heraus.

Mit grossen Augen bewunderte Iakunae das Blatt in ihrer Hand. „Oh“,
staunte sie, „ist das schön, so glänzend silbrig“. Darauf roch sie an
diesem Blatt und verzog ein schräges Gesicht, „bäääh, so schön silbrig
sind die Blätter und trotzdem riechen sie so grässlich nach Pech und
Schwefel“.

Iakunae hielt eines der Blätter in ihrer rechten Hand und betrachtete
es lange. Weit riss sie vor ihre Augen auf, wie plötzlich das Blatt zu
leuchten anfig. Sie bestaunte das Blatt und da plötzlich – geschah
etwas unerwartetes. „Patsch“, knallte es und Iakunae wurde von einem
Büschel Stroh am Kopf getroffen. „Ah“, stöhnte Iakunae, „das kann
doch nur....“. Dann sah sie wer vor ihr stand, Ojang Utan und in der
Hand hielt er Otsaro, den Lemur. “ Ojang Utan, du dummer Lausbub,
wart nur“. Iakunae hob den Stroh auf, der vor ihr lag, nahm ihn in die
Hand und rief: “Ojang Utan, du dummer Lausbub verschwinde. Ich will
dich nicht mehr sehehn“. Iakunae nahm den Stroh und warf ihn Ojang
Utan an. Doch da geschah ein Missgeschickt, das nicht hätte
passieren dürfen. Zu allem Unglück warf Iakunae nicht nur den Stroh
in ihrer Hand, nein, sie warf auch das silbrige Zauberblatt ihrem
Bruder an den Kopf. „Verschwinde, du Nervensäge, ich will dich nicht
mehr sehen“, rief Iaknae noch einmal wütend ihrem Bruder zu.

Darauf knallte es laut und ein Blitz zischte durch die Hütte. Von Ojang
Utan und Otsaro war nichts mehr zu sehen. Iakunae wurde Angst und
Bang. „Jede Farbe kann man da zaubern... ?“, erinnerte sie sich an
Panymas Worte, „jede Farbe? Hmm, und ich habe mir gewünscht, dass
Ojang Utan verschwindet und nun er ist unsichtbar geworden“.
Plötzlich war Iakunae nirgends mehr wohl. Sie spürte, dass sie etwas
ganz dummes angestellt hatte.

Doch nicht alle fanden das Geschehene so schlimm. „Aetsch, bätsch,


blä blä blä„, hörte Iakunae die neckische Stimme von Ojang Utan,
„fang mich doch ,wenn du kannst“. Dazu kreischte der Lemure Otsaro
lebhaft und laut. Noch und noch wurde Iakunae mit Stroh getroffen,
ohne dass sie die Uebeltäter sehen konnte oder sich im geringsten
gegen die lausbübischen Angriffe wehren konnte. Das brachte Iakunae
auf eine Idee. Sie nahm nochmals eines der Blätter aus der Tasche,
legte es in ihre Hand und betrachtet es. „Ich will auch unsichtbar
werden“, sagte sie vor sich hin und zerdrückte das Blatt in ihrer Hand.
Nochmals zischte ein Blitz durch die Hütte und es knallte ein Donner.
Auch Iakuane war nun unsichtbar.
Plötzlich konnte nun Iakunae Ojang Utan und Otsaro neben sich
wieder sehen, denn es war so, dass unsichtbare einander gegenseitig
sehen konnten. Und sie konten auch all die sichtbaren Wesen sehen,
aber sichtbare wesen konnten die unsichtbaren nicht sehen. So wollte
es das Gesetz der Zauberei. „Komm Ojang Utan“, sprach Iakunae zu
ihrem Bruder, „jetzt sind wir beide unsichtbar. Wir können tun und
machen was wir wollen und niemand kann uns sehen“.

„Niemand kann uns sehen“, kicherte Iakunae auf den Stockzähnen,


„aber jetzt mal vorerst, sollen sie uns noch sehen. Komm Ojan Utan,
wir verkleiden uns nochmals als Teufel wie damals als wir Paygi
erschreckt haben. Komm wir spielen wir wären der Teufel“.

Iakunae zog Ojang Utan dieselbe Ritualmaske über wie damals. Sie hob
ihren Bruder auf die Schultern, warf eine Hängematte über sich und
band Avanenes Federschmuck um ihren Hals. Otsaro hatte sich
zuhinterst unter die Hängematte geschoben und rasselte wild mit zwei
Tammarakas.

So schritt das Teufelsungeheuer auf den Dorfplatz. „Hilfe, Hilfe“, der


Teufel kommt, der Jngange“, schrieen die Indianer. Einige von ihnen
wurden von Furcht gepackt, doch die meisten grinsten nur, denn sie
kannten den Streich noch vom letzten mal. Paygi blinzelte nur kurz hin
zum Teufel dann wandte er sich wieder den Frauen zu, denen er
gerade eine Geschichte erzählte und die damit beschäftig waren, ihm
einmal mehr ein fettes Schwein zu grillieren.

Derweil watschelte und rasselte der Teufel auf dem Dorfplatz umher.
„Hilf uns, Paygi, hilf uns“, riefen die Indianer vergnügt, „hilf uns, der
böse Teufel kommt und greift uns wieder an“. Doch Paygi schenkte
dem Teufel keine Aufmerksamkeit, sondern erzählte den Frauen eine
schaudrige Geschichte wie ihn ein feuerspeiender Drache fressen
wollte. Keinen Deut Aufmerksamkeit schenkte er dem Teufel auf dem
Dorfplatz. „Scheisse“, dachte Iakunae, denn das war gar nicht etwa
das, was sie eigentlich wollte. So begann das Teufelsungeheuer im
Kreis um Paygi und seine Frauen zu tanzen und die Frauen waren nicht
so mutig wie Paygi. „Hilfe, hilfe“, flehten sie Paygi an, „hilf uns, du bist
doch unser Schutz gegen den Teufel“. Dazu hielten sie sich fest an
Paygis Arm, was sie ohnehin gerne machten. „Ha ha ha“, lachte Paygi
überlegen und zeigte mit dem Finger auf das Ungeheuer. „Ach die
doofen Kinder unter dem Baumwolltuch meint ihr?“, grölte Paygi laut
herau, „die dummen Kinder die mir einen Streich spielen wollen, ha ha
ha. Schert euch weg ihr frechen Gören, oder ihr kasssiert ganz
ordentlich was ab, ha ha“.

Jetzt reichte es Iakunae „Doofer Paygi“, rief sie unter der


Verkleidung hervor, „friss nicht so viele fette Schweine sonst
zerplatzt du noch „. „Ha ha“, vergügte sich Paygi sichtlich, „habt ihr
gehört, der Teufel hat ja genau die gleiche Stimme wie Iakunae. Nur
ist der Teufel niemals so frech, wie diese kleine Göre. Und wenn sie
jetzt nicht sofort verschwindet, so kann sie was erleben“. Eine grosse
Erleichterung ging durch die Runde der Paygi verehrenden Frauen. „Ah
Paygi“, staunten sie erleichtert, „ wenn wir dich nicht hätten, wir
wären hilflos verloren“.

Jetzt hatte Iakunae endgültig die Schnauze voll, denn sie dachte
zuerst, es sei viel einfacher, Paygi zu ärgern. Und das wollte sie ja
unbedingt. Doch schon kam ihr ein weiterer Einfall. Gut versteckt
unter der Hängematte, hob sie einen Zweig vom Boden auf, und gab
Paygi einen kräftigen Klaps auf seinen allerwertesten Hintern. „So“,
knurrte Paygi zwischen seinen Zähnen hervor, „jetzt reichts ein für
alle mal“.. Den Kindern, denen wollte er es jetzt endgültig mal
beibringen. Mit beiden Händen fasste er die Maske des Teufels und
riss sie weg, während gleichzeitig Federschmuck und Hängematte zu
Boden fielen. Doch nun traf Paygi die grosse Ueberraschung. „Ihr
dummen Göööörr...“, wollte Paygi ein letztes mal schimpfen. Dann fielen
ihm beinahe die Augen aus dem Kopf heraus. „ göööö .... gööööörrrrr“,
stammelte der verdatterte Urwaldpriester verzweifelt. Nichts, kein
Kind, kein Tier, kein Mensch, niemand war unter dem Tuch, der sich als
Teufel verkleidet hatte, nur gähnende Leere. „Da da da da“,
stammelte Paygi und liess vor Schrecken gelähmt sein Tammaraka aus
den Händen fallen, „da. da ist ja gar niemand“.

Und nun ging es wild zu und her im Indianerdorf. Unablässig fiel Stroh
runter von den Dächern auf die Köpfe der Indianer. Eimerweise
spritzte kaltes Wasser in die Reihen der hilflos umherrennenden
Männer, Frauen und Kinder. Dann wurde es wieder ganz ruhig und
nichts mehr gechah bis plötzlich einige Indianer gekitzelt wurden.

So wild wäre es wohl noch lange zu und her gegangen, wenn da nicht
zwei Frauen ins Indianerdorf zurückgekommen wären, Panyma und
Emilia. „Panyma, Panyma. Hilfe hilfe“, schrieen einige Frauen, „böse
Geister überfallen das Dorf. Sie werfen mit Stroh nach uns, spritzen
uns mit Wasser voll und kitzeln uns“. Panyma verzog ein schräges
Gesicht wie sie das hört. Ohne ein Wort zu sagen fasste sie Emilia an
der Hand und eilte in die Materialhütte. „Hab ichs mir doch gedacht“,
sagte sie schliesslich zu Emilia, „diese Iakunae - ein schlimmes
Lausemädchen. Zauberblätter hat sie genommen und damit geworfen ,
und dann sogar der Unsichtbarzauber. Ich galubs ja nicht“. Nach einer
Weile Ueberlegen fuhr Panyma fort: „ Aber wart nur Iakunae, jetzt
wirst du eine Ueberraschung erleben“. „Was meinst du damit?“, fragte
Emilia. „Hi, hi hi,“ kicherte Panyma, „gib mir doch mal das violette
Runkelkraut, das wir vorhin gesammelt haben“.

Unter den Minzen fand Panyma noch einige Glut des Feuers und schon
bald dämpft es wieder in der Materialhütte. Viel geschah nicht, als
Panyma die drei violetten Runkelblätter in die Glut fallen liess. Ein
leises ‚Klick’ und die Blätter zerfielen ins Nichts. „So, die drei Blätter
siehst du nicht mehr“, lächelte Panyma zu Emilia, „aber draussen sind
drei Lausebengel wieder sichtbar geworden“.

Nun ist es so, dass gemäss den Gesetzen der Zauberei beim
Unsichtbarzauber einzig die Sichtbaren die Unsichtbaren nicht mehr
sehen können. Die Unsichtbaren selber aber sehen alles so wie zuvor,
sowohl sich selbst als auch die Sichtbaren. Das bedeutet aber, dass
wenn der Zauber plötzlich aufgehoben ist, die Unsichtbaren dies
vorerst gar nicht bemerken können, denn für sie selber ändert sich
nichts. Sie sehen immer noch dasselbe, wie wenn sie noch unsichtbar
wären, es sei denn......

Ojang Utan lief zu Häuptling Avanenes Fuss um ihn zu kitzeln. Doch


nun war es anders wie vorhin. Häuptling Avanene sah nämlich den
Jungen. „Ojang Utan“, mahnte Avanene im strengen Ton. Und schon
war der kleine Bube in den Armen des Häuptlings gefangen und wurde
grad selber ausgekitzelt. Iakunae schaute daneben zu und erschrak.
„Aehm Aeh, ich glaube, ich glaube wir sind nicht mehr unsichtbar“,
stammelte Iakunae und flüchtete wie der Blitz in Richtung
Materialhütte. „Iakunae“, rief Iakunaes Mutter, „du Lausemädchen, du
warst das also, wart nur, jetzt kannst du von mir was erleben“.
Iakunaes Mutter rannte ihrer Tochter hinterher. Am einfachsten
hatte es Otsaro. Er sass zuoberst auf dem Strohdach einer Hütte,
„uh, uh ,uh uh“, rief er und grabschte sich schnell ein in den Stroh.
Bevor die Luft nicht wieder rein war, würde er sich nicht mehr blicken
lassen.

„Ah da kommt ja das Lausemädchen“, wurde Iakunae von Panyma in der


Materialhütte empfangen, „komm hierher. Ich will mal ein ernstes
Wörtchen mit dir reden“. Doch Iakunaes Mutter kam Panyma zuvor:
„Du Donnersmädchen, wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du keine
Streiche spielen darfst. Das ist schlimm mit dir. Im ganzen
Indianerland erzählen sich die Leute, dass du das schlimmste
Lausemädchen bist, dass das Land Ubatuba je gesehen hat. Und weißt
du was? Die Indianer haben recht. Sie haben vollkommen recht. Und
ich habe das Vergnügen, dass ich deine Mutter sein darf. Was soll ich
mit dir bloss machen? Ich weiss es auch nicht“. „Ach komm doch mal“,
bat Panyma Iakunaes Mutter, „ich muss mal was mit dir besprechen.
Und du Iakunae, du wartest schön hier und schämst dich mal gehörig.
Sonst kannst du dann von mir was erleben. Und das ist dann nicht so
lustig wie von Paygi“.

So begaben sich die zwei Frauen in eine Ecke und berieten lange.
Emilia hatte sich neben Iakunae gestellt, der inzwischen erste Tränen
die Backen hinunterrollten. „Es war halt so lustig“, erklärte Iakune
ihrer Freundin mit trauriger Stimme. Emilia legte ihren Arm um ihre
Freundin und versuchte sie zu trösten. Lange berieten Panyma und
Iakunaes Mutter. Einige Wortfetzen können die zwei Mädchen
vestehen: „Ja meinst du wirklich?“, hörten sie Iakunaes Mutter
sprechen, „....ja sowas ..... wieso nicht... meinst du das geht?“

„Die werden sich wohl eine ganz schlimme Strafe für mich ausdenken“,
befürchtete Iakunae, „vermutlich darf ich jetzt ein ganzes Jahr lang
den Dorfplatz putzen und Paygi einen Monat lang jeden Tag ein fettes
Schwein servieren“. „Das glaube ich nicht“, machte Emilia ihrer
Freundin Mut, „das Schwein bekommt Paygi sowieso lieber von seinen
Frauen geschenkt. Aber irgendeine Strafe werden sie schon finden
für dich“.

Nach einiger Zeit kamen Panyma und Iakunaes Mutter auf die zwei
Mädchen zugelaufen. Panyma schaute streng zu Iakunae hinunter.
„Weisst du wie gefährlich das ist, was du soeben gemacht hast
Iakunae?“, fragte Panyma mit drohender Stimme, „wenn du da etwas
falsch machst, so kannst du jemanden verletzen oder du selber kannst
für immer und ewig selber verschwinden. Da hast du Glück gehabt“.
Iakunae stierte vor sich in den Boden hinein, hob die Schulter und
stammelte: „Entschuldigung“. „Ja, ja, so sind halt die Lausemädchen“,
fuhr Panyma in freundlicherem Ton fort, „und eines hast du uns auch
gezeigt, Iakunae. Nur gute Zauberer sind in der Lage alleine mit den
Zauberblättern zu zaubern. Ich hätte es nie für möglich gehalten,
dass du das auf Anhieb kannst. Da habe ich mir gedacht, du wirst
vielleicht in Zukunft weniger ein Lausemädchen sein, wenn du
gefordert wirst und etwas lernst. Es wäre mir eine Freude, wenn du
zusammen mit Emilia zu mir in die Zauberschule kommen würdest“.

„Du meinst.....?“, staunte Iakunae und brachte kaum mehr ein Wort
über die Lippen, „du meinst wirklich…?“. „Ja genau“, antwortete
freundlich Panyma. Emilia umarmte ihre Freundin. „Juhuu, jetzt sind
wir zu zweit in der Zauberschule, juhuu“, freute sich Emilia.
Kapitel 6 Wald der Schwarzen Schatten

Juanita sass am Verandatisch und kritzelte etwas auf ein Blatt


Papier. Emilia stand neben ihr und faltete frisch getrocknete Wäsche.
Hie und da guckte Emilia rüber zu Juanita. „Juanita bist du am
Zeichnen? Malst du dein kleines Kunstwerk?“, fragte Emilia und guckte
neugierig auf das Blatt vor dem Mädchen. Doch Juanita war nicht das
einzige Kind, das mit Zeichnen beschäftigt war. „Thiago auch zeichne“,
ereiferte sich Thiago, „auch Zeichnen. Thiago zeichne Kuh“.

„Du sollst aber auf deinem eigenen Blatt zeichnen“, wies Juanita ihren
kleinen Bruder zurecht, „da drüben ist dein Blatt“. „Nein, nein, Thiago
zeichne hier. Das Thiago Blatt“. „Nein das ist nicht dein Blatt. Das ist
mein Blatt“, wehrte sich Juanita entschieden, „Tu doch bitte auf dein
eigenes Blatt zeichnen, Thiago“. Doch einen Moment später hatte
Juantia ein bessere Idee. „Weißt du was Thiago?“, sprach sie zu ihrem
Bruder, „wenn du auf deinem eigenen Blatt eine schöne Zeichnung
fertig hast, so werden wir sie direkt über deinem Bett in unserem
Zimmer aufhängen. Und wenn du willst, so können wir sie sogar über
meinem Bett aufhängen“.

Das hatte bei Thiago die gewünschte Wirkung erzielt. „Thiago machen
Geschenkli Juanita. Sööne Zeichnung, liebe Juanita“, freute sich der
Junge. Ja so ist es doch, andern etwas zu schenken macht selber am
meisten Freude. Das wusste auch schon der kleine Thiago.

„Zeichnest du einen Baum, Juanita?“, fragte Emilia weiter. „Ja“,


antwortete Juanita, „ich habe diesen Baum auf deinem Pergament
entdeckt. Ein hoher dicker Baum mit tiefen schwarzen Wurzeln. Sag
Maija, beim Baum auf deinem Pergament, was sind denn das für weisse
Striche in den Wurzeln des Baumes? Haben die Wurzeln ein Gesicht?
Ist das ein Kind, das da in die Wurzeln hineinrennt? “.
Emilia schwieg. Sie nahm das Pergament zur Hand und schaute es eine
Weile an. „Das ist eine längere Geschichte“, erklärte Emilia und begann
vorzulesen.

An einem schönen Morgen spielten Emilia und Iakunae zusammen in der


Materialhütte. „Also das hier ist ein D, sagst du?“, fragte Iakunae
ihre Lehrerin Emilia. Die zwei Mädchen spielten Schule. Emilia gefiel
das sehr. Wenn es schon keine Schule gab im Indianerdorf Uwattibi,
so konnte sie jetzt wenigstens Schule spielen und dazu grad noch
Lehrerin sein. Iakunae war eine fleissige Schülerin und hatte grosse
Freude, weit und breit das einzige Indianermädchen zu sein, das in
eine Schule gehen durfte.

Eine Weile schaute Iakunae auf die Zeichen im Sand. „Das D ist leicht
sich zu merken“, bemerkte sie, „das D sieht ja aus wie ein dicker
Bauch“. „Ja“, erklärte Emilia, „aber gib acht, dass du es nicht mit dem
P verwechselst. Das sieht auch aus wie ein Bauch, aber halt nur bis zur
Hälfte runter“. „Hi, hi“, grinste Iakunae, „das P sieht ja noch viel
lustiger aus. Wie ein dicker Hängebauch. P, wie der Bauch von Paygi.
So kann ich mir das P auch gut merken“. Die Mädchen kicherten und
lachten. Sie hatten es vergnügt in ihrer Schule.

„Aber sag mal Emilia?“, wunderte sich Iakunae, „nur um solche


sonderlichen Zeichen zu lernen geht doch niemand in die Schule. Was
soll denn das? Ich meine, jetzt weiss ich wie sich ein P, ein D und ein I
schreibt. Aber was nützt mich das? Ist ja lustig, aber was soll ich
damit anfangen?“. „Dann versuch mal ein paar Buchstaben aneinander
zu hängen und schnell auszusprechen. Vielleicht fällt dir dann was auf“.
Iakunae blickte skeptisch zu Emilia. Dann überlegte sie eine Weile.
„Ein paar Buchstaben aneinanderhängen sagst du?“, fragte sie
nachdenklick, „also gut ich versuchs mal“. Wieder verging eine weile.
Iakunae überlegte einmal mehr und hob ihren Kopf. „Also gut“, begann
das Mädchen, „wenn du meinst...hmm -- prliklüp kladnakiki krodokok –
das sind jetzt ein paar Buchstaben aneinander“. Schliesslich aber
kratzte sich Iakunae kräftig am Kopf: „Nein es tut mir leid. Ich weiss
wirklich nicht wozu das gut sein soll“, bedauerte sie. „Ach nein“,
stöhnte Emilia verzweifelt, „es gibt einfachere Sachen auf dieser
Welt als einem Indianermädchen erklären zu wollen, was schreiben
ist“. Dann überlegte Emilia eine Weile und fragte: „Kannst du dir das
wirklich nicht vorstellen, Iakunae?“. Iakunae grinste, zuckte mit den
Achseln und warf ihre Arme in die Luft. „hi hi hi“, amüsierte sie sich,
„keine Ahnung was das soll“. Zuerst wunderte sich Emilia etwas
darüber, dass ihre Freundin nicht wusste, wozu Buchstaben gut sind,
doch dann wurde ihr klar, dass Iakunae noch nie in ihrem Leben ein
Buch oder sonst etwas geschriebenes gesehen hatte und es ganz
normal war, dass sie nicht verstehen konnte, was das soll. Und eine
gute Lehrerin hat immer viel Geduld, das wusste Emilia aus ihrer
eigenen Zeit, als sie noch in Porto zur Schule ging. Und eine gute
Lehrerin findet auch spannende und unterhaltsame Wege ihren
Schülern etwas beizubringen.

„Kannst du dir wirklich nicht vorstellen was du mit diesen Buchstaben


tun kannst? Weißt du eigentlich, was du bist?“, fragte Emilia im
ernsten Ton, „weißt du was du bist, Iakunae?“, „Nein, nein“, erschrak
Iakunae und schaute Emilia mit grossen Augen ungläubig an, „nein,
bitte, sag es mir“. „Nein, das sage ich dir nicht“, sprach Emilia in
strenger Manier, klopfte mit der Faust auf den Bambustisch und
kritzelte etwas in den Sand, „das musst du schon selber heraus finden.
Schau mal hier in den Sand. Was siehst du?“, „Was ich da sehe, zwei
mal ein P und zwei mal ein I, na und?“, verwunderte sich Iakunae. „Dann
sag doch die Buchstaben mal ganz schnell aneinander, so wie sie hier
stehen. Dann weißt du was du bist“. „P.... I ..... P......I ......“, stammelte
Iakunae unendlich langsam, „p.i.p.i, p.i.pi, pi.pi? Pipi“. Nun riss sie ihren
Mund weit auf und staunte: „Ahhh pipi, das heisst doch in der Tupi
Sprache klein. Ah da, jetzt verstehe ich. Ein paar Buchstaben
zusammen, die heissen dann etwas“. Iakunae kam aus dem Staunen
nicht mehr heraus. „Ich kritzle jetzt noch etwas in den Sand“, schlug
Emilia vor. „Ja, ja, tu das nur“, freute sich Iakunae, „das ist ein
lustiges Spiel“. Eine Weile starrte Iakunae erneut auf die Zeichen im
Sand, dann sprach sie: „p..i...p...i k..u..n...a, pipi kuna, kleines Mädchen
in tupi Sprache“. So war die Freude riesig, wie Iakunae feststellte,
dass sie etwas ausgesprochen erstaunliches und wertvolles von Emilia
lernte.

Ein wohliger Duft frisch gebackener Maniokabrote und feiner


Grilladen machte sich breit im Indianerdorf. Iakunae atmete tief ein
und schwärmte: „mh, Schule gibt Hunger, mhhh“. Ojan Utan guckte zur
Türe hinein. „Essen kommen, essen kommen“, rief er, „Essen kommen,
Essen feltig“. „Ja sag Mama wir kommen bald. Die Schule dauert nicht
mehr lange“, antwortete Iakunae. „Auch Suule, Ojang Utan will auch
Suule“, stammelte Ojang Utan, blickte auf die Zeichen am Boden und
zeigte auf das D, „Pfeilbogen, Pfeilbogen, suule söön“. Emilia lächelte.
„Ojang Utan, du bist noch ein bisschen zu klein für die Schule“,
tröstete sie den kleinen Jungen und streichelte Ojang Utan liebevoll
am Kopf, „wenn du ein grosser Junge bist, so kannst du auch zu uns in
die Schule kommen“. Darauf wandte sich Ojang Utan ab und verliess
die Hütte. Dem Duft des feinen Essens konnte er nicht länger
widerstehen.

Im hinteren Teil der Hütte sass schon seit Stunden Panyma reglos da
und schaute in die Glut des Feuers vor ihr. Die zwei Mädchen standen
auf und gingen hin zu Panyma. „Na ist eure Schule zu Ende?“, fragte
Panyma im freundlichen warmen Ton ihrer Stimme. „Ja“, antwortete
Emilia, „wir wollten dich fragen, ob wir am Nachmittag zu dir in den
Zauberunterricht kommen dürfen“. „Ja natürlich dürft ihr zu mir
kommen“, antwortete Panyma, „Seht ihr die schöne Glut? Seht ihr
sie?“. Panyma fuhr mit ihrer Hand über die hellrot glimmernde Glut.
Hinter ihrer Hand verwandelte sich das Rot der Glut in das
tausendfache Funkeln goldener Steine. „Oh schön“, staunte Iakunae.
„Hi hi hi“, kicherte Panyma und wie sie mit ihrer Hand zurückfuhr war
wieder die alte Glut da.

„Gruhuu, gruhuu“, grüsste eine Vogelstimme die drei Frauen, „gruhuu,


gruhuu“. „Urwaldeule, oh liebe Urwaldeule“, freute sich Emilia, die
Abares Vogelfreund sofort wiedererkannte. Panyma blickte empor zur
Urwaldeule und streckte ihre Hand aus. Die Urwaldeule landete auf
Panymas Hand. Iakunae und Emilia knieten nieder um dem lieben Vogel
näher zu sein. Die Urwaldeule hielt ein dürres Blatt in ihrem Schnabel.
„Will sie irgendwo ein Nest bauen?“, fragte Emilia.
Panyma nahm das dürre Blatt in ihre Hand und schaute es an. „Nein“,
antwortete sie, „Die Urwaldeule hat ein dürres Blatt gebracht, aber
nicht um sich ein Nest zu bauen. Nein, sie bringt uns eine Botschaft“.
„Eine Botschaft?“, staunte Emilia. Panyma drehte das dürre Blatt in
ihren Fingern und schaute es genau an. „Ja eine Botschaft“, erklärte
sie, „es findet heute ein Zauberertreffen statt im Urwald, eine
dringende Versammlung, und wir werden alle drei gebeten, dorthin zu
kommen“. „Im Urwald?“, wunderte sich Iakunae, „weit weg?“. „Nein es
ist nicht weit, zwei Stunden nur von hier, aber wir müssen zuerst
durch einen Ort gehen voller Gefahren und Abgründe, ein Ort, wie er
dunkler nicht sein könnte, durch den Wald der Schwarzen Schatten“.
„Ha“, erschrak Emilia, „Wald der Schwarzen Schatten? Ist es dort
nicht gefährlich?“. „Ja“, antwortete Panyma, „es ist dort gefährlich,
denn es ist ein Ort verlassener und irrender Seelen“. Iakunae
schluckte hart und hielt den Atem an, doch Panyma fuhr fort: „Ihr
müsst nicht mitkommen, wenn ihr nicht wollt. Ihr könnt auch hier
bleiben, und dann werden wir morgen wie gewohnt mit dem
Zauberunterricht fortfahren“. Iakunae und Emilia knieten nahe
zusammengerückt vor Panyma und gaben sich die Hand. Sie schauten
sich einander in die Augen. „Doch doch“, antworteten nickend beide
Mädchen, „wir werden mitkommen“, denn der geheimnisvolle Ort im
Urwald hatte ihre Neugierde ebenso geweckt, wie er ihnen Angst
einjagte. „Gut, dann kommt hierher eine Stunde nach dem
Mittagessen“, wies Panyma die zwei Mädchen an, „dann gehen wir hin.
Aber jetzt geht essen. Stärkt euch, es wird ein strenger nachmittag.
Und um noch etwas bitte ich euch. Es ist besser, ihr erzählt
niemandem etwas davon. Ich möchte nicht, dass uns jemand folgt“. Die
zwei Mädchen nickten und verschwanden aus der Materialhütte.

6-1

Emilia und Iakunae mochten kaum warten bis die Stunde nach dem
Mittagessen vorbei war. So gespannt waren sie auf die Abenteuer, die
sie an diesem Nachmittag erleben würden. Dann endlich war es soweit.
Gemeinsam betraten sie die Materialhütte. In der dunkelsten Ecke,
zuhinterst in der Hütte kniete Panyma am Boden. Mit beiden Händen
griff sie in die schwarze, kalte Asche der Feuerstelle. „Schwarze
Asche“, sagte sie zur Begrüssung zu den zwei Mädchen und begann
sich am ganzen Körper einzureiben, „im Wald der Schwarzen Schatten
müssen wir uns mit schwarzer Asche einreiben. Dann sind wir schwarz
und nicht mehr zu sehen. Und das kann entscheidend sein“. Die zwei
Mädchen knieten ebenfalls nieder und rieben sich mit Asche voll. „Ist
das die gleiche Asche mit der du am morgen gezaubert hast?“, fragte
Emilia. „Ja“, antwortete Panyma, „ja du hast recht, es ist dieselbe
Asche. Es ist keine gewöhnliche Asche mit der wir uns einreiben“.

Iakunae hatte sich schnell eingerieben, denn Schminken und Anmalen


waren ihre Lieblingsbeschäftigungen. „Du siehst aus wie ein
schwarzes Teufelchen“, neckte Emilia und die drei Frauen lächelten
sich an. „Wart Emilia, ich helfe dir“, schlug Panyma vor und begann
Emilias Rücken einzureiben. Während Panyma und Emilia beschäftigt
waren, stand Iakunae auf und lief etwas in der Materialhütte umher.
Sie sah die vielen Speere und Pfeilbogen, die aufgehängt waren und
Avanenes Häuptlingsfederschmuck, den der Häuptling zu hohen
Anlässen trug. Doch dann, wie sie um einen Balken herum lief erschrak
sie. Eine grimmige Geistermaske starrte ihr ins Gesicht. Doch auch
Iakunae verzog eine fürchterliche Grimasse. „Bäääääh“, streckte
Iakunae der Maske ihre Zunge heraus, hielt ihre Daumen an die Ohren
und wackelte mit den Fingern, „bäääh, dä dä dä dä, vor dir habe ich
keine Angst“. Doch dann lief sie schnell weiter, sicher ist sicher. Am
nächsten Balken hingen Ledersäcke mit Kräutern, die die drei Frauen
zum Zaubern brauchten. „Hm“, dachte Iakunae und schaute sich zur
Sicherheit um, dass Panyma und Emilia sie ja nicht beobachteten, „ich
steck mir lieber noch ein paar silbrige Zauberblätter ein. Kann ja
nichts schaden“. Schnell nahm sie, ohne dass Panyma und Emilia es
bemerkten, einige der Blätter aus einem Lederbeutel und steckte sie
in ihre Umhängetasche.

Hand in Hand folgten Iakunae und Emilia Panyma durch den


dunkelgrünen ewigen Urwald. Panyma drehte sich einige male um und
blickte zurück, dass ihnen auch ja niemand folgte. Schliesslich atmete
sie erleichtert auf: „Es scheint, dass niemand im Dorf etwas von
unserem Vorhaben mitbekommen hat. Das ist gut so, denn wir werden
genug zu tun haben, auf uns selber aufzupassen. Ich möchte da nicht
noch irgendwelchen neugierigen Leuten zu Hilfe eilen müssen“.

Die Urwaldgegend, die die drei Zauberinnen durchschritten, war fast


menschenleer. Nur einmal kreuzten sie den Weg mit einer Gruppe
Indianerfrauen, die geerntete Maniokawurzeln in ihr Dorf trugen. Mit
weit aufgerissenen Augen glotzten die Frauen auf die drei schwarzen
Gestalten. „Wääääh, iiiiii, Hilfe“, kreischten die Indianerfrauen in
tiefster Panik. „Jngange, Hilfe ,Hilfe, Jngange, der Teufel“. Die
aufgescheuchten Frauen liessen ihre Maniokawurzeln auf der Stelle zu
Boden fallen und flohen so schnell es ging. Einen Moment später
ertönte lautes Kreischen und Trommeln in einem nahen Indianerdorf.
Kinder schrieen und weinten und das Klopfen von Pfeilen, Schildern
und Speeren war laut und deutlich zu hören, sodass ein jeder Feind
gewarnt sei. Panyma grinste. „Scheint dass wir mit unserer schwarzen
Bemalung nicht allzu vertrauenswürdig ausschauen“, bemerkte Panyma
trocken. Die drei Zauberinnen lachten fröhlich und setzten ihren Weg
fort.

Es war eine wunderschöne Landschaft, die sie durchschritten. Riesige


Bäume, auf denen bis in die höchsten Astgabeln die buntesten
Hängeblumen grüssten, wechselten ab mit Steppenlandschaften in
denen mannshohes dichtes Gras und Büsche wuchsen. Panyma sang
schon eine Weile ein fröhliches Lied und die zwei Mädchen, die dicht
hinter ihr Hand in Hand dem Weg folgten, stimmten freudig in die
Melodie ein. „Kennst du den Weg gut?“, fragte Iakunae. „Mh ja“,
antwortete Panyma, „zwei oder drei mal war ich schon hier. Die Büsche
und die Gräser waren das letzte mal weniger hoch. Aber sonst sieht es
noch gleich aus“. Da war nichts, das die drei wandernden Zauberinnen
hätte stören können.

Doch dann plötzlich, „pssst“, zischte Panyma und unterbrach ihren


Gesang auf der Stelle. Sie gab den beiden Mädchen ein Zeichen mit
der Hand, dass sie stillstehen sollten. „Hört ihr das?“, flüsterte
Panyma, „da ist was, hinter dem Busch“. Emilia schüttelte den Kopf.
Sie hörte nichts. Iakunae kauerte sich nieder und versuchte unter die
Büsche blickend etwas zu erkennen. Doch Gebüsch und Gras waren zu
dicht, als dass sie da etwas hätte sehen könnte. „Krrrtsch“, knisterte
es laut hinter dem Busch. Zweige wurden geknickt und ganze Büsche
und Stauden krachten in sich zusammen, wie wenn es Zündhölzer
wären. Ein mächtiges Geknister und Geknarste bewegte sich auf die
drei Zauberinnen zu.

„Ah“, erschrak Iakunae und hielt sich fest an Emilias Arm, „hätten wir
doch nur Pfeil und Bogen mitgenommen“. Emilia zitterte und schaute
gebannt auf das Ungeheur, das da irgendwo nicht mehr weit weg auf
sie zukam. „Wenigstens bist du bei mir, Iakunae“, stöhnte Emilia und
hielt sich eng an Iakuanes Arm, „es ist schön eine Freundin wie dich
bei mir zu haben“. Nahe standen die zwei Freundinnen zusammen, fest
entschlossen einander bei jeder Gefahr zu helfen.

Die Bedrohung kam näher und näher. Doch dann, „Gru, Gru, gru“,
grunzte und schnarchte es den dreien lautstark entgegen.
„Wildschweine“, kicherte Panyma erleichtert, „satte vollgefressene
Wildschweine. Die tun niemandem etwas zuleide“. Ein gutes Dutzend
runde kurzbeinige Schweine rannten wakelig hervor und guckten
verdutzt auf die drei Frauen. „qui, qui, qui“, beschnupperte ein kleines
Schweinebaby Emilias Fuss und versuchte vergebens, da noch ohne
Zähne, Emilias Fuss zu knellen und zu beissen. Emilia lachte: „Oh du
süsses liebes Schweinebaby“. „Gru, gru grugru“, schimpfte die
Schweinemutter aus sicherer Entfernung und blickte ängstlich auf die
drei kohlenschwarzen fremden Gestalten. „qui, qui, qui“, quitschte das
kleine Baby, schaute nochmals zu Emilia empor und humpelte vergnügt
zur grunzenden Mama. So schnell wie die Wildschweine in der Wildnis
aufgetaucht waren, so schnell waren sie wieder verschwunden und
nichts war mehr von ihnen zu hören.

*** Beginn Probekapitel ***

Kurz darauf führte der Weg in eine Waldschneise hinein. Auf beiden
Seiten ragten die Baumriesen weit zum Himmel empor und dazwischen
bedeckte mannshohes Gras die weiche, warme Erde. „Wieso müssen
wir eigentlich durch den Wald der Schwarzen Schatten gehen an
dieses Zauberertreffen?“, fragte Emilia, „die Zauberer hätten das
Treffen ja auch auf unserer Seite des Waldes abhalten können“.
„Tja“, antwortete Panyma, „wir sind die einzigen Zauberer, die auf
dieser Seite des Waldes leben und die andern wollten nicht alle durch
diesen gefährlichen Wald hindurch. - Und - unter uns gesagt, aber von
dem dürft ihr am Treffen nichts sagen, die meisten Zauberer würden
es niemals wagen, diesen Wald zu betreten“.

Es war gut, das Panyma vorauslief und sich jetzt nicht drehte, denn
wenn sie die Gesichter von Emilia und Iakunae gesehen hätte, so wäre
es ihr nirgends recht gewesen, welch tiefen Schrecken sie mit diesen
Worten den zwei Mädchen eingejagt hatte. Emilia hielt den Atem an
und staunte. „Was? Wie? Die meisten Zauberer würden es nicht
wagen, diesen Wald zu betreten?“, fragte Emilia befremdet, „habe ich
das richtig gehört? sie wagen es nicht?“. Panyma blieb stehen und
wandte sich den Mädchen zu. „Habt ihr jetzt etwa Angst bekommen?“,
staunte sie. „Weißt du Panyma“, stotterte Iakunae, „du sagst, die
meisten Zauberer haben Angst in den Wald der Schwarzen Schatten
zu gehen und wir sind doch noch Mädchen, jung und ohne viel
Erfahrung“. „Ach was“, beruhigte Panyma ihre zwei Schülerinnen,
„vergesst die anderen Zauberer. Da gibt es einige darunter, die
können weniger zaubern wie ihr. Das sind nicht alles nur die besten.
Aber es sind gemütliche und liebe Menschen, und das finde ich das
wichtigste“.

Panyma blickte hoch, zeigte mit der Hand zum Himmel und winkte.
„Dreht euch mal um Mädchen. Es scheint, dass uns doch jemand aus
dem Dorf gefolgt ist“. Iakunae und Emilia sahen zwei Vögel fliegen. Es
waren die Urwaldeule und Abare, der Papagei. „Abare, Abare. Hier
sind wir“, rief Emilia zum Himmel empor und winkte ihrem Freund.
„Emilia, Emilia, kraaah, kraaah“, antwortete Abare. Darauf
verschwanden die zwei Vögel in den Wipfeln der Bäume.

„Lasst uns weiter gehen“, forderte Panyma auf. Immer schmäler wurde
die Waldschneise, in die sie hineinliefen und die Bäume ragten steil
zum hohen Himmel empor. Was Emilia aber am meisten verwunderte
war die Tatsache, dass sie in den Wald links und rechts von ihr nicht
hineinblicken konnte. Das Laub, die Gräser, die Büsche und die Dornen
am Waldrand wuchsen dicht und liessen die Vorbeigehenden keinen
einzigen Zentimeter des Waldesinnern erkennen.

Von Iakunae, die sonst immer gerne etwas erzählte, war seit einiger
Zeit nichts mehr zu hören. Hatte das Mädchen etwa zuviel Angst, um
sich in den Wald der Schwarzen Schatten hinein zu wagen? „Du bist so
ruhig, Iakunae“, bemerkte Panyma, „was ist denn los mit dir? Du
erzählst doch sonst immer was. Hast du etwa Angst mitzukommen?“.
„Ja, das vielleicht auch“, schluchzte Iakunae und rümpfte sich weinend
die Nase, „aber weißt du Panyma, da ist noch was anderes. Bevor wir
fortgingen, habe ich etwas getan, was ich glaub nicht hätte tun
dürfen. Und das plagt mich jetzt“. „Was hast du?“, staunte Panyma.
„Sie hat etwas gelausert“, lächelte Emilia, „los Iakune, sag uns schon,
was hast du schlimmes angestellt?“. „Wisst ihr“, schluchzte Iakunae,
„wie sich Emilia mit Asche schwarz anmalte, bin ich in der
Materialhütte herumgelaufen. Als ich plötzlich die wunderschönen
silbrigen Zauberblätter vor mir sah, da habe ich mir heimlich einige
davon eingesteckt. Die glitzern halt so schön. Und jetzt, wo wir hier
sind, habe ich das Gefühl, dass das nicht richtig war von mir. Ich habe
ohne zu Fragen etwas genommen, einfach gestohlen. Und das dürfen
doch Kinder nicht“. „Ach so, du hast ein schlechtes Gewissen“, lächelte
Panyma, „Zauberblätter gestohlen, ts ts. Ja, du hättest es uns sagen
sollen, bevor du da etwas nimmst. Aber gestohlen? Du hast ja
schliesslich beim Sammeln mitgeholfen, und beim Zaubern auch. Also
ein bisschen gehören sie dir ja ohnehin. Und Zauberblätter sind
schliesslich extra für Zauberschüler gedacht und wir haben genug
davon. Aber ja, bevor du in Zukunft etwas nimmst, so sag es uns. Dann
wissen wir was los ist, wenn plötzlich etwas fehlt. Aber so schlimm ist
das nun auch wieder nicht. Kopf hoch Iakunae, und versuchs halt in
Zukunft besser zu machen“. Iakunae stand da und sprach kein Wort,
doch Emilia lächelte freundlich. „Du bist so lieb zu uns, Panyma“,
freute sich Emilia, „auch wenn wir manchmal Lausekinder sind. Du
schimpfst nie, sondern machst uns Mut, es in Zukunft besser zu
machen. Das ist so schön an dir“. Panyma hielt beim Laufen inne,
drehte sich und umarmte ihre zwei Zauberschülerinnen. „Ja ja meine
zwei Lieben“, freute sie sich, „mit euch gefällts mir auch gut. Was
Iakuane getan hat ist zwar nicht ganz in Ordnung, aber besonders
schlimm ist es nun auch wieder nicht“. - - - Nicht so schlimm? Ob
Panyma das auch noch gesagt hätte, wenn sie gewusst hätte, was die
drei im Wald der Schwarzen Schatten erwartet?

Der Weg führte weiter in die Waldschneise hinein, in die


Waldschneise, die immer enger, noch enger und noch höher wurde.
Hoch oben in den Wipfeln der Bäume krächzte Abare. Dennoch, Emilia
konnte nach oben blicken solange sie wollte, sie sah nur einen dünnen,
schmalen Streifen des Himmels zwischen den Bäumen. Abare konnte
sie nirgends sehen aber es freute sie, dass sie ihren Freund so nahe
hören konnte. Jetzt in der Waldschneise, in der sie nicht mehr
vorwärts gehen konnte ohne beidseits an den Aesten des Waldrandes
anzustossen, erinnerte sich Emilia, wie sie als Kind in den schmalen
Gassen zwischen den Häusern in Porto gespielt hatte, damals, vor
ihrer Reise in die „Newe Welt America“, in der alten Welt, die nun so
fern lag. Einige dieser Gassen in Porto waren so eng gewesen, dass die
Erwachsenen kaum mehr durchgehen konnten, und in diesen Gassen
hatte sie als Kind ganz besonders gerne gespielt. Ja, dahin
zurückversetzt fühlte sich Emilia, wie sie den kratzenden Büschen und
Bäumen links und rechts von ihr nicht mehr ausweichen konnte. Die
Waldschneise war zum dünnen, unendlich hohen Spalt geworden, eine
Spalte, eng und enger, in der plötzlich nichts mehr zu sehen war.

Mit einem mal, urplötzlich geschah es nun. Nicht nach hinten - nicht
nach vorne - nirgends konnte Emilia noch das geringste erkennen.
„Hilfe, Panyma, wo bist du?“, flehte Emilia verzweifelt und versuchte
vor sich im Dickicht Panyma zu erkennen. Doch Panyma war im Grün
der Blätter verschwunden. „Ahh, Hilfe, Emilia“, hörte Emilia hinter
sich Iakunae schreien. „Iakunae, wart, ich komm dir helfen“,
antwortete Emilia und drehte sich tapfer auf die andere Seite, um
ihrer Freundin zu helfen. Doch auch dort konnte Emilia nur noch die
Blätter des Waldes erkennen. Iakunae konnte sie nirgends sehen.
Blätter, überall nur Blätter und sie hatten die Waldschneise
vollkommen zugewachsen. Einen Augenblick später spürte Emilia den
unheimlichen Druck der Blätter auf ihrem Körper, eng und enger. Eine
gewaltige Kraft presste ihr den Brustkorb zusammen und liess sie
nicht mehr einatmen. „Hnnn, hnnnn“, stöhne Emilia leise und ringte
hilflos nach Luft, „hilfe, Luft, Luft“. Von unausweichlichen Kräften
zusammengedrückt und gefangen gehalten, war es Emilia nicht mehr
möglich, die geringste Bewegung auszuführen. Doch nur einen kurzen
Augenblick dauerte das bedrängende Drücken der Bäume auf Emilias
Körper. Nach ein paar Sekunden schon liess der Druck nach und Emilia
fühlte eine kalte Leere um sich herum. Es war stockdunkel und
schwarz geworden.

6-2

„Emilia, Emilia, wo bist du?“, rief Iakunae in der Finsternis. „Hier bin
ich“, antwortete Emlia, „, aber ich sehe nichts“. “Habt Geduld ihr
zwei“, sprach Panyma mit leiser Stimme, „es dauert eine Weile bis sich
unsere Augen an die Finsternis gewöhnt haben. Jetzt aber seid still,
dass niemand uns hören kann“.

So verging die Zeit und sie verging langsam. Die Minuten schlichen wie
Ewigkeiten dahin. Allmählich konnte Emilia in der Dunkelheit etwas vor
sich erkennen. „Iakunae, siehst du das Glitzern da vorne?“, fragte
Emlia. „Nein nicht da vorne“, antwortete Iakunae keck, „da vorne sehe
ich nichts. Ich sehe ein Glitzern in der Richtung aus der du sprichst“.
„Seid ruhig ihr zwei“, mahnte Panyma nochmals eindringlich, „wir sind
nicht die einzigen hier im Wald der Schwarzen Schatten“.

Nach einiger Zeit konnte Emilia die Umrisse einer dunkelvioletten,


glitzrigen Gestalt vor sich ausmachen. Es war eine menschliche,
vertraute Gestalt. „Jetzt seh ich dich Iakunae“, flüsterte Emilia, „du
bist ja ganz violett mit tausenden von silbrigen Glitzersternen auf
deiner Haut“. „Du siehst aber auch nicht viel besser aus“, wunderte
sich leise Iakunae, „sag mal Emilia, bist du ein Gespenst geworden?“.
Panyma lächelte den zweien zu. „Das ist die Zauberasche, die wir uns
eingerieben haben“, flüsterte Panyma, „diejenigen, die sie sich
eingerieben haben, können sich gegenseitig so sehen. Aber für alle
anderen sind wir bloss unsichtbare Finsternis. Das ermöglicht uns,
unerkannt durch den Wald der Schwarzen Schatten zu gelangen. Doch
ihr müsst vorsichtig sein. Die Geister hier sind wachsam. Sie spüren
viel und hören gut“.

Während die drei darauf warteten, dass sie in der Dunkelheit mehr
und mehr erkennen konnten, hielt Iakunae, sichtlich gelangweilt, einen
feuchten , dreckigen Stein ich ihrer Hand. Sie liess ihn zwischen den
Fingern gleiten, warf ihn mit der linken Hand hoch und fing ihn hinter
ihrem Rücken mit der selben linken Hand wieder auf, von der linken
warf sie ihn zur rechten, wie es ihr gerade gefiel. So spielte Iakunae
eine Weile um sich die Zeit zu vertrödeln. Emilia, etwas ängstlich und
nervös, was sie sonst selten war, störte sich daran. „Musst du
unbedingt immer mit diesem doofen Stein spielen?“, stänkerte Emilia
leise. Iakunae sagte kein Wort. Sie hielt den Stein in ihrer Hand,
guckte ihn kurz an, zuckte ihre Schultern, und warf den Stein
schliesslich weit weg. „Ahhhh“, wehklagte ein fürchterlicher Schrei
aus der Richtung, in die Iakunae den Stein geworfen hatte. Panyma
blickte erschrocken zu Iakunae. „Bitte nimm dich zusammen Iakunae“,
mahnte Panyma mit ernster, verzweifelter Stimme, die man von ihr nur
selten hörte, „wenn du hier einen derartigen Tumult verursachst, sind
wir schnell erledigt“.

Iakunae war dies nirgends recht. Sie schämte sich, sass


zusammengekauert still da und nahm sich zusammen, auch ja kein
Mückserchen mehr von sich zu geben. Panyma musterte ihre Schülerin
mit einem leisen Lächeln. Ja das Lausemädchen Iakunae, wie sie jetzt
so brav dasass, sah sie ganz harmlos und lieb aus.
Die Augen der drei Frauen gewöhnten sich allmählich an die düstere
Dunkelheit des Waldes. Am Grund des Waldes sumpfte eine feuchte
klebrige Knete. Keine einzige Pflanze wuchs darauf. Tiefe Furchen
durchzogen den Boden. Sie waren so tief, dass das Auge in ihnen
keinen Grund erkennen konnte. Die hohen Bäume verschwanden oben
im Schwarz, ohne dass die geringste Spur eines Himmels zu erkennen
war. Blätter trugen die Bäume keine, nicht die geringste grüne Stelle
war an ihnen zu sehen. In diesem Wald, in dem das Auge zwar ganz
wenig erkennen konnte, gab es dennoch keine Quelle des Lichts, dafür
aber dunkle schwarze Schatten in denen nichts auszumachen war.
„Nehmt euch in Acht vor den Schatten“, warnte Panyma mit leiser
eindringlicher Stimme, „in einigen von ihnen verstecken sich Geister
und Dämonen. Einige der Dämonen sind extrem eklig aber dennoch
harmlos. Andere aber trachten nach eurem Leben“.

Bis zu den Knöcheln versanken die drei Frauen beim Gehen in der
sumpfigen Knete. „Gebt acht, dass ihr in keine Schatten hineintretet“,
warnte Panyma nochmals eindringlich, „auch wenn ihr da nichts seht,
kann sich da eines der Unwesen verstecken“. „Was sind denn das für
welche?“, fragte Emilia. „Einige kenne ich“, erklärte Panyma, „denn
viele sind immer am selben Ort. Doch wieder andere kenne ich nicht“.
„Können wir sie sehen?“, wunderte sich Iakunae. „Wenn sie aus den
Schatten hervorkommen, dann ja“, erklärte Panyma, „In den Schatten
selber aber sind sie unsichtbar. Da vorne beispielsweise, der ganz
grosse dunkle Fleck, dort ist die Waldkrake angekettet. Weil sie ihnen
sonst alles wegfrisst, darum haben die Bewohner des Waldes sie
angekettet. Da dürft ihr nicht zu nahe rangehen, sonst ergreift sie
euch mit ihren Armen, wenn sie euch riecht. Und dann seid ihr
erledigt, aufgefressen“. „Und was essen die Bewohner des Waldes
denn sonst so?“, fragte Emilia. „Seht ihr diese nasse Stinkmorchel, die
hier wächst?“. „Meinst du diese Schleimpilze?“, fragte Iakunae und
hielt sich die Nase zu. „Ja genau“, fuhr Panyma fort, „für uns stinken
sie nach Hundekot, aber für die Bewohner des Waldes sind es
begehrte Delikatessen auf dem Speisezettel“. „Ob ich die arme
angekettete Waldkrake damit füttern darf?“, wollte Iakunae wissen.
Panyma grinste und sprach, „Wenn es dir Spass macht - du kannst es
ja mal versuchen“. Iakunae klemmte sich mit der linken Hand die Nase
zu und mit der rechten warf sie ein Stück Stinkmorchel in den grossen
Schatten hinein. Auf der Stelle schlugen graue riesige
Tintenfischarme mit aller Kraft und lautem Klirren von Ketten im
Schatten umher. „Mmmamppffff, mmmapff“, knurrte das Unding,
öffnete seinen schlabrigen Mund und stopfte sich gierig den stinkigen
Pilz in seinen Rachen. Darauf gorpste die Waldkrake laut,
„öööööhhhhhhhchchch“. „Jetzt kann ich die sie sehen“, erschrak
Emilia, „buah so gross“. „Tja nehmt euch in Acht“, warnte Panyma, „die
Waldkrake ist gross und stark, hungrig nach allem, und gefrässig.
Mensch, Tier, Pflanze, einfach alles frisst sie auf, was ihr vor ihrem
Mund in die Arme kommt“.

Panyma lief den Mädchen voraus und erklärte mit leiser Stimme:. „Die
Ajangs, Dämonen in der Tupi Sprache, knurrlige kleine Wesen,
beherrschen den ganzen Wald. Sie ketten alle jene an Bäume, die
ihnen missfallen. An diesem Stamm da drüben haben sie
Schleckschmatzi gefesselt. Es ist harmlos, aber wer ihm zu nahe
kommt, den küsst es mit seinem klebrigen Schleim nass ab und lässt
ihn lange nicht mehr los“. „Bääh“, entsetzte sich Emilia, „so was
ekliges, bäh“. Iakunae, die zuhinterst lief konnte es nicht lassen, eine
Handvoll sumpfige Walderde in eben diesen Schatten hineinzuwerfen“.
Sogleich regte sich dort eine kleine, warzige Gestalt mit fettem
Gesicht. „Ohhh, ohhh, komm her zu mir mein Schatzi, mein Süsses, du
bist so putzig, so neidlich, komm, komm!“, krächzte das dicke trollige
Schleckschmatzi und piepste durch die Lippen ihres Schmollmundes,
„wo bist du denn, wo bist du? Komm her mein Liebstes, müpf, müpf,
müpf, schleck, schleck“. Iakunae erschrak und rannte einen Schritt
zurück. Doch Schleckschmatzi griff nach ihr. „Wähh“, erschrak
Iakunae erneut und rannte den anderen zwei hinterher. Panyma verzog
eine ernste Mine. „Eigenartig, Iakunae“, wunderte sich Panyma
nachdenklich, „wie sie sich auf dich zubewegte, wie sie dich ergreifen
wollte? Wie wenn sie dich hätte sehen können. Oder vielleicht
riechen? Das sollte eigentlich nicht möglich sein. Die Zauberasche die
wir uns eingerieben haben, macht uns unsichtbar und dämmt sämtliche
Gerüche. - Na ja, - vielleicht konnte sie dich hören. Ich hab zwar
immer gemeint, Schleckschmatzi sei schwerhörig. - hm - vielleicht
täuscht sie die Schwerhörigkeit auch nur vor, damit die anderen ihr
Mitleid schenken. Das würde ich dem alten Schleckschmatzi voll
zumuten“. So liefen die drei weiter ihres Weges.

„So Iakunae“, warnte Panyma, „jetzt musst du dich allen Ernstes


zusammennehmen, denn nun müssen wir an einigen der weitaus
gefährlichsten Wesen des Waldes vorbeilaufen, einer angeketteten
Horde kampfwütiger Bluthunde, die in ihrem unstillbaren Hunger nach
Fleisch gieren. Sie gehorchen nur den Herrschern des Waldes, den
Ajangs. Alle anderen fressen sie auf“. Iakunae gab Panyma die Hand.
„Dann will ich ganz nahe bei dir sein“, flüsterte Iakunae, dass es kaum
zu hören war, „böse Hunde habe ich gar nicht gerne“. Emilia lächelte
auf den Stockzähnen. So ängstlich hatte sie Iakunae, das freche
Lausemädchen noch nie gesehen. Der Weg, der an den Hundebestien
vorbeiführte war dunkel. Die drei Frauen wackelten in ihrem Gange,
denn der Boden war uneben und kaum zu erkennen. So löste sich
unglücklicherweise ein Stein unter Emilias Füssen und kam ins Rollen.
„Wääh wääh wäääh, grrrrrrr“, heulten die Bluthunde augenblicklich
drauf los. „Beeilt euch, schnell“, forderte Panyma auf. Doch der Weg
war zu dunkel und zu schlammig, als dass die drei hätten fortrennen
können. Mit unbändiger Geschwindigkeit stürmten und fauchten die
Hunde drauflos und zerrten klirrend ihre Ketten hinterher. Immer
näher kamen sie, zum Greifen nah. Doch dann - „Pratsch“ – keinen
Meter hinter den drei Frauen - knallten die Ketten und hielten die
wütenden Bestien gefesselt zurück. „Glück gehabt“, stiess Panyma
erleichtert aus, „jetzt haben wir ein riesiges Glück gehabt“. Die Hunde
knurrten und bellten an ihren Ketten. Sie scharten sich, auf ihren
Hinterbeinen hochstehend, hin zu Iakunae. Bloss zu Iakunae, Panyma
und Emilia beachteten sie nicht. „Ausgerechnet auf mich kommen sie
los“, klagte Iakuane, „ich wo am meisten Angst habe vor Hunden. Mich
plagen sie“. „Komm jetzt Iakune“, forderte Panyma auf, „und sei froh,
dass sie dich nicht sehen können“. - - - Nicht sehen können? Panyma
kannte den Urwald gut und sie wusste um die Wesen, die sich im
Urwald und deren Unterwelt befanden. Doch alles wusste auch sie
nicht. Sie wusste, dass die Wesen dieses Waldes nicht durch ihre
Zauberasche hindurch sehen konnten und kein Geruch die Asche
durchdrang, was sie aber nicht wusste, war, dass die Wesen im Wald
durch Kleider hindurchsehen konnten. Sie konnten durch Kleider
hindurchsehen und natürlich auch durch Iakunaes Tasche. Und dort
sahen sie das Glitzern der Zauberblätter, die sich Iakunae heimlich
eingesteckt hatte.

Nicht weit davon entfernt versammelten sich die Herrscher des


Waldes, die Ajangs, um ihren König herum. Dieser sass auf seinem
Thron, einem hohen modrigen Baumstrunk. „Was ein Glitzern geht
durch unseren Wald? durch meinen Wald?“, brüllte wütend der König
der Ajangs. „Ja hoher König, ich hab es selber gesehen, ein helles
Glitzern“, stammelte ein zu Boden verneigtes wehmütiges, dürres
Humpelmännchen, „es geht langsam durch den Wald“. „Mmmhh“,
knurrte der König, „mmmhh, das passt mir gar nicht“. Der König
schloss grimmig seine Augen zu einem dünnen Spalt, blickte böse aus
seinem faltigen, lehmigen Gesicht hervor und rückte sich seine Krone
aus braunem Holz zurecht.
„Was? und dann noch ein helles Glitzern? “, brüllte der König wütend
drauf los, „das darf nicht sein. Nicht in unserem Wald“. Tief verneigt
blickte das dürre Humpelmännchen ergeben zum hohen König hin.
„Erlaubt mir untertänigst die Frage, hoher Anführer, hoher König“,
stammelte das Humpelmännchen, „sollen wir es fangen?“. „Ob wir es
fangen sollen? Was soll diese blöde Frage?“, grollte der König in
seinem Zorn „Besammelt sämtliche Ajangs. Lasst die Bluthunde auf
dieses Glitzern los, fesselt und knebelt es und werft es in die tiefste
Gruft. Stellt ihm eine Falle. Vesteckt euch in den Schatten und wenn
es auf euch zukommt, so packt es, mit aller Härte“. Und nun holte der
Ajangkönig sogar noch zu einer seiner mitreissenden Reden aus, „Das -
packen wir jetzt an, und sollte es zurückschlagen, so vernichtet es, wie
es unsere unweigerliche Pflicht ist, dieses martörische Glitzern für
immer und ewig auszurotten. Wir alle, wir haben uns geschworen
Ajangs zu sein, starke überlegene, hervorragende Ajangs, die schon in
der Vergangenheit ihr Reich unerbitterlich gegen jegliche
Eindringlinge aufrechterhalten haben, und dies auch in alle Zukunft,
immer und ewig tun werden. Herrlich, rein und stark sind wir, Ajangs,
allen anderen Wesen in unserem wunderbaren Wald, als auch
ausserhalb, überall, weitaus überlegen. Dies ist unsere Kraft, unsere
Zielstärke, unsere Ausdauer und unser eiserner Willen, als
Ajangnation und als starke Ajang Armee zu bestehen, und koste es
sämtliche unsere Kräfte oder gar unser Blut. Eindringen, und dann
noch Glitzern? Nein, eindringen darf bei uns niemand. Es geht jetzt
nicht um Verfeinerungen, nein, vernichtet dieses Glitzern, rottet es
aus, denn dies ist unsere Pflicht, als bestes Ajang Soldatenvolk ist es
unsere höchste Aufgabe, dieses Glitzern zu beseitigen, koste es was
es wolle. Denkt an meine Worte – kämpft - ich bin euer Anführer, euer
König“.

Die Worte des Königs hatten ihre Wirkung nicht verfehlt. Die
versammelten Ajangs stampften auf den Boden und gerieten ausser
sich vor Wut. „Vernichtet es“, kreischten die Ajangs, „zerschlagt es“,
„ausrotten“, „fesselt es“, „nieder mit ihm“, „Blut Blut Blut“. Das
Ajangvolk tobte und stampfte und war kaum mehr zu halten.

Nun meldete sich das dürre Humpelmännchen, des Ajangführers


bester Gefolgsmann zu Wort. „Ajangs!“, befahl er im scharfen Ton,
„ihr habt gehört. Die Aufgabe die uns von unserem König, unserem
Anführer gegeben. - - - Nun Ajangkrieger steht auf.... und Sturm
brich looos!“. Das Ajanvolk tobte. „HU HU HU HU“- „HA HA HA HA“-
kreischten die knorpeligen Gestalten wild durcheinander. Ihre
Holzstöcke und Waffen ergreifend, stampften sie drauf los zum
Kampf.

Eiligst strampelte der Ajangführer mit seiner Königsstandarte, einem


langen, knorpeligen Stock, seinen Getreuen voran. Die Kämpfer
marschierten ungeduldig ihrem Anführer hinterher und konnten kaum
mehr warten, bis das Dreinschlagen so richtig losgehen würde. Ihr
Anführer zuvorderst, marschierten sie drauf los, in scharfer Stimme
ihr Kampflied singend:

„Wir marschieren - marschieren


Ajangs zu Kampfe ziehn, schlagen alles klein,
alles klein, haut voll drauf rein.

Wir marschieren - marschieren


Mann für Mann, Schritt für Schritt.
Zäh im Kampf, Ajang schlag mit“
6-3

So marschierten die Ajangs mit ihren knurrenden Bluthunden durch


den Wald. Der Anführer hielt die Standarte in der linken Hand und in
der Rechten drohte er seinen Männern mit der Anführerpeitsche.
Seine Leute kannten diese Peitsche mehr wie ihnen lieb war. Der König
zögerte keine Sekunde mit seiner Peitsch zu knallen und zu zwicken,
sollte einer der Ajangs nicht gehorchen oder nicht genügend gut
kämpfen.

Die Ajang Kämpferkameraden schlichen leise, um nicht bemerkt zu


werden, vorbei an der Waldkracke und bei Schleckschmatzi. Doch
Schleckschmatzi hatte einen guten Riecher und spürte sehr wohl, was
da im Ajangvolk vor sich ging. „Gebt es mir, Gebt es mir“, wehklagte
das angefesselte Schleckschmatzi den Ajangs entgegen, „es ist so
süss, das Glitzerding. Ich will es küssen. Müpf, müpf, müpf“. Der
Ajangkönig blickte lächelnd zu Schleckschmatzi. „Ja, ja, vielleicht
geben wir es dir“, lachte der König, „ho ho ho. Und jetzt kämpft ihr
Krieger, kämpft. Und wer nicht gehorcht oder nicht gut kämpft von
euch Weicheiern, wird zur Strafe dem Schleckschmatzi vorgeworfen,
ha ha ha, ho ho ho“. Die Ajangs grinsten in ihrem Kriegsdrang. „Ho ho
ho“, lachten sie wild drauflos und stampften kampfentschlossen weiter
durch den Wald.

Nicht weit davon entfernt eilten die drei Zauberinnen so schnell es


ging, und sie kamen gut voran im Wald der Schwarzen Schatten. „Weit
ist es nicht mehr“, machte Panyma den Mädchen Mut, „nur noch
hundert Meter durch das Tal der blutigen Zähne, dann sind wir am
Ausgang des Waldes“. „Tal der blutigen Zähne?“, fürchtete sich
Emilia, „sind die gefährlich, die blutigen Zähne?“. „Nein, die sind nicht
gefährlich“, beruhigte Panyma ihre zwei Schülerinnen, „es handelt sich
um Skelette die in der Tiefe der Gruften liegen. Die Skelette klappern
mit ihren blutigen Zähnen, aber rauskommen können sie nicht. Dazu
sind sie zu schwach. Solange ihr da nicht hinunterfällt, kann euch
nichts geschehen“. „Uff“, erschrak Iakunae und verzog einen schrägen
Mund, „dann passen wir mal gut auf, denn Knochen und Zähne sind
nebst gefährlichen Hunden so ziemlich das, was ich am wenigsten
leiden mag“.

Emilia schwieg und blickte misstrauisch um sich. „Hört ihr die


Geräusche?“, fragte Emilia, „mir ist das unheimlich“. „Ja“, antwortete
Panyma, „ich höre diese Geräusche auch, aber ich kenne sie nicht, ich
höre sie auch zum ersten mal. Wie wenn da jemand herumlaufen
würde. Aber es müssen die Skelette sein. Sonst habe ich noch nie
jemanden in dieser Gegend des Waldes gesehen. Die Bewohner meiden
diese Gegend, wenn es ihnen nur irgendwie möglich ist. Vermutlich
haben die Sekelette schon lange nichts mehr zu fressen bekommen
und werden unruhig“. „Was essen sie denn?“, wollte Emilia wissen.
„Verfaulte tote Bewohner des Waldes“, erklärte Panyma, „die Toten
werfen sie alle hier in die Gruften runter, und die Skelette da unten
fressen alles ab, bis auf die Knochen. Nur liegt dann ein hungriges
Skelett mehr in den Gruften und ein Ende findet das so nie, - und
genug zu fressen bekommen sie auf diese Weise natürlich auch
niemals.“. „Bäääh, zum Glück leben wir nicht hier“, entsetzte sich
Iakunae mit Abscheu im Gesicht. „Ja, zum guten Glück“, doppelte
Emilia hinterher. „Dann nehmt euch mal in acht“, mahnte Panyma,
„denn.... denn ... hmm...“. Mitten im Satz unterbrach Panyma ihre Rede
und sprach nicht mehr weiter. „Was hmm?“, wollte Iakunae wissen,
„was, hmm, Panyma?“. Panyma blickte weg. „hmm ist ja nicht so
wichtig“, antwortete Panyma. Doch Iakunae liess nicht locker. Sie war
ein neugieriges Mädchen und wollte alles wissen. „Nein, bitte, erzähl es
uns“, doppelte Iakunae hinterher. „Na ja“, antwortete Panyma trocken,
„dann nehmt euch mal in acht – Menschenfleisch - frisches
Menschenfleisch - essen die Skelette besonders gerne“. Iakunae und
Emilia schluckten hart und hielten kurz ihren Atem an, doch dann
liefen sie tapfer Panyma hinterher.

Schon einen Augenblick später stoppte Panyma ihren Schritt erneut


und lauschte in den Wald hinaus. „So ganz gefallen mir diese
Geräusche doch nicht“, zögerte Panyma, „aber folgt mir jetzt. Sehen
und riechen kann uns ja niemand“. Wie sich Emilia und Iakunae drehten
und Panyma folgen wollten, hörten sie eine vertraute Stimme über
sich. „Kraaah, Kraaah“, schrie Abare von der Höhe der Baumwipfel
hinunter, „kraah, kraaaah, böse, böse, kraah, flieht, flieht, kraaah,
böse, böse, kraaah“. „Gruhuuu, gruhuuu“, warnte besorgt, hinter Abare
fliegend, die Urwaldeule. Panyma blickte in die Höhe, hinauf zu den
Vögeln. „Böse?“, fragt Panyma und überlegte einen kurzen Augenblick.
Dann hatte sie begriffen. „Schnell, weg hier, rennt mir nach, so schnell
ihr könnt“, befahl Panyma. Eilends ergriff Panyma ihre Umhängetasche
und wollte einen Lichtstein herausholen, denn mit starkem Licht, das
die Bewohner des Waldes scheuten, weil es ihnen in den Augen
schmerzte, wäre vielleicht eine Flucht im allerletzten Augenblick
geglückt. Doch es war zu spät. Noch bevor Panyma ihre Tasche öffnen
konnte, standen hunderte von Ajangs vor den drei Frauen und drohten
mit Keulen und Aexten in ihren Händen. „Fangt es, fangt es“, befahl
der König. Panyma verzog ein fragendes Gesicht. „Die können uns doch
nicht sehen“, stotterte Panyma im Flüsterton , “das ist doch -?-
doch- gar nicht möglich“. Dennoch kamen die Ajangs auf die drei
zugelaufen.

„Hä“, „Hä“, „Hä“, „Hä“, schrieen die Ajangs im Takt ihres Schrittes mit
dem sie von allen Seiten den dreien näher kamen, „ hä hä hä hä“. Doch
dann, als die Ajangs unmittelbar vor den drei Zauberinnen standen,
liefen sie an Panyma und Emilia vorbei, ohne sie auch nur zur Kenntnis
zu nehmen, direkt auf Iakunae zu. „Nein nicht mich, nicht schon
wieder mich“, schrie Iakunae verzweifelt , „lasst mich in Ruhe, bitte,
lasst mich in Ruhe“. Doch die Ajangs hörten nicht auf Iakunae. Ganz im
Gegenteil, erbarmungslos zerrten sie das Mädchen an ihrer Tasche mit
sich. „Packt es“, schrie wütend der König, „Packt es und runter in die
Gruft mit ihm“.

„Packt es?“, fragte Panyma, „Emilia, vestehst du das? Hast du das


gesehen? Uns zwei sehen sie nicht. Und Iakunae ergreifen sie bloss an
ihrer Tasche. Was ist denn mit Iakunaes Tasche los?“. Einen kurzen
Moment schwieg Emilia und überlegte, doch dann spürte sie des
Rätsels Lösung. „Die Zauberblätter“, flüsterte Emilia. „Ja genau, die
Zauberblätter“, fuhr es Panyma durch den Kopf, „es müssen die
Zauberblätter sein“.

„Arme Iakunae“, seufzte Emilia, „nun haben die bösen Ajangs sie in die
Gruft runnter gezerrt. Wie sollen wir ihr nur helfen?“. Doch Panyma
liess sich nicht auf eine Diskussion ein und handelte schnell. „Wirf die
Zauberblätter weg, Iakunae“, schrie Panyma so laut sie konnte, „wirf
die Zauberblätter weg, Iakunae. Nur die Zauberblätter können sie
sehen. Dich selber sehen sie nicht“. „Hilfe“, schrie Iakunae aus dem
tiefen Knochengraben, in den die Ajangs sie gezerrt hatten, „hilfe,
hilfe“. Darauf wurde es still. „Lebst du noch, Iakunae?“, rief Emilia
ihrer Freundin zu. Doch es blieb still. Auch die Ajangs waren mit einem
mal ruhig geworden.

„Ohhh“, staunten plötzlich die Ajangs in der Tiefe der Gruft. „Glitzer
ohhhh“. Die Ajangs waren ausser sich, denn sie hatten ihr ganzes
Leben noch nie etwas glitzriges gesehen. Doch dann hörten alle
anwesenden unüberhörbar laut Iakunaes schreiende Stimme, denn
Iakunae verstand es sehr wohl, mit den Zauberblättern etwas
auszurichten:

„verdammter Wald, so schwarz wie Nacht,


erstrahle nun in Farbenpracht“.

Panyma und Emilia waren erleichtert, Iakunaes Stimme zu hören. Aus


der Tiefe der Gruft warf Iakunae die glitzrigen Zauberblätter hoch.
Die leichten Zauberblätter flogen im ganzen Wald umher und dort, wo
die Glitzerfunken der Zauberblätter in die Tiefen der Kluften
hinunterfielen, stiegen farbige Feuerwerks Vulkane in die Höhe.
Haushohe Vulkane in allen bunten, leuchtenden Farben, rot, orange,
grün, blau, gelb, violett. „Ahhhh“, schrieen die Ajangs, schmerzhaft
geblendet vom Licht und flohen in die hintersten Ecken des Waldes
zurück.

Doch Iakunae, immer noch in der Tiefe der Gruft, hatte nach wie vor
deftige Probleme. „Hilfe, ich komme nicht mehr hoch und das Skelett
kommt auf mich zu“, schrie Iakunae. Darauf hörten Emilia und Panyma
ein grässliches Schlagen und kämpfen aus der Gruft, Boxhiebe und
Knochenklirren, bevor es still wurde. Nun konnten Emilia und Panyma
rufen solange sie wollten und so laut sie wollten, von Iakunae hörten
sie nichts mehr. „Mhh“, überlegte sich Panyma mit äusserst besorgtem
Blick, „Emilia, da muss schnell etwas geschehen, sonst ist es zu spät“.
Panmya nahm ein Kraut aus ihrer Tasche, warf es in die Gruft hinunter
und streckte ihre Arme aus. „Kaiama ina, Kaiama ina“, sprach sie in
Schamanensprache vor sich her. „Kaiama ina“, sprach Emilia ihr nach,
denn als Schülerin verstand sie es gut, Panyma beim Zaubern zu
helfen.

Eine blaue Lichtsäule stieg aus der Gruft empor in die Höhe. „Kaiama
jaka .. kaiama jaka“, sprachen Panyma und Emilia nunmehr und sogleich
folgte dem blauen Licht ein riesiger Haufen Knochen, graue stinkige
Knochen. Blitzschnell zwickte Panyma mit ihren Fingern und die
Knochen wurden weit in den Wald hinaus geschleudert. Wo immer die
Knochen auf den Waldboden auftrafen, verwandelten sie sich sofort in
hohe Flammen und verbrannten auf der Stelle.

Wie alle Knochen draussen waren und keine weiteren nachfolgten,


schwebte langsam Iakunae in der blauen Lichtsäule in die Höhe.
Iakunae hielt ihre Augen geschlossen. „Ist sie tot?“, sorgte sich
Emilia. „Weiss nicht“, antwortete Panyma leise, „aber ich versuch mal,
sie zu beleben“. Kurz schnipste Panyma mit ihren Fingern und Musik
ertönte. „Nz, nz, nz, nz - bum bum bum bum - dägn, dägn, dägn, dägn“,
setzte ein sphärischer Rhythmus ein. „Das wird ihr helfen“, lächelte
Panyma, „ganz bestimmt, das wird ihr das helfen, hi hi hi, das hat noch
jedem geholfen, hi hi“. Tatsächlich, Iakunae öffnete langsam ihre
Augen und lächelte zu Emilia und Panyma. „Musik“, strahlte Iakunae
freudig. „Juhuu, Musik, Juhuu, und ich kann fliegen. Und wie ich denke,
dass ich tanze, so beginne ich mich fliegend, ganz von alleine, zu
bewegen, ohne dass ich etwas tun muss. Schwereloses tanzen, jipieee,
juhuuu!“. Iakunae fetzte in der Lichtsäule umher. „So schön,
jipiiiieeee“, kreischte Iakunae. „Ich will auch tanzen, Panyma“, drängte
Emilia , „ich will auch tanzen“. „Ja geh nur“, machte Panyma ihrer
Schülerin Mut, „geh Emilia, fliege und tanze“. Emilia stieg in die blaue
Lichtsäule ein. Sie wurde emporgehoben und tanzte Hand in Hand mit
Iakunae. Schliesslich konnte es selbst die alte Panyma nicht lassen,
diesen schönen Moment zu geniessen. Gefahr hin oder her, auch sie
stieg in die Säule ein und flog im Rhythmus der Sphärischen Musik.

Im starken Licht der blauen, magischen Säule waren die drei nun,
trotz Panymas Zauberasche, für die Ajangs sichtbar. Doch die
grässlichen Ajangs scheuten das blendende Licht. Sie schauten
ängstlich aus sicherer Entfernung dem Spektakel zu. „Eindringlinge,
drei fremde Eindringlinge in unserem Wald“, ärgerte sich der König
der Ajangs, „Los los, Leute, packt sie“. Doch obwohl der Ajangführer
wütend mit seiner Peitsche um sich schlug und seine Leute unablässig
zwickte, wagte es keiner der Ajangs, auch nur einen einzigen Schritt
in Richtung der drei Zauberinnen zu gehen. So sehr schmerzte ihnen
das grelle Licht in den Augen. „Krrrrrnnnggg“, knurrten sie und
schlugen wütend in sicherer Entfernung ihre Keulen und Aexte um
sich.

Nach enigen Musikstücken war es soweit. „Lange dauert der Zauber


nicht mehr“, warnte Panyma, „und dann folgt mir so schnell ihr nur
könnt. Wenn hier gleich alles ausgeht werden die Ajangs keine
Sekunde zögern, sich auf uns zu stürzen“. So geschah es. Kaum hatte
Panyma die Worte fertig gesprochen, ging alles Licht im Wald aus.
„Los jetzt, schnell“, zischte Panyma zwischen ihren Zähnen hervor. Sie
nahm Emilia und Iakunae in je eine Hand und rannte drauf los.
„Hinterher“, befahl der König und die Ajangs stürmten
kampfschreiend auf die drei Frauen los.

„Hier zu den Wurzeln dieses Baumes“, wies Panyma Emilia und Iakunae
an. Aber schon standen die Ajangs dicht hinter ihnen. „Wo sind sie
jetzt, wo sind sie?“, schrieen die Ajangkrieger, „wir können sie nicht
mehr sehen“. Eine Weile standen die Ajangkrieger bockstill und
guckten verdutzt um sich. Doch dann machte einer der Ajangs die
entscheidende Entdeckung. „Seht ihr da vorne, da glitzert doch
wieder was“, schrie er. „Ahhh, jaa“, kreischten die Ajangs alle
zusammen und rannten erneut auf Iakunae zu. „Scheint dass du nicht
alle Blätter fortgeschmissen hast, Iakunae“, sorgte sich Emilia.
„Kommt, kommt“, forderte Panyma auf und schob Emilia vor sich ins
Wurzelwerk eines immens hohen und dicken Baumes hinein. Hinter sich
zog sie Iakunae nach. Einer der Ajangkrieger wollte noch nach Iakunae
greifen. Doch es war zu spät. Auch Iakunae war in den Wurzeln des
Baumes verschwunden und sah vor sich das helle Licht der Sonne.

6-4
Wie Iakunae hinter sich den Vorhang der Wurzeln schloss, stand sie
im Freien, im hellen lichten Wald. „Ahh, befreit“, stiess Iakunae
freudigen Atems von sich, „befreit - wir sind draussen“. „Ja das ist
grad noch mal gut gegangen“, freute sich auch Panyma und die drei
Zauberinnen umarmten sich vor Freude. „Sag mal Panyma“, stöhnte
Iaknunae, „mir graut jetzt schon beim Gedanken an die Rückreise“.
„Ach Iaknuae“, tröstete Panyma ihre jüngste Schülerin, „das ist das
magische und auch gute am Wald der schwarzen Schatten. Es gibt ihn
nur in die eine Richtung. Gleich von welcher Seite du kommst, es gibt
diesen Wald nur beim hingehen. In Richtung zurück gibt es ihn nicht“.

Arm in Arm liefen Emilia und Iakunae vergnügt hinter Panyma durch
den Urwald. Panyma stimmte ein Melodie an und die drei wandelten
singend durch das herrliche Grün. Eine unzahl bunter Hängeblumen
zierten die Astgabeln der Urwaldriesen und Schwärme von Papageien
in allen Farben hatten es sich auf den Baumwipfeln bequem gemacht.
„Kraaah, Krraaah, Emilia, Abare“, wurde Emilia von ihrem treuen
Freund begrüsst. Abare landete auf Emilias Arm und rieb sich liebevoll
seinen Kopf an Emilias Schulter während Abares Freund, die
Urwaldeule weite Kreise um die drei Frauen zog. „Oh du lieber Abare,
oh liebe Urwaldeule“, schwärmte Emilia, „ihr habt Angst gehabt um uns
und seid uns gefolgt um uns zu schützen“. Nochmals rieb Abare seinen
Kopf an Emilias Schulter und flog wieder drauf los zur Urwaldeule.

„Das ist ein schöner Wald“, wunderte sich Iakunae. „Kein Wunder“,
erklärte Panyma, „denn es ist der Wald des alten Schamanen. Die
bunten Pflanzen, die lieben und treuherzigen Tiere und viele weise
Zauberer scharen sich um ihn, und machen diesen Platz zu einem der
schönsten Orte im weiten Land der Indianer“.

Nach kurzer Zeit standen die drei mitten im Wald vor einer grossen
Strohhütte. „So da sind wir“, freute sich Panyma, „hier findet das
Schamanentreffen statt. Lasst uns rein gehen. Die anderen warten
bestimmt schon einige Zeit auf uns“.

Das innere der Hütte war angenehm hell. Grosse Fenster liessen das
Sonnenlich hineinstrahlen. „Panyma, Panyma, seid willkommen“, riefen
die anwesenden Zauberer freundlich den Ankömmlingen entgegen.
„Hast du deine hübschen jungen Zauberschülerinnen auch
mitgebracht? Das freut uns sehr. Seid willkommen ihr zwei lieben
Mädchen“, begrüsste eine ältere Frau Emilia und Iakunae. So war den
beiden Mädchen wohl unter all den fremden Gesichtern, die sie noch
nie zuvor gesehen haben. Gut zwei dutzend Zauberer und Zauberinnen
sassen im Halbkreis versammelt um einen Altar herum in dessen Mitte
eine grimmige Steinstatue auf die Anwesenden hinunterblickte.

Es war ein buntes Grüppchen von Zauberern, Magiern, Medizinmännern


und Medizinfrauen, die in der Hütte des alten Schamanen
zusammengekommen waren. Die meisten waren schon recht alt, grau
und weise aber es hat auch jüngere dabei, meist Zauberschüler die bei
den älteren zaubern lernten. Doch Emilia und Iakunae waren mit
grossem Abstand die jüngsten. „Kommt ihr zwei“, wandte sich Panyma
freundlich an die Mädchen, „ich zeige euch, wo ihr etwas zu essen
findet“. „Mh, ja“, freute sich Iakunae, „mir knurrt der Magen“. So
liefen die zwei Mädchen Panyma hinterher.

Doch in dem Moment geschah etwas unheimliches. „Tock, tock, tock“,


klopfte jemand laut von aussen an die Hütte, zuerst den Wänden
entlang, dann an der Tür der Hütte. Augenblicklich wurde es still im
Raum, totenstill, und alle Anwesenden starrten gebannt auf die Türe.
„Wer ist denn das?“, erschak leise Emilia, „wer klopft denn da mit
einem Holzknüppel an die Wände und an die Türe?“. Panyma atmete
tief und schwer ein. „Der blinde Zauberer“, flüsterte sie, „ein
geheimnisvoller Mann. Es scheint, dass wir doch nicht die letzten
waren, die zum Treffen erschienen sind“. „Blind?“, fragte Iakunae. „Ja
blind“, flüsterte Panyma weiter, „er hat versucht, sich in ein
Lichtwesen zu verwandeln. Dabei ist er zu nahe ans Licht gekommen,
aber noch nicht zum Lichtwesen geworden. Seither sieht er nichts
mehr“.

Langsam öffnete sich die Türe. Ein uralter, spärlich gekleideter


Indianer mit dünnem grauem Haar und dunkler, schwarzer Haut stand
im Türrahmen. Der alte Mann hatte die Augen geschlossen, doch in den
eingefallenen Höhlen seiner Augen glühte ein violettes, feines Licht
durch die dünne Haut der Augenlieder hindurch. Der älteste Zauberer
und zugleich der Leiter der Versammlung stand auf und geleitete den
Blinden zur Runde der wartenden Zauberer. Der blinde Zauberer
verneigte seinen Kopf und nahm im Kreise seiner versammelten
Freunde Platz.

Panyma war schnell ins Gespräch mit ihren Zauberkolleginnen und


kollegen vertieft. Emilia und Iakunae hatten sich in eine Ecke der
Hütte zurückgezogen und genossen die vielen feinen Früchte, die dort
zur Zwischenverpflegung auf einem niedrigen Bambustisch zwischen
bunten Blumen dargelegt waren. „Mhh, hast du schon von den süssen
Papayas versucht?“, schwärmte Iakunae, „und die Ananas, mhh, mapf
mapf“, genossen sie ihre gesunde Früchtemahlzeit. „Mh, feine Mango,
versuch mal von denen“, freute sich Emilia. Die Anwesenden hatten
ihre Freude an den Mädchen und schauten ihnen mit einem
freundlichen Lächeln beim Essen zu.

Einer der Zauberer namens Tokoma stand schliesslich auf und stellte
sich zwischen die zwei Mädchen und die Zuschauenden. Der Mann trug
ausserordentlich viele Federn zur Zierde und einen spitzen Hut mit
Schleif, einen Hut, ganz ähnlich wie ihn die Zauberer auf der anderen
Seite des Grossen Wassers auch kannten. Der Zauberer wandte sich
an die versammelte Gesellschaft. „Schaut mal her ihr Lieben. Ich will
euch was zeigen. Schaut mal her, was ich hier habe“, sprach Tokoma in
hohem Ton, „schaut her, was der Zauberer Tokoma euch zu zeigen hat.
Ich habe hier einen Zauberstab, den ich von den Portugiesen für vier
Säcke Pfefferschoten abgekauft habe. Die Händler versicherten mir,
dass es ein Zauberstab vom grössten Zauberer auf der anderen Seite
des Grossen Wasser ist, vom grössten der Zauberer eigenhändig
angefertigt“. Alle Anwesenden hatten inzwischen ihre Gespräche
beendet und ihre Augen auf Tokoma gerichtet. Emilia erkannte den
Zauberstab sofort. Solche Zauberstäbe aus billigem Trompetengold
wurden in Porto auf Jahrmärkten als Spielzeug verkauft. Früher als
sie oft mit ihrer Mutter auf dem Markt unterwegs war, hatte ihre
Mutter für sie manchmal einen solchen Glitzerstab gekauft, wenn sie
während dem Markt schön brav war und auch sonst nichts wollte und
nichts abbettelte. Emilia ärgerte sich innerlich über die
portugiesischen Händler, die mit ihren billigen, kitschigen Geschenken
von den Indianern Güter und Produkte erschwindelten, für die die
Indianer oft monatelang gearbeitet hatten. Noch mehr aber ärgert sie
sich über die hochnäsige Art des Zauberers, der vor ihr stand.

„Schaut her ihr zwei Kinder“, wandte sich Tokoma zu Emilia und
Iakunae, „schaut her, wie ich mit diesem Stab zaubern werde. Da
könnt ihr mal was lernen“. Emilia schielte Iakunae in die Augen.
Iakunae dachte ohne Zweifel dasselbe wie Emilia.

Der grosse Tokoma rückte sich den spitzen Hut zurecht und erhob
seinen Stab. „Seht ihr das Blatt, das da am Boden liegt? Das werde ich
jetzt mit Hilfe dieses Stabes emporheben. Gebt gut acht ihr zwei
Kinderchen“. In seiner Hand schwenkte der Zauberer sachte den Stab
hin und her. „Hawa owewe – Hawa owewe“, befahl er in ernster
eindringlicher Stimme in Tupi Sprache, was in unserer Sprache soviel
heisst wie ‚Blatt fliege’. Nichts tat sich. Tokoma lächelte
verständnisvoll zum Publikum und lächelte verlegen. „Haaawa oweeee
oweeeee“, beschwor er mit sanfter Stimme das Blatt vor sich. Leider
völlig vergebens. „Hawa owewe – Hawa owewe“, wurde Tokoma
zusehends lauter. Einige der Anwesenden begannen sich am Hinterkopf
zu kratzen oder husteten leise. Tokoma, mit seinem Stab in der Hand,
knurrt ungeduldig. „Hawa owewe - owewe - oooowwweeewwweee“,
schrie er, doch das Blatt erhob sich nicht. Langsam aber erschien ein
Gesicht auf dem Blatt, ein runzliges Blattgesicht. Es öffnete den
Mund. „Bäh bäh bäh bäh bääää“, sprach das Gesicht und streckte
Tokoma die Zunge raus. Tokoma atmete tief ein und und wurde wütend
im Gesicht. Iakunae aber griff in ihre Tasche, wo sie immer noch zwei
Zauberblätter versteckt hielt. Sie nahme eines der Blätter zwischen
Daumen und Zeigefinger uns spickte es in Richtung des
trompetengoldenen Zauberstabes. „Plinck“, klang es kurz am
Zauberstab und der Zauberstab war aus der Hand Tokomas
verschwunden. Ungläubig stierte der verdatterte Tokoma auf Emilia
und Iakunae, denn er hatte sehr wohl gesehen, dass da von den zwei
Mädchen etwas auf ihn zugeflogen kam. Panyma verliess ihren Platz am
Tisch und stand auf. „Nimm dich in acht Tokoma“, mischte sich Panyma
in die Runde ein, „nimm dich in acht, wenn du dich mit meinen
Zauberschülerinnen einlässt, die können was“. Panyma schwenkte ihre
Hand in Richtung des Bodens und da liegt der Stab vor dem armen
Zauberer, der ihn eilends emporhob. Ein heiteres Lachen ging durch
die Runde. Nur Tokoma im bunten Federngewand hielt den Stab in
seinen Fingern und knurrte etwas vor sich hin.

Emilia und Iakunae hatten es sich nach wie vor in einer Ecke der Hütte
bequem gemacht. Sie sassen am Boden und schauten gemütlich dem
bunten Treiben der Zauberer zu. Manch einer zeigte seltene
Zauberkräuter, Hölzer, Steine oder gar Knochen. Es wurde viel
diskutiert, aber auch gelacht und gar fröhlich gesungen. Tokoma stand
nach wie vor in der Mitte des Raumes, kratzte sich am Kopf und und
betrachtete ungläubig seinen trompetengoldenen Zauberstab. Es
gefiel ihm gar nicht, wie Emilia und Iakuane kichernd neben ihm am
Boden sassen.

„Emilia, kannst du auch ein Gesicht machen wie ein Affe?“, fragte
Iakunae. Iakunae griff mit beiden Händen in ihre Nasenlöcher, Augen
und Mund, zog mit einer Hand nach unten und mit der anderen Hand
über ihren Kopf nach hinten. So starrte Iakunaes fürchterliche
Grimasse auf den armen Tokoma. Emilia verzog ein nicht
ungefürchigeres Gesicht. Nur zog sie mit einer Hand nach links, mit
der anderen nach rechts. „Lausekinder, dumme Lausekinder“,
entsetzte sich Tokoma. Doch dann setzte sich Tokoma neben die zwei
Mädchen.

„Sagt mal, wie habt ihr das gemacht mit dem Zauberstab?“, fragte
Tokoma neugierig, „sowas habe ich schon oft versucht, aber gelungen
ist es mir noch nie“. „Hm das ist ganz einfach“, erklärte Emilia, „wir
haben mit Panyma zusammen Zauberblätter gesammelt und auf
unserem Feuer verzaubert. Mit Zauberblättern geht dieses
Kunststück ganz von alleine“. „Ah“, wunderte sich Tokoma,
„Zauberblätter?“. „Ja Zauberblätter“, erklärte Iakunae kichernd,
„schau mal ich hab hier noch eins in meiner Tasche. Es ist mein
letztes“. Vorsichtig griff Iakunae in ihre Tasche und zog ein
Zauberblatt hervor. „Ohhhh“, staunte Tokoma und hielt seine Hände
offen unter Iakunaes Hände, „ohhh, so was schönes“. „Ja sie sind
wunderschön“, stimmte Iakunae mit ein, „Dieses hier ist mein letztes.
Weißt du was Tokoma? Weil du uns vorher so liebevoll deinen
Zauberstab gezeigt hast, so schenke ich es dir“. „Wirklich?“, fragte
ungläubig Tokoma. „Ja natürlich schenken wir es dir“, doppelte Emilia
hinterher, „es tut uns leid, wenn wir manchmal Lausekinder sind. Aber
wir meinen es nicht böse. Nein, das Zauberblatt, das schenken wir dir
gerne. Du kannst dir eine Farbe wünschen und dann das Blatt auf
irgendwas zuwerfen. Wo das Blatt zerbricht, dort ändert sich die
Farbe“. „Meinst du jede Farbe, auch unsichtbar, wie vorhin?“, fragte
Tokoma, wie ihm Iakunae das Blatt in seine zittrigen Hände legte. „Ja
natürlich, auch unsichtbar“, antwortete Iakunae in freundlichem Ton.
„Unsichtbar... unsichtbar“, staunte Tokoma und konnte vor Aufregung
das Blatt kaum richtig in den Händen halten. „Unsichtbar“, stammelte
Tokoma ein letztes mal, bevor das Unglück geschah. Mit einer
nervösen Zuckung in seiner Hand zerbrach er das Zauberblatt und
‚Plinck’, von Tokoma war nichts mehr zu sehen.

„Hilfe, hilfe, Panyma“, rief Emilia, „hilfe, Tokoma hat sich selber
unsichtbar gezaubert“. „Ach was“, antwortete Panyma lachend, „was
ist denn jetzt schon wieder geschehen?“. „Wir haben Tokoma ein
Zauberblatt schenken wollen“, erklärte Iakunae, „und innerhalb einiger
Sekunden hat sich der Tollpatsch selber unsichtbar gezaubert“. „Ah,
das ist nicht so schlimm„, beruhigte Panyma die zwei Mädchen,
„spätestens morgen früh hört die Kraft des Zauberblattes ohnehin
auf zu wirken. Und ich hab hier ein Kraut, mit dem ich ihn sofort
wieder sichtbar machen kann, wenn wir genau wissen, wo er steht“.
„Tokoma, wo stehst du denn?“, wollte Panyma wissen, „Hab keine Angst
Tokoma. Sag uns wo du stehst und dann bist du schnell wieder
sichtbar“. Doch die Anwesenden konnten fragen solange sie wollen, von
Tokoma bekamen sie keine Antwort. Ob es ihm gar gefiel, von den
anderen nicht mehr gesehen zu werden?

„Leute, es ist Zeit, lasst uns mit dem Schamanentreffen beginnen“,


forderte schliesslich der älteste der Zauberer auf, „Tokoma hin oder
her, muss er halt unsichtbar unserem Treffen beiwohnen. Wir müssen
jetzt anfangen“. Einige Männer und Frauen begannen auf einem hohlen
Baumstamm, der vor dem Altar lag, einen feurigen Urwaldrhythmus
anzuschlagen. Emilia und Iakunae nahmen je zwei Schlaghölzer in ihre
Hände und spielten mit. „Hei ho ho, hei ha ha“, sangen die Indianer. Es
dauerte nicht lange und im Raum wurde es dunkel und finster. Das
Licht der Sonne verschwand und ein heller blauer Punkt erschien vor
der Steinstatue auf dem Altar. Der blaue Punkt wuchs zur mannshohen
Kugel heran und im Inneren des sphärischen Gebildes wurden die
Umrisse eines Mannes sichtbar. Iakuane erschrak. „Du brauchst keine
Angst zu haben“, flüsterte ihr Emilia ins Ohr und hielt ihren Arm um
Iakunaes Schulter, „dies ist der alte Schamane. Du hast ihn noch nie
gesehen, doch es ist ein sehr, sehr lieber Mann“. Der alte Schamane
stieg aus der Kugel. Der leuchtende Schimmer wich von seiner Haut
und er stand mit seiner faltigen runzligen Haut und seinen dünnen
strähnigen Haaren vor den Indianern. Wie immer war der alte
Schamane nur spärlich gekleidet. Einige wenige dunkle Federn in
seinem Haar, ein Bauchgurt sowie eine Umhängetasche waren die
einzigen Gegenstände, die er bei sich trug.

„Meine lieben Freunde und Freundinnen des Zaubers“, begann der alte
Schamane seine Rede, „es freut mich, dass ihr so zahlreich zu unserem
Schamanentreffen erschienen seid. Seid willkommen in meinem Wald
und seid willkommen in meinem Haus“. Wie der alte Schamane in seiner
Rede kurz innehiel, brach eine Flut begeisterter Zurufe los, denn die
Freude war gross ob dem Erscheinen des alten Schamanen, des
höchsten irdischen Zauberers im Land der Indianer. „Es ist euch
bekannt, dass der Grund unseres Zusammenkommens ernster Natur
ist“, fuhr der alte Schamane fort, „doch es steht inzwischen weit
schlimmer wie erwartet. Vor zwei Monden gelang es uns die böse
Dämonin des Wasser, die gefürchtete Ipupiara mit gelbem Feenkraut
in die Untiefen des Grossen Wassers zurückzuschlagen“. Nach einem
kurzen Blick hin zu Emilia fuhr der alte Schamane fort. „Wir hatten
damals geglaubt, die drohende Gefahr für mindestens zehn Monde
besiegt zu haben. Doch vor sieben Tagen schon wurde Ipupiara bereits
wieder am Strand des Meeres gesehen. Stärker denn je zuvor und in
die Höhe feuerspeiend bis zu den Wolken des Himmels“. „ohhh, uhhh,
nein, iiiii, Ipupiara, ie ie ie ie“, stöhtnen die Indianer wie sie von dieser
unerwarteten Neuigkeiten wie von einem harten Schlag ins Gesicht
getroffen wurden. „Das alles wäre nur halb so schlimm“, erklärte der
alte Schamane weiter, „aber wir finden im ganzen Land der Indianer
kein gelbes Feenkraut mehr, unsere einzige wirksame Waffe im Kampf
gegen die Dämonin. Ohne das gelbe Feenkraut weiss ich auch nicht, wie
wir gegen Ipupiara vorgehen sollen. Ich frage euch, hat jemand von
euch in den letzten zwei Monden gelbes Feenkraut gefunden? Hat
jemand von euch eine Idee, was wir noch tun können?“.

Ein lauter Tumult brach unter den Anwesenden los, wie der alte
Schamane diesen Satz fertig gesprochen hat. All die versammelten
Zauberer und Magier begann wild durcheinander zu reden und zu
quasseln, zu lärmen und zu heulen. „Halt, halt, halt“, unterbrach
lautstark der älteste Zauberer, der die Versammlung leitete. Er
schlug mit einer Holzkeule auf den Bambustisch und befahl, „Ruhe
bitte, Ruhe jetzt. Redet einer nach dem Andern. Und überhaupt, ihr
solltet wissen, dass ihr den alten Schamanen während seiner Rede
nicht unterbrechen sollt. Ruhe, Ruheeee nochmals“. „Nein, nein, lass
sprechen“, forderte der alte Schamane den ältesten Zauberer an,
„lass sprechen, die Meinung eines jeden ist gefragt“.

„Wenn ich mir das so genau überlege“, begann einer der Zauberer, „wir
stellen uns alle zusammen in einer Reihe auf am Strand, und wenn dann
Ipupiara kommt legen wir alle zusammen gleichzeitig mit unserem
besten Zauber los. Da hat doch die keine Chance“. „Ja, ja ,ja“, „ja, der
zeigen wirs“, „ho ho ho, soll kommen die alte Tante, die verwandeln wir
zu einem Haufen brutzelnden Bratspeck, hä hä hä“, riefen die
Anwesenden begeistert über den Vorschlag. Doch der alte Schamane
schüttelte den Kopf. „Damit wir alle schön auf einer Reihe stehen“,
entgegnete der alte Schamane, „einer Ipupiara gegenüber, die einen
uns unbekannten gigantischen Zauber auf dem Grund des Grossen
Wassers gefunden hat? Einen Zauber, dessen Macht wir nicht kennen?
Damit sie uns auf einer Reihe alle zusammen gleichzeitig abservieren
kann? Viel zu riskant. Nein, nein, da müssen wir uns etwas besseres
einfallen lassen“. Einen Raunen ging durch die Menge: „ja recht hat er“,
„Kräfte vereinen ja, aber so nicht, nein, nein“, „haa, igittigitt“.

„Wir könnten uns aufmachen, ausserhalb unseres Landes nach dem


gelben Feenkraut zu suchen“, schlug eine Indianerin vor, „ich bin
bestimmt eine der besten von uns im Kräuter suchen. Ich könnte mich
mit einigen anderen auf den Weg machen“. „Mhh“, antwortete der alte
Schamane, „wieso nicht, aber es ist schwierig, in nützlicher Zeit etwas
zu finden. In unserem eigenen Land haben wir lange gesucht, bis wir
mal die besten Fundorte aufgespürt hatten. Aber dann noch in einem
anderen Land, wo uns die dortigen Indianer vielleicht als Eindringlinge
und Feinde betrachten werden? Versuchen könnt ihr es gerne, aber
schaut dass ihr spätestens in zwei Monden wieder hier seid. Sonst ist
es wohl ohnehin zu spät“. Einige der Frauen nickten sich gegenseitig
tapfer zu. Sie wussten was sie in den nächsten Wochen zu tun hatten.

„Die Portugiesen könnten uns doch helfen“, schlug ein weiterer


Indianer vor, „mit ihren grossen dicken Feuerrohren, die von so
mächtigem Zauber sind sind, mit einem einzigen Knall die dicksten
Bäume im Urwald zu fällen“. „Zugegeben, die Feuerrohre sind
mächtig“, gestand der alte Schamane ein, „aber bis die Portugiesen
diese schweren Rohre in Stellung gebracht haben, vergehen Stunden,
und bis dahin ist Ipupiara über alle Berge an einem anderen Ort am
wüten. Und ob sie überhaupt bereit sind uns zu helfen ist eine ganz
andere Frage. Solange die Portugiesen nicht selber bedroht sind, ist
es wohl zwecklos, da überhaut anzufragen“. So ging die Beratung noch
eine Weile ohne den geringsten Erfolg weiter.

„Ich habe lange darüber nachgedacht“, ergriff der alte Schamane


erneut das Wort, „und ich bin immer wieder zur selben Einsicht
gekommen. Wir müssen Hilfe von aussen holen, alleine sind wir wohl
bald zu schwach um gegen die böse Dämonin anzukämpfen“. „Hilfe von
aussen?“, „wie soll denn das möglich sein?“, staunten die Indianer
ungläubig. „Es gibt nur eine einzige Möglichkeit für uns Indianer an
Hilfe von aussen zu gelangen“, erklärte der alte Schamane weiter,
„ und dazu brauchen wir den magischen Spiegel aus dem Tor des
Todes“. Wie der alte Schamane diese Worte ausgesprochen hat,
wurde es augenblicklich still wie in einer Grabkammer. Keiner der
Indianer wagte es, ein einziges Wort zu sagen oder auch nur zu
flüstern.

Nach einiger Zeit des drückenden Schweigens eröffnete der älteste


Indianer das Wort, denn es lag an ihm, in solch schwierigen
Situationen das Wort zu ergreifen. „Wer von uns war denn schon im
Tor des Todes?“, fragte er bedächtig, „Wer von uns?“. „Auf jeden
Falll niemand von dem wir wissen dass er zurückgekehrt wäre“, wusste
eine Zauberin zu antworten. „Als ich noch jung war“, erklärte der alte
Schamane, „ein kleiner Junge, der gerade mit der Zauberschule
begonnen hatte, da erzählten uns die ältesten Zauberer damals, als sie
selber noch Kinder gewesen wären, hätte es einen Indianer gegeben,
der von dort zurück gekehrt sei. Aber der Name war ihnen entfallen“.
„Als du noch jung warst, lieber alter Schamane“, grinste ein Zauberer,
„wie lange ist denn das her? Wieviele tausend Jahre?“. „Ja da hast du
recht“, grinste der alte Schamane verlegen zurück, „viele viele
tausend Jahre ist das her“. Iakunae und Emilia staunten sich
gegenseitig an. „So alt ist der?“, flüsterte Iakunae Emilia mit
Entsetzen ins Ohr.

„Arukka, erinnert ihr euch an Arukka?“, fragte eine alte Zauberin.


„Ach Arukka“, ging ein unruhiges Raunen durch die Runde, „Meinst du
Arukka, der spurlos verschwunden ist?“. „Ja dieser Arukka“, wusste
eine Indianerin zu berichten, „als er zuletzt gesehen wurde sagte er,
er werde sich zum Tor des Todes aufmachen. Er wolle dort einen
heilenden Zauber für die Indianer holen“. „Das habe ich aber ganz
anders gehört“, entgegnete energisch ein alter, weiser Zauberer mit
grauem Haar, „zuviel Kauwi, zuviel Bier habe er getrunken, wie er das
ja so oft getan hatte, und etwas von einer Kiste Gold habe er gesagt,
von einem Schatz, von dem er wisse wo er versteckt sei. Und dann, wie
er noch mehr Kauwi zu sich nahm, hat er noch etwas von einem Dämon
des Todes und einem Tor gelallt. Dann machte er sich auf den Weg und
seither fehlt von ihm jede Spur“.

„Wie dem auch sei mit Arukka“, versuchte der älteste Zauberer das
Gespräch wieder auf brauchbare Bahnen zu lenken, „jemand von uns
muss sich aufmachen zum Tor des Todes“. Erneut wurde es still wie in
einem Grab. Alle Blicke waren auf den alten Schamanen gerichtet. „Ich
habe es viele male versucht“, erklärt der alte Schamane, „aber es ist
den Lichtwesen nicht möglich zum Tor des Todes zu gelangen. Gleich
wie ihr Wesen, die ihr nicht des Lichtes seid, nicht über eure
Schatten springen könnt, da sie ewig von euch wegweichen, in gleicher
Weise weicht das Tor des Todes ewig von den Lichtwesen weg. Nein,
ich kann es nicht. Es ist mir nicht möglich. Jemand von euch muss
dorthin gehen oder dieser mächtige Zauber, der im magischen Spiegel
versteckt ist und uns Hilfe von weit her bringen kann, wird uns nicht
zur Verfügung stehen“.

Nun blickten die versammelten Indianer nicht mehr zum alten


Schamanen, sie schauten sich gegenseitig an. Wer käme wohl für diese
schwierige Aufgabe am besten in Frage? „Ich könnte doch dorthin
gehen“, schlug eine alte Zauberin vor, „ich bin schon alt, um mich ist es
nicht schade, wenn ich nicht mehr zurückkehren sollte“. „Ach du
kannst ja kaum mehr richtig laufen“, widersprach der älteste Indianer,
der die Versammlung leitete, „nein, nein, es ist ja gut gemeint von dir.
Aber das muss jemand von den jüngeren Leuten machen, die gut zu
Fuss sind. Ein starker Mann wäre gut, ein Mann der sich wehren kann“.
„Wie wärs mit dir?“, fragte der älteste Indianer einen jungen
Zauberer. „Ich bin doch noch Zauberschüler“, gab dieser zur Antwort,
„erst ganz in den Anfängen der Zauberei. Ich glaube nicht, das ich das
alleine kann. Wenn jemand mit Erfahrung mitkommt, gehe ich mit, aber
alleine? Meinst du das könnte ich machen?“. Ein Schweigen machte
sich breit. Jeder der Anwesenden wusste, dass ein Zauberschüler da
alleine nicht hingehen konnte und auch nicht alleine hingehen durfte.
Nie und Nimmer wohl kehrte er je zurück.

„Ja ein mutiger junger Mann mit Erfahrung wäre der Richtige“,
stimmte nun auch der alte Schamane mit ein, „jemand der stark ist
und Erfahrung hat in der Zauberei. Zugegeben, wir kennen niemanden,
der jemals von diesem Ort zurückgekehrt ist, aber ist denn keiner von
uns Zauberern bereit, die Gefahren des Tor des Todes auf sich zu
nehmen?“. Wie Emilia so ruhig an ihrem Platz sass spürt sie plötzlich
ein Kratzen an ihrer Schulter. War das nicht die Feder eines
Indianers? Aber sie sah niemanden. Dann hört das leise Flüstern eines
Selbstgesprächs neben sich: „Oh wie gut, dass mich jetzt niemand
sehen kann. Hä hä. Dann muss ich nicht hingehen, hi hi hi“. „Fauler
Kerl“, dachte sich Emilia, wie sie die Stimme sofort erkannte . Emilia
schielte zurück zu Panyma und tippste mit dem Zeigefinger ganz fein
in Richtung neben sich. Panyma verstand es sofort.

„Lasst euch nicht einschüchtern“, versuchte der alte Schamane den


Anwesenden mit einem Lächeln Mut zu machen, „Es wird keiner zum
Held geboren. Diejenigen die am lautesten sind und ihre Kraft
prahlerisch anpreisen sind nicht immer die mutigsten. Die wahren
Helden, wenns drauf ankommt sind meist plötzlich da, wie aus dem
nichts erschienen“. In ganau dem Moment bewegte Panyma ihr
Zauberkraut. ‚Plinck’, tönte es leise und Tokoma stand für alle
sichtbar wieder da, mitten in den Reihen der versammleten Zauberer.
„Tokoma, Tokoma“, staunten die Indianer ob dem Wunder, „Tokoma,
der aus dem nichts auftaucht, Tokoma, unser Held, Hurra!“. Tokoma,
der langsam begriff was passiert war, begann am ganzen Körper zu
zittern. „ich......ich.....g.g.g .g.g glaube ni.. ni ..nicht“, war alles das er
zitternd hervorbrachte.

Mit einem Seufzen schaute der alte Schamane schliesslich hin zu


Panyma. „Ja, ja ist ja schon gut“, gab Panyma zum besten und blickte
zu Emilia und Iakunae, „ich werde da hingehen zu diesem Tor des
Todes und ich denke meine zwei Schülerinnen, so wie ich sie kenne,
werden auch mitkommen“. Es brauchte keine hohen Künste des
Gedankenlesens um ausfindig zu machen, was dem alten Schamanen
jetzt durch den Kopf ging. Er war froh, dass Panyma zum Tor des
Todes gehen würde und nicht jemand anders, denn Panymas
Zauberkünste und ihre Kentnisse der Unterwelt waren kaum durch
jemanden zu übertreffen. „Dann wünschen wir euch viel Erfolg und viel
Glück“, beendete der alte Schamane die Versammlung.

Noch eine Weile dauerte das Schamanentreffen, denn nach dem


offiziellen Teil kam das fröhliche Fest. Emilia und Iakunae war zwar
etwas mulmig zumute, ob der Aufgabe, die sie erwartete, aber die
Anwesenheit Panymas und des alten Schamanen gab ihnen Mut und
Hoffnung. „Kommt jetzt ihr zwei“, forderte Panyma nach einiger Zeit
auf, „es ist Zeit für uns nach Hause zu gehen“. Und so schritten die
drei Frauen, ein Lied singend, im Licht des vollen Mondes ihrem
geliebten Indianerdorf Uwattibi entgegen.
Kapitel 7 Tor des Todes

Schwer bewaffnet betrat der kleine Thiago die Veranda seines


Zuhauses. In seinem Ledergurt steckten drei Holzschwerter. Ein
weiters Holzschwert hielt er in der rechten Hand und um den linken
Arm hatte er ein sich ein hölzernes Schild befestigt. Dazu hatte er
sich einen alten Lederhut als Helm über seinen Kopf gestülpt. „Komm
tumme Ipupiala, komm, Thiago kämpfen“, rief er mutig in den nahen
Urwald hinaus und ging hinter einigen Holzkisten, die er zusammen mit
seiner Schwester Juanita aufgetürmt hatte, vorsichtig in Deckung.

„Na du kleiner Hosenmatz“, erfreute sich Juanita an ihrem drollig


verkleideten Bruder, „gib mal acht dass dir nichts passiert. Wenn die
bösen Dämonen der Unterwelt mitbekommen, dass da ein mutiger
tapferer Krieger unterwegs ist sie zu besiegen, dann werden sie sich
schnell aufmachen, diesen edlen Kämpfer anzugreifen“. „Juanita auch
kämpfen“, wünschte sich Thiago und drückte Junita eines seiner
Holzschwerter in die Hand, aber nur das kleinste. Die grossen
brauchte er selbst. So standen die zwei Geschwister hinter den
Holzkisten und schauten andächtig in den Urwald hinaus, wann die
grosse Gefahr nun auftauchen würde.

„Grrrrr, grrrrr, grrrrr“, knurrte ein unbekanntes Wesen alsbald hinter


den nahen Büschen. Emilia, die es sich im Schaukelstuhl bequem
gemacht hatte, grinste zu ihren zwei Kindern, die da eifrig am Spielen
ware. „Grrrrr, grrrrrr“, knurrte es immer näher. Thiago wurde
zappelig. „Ez kämpfen, ez kämpfem“, entschied er sich mutig. „Grrrr,
Grrrrr“, hörten die zwei Kinder nochmals. Hinter den Büschen stieg
eine Staubwolke empor und dann geschah wieder nichts. „komme,
komme, kämpfen“, rief Thiago abermals ungeduldig. Zwei Hörner
erschienen ob den Büschen. „Das ist der Teufel“, entsetzte sich
Juanita, „Thiago, bitte, bitte, musst du unbedingt all die bösen Geister
verrückt machen? Jetzt kommen sie und greifen uns an.... Hilfe...“.
„komm, komm“, schrie unser kleiner Held. Doch nun erschienen auch
noch Dämonenaugen unter den Hörner und wieder die
angsteinjagenden Schreie. „Grhhh, grhhh“, tönte laut.

Doch dann, zuletzt, kam leider die grosse Enttäuschung für Thiago.
Durch die Büsche blickte der Kopf einer Kuh. „Grrrr, grrrr“, knurrte
die Kuh durch den offenen Mund und glotzte zu den Kinder. „Tumme
Kuu“, schimpfte Thiago, dem nun ein heldenhafter Kampf entgangen
war. Emilia lächelte zu Thiago. „Die hat Schmerzen im Bauch. Deshalb
schreit sie so eigenartig“, erklärte sie ihren Kindern, „sie ist
hochschwanger und wird heute oder morgen ihr junges Kalb zur Welt
bringen“. „Oh liebe Kälbli, oh liebe Beebeli“, freute sich nun Thiago,
denn er hatte Tiere gerne.

Noch eine Weile spielten die zwei Kinder sie wären Kämpfer und
müssten Ipuipara besiegen gehen, doch dann wurde es Juanita
langweilig, denn Kämpfen spielen ist etwas für kleine Jungen nicht für
grosse Schwestern. „Komm Thiago, Maija hat uns Beeren Sirup
gebracht. Komm, wir gehen was trinken“, rief sie ihrem Bruder. „Mhh
fein“, antwortete der Kleine und freute sich auf das süsse Getränk.

Juanita hielt das alte Pergament ihrer Mutter vor sich und studierte
eine Zeichnung darauf. „Was ist denn das für eine Sonne auf der
Zeichnung, die das Mädchen da knieend in den Händen hält?“, wollte
Juanita wissen. „Ach die silberne Sonne, das ist eine spezielle
Geschichte. Kommt her meine zwei Kinder. Holt euch ein Glas süssen
Sirup. Dann werde ich euch die Geschichte erzählen“.
Am Nachmittag des folgenden Tages lief Panyma ihren zwei
Zauberschülerinnen im dichten Urwald voraus. Emilia sprach schon
eine ganze Weile kein einziges Wort mehr. „Ist dir mulmig, Emilia?“,
fragte Panyma. „Ja“, antwortete Emilia mit einem einzigen Laut. Mehr
sagte sie nicht, denn es war ihr nicht zumute lange Gespräche zu
führen. „So schlimm wird’s wohl nicht sein“, versuchte Iakuane ihrer
Freundin Mut zu machen, „sonst rennen wir einfach weg da drinnen,
dann können die uns alle mal“. Doch Iakunae sah, dass dies Emilia nicht
zu beruhigen vermochte.

„Wenn du willst kannst du draussen auf uns warten“, schlug Panyma


vor, „es ist vielleicht ganz gut, wenn vor dem Tor des Todes jemand
aufpasst. Sollte es uns nicht gelingt, da wieder raus zu kommen, dann
weiss wenigstens jemand bescheid. Und vielleicht kannst du von dem
einen oder anderen Zauberer gar noch Hilfe holen“. „Nein, nein, ich
werde mitkommen“, gab Emilia zur Antwort, „dass wir da reingehen ist
ja die einzige Möglichkeit für die Indianer, Ipupiara zu besiegen. Ich
bin zwar noch ein Mädchen. Aber wenns denn sein muss und wir nicht
mehr zurückkehren, dann geschieht halt das Schreckliche. Aber ich
lasse nichts unversucht, den Indianern zu helfen“. „Oh du liebes Kind“,
freute sich Panyma und hielt in ihrem Schritt inne. Sie drehte sich
zurück zu Emilia, umarmte ihre Zauberschülerin und strich mit ihrer
Hand durch Emilias Haare. „Ja du bist eine Liebe“, wandte sich auch
Iakunae ihrer Freundin zu und legte eine Hand auf Emilias Schulter.
Jetzt lächelte Emilia wieder und freute sich, dass sie zwei so gute
Freundinnen hatte. Erleichtert und fröhlich zogen die drei ihres
Weges weiter.

„Panyma?“, fragte Emilia etwas später, „hast du eigentlich diesen


Arukka gekannt, von dem sie beim Schamanentreffen gesprochen
haben und der spurlos verschwunden ist?“. Emilia fragte, doch gab
Panyma keine Antwort von sich. „Hast du Arukka gekannt?“,
wiederholte Emilia ihre Frage. Nach einem Moment des Schweigens
antwortete Panyma: „Arukka und ich, wir waren einige Jahre lang die
Zauberschüler des alten Schamanen. Wir haben zusammen Zaubern
gelernt. Arukka war immer besser im Zaubern wie ich. Und das hat ihm
wohl gefallen“. Iakunae staunte: „Ah, was? besser wie du? Dann muss
das aber ein ganz guter Zauberer gewesen sein“.

„Ja er war gut, sehr gut sogar“, setzte Panyma ihre Erzählung fort,
„Doch einmal war ich besser wie er. Und das war ein beklemmendes
Erlebnis. Es war während einer Regenzeit. Monatelang schon prasste
eine Sintflut unaufhörlich auf das Indianerland nieder und die ganze
Gegend versank im Sumpf. Schliesslich kamen die ältesten Indianer zu
uns und fragten, ob wir mit unserem Zauber den Regen nicht beenden
könnten. - Sie sollten sich keine Sorgen machen, sagte Arukka, für ihn
sei dies ein Leichtes. So zog er los um diesen grossen Zauber zu
vollbringen. Vierzehntage blieb er draussen. Doch es regnete weiter
und weiter. Nach vierzehn Tagen kehrte er zu uns zurück und war
enttäuscht, dass sein Zauber nicht geholfen hatte. Der alte Schamane
sagte, nun sei ich an der Reihe es zu versuchen. Ich zog aus, und nach
einer halben Stunde schon schien die warme Sonne durch die Wolken“.
Emilia lächelte. „Boah, da hat Arukka wohl nicht schlecht gestaunt“,
meinte Emilia begeistert. „Nein, gestaunt hat er nicht“, erzählte
Panyma weiter, „und Freude hatte er auch keine. Er wurde böse.
Gesagt hatte er zwar nicht viel, aber ein böser Groll stand ihm im
Gesicht, wie wenn ihn jemand zutiefst beleidigt hätte. Kurz darauf
verliess er uns und wollte seine eigenen Wege gehen. Ich fühlte mich
nicht mehr sicher vor ihm. So etwas beklemmendes und
beängstigendes habe ich noch nie von einem Zauberer erlebt“.

Der Weg führte die drei zum Urwald hinaus an den Fuss eines hohen
Hügels auf dessen warmen Boden mannshohes Gras wuchs. Der
Aufstieg war steinig und streng, doch zum leichteren Aufstieg war
ein schmaler, gut begehbarer Pfad angelegt. Dieser führte in
schlängelnden Kurven höher und höher den steilen Hügel hinauf.
Iakunae fand das Laufen langsam ein wenig streng und langweilig. „Uff,
häääh, hääääh, häääh, aaah“, keuchte sie unüberhörbar laut, sodass
jeder es hören musste. Panyma lächelte und drehte sich zu dem
Mädchen. „Ja, dann lass uns eine Pause machen“, sagte Panyma zu der
Aermsten und setzt sich auf einen Stein, „kommt ihr zwei. Setzt euch.
Von diesem Berg aus könnt ihr das gesamte Land der Indianer
überblicken, und wenn ihr genau hinschaut, so seht ihr ganz zuhinterst
am Horizont das blaue Meer mit seinen Untiefen, von wo uns Ipupiara,
die Dämonin des Wasser droht“. Die drei genossen die schöne
Rundsicht und schon bald hatte sich Iakunae etwas erholt. Darauf ging
der Marsch weiter.
Der schmale Weg endete unmittelbar vor einer Felskante, die sich wie
eine hohe Steinmauer emporhob. Eine Zeit lang liefen die drei Frauen
dieser Felskante entlang. „Ist ja wie eine Burgmauer“, staunte Emilia,
„wie die Mauer einer Festung, die ihr Inneres schützt“. „Ja da hast du
Recht“, stimmte Panya bei. Schwarze Vögel kreisten über dieser
Felsenmauer und krächzten abweisend in die Tiefe. Iakunae blickte
nach oben. „wwäääh, müssen wir da drüber?“, fragte sie ungläubig.
„Ja“, antwortete Panyma und lief weiter den hohen Felsen entlang.
„Kommt hierher“, rief Panyma etwas später, „genau an dieser Stelle ist
es möglich über den Felsen zu klettern“. Schwierig war der Ausftieg
auf den Felsen nicht, denn die zwei Indianermädchen und Panyma
waren sich, wie alle Indianer, ans Klettern bestens gewöhnt.

Oben auf dem Felsen angekommen, reichte der Blick auf der anderen
Seite hinunter in die Tiefen eines rauchenden Kraters. „Ein
erloschener Vulkan“, staunte Emilia, „von solchen habe ich in den
Büchern in Porto gelesen“. Panyma nickte. „Früher soll der Berg
angeblich Feuer ausgespuckt haben“, erzählte sie, „ein feuerspeiender
Dämon habe hier gewohnt. Aber solange ich den Berg kenne hat er
höchstens mal ein wenig Rauch aufsteigen lassen“.

Vorbei ging es an blubberndem Schlamm, aus dem gelber Dampf


aufstieg, an Spalten, aus denen schwarzer Rauch hochzischte und an
Steinen, die so feuerheiss glühten, dass Emilia und Iakunae nicht
wagten, sie zu berühren. „Bleibt nur schön dicht hinter mir“, forderte
Panyma die zwei auf, „es ist nicht mehr weit“. Iakunae blickte
ängstlich um sich. „Das Tor des Todes hätten sie auch an einem
gemütlicheren Ort aufstellen können“, meinte sie leise. Emilia gab
ihrer Freundin die Hand. So ging es gleich besser und Iakunae lächelte
Emilia liebevoll an.

Gegen Mitte des Kraters hin wurde der Boden flacher. Mehr und mehr
wuchsen Gräser, Bäume und Büsche aus dem kargen Grund und
verdeckten schon bald die Sicht nach allen Seiten hin. In diesem
Dickicht machte sich zudem ein dunkler Nebel breit, der fürchterlich
nach brennendem Bergesinnern stank, nach Pech und Schwefel. Doch
sicheren Schrittes lief Panyma den zwei Mädchen voraus. Schweigend
folgten Emilia und Iakunae. Sie wussten, dass es jetzt nicht mehr weit
war, und wagten nicht mehr zu schwatzen oder sonst was zu sagen. Bis
jetzt war keines der Mädchen sicher gewesen, ob sie es schlussendlich
wirklich wagen würde, da in das Tor des Todes hineinzugehen. Doch
jetzt, so nahe, das wussten sie genau, gab es kein zurück mehr. Und da
war ihnen doch etwas mulmig zumute.

Schliesslich gelangten die drei Zauberinnen auf eine Lichtung in


diesem Dickicht. Ein grosser Platz in dichtem Nebel lag vor ihnen.
Bäume und Büsche wuchsen keine mehr, nicht einmal mehr Gras, Moos,
eine Blume oder sonst etwas lebendiges gedeihte auf dem toten
Boden. Ein sumpfiges, lehmiges Geröll aus Stein und Knete lag vor
ihnen. Nicht weit entfernt, ein steinwurf weit vielleicht oder etwas
mehr, ragte eine haushohe Säule aus Stein im Nebel in den Himmel
empor. „Ist das schon... ?“, wollte Emilia fragen, doch das Wort blieb
ihr im Mund stecken. „Ja“, antwortete Panyma kurz und klar.

Die kantige, hohe Säule war in rauchenden silbrigen Dampf gehüllt.


Viele tausende in den Stein gehauene, aber dennoch lebende Gesichter
glotzten auf die Ankömmlinge hinunter. Löwenköpfe mit scharfen
Zähnen, spitze Hexengesichter, gehörnte Teufelsfratzen und Feuer
speiende Drachen drohten in einem wilden Gewühle steinerner
Schlangen, die um sich zischten und fauchten.

Der silbrige Nebel wurde dichter, je näher die drei kamen und die
Steinsäule erhob sich zum hohen Turm in dessen Mitte ein schwarzes
dunkles Tor offenstand. „Da hinein?“, fragte Emilia mit zweifelnder
Stimme. „Muss wohl sein“, antwortete Iakunae mit so mutiger
Stimmne wie es ihr in einer solchen Situation irgendwie möglich war.
Im dumpfen Licht des Nebels bewegten sich die steinernen Fratzen
und die Figuren an der hohen Steinsäule in langsamen, gleichmässigen
Zügen, Meeresalgen gleich, die sich in den Wellen des Wassers
mitbewegen. Aus tausend Mündern schrieen und wehklagten die
dämlichen Steinwesen. „ääh“, „ehhh“, „eoohh“, ,“eee“, drangen die
schmerzerfüllten, ewig gleichbleibenden, seelenlosen Töne an die
Ohren der Ankömmlinge, „uuuu, ööööö, iiiiii, nianianianina, jeee“.

Ueber dem Tor starrt eine teuflische Fratze mit zackiger Nase und
spitzem Bart auf die Zauberinnen hinunter. Das Gesicht stiess Rauch
aus Mund, Nase und Ohren. Emilia versuchte in dieses Gesicht hinein
zu schauen, doch war es ihr nicht möglich, das Gesicht mit ihrem Blick
zu fixieren. Sobald sie auf das Gesicht schaute grinsten ihr aus allen
Richtungen eine Vielzahl hämischer Gesichter mit dutzenden, ja
tausenden von Augen entgegen. „Hä, hä hä“, „hö hö hö“, „hi hi hi“, „i i, i
i“, kreischen die teuflichen Gesichter von allen Seiten her auf Emilia
ein.

„Komm jetzt rein“, rief Panyma, die mit Iakuane Hand in Hand das Tor
bereits betreten hatte. „Grdtsch grdtsch“, zischten und heulten die
vielen steinernen Schlangen an der Mauer und versuchten Emilia am
betreten des Tores zu hindern. Sie krallten sich um Emilias Arme und
Beine. „Lasst mich los ihr blöden Viecher“, schimpfte Emlia, „ich will
jetzt da rein“. Emilia riss sich los und folgte Panyma und Iakunae.

Gleich hinter dem Tor führte eine steile Steinstiege mit runden
abgewetzten Titten an den Wänden eines breiten Schachtes in die
Tiefe. Die Stiege war schmal, kaum breiter wie ein Fuss. „Uups“,
erschrak Emilia, wie sie einen Blick in die Tiefe wagt. Heisse
aufsteigende Luft blies den drei Zauberinnen ins Gesicht. „Haltet
euch gut an den Felszacken der Wände fest“, mahnte Panyma. Endlos
lange dauerte der Abstieg in den turmhohen Schacht. Der runde
Schacht wurde breiter, je tiefer die drei abstiegen. Schliesslich
endete die schmale Stiege auf einen lehmigen feuchten Boden. Die
drei standen in einer grossen Halle, so hoch und breit wie das innere
einer Kirche, nur düster und schwarz. Das spärliche Licht flackernder
Kerzen schimmerte aus einer Ecke den dreien entgegen. „Gehen wir
da hin“, sprach Panyma zu ihren zwei Schülerinnen.

Beim Kerzenlicht sass eine alte dicke Frau mit einem lieblichen
Gesicht hinter einem Steinaltar. Emilia glaubte im Gesicht der alten
Frau die teuflische, spitzige Fratze ob dem Eingangstor wieder zu
erkennen. „Eine Hexe“, flüsterte Emilia zu Iakunae. Dutzende von
Armen schwebten am Körper der Alten und schlängelten über dem
steinernen Altar den Zauberinnen entgegen. Der Altar war über und
über mit den leckersten Süssigkeiten bedeckt, die sich Kinder nur
vorstellen können. „Nehmt Süssigkeiten. Nehmt von den feinen
Süssigkeiten auf meinem Tisch“, krächzte die Alte, „die sind fein, sehr
fein, nehmt, nehmt, sie sein euch geschenkt...“. „Nein“, stiess Panyma
aus. Doch es war zu spät. Bereits hielt Iakunae in beiden Händen zwei
Faustgrosse Schleckereien. „Nimm nur liebes Kind“, wandte sich die
alte Frau liebevoll an Iakunae, „wie heisst du denn, du liebes?“. „Ich,
ich - ich heisse Iakunae“, stammelte Iakunae leise. „Oh Iakunae, das
ist ein schöner Name“, schmeichelte die alte mit warmer Stimme,
„komm nur näher mein Kind. Ich tu dir nichts“. „Nein“, stiess Panyma
nochmals schnell aus, „nein, Iakunae“. Nun bekam es Iakunae mit der
Angst zu tun. Doch sie war ein Indianermädchen, und die geben nicht
so schnell auf. „Willst du die Süssigkeiten nicht selber essen?“, fragte
Iakunae mit kecker Mine, „wenn sie so fein sind, hhmmmmm“. Einen
kurzen Augenblick schreckte die Hexe zusammen, denn so eine
Antwort hatte sie bestimmt nicht erwartet. Doch schnell hatte sich
die alte wieder gefasst. „Nein, nein“, schmeichelte sie mit einem
hämischen Lächeln, „die sind nur für euch liebe, lieber Kinder“. Das
genügte Iakunae. Jetzt hatte sie die Schnauze voll von der alten.
„Friss doch deine Scheisse selbst“, schrie Iakunae und blitzschnell
zog sie ihre Hand auf und warf eine der Süssigkeiten der alten Hexe
mitten ins Gesicht. „AAArrrrr“, schrie die Alte. Lauter Donner
krachte, die ganze Höhle zitterte und der Kopf der Hexe wurde zum
Drachenkopf. Emilia erkannte sofort wieder das Gesicht der
Teufelsfratze ob dem Tor. „AAAArrrrgg, tschsch“, zischte der
Drache und spie heisses Feuer und Rauch aus dem Mund.

Die Hände des Drachens hatten sich in Schlangenköpfe mit


Menschengesichtern verwandelt. Grimmig stierten diese
Schlangenköpfe auf die drei Frauen, öffneten ihre Münder und
zeigten ihre Giftzähne. Eines dieser menschlichen Schlangengesichter
kannte Panyma: „Arukka, du? Bist du also doch zum Tor des Todes
gegangen?“. „Ja, Panyma“, knurrte die Schlange, „ich bin hier und du
bist jetzt auch hier. Panyma, die Wetterzauberin... ah, meine Ehre,
meine Zaubererehre, du, du Panyma, du hast sie mir gestohlen“.
„Meinst du nicht auch Arukka“, entgegnete Panyma, „dass das Wetter
damals zufällig besser geworden ist?“. „Zufällig?“, knirschte Arukka,
„zufällig? Nie und nimmer. Meine Ehre hast du gestohlen! Rrghh! Aber
jetzt ist ja alles gut, Jetzt wo du hier bist.... Bleib !!! Bleib hier
Panyma !! Hier lernst du richtig Zaubern!! Der alte Schamane, der kann
doch nichts, hä hä hä. Die Meisterin, die Hexe, sie wird dir die wahren
Künste beibringen“. Panyma sagte nichts. Sie erschrak ob dem Anblick
und tritt einen Schritt zurück. „Willst du etwa fortgehen?“, entsetzte
sich Arukka in einem fiesen Ton, „willst du uns verlassen? Nein, nein,
das kannst du nicht mehr, hä hä hä, zu spät“. Arukka starrte Panyma
an und fixierte sie mit hypnotischem Blick, „du wirst jetzt - hier
bleiben. Ich – befehle – es - dir. Panyma du bleibst hier. Dein füheres
Leben vergeht nun wie ein Traum ... ein Traum .... und hier erwachst du
und erlebst wieder die Wirklichkeit, die du im Traum nicht mehr
kanntest, die du solange gesucht... bleib hier.. hier.. hier für immer...
du schläfst .. müde.. bleib hier .. Panyma wird bleiben.... hier“. Panyma
schaute Arukka an, ohne ein Wort zu sagen. „Panyma, pass auf“, schrie
entsetzt Emilia. Doch Panyma antwortete nicht auf Emilias Worte.

Vorsichtig nahm Iakunae die andere Süssigkeit von der linken Hand in
die Rechte. Mit der blitzschnellen Bewegung einer kämpfenden
Indianerin warf Iakunae den süssen Klumpen in Arukkas Mund.
„üüühgg“, erschrak Arukka und hörte auf sich auf Panyma zu fixieren.
Arukka spitzte seinen Mund und blickte schmollend rüber zu Iakunae.
„Mhhh, fein“, schmunzelte er, „mh, fein, Süssigkeiten, mmmh, mehr...
mehr.... Das gibt uns die alte Hexe nur einmal im Jahr, mmmmhh“. Die
Drachenhexe aber schaute wütend zu Arukka hinunter. „Halts maul, du
dämlicher Dummkopf“, schrie die Hexe, dass es krachte und donnerte
in der Höhle. „Schnell“, befahl Panyma, „hier haben wir nichts mehr
verloren“. Sie nahm Iakunae und Emilia an je eine Hand und rannte in
die Mitte der Halle.

Auf der gegenüber liegenden Seite des Schachtes wies ein


dunkelviolettes Licht den Weg hinein in einen hohen Gang. „Hier
hinein“, wies Panyma die Mädchen an, doch da es nirgends einen
anderen Weg gab, blieb den dreien auch gar nichts anderes übrig als
da hinein weiter zu gehen. Ein hoher Gang führte weiter ins
Erdesinnere. „Wollen wir nicht lieber wieder zurück?“, fragte Emilia,
„meinst du, sind wir hier noch richtig?“. Iakunae drehte sich um und
wollte zurückschauen. „Da ist kein Gang mehr zurück“, stellte sie mit
Schrecken fest, „hinter uns hat sich die Höhle wieder geschlossen.
Wir können gar nicht zurück“. Emilia lief zuvorderst und Panyma am
Schluss. Iakunae, die sich etwas fürchtete, hatten sie in die Mitte
genommen.

Der Weg in der Höhle fiel mehr und mehr ab. „Pass auf Emilia, da
vorne wird es steil“, warnte Panyma. Doch Panymas Warnung kam zu
spät. Emilia war auf dem lehmigen, nassen Boden bereits ins rutschen
gekommen. „Ich rutsche. Hilfe, ich rutsche“, rief Emilia und versuchte
sich mit ihren Händen im weichen Lehm festzuhalten, doch vergebens.
Sie konnte sich festhalten wo sie wollte, sie griff stets in die selbe
Knete, die keinen halt bot, sondern sogleich mitrutschte. „Ich rutsche,
ich rutsche in die Tiefe“, schrie Emilia während unter ihr ein grelles
Licht erschien. Ein Boden, so hell wie die Sonne, ein leuchtender
Teppich machte sich unter Emilia breit. Einen Augenblick noch konnten
Panyma und Iakunae Emilia sehen. Dann fiel sie durch das blendende
Licht und war verschwand.

„Fort ist sie“, entsetzte sich Iakunae, „verschwunden, Emilia, meine


Freundin. Schnell hinterher, wir müssen sie retten“. Doch wie Iakunae
und Panyma aufstanden um Emilia zu folgen, sahen sie, dass sich vor
ihnen in der Richtung, in die Emilia verschwunden war, die Höhle
ebenfalls geschlossen hatte. „Wir können nur noch in eine einzige
Richtung“, sagte Panyma mit leiser Stimme, „es bleibt uns nichts
anderes übrig. Zurück zur Hexe können wir nicht und Emilia folgen
können wir auch nicht“. „Ist Emilia jetzt im Tor des Todes gefangen?“,
sorgte sich Iakunae. „Ich weiss es nicht“, antwortete Panyma, „lass
uns mal weiter gehen. Vielleicht kommen wir ja irgendwo hin, wo wir
Emilia helfen können. Du musst jetzt Vertrauen und Zuversicht
aufbringen, Iakunae. Es bleibt uns gar nichts anderes übrig“. Panyma
blickte Iakunae ins Gesicht. Eine dicke Träne rollte Iakunae über ihre
Wangen hinunter. Panyma legte ihren Arm um Iakunaes Schulter und
so liefen die zwei Frauen ohne ein Wort zu reden langsam dem
Höhlengang entlang.

„Siehst du das helle Licht da vorne?“, fragte Panyma nach einer Weile,
„ich glaube das ist das Licht der Sonne. Da geht’s nach draussen“. „Ich
will aber nicht raus“, heulte Iakunae mit weinender Stimme, „nie und
nimmer will ich raus ohne Emilia. Ich will hier bleiben, Emilia helfen
und die alte Hexe, die kann was erleben von mir. Meine liebste
Freundin Emilia - und jetzt ist sie nicht mehr bei uns“. Iakunae lief
drei Schritte zurück. Doch dort stand sie bereits an einer Wand. „Die
Höhle, sie schliesst sich hinter uns“, entsetzte sich Iakunae, „mit
jedem Schritt den wir gehen, geht sie mehr zu. Ich will hier bleiben
Panyma und auf meine Freundin warten. Ich will nicht ohne Emilia die
Höhle verlassen, nie und nimmer.“. Die zwei Frauen setzen sich auf
einem Stein nieder und warteten in der Höhle. Sie wussten zwar nicht
worauf sie warten sollten, aber ohne Emilia wollten sie nicht weiter
gehen. „Wir brauchen gar nicht rauszulaufen“, stellte Panyma fest,
„siehst du, die Höhle verschwindet auch vom Ausgang her, der da auf
uns zukommt“. Ein Steinbogen flitzte über die zwei Frauen hinweg und
die Höhle war verschwunden. Eine Wolke aus dichtem Nebel und
Schwefelgestank ragte hinter Panyma und Iakunde zum Himmel, da wo
soeben noch der Gang der Höhle entlangführte.

Iakunae sass in Panymas Arme und weinte. Panyma blickte in Iakunaes


Gesicht. Iakunae seufzte und zog die Tränen in ihrer Nase hoch. Sie
sagte kein Wort und Panyma fiel auch nichts ein, womit sie Iakunae
hätte trösten können. Doch dann nach einer Weile eröffnete Panyma
das Wort. „So bald sich der Nebel verzieht, gehen wir nochmals rein in
das Tor des Todes“, schwörte Panyma, „und dann, dann werden wir
nicht mehr rausgehen ohne Emilia. Dann kämpfen wir, bis wir Emilia
finden und bei uns haben, oder bis wir tot sind.“. Iakuane verzog ihren
Mund und nickte. Sie lehnte ihren Kopf an Panymas Arm und liess ihre
Tränen aus den Augen fliessen.

Ein leichter Wind kam auf und allmählich verzog sich der dichte Nebel.
Doch Panyma und Iakunae konnten um sich spähen solange wie sie
wollten, das Tor des Todes konnten sie nirgends mehr sehen. Doch
dann plötzlich, nicht weit von ihnen entfernt, erschien langsam eine
menschliche Gestalt im Nebel, ein Wesen das am Boden kniete. „Das
ist doch, das ist doch....“, stammelte Iakunae. Dann brachte sie kein
Wort mehr hervor. Emilia kniete dort vor ihr, da, wo zuvor das Tor
des Todes stand, von dem nun nichts mehr zu sehen war. „Hallo ihr
zwei“, grüsste Emilia und grinste, „seid ihr auch hier unten?“. Iakunae
und Panyma blickten sich gegenseiteig verdutzt an und lächelten.
Emilia hielt eine Sonne aus Silberblech auf ihren Knieen, eine Sonne so
gross, dass Emilia diese gerade noch in ihren Armen tragen konnte.
„Emilia, Emilia“, feute sich Iakunae und rannte hin zu Emilia, „du, meine
liebste Freundin. Wo warst du denn die ganze Zeit“. „Die ganze Zeit?“,
wunderte sich Emilia, „ich bin doch nur ausgerutscht und wie ich mich
im Lehm festgehalten habe, erfasste ich in meinen Händen diese
Sonne aus Silber. Dann wurds ganz hell und ich kniete mich nieder, da
wo ich jetzt noch bin, grad soeben“.

Plötzlich stand ein Mann stand neben den drei Zauberinnen. Es war der
alte Schamane. Er lächelte fröhlich, faltet seine Hände und sprach:
„Du hast den magischen Spiegel, Emilia. Du hast ihn in deinen Händen“.
Der alte Schamane kauerte sich nieder neben Emilia und hielt seine
Hände über den Spiegeln. „Brooonnngg“, dröhnte die silberne Sonne in
tiefen Tönen. Der alte Schamane nickte. „Der Spiegel, Emilia, er
gehört nun dir“, fuhr er fort, „er wurde dir geschenkt im Tor des
Todes. Nur du wirst den hohen Zaubern, den richtigen Zauber, den wir
brauchen, vollbringen können“. „Nur ich?“, wunderte sich Emilia, „aber
ich bin doch noch eine Zauberschülerin, sozusagen ohne Erfahrung“.
„Mach dir keine Sorgen, Emilia“, erklärte der alte Schamane weiter,
„Panyma und Iakunae werden dich beim Zaubern mit dem magischen
Spiegel tatkräftig unterstützen und dir helfen, so der Geist des
Urwaldes es zulässt, zum entscheidenen Zauber hin zu gelangen. Zu
gegebener Zeit wird der Spiegel den Weg hierhin, zum Tor des Todes,
zurückfinden“. Der alte Schamane stand auf. Ein blauer heller Schein
leuchtete auf seiner Haut. Er stieg ein in seine Lichtkugel, die immer
kleiner wurde und mit samt dem alten Schamanen verschwand.

Voll Freude hielt Emilia den magischen Spiegel in ihren Händen und
drei Frauen waren überglücklich, dass sie sich wieder gefunden hatten.
„Lasst uns ein Lied singen“, schlug Panyma vor, wie sich die drei auf
den schönen Heimweg begaben.
Kapitel 8 Avara

Thiago hatte sich von seiner Mutter ein altes Serviertablett


ausgeliehen. Dies war zum Spielen sein magischer Zauberspiegel.
„Hokus bokus, simsala simsala“, beschwörte der kleine Zauberer
Thiago mit hoher Stimme seinen Zauberspiegel. Thiago stand am Rand
der Veranda, von wo ein hoher Tritt hinunter auf den Erdboden
führte. So stolzierte der Junge: „Thiago Zaubelel. Zaubeln Donnel,
zaubeln Blitz“.

Juanita sass daneben und liess gemütlich ihre Beine über den Rand der
Veranda hinunterbaumeln. „Na du grosser Zauberer?, sprach sie zu
Thiago und steckte ihm eine spitze Papiertüte auf den Kopf, „schau,
hier habe ich noch einen spitzen Zaubererhut gebastelt, für mein
zauberhaftes kleines Brüderchen“. „Oh, danke, danke“, freute sich der
kleine Junge. Darauf schaute Juanita bittend zu ihrem Bruder.
„Thiago, Grosser Zauberer, kannst mir dafür was vorzaubern?“,
wünschte sie sich.

Das braucht sie keine zwei mal zu sagen. „Hocus Bocus, Bummm
Bummm“, kreischte der kleine Bub und spielte den Zauberdonner
gleich selber mit. Juanita aber griff in ihre Rocktasche und zog einen
kleinen Kieselstein hervor. Diesen spickte sie zwischen ihren Fingern
an die schwere Holztüre, wo er laut aufknallte. „Oh donnel donnel“,
staunte Thiago, der glaubt er habe diesen Donner hingezaubert.
„Thiago donnel zaubeln“, sagt er nochmals und drehte sich zur Tür.
Nun griff Junita schnell ein zweites mal in ihre Rocktasche, holte eine
Hand voll Honigbonbons hervor und legte diese auf Thiagos Zauber
Serviertablett.

Thiago staunte nicht schlecht, wie er sich wieder zu seinem


Zauberspiegel hindrehte. „Oh, oh“, staunte er, „Honig slecki, Zauber
slecki. Thiago slecki zaubelt“. „Was?“, staunte Juanita, „zu kannst
Bonbons zaubern? Boah, du bist mir ein guter Zauberer“. „Tja, tja“,
stolzierte der kleine Bube, „Honig slecki zaubelt. Juanita auch slecki“.
Thiago nahm ein Bonbon und drückte es seiner Schwester in die Hand.

Emilia sass neben ihren Kindern. „Ja, ja“, begann sie zu erzählen ,
„zaubern ist leider nicht immer so einfach. Wir hatten damals unsere
liebe Mühe, mit dem magischen Spiegel etwas zu zaubern. Wir haben
es auf die unterschiedlichsten Weisen vergeblich versucht“. Emilia
ergriff das alte Pergament, suchte eine Weile drauf und sprach
„Schaut her Kinder, hier hab ich was darüber geschrieben“.

Emilia sass in der Materialhütte neben Panyma und sah gar nicht
zufrieden aus. „Mist, jetzt versuchen wir es bestimmt schon zum
zwanzigsten mal“, seufzte sie, „bisher gar nichts. Woran kann das
liegen Panyma?“. Panyma sass daneben und zuckt die Achseln. „Tja
Emilia“, antwortete sie, „das habe ich mir zuvor auch einfacher
vorgestellt. Hie und da braucht Zaubern Geduld und viel mehr
schöpferische Einfälle wie wir es bis jetzt hatten“. „Es ist zum
Heulen“, jammerte Emilia weiter,“heute früh gingen wir violette
Zauberkräuter sammeln. Dann als wir es versuchten – nichts. Wieder
zogen wir los, diesmal gelbe Kräuter – wieder nichts, dann grüne, das
nächste mal holten wir rote, als nächstes suchten wir weisse, nichts,
nichts und wieder nichts. Den ganzen Tag gingen wir noch und noch
Kräuter sammeln und versuchten einen Zauber nach dem andern – ohne
Erfolg“. Iakunae hockte gelangweilt daneben und gähnte laut. „Ja und
ich musste jedesmal mitkommen“, stänkerte Iakunae zu ihrer
Freundin. „Mmh. Hör mal auf zu motzen. Das geht uns allen so“,
knurrte Emilia zu Iakuane bevor sie sich weiter an Panyma wandte,
„Ich frage mich wieso? Bis jetzt hat der magische Spiegel bloss
zwischendurch mal etwas geleuchtet. Oder einen dumpfen Ton von sich
gegeben, mehr nicht. Und dabei sollte er uns doch helfen die böse
Ipupiara zu besiegen. Was sollen wir noch versuchen?“.

Iakunae schaute den beiden zu. Schon eine Weile sagte sie kein Wort
mehr. Ihr dauerte das ganze schon viel zu lange. In ihrer eigenen Art
kniete sie am Boden und hielt sich auf den Händen gestützt. Die Füsse
hebte sie hinten hoch, dann hob sie die Arme nach oben und versuchte
so auf den Knieen zu balancieren. Dazu war ihr noch ein Reim
eingefallen. „Nitt verstehn, nitt gehn, nitt verstehn, nitt gehn“, sang
sie leise. Das machte Emilia erst recht gereizt. „Und du bist uns auch
nicht gerade eine grosse Hilfe, Iakunae“, beklagte sich Emilia, die sich
über die sorglose Art ihrer Freundin nicht gerade freute. „Tä, tä, tä,
tä, tä“, anwortete Iakunae und pustete etwas Luft durch ihre
zusammengepressten Lippen. Emilia verzog ärgerlich eine schräge
Grimasse zu Iakunae doch Panyma lächelte nur freundlich zu ihrer
jüngsten Zauberschülerin: „Ja unsere Iakunae, unser Lausemädchen,
ich glaube für dich wärs Zeit, draussen etwas herumzurennen. Was
meint ihr? Sollen wir eine Pause machen, meine zwei Lieben?“. Emilia
seuftzte und sagte kein Wort.

Doch Iakunae wollte nichts von einer Pause wissen. „Na gut, dann werd
ich den Zauber mal versuchen“, antwortete sie keck, „und zwar ganz
anders wie ihr. Eure Kräuter könnt ihr mal wieder einstecken. Ich hole
jetzt unsere böse Ritualmaske, zieh die über, stelle mir vor, was zu
geschehen hat und dann soll dieser magische Spiegel das gefälligst
tun. Jetzt werde ich dem magischen Spiegel mal den leibhaftigen
Teufel vorspielen wie damals dem Paygi, damit er so richtig Angst
bekommt. Dann wird er alles machen was wir wollen“. Emilia fand
keinen Gefallen an Iakunaes Vorhaben und verlor langsam die letzte
Geduld mit ihrer Freundin. „Ach, du gehst mir wirklich langsam auf den
Kecks“, stöhnte sie, „hör doch endlich auf so blödsinn zu verzapfen“.
Doch Iakunae kicherte nur. „Lass sie doch“, beruhigte Panyma Emilia,
„soll sie es doch versuchen, dann haben wir wenigstens unsere Ruhe....“.
Panyma drehte sich zur Seite. griff in ihre Tasche und sprach leise zu
Emilia. „Da hab ich noch was Junipappceywa Frucht. Die rösten wir
jetzt auf dem Feuer. Das sollte doch möglich sein .... “. „Tä dä dä dä“,
antwortete Iakunae leise, da sie sich nun von ihren Freundinnen doch
etwas ignoriert fühlte. Sie stand auf und lief in die vordere Ecke der
Materialhütte.

Es dauert nur wenige Minuten und Iakunae stand mit Avanenes


Federschmuck, Ritualmaske und einer Baumwollhängematte verkleidet
da. Panyma und Emilia mussten ihr Lachen verklemmen, so drollig
schaute Iakunae drein. „Graahh, Graaahhh“, schrie Iakunae und tanzte
um den magischen Spiegel. Emilia lachte ob dem lustigen Schauspiel,
doch Iakunae fuhr ihren Tanz fort und schrie immer zu: „Graaaah,
graaah, hummba, bummba, graahhh“. Schliesslich nahm sie zwei
Speere, in jede Hand einen und fuchtelte auf den magischen Spiegel
los. Nun geschah, was keine der drei Zauberinnen je erwartet hätte.,
Genau in dem Moment begann der Spiegel zu leuchten, scheppern und
zittern. „Hilfe“, flehte Emilia und hielt sich an Panymas Arm fest.
„Bannnggg“, donnerte und krachte der magische Spiegel und liess eine
Lichtsäule hochsteigen. „Graaah , hummba, bummba“, schrie Iakunae
nochmals so laut sie konnte. Und nun bewegte sich etwas im magischen
Spiegel. Eine dicke Schnauze hob sich im dem grellen Licht empor,
„Pfuuuuu“, schnaubte ein riesen Untier duch zwei mächtige
Nasenlöcher und schon guckte der Kopf eines Dinosauriers auf einem
langen Hals aus dem magischen Spiegel hervor. „Uuukz, uuuukz“, schrie
der Dinosaurier. „Ein Urtier, ein Urtier“, erschrak Emilia und kroch
noch näher zu Panyma. „Uuuk, uuuuk“, stöhnte der Dinosaurier und
guckte mit seinen grünen Augen verdattert um sich, wo er sich wohl
befinden möge. Neugierig beschnupperte der Dinosaurier Iakunae und
schleckte an ihrem Bauch. „Wäääh“, erschrak Iakunae. Der
Dinosaurier aber verzog seinen Mund und gab nur ein „Blll Blll“, von
sich und wandte sich schliesslich dem Stohdach zu. „Auu, Auu“,
stöhnte er freudig und begann am Dach zu fressen. „Namm, namm,
namm, namm“, schmatzte er laute Töne. Doch einen Augenblick später
riss er seine grossen grünen Augen auf. „Gllll, Gllll“, verzog er ein
schräges Gesicht und spuckte den Stroh aus seinem Mund in der
ganzen Materialhütte herum. „bllll, bllll“, krächzte der Dinosaurier und
schon war er wieder durch den magischen Spiegel zurück
verschwunden.

Mit weit aufgerissenem Mund schaute Emilia erschrocken zu Iakunae,


die laut grinste unter ihrer Maske. Panyma staunte. „Du hast es
erlickt“, sprach sie zu ihrer jüngsten Zauberschülerin, „genau so
müssen wir es machen. Wenn du es wagst, so versuchs nochmal
Iakunae, grad jetzt“. „Ja, ja, das kann ich schon“, antwortete Iakunae
begeistert. „Dann leg mal los“, forderte Panyma auf, „doch stell dir
diesmal ein menschliches Wesen vor, nicht so ein Urtier wie vorhin“.

Eine Weile studiert Iakunae und stand unter ihrer Maske da, ohne
sich zu bewegen. Panyma und Emila warteten, doch bei Iakunae unter
der Maske geschah nichts. Iakunae atmete schwer ein und stösste
pustend Luft aus. „Was ist denn los mit dir?“, fragte Panyma
schliesslich, „hast du ein Problem, Iakuane?“. Iakunae stöhnte. „Ein
menschliches Wesen?“, fragte sie schliesslich, „meinst du ein Mann
oder eine Frau?“. Emilia und Panyma grinsten. „Spielt keine grosse
Rolle“, antwortete Panyma mit einem Lächeln, „aber sagen wir mal, stell
dir einen Mann vor. Das ist glaub einfacher“. So fing Iakunae erneut an
um den magischen Spiegel zu tanzen. „Graaaah, graaaah, humba,
bumba, graaah, graaaah“, sang sie dazu. Emilia und Panyma sangen leise
mit. Panyma nahm ein Tammaraka in ihre Hände und rasselte im
Rhythmus des Gesanges. Von weit her hörten die drei Frauen draussen
die Indianer trommeln und ihr Gesang passte bestens, um ihn mit dem
Ipuvae Maracatu der Indianer im Rythmus mitzusingen.

Die drei brauchten nicht lange zu warten und der magische Spiegel
schepperte von neuem. Er glänzte und eine Lichtsäule tauchte in ihm
auf in der langsam die Umrisse eines Mannes erschienen. In gebückter
Haltung stand der Mann nackt da und hielt eine hölzerne Keule in
seiner Hand. Der Mann war splitternackt doch von seiner Haut war nur
im Gesicht ganz wenig zu erkennen. Am ganzen Körper wuchs ihm ein
dichtes Fell aus langen zottigen Haaren. „uuuö uuuöö“, grunzte der
Mann zum Grusse und schaute sich um. „was hast du denn jetzt wieder
hergezaubert?“, entsetzte sich Emilia. „Oohhh“, riss der fremde Mann
Augen und Mund auf, wie er Emilia, das junge Mädchen neben sich
entdeckte. „uhh uhh uhhh“, schrie er freudig und rannte auf Emilia los.
Wie der Blitz stand Emilia auf und sprang aus der Hütte hinaus. In
schwerem Schritt stampfte der fremde hinterher.
Draussen brach ein lautes Gekreische unter den Frauen los. Iakuane
und Panyma standen auf und rannten eilends nach draussen. Zu ihrem
Schrecken sahen sie den wilden Mann hinter den Frauen herspringen.
Seinen Mund hielt er zugespitzt, wie wenn er die Frauen küssen wollte.
„Aahhh Aaahh Ahh“, schrie er den Frauen hinterher. „Wart nur du
Lustmolch“, drohte Iakunae, die immer noch unter ihrer Maske
steckte, „von mir kannst du was erleben, jetzt gibt eine geklebt“.
Iakuane ergriff, was ihr gerade am nächsten war und sich als
Schlagstock eignete, und das war zufällig ein grilliertes Leopardenbein
aus der Feuerstelle. So rannte sie dem Mann hinterher. Der Urweltler
hatte inzwischen eine Frau an der Hand gefangen und wollte sie
gerade abküssen. „Wart nur du Strolch“, schrie Iakunae so laut sie
kann, „jetzt kriegst du eins aufs Dach“.

Wie aber der wilde Mann das grillierte Leopardenbein sah,


interessierte ihn das feine Essen viel mehr wie die Frau. „niamm,
niamm, niamm“, schleckte er sich die Lippen und liess die Indianerin in
seiner Hand los. Grunzend schritt er auf Iakunae los. Dazu streckte er
gierig die Zunge raus, denn er wollte von der Köstlichkeit in Iakuanes
Arm was abschlecken. Iakaunae aber rannte zurück in die
Materialhütte, gefolgt vom fremden Mann und dahinter von Panyma
und Emilia. „Komm komm“, lockte Iakunae den wilden Kerl, „fein, fein,
fressi fressi“. „Ohh Oohhh Oohh“, staunte der fremde und folgte, von
der feinen Grillade hypnotisiert, Iakunae in die Materialhütte zurück.
Iakuane hielt das Leopardenbein über den magischen Spiegel und der
fremde Mann folgte ohne zu ahnen, dass im magischen Spiegel eine
Falle auf ihn wartete. „Plumps“, tönte es und der fremde Mann war in
den silbernen Spiegel verschwunden. Bloss noch eine Hand schaute
oben hinaus. „Hier. das kannst du mitnehmen“, lachte Iakunae und
drückte das Leopardenbein in die Hand die noch oben aus dem Spiegel
rausschaute. „Mapff, mapff“, schmatzte und fletschte der wilde Mann
noch kurze Zeit aus der Tiefe des magischen Spiegels, bevor der
ganze Zauber im nichts verschwand.

„Wir wissen jetzt wie der Zauber geht“, freute sich Panyma, „du
kannst es schon ganz gut, Iakunae. Aber Hilfe können wir von diesen
Wesen der Vergangenheit keine erwarten. Nein, da müssen wir uns was
anderes einfallen lassen“. Iakunae hatte sichtlich Freude ob ihrem
Erfolg und lächelte bis hinter die Ohren. „Soll ich versuchen, einen
Drachen aus der Urzeit herzuzaubern?“, fragte sie, „der ist vielleicht
stärker wie Ipupiara“. „Nein, nein, von Urtieren und Urmenschen haben
wir jetzt genug gesehen“, winkte Panyma mit einem Lächeln ab, „die
können ja nicht verstehen um was es hier geht. Nein wir müssen uns
etwas besseres einfallen lassen“. Emilia rümpfte die Nase und
überlegte einen Moment. „Die Menschen auf der anderen Seite des
Grossen Wassers haben viel bessere Waffen wie die Indianer“, gab sie
zu verstehen, „da könnten wir doch eine ganze Rittertruppe herholen“.
„Glaube ich nicht das das ausreicht um Ipupiara zu besiegen“, gab
Panyma zu bedenken, „du darfst nicht vergessen, sie ist eine Dämonin
und mit den Kräften der Unterwelt ausgestattet. Dagegen sind
Waffen aus Eisen machtlos, wenn nicht der nötige Zauber mitspielt“.

„Nein, nein, meine zwei Lieben“, seuftzte Panyma nach einer Weile,
„ich glaube wir brauchen die Hilfe der drei weisen Wahrsagerinnen,
die ich kenne. Mit ihrer Hilfe können wir am besten erfahren, wen wir
mit dem magischen Spiegel um Hilfe bitten sollen. Die drei wohnen
zurückgezogen im Urwald, ganz hier in der Nähe. Ich werde heute
noch losziehen, sie zu holen“. „Sollen wir mitkommen?“, fragten die
zwei Mädchen. „Bleibt hier“, bat Panyma, „jemand sollte den magischen
Spiegel bewachen. Schaut, dass dem Spiegel nichts geschieht“.
Iakunae machte ein langes Gesicht. „Meinst du dass jemand den
Spiegel stehlen könnte?“, wundert sie sich. „Nein, das glaube ich
nicht“, antwortete Panyma, „Indianer stehlen nichts, aber sie sind
neugierig. Und Neugierde könnte unseren Zauber stören. Wenn ihr
Hilfe braucht, so wendet euch an Häuptling Avanene. Er weiss
bescheid. Ich werde morgen Nachmittag zurück sein“. Panyma stand
auf, verabschiedete sich und verliess die Materialhütte.

Am Nachmittag spielten Emilia und Iakunae mit den Indianerkindern


auf dem Dorfplatz. Heute spielten sie - wie könnte es an diesem Tag
anders sein - böser Urmensch und Indianerfrauen. Ojang Utan, der
sich am ganzen Körper mit schwarzer Asche eingeschmiert hatte,
durfte der böse Urmensch sein und die Mädchen spielten
Indianerfrauen. „Wollen küssen, küssen“, schrie der kleine Ojang Utan
und sprang den aufgeschreckten Mädchen hinterher. Doch nun
machten sich die Jungen auf, den bösen Mann zu fangen. „Hilpe, hilpe,
Iakunae, hilpe“, rief er seine grosse Schwester um Hilfe. Doch
Iakunae winkte nur fröhlich. „Du musst dir schon selber zu helfen
wissen, böser Urmensch“, neckte Iakunae ihren kleinen Bruder.
Wissen, wie sich selber zu helfen, das war natürlich für Ojang Utan
das kleinere Problem. Schnell rannte er in die Materialhütte, nahm die
schreckliche Ritualmaske zur Hand und zog sie sich über. So trat er
als Schreckgespenst ins Spiel zurück. Wackelig stand er da mit der
Maske, die grösser war wie er selbst, doch die Wirkung liess nicht auf
sich warten. „Hilfe rettet euch, der böse Teufel überfällt uns“,
schrieen die Kinder und flohen in alle Richtungen davon. Doch sie
kamen zurück, mit Tonkrügen bewaffnet, die bis zuoberst mit kaltem
Wasser gefüllt waren. „Zeigt es dem Jngange, dem Teufel“, kreischten
die Kinder und spritzten drauf los. So endete das Spiel in einer
fröhlichen Wasserschlacht.

Beim Spielen ging die Zeit schnell vorbei. Schon bald gab es
Abendessen und nach Einbruch der Dunkelheit legten sich die Indianer
zeitig schlafen. Seit sie Zauberschülerinnen waren, schliefen Emilia
und Iakunae in der Materialhütte. Diese Nacht das erste mal ohne
Panyma. Doch die Mädchen kannten den Platz inzwischen und wurden
gut bewacht. Neben Emilias Hängematte hatte es sich Nico der Hund
in einem Nest aus Stroh bequem gemacht. Er war ein guter Wachhund.
Sollte sich ein Fremder der Materialhütte nähern, würde er sofort
laut bellen und Alarm schlagen. Filippo der Kater schlief gleich
daneben, bereit, Nico bei jeder Gefahr kräftig zu unterstützen. Oben
auf dem Balken sass Abare und döste vor sich hin. Hie und da öffnete
er die Augen und schaute um sich um zu sehen, ob in der
Materialhütte auch alles in Ordnung war. Abare war ein Papageienvogel
und hatte selbst in der dunklen Nacht gute Augen. Und wenn es den
Mädchen einmal etwas langweilig war, dann warf bestimmt Otsaro
früher oder später eine Ladung Stroh vom Dach hinunter. Hinter der
Materialhütte lag Emilias Stute Rosabranca unter einem Strohdach im
Heu. Manchmal wieherte sie und dann spürt Emilia im Schlaf, dass ihre
Pferdefreundin ganz in der Nähe war. Jede Stunde kam einer der
Indianer, die draussen auf dem Dorfplatz Nachtwache hielten in die
Materialhütte und legte den Mädchen neues Holz aufs Feuer, sodass
die rote Glut die ganze Nacht ein heimeliges Licht spendete.

So hatten sich die zwei Mädchen schlafen gelegt und genossen die
ruhige Stimmung vor dem Einschlafen. „Ach dieser Ojang Utan“,
reklamierte Emilia, „konnte wieder einmal die Maske nicht richtig
aufhängen. Jetzt schaut sie mich so böse an im Licht des Feuers“.
„Mh, was solls?“, brummelte Iakunae im Halbschlaf, „ist ja nur aus
Holz das olle Ding“. „Trotzdem, mich störts“, meinte Emilia etwas
später, „gehst du sie für mich anders aufhängen?“. Doch Iakunae war
nach dem strengen Tag bereits eingeschlafen und schnarchte bereits
in ihrer Hängematte. So stand Emilia selber auf. „Komm mit Nico“, bat
Emilia ihren Hund, „mit dir zusammen habe ich keine Angst“. „Wuff,
wuff“, und schon war der kleine Helfer treu zur Stelle. „miau, miau“,
folgte auch Filippo den zweien und Abare guckte hinterher. „chrahhh,
chrahhh“, krächzte er leise vor sich hin. Zurück in ihrer Hängematte
liess sich Emilia ins weiche Baumwolltuch fallen. „Ah so gefällt es mir
schon viel besser“, sprach sie leise vor sich hin und schloss ihre Augen.

7-1

So verging die Nacht ohne besondere Ereignisse, zumal die jungen


Indianermänner, die an diesem Abend Nachtwache hielten, auf die
zwei Mädchen ganz besonders acht gaben. Den Wächtern gefiel ihre
Arbeit. Sie waren in der Nacht selten alleine. Immer wieder standen
einige Indianer auf, wenn sie nicht mehr schlafen konten. Dann gingen
sie auf dem Dorfplatz vors Feuer, unterhielten sich mit den Wachen
und bestaunten den wunderschönen Nachthimmel, an dem tausende
funkelnder Sterne einen zauberhaften Schleier übers Indianerland
legten. Hie und da wandelte des Nachts Paygi um seinen Altartisch
herum und brummte eine Priesterformel vor sich her. Dabei konnte er
es nicht lassen, neugierige Blicke in alle Hütten zu werfen. Doch Nico
knurrt jedesmal zuverlässig, wenn Paygi sich der Materialhütte
näherte.

Mit den ersten Sonnenstrahlen, die den tauig feuchten Dorfplatz in


Uwattibi erwärmten und eine gespenstische Dampfwolke aufsteigen
liessen, wurden Emilia und Iakunae von nahenden Schritten geweckt.
Es war Panyma, die mit den drei weisen Frauen ins Dorf zurückgekehrt
war. „Hallo ihr zwei Zauberinnen“, grüsste sie die Mädchen, „habt ihr
gut geschlafen?“. „Ja“, antwortete Emilia, „es war eine ruhige Nacht.
Es waren die ganze Zeit einige Indianer auf dem Dorfplatz. Nur Paygi
hat ein paar mal neugierig reingeschaut. Aber Nico hat immer sofort
gebellt und vor Nico hat Paygi dicke Angst“. „Ach ja der brave Hund“,
freute sich Panyma und streichelte Nico am Kopf, „mein lieber Nico,
hast du deine liebsten so gut bewacht“. Panyma gähnte und fuhr fort:
„Wir waren die ganze Nacht im Urwald unterwegs. Es war schön unter
dem Sternenhimmel zu wandeln und ich habe manch leuchtendes Kraut
gefunden, das nur in der Nacht zu finden ist. Aber nun sind wir
todmüde. Wir werden uns zur Ruhe legen. Ihr könnt ja dann schon mal
trockenes Holz sammeln gehen, wenn ihr wollt, denn wir brauchen eine
grosse Menge für unseren Zauber“.

Bis zum späten Nachmittag hatten sich die Frauen bestens ausgeruht.
Die Mädchen hatten viel Holz gesammelt und die Kräuter in der
Materialhütte bereitgelegt. So konnte der Zauber zeitig beginnen.
Panyma sass zuoberst am Feuer. Rechts neben ihr sassen Emilia und
Iakunae um den magischen Spiegel. Iakunae hielt die Ritualmaske in
ihren Händen, bereit, sie anzuziehen wenn nötig, während Emilia tief in
den magischen Spiegel hineinschaute. Zu Panymas linker Seite knieten
die drei weisen Frauen am Boden. „Hey ho ho, hey ho ho“, sang Panyma,
legte trockenes Holz auf die Glut und wühlte mit einem Stecken im
Feuer herum.

Die rote Glut des Feuers liess die Gesichter der drei weisen Frauen
noch dunkler erscheinen wie sie sonst schon waren. Die drei trugen
schwarze Federn im Haar und lange Gürtel aus dunkelbraunem Leder
um Hüfte und Schultern. Vereinzelt hatten sie in ihren Haaren dünne
Bänder aus farbigen Baumwollfäden eingeknüpft. Die drei waren von
kräftiger Statur, schlanke, hohe Frauen. „Lasst uns anfangen“, meinte
eine von ihnen und erhob sich.

Panyma nahm ein Tammaraka in ihre Hände und rasselte langsam. Dazu
sprach sie: „Geister des Tages und Geister der Nacht. Geister der
Lebenden und Geister der Toten. Kommt hervor. Kommt hervor im
magischen Spiegel, den die Indianer zum ersten mal in ihrer
Geschichte aus dem Tor des Todes holen konnten. Geister des Tages
und Geister der Nacht. Geister der Lebenden, Geister der Toten“. Die
drei Frauen standen auf zum Tanz. In ihren Händen hielten sie
Musikinstrumente und spielten zum Rhythmus, den Panyma anschlug.
Eine der Frauen spielte auf einer schamanischen Rahmentrommel, die
nächste auf einer einsaitigen Urwaldgeige und die letzte spielte eine
liebliche Melodie auf einer Bambusflöte. So tanzten sie ums Feuer auf
das Panyma die ersten wohlduftenden Kräuter legte. Emilia und
Iakunae ergriffen ihre Schlaghölzer und spielten mit.

Eine Weile schaute Iakunae dem Tanze zu. Dann hielt sie es nicht
mehr aus im Sitzen. Sie stand auf, zog ihre Ritualmaske und ihren
Federschmuck über und tanzte mit. Panyma gab ihr mit einem Wink zu
verstehen, dass sie dies ruhig tun soll. Emilia sass konzentriert neben
Panyma hinter ihrem magischen Spiegel, denn sie wusste, dass ihr
Mitwirken bei dieser Zaubersitzung von entscheidender Bedeutung
sein würde. Lange tanzten die drei weisen Frauen im Kreis. Panyma
legte noch und noch Kräuter aufs glühende Feuer und begann mit ihren
Fingern farbige Leuchtstreifen und wunderbare Musiktöne aus den
Flammen hervor zu zaubern, bunte Leuchtstreifen, die bis zum Dach
der Materialhütte hinauf reichten.

Dann plötzlich. „Hey a ga ya hiiiiii“, schrieen die drei Frauen wild


durcheinander. Sie wurden kreidenbleich, blass und wächsern in ihren
Gesichtern. Zwei von ihnen fielen in Ohnmacht und blieben reglos am
Boden liegen. Die dritte aber kniete zwisch den beiden andern und
hielt ihre Hände vors Gesicht. „Ava Ara Pepe – Ava Ara Pepe“, rief
eine langsame, tiefe Stimme in ihr, „Ava Ara Pepe - Mann, Zukunft,
himmelweit weg“. Wie die Frau ihre Hände vom Gesicht wegnahm,
funkten weisse Strahlen aus ihrem Kopf bis hin zu den Fingerspitzen
und zwischen den Fingern beider Hände entstand eine Kugel aus Licht.
„Ava Ara Pepe, Avara, Avara“, saget die tiefe Stimme in der Frau und
in der leuchtenden Kugel erschien ein Gesicht, das Gesicht eines
Fremden. Das Gesicht bewegte sich langsam, schloss die Augen und
öffnet sie wieder. Feine Bewegungen zeichneten sich um den Mund des
Gesichtes ab.
„Merk dir dieses Gesicht genau“, sprach Panyma in ruhigem Ton zu
Emilia, „merk dir die Gesichtszüge, den Ausdruck, die Seele, die hinter
diesem Gesicht steckt. Avara, er ist der Mann der in weiter Zukunft
lebt und den wir um Hilfe bitten werden. Er ist von der Weissagung
erwählt mit uns in Kontakt zu treten“. Gebannt blickte Emilia in das
Gesicht in der Leuchtkugel. Es kam ihr vor, als hätte sie dieses
Gesicht schon immer gekannt. „Ahhhh“, schrie die dritte Frau
schmerzlich. Darauf fiel auch sie sie um und blieb ohnmächtig liegen.
Besorgt blickten Emilia und Iakunae auf die drei Frauen, doch Panyma
winkte ab. „Sie werden sich schnell erholen und wieder aufstehen“,
beruhigte Panyma ihre zwei Schülerinnen, „doch jetzt lasst uns
weiterzaubern, solange noch ein Hauch von Avaras Seele bei uns im
Raum ist“.

Erneut legte Panyma einige Kräuter auf die Glut. Darauf breitete sie
ihre Arme aus, „Hey ho hey ho“, sang sie langsam. Noch während sie
sang sprach sie gleichzeitig mit Emilia. „Emilia, schau dich um im Raum.
Siehst du die vielen schwarzen Flecken die im Raum schweben. Sie
geben Schwingungen von sich, wie die Felle von Trommeln. Es sind
diese Schwingungen, die Schwingungen des Geistes, die uns mit Avara
verbinden“. Emilia hob ihren Kopf. „Ja, ich seh sie vor mir“, gab sie zur
Antwort. „Der entscheidende Zauber aber“, erklärte Panyma weiter,
„der Zauber, der es unser ermöglicht mit dem Wesen der Zukunft in
Verbindung zu treten, geschieht im Magischen Spiegel. Schau jetzt
auf ihn Emilia und stell dir Avaras Gesicht und Avaras Wesen vor“.
Darauf gab Panyma Iakunae das Zeichen anzufangen. „Graaah, graahh,
humba bumba, grahh, graaaah“, sang und tanzte Iakunae um den
Spiegel, wie sie es am Tag zuvor schon getan hatte. Wieder hielt sie
zwei Speere in ihrer Hand.

„Psst, ruhig“, zischte Panyma aus ihrem Mund, „psst, es tut sich was“.
Muxmäuschenstill knieten Emilia, Panyma und Iakuane vor dem Spiegel.
Die drei weisen Frauen, die sich von ihrer Wahrsagungstortur erholt
hatten, standen schweigend daneben und schauten zu. „Ich hör was“,
flüsterte Emilia und hielt ihren Kopf näher an den magischen Spiegel,
„es klirrt und knistert ... aber ich glaube da drin spricht wer“. Panyma
schaute sich mit ernster Mine um. „Verflixt, wo hab ichs nur?“,
flüsterte sie kaum hörbar vor sich her. Emilia hielt ihr Ohr an den
magischen Spiegel. „Ich hör so was wie ‚köi köikö’ oder so“, staunte
Emilia, „mehr kann ich nicht verstehen“. „köi köikö“, grinste Iakune,
„die haben aber eine lustige Sprache in der Zukunft, köi köikö, hi hi“.

Eine Zeit lang grabschte Panyma in ihren Lederbeuteln herum. „Ah, da


ist es ja“, freute sie sich, „ich habs gefunden. Scharfes
Zauberpfefferkraut. Das wird den Empfang schärfer machen“.
Zauberpfefferkraut ist das leichteste Zauberkraut das es überhaupt
gibt. Weil es nicht schwerer ist wie die Luft selbst, darum schwebt es
schwerelos im Raum. Wie Panyma das Zauberpfefferkraut in der Luft
über die Glut schob, wurde das Kraut zu glitzrigem Staub erhitzt und
im ganzen Raum verteilt. „Jetzt versteh ich mehr“, freute sich Emilia.

Eine Männerstimme sprach aus dem magischen Spiegel. „Was ist denn
mit dem Bildschirm los? Gopferteli “, stöhnte die Stimme, „ Dieser
graue Fleck da, mist. Ist der Bildschirm schon wieder kapput?“.
Panyma verzog ein langes Gesicht. „Wovon redet er denn?“, wandte sie
sich an Emilia, „Emilia du kennst die Welt auf der anderen Seite des
Grossen Wassers. Weißt du was das ist, ein Bildschirm?“. „Mh“,
knurrte Emilia, „ein Schirm, ein Schirm, das weiss ich was es ist. Die
noblen Damen am Hof des Königs in Porto haben sowas. Das ist sowas
wie ein Spazierstock und daran ist ein Tuch befestigt, das an eisernen
Stäbchen aufgespannt wird. Dann schützt das gespannte Tuch das ♫
feine Häutchen der noblen Damen vor der Sonne oder auch ♫ vor dem
schlimmen bösen Regen. Vermutlich hat Avara so ein Schirm, auf den
ein Bild draufgemalt ist“. Panyma schüttelte den Kopf. Sie verstand
nicht so recht, was Emilia erklären wollte. Iakune verzog ein schräges
Maul. „Scheint ein nobler Mann zu sein, unser Avara, ♫ ein feines
Pflänzchen“, wunderte sie sich, „ausgestattet wie die ♫
hochgepuderten Damen des Königs, mit Schirm und Bild drauf“. Emilia
grinste vergnügt zu ihrer Freundin.

„Hallo“, rief Emilia in den magischen Spiegeln hinein, „hallo, ist da


jemand?“. „Huhh, Hallo“, antwortete eine verdatterte Stimme zurück,
doch dann wurde der Empfang wieder schlechter, „krtschh,
hrrrsckkkskkk, scheisse, kom ... tssss pute ssschchschh, kom .. puter
prrrsch“. Dann rauschte es nur noch. „Komm Pute?“, fragte Iakunae,
„komm puter? Scheiss? was soll das?“. „Hm“, studierte Emilia, „pute.
Na ja. Das ist etwas feines. Gebratene Pute gabs bei uns früher immer
zu Weihnachten, zart braun knusprig und knackig. Hmmm, fein. Das ist
so ähnlich wie gebratenes Huhn. Vermutlich ist Avara Putenzüchter.
So Leute gibt’s in Porto viele. Die züchten Puten und dann verkaufen
sie diese auf dem Jahrmarkt“. „Mhhh“, schwärmte Iakunae, „mhhh,
gebratenes Putenhühnchen. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen“.
„Oh ja das tönt gut“, freute sich Panyma, „vielleicht kann er uns ja mal
so eine gebratene Pute durch den magischen Spiegel hindurchschicken,
hi, hi hi“.

In ihrem Eifer und in ihrer Freude bemerkten die Frauen nicht, dass
dunkle Schatten an der Eingangstüre der Materialhütte die Umrisse
eines Mannes abzeichneten. Es war Paygi der sich angeschlichen hatte
und das Geschehnis schon eine ganze Weile belauscht. „Mh, gebratene
Hühnchen“, kicherte Paygi auf seinen Stockzähnen, „das ist es also,
was sie mit ihrem geheimen Spiegel herzaubern können. Gebratene
Hühnchen, mhh, leck leck, feine Hühnchen. Hi hi hi, ich glaube der
Spiegel wäre woanders besser aufgehoben wie bie diesen drei Hexen.
Hi, hi hi.....“. Eilends schlich Paygi weiter, um auf keinen Fall entdeckt
zu werden.

„Jetzt hör ich wieder nichts mehr“, seufzte Emilia enttäuscht, „nichts
mehr ausser Rauschen“. „Ich hab nur noch ganz wenig
Zauberpfefferkraut“, antwortete Panyma, „es ist das allerletzte.
Versuche einen Gegenstand von ihm zu bekommen. Dann können wir
später wieder mit ihm in Kontakt treten. Sonst kann es sein, dass die
Spur für immer verloren ist“.

Nochmals wirbelte Panyma etwas Zauberpfefferkraut über die Glut


des Feuers. Augenblicklich konnte Emilia wieder etwas verstehen.
„Hallo hallo“, hörte sie eine Stimme durch den Spiegel sprechen, „hallo
hallo, ist da wirklich jemand in diesem grauen Fleck?“. „Ja“,
antwortete Emilia, „gib mir einen Gegenstand von dir, Dann komme ich
wieder, dann kann ich wieder mit dir sprechen. Sonst nie wieder.
Schnell der Zauber dauert nicht mehr lange. Schnell, Schnell, was du
gerade bei dir trägst. Gib es mir! Es geht um das Leben der Indianer,
Schnell, Schnell“. „Tschschs schll schll ssss“, kroste es aus dem
magischen Spiegel vor Emilia. „Verflixt und zugenäht“, ärgerte sich
Emilia, „aus, nichts mehr“. „Pssst“, gab ihr Panyma zu verstehen. Mit
ihrer Hand wirbelte sie einen letzten Hauch des
Zauberpfefferkrautes der in der Luft schwebte über die Glut. In
diesem Moment tauchte eine Holzkette aus dem Spiegel hinaus,
senkrecht nach oben fliegend.

„Hier“, sprach Avaras Stimme aus dem Spiegel, „eine Holzkette, die
ich immer um den Hals trage. Es ist eine Gebetskette aus Tibet“. Dann
brach die Verbindung ab. Es zischte kurz und der ganze Zauber war
verschwunden.

Panyma nahm die Holzkette und legte sie Emilia um den Hals. Sie
passte gut zum Amulett, das Emilia vom alten Schamanen geschenkt
bekam. „Eine Gebetskette“, staunte Iakunae, „ist die schön, ohhh“.
„Ja“, freute sich Panyma, „ eine schöne Kette. Und schaut mal die
farbigen Bänder daran. Die Holzkette wird es uns ermöglichen mit
Avara wieder in Kontakt zu treten“. „Meinst du dass wir das nochmals
können?“, wollte Iakunae wissen. Panyma nickte. „Es ist mir vieles
aufgefallen während dem Zaubern“, erklärte sie, „und ich habe
gesehen, was wir da noch alles verbessern können. Aber für heute
haben wir genug getan. Jetzt machen wir Schluss. Lasst uns morgen
Kräuter sammeln gehen und dann versuchen wir es wieder“.

Trotz dem schönen Erfolg waren das Holzsammeln und die Zauberei
für die Mädchen streng gewesen. Bis zum abend waren die zwei total
geschafft und gingen todmüde, aber zufrieden in ihren Hängematten
schlafen.

7-2

Seit den frühen Morgenstunden des nächsten Tages sassen Emilia und
Iakuane auf dem Dorfplatz und knöpften schwarze Vogelfedern an
Lederbänder und an bunte Baumwollschnüre. Der Haarschmuck der
drei weisen Frauen, die gestern zu Besuch waren, hatte es den zwei
Freundinnen vollends angetan und sie wollten sich selber einen solch
schönen Schmuck basteln. „Oh diese glitzernde schwarze Feder. Ist
die schön“, schwärmte Iakune, „die bind ich mir zuunterst in meinen
Haarband“. „und schau mal diese dunkelviolette Feder“, freute sich
Emilia, „die gibt Farbton in Farbton erst richtig Leben in meine
schwarzen Haare. Schön, nicht wahr“. Emilia stand auf und steckte
sich den halbfertigen Schmuck in ihre Haare. Sie stellte sich auf ihre
Zehenspitzen, hob ihre Arme empor und drehte sich dazu tanzend im
Kreis. „Jippii“, kreischte Emilia vor Freude, denn sie fühlte in ihrem
Herzen die Freiheit junger Indianermädchen.
„Na ihr zwei“, grüsste Panyma ihre Zauberschülerinnen, „ seid ihr von
Uebermut gepackt?“. Weder Emilia noch Iakunae liessen sich ablenken.
„Hallo Panyma“, grüssten sie und bastelten am Schmuck weiter. „Ich
geh schon mal Kräuter sammeln“, rief Panyma den zweien zu, “bleibt
ihr zwei hier und geniesst den schönen Morgen“. „Sollen wir nicht
mitkommen?“, fragte Emilia eilends, doch Panyma winkte ab. „Arme
Panyma“, meinte Iakunae, „musst du ganz alleine gehen nur will wir hier
so übermütig am Haarschmuck basteln sind“. „Nein, nein“, antwortete
Panyma, „bleibt hier. Ich freue mich, wieder einmal ganz alleine im
Urwald zu sein, wie schon so oft, und die Ruhe der Natur zu geniessen.
Bis zum Nachmittag werde ich zurück sein und dann geht unser Zauber
weiter“. Panyma lächelte, winkte mit einer Hand ihren
Zauberschülerinnen zu und verschwand in den Urwald hinaus. „Noch
diese eine Feder“, freute sich Iakunae, „dann bin ich fertig mit
meinem Haarschmuck“. Ein wenig später stolzierten Emilia und Iakunae
voll Freude mit ihrem neuen Haarschmuck Hand in Hand in
tänzerischem Schritt durchs Indianerdorf.

Am frühen Nachmittag kehrte Panyma zurück. In ihren Armen hielt sie


in ein Baumwolltuch eingewickelt einen grossen Bund mit Kräutern und
Pflanzen. Emilia und Iakunae warteten schon eine Weile gespannt auf
die Ankunft ihrer Zauberlehrerin, denn es drängte sie den
geheimnissvollen Zauber mit dem magischen Spiegel fortzuführen.
„Hallo ihr zwei. Wir brauchen noch mehr trockenes Holz“, sagte
Panyma zur Begrüssung, „geht doch in den Urwald hinaus und holt noch
welches. Ich werde inzwischen alles andere vorbereiten“.

Schon bald war das Holz gesammelt. Emilia und Iakunae trafen in der
Materialhütte auf Panyma, die am Feuer sass, in der Glut stocherte
und dazu ein Lied sang. Vorsichtig holte Emilia ihren magischen
Zauberspiegel vom Bambusgestell hervor, wo sie ihn hinter ihrer
Hängematte sorgfältig aufbewahrt hatte. „Oh ist der schön“,
schwärmte Iakunae, „ich staune jedesmal aufs neue“. „Ja“, stimmte
Panyma mit ein, „er ist wundervoll. Ein Symbol der Sonne in
glitzerndem Silber“. Dann nach einer Weile erklärte Panyma: „Der
Zufall wollte es, dass ich vorhin im Wald etwas gelbes Schlangenkraut
gefunden habe. Dieses Kraut ist bekannt dafür, dass es am heiligen
Ort der hohen Steinkreise titanische Kräfte verleihen kann. Nun die
hohen Steinkreise liegen viele Tagesreisen weit weg von unserem Dorf.
Bevor wir nun versuchen zu Avara Kontakt herzustellen, lasst uns mal
versuchen, ob wir an diese Kräfte mit Hilfe des magischen Spiegels
auch gelangen können“.

„Höi, ha ho, höi ha“, begann Panyma ihren Zauber. Emilia rasselte mit
einem Tammaraka dazu und Iakunae spielte mit den Klanghölzern. „Höi
ha ho, höi ha“, stimmten die zwei Mädchen in Panymas Zaubergesang
ein. Schliesslich legte Panyma ein Hand voll des gelben
Schlangenkrauts mitten auf den magischen Spiegel. „Hai da hombada,
hai da homba“, beschwörte Panyma mit tiefer Stimme und streckte
ihre Hände hin zum magischen Spiegel. Rauch stieg aus den Blättern
auf, grüner Rauch, der sich zur hohen Graspflanze formt. „Ohh“,
staunte Emilia, „schön die grüne Pflanze“. „Schon“, meinte Panyma,
„aber verstehen kann ich es nicht ganz“. Umso mehr verstehen konnte
Panyma dafür die Klänge die aus der grünen Pflanze ertönten. „Quak,
quak, quak“, hüpfte ein Frosch hervor und guckte verdattert um sich.
„qua, qua, qua“, eine ganze Horde kleiner Froschbabies folgte und
zuhinterst watschelte der grösste Frosch. „Oh Frösche, wie niedlich“,
freut sich Iakunae, „Panyma, du hast eine ganze Froschenfamilie
hergezaubert. Oh wie putzig die kleinen“. Emilia und Iakunae freuten
sich und streichelten die niedlichen Frösche. Panyma kratzte sich am
Kinn. „Hm, so ganz geklappt hat das ja nicht mit den titanischen
Kräften“, lächelte sie, „aber eben. Man lernt nie aus“. Eine Weile
spielten die zwei Mädchen mit den Fröschen. Schlussendlich aber
liessen sie die putzigen grünen Wesen vor dem Dorf in die
wohlverdiente Freiheit raus. „Quak, Quak“, verabschiedeten sich die
Frösche und schwammen im Bach davon.

Zurück in der Materialhütte setzte sich Emilia vor ihren magischen


Spiegel, denn nun wollte sie versuchen mit Hilfe der Gebetskette, die
sie von Avara erhalten hatte, mit diesem Mann der fernen Zukunft
wieder in Kontakt zu treten. Panyma legte Kräuter aufs Feuer und
Iakunae hatte sich die Ritualmaske übergezogen. Iakunae fühlte sich
wohl, denn tanzen und sich bewegen gefiel ihr besser wie am Boden
sitzen. Noch während Panyma und Emilia sich vorbereiteten, begann
sie bereits ihren Dämonentanz. Panyma erschrak. „Halt, halt, wart
noch ein wenig, Iakunae“, rief sie, „wenn du zu früh bist, kann alles
schief gehen. Dann müssen wir wieder vor irgendeinem Urwesen
davonrennen und können nicht mit Avara sprechen“.

Wohlig duftender Dampf stieg ob der Feuersglut aus Panymas


Zauberkräutern auf und Emilia legte vorsichtig ihre Gebetskette auf
den magischen Spiegel. Der Zauber hatte begonnen. Panyma gab
Iakuane ein Zeichen und jetzt durfte das lebendige Lausemädchen
ihren Tanz beginnen. „Graaaah, graaaah, humba, bumba, graaah,
graaaah“, sang Iakunae. Panyma rasselte mit dem Tammaraka im
Rhythmus des Tanzes und Emilia schaute konzentriert auf die silbrige
Sonnenscheibe vor ihren Knieen.

„Avara, Avara“, rief Emilia in den magischen Spiegel, der vor ihr hell
wie eine Sonne leuchtete, „Avara, avara, hier spricht Emilia, das
Indianermädchen“. „Hallo... hallo“, rief Avaras Stimme aus dem
Spiegel, „schön dass ihr wieder da seid. Ich habe schon lange
gewartet“. Der Spiegel klirrte und wurde dunkler. „Panyma, panyma“,
rief Emilia ungeduldig. Panyma nickte und legte neue Kräuter auf die
Glut und das half. Der Spiegel leuchtete wieder wie eine Sonne.
„Emilia?“, fragte Avara durch den Spiegel, „du hast gesagt, dass es um
das Leben der Indianer geht. Ist das wahr?“. „Ja“, antwortete Emilia,
„Eine Dömonin bedroht uns. Sie heisst Ipupiara und ist die mächtige
Dämonin des Wassers. Sie wohnt weit draussen in den Tiefen des
Meeres. Aber wenn sie genug Kraft beisammen hat, dann kommt sie
ans Ufer und will uns zugrunde richten. Avara, kannst du uns
irgendwie helfen?“. „Hm, ich weiss nicht“, antwortete Avara, „wie soll
ich euch helfen? Hast du eine Idee, wie ich euch helfen soll?“. „Avara“,
sprach Emilia, „du lebst doch in der Zeit der Zukunft die so fern ist
wie der weite Himmel. Gibt es in deiner Zeit ein Perpetuum Mobile mit
dem ihr Dämonen besiegen könnt?“, „Ein was?“, lachte eine Stimme
durch den Spiegel, „Hi hi hi, ein Perpetuum Mobile? Habe ich dich
richtig verstanden? Wie kommst du denn auf sowas?“. „Was soll daran
so besonderes sein“, wunderte sich Emilia, „als ich in Porto zur Schule
ging, da haben alle Dottores und Professores an der höfischen Schule
in ihrer Freizeit nichts anderes gemacht, als fieberhaft über diese
neueste Entwicklung, das Perpetuum Mobile diskutiert. Und der
Architekt und Planer des Königs in Sancte Vicente hat sogar eins
gebaut“.

Emilias Aussage gab Avara zu denken. ‚Ein Perpetuum Mobile?’


,überlegte er sich, ‚ja genau, damals glaubten ja die Menschen es sei
möglich ein Perpetuum Moblie zu bauen’. Früher als es fast noch keine
Maschinen gab, da glaubten die Leute, sie könnten Maschinen bauen,
die ohne einen Motor oder sowas sich selber antreiben könnten und
dabei könnten diese Maschinen sogar noch Kraft nach aussen abgeben.
Grosse Wasserräder sollten die Maschine antreiben, die ihrerseits
mittels drehender Sprialen das gebrauchte Wasser gänzlich wieder
nach oben befördern sollte. Klar eine solche Maschine bräuchte ja
dann keinen Antrieb mehr, denn das Wasser, das sie zum Antrieb
verbraucht hat, würde sie ja gerade wieder nach oben transportieren.
Eine solche Maschine nannten sie zu Emilias Zeiten Perpetuum Mobile.
Lange arbeiteten die Froscher damals an der Entwicklung einer
solchen Maschine, aber gelungen ist es ihnen natürlich nie.

Eine laute Stimme lachte durch den magischen Spiegel. „Hast du das
Perpetuum Mobile auch gesehen?“, fragte Avara. „Ja natürlich habe
ich das gesehen“, gab Emilia zur Antwort,“es ist sogar gelaufen,
wenigstens ganz kurz. Nur hat dieser Tölpel von Kimmy Klopf eine
Schraube nicht richtig zugedreht und dann ist es in der Mitte
auseinandergekracht“. „Ihr seid lustige Leute in der Vergangenheit“,
amüsierte sich Avara, „nein, nein, in meiner Zeit haben die
Wissenschaftler schon lange bewiesen, dass es ein Perpetuum Mobile
nicht geben kann. Dafür aber haben unsere Planer und Erfinder in der
Zwischenzeit Maschinen entwickelt. Sie sehen fast gleich aus wie eure
Perpetuum Mobile, aber sie brauchen Benzin oder Strom als Antrieb.
Sonst laufen sie nicht. Dennoch, die Menschen in meiner Zeit fiebern
mit einem so hohen Fleiss an immer besseren Maschinen herum, dass
ich glaube, dass sie zuinnerst immer noch dem brennenden Wunsch
nach einem Perpetuum Mobile hinterherrennen“.

Erneut musste Panyma Kräuter auf Feuer legen, sodass der magische
Spiegel nicht erlosch. Panyma winkte Emilia mit der Hand, sie soll
vorwärts machen. „Schwatzt nicht so herum. Ich habe nicht mehr viele
Kräuter“, mahnte sie Emilia in leisem Ton. „Die Wissenschaftler haben
inzwischen gewaltige Waffen entwickelt“, sprach Avara weiter, „Damit
können die Krieger viele Menschen aufs mal töten. Sie sind gewaltiger
wie die Musketen eurer Zeit, aber halt immer noch eiserne Waffen“.
„Nein, nein“, mischte sich nun Panyma in das Gespräch ein, „ich glaube
nicht, dass wir mit solchen Waffen alleine Ipupiara bändigen können,
lieber Avara. Da müssen wir uns was besseres einfallen lassen. Aber
jetzt können wir nicht mehr länger mit dir sprechen. Meine Kräuter
sind zu ende. Wir werden uns bald wieder melden. Bis bald Avara“. „Bis
bald Avara“, riefen auch Emilia und Iakunae begeistert. Der magische
Spiegel wurde dunkel und der Zauber war für heute vorbei.

Eine Weile noch sassen die drei Frauen in der Materialhütte ums
Feuer herum. .„Meinst du der kann uns überhaupt weiter helfen?“,
fragte Emilia ihre Zauberlehrerin. „Im moment weiss ich auch nicht
wie“, antwortete Panyma, „aber die Vorhersage der drei weisen Frauen
sagte, dass uns genau Avara helfen wird. Und darauf vertraue ich“.
Iakunae atmete tief ein. „Hoffen wir es“, sagte sie mit einem
Achselzucken, „und sonst habe ich immer noch Pfeil und Bogen und
werde mich so zur Wehr setzen“. Panyma stellte sich zwischen ihre
zwei Zauberschülerinnen und hielt beiden je einen Arm auf die
Schulter. „Ihr seid mir zwei tapfere Mädchen. Und Tapferkeit wird
siegen“.

„Abendessen ... Abendessen .... Abendessen“, schrieen die Indianer


auf dem Dorfplatz wild durcheinenander. Es war Zeit zum Abendessen.
Juhuii, darauf freuten sich die hungrigen Mäuler. An diesem Abend
gab es Suppe mit viel Gemüse und Fleischresten. Alles halt, was
niemand mehr auf den Grill legen mochte, weil es als Fleisch auf den
ersten Blick nicht so appetitlich ausschaute, aber irgendwie halt im
weitestens Sinne essbar war, landete in der Suppe. Die Frauen hatten
die Suppe gut gewürzt, sodass nicht mehr so leicht ersichtlich war,
was sie da alles reingetan hatten. Die Indianer waren sich gewohnt,
alles zu essen, was die Natur essbares hergab und assen die Suppe
ohne im geringsten zu muksen. Und die Kinder hatten diese Suppe
besonders gerne, denn sie enthielt viel feines Gemüse, Getreide,
aromatische Gewürze und Kräuter. Die Mütter des Indianerdorfes
wussten bestens, wie sie aus allem möglichen die leckerste Mahlzeit
zubereiten konnten. Selbst ein König würde mit bestem Appetit, mit
lautem Geschmatze und Gemampfe, wie es bei den Indianern üblich
war, von dieser Suppe essen. Doch auch bei den Indianern gab es
natürlich verwöhnte Feinschmecker, die eine bessere, grillierte,
knusprige Mahlzeit bevorzugten.

7-3

„Wäääh, esst ihr mal eure Suppe“, entsetzte sich eine Männerstimme
in der hintersten Hütte, „Suppe, iggittt, Suppe aus Hirnfleisch,
ausgewaschene Därme, Leber, Häute, Kutteln, Blutklösse, Grick,
Zungenfleisch, Gäder, Knochenmark und Schwarte, Grrrh. Nein, nein,
ich bin so gütig und überlasse euch diese Su-wäähh-ppe, üüääh. Hi hi
hi, die könnt ihr selber essen, brrr“. Dieser Mann war Paygi, der
hochangesehene Prister des Indianerdorfes. Er war sich bessere
Mahlzeiten gewohnt.

„So eine leckere, fein knusprig gebratene Pute, das will ich jetzt“,
lechzte Paygi freudig vor sich hin, „und ich weiss auch schon genau, wie
ich zu einer Pute kommen werde. Ja, ja diese dummen Kinder und die
alte Hexe. Geheimnissschummlerei um einen Zauberspiegel. Wollen
niemandem sagen, was sie damit anstellen. Aber Paygi, der ist nicht so
dumm wie ihr glaubt“. „Hi hi hi“, fuhr Paygi in seinem Selbstgespräch
weiter und blickte in Richtung der Wohnhütte woher lautes
Geschmatze und Gemampfe an sein Ohr dringt, „hi, hi, hi. Was ihr
nicht wisst, Paygi hat euch zugehört. Puten können sie mit dem
magischen Spiegel herzaubern, gebratene Puten. ‚komm pute’ hat die
Stimme aus dem Spiegel gesprochen und die drei Zauberweiber haben
sich auf gebratene Pute gefreut. Selbst Panyma, die alte, dürre Hexe,
die sonst kaum was isst, hat sich gefreut, dass sie mit dem Spiegel
Puten herzaubern können. Ich Paygi, ich bin nicht so dumm wie ihr
glaubt. Ich habe das genau gesehen. Und jetzt wird Paygi den Puten
Spiegel benutzen und sich ein feines Abendessen hinzauber. Mhhhhh,
mnijammm. Und nachher nehm ich den Spiegel gleich mit und er gehört
mir, mir alleine, hä hä hä“. Paygi lief das Wasser im Mund zusammen.
Bei der Materialhütte angekommen drehte Paygi unauffällig seinen
Kopf und beobachtete scharf, dass auch ja kein Indianer ihn gesehen
hatte. Leise, kaum hörbar schlich sich Paygi schliesslich in die
Materialhütte. Da am Balken hing die grosse Ritualmaske. Paygi
grinste. Mit seinem Zeigefinger klopfte er auf die Maske. „Hä, hä,
doofe Maske. Ist ja bloss aus Holz, das olle Ding. Und damit wollten
mich die Kinder erschrecken. Mich, Paygi, die sind ja nicht ganz
gebacken“. Paygi lief weiter. „Da vorne“, vermutete er, „da vorne
hinter den Hängematten, da muss der Spiegel sein“.

„Da in dem Baumwolltuch“, frohlockte Paygi, „da ist er drin der


Spiegel, hi hi hi“. Paygi packte den Spiegel aus dem Baumwolltuch und
bestaunte ihn: „Ohhh, ist der schön, eine Sonne aus purem Silber,
wertvoll, oh oh, da kann ich mir bei den Portugiesen vieles Kaufen
dafür, hä hä hä. Aber jetzt, mmjammm, gebratenen Pute..... lechz
lechz“.

Vorsichtig legte Paygi den Spiegel auf den Boden um seinem Zauber
die notwendige Vorbereitung zu verpassen. Da erschrak er fast zu
Tode. Neben ihm was war das? Ein Knurren? Schnell drehte sich Paygi,
bereit sich gegen jeden Eindringling zu wehren. Doch dann überkam ein
Lächeln sein Gesicht. „Ah, Nico, das kleine Hundi, hä hä hä“, grinste er
vor sich hin, „komm komm, komm zum lieben Paygi, brauchst keine
Angst haben, komm liebes Hundi“. Nichtsahnend näherte sich Nico
vertrauensvoll Paygi, den er schliesslich schon oft gesehen hatte und
vom sehen her kannte. Nico wusste sehr wohl, dass Paygi nicht Emilias
bester Freund war, aber viel schlimmes hatte er dennoch bis heute
von Paygi nicht erlebt. So vertraute der arme Nico dem hinterlistigen
Paygi.

„Komm komm liebes Hundi, komm, hier, etwas Süsses für dich“.
„hmmm, hmmm“, winselte Nico und schaute voller Erwartung in Paygis
Hand. Doch da war nichts Süsses. Paygi packte den Hund am Halsband,
drehte ihm die Gurgel zu, drückte mit aller Kraft Nicos Schnauze
zusammen, sodass er nicht um Hilfe bellen konnte und wickelte ihn
schliesslich eng zusammengeschürt in die Baumwollhängematte, die
neben dem magischen Spiegel lag. Damit er ja nicht bellen konnte,
stopfte Paygi noch einen Holzknebel in Nicos Mund. So warf er das
arme Hundi, ins Baumwolltuch eingewickelt, zur Türe hinaus hinter die
Materialhütte. Armer Nico, gefesselt und geknebelt, das tat ihm weh.

Inzwischen hatten die Indianer mit dem Abendessen begonnen. „Mhh


fein die Fleischresten-Suppe“, schwärmte Iakunae, „und das Gemüse
erst, der Broccoli, der Blumenkohl, der Spinat, der feine Rosenkohl
und die Kohlblätter, die Kartoffeln, mhh so fein, das lässt mein Herz
höher schlagen“. Emilia sass daneben, hielt ihren Holzlöffel in der
Hand, sagte kein Wort und ass keinen Bissen. „Was ist denn mit dir
los?“, fragte Iakunae, „du hast doch sonst Gemüse noch lieber wie ich?
Ist dir nicht gut, Emilia?“. „Ach ich mag nichts essen. Ich bringe
nichts in mich hinein“, antwortete Emilia traurig, „mir ist nicht wohl“.
„Was?“, staunte Iakunae, „noch vor fünf minuten als wir draussen
gespielt haben, hast du geklagt, wie dir der leere Bauch knurrt. Und
jetzt magst du nichts essen?“. „Nein, ich mag nichts“, beklagte sich
Emilia, „ich geh nach draussen“. „Dann komm ich mit“, stand Iakunae
ihrer Freundin bei. Mütter sehen es natürlich nicht gerne, wenn die
Kinder beim Essen vom Tisch laufen. „Iakunae, bleib doch du
wenigstens hier und iss was“, entsetzte sich Iakunaes Mutter, „wenn
ihr jetzt beide fortläuft, dann dauert es nicht lange und alle laufen
von der Mahlzeit weg und niemand isst mehr etwas“. „Nein“, wehrte
sich Iakunae, „ich stehe jetzt meiner Freundin bei“. Iakunaes Mutter
schüttelte den Kopf doch Iakunae stand auf und verliess hinter Emila
die Hütte.
Emilia sass draussen auf einem Holzbalken. Iakunae setzte sich neben
sie und hielt ihre Hand auf Emilias Schulter. „Iakunae, irgendetwas
stimmt nicht“, teilte Emilia ihrer Freundin mit, „ich habe das Gefühl,
jemand braucht unsere Hilfe“. „Wen meinst du?“, fragte Iakunae, „wer
kann das sein?“. Emilia zuckte die Achseln. „Weiss nicht“, seufzte sie.
„Vielleicht Kevin“, rätselte Iakunae, „er ist weit weg. Vielleicht hat er
ausnahmsweise mit seinem Schätzchen Kwarahi Krach bekommen und
sie hat ihm eine geklebt“. Emilia grinste kurz doch dann verzog sie
wieder eine ernste Mine. „Du bist eine liebe Freundin“, sagte sie „aber
was solls Iakunae, wird wohl nichts gewesen sein. Die Gefühle stimmen
auch nicht immer. War wohl ein bisschen zuviel das ganze in den
letzten Tagen. Lass uns wieder reingehen“. So standen die Mädchen
auf und gingen wieder in die Hütte zurück zu ihrem Abendessen.

„Sagt mal Mädchen“, fragte Iakunaes Mutter nach einiger Zeit, „habt
ihr Ojang Utan irgendwo gesehen? Der Lausebengel, kommt wieder mal
nicht rechtzeitig zum Abendessen. Wenn er das nur mal lernen könnte.
Wird wohl wieder irgendeinen Streich mit Ostaro aushecken, dass wir
uns wieder vor allen Indianern schämen müssen und uns beim ganzen
Dorf entschuldigen müssen“. Iakunae lachte nur und antwortete:
„Ojang Utan, die Nervensäge. Mit so einem Bruder bist du ganz schön
bestraft. Hi hi“. Iakunae blickte zu ihrer Mutter. „Also gut“, erklärte
Iakunae sogleich, „Emilia und ich gehen mal nachschauen“. Die zwei
verliessen die Hütte und machten sich auf Richtung Dorfplatz.
Schweigend liefen sie nebeneinander. „Pssst“, zischet Iakunae
zwischen ihren Lippen hervor und hielt Emilia am Arm, „hast du das
gehört?“. Emilia spitzte die Ohren. „Ja“, flüsterte Emilia, „ein
schmerzliches Winseln. Wie von einem Tier?“. Hand in Hand machten
sich die zwei Mädchen auf in Richtung aus der das Winseln zu hören
war. „Hinter der Materialhütte“, flüsterte Iakuane, „da stimmt was
nicht“. „Nico“, erschrak Emilia wie sie die zusammengeschnürte
Hängematte vor sich sah, „mein lieber Nico, eingewickelt und
gefangen“.

Nico war schnell befreit. Emilia hielt ihren Hund eng und liebevoll in
ihren Armen, dass er auch ja keinen Laut von sich gab. Iakunae zeigte
in Richtung der Materialhütte, denn von dort drang ein Scheppern von
Blech und das Gemurmel einer tiefen Männerstimme an die Ohren der
zwei Freundinnen. Die Mädchen schlichen sich leise an „Paygi, es ist
Paygi“, flüsterte Emilia zu Iakunae.

„Komm Pute, komm pute“, beschwörte Paygi den vor ihm liegenden
magischen Spiegel, „komm pute, verflixt nochmal, komm endlich, fein
knusprig gebratene Pute ... Ach so haben sie das doch auch gemacht,
wie ich sie belauscht habe“. „Wart nur“, flüsterte Iakunae zu Emilia,
„Paygi, jetzt bekommst du von mir eine Pute, die du so schnell nicht
vergessen wirst“. Iakunae schlich sich in die Materialhütte und zog
sich die Ritualmaske, Baumwollhängematte und Federnschmuck über.
In ihren Händen hielt sie die zwei Speere und schlich sich von hinten
an Paygi ran, der immer noch fieberhaft versucht seine gebratene
Pute herzuzaubern.

„Graaahhh, grahhhh, humba bumba, graaah, graaah“, rief Iakunae ihre


Urwelten Zauberformel. „Hilfe“, erschrak Paygi der sich eilends
drehte, „hilfe, Teufel, Jngange“. Doch Paygi konnte niemand mehr
helfen. Aus dem magischen Spiegel hüpfte ein Riesenkücken hervor,
das doppelt so hoch war wie Paygi. „Määäh määh määäh määäh“, schrie
das Kücken und hüpfte Paygi hinterher. Paygi zitterte am ganzen
Körper. „Teufel, teufel, Jngange“, schrie er zu der verkleideten
Iakune und ergriff rennend die Flucht. „määäh, määäh, määäh“,
watschelte das Riesenkücken Paygi im schnellen Schritt hinterher
Richtung Urwald.

„Määh määh?“, grinste Emilia fragend vor sich hin, „ich glaube das
Kücken meint, Paygi sei seine määä, seine Mama“. Iakunae lachte zu
Emilia: „Ja dann wird das liebe Kücken seine Paygi-Kückenmutter wohl
nicht grad auffressen. Da hat er nochmals Glück gehabt“.
Kapitel 9 Ankündigung des Königs

Thiago feierte einen ganz besonderen Tag, ein grosses Fest. Er hatte
Geburtstag und war drei Jahre alt geworden. Juanita hatte ihm zum
Geburtstag eine Krone aus Papier gebastelt. Dazu legte sich Thiago Emilias
goldgelben Schal über die Schultern. „Köni, Köni, König, bin König“, stolzierte
Thiago auf Emilias Schaukelstuhl. Thiago spielte, er wäre der König und
Juanita, seine Schwester, war seine Dienerin.

"Köni, König", stolzierte Thiago und hielt erhaben und begeistert seinen Kopf
hoch. Seine Mutter Emilia lächelte auf den Stockzähnen und schüttelte
verzweifelt den Kopf. "oh mein lieber Thiago", entsetzte sie sich mitleidsvoll,
"bis du gross bist, wirst auch du anders denken über Könige. Dann willst auch
du bestimmt kein König mehr sein". Thiago blickte kurz um sich, etwas
verdattert zwar, doch immer noch sehr königlich, denn er konnte die Worte
seiner Mutter nicht ganz verstehen. Thiago spitzte seinen Mund und liess
sich von seinem Spiel weiter nicht abhalten. "Tönig, tönig", war alles, was er
zu sagen hatte. Juanita lächelte liebevoll, hielt sich am Arm ihrer Mutter
fest und guckte vergnügt zu ihrem Bruder.

„Eine Zeit lang ist es mir ja egal deine Dienerin zu spielen“, lachte Juanita
heiter, „aber nachher kannst du deinen Kram gefälligst wieder selber
erledigen“. „König wolle slecki“, befahl seine Hoheit, König Thiago auf seinem
Schaukelstuhlthron, „slecki, slecki“. „Ah seine Hoheit begehrt Süssigkeiten
zu Schlecken“, sprach Juanita mit der hohen Stimme einer Dienerin und
griff nach der Süssigkeitenschale auf dem Tisch, „Die untertänigste
Dienerin Juanita bittet seine Hoheit von den dargepriesenen Süssigkeiten zu
naschen“. Das gefiel Thiago und er hatte sich alsbald beide Backen
vollgestopft.

Es war ein sonniger, heisser Tag. Doch zum Glück blieb es auf der schattigen
Veranda den ganzen Tag angenehm kühl. Emilia trug ein hauchdünnes,
strahlend weisses Kleid. In dem hellen Kleid erschienen ihre schwarzen
Haare noch viel dunkler wie sie sonst schon waren, dunkel wie die Steinkohle
aus dem tiefen Berg. Emilia sass auf der Holzbank an der Hausmauer. „Ja die
Könige“, seufzte sie, „die befehlen nicht immer nur zum Wohl und zur Freude
aller“. Sie nahm ihr Pergament zur Hand und erzählte ihren Kindern: „Damals
in Uwattibi, als die Gesandten des Indianerkönigs eines Morgens ins Dorf
kamen, freute ich mich in keiner Weise über die Botschaft die der König uns
zukommen lies“.
„Der König kommt, der König kommt“, kreischten, sangen, riefen und
frohlockten die Indianer tanzend auf dem Dorfplatz. Seit einer halben
Stunde vernahmen sie das Blasen von Kürbisposaunen aus der Ferne. Und das
konnte nur einer sein, nämlich der lange erwartete König mit seiner gesamten
Begleitschaft. Wenigstens wünschten sich dies die Indianer, vornehmlich die
Frauen, denn des Königs Sohn Konyan Bebe, der bald zum neuen König
ernannt würde, soll ausgesprochen hübsch sein, wurde überall erzählt. Und
vor allem hatte Konyan Bebe bis jetzt noch keine einzige Frau. Die
Indianerkönige waren bekannt dafür, dass sie ein tolles Liebesleben führten.
Meist hatten sie sieben Frauen oder gar deren zwölf, eine schöner wie die
andere.

Avanene stand auf dem Dorfplatz und schüttelt den Kopf: „ Ich glaube nicht,
dass dies schon der König persönlich ist. Wenn der all seine Dörfer besuchen
geht, so wird er seine Vorhut vorausschicken, sodass alles bereit ist bei
seiner Ankunft“. Doch Avanenes Warnung konnte die Freude der Indianer
nicht trüben. Sollte es nicht der König sein, sondern seine Vorhut, freuten
sie sich ebenfalls und vor allem würden sie sich nicht abhalten lassen, ein
vergnügtes Fest zu feiern.

„Und überhaupt“, schimpfte Avanene, „wollt ihr so den König empfangen?


Schaut euch doch mal um auf dem Dorfplatz. Da drüben hängen schmutzige
Baumwolltücher herum. Die Feuerstelle ist schon seit Tagen nicht mehr
gereinigt worden und überquillt mit Asche. Jetzt aber schnell, schnell.
Aufräumen, aufräumen! Und dann holt frische Blumen, das Dorf soll
geschmückt sein, auch wenn es nur die Vorhut sein sollte. Oder wollt ihr,
dass sie dem König berichten, wie lange wir unser Dorf schon nicht mehr
aufgeräumt haben? Hoppla, hoppla, macht vorwärts. Dalli, dalli, hebt eure
faulen Aersche!“. Die Indianer erschraken ob den gesprochenen Worten und
machten sich eilends an die Arbeit. „Und was steht denn da drüben noch
rum?“, stänkerte Avanene weiter, „da ist ja noch der Suppentopf von gestern
abend, mitten auf dem Dorfplatz. Soll der König über einen Haufen kalte,
stinkige Kutteln stolpern, die keiner mehr essen mag?“. Der brave Kiripitti
nickte neben seinem Häuptling. „Ja, ja, du hast recht, das muss weg“,
antwortete er fleissig. „Kiripitti, das soll deine Aufgabe sein“, befahl
Avanene, „nimm den Topf und geh mit den Resten die Piranhas füttern. Die
Kinder sollen dir helfen dabei. Heute gibt’s was besseres zum Futtern. Heute
soll es gebratene Puten geben, König oder Vorhut hin oder her, das feinste
Essen soll es sein“. „Juhhuuu, gebratene Puten“, ging ein Freudenfest bei den
Kindern los, denn das war die Lieblingsmahlzeit der meisten Indianerkinder.
Nur einer mochte sich über gebratene Puten ganz und gar nicht freuen. Der
eiskalte Schrecken lief ihm den Rücken hinunter, wenn er die Wörter
„gebratene Pute“ nur schon hörte. Es war Paygi, sein Gesicht wurde
kreidebleich und grün . Eilends suchte er das Weite.

„Kommt Kinder, kommt Kinder“, frohlockte Kiripitti, „packt den Suppentopf


mitan. Wir gehen Piranhas füttern“. „Ja, ja juhuu, Piranhas füttern, Piranhas
füttern“, schrieen die hundert Kinder des Dorfes. Sie sangen und kreischten
vor Freude, denn Piranhas füttern war für sie etwas ganz besonders lustiges
und unterhaltsames.

Es gab im Lande Ubatuba nicht so viele Piranhas wie an anderen Orten in


Brasilien, aber an einigen Stellen in den grösseren Flüssen gab es sie, und die
Indianer kannten diese Orte genau. Schon bald waren Kiripitti und die Kinder
an einer solchen Stelle am Fluss angelangt. „Oh wie niedlich und putzig, die
kleinen Fischlein im Wasser“, freuten sich die Mädchen beim Anblick der
Piranhas. „Ojang Utan baden, Ojang Utan will baden“, meldete sich der kleine
Ojang Utan zu Wort. „Nein, nein, hier kannst du nicht baden gehen“, warnte
ihn seine grosse Schwester Iakunae, „das ist viel zu gefährlich. Die Fische
fressen dich sonst“. Andächtig, aber doch etwas ungläubig blickte Ojang
Utan ins Wasser. „Werft mal ein paar Suppenreste hinein“, schlug ein
Indianerjunge vor, „schauen wir mal, ob sie überhaupt Hunger haben“. So
warfen die Kinder eine Hand voll Fleischreste ins Wasser. Eine Weile
geschah nichts. Die Piranhas schwammen fragend um die Fleischreste. Doch
einen Augenblick später ging ein riesen Gewühle im Wasser los und die
Fischreste waren verschwunden. „Fissli Hungel, stalk Hungel“, staunte Ojang
Utan. Nun kippten die Indianerkinder die ganze Suppenschüssel ins Wasser.
„Grsch“, sprudelte das Wasser unter dem Gewühle hunderter kleiner
Prianhas. Doch nach ein paar Sekunden schon legte sich das ganze wieder und
von den Fleischresten im Wasser war nichts mehr zu sehen. „oh“, staunten
und lachten die Kinder, denn sie waren immer wieder fasziniert vom
aggressiven Fressgelage der kleinen Fische.

Zurück im Dorf sah alles inzwischen schon recht aufgeräumt auf. „Und jetzt
spielt gefälligst den Ipuvae Maracatu, so rassig und so laut ihr nur könnt“,
befahl Avanene. Und das brauchte er keine zweimal zu sagen. Die Indianer
ergriffen ihre Musikinstrumente und ein gewaltiger Rhythmus ging los, so
feurig, dass er weitherum im Indianerland zu hören war.

Kurz darauf standen zwei dutzend Indianer am Eingangstor von Uwattibi. Mit
ihren Kürbisposaunen machten sie lautstark auf sich aufmerksam und
warteten darauf, offiziell empfangen zu werden. Diese Indianer waren
reichlich geschmückt mit langen hohen Federn, Lederbändchen und
Baumwolltüchern in den buntesten Farben. Der vorderste, ihr Anführer, trug
den höchsten Federschmuck. Links und rechts zu seiner Seite standen zwei
dunkel und düster bemalte Männer mit weitaus kleinererm Federschmuck. Es
waren die Berater des Anführers. Aber auch die restlichen Begleiter des
Trosses waren für Indianerverhältnisse überaus zierlich geschmückt.
Zuhinterst schliesslich folgte eine Schaar Frauen, eine hübscher geschmickt
und geschmückt wie die andere. Eine der Frauen rückte sich noch eilends mit
Farbe aus einem glitzrigen Döschen ihre Schminke zurecht. „Was sind denn
das für Tussies?“, kicherte Emilia zu Iakunae. „Psst“, reklamierte Avanene zu
den zwei Mädchen, „das ist Parwaa, der Stellvertreter des Indianerkönigs,
der drittmächtigste Mann im Indianerland. Pssst, seid jetzt ruhig ihr zwei“.

Avanene trat vor, um die Ankömmlinge zu begrüssen. Doch er kam nicht zu


Wort. Die Indianer spielten ihren Ipuvae Maractu lauter den je zuvor. Dazu
schrieen Männer, Frauen und Kinder so laut sie konnten in den Stimmen
nachgeahmter Tiere. „Jä, jä, jä, ga ga ga ga, Ji ji ji ji“, schrieen die Indianer
so wild sie konnten. Es war Sitte bei den Indianern, auf diese Weise einen
Gast zu begrüssen und je lauter das Geschrei umso willkommener der Gast.
Die noblen Frauen in den hinteren Reihen hielten sich die Ohren zu. Ihre
empfindlichen Ohren waren sich die lauten Töne nicht gewohnt. Dennoch
zeigten auch sie höflicherweise Freude am Empfang. Emilia stubste Iakunae
am Arm und zeigte auf die Frauen. Die beiden Mädchen kicherten.

Avanene winkte den schreienden Indianern zu. Augenblicklich wurde es ruhig.


Einzig zwei Trommeln und ein paar Frauen mit Klanghölzern spielten den
Ipuvae maracatu weiter. Dies musste so sein, denn der Rhythmus durfte
nicht aufhören.

„Parwaa, grosser adliger Stellvertreter des Königs. Sei willkommen im Dorf


Uwattibi“, erhob Avanene das Wort. Kaum hatte er den Satz fertig
gesprochen, brach das ohrenbetäubende Getöse erneut los, nochmals lauter
denn zuvor. Minutenlang dauerte der fröhliche Tumult. Avanene stand
unmittelbar vor Parwaa und berührte zur Begrüssung dessen Hände. Zu sagen
braucht Avanene nichts, denn er hätte im Begrüssungsgeschrei des
Indianervolkes sein eigenes Wort nicht verstanden. Von Häuptling Avanene
begleitet, schreiteten die Ankömmlinge auf den Dorfplatz.

Iakunae kicherte beim Vorbeimarsch der hübschen Frauen. „Von nahe sehen
die gepuderten und geschminkten Tussies noch viel hochnäsiger aus“,
flüsterte Iakunae Emilia ins Ohr, „ist ja schrecklich so herumzulaufen“. Eine
der Frauen bemerkte, wie die zwei Mädchen sie scharf beobachteten und
grinsten. Beleidigt drehte sie schnellstens ihren Kopf und gab sich Mühe die
zwei Mädchen bewusst zu ignorieren. „Diese dummen Mädchen“, mochte sie
sich wohl denken, „die beachte ich gar nicht, dann sind sie nämlich selber
beleidigt“. Einige junge Indianermänner kamen aus dem Staunen nicht mehr
heraus. „Oh, das ist Sirapi, die schönste Frau im ganzen Indianerland“,
schwärmten sie.

„Parwaa, sei willkommen in unserem Dorf“, begrüsste Avanene nochmals den


hohen Gast, wie nach einer Weile die Indianer etwas ruhiger wurden, „ruht
euch in den bequemen Hängematten aus von eurer strengen Reise durch den
Urwald und freut euch auf ein feines Abendessen, es gibt gebratene Puten“.
„Ohhh“, freute sich Parwaa mit begeisterten, feurigen Augen, „ohh, lieber
Avanene, das freut mich riesig. Du weißt ja gebratene Puten sind mein
Lieblingsessen“. „Juhui, gebratene Puten“, schrieen die Kinder des Dorfes,
„juhui gebratene Puten“. Nur ein Mann zeigte sich nicht begeistert von dem
angekündigten Festessen. Paygi, er schlich sich durch das hintere Tor aus
dem Dorf und hielt in seiner Hand einen Bogen und die dünnen Pfeile, die die
Indianer verwendeten um Fische zu fangen.

Gerne verzogen sich die Gäste in eine der Stohhütten und ruhten sich aus.
Vor allem den hochgepuderten Schönheiten hatte der Marsch durch den
Urwald arg zugesetzt. Die noblen Besucher wurden bestens betreut und
umsorgt. Viele der jungen Frauen des Dorfes drängten sich geradezu darum,
dem Stellvertreter des Königs und dessen Gefolge jeden Wunsch erfüllen zu
können. So hatten sie Gelegenheit die neuesten Neuigkeiten über den Prinzen
Konyan Bebe zu erfahren, den Prinzen, von dem sich die Indianer erzählten,
er soll das hübscheste Mannsbild im ganzen Indianerland sein.

Langsam näherte sich die Sonne den spitzen Bergen, die das Dorf Uwattibi
umgaben. Die Schatten wurden länger und der aufziehende Wind blies
frische, kühle Luft ins Dorf. So war von der drückenden Mittagshitze nichts
mehr zu spüren. Dies war die Zeit der Kinder. Sie spielten auf dem Dorfplatz
und badeten im nahen Bach. Ojang Utan rannte seiner Schwester Iakunae
mit einer Kokosnusschale voll Wasser hinterher. „Splützen, splützen, wollen
splützen“, schrie er vergnügt und schliesslich gelang es ihm sogar, seine
Schwester nass zu machen. „Wart nur du kleiner Bengel“, kreischte Iakunae
vergnügt. Sie packte ihren kleinen Bruder und warf ihn kurzentschlossen in
den Bach. Die Kinder in Uwattibi hatten es schön. Sie genossen es, den
ganzen Tag spielen zu dürfen.

Allmählich machte sich der feine Duft frisch grillierter Puten breit. Immer
mehr Kinder, Männer und Frauen begaben sich mit knurrendem Magen in die
nähe des Feuers. Während die Kinder nach wie vor spielten, gab es an diesem
ereignisreichen Tag für die Erwachsenen genug zu diskutieren und alle
warteten auf das Erscheinen der fremden Gäste. Diese liessen nicht lange
auf sich warten. Begleitet von Häuptling Avanene traten sie aus der
Stohhütte des Häuptlings und blickten erwartungsvoll auf den Dorfplatz.

„Habt dank für eure Gastfreundschaft“, erhob Parwaa seine noble Stimme,
„habt dank für das feine Essen, mit dem ihr uns willkommen heisst. Uwattibi,
das schönste Dorf im Indianerland. In keinem anderen Indianerdorf werden
wir so liebevoll empfangen wie hier“. „Hurra, hurra, hoch lebe Parwaa“,
jauchzten die Indianer Beifall mit tosendem Applaus. Doch Avanene stand
still daneben. „Alter Heuchler“, brummelte er leise zu Emilia und Iakunae,
„das sagt er in jedem Dorf um sich beliebt zu machen. Und dann schlägt er
sich hemmungslos den Ranzen voll“. Nach einiger Zeit legte sich der
lautstarke Applaus. „Liebe Indianer“, fuhr Parwaa mit seiner Ansprache fort,
„die besten Grüsse überreiche ich euch von seiner Hoheit dem König Ajun
Bebe und von seinem hochwohlgeborenen Sohn Prinz Konyan Bebe. Die zwei
verweilen noch einige Zeit bei weit höheren Festivitäten in Iteronne“. Erneut
machte sich lautester Applaus breit. Wieder brummte Avanene etwas zu
Emilia und Iakunae: „habt ihr jetzt gehört, wie er sich versprochen hat? ‚bei
weit höheren Festivitäten in Iteronnne’ - der schwindelt uns einfach etwas
vor, wenn er uns schmeichelt, bei uns sei es am schönsten, der alte Heuchler.
Dabei gefällt es ihnen an anderen Orten, wo sie reichlicher bedient werden
nämlich viel besser“. Emilia und Iakunae guckten zu Avanene und kicherten.

Auf der Stelle schwieg Avanene und hob seinen Kopf, denn Parwaa war
aufgestanden und lief geradewegs in seine Richtung, ihm und den Mädchen
entgegen. Doch nun geschah etwas merkwürdiges. Parwaa ging nämlich nicht
hin zu Avanene, wie alle es erwartet hätten, nein, er zeigte auf Emilia und
wandte sich an das Mädchen. „Sei gegrüsst im Indianerdorf, fremdes Kind,
das du von der anderen Seite des Grossen Wassers zu uns gekommen bist“,
sprach Parwaa in noblen Ton zu Emilia, die mit ihren lockigen Haaren halt
schon um einiges anders ausssah wie die reinrassigen Indianer, die alle
steckengerade Haare haben. „Iteronne kennen alle Indianer“, sprach Parwaa
zu Emilia mit einem liebevollen Lächeln, „Iteronne, weißt du fremdes Kind,
das ist Rio de Jenero in eurer portugalesen Spraach, die neuste Einwanderer
Siedlung neben unserem Indianerdorf, ha ha ha ha“. Parwaa konnte ein
Lachen nicht zurückhalten und die Indianermänner kreischten laut. „Rio de
Jenerho, hi hi hi“, vergnügten sie sich und grinsten mitleidig. „Hi, hi, Rio de
Jenero“, fuhr Parwaa lachend weiter, „ho ho hoho, die zwei alten klapprigen
Hütten, hi hi hi, die nächstens zusammenkrachen, ha ha ha, wo sich ein paar
heruntergekommene Fremde vom Stamm der Franzosen in ihren Lehmhütten
verschanzt haben, ha ha ha ha, und den ganzen Tag Kokosbier trinken, ha ha
ha“. Ein Gelächter brach unter den Anwesenden los, wie Parwaa auf die
Franzosen zu sprechen kam, die Franzosen, die im Indianerland als
ausgesprochen eigenartige wie auch lustige Fremde galten und über die sich
die Indianer viele Witze erzählten.
Einzig Avanene lachte nicht. Verdutzt staunte er zu Parwaa, denn er
verstand nicht, weshalb Parwaa ausschliesslich zu Emilia gesprochen hatte.
Avanene ging auf Parwaa zu und wollte ihn darauf ansprechen. Doch Parwaa
kam ihm ausweichend zuvor. Er lief hin zum gedeckten Tisch und ergriff eine
gebratene Pute.

„Nun lasst uns alle die Mahlzeit geniessen und die wohlverdiente Stärkung zu
uns nehmen“, lenkte Parwaa die Situation ab, „die Botschaft des Königs
werde ich euch morgen in aller Ruhe mitteilen“. Parwaa hob die knusprige
Pute in seiner Hand hoch und begann schmatzend und mampfend das Gelage,
auf das sich sogleich die ganze Indianerschar wild drauflosstürzte. Den
Indianern war es recht, wenn Parwaa die Botschaft des Königs erst morgen
mitteilen würde, denn es war selten, dass eine Botschaft des Königs nach
Uwattibi kam und wenn Parwaa diese erst morgen erzählte, so konnten sie
alle noch einen ganzen Abend lang gespannt rätseln, was wohl die Botschaft
sein könnte.

Emilia blieb verdattert stehen. „Wieso sagte er das ausschliesslich zu mir?“,


wunderte sich Emilia vor Avanene und Iakuane, „wieso erklärte er
ausgerechnet mir, dass Iteronne bei den Portugiesen Rio de Jenero genannt
wird? Sicher, ich bin die einzige hier, die nicht ganz nach Indianer aussieht,
die einzige, die lockiges Haar hat und nicht steckengerade Haare wie die
Indianer, der einzige Mischling halt. Aber wieso meinte er, mir so
eindrücklich erklären zu müssen, was ich schon lange weiss, was jeder hier
weiss? Und dann sagte er ‚in eurer Portugalesen Spraach’, dabei hat mich
meine Mutter in Tupi Sprache aufgezogen und ich denke auch in Tupi
Sprache“. Avanene zuckte die Schulter, denn er wusste keine Antwort. Erst
sehr viel später würde Emilia den Grund für dieses eigenartige Verhalten
Parwaas erfahren.

Natürlich liessen sich auch die schönen Frauen der königlichen


Gesandtschaft das feine Festessen nicht entgehen. Hübsch gekleidet
stolzierten sie langsam und würdevoll zur festlichen Tafel über den
Dorfplatz daher. Sirapi, eine junge Frau, war die schönste unter ihnen oder
wenigstens fühlte sie sich selber so. Sie war gekleidet mit einem Rock aus
goldenen Stoffstreifen. Auf hochhackigen Stöcklischuhen schlenderte sie
mit lebhaftem Wackeln ihres Popöchens daher. Die Indianer drehten
unweigerlich ihren Kopf zu ihr hin und staunten. „Ohh, schön“, ging ein
Raunen durch die Runde der Männer.

Für die holden Frauen der Gesandtschaft war eigens ein Bambustisch
gedeckt. Sirapi ass nicht von Hand. Das wäre ihrer unwürdig. Nein, sie ass
aus einem Teller, als einzige Anwesende sogar mit Messer und Gabel, wie sie
es in ihrer noblen Art von den Portugiesen gelernt hatte. „Eine Dame von
Welt“, staunte ein Indianer neben Emilia. Iakunae kicherte: „Das ist aber
eine hochpolierte Frau, so richtig ein süsses Beerchen“. „Ja“, lacht Emilia,
„Iakunae, willst du nicht mit dem magischen Spiegel deinen Urzeiten Mann
wieder herzauber wie das letzte Mal? Der könnte sich doch neben Sirapi
setzen. Dann hätte sie einen würdigen Begleiter“. Die Indianer ringsum
hatten diesen Spruch gehört und lachten vergnügt. Sirapi, in ihrer
hellhörigen Art, hatte dies alles wohl bemerkt. Strafend schaute sie kurz
hinüber zu Emilia. Sogleich drehte Sirapi aber ihren Kopf und liess sich
nichts anmerken. „Doofes Kind“, sagte sie zur Frau neben ihr, „schlecht
erzogen, keine Manieren gegenüber der Gesandtschaft des Königs“.

„Mh, fein die gebratene Pute“, schwärmte Emilia und drehte sich auf der
Holzbank, denn sie wollte die überschöne Sirapi weiter auch nicht mehr
anschauen müssen. „Ja, ganz genüsslich“, lächelte Iakunae und drehte sich
ebenfalls, „die Gesandten des Königs sollen nur öfters mit ihren Tussis
vorbeikommen, dann gibts noch mehr so Festessen“. „Ah“, entsetzte sich
Sirapi erneut und warf einen strafenden, vorwurfsvollen Blick zu den
Mädchen. Doch strafen konnte sie sie nicht mehr mit ihrem Blick, denn
Emilia und Iakunae schauten inzwischen auf die andere Seite.

Zufrieden genossen die Indianer die lecker gebratenen Puten. Nur ein Mann
mochte keine Pute essen, nämlich Paygi. Er hatte sich etwas abseits
hingesetzt und knabberte an den Geräten eines aufgespiessten, grillierten
Fisches. Iakuane schubste Emilia am Arm und zeigt auf Paygi. „He Paygi, was
ist denn los mit dir?“, rief Iakunae laut, „bist du auf Diät umgestiegen, dass
du keine gebratenen Puten isst?“. Paygi war die Frage peinlich, denn jetzt
hatten sich die meisten Indianer zu ihm gedreht und staunten ob seiner
Spezialmahlzeit. „Ja was ist denn mit dir los?“, fragte Avanene
kopfschüttelnd, „sag mal Paygi, warum isst du keine Pute sondern nur Fisch?“.
„Aeh, ä“, stammelte Paygi verlegen, „weißt du, Fisch ist doch viel gesünder“.
Avanene kratzte sich am Kopf, denn so eine Antwort hätte er von Paygi nie
und nimmer erwartet. „Paygi und auf die Gesundheit achten?“, rätselte er vor
sich hin. Während die meisten Indianer veständnislos den Kopf schüttelten,
lachten Emilia und Iakunae lauthals. „Was ist denn daran so lustig?“, wollte
Avenene von den Mädchen wissen. Doch die zwei schwiegen und gaben keine
Auskunft. Sie sagten nicht, was sie von Paygi und seinem Versuch, mit dem
gestohlenen magischen Spiegel Puten hinzuzaubern wussten. Paygi vor allen
Indianern blossstellen, das wollten sie ihm nun auch nicht antun.

Ein lustiges Fest begann. Bei Süssigkeiten und feinen Getränken tanzten,
sangen und trommelten die Indianer bis weit in die Nacht hinein. Es war
üblich, dass an so einem Fest die Kinder schlafen gehen durften, wann sie
wollen. So nach und nach verschwand dann eins ums andere in die
Hängematte und zu guter letzt schlief das ganze Dorf gemütlich bis weit in
den Nachmittag des nächsten Tages hinein.

Die Indianer liebten es, in Hängematten zu schlafen. Es war ein schöner


Moment für sie, wenn sie am Abend nach einem strengen Tag in ihre
Hängematten versinken durften und langsam in den Schlaf fielen. Doch die
feinen Frauen aus der Gesandtschaft des Königs waren sich derart rauhe
Schlafplätze nicht gewöhnt. „Nein, nein“, entsetzte sich Sirapi, „in solchen
Hängematten schlafe ich nicht, die kratzen und pieksen“. So schliefen die
hübschen Tussies in samtweichen Spezialbettchen, die eigens für sie
hergebracht wurden, denn sie hätten ja sonst aus den Hängematten
runterfallen können. Sie lagen in feinste Stöffchen gehüllt, so dass ihre
zarte Haut keinen Schaden nehmen konnte von den rauhen Hängematten.

9-2

Am späten Nachmittag des nächsten Tages, wie die Sonne schon weit über
die Höhe des Mittags gewandert war, wurde es im Indianerdorf angenehm
kühl. Die Kinder spielten schon eine Weile auf dem Dorfplatz. Dort wurde ein
hoher Thron aufgestellt, mitten im Dorf Uwattibi, ein Thron, schöner wie
der von Häuptling Avanene und schöner wie der von Priester Paygi. Der
Gesandte des Königs sollte nicht einfach vor die Leute stehen und die
wichtige Botschaft ausplappern. Nein, so etwas musste andächtig und
würdevoll geschehen, und das war nur möglich, wenn der Gesandte des Königs
höher sass wie der Rest des Volkes, auf einem Thron, geziert mit den
schönsten Blumen und buntesten Federn. Vorerst aber hatte es sich noch
Ojang Utan auf dem hohen Thron bequem gemacht. Auf seinem Kopf trug er
ein Band bunter Federn. Erhaben sass er so als kleiner König auf dem hohen
Stuhl. Einige Mädchen hatten sich geschminkt und spielen hübsche Tussies.
So verging für die Kinder die Zeit des Wartens im nu. „So du kleiner König“,
mahnte Häuptling Avanene den kleinen Ojang Utan, „es ist Zeit, dass du auf
dem Thron für jemand anders Platz machst“. Tatsächlich, Parwaa erschien
mit seiner Begleitschaft vor der Strohhütte, in der sie sich alle des Nachts
erholt hatten.

„Nein, Ojang Utan Tönig, Ojang Utan Thlon bleiben“, widersprach der kleine.
„Ach nein“, seufzte Avanene und blies kräftig die Luft aus seinem Mund, „das
hat mir jetzt gerade noch gefehlt“. Er wusste wie schwierig es ist, den
Lausbub Ojang Utan zu etwas zu bewegen, wenn dieser nicht wollte. „Komm
doch jetzt runter“, bat Avanene, „Parwaa wird jeden Moment hier sein und
wir haben den Thron für ihn gemacht und nicht nur für die Kinder zum
Spielen“. „Palwaa geben Gesenkli, sonst Ojang Utan nicht gehen“. Avanene
kratzte sich am Kopf. „Scheint ja heute ein ganz schwieriger Fall zu sein,
unser kleiner Lausbub“, sprach er mit einem schrägen Lächeln zu den
Mädchen, die für Ojang Utan hübsche Tussis spielten. Doch eines der
Mädchen flüsterte Avanene etwas ins Ohr. Avanene nickte und sprach zu
dem Mädchen: „Ja, ja, natürlich dürft ihr. Ihr habt so lieb geholfen und ich
hatte es euch ja gestern schon versprochen“. „Was? was?“, fragte Ojang
Utan neugierig, „König wollen wissen“. „Ja, ja, du wirst es gleich sehen, du
kleiner Lausbuben-König“, antwortete Avanene. Die Mädchen verschwanden
in Avanenes Strohhütte und kehrten einen Moment später mit einer Schale
Honigbonbons zurück. „Honigbonbons für Kinder und Könige“, rief eines der
Mädchen, „für alle Kinder, die beim Thron aufstellen geholfen haben, kommt
und schleckt mit uns“. „Oh, oh“, staunte Ojang Utan und es dauerte keine
Sekunde, bis er vom Thron hinuntergestiegen war und den Mädchen
hinterherhumpelte. „Siehst du, Ojang Utan?“, sprach keck eines der
Mädchen, „es sind nicht immer nur die Könige, die bestimmen wos lang geht.
Oft haben die hübschen Tussis mehr zu sagen wie der König selbst“. Avanene
schüttelte den Kopf. „Nur allzu recht hast du“, staunte er ob den Worten
des Mädchens.

Parwaa liess sich Zeit, auf den Thron zu steigen und seine Botschaft zu
verkünden. Eine ganze Weile unterhielt er sich mit den hübschen Frauen
seiner Begleitschaft. Ganz zum Vergnügen der Indianer von Uwattibi.
Mehrmals ergriff Parwaa Sirapis fein gekämmtes, blondiertes Haar und
führte es an seine Nase. „Verführerisch, dein neues Duftwasser“, schwärmte
Parwaa, „Sirapi, du bist heute einfach umwerfend schön“. „Ja ich weiss, ich
weiss“, gab Sirapi in hohem Ton an, „Das Duftwasser habe ich vom Prinzen
Konyan Bebe höchstpersönlich geschenkt bekommen. Er hat es von den
Franzosen in Rio de Jenero gegen Pfeffer eingetauscht. Dazu dieses seidene
Haarband, ‚Neuste Pariser Mode’, sagen sie dem auf der anderen Seite des
Grossen Wassers“. „Oh“, ging ein Staunen durch die Reihen der anwesenden
Frauen. „Konyan Bebe hat es liebend gerne, wenn ich so richtig fein nach
Adel rieche. Dann kann er meiner Schönheit nicht widerstehen“, erklärte
Sirapi weiter, „kommt her ihr Indianerfrauen, ich gebe euch gerne einen
Tropfen Riechwasser auf eure Hand“. Das musste Sirapi keine zwei mal
sagen. Sogleich streckten ihr ein gutes dutzend junger Frauen ihre Hand
entgegen. Sirapi genoss es im Mittelpunkt der Frauen zu stehen und auf
grosszügige Weise jeder Frau einen Tropfen des geheimnisvollen Wassers
auf die Hand zu geben. „Mhhh, fein“, schwärmten die jungen Frauen des
Dorfes. Sie liefen mit ihren Händen zu den Indianermännern und gaben ihnen
auch was zum Riechen. „Uhh, wha, wha“, hustete Avanene, wie er an der Hand
einer Frau roch und meinte, „dann habe ich es doch lieber, wenn es nach fein
Grilliertem riecht“. So hielt sich die Begeisterung bei den Indianermännern
zumeist in Grenzen. Doch auch sie staunten über all das neue, das die
Botschafter des Königs mit sich brachten, über all die fremden Sachen, die
sie in ihrem Indianerleben noch nie zuvor gesehen hatten.

Häuptling Avanene schritt mit Parwaa hin zum Thron. Dicht dahinter folgten
die schönen Tussis, begleitet von einem Schwarm kichernder Indianerfrauen.
„Habt dank für den schönen Stuhl“, schmeichelte Parwaa den Indianern, „so
macht es natürlich doppelt Spass, euch die Botschaft des Königs zu
überreichen. Und ich bin sicher, ihr werdet euch über diese Botschaft
freuen“. So stieg Parwaa auf den Thron. Links und rechts von ihm begaben
sich seine zwei düster geschminkten Berater auf ihre tiefer gestellten
Stühle. Eine Weile diskutierten die drei und liessen sich Zeit. Doch dann
wurde es still auf der Bühne und es wurde still unter den Indianern. Parwaa
erhob seine Hände.

„Hochgeschätzte Indianer“, begann Parwaa seine Ansprache, „Ich überreiche


euch die besten Grüsse von König Ajun Bebe und seinem hochwohlgeborenen
Sohn Konyan Bebe. Die zwei freuen sich riesig auf den bevorstehenden
Besuch in eurem Dorf“. Lautstarker Applaus und Zurufe unterbrachen jäh
die Rede Parwaas. Parwaa erhob seine Hände und zeigte sichtlich Freude an
den lauten Zurufen. „Die Freude ist gross beim König ob dem schönen Dorf
Uwattibi“, fuhr Parwaa weiter, „Der König und sein Sohn haben sich
aufgemacht, sämtliche Indianerdörfer im ganzen Land zu besuchen, denn der
Anlass dazu ist besonders hoher und ganz spezieller Art“. Dann, nach einem
kurzem Staunen der Indianer fuhr er fort: „Wie ihr wisst liebe Indianer,
dient Ajun Bebe schon viele Jahre als umsichtiger, erhabener und
selbstloser Indianerkönig in unserem Land. Doch er ist nicht mehr der
jüngste und Sein Sohn Konyan Bebe kommt in die besten Mannsjahre. König
Ajun Bebe, meine lieben Indianer, hat sich entschieden vom Amt des Königs
zurückzutreten und die Regierungsgeschäfte seinem wohlerzogenen und
klugen Sohn Konyan Bebe zu überlassen“. Ein lautstarkes Raunen ging durch
die Runden der Anwesenden. „Dass kann doch nicht sein“, riefen einzelne
Indianer nach vorne, „unser guter König, ahhh, der beste den wir je
hatten ....“. „Seid unbesorgt, seid unbesorgt“, besänftigte Parwaa die
sichtlich erregten Gemüter der Anwesenden, „Ajun Bebe wird
selbstverständlich seinem Sohn mit bestem Rat zur Seite stehen. Gänzlich
zurückziehen wird er sich nicht. Das kann ich euch versichern“. Eine Welle
der Erleichterung ging durch die Indianer. „Ist er aber nicht etwa krank,
unser König?“, fragte ein besorgter Indianer. „Nein, nein, seid unbesorgt,
seid unbesorgt. Ajun Bebe ist wohl auf“, antwortete Parwaa überlegen, „Er
hat seinen Entschluss lange mit mir und meinen zwei Beratern besprochen.
Wir sind eingehend zur Ueberzeugung gelangt, dass es gut ist, wenn er die
Regierungsgeschäfte frühzeitig übergibt, dafür aber noch unterstützend
seinem Sohn beiseite stehen kann“. Nun war es Parwaa nicht mehr möglich
mit seiner Rede weiterzufahren. Lautstarke Diskussionen und Schreie
setzten im Publikum ein. „Jö jö jö jö, jä jä jä, giiii, hoch lebe der König“,
riefen die einen. „Das geht doch nicht, das kann er nicht machen“,
entsetzten sich andere trotz aller Zusicherungen Parwaas.

„Ruhe Leute, Ruhe !!!!!“, versuchte Avanene verzweifelt Ordnung zu schaffen,


„gebt doch entlich wieder mal Parwaa, dem Stellvertreter des Königs das
Wort“. Doch es nützte nichts. Niemand hörte auf ihn. „Immer dieses
Geplappere“, entsetzte sich Avanene zu Emilia und Iakunae, die neben ihm
standen, „schlimmer wie alte Weiber, und das sind unsere Indianermänner,
sollen tapfere Krieger sein, ts, ts, ts. Nicht mal ihr Maul halten können sie,
wenn so hoher Besuch im Dorf ist“. Emilia und Iakunae kicherten. Sie hatten
den Tumult gerne und liebten die wilde Art der Indianer. Ojang Utan stand
vor den zwei Mädchen, immer noch als kleiner König verkleidet. „Kann nicht
mache, geht niggt“, ahmte er die grossen Indianer nach und stampfte wild
auf dem Boden umher.

Parwaa hob das Zepter und schlug wuchtig einige male auf den Holzboden
neben dem Thron. „Liebe Indianer - - Liebe Indianer ihr wisst ja .. “, fuhr er
mit seiner Ansprache fort, „Konyan Bebe ist ein junger Mann, in den besten
Jahren, stark und bildhübsch. Die Frauen sagen, er sei das hübscheste
Mannsbild im ganzen Indianerland“. Bei diesen bewegenden Worten Parwaas
hob Sirapi sanft ihren Kopf, spitzte ihren knallrot geschminkten Mund und
küsste zärtlich und fein in die Luft. „Ahh, der schönste, der stärkste“,
stöhnte sie leidenschaftlich zu den Frauen neben ihr, deren neidige Blicke
ihr nun sicher waren. „Kennst du ihn gut?“, fragte ein junges Mädchen.
Sirapi, über diese Frage innerlich höchst erfreut, schluchzte mit weinender
Stimme: „Er ist sozusagen mein bester Freund. Oh, es ist traumhaft, in
seinen starken Armen zu liegen und seiner warmen Stimme zu lauschen“.
„Oh“, staunten die jungen Frauen um Sirapi. Nur von Parwaa fing Sirapi einen
bösen Blick ein. „Mhh“, knurrte er von oben herab.

„Ich bin hier um euch mitzuteilen“, unterbrach Parwaa das aufkommende


Raunen, „und das ist meine wichtigste Botschaft an euch. Ich bin hier um
euch mitzuteilen, dass der junge Prinz Konyan Bebe bis anhin unverheiratet
ist. Als König braucht er aber dringend eine Frau, und die richtige und
passende sucht er auf seiner Reise durchs Indianerland. Bedenkt doch, die
glückliche wird seine erste Frau sein, die oberste im Range seiner Frauen und
die mächtigste Frau im ganzen Indianerland“. „ooohhh“, staunten die
Indianer. Parwaa atmete auf und erhob freudvoll seine Arme. Mit einem Blick
hin zu Emilia verkündete er weiter: „Auf der anderen Seite des Grossen
Wassers wird die erste Frau des Königs ‚Königin’ genannt“.

Erneut war es Parwaa einmal mehr nicht mehr möglich wie geplant seine Rede
zu halten. Jetzt brach die Diskussion und das Gekreische unter den Frauen
los, und das war nochmals eine gewaltige Runde lauter wie vorhin, als
vorwiegend die Männer drein geredet hatten. „Mich, mich“, schrieen einige
Frauen, teils ernst gemeint, teils nur zum Spass, und rückten ihre Haare
zurecht sogut es ging. „Hast du mir noch etwas vom feinen Duftwasser,
Sirapi?“, fragte lachend eine alte Indianerfrau, die sich spasseshalber auch
noch gewisse Aussichten erhoffte. „Wir sollten einen Schönheitswettbewerb
veranstalten“, meinte ein junges Mädchen, „und die schönste geben wir dann
dem Prinzen“. „Nein die schönste bin sowieso ich“, ereiferte sich wieder eine
andere, „ich möchte Königin werden“. So ging das eine ganze Weile, ohne dass
Parwaa weiter reden konnte.

„Es ist dem König ... !!!“, versuchte Parwaa die Menge zu übertönen, „es ist
dem König und den Prinzen ein besonderes Anliegen !!“. Und jetzt wurde es
augenblicklich still, denn die Neugier der Indianer war letztlich doch stärker
wie ihr Schwatzdrang. „Hm, hm“, freute sich Parwaa über die eingekehrte
Stille, “es ist dem König und dem Prinzen ein besonderes Anliegen eine
passende Person auszuwählen. Und das ist gar nicht so einfach. Wie ihr alle
mehr wie euch vielleicht beliebt, festgestellt habt, hat sich unser
Indianerleben in den letzten Jahren grundlegend verändert. Fremde
Menschen sind in unser Land eingedrungen, von weit her, von der anderen
Seite des Grossen Wassers und haben uns einen Teil unserer Welt
weggenommen. Teils gab es Kriege mit den Eindringlingen, zum Teil aber
konnten wir uns gegenseitig in Freundschaft finden. Die Fremden Leute
haben uns einiges genommen. Sie haben uns aber auch viel gebracht. In
einigen Dörfern werdet ihr heute schon ‚Messer’ finden. Und das ist etwas
ganz gutes. Während ihr Indianer in Uwattibi eure Jagdbeute wie unsere
Vorfahren noch mit scharfen Steinen mühsam zerreist, haben wir in unserem
Dorf Iteronne bereits ein sogenanntes ‚Messer’. Mit dem können wir
schneiden und haben unsere Jagdbeute im nu zerlegt. Schaut her, ich zeige
euch eines“. Parwaa griff in seine Umhängetasche und nahm ein rostiges
Eisen mit einem Holzgriff hervor. „Ahhh“, machte ein lautes Staunen die
Runde. „Seht ihr“, erklärte Parwaa, „das Eisen ist so scharf, damit kann ich
ein Fleischstück in Nu durchtrennen“. „ohhh, iiii“, staunten die Indianer. Mit
ernster Mine fuhr Parwaa mit seiner Rede fort. „Um all diesen rasanten
Veränderungen gerecht zu werden, wünscht sich Konyan Bebe auch eine
fortschrittliche, schöne und junge Frau. Eine Frau die in sich genug Würde
trägt um einen gewissen Respekt gegenüber den Eindringlingen in unser Land
auszustrahlen. Respekt, aber auch Freundschaft, das sollte die oberste Frau
in unserem Land den Fremden Leuten zeigen können. Wir brauchen eine
moderne, fortschrittliche Frau“. Erneut gab es laute Zwischenrufe in allen
Reihen der Indianer.

Alle redeten, doch Sirapi schwieg. Ueberlegen streckte sie ihr Gesicht in die
Höhe, schmiss sich nochmals eine deftige Portion Duftwasser um den Kopf,
zückte einen portugiesischen Fächer aus ihrer Tasche und verteilte mit
raschem, vornehmen Flattern den feinen, fremden Duft auf dem ganzen
Dorfplatz. „Sirapi, Sirapi“, flüsterten die alten Indianer in den hinteren
Reihen, „ja Sirapi ist fortschrittlich und modern. Und dazu noch so schön“,
murmelten sie.

„Eine moderne, fortschrittliche Frau“, fuhr Parwaa fort, „eine Frau, die das
Neue verkörpert“. „Ahh“, stöhnte Sirapi überlegen und schaute Parwaa mit
einem schrägen Blick von unten an. Doch Parwaa blickte nicht hin zu Sirpai.
Nein, er sprach weiter: „Am liebsten wäre dem Prinzen eine Frau, die sogar
fremdes Blut in sich trägt“. Ein lautes, entsetzliches Raunen ging durch die
Runde. Sirapi verzog ein fragendes Gesicht und verstand die Welt nicht
mehr. „hmmm?“, murmelte sie, „fremdes Blut? Was soll das? Davon hat er
mir nie was erzählt...“. Doch Parwaa sprach weiter: „fremdes Blut,
portugiesisches Blut. Am liebsten wäre dem Prinzen eine Frau, halb
Indianerin, halb Portugiesin. Wenn ihr eine solche junge Frau habt in eurem
Dorf, mit einem Elternteil Indianer und dem anderen Elternteil
portugiesisch, dann hat sie die allergrössten Chancen, die auserwählte zu
werden“. Sirapi fielen fast die Augen zum Kopf raus, wie sie dies hörte, denn
auch sie, die sonst immer alles zuerst wusste, hörte dies zum ersten mal. Sie
öffnete ihren Mund und brachte ihn nicht wieder zu. So überrascht war sie
von Parwaas Worten.

Urplötzlich waren die Augen aller auf Emilia gerichtet. Emilia fuhr es eiskalt
den Rücken hinunter. Emilia wusste, dass sie das einzige Mischlingsmädchen
im ganzen Lande war, das bei den Indianern lebte und nicht in den
portugiesischen Siedlungen. Wie sie so dasass und nichts zu sagen wagte,
wurde ihr auch klar, wieso Parwaa sie gestern so überdeutlich als ‚fremdes
Kind mit portugalesischer Spraach’ bezeichnte hatte. Erschrocken schaute
sie um sich und zitterte am ganzen Körper. Aber Emilia brachte kein Wort
über ihre Lippen. Sie stand auf und rannte fort in die Materialhütte. Eilends
folgte ihr Iakunae hinterher. Verdattert guckte Parwaa auf die
verschwindende Emilia, doch dann klatschte leise in seine Hände. „Ach das
liebevolle, einfache Mädchen“, freute er sich mit rührender Stimme, „kann in
ihrer Bescheidenheit ihr Glück noch gar nicht fassen“.

Sirapi aber verzog eine saure Mine. „Dieser Schuft“, entsetzte sie sich,
„dieser Schuft von Konyan Bebe, Dabei hat er sich mir versprochen, dieser
unflätige Schuft“. Wild stampfte sie mit ihrem rechten hochhackigen
Stöcklischuh auf den Boden. Sie stampfte so fest, dass sich der hohe spitze
Absatz des Schuhes im weichen Lehmboden tief eingrub. „Rhhhhggghhh“,
ärgerte sie sich, denn sie konnte ihren Schuh nicht mehr rausziehen. Mit
beiden Händen versuchte sie ihr festsitzendes Bein zu befreien. Dabei fiel
sie aber nach vorne und zu allem Unglück ging ihr feines Gesichtchen auch
noch in einer braunen, schlammigen Pfütze baden – soo schrecklich. „Bääääh“,
schrie Sirapi, „bääääh“. Erst wie ihr zwei junge Indianermänner zu hilfe
eilten, gelang es, Sirapis eingeklemmtes Füsschen zu befreien.

Emilia lag in der Materialhütte weinend auf Panymas Knieen. „Ich will doch
das gar nicht“, schluchzte sie, “ich will doch gar nicht Königin werden und ich
will nicht die mächtigste Frau sein“. „Ist ja schon gut meine liebe Emilia“,
tröstete Panyma ihre Zauberschülerin. Iakunae kniete daneben und hielt eine
Hand auf Emilias Schulter. Inzwischen hatten auch Häuptling Avanene und
Silvia die Materialhütte betreten. Avanene schaute mit sorgenvoller Mine
auf Emilia hinunter.

Emilia weinte weiter: „ich möchte den Mann meines Herzens heiraten, der
Mann, mit dem ich am besten auskomme, mit dem ich am meisten
unternehmen kann. Mein Liebster, bei dem ich mich rundum wohl fühle, mit
dem ich stundenlang träumen kann und mit dem ich all das schöne auf dieser
Welt gemeinsam erleben kann. So wie Kevin und Kwarahi, die immer
zusammen sind und die glücklichsten Freuden miteinander teilen, die
untereinander die besten Freunde sind, so will ich das auch“. „Oh meine liebe
Tochter“, tröstete Silvia ihr Kind, „du und Königin? Das kann ich mir auch
nicht vorstellen“. „Ja“, rümpfte Emilia die Nase, um eine Träne hochzuziehen
„in einem grossen Reich, wo alle Leute dreinreden und um ihre Macht
kämpfen, gefällt es mir nicht. Da kann einer noch so hübsch sein, und noch so
mächtig oder reich“. Emilia schwieg einen Augenblick. Silvia hielt ihren Arm
um Emilia und streichte durch ihr Haar. So sprach Emilia weiter: „In meiner
eigenen kleinen Welt, die ich mit meinen liebsten Menschen zusammen selber
einrichte, will ich glücklich sein. Ich will zusammen mit einem lieben Mann
leben, bei dem ich mich in dunkler kalter Nacht warm einkuschlen kann und
mit dem zusammen, so Gott will, uns viele viele viele Kinder geschenkt
werden. So will ich leben und nicht als mächtigste Frau eines Königs, der sich
ein ganzes Harem an Frauen hält“.
„Hab keine Angst Emilia“, sprach Panyma zu Emilia, „du bist meine
Zauberschülerin und die Zauberschülerin des alten Schamanen. Bevor du so
etwas tun musst, werden wir all unsere Kräfte für dich einsetzen. Siehst du
das Amulett, das du um deinen Hals trägst? Das Amulett, das dir der alte
Schamane einmal geschenkt hat? Die Gesetze des Urwaldzaubers lassen es
nie und nimmer zu, dass jemand, der dieses Amulett trägt, gegen seinen
Willen an irgendjemand vergeben wird. Hab Mut Emilia, so etwas kann bei
allem Zauber des Urwaldes gar nicht geschehen“.

„Ich werde mal mit Parwaa sprechen“, erklärte sich Avanene bereit, „da muss
sich doch was machen lassen“. „Meint ihr?“, fragte Emilia erleichtert. „Ja“,
erklärte Avanene, „ganz bestimmt“. Avanene nickte zuversichtlich. Dann,
nach einer kurzen Pause, sprach er aber erneut zu Emila: „Doch du könntest
uns allen einen grossen Gefallen tun. Es ist Sitte, dass jetzt die schönsten
Frauen des Dorfes geschmückt werden und dem Stellvertreter des Königs
präsentiert werden, sodass dieser dem König erzählen kann, wie besonders
schön die Frauen in unserem Dorf sind. Emilia, bitte mach doch da mit, denn
sonst wird Parwaa beleidigt sein. Aber du kannst beruhigt sein. Es ist selten
der Fall, dass später der König eine von diesen Frauen auswählt. Meistens
kommt es dann doch ganz anders“.

Iakunae verzog einen spitzen Küssemund in ihrem Gesicht. „Oh komm Emilia,
denen zeigen wir es mal gehörig“, heitzte Iakunae ihre Freundin an,
„verkleiden, schminken und sich schön machen ist doch so lustig“. Begeistert
hüpfte Iakunae im Kreis herum. „Komm wir machen eine super schöne Emilia
aus dir“, freute sich Iakunae, „tausend mal schöner wie diese doofe Sirapi, hi
hi hi“. Und schon begannen die zwei Mädchen zu fantasieren, welches Kostüm
und welcher Schmuck wohl am passendsten wären. „Oh ja“, kam langsam auch
Emilia ins Schwärmen, „komm Iakunae, jetzt verkleiden wir zwei uns mal ganz

toll “. „ ja komm meine süsse Schönheit“,


ahmte Iakunae Sirapis hochnäsige Stimme nach, „ du bist doch
die bezauberndste Tussi hier“.
Silivia half den beiden Mädchen beim Schminken und Verkleiden. „Emilia, wir
sollten dich ganz natürlich herrichten“ schlug Silvia vor, „Das sieht nämlich
viel schöner aus, wie diese tussihaften Aufmachungen. Schau mal dieses
schöne Seidengewand habe ich in meinem Reisesack gefunden. Dein Vater hat
es mir damals in Porto geschenkt. Es wird dir bestimmt ausgezeichnet
stehen“. So war aus Emilia im nu eine junge Dame geworden, eine junge
Frau, die natürlich, gesund und jugendlich aussah. „Wie wärs mit diesem
hübschen Haarschmuck aus rosa Koralle“, schlug Iakunae vor. „Oh ja“, freute
sich Emilia, „jetzt fehlt nur noch etwas um den Hals“. Panyma nickte. „Das
muss aber etwas spezielles sein“, überlegte sich Panyma, „lass uns doch mal
Avara fragen, ob er uns etwas ausleihen kann“. „Boah“, staunte Iakunae, „ja,
etwas zum Umhängen aus der fernen Zukunft“. Eilends holte Iakunae den
magischen Spiegel, legte ihn vor Emilia und die Zauberei begann.

9-3

„Avara, Avara“, rief Emilia in den leuchtenden magischen Spiegel, doch nichts
tat sich. „Panyma, meinst du er hört uns?“, fragte Iakunae. Panyma kniete am
Boden und hielt die geöffneten flachen Hände an ihre Stirne. „Ja ich glaube
schon“, antwortete Panyma zögernd, „so wie ich es fühlen kann, sitzt er jetzt
in der Zukunft vor seinem Bildschirm Zauberspiegel. Aber der empfang ist
nicht gut. Emilia, gib acht, wenn ich etwas vom Zauberpfefferkraut über die
Glut schiebe um den Empfang schärfer zu machen, so musst du schnell
handeln. Ich habe nicht mehr viel Zauberpfefferkraut. Es ist mein aller-
aller-letztes, mehr war im Urwald nicht zu finden. Die Verbindung wird nur
kurz dauern“.

„Hallo, Indianer“, rief auch schon Avara durch Emilias Zauberspiegel, „schön
von euch zu hören. Bei uns ist heute Carneval. Vor meinem Haus spielen sie
den Nüsslertanz. könnt ihr das hören?“. Leise Rhythmen klangen durch die
magische Silberscheibe. „Oh ja“, schwärmte Emilia, „schön, ich kann es
hören. Das tönt ja fast gleich, wie die Trommler in Porto auch gespielt
haben“. „So ist es“, freute esich Avara, „Carneval ist eine Tradition bei uns,
die über all die Jahrhunderte fast gleich geblieben ist. Ausser was alles neu
dazukam. Du solltest das einmal sehen Emilia. Emilia, was meinst du? Kannst
du nicht mal durch den Spiegel zu mir kommen?“. Panyma schüttelte den
Kopf. „Nicht jetzt“, wandte Panyma energisch ein und winkte Emilia mit der
Hand ab, „wir wissen ja nicht einmal ob das überhaupt möglich ist. Vielleicht
später einmal. Mach vorwärts, es eilt“.
„Avara, kannst du mir nicht eine schöne Halskette aus deiner Zeit
ausleihen?“, bat Emilia, „du mussst aber schnell machen. Ich kann nicht lange
mit dir reden. Nimm was du gerade hast. Mach schnell, bitte“. Das brachte
Avara auf eine Idee, denn er war gerade damit beschäftigt, mit seinem
Mp3Player, den er um seinen Hals trug, Musik zu hören. „Ja Emilia ich hab dir
was“, sprach Avara begeistert, „es ist sogar ein kleines Perpetuum Mobile,
wie du dem sagen würdest, und du wolltest ja schon lange mal eines aus
meiner Zeit sehen. Es kann gesprochene Töne aufnehmen und dann wieder
abspielen. Wenn du den roten Knopf drückst, so kannst du drein reden und
wenn du anschliessend den silbrigen Knopf dückst, so kannst du die zwei
kleinen schwarzen Perlen in deine Ohren nehmen und du wirst die
aufgenommenen Töne wieder hören“. Emilia riss Mund und Augen auf. „Boah
was?“, staunte sie, „das glaube ich nicht. Das gibt’s doch gar nicht“. Aber
schon stiegen die eigenartigsten Schnüre, Bänder und das fremdeste
Glitzerding, das Emilia in ihrem ganzen Leben jemals gesehen hatte, aus dem
magischen Spiegel empor. „Ich bin froh, wenn du mir es zurückgeben kannst“,
hörte Emilia Avaras Stimme,“das Ding kostet nämlich viel. Versuch doch ein
paar Töne aus deiner Welt aufzunehmen und mir später zurückzuschicken“.
„Ja werde ich machen“, antwortete Emilia begeistert.

„Kosten hat er gesagt? “, fragte Iakunae in ihrer neugierigen Art, „ Habe ich
das richtig gehört? Was meint er mit ‚kosten’? Meint er ich soll von dem
Ding da kosten?“. „Hm“, stöhnte Emilia, „ich erklärs dir später einmal“.
Iakunae, das neugierige Mädchen hatte es gar nicht gerne, wenn ihr jemand
etwas erst später erklären wollte und nicht sogleich. „Kosten?“, fragte sie
nochmals, „Kosten tue ich doch sonst von der feinen Suppe die meine Mami
kocht“. Und schon hielt Iakunae den Mp3player in ihrer Hand und leckte ihn
mit ihrer Zunge ab. „Bääh“, entsetzte sich Iakunae, „schmeckt aber gar nicht
gut“. „Doch nicht so kosten“, lachte Emilia, „kosten ist halt, wenn man für
etwas Geld zahlen muss“. „Ahh?“, staunte Iakunae mit Zweifel in ihrem
Gesicht, denn Emilas Worte konnte sie nicht so ganz verstehen. Als junges
Indianermädchen war sie zeit ihres Lebens nie weit über ihr Indianerdorf
hinausgekommen und wusste natürlich nichts davon, wie die Güter in der
fernen Welt, auf der anderen Seite des Grossen Wassers gehandelt wurden.

Iakunae stand auf und ging ein paar Schritte. Sie verzog ein ausgesprochen
trauriges Gesicht. „Ich will auch etwas“, sprach sie enttäuscht vor sich hin,
„will auch etwas“. Doch Panyma und Emilia hörten ihr nicht zu. Gespannt
folgten sie den Anweisungen Avaras, wie das fremde Ding zu bedienen sei.
Emilia kam aus dem Staunen nicht heraus und Panyma schüttelte ungläubig
den Kopf über den Erfindungen aus der Welt Avaras.

Iakunae war traurig, dass nur Emilia etwas von Avara bekommen hatte und
sie nicht. „Möchte auch etwas“, murmelte Iakunae nochmals mit verzogener,
trauriger Grimasse. Doch Emilia und Panyma blickten nur ganz kurz zu ihr,
ohne sich mit Iakunae im geringsten abzugeben. Sie hielten ungeduldig den
Finger vor den Mund um Iakunae ein Zeichen zu geben gaben Iakunae, sie soll
jetzt ruhig sein und unterhielten sich weiter mit Avara. Iakunae gefiel es
gar nicht, dass niemand ihr antwortete. Da sah sie vor sich eine kleine
Schaukel, die an zwei Seilen am obersten Balken der Materialhütte befestigt
war. Iakunae wusste genau, dass Emilia es gar nicht leiden konnte, wenn sie
während dem Zaubern da drauf ging. Aber jetzt, wo sie traurig war, weil sie
nichts bekommen hatte, war es ihr grad recht, wenn sie die anderen ein
wenig ärgern konnte.

Emilia blickte ungeduldig zu Iakunae. „Musst du ausgerechnet jetzt auf die


Schaukel?“, schimpfte sie. Panyma lächelte. „Lass doch gut sein“, meinte sie
zu Emilia, „wir sind ja ohnehin bald fertig und nachher kann Iakunae draussen
wieder etwas herumrennen“. Iakunae schaukelte traurig hin und her. Kein
tröstendes Wort vernahm sie von ihren Freundinnen, sie bekomme dann auch
etwas, kein einziges Wort. Doch zum Glück ist Schaukeln lässig, je höher
desto besser.

„Hör doch endlich auf zu schaukeln“, bat Emilia, „du weisst genau, dass
Kiripitti die Schaukel nur für die Babies und die ganz kleinen Kinder gemacht
hat. Nicht für so grosse Mädchen wie du. Wenn er dich sieht,kannst du was
erleben“. Doch Iakunae zeigte sich unbeeindruckt. „Tä dä dä dä“, motzte sie
und gab noch höher an.

Am schönsten war das Schaukeln doch, wenn die Füsse oben den Stoh des
Daches berührten. So konnte sich Iakunae zusätzlich abstossen und grad
noch etwas Stroh auf die anderen runterfallen lassen. „ätsch, Hi hi hi hi“,
kicherte sie vor sich hin. Das gefiel ihr. Emilia schüttelte den Kopf und
mochte nichts mehr sagen . Doch Panyma lächelte bloss ein wenig. Sie liess
sich von sowas nicht stören und hatte ihre Freude an der lebhaften Iakunae.
„Mach mit Avara vorwärts“, drängte Panyma, „das Pfefferkraut reicht nur
noch ganz kurze Zeit, dann habe ich keines mehr, mein allerletztes“.

Höher und höcher schaukelte Iakunae, so dass sie jedes mal voll in den Stroh
des Daches knallte. Die Schaukel quitschte und zischte und langsam
verdrehte es ihr die Schnüre. Emilia hatte da schon recht, als sie zu Iakunae
sagte, dass die Schaukel nur für ganz kleine Kinder gedacht sei. Doch
Iakunae kümmerte dies nichts und sie schaukelte weiter so hoch sie konnte.
Wenn sie die Beine vorne beim hochkommen fest anzog, dann konnte sie sich
nämlich am Dach so kräftig abstossen, dass beim Zurückschaukeln ihr Rücken
auf der anderen Seite weich im Stoh aufsetzte. Zwei, drei mal ging das auch
gut so, doch dann, „Kraaatsch“, riss das Seil am Sitzbalken der Schaukel und
Iakunae kam durch die Lüfte geflogen. „IIIIhhhh, Hilfe“, schrie das
fliegende Mädchen. Emilia erschrak, denn ihre Freundin kam direkt auf sie zu
geflogen. Blitzschnell hielt sie sich zum Schutz beide Arme vors Gesicht,
schloss die Augen und zog im letzten Moment kräftig den Kopf ein.

Eine ganze Weile sass Emilia so da, doch von Iakunaes aufprallen hörte sie
nichts – nicht das geringste - totenstill war es geblieben. Langsam öffnete
Emilia ihre Augen und blickte zu Panyma rüber. „Wo... wo ist sie?“, fragte
Emilia sichtlich verwirrt, „wo ist sie?“. Panyma aber brachte vorerst kein
Wort mehr über die Lippen. Mit weit geöffneten Augen zeigte sie mit dem
Zeigefinger auf den magischen Spiegel. „Da, da, da hindurch“, stammelte
Panyma flüsternd zu Emilia.

„Hilfe, hilfe, wäääh“, hörten Panyma und Emilia schliesslich Iakunae durch
den magischen Spiegel schreien. „Iakunae, wo bist du?“, fragte Panyma
besorgt. „In eine Hängematte gefallen“, kam verdattert die Antwort zurück,
„ich habe gar nicht gewusst, dass da hinter euch in der Materialhütte eine
Hängematte aufgespannt ist“. „Da ist auch keine Hängematte aufgespannt“,
antwortete Panyma, „und du bist auch nicht mehr bei uns. Du bist in den
magischen Spiegel gestürzt. Wo bist du denn jetzt, Iakunae?“. Einen Moment
lang blieb es still, dann kam die panische Antwort. „Ja, - Hilfe„, schrie
Iakunae entsetzt,“ ja, da sieht alles ganz anders aus hier. Hilfe, wo bin ich?
Panyma, ich hab Angst, ich will zurück, ich will zurück, ich will zurück“. „Zu
spät, bleib wo du bist“, befahl Panyma energisch, „das Pfefferkraut ist zu
ende. Absolut das allerletzte ist über der Glut. Wenn du nicht mehr
durchkommst und in der Mitte stecken bleibst, bist du für immer in der
unendlichen Ewigkeit der Zeit verloren. - Avara kannst du mich hören?“. „Ja“,
kam sofort Avaras Stimme zurück, „und da liegt ein kleines, fremdes
Indianermädchen neben mir in der Hängematte“. „Ah“, stammelte Emilia und
schüttelte verzweifelt den Kopf. „Krtschtschtsch“, kroste es noch kurz im
magischen Spiegel, dann verlor er sein Licht und der Empfang war zu Ende.

Eine Weile sassen Emilia und Panyma schweigend nebeneinander. „Verflixt


und zugenäht“, seufzte Panyma nach einiger Zeit, „das war absolut mein
letztes Pefferkraut. Mehr konnte ich im Urwald nicht finden. Das kann Tage
oder gar Wochen dauern, bis wir wieder etwas finden können, oder dann
neues Zauberpfefferkraut nachwächst“. „Na ja, wenigstens wissen wir wo
Iakunae ist“, versuchte Emilia ihre Zauberlehrerin zu trösten. Panyma nickte
nachdenklich. „Ja zum Glück wenigstens das“, fügte Panyma hinzu.

9-4

Draussen liefen die Vorbereitungen zur Schönheitsparade der jungen Frauen


auf Hochtouren. „Kommt jetzt, kommt jetzt, es ist soweit“, rief Avanene
durch das Tor der Materialhütte, „das Fest beginnt. Das ganze Dorf wartet
schon gespannt auf den Aufmarsch der Schönheiten“. Die Musik draussen
wurde lauter. Frauen, Kinder und Männer kreischten und jauchzten vor
Freude. Die ersten jungen Indianerfrauen betraten den Dorfplatz und
setzten sich auf die Holzbalken, die für die geschmückten Frauen
bereitgestellt waren. Die anderen Frauen, die an der Schönheitsparade
mitmachten, waren fast alle ein paar Jahre älter wie Emilia, doch nicht viel,
vielleicht drei oder vier Jahre, aber mehr nicht, denn es war bei den
Indianern üblich, dass die Frauen in jungen Jahren heirateten. „Oh sind die
schön“, staunten Emilia, Panyma und Silvia beim Verlassen der Materialhütte.
Die jungen Indianerfrauen waren mit Federn geschmückt und in allen Farben
am ganzen Körper bemalt. Sie trugen Kopfschmuck aus Blumen und hohen
Federn. „So schöne Indianerfrauen habe ich noch nie gesehen“, staunte
Emilia, „da muss ich mich mit meinem Seidenrock aus Porto ja geradzu
schämen“. „Nein, nein“, machte ihr Silvia Mut, „du wirst sehen, die Indianer
lieben europäische Kleider“.

Am Eingang zur Hütte, in der die Gesandten des Königs zu Gast waren, stand
eine elegante junge Frau. „Wer kommt denn da?“, erschrak Silvia, „was ist
denn das für ein hochgetakeltes Weibsbild?“. „Sirapi“, staunte Emilia. Sirapi
trug ein kurzes, zartrosa kleid, das ihr nur ganz knapp unter die Hüfte fiel.
Ihre dünnen Beine waren in freche Gitterstrümpfe gehüllt, verführerisch
sexy. „Ahh“, stöhnte sie leidenschaftlich, „welch schönes Fest“. Auf noble
Weise blies sie sich mit einem blauen Fächer ihr zärtlich blondiertes Haar
aus dem Gesicht. „Oh, wie schön von euch Indianermännern uns so liebevoll
zu erwarten“, grüsste sie die Dorfgemeinschaft mit einem Zwinckern in ihren
violetten Lidschatten, „ihr jungen Männer seht aber auch ganz verlockend
aus, Kompliment, Kompliment“. Ihre Lippen hatte Sirapi knallrot geschminkt,
dazu das passende Püderchen fürs Gesicht sowie rougierte Wangen,
Lidschatten und künstliche Wimpern. Und natürlich durfen lange, rote
Fingernägel nicht fehlen, sowie hohe Hakenschuhe und unzählige
Schmuckketten.

„Oh schön“, staunten die Männer des Dorfes. Die einen von ihnen staunten,
weil sie Sirapi wirklich schön fanden, die anderen, um Sirapi in ihrem Gehabe
zusätzlich zu provozieren. „wi u wiiii“, pfiffen ihr die Männer nach, sichtlich
erfreut ob dem seltenen Anblick.

Langsam, andächtig und mit liebevollem Blick setzt sich Sirapi vor den
Männern auf die eigens nur für sie hergebrachte Holzbank. „Echt rührend
von euch“, lobte sie die Männer, die sie so sehr bedienten. Mit glücklichem
Lächeln streckte sie ihre beiden Arme aus und bewegte zärtlich ihre Hände
und klimperte mit den unzähligen Ringen an ihren Fingern. Dazu spitzte sie
ihren knallroten Mund um Anzudeuten, dass die Männer jetzt ihre Hände
küssen durften. Ungläubig staunten die Männer auf die feinen Frauenhände.
Avanene blickte skeptisch zu der besonderen Schönheit. „Feines Häutchen,
sieh an, sieh an“, stänkerte er leise, „die hat aber auch noch nicht viel
gearbeitet in ihrem Leben“. Vorsichtig, aus sicherer Distanz, hatte er in der
hintersten Männerreihe Position bezogen.

Unbeachtet von der Menge nahm Emilia auf einer Bank gegenüber Platz.
Emilia war halb portugiesisch, halb nach Indianer Art gekleidet. Die bunten
Federn und Blumen auf ihrem Kopf passten vortrefflich zum weissen
Seidenkleid. Um ihren Hals trug sie das Amulett des alten Schamanen und
darüber den Mp3player, der eingeschaltet war. „Arme Emilia“, tröstete
Panyma ihre Freundin, „alle schauen nur zur hochgeschminkten Sirapi und
dich beachtet niemand“. Doch Emilia grinste nur. „Das ist mir doch egal“,
antwortete sie, „ich bin nicht darauf angewiesen von allen begafft zu werden.
Und noch ist die Schönheitskür nicht vorüber“.

Die Trommler des Dorfes machten ihre Runde. Sie spielten ihren Ipuvae
Maracatu vor jeder der gezierten Frauen einzeln und trugen die Frau herum,
der jeweils der Rhythmus galt. Wie Emilia auf dem Dorfplatz sass und dem
Geschehen zuschaute, da plötzlich vermisste sie ihre Freundin Iakunae.
Wenn doch jetzt nur die liebe Iakunae neben ihr sitzen würde und mit ihr ein
paar lustige Sprüche wechseln könnte.... eine kleine Träne floss über Emilias
Wange hinunter und Emilia wandte sich an Panyma, die neben ihr sass. „Das
nächste mal sollten wir Iakunae auch gleich was geben, wenn ich etwas
bekomme“, erklärte Emilia, „dann kann sowas nicht wieder vorkommen“.
Panyma legte ihren Arm um Emilia. „Ja natürlich und weißt du was?“,
versuchte sie ihre Schülerin zu trösten, „sobald das Fest hier vorbei ist,
gehen wir nach dem Zauberpfefferkraut suchen. Dann wissen wir hoffentlich
schon bald wie es ihr geht. Und Avara ist ja ein lieber Mensch, da wird es ihr
hoffentlich gut gehen“. Emila nickte tapfer und versuchte ein wenig zu
lächeln.

Da plötzlich stand ein junger Indianermann neben Emilia .„Oh Emilia, du


siehst schön aus“, staunte er begeistert, „so natürlich, lebendig und lieb. Du
gefällst mir viel tausend mal besser wie Sirapi. Da kann die noch so
geschminkt sein, ich ziehe ein einfaches Mädchen vor“. Das freute Emilia
natürlich. Wie sie die Worte hörte, strahlte sie über das ganze Gesicht.
„Schaut mal die schöne Halskette an, die Emilia trägt“, staunten immer mehr
Indianer, „das fremdartige Glitzerding, sieht aus wie das Zeugs der
Portugiesen“. „Schaut es euch ruhig an“, lud Emilia die Indianer ein, „es ist
eine kleine Zauberkiste“. „Was kannst du denn damit zaubern, ein feines
Frühstück vielleicht?“, fiel lachend die Frage in die Runde. „Nein, nein, kein
Frühstück“, grinste Emilia, „das Zauberding kann Töne in sich aufnehmen und
wenn ihr die zwei schwarzen Perlen da an eure Ohren haltet, so könnt ihr die
Töne wieder hören“. „Ohh“, staunten die Indianer. Jetzt gab es kein zurück
mehr. Einer nach dem andern wollte die Perlen an die Ohren halten und hören
was da raustönte. Doch die Indianer schüttelten nur ungläubig ihre Köpfe,
denn so richtig etwas vorstellen unter dem Zauberding konnten sie sich
nicht. Für sie war es einfach ein glitzriges Etwas, das da irgendwie aus zwei
Perlen Töne rausliess. Und alles was glitzerte war bei den Indianern
irgendwie zauberhaft. Aber über den Anblick Emilias waren sie hocherfreut.
„Schaut euch mal Emilia an, so frisch, hübsch und natürlich wie sie ist“,
wurde sie von allen Seiten gelobt.

Alle wollten Emilia und ihre geheimnisvolle Halskette bestaunen. Nur eine
Person, nämlich Sirapi, interessierte sich nicht im geringsten dafür. Sie
blickte unbeteiligt in die andere Richtung und sprach mit den wenigen
Männern, die bei ihr geblieben waren. Sirapi ignorierte Emilia und sie
ignorierte die Indianer, die um Emilia standen. „Ach dieses dumme Kind. Hat
einfach keine Manieren“, entsetzte sie sich.

„Essen, Essen ist fertig“, rief eine laute Stimme durch die Menge. Da
konnten noch so viele hübsche Frauen da sein und noch so viele
geheimnisvolle Dinge, wenn Essen angesagt war, drehten sich die Indianer
auf der Stelle und freuten sich auf die feinen Köstlichkeiten für den
hungrigen Magen. Am heutigen Festtag gab es Früchte in allen Formen und
Farben, dazu Grilladen und die feinsten Getränke. „Soll ich dir auch was
bringen?“, fragte Silvia Emilia. „Nein danke, lieb von dir“, antwortete Emilia,
„ich werde mir selber was holen. Es ist gut sich mal die Beine etwas zu
vertreten“. So stand Emilia auf und holte sich etwas. Den Mp3player liess sie
dabei für kurze Zeit auf der Bank liegen. Und das sollte verhängnisvoll sein,
wie sich schon bald zeigen wird. Während alle ihr Essen holten, schlich sich
Sirapi nämlich heimlich an und blitzschnell war das glitzrige Ding in ihre
Tasche verschwunden.

„Meine Halskette, wo ist meine Halskette?“, erschrak Emilia, die mit etwas
Essbarem in den Händen zurückkehrt, „wo ist sie? Hast du sie gesehen
Panyma?“. „Nein“, antwortete Panyma, „ich bin auch soeben erst
zurückgekehrt. Und da war sie schon nicht mehr da. Ich dachte du hättest
sie mitgenommen“. Die zwei Frauen begannen zu suchen. Ueberall suchen sie,
doch nirgends können sie die Minidisc Halskette finden. Mehr und mehr
Indianer standen bei Emilia und entsetzten sich ob dem plötzlichen
Verschwinden des Schmuckstückes, das ihnen so sehr gefallen hatte. „Wenn
du sagst, das Ding kann zaubern, dann wird es sich wohl selbst weggezaubert
haben“, gab ein Indianer zu bedenken, „sowas kann vorkommen“. „Kann schon
sein“, meinte ein anderer „zuerst ist so zeugs glitzrig, und wenn es immer
noch glitzriger und noch glitzriger wird, dann verschwindet es plötzlich“.
Emilia schüttelte verzweifelt den Kopf. Aber sie wusste, die Indianer hatten
halt ihre eigene Logik, unerklärliche Phanomene zu erklären. Die Indianer
trösteten Emilia. Doch Emilia war der Verlust nirgends recht, denn sie sollte
die Halskette ja Avara zurückgeben. Panyma versuchte Emilia zu beruhigen.
„Wir werden es Avara irgendwie erklären müssen“, meinte sie, „und wenn wir
es nicht mehr finden können, werden wir ihm halt was anderes schenken“. So
ging die Sucherei weiter. Das ganze Dorf half mit. Doch Emilias schöner
Halsschmuck blieb unauffindbar.

Dann plötzlich, „piep ... piep ... piep ... piep ... “, taucht ein fremdes Geräusch
auf, das die Indianer noch nie zuvor gehört hatten. „Ist da irgendwo ein
Kücken versteckt?“, fragte ein kleines Indianermädchen. „Komm bi bi bi,
komm bi bi bi“, rief Ojang Utan und versuchte eifrig das Kücken anzulocken.
„Nein Ojang Utan, das ist kein Kücken“, lächelte Emilia, „ein Kücken hat nicht
so eine doofe Stimme. Ein Kücken tönt ganz anders“. Die Indianer schauten
sich um. Da aus Sirapis Richtung schien das Geräusch herzukommen. „Hast du
dir etwa piepsende Unterhosen angezogen, Sirapi?“, fragte Silvia
eindringlich, denn sie hatte einen Verdacht geschöpft. „Da in der
Handtasche, hört mal“, stellte Emilia fest, „Sirapi, was hast du dort in deiner
Tasche? Zeig das mal her“. Sirapi konnte nun nicht mehr ausweichen. „Weiss
ich, was das ist, das diese Töne von sich gibt?“, sagte sie mit Unschuldsmine,
„die Tasche ist die ganze Zeit hier gelegen. Ich hab sie die ganze Zeit nie
berührt“. Bevor Sirapi den Satz fertig gesprochen hatte, zog Emilia auch
schon Avaras Mp3player aus Sirapis Tasche. Sie schaute das glitzrige Ding
genau an und erschrak. „Kapputt, jetzt ist es kaputt. Du hast es kapputt
gemacht, Sirapi“, entsetzte sich Emilia, „es geht ja gar nicht mehr und da
steht so etwas komisches drauf geschrieben - ‚battery low’, steht da drauf“.
Emilia schüttelte das eigenartige Ding und klopfte sanft drauf. „So ein
dummes Perpetuum Mobile“, seufzte sie, „das geht ja noch schlechter wie
Kimmy Klopf seins“.

Schliesslich blickte Emilia wütend zu Siprai. „Sirapi“, schimpfte Emilia,


„Sirapi, schäme dich... du hast es gesto..“. Doch mitten im Satz, den Emilia
sprechen wollte, unterbrach Sirapi lautstark. „Die ganze Zeit war die Tasche
hier“, stammelte Sirapi wütend mit zittriger Stimme, „und ich hab sie nie
berührt, du dumme Göre, halts maul, das blöde Pieps Ding muss in meine
Tasche gefallen sein oder jemand hat es, um mich zu beschuldigen, da rein
getan. Du dumme Emilia pass doch gefälligst besser auf dein Zeugs auf“.

Emilia gab sich mit dieser Antwort nicht zufrieden. Sie wurde wütend. „Du
doofe Tussi“, schrie Emilia Sirapi an, „du hochgetakeltes Weib. Mach doch
was du willst. Von mir aus kannst du deinen Prinzen behalten. Heirat doch
Konyan Bebe wenn du unbedingt willst. Ich will ihn nämlich nicht. Ich will
nicht die höchste Frau sein wie du, sondern glücklich und zufrieden. Aber du
weißt ja gar nicht was das ist“. „Päh, ungezogenes Kind“, entgegnete Sirapi
hochnäsig, „jetzt auch noch den hohen Prinzern beleidigen. So jemand wie
dich will der Prinz ganz bestimmt nicht. Und jetzt behauptest du noch
solchen Unsinn über mich“.

Tief erschrocken blickte Parwaa zu Emilia. „Was, du willst Konyan Bebe


nicht?“, fragte er ungläubig. „Nein“, heulte Emilia lautstark, „ich will keinen
Prinzen. Ich will frei sein. Zuerst wollte ich es anstandshalber nicht sofort
sagen, aber jetzt wo mich diese Sirapi so wütend gemacht hat, ist es mir
rausgerutscht“. „Was du willst Konyan Bebe nicht?“, wiederholte Parwaa
ungläubig und krazte sich am Kinn. Eine Weile sagt Parwaa nichts, doch dann
verzog er ein freundliches Gesicht. „Hab ichs mir doch gleich gedacht, dass
du den Prinzen nicht willst“, sprach Parwaa, „na ja, wenn das so ist, dann
werde ich Konyan Bebe mitteilen, dass das nicht geht“. Parwaa blickte zu
seinen zwei Beratern. Diese zuckten die Schultern und schüttelten
verständnislos ihre Kopf. „Ich sag ihm, du seist schon einem Portugiesischen
König versprochen“, sprach Parwaa weiter, „sowas kann er am besten
verstehen“. Nun lachten die zwei Berater. „Der Portugiesische König werde
dann zum Dank mit dem nächsten Schiff für Konyan Bebe eine Portugiesische
Prinzessin vorbeischicken. Den Rest können wir dann schon irgendwie regeln“.
„Ha, ha ha ha“, fielen die zwei Berater in ein lautes Gelächter. „Aber das
stimmt doch gar nicht“, entgegenete Emilia, „ihr könnt doch nicht einfach
euren König anlügen“. „Macht nichts, macht nichts“, beruhigte Parwaa Emilia
mit winkender Hand, „der König glaubt es sowieso nicht. Weißt du Emilia,
sowas erklären wir jeweils auf diese Weise dem König, dann ist er wenigstens
nicht beleidigt und bewahrt sein Gesicht. Und später sagen wir dann, ha ha
ha ha“, witzelte Parwaa weiter, „später sagen wir dann, das Schiff mit der
portugiesischen Frau sei halt auf dem Grossen Wasser irgendwie und
irgendwo schnell untergegangen, ha, ha ,ha ,ha“. Die zwei Berater nickten und
schüttelten sich vor Lachen. Sirapi atmete tief durch und lachte auf den
Stockzähnen. Das freute sie natürlich ungemein. Ihre grösste Widersacherin
war ausgeschaltet. Erhobenen Hauptes stolzierte sie wieder über den
Dorfplatz.
Häuptling Avanene stand neben Parwaa und guckte Sirapi hinterher. „Sirapi
freut sich, läuft wieder hochnäsig einher“, sprach Avanene zu Parwaa, „jetzt
wird ja wohl sie Konyan Bebes erste Frau werden“, „Ach was“, winkte Parwaa
ab, „nicht doch Sirapi. Sie wird seine vierte Frau werden, das ist jetzt schon
bestimmt. Nein, nein, eine Frau wie Sirapi, so ein Schönheitstüpfchen können
wir nicht als erste Frau des Königs brauchen, als mächtigste Frau im Land.
Das gäb schnell ein heilloses Durcheinander im ganzen Indianerland. Nein,
nein, da brauchen wir eine Frau mit Köpfchen, eine intelligente Frau, die klar
denken kann“.

Bis zum Abend hatten die Gesandten des Königs das Dorf verlassen, denn sie
mussten dringend weiter ins Nachbardorf Mambukabe, wo sie schon
erwartet wurden. In Mambukabe werden sie mehr oder weniger das gleiche
erzählen wie in Uwattibi, und wieder werden sie aufs beste mit allen
Köstlichkeiten bedient werden.

„Ach bin ich froh ist diese Heirats Tortur vorüber“, stöhnte Emilia
erleichtert zu Panyma und Silvia, die neben ihr auf dem Dorfplatz sassen und
den schönen einnachtenden Abend genossen. Panyma und Silvia grinsten. Sie
sagen nichts, aber sie nahmen Emilia in ihre Mitte und umarmten sie.
Kapitel 10 Rückkehr nach Hause

Thiago ärgerte sich, der Aermste, nichts wie Streitereien mit seiner
Schwester. Juanita wollte ihm das schöne Murmelspiel aus Holz nicht
geben. „Du kannst mir nicht immer alles wegnehmen, wenn ich mit
etwas spiele“, versuchte Juanita zu erklären, doch ihr kleiner Bruder
verstand das nicht. „Mumel pielen, Thiago mumel pielen“, reklamierte
er, aber seine Schwester sass da, hielt das Murmelspiel fest in beiden
Händen und war vom Spiel nicht wegzubringen. „Nur noch drei
Holzstäbe, Thiago“, schwärmte sie begeistert, „dann bin ich eine Reihe
weiter. So weit bist du noch nie gekommen“.

Juanita sass auf einem Stuhl und spielte auf dem Tisch. Also wäre es
für Thiago am einfachsten, wenn er auf den Tisch hochkletterte, weil
dann könnte er seiner Schwester das Spiel wegnehmen. Doch weit
gefehlt. Kaum war Thiago auf dem Tisch oben angekommen, stand
Juanita auf, nahm den Stuhl, setzte sich zwei Meter entfernt hin und
spielte gemütlich weiter. „Jetzt, jetzt, der letzte“, kreischte Juanita,
„ich habs geschafft, juhuu“.

Thiago holte einen Stuhl und schob ihn neben seine Schwester. Doch
ein weiters mal stand Juanita bloss auf, ohne Thiago weiter
wahrzunehmen, und setzte sich rüber in den Schaukelstuhl. „Die obere
Reihe ist lässig. Buah das geht recht ab“, ereiferte sich Juanita. „Mhh,
blöde Swester“, entsetzte sich Thiago und stampfte auf den Boden.
Nun wollte er hinten auf den Schaukelstuhl steigen, denn das hatte
seine Schwester gar nicht gerne. Doch wieder stand Juanita auf, ohne
ihren Bruder zu beachten und Thiago schaukelte alleine hinten am
Stuhl. „Ich habs, ich habs geschafft, die oberste Reihe, alle weg“,
freute sich Juanita. Das riss Thiago den letzten Nerv aus. Bei einer so
blöden Schwester wollte er nicht mehr länger bleiben, sondern
fortgehen.
Er holte sich sein altes Serviertablett, mit dem er jeweils magischen
Spiegel spielte, stellte es auf den Boden vor der Veranda und machte
sich bereit, auf den Spiegel runterzuspringen. „Dumme Swestel“,
schimpfte er, „Thiago gehen folt. Avala gehen. Avala lieb, geben feine
Slecki. Tsüss, Thiago komme nicht wiedel. Nimmel wiedelsehen“.
Juanita grinste zu ihrem Bruder. Thiago sprang runter, landete auf
dem Spiegel, aber zu dumm, er verschwand nicht. „Du hast vergessen
Zauberkraut auf den Spiegel zu legen“, erinnerte ihn seine Schwester,
„und dann musst du dich auf dem magischen Spiegel zusammenkauern,
sonst geht das nicht“.

Thiago holte ein Büschel Gras und warf es auf den Spiegel. „simsala
bim, hokus bokus“, zauberte er, sprang auf den Spiegel und kauerte
sich zusammen. Juanita aber hatte inzwischen ein dickes grosses
Tischtuch in ihre Hände genommen, und das warf sie jetzt über ihren
Bruder, sodass der Kleine vollständig bedeckt dalag. „Hilfe, hilfe“,
fürchtete sich Thiago in der Dunkelheit, „wo sein, wo sein?“. Juanita
rief ihrem Bruder mit ferner Stimme: „Wo ist denn Thiago hin? Der
ist ja gar nicht mehr da“. Darauf wechselte sie die Stimme zu einer
krächzenden Männerstimme. „Hallo, hier spricht Avara“, gab sie zum
besten, „da ist ja ein Junge neben mir. Was, schon wieder jemand?
Puoh“. „hilpe, hilpe“, erschrak Thiago, „nicht wollen folt, Hilpe, hilpe“.
Blitzschnell rannte er unter dem Tuch hervor.

„Ah bist du zurückgerannt, kleiner Bruder?“, begrüsste ihn Juanita,


„Hat es dir bei Avara nicht gefallen?“. Thiago aber schaute skeptisch
zu Juanita. Alles glaubte er seiner listigen Schwester nun auch wieder
nicht, so leicht liess er sich nicht mehr reinlegen. Doch spielte es ihm
auch gar keine grosse Rolle mehr, denn da vor ihm, auf der Veranda, da
lag das Murmelspiel. Thiago stürzte sich drauf, nahm es und spielte
damit.
„Weißt du was Thiago?“, schlug Juanita vor, „ich geh jetzt rein und
hole uns ein paar feine Früchte“. „Oh lieb Swestel, oh lieb Swestel“,
freute sich Thiago und hatte seinen Aerger vergessen.

Emilia schaute den Kindern zu. „So schnell ist damals Iakunae nicht
zurückgekehrt. Das dauerte eine ganze Weile“, begann sie zu erzählen.
Sie suchte auf dem Pergament und las den Kindern vor.

In den kommenden Tagen verbrachten Emilia und Panyma viel Zeit im


Urwald. Etliche Tage schon hatten sie vergeblich nach dem
Zauberpfefferkraut gesucht. Dennoch, Emilia gefiel es, mit Panyma
unterwegs zu sein und sie lernte vieles von ihr, doch wurde sie langsam
ungeduldig, weil sie so viele Tage das gesuchte Kraut nicht gefunden
hatten. „Ich habe Angst um meine liebe Freundin Iakunae“, gestand
Emilia mit leiser Stimme ein, „meinst du wir finden noch etwas
Zauberpfefferkraut?“. „Das braucht halt Geduld“, machte Panyma
ihrer Schülerin Mut, „am besten wächst es bei Neumond. Das dauert
jetzt zwar noch drei Wochen, aber du wirst sehen, in der finsterer,
dunkler und mondlosen Nacht werden wir es finden“. „Wenn du meinst,
um so besser“, fühlte sich Emilia auch gleich sichtlich erleichtert. Von
Tag zu Tag war während der Nacht vom Mond weniger zu sehen, und
dann, tatsächlich, nach langer Zeit des Wartens, wie vom Mond gar
nichts mehr zu sehen war, fanden die zwei Zauberinnen in der dunklen
Nacht ein leuchtendes Kraut. „Hurra“, freute sich Emilia, „endlich, das
Zauberpfefferkraut“.

Am nächsten Tag hatten sich Emilia und Panyma in der Materialhütte


zum Zaubern eingefunden. „Avara, Avara“, rief Emilia in den magischen
Spiegel, „hier, dein Perpetuum Mobile, ich geb es dir zurück“. „Hallo
Emilia, freut mich“, tönte es auch gleich zurück“. „Dein Perpetuum
Mobile, es ist aber kaputt gegangen“, versuchte Emilia sich zu
entschuldigen, “zuerst hat es wie blöd gepiepst und es stand sowas
komisches drauf geschrieben wie ‚bateeri loow’, und jetzt geht
überhaupt nichts mehr“. „Halb so schlimm“, lachte Avara vergnügt,
„der Strom ist ihm ausgegangen, das haben wir gleich wieder“. Emilia
und Panyma legen den Mp3player auf den magischen Spiegel und
schauten sich ratlos an, denn Avaras Worte konnten die zwei Frauen
nicht verstehen. Einen Moment später meldete sich Avara wieder. „Oh
schön, die Melodie die drauf gespielt ist“, freute er sich , „jetzt ist es
mir sogar gelungen, euer Ipuvae Maracatu für die Nachwelt zu
erhalten“. „Wie geht es Iakunae?“, fragte Emilia ungeduldig, „wir
haben jetzt genug Zauberkraut, dass sie es wagen kann in den Spiegel
zu steigen und zu uns zurückzukehren“. „Ah Iakunae“, freute sich
Avara, „die ist mit meinen zwei Kindern Skifahren gegangen. Das kann
sie inzwischen schon ganz gut. Und nächste Woche möchte sie
nochmals an den Karneval gehen im Dorf unten“. Emilia und Panyma
staunten sich gegenseitig an. Eine solche Antwort hätten sie nie und
nimmer erwartet.

„Dann gefällt es ihr anscheinend bei euch?“, wunderte sich Emilia. „Ja
sie hat sich gut eingelebt“, erklärte Avara, „obwohl, am Anfang war es
nicht einfach mit ihr. Zwei, dreimal mal musste ich ihr schon deutlich
erklären, was sie tun darf und was nicht. Aber dann gings gut“. Emilia
blickte mit zweifelndem Gesicht in den magischen Spiegel. „Ihr
deutlich erkären, sagst du?“, fragte sie mit skeptischer Stimme,“das
kann ich mir ja lebhaft vorstellen. Hier im Indianerdorf ist sie auf
jeden Fall bekannt als das grösste Lausemädchen weit und breit“. „Ja,
ja schon“, gab Avara zum besten, „aber ihre Erlebnisse kann sie euch
ja dann selber erzählen. Am besten ist es, wenn ihr in acht Tagen
wieder Kontakt mit uns aufnehmt. Ich werde schauen, dass sie hier
sein wird und dann kann sie auch gleich zu euch zurückkehren“. Noch
eine Weile sprachen Emilia und Panyma mit Avara, doch schon bald war
der Zauber zu ende. Emilia hatte eine riesige Freude, dass es ihrer
Freundin Iakunae in der fernen Welt so gut ging.

Draussen dunkelte langsam die Nacht ein. Idyllisch schön war dieser
Abend. Doch da plötzlich, niemand hätte es erwartet, drangen Schreie
durch den dichten Urwald ins Dorf der Indianer. „Habt ihr das
gehört?“, erschrak Avanene. Kaum hatte er die Worte zu Ende
gesprochen, rannten die ersten Indianer mit Pfeil und Bogen an den
Steckenhag um das Dorf herum, bereit, das Dorf bis aufs letzte gegen
Gefahren zu verteidigen. Immer wieder ertönten neue Rufe. „Das war
Wayganna Sprache. Weit weg im Norden reden die Indianer so. Wer
kann das nur sein?“, rätselte Avanene. „Und jetzt wieder Carios
Sprache und Karaya Sprache“, entsetzte sich Ahatukka. „Nein und
jetzt sogar noch guarani, die Sprache des Amazonas hoch oben im
Norden“, staunte Avanene und verstand die Welt nicht mehr.

So rätselten die Indianer eine Zeit lang, was für fremde Gesellen wohl
auf das Dorf zumarschiert kamen und sich einen Spass daraus
machten, in fremden Sprachen ins Dorf hinein zu schreien. Da
plötzlich stand ein junger Mann im Dorfeingang. Emilia rannte drauf
los, wie sie erkannte, wer es war. „Kevin, Kevin, Kevin“, rief Emilia
freudig, „mein lieber Bruder Kevin“.

Nach einer langen Reise durchs ganze Indianerland, nach einer Reise
die länger wie neun Monde gedauert hatte, waren die jungen Indianer
alle wohlbehalten nach Uwattibi zurückgekehrt. Lange standen Emilia,
Kevin, Silvia und Kwarahi beisammen und umarmten sich. „Kevin, mein
lieber Bruder“, freute sich Emilia mit Tränen in den Augen, „habe ich
dich vermisst. Und jetzt bist du wieder da. Ich kann es kaum fassen“.

Emilia war überglücklich an diesem Abend. Sie wusste jetzt, dass es


ihrer Freundin Iakunae gut ging und sie bald wieder da sein würde und
ihr Bruder, den sie die ganze Zeit so sehr vermisst hatte, war endlich
zurückgekehrt. Ja und auch ihre Freundin Kwarahi war wieder im Dorf.
Da gab es viel zu erzählen bis weit in die Nacht hinein. Zu später
Stunde schliesslich gähnte Kwarahi und Kevin war froh, als er seine
Freundin endlich fragen durfte, ob sie müde ist. „Oh ja Kevin“, gestand
Kwarahi ein, „und ob ich müde bin. Wenn wir jetzt nicht gleich
schlafen gehen, kannst du mich bald nur noch hinein tragen. Komm lass
uns schlafen gehen, endlich wieder einmal in unseren eigenen
Hängematten. Weißt du wie schön das ist?“. Das brauchte Kwarahi
keine zwei mal zu sagen. „Ja komm“, freute sich Kevin, „lass uns
aufbrechen“. Ein Stück weit lief Emilia mit den beiden mit. Dann
verabschiedete sie sich. „Was?“ staunte Kevin , „schläfst du nicht
mehr bei uns in unserer Hütte, neben mir und Silvia?“. „Nein“,
antwortete Emilia stolz, „seit ich Zauberschülerin bin, schlafe ich bei
Panyma und Iakunae in der Materialhütte. Wir haben dort unseren
Platz, denn wir brauchen einen ruhigen Ecken. Da müssen wir auch
schlafen, denn wir müssen gut auf unsere Zauberkräuter aufpassen.
Viele sind selten und schwierig zu finden . Doch das allerschönste ist,
dass meine Tiere auch in der Materialhütte schlafen“. Emilia winkte
den zweien. „Schlaft gut, Gute Nacht“, wünschte sie zum Abschied.
„Schlaf gut“, erwiderte Kwarahi und verschwand mit Kevin Hand in
Hand in ihre Hütte.

Am anderen Morgen war Emilia schon früh auf und schlenderte auf
dem Dorfplatz umher. Die gestrigen Ereignisse wühlten in der Nacht
so stark in ihr, dass sie früh schon erwachte. Sie war aber nicht die
einzige, die schon auf dem Dorfplatz den Morgen genoss. Ojang Utan
kam des Weges und freute sich, seine liebe Emila anzutreffen. Doch
da liess Ojang Utan plötzlich seinen Kopf tief hängen. „Was hast du
denn, lieber Ojang Utan“, fragte Emilia besorgt. „Iakuane folt“,
stammelte der kleine Bube, „weit folt velswunden, Ojang Utan tlaulig,
bääääh“. Schliesslich brach der Kleine in Tränen aus. Emilia nahm ihren
Freund auf die Arme und setzte sich mit ihm auf die nahe Holzbank.
„Du brauchst nicht mehr lange warten, Ojang Utan“, tröstete sie den
kleinen Jungen zärtlich, „wie du sicher erfahren hast, konnten wir
letzte Woche mit Avara sprechen und schon übermorgen wird Iakunae
zurückkehren. Nur noch zweimal musst du schlafen, und dann wird dein
liebes Schwesterchen wieder bei uns sein“. „Twei mal?“, fragte Ojang
Utan zur Sicherheit und streckte Daumen und Zeigefinger seiner
rechten Hand in die Höhe. „Ja zwei mal schlafen“, munterte Emilia den
kleinen mit einem freudigen Lächeln auf, „dann ist sie wieder hier. Und
weil so viele Kinder nach Iakunae gefragt haben, hat Panyma
ausnahmsweise erlaubt, dass die Kinder und Iakunaes beste
erwachsene Freunde mit dabei sein dürfen, wenn sie zurückkehrt.
Schliesslich soll sie bei ihrer Ankunft als Ueberraschung freudvoll und
fröhlich von all ihren Freunden empfangen werden. Und da darfst du
natürlich auch dabei sein, mein kleiner Junge“. Ojang Utan hielt seinen
Kopf an Emilias Brust und blickte treuherzig wie ein Baby Emilia in die
Augen. Lange sassen sie so da, bis im Indianerdorf laute Stimmen die
letzten Faulpelze weckten. „Frühstück, Frühstück ist fertig“, riefen
die Indianerfrauen freudig. Da stand Ojang Utan blitzschnell auf und
machte sich auf in Richtung der fein duftenden, frischen
Maniokabrote.

Emilia genoss den Morgen zusammen mit Kwarahi. Schon gestern


hatten die zwei abgemacht sie wollten diesen morgen zusammen an
Kwarahis Lieblingsplatz spazieren. Kwarahis Lieblingsplatz war das
weite Meer und so befanden sie sich die zwei jungen Frauen nun auf
dem Weg dorthin. Nico und Filippo watschelten gemütlich hinterher.
Salzig duftender Wind wehte den beiden ins Gesicht und um die
nächste Biegung des Weges lag das blaue Meer vor ihnen. Freudig
atmete Kwarahi tief ein. „Oh das Meer“, schwärmte sie, „hörst du das
Rauschen des Meeres? Das Klirren der Muscheln, wenn die Wellen des
Wassers in den Sand schlagen? Ich könnte ewig hier stehen“. Emilia
kicherte. „Oh Kwarahi“, sprach sie fröhlich, „du bist ein romantisches
Mädchen. Komm lass uns am Strand entlanggehen“.

Nico hatte seine heitere Freude am Meer. Es gefiel ihm, wenn die zwei
Mädchen einen Holzstecken ins Wasser werfen. Fleissig und tapfer
holte er ihn gleich zurück und genoss es, wenn er zur Belohnung
liebevoll gestreichelt wurde. „Mhhh, mmhhh“, winselte er und freute
sich, wenn das Holz ein weiters mal weit ins Meer hinaus flog. Filippo
schaute aus sicherer Distanz skeptisch zu und konnte seinen Freund
Nico nicht vestehen, dass er wirklich da in dieses nasse Wasser
hineinsprang. Zwei, dreimal streckte Filippo vorsichtig seine Pfote aus
und versuchte mit seinen Krallen das Wasser der Wellen zu fangen,
doch kaum wurde sein Pfötchen nass, suchte er das Weite. So verging
die Zeit im Flug.

Emilia stieg auf einen Stein, hielt ihre Hände an die Stirne, sodass sie
nicht von der Sonne geblendet wurde und schaute hinaus in die endlose
Ferne des Meeres. Plötzlich erschrak sie. „Kwarahi, siehst du das
gelbe Licht weit im Meer draussen?“, fragte sie ihre Freundin. Kwarahi
drehte sich und schaute hinaus, ohne ein Wort zu sagen. „Dieses Licht
kommt von Ipupiara“, erklärte Emilia, „der Dämonin des Wassers. Sie
versucht an die Meeresoberfläche zu steigen und will die Indianer
vertreiben. Lass uns umkehren. Ich möchte mir nicht den heutigen
schönen Tag von dieser Dämonin verderben lassen“. Kwarahi erschrak
und lief schweigend neben Emilia den Weg zurück. „Ja es hat sich
vieles verändert im Indianerland während wir fort waren“, schluchzte
Kwarahi mit trauriger Stimme, „euch, die ihr immer hiergeblieben seid,
ist das vielleicht gar nicht so aufgefallen, aber wenn du lange fort
warst und dann plötzlich zurückkommst, hast du das eigenartige
Gefühl in dir, alles habe sich inzwischen verändert“. Eine Weile
überlegte Emilia. Dann wandte sie sich an ihre Freundin. „Aber es gibt
auch schöne Sachen, die haben sich nicht verändert“, sprach sie im
freundlichen Ton, „du bist immer noch meine liebe Freundin Kwarahi,
der gleiche Mensch wie zuvor, den ich so gut mag. Das ist ganz schön.
Und jetzt wo du mit Kevin zusammen bist, sind wir ja sozusagen
Schwestern, Juhuu, ich habe eine Schwester“. Kwarahi freute sich
über diese Worte. Hand in Hand liefen die zwei Mädchen zurück ins
Dorf.

10-2

Seit Menschengedenken gab es bei den Indianern von Uwattibi nicht


so viel zu erzählen wie in diesen Tagen. Da war der König, der im
Indianerland umherreiste, die schreckliche Gefahr, die das Land
bedrohte, wie der weise Ahatukka und Paygi vorhergesagt hatten.
Aber zu reden gaben auch die jungen Indianer, die vor einigen Tagen
ins Dorf zurückgekehrt waren und viel neues von fremden Oertern zu
berichten wussten, neues, das die Indianer noch nie gehört und nicht
gekannt. Oder da war Sirapi, die vielen jungen Männern des Dorfes
den Kopf verdreht hatte und für so manch böses Wort beleidigter,
eifersüchtiger Frauen sorgte. Dieses waren die Gespräche der
erwachsenen Indianer. Bei den Kindern aber gab es nur ein einziges
Thema, nämlich Iakunae, die übermorgen ins Dorf zurückkehren
werde. Wie es sich für einen solchen Empfang gehörte bastelten die
Kinder jetzt schon schönen Federschmuck und farbige geflochtene
Bänder, denn sie freuten sich, wenn Iakunae, das unterhaltsame
Lausemädchen wieder bei ihnen sein würde und es freute die Kinder
ganz besonders, dass Panyma ihnen erlaubt hatte, dabei zu sein, wenn
Iakunae ins Indianerland zurückkehren wird. Panyma und Emilia aber
verbrachten die Nachmittage im Urwald und suchten noch mehr
Zauberpfefferkraut. Jetzt kurz nach dem Neumond wurden sie da und
dort fündig.

Dann endlich war es soweit. Ojang Utan lief schon den ganzen Morgen
im Dorf herum. „Habe zwei mal geslaafen“, sagte er freudig zu Emilia,
„zweimal slaafed, heut Iakunae zulück, juhuu“. Dazu streckte er seinen
Daumen und Zeigefinger in die Höhe. Nach dem Mittagessen
schminkten und schmückten sich die Kinder aufs bunteste auf dem
Dorfplatz. Einige der Mütter halfen ihnen dabei und schminken sich
selber auch grad ein.

Schon seit einiger Zeit sassen Panyma und Emilia in der Materialhütte
und bereiteten ihren Zauber vor. Immer wieder blickten sie hinaus und
schauten, wie weit nun die Kinder mit ihren Vorbereitungen waren.
Nachdem alle Kinder fertig geschmückt waren und alle noch ein wenig
gespielt hatten, trat Emilia ans Tor der Materialhütte. „Ihr dürft
jetzt hereinkommen“, rief sie den Kindern entgegen. Es dauerte nicht
lange und die Kinder, begleitet von Iakunaes besten erwachsenen
Freunden, hatten sich in der Materialhütte im Halbkreis um Emilia und
Panyma eingefunden. Muxmäuschenstill warteten die Kinder neugierig
ab, was jetzt wohl geschehen würde.

Mit freundlichem Lächeln und einem leisen Nicken begrüsste Panyma


die Kinder. „Hallo ihr lieben Kinder“, sprach sie in ruhiger Stimme,
„schauen wir mal, ob es uns gelingt mit Iakunae zu sprechen und ob sie
zu uns zurück kehren wird“. Darauf gab sie Emilia einen Wink und
Emilia legte den magischen Spiegel frei, der in ein Baumwolltuch
gewickelt war.

„Oh schön“, staunten die Kinder im Flüsterton. „Gehört er dir


Emilia ?“, fragte ein Mädchen. „Die Geister der Unterwelt haben ihn
mir in die Hände gedrückt“, antwortete Emilia , „aber ob er mir
gehört? Ich weiss es nicht“. Panyma blickte zu Emilia. „Ich denke wir
werden ihn zurückgeben“, erklärte Panyma, „zu gegebener Zeit wird er
seinen Weg zu den Geistern der Unterwelt zurückfinden“. „Die Geister
der Unterwelt?“, fragte ein anderes Mädchen, „sind die denn nicht
ganz böse?“. „Einige schon„, erklärte Panyma, „aber mit denen wollen
wir möglichst nichts zu tun haben. Das ist von daher nicht viel anders
wie mit den Menschen“. Panyma blickte dem Mädchen in die weit
geöffneten Augen. „Oder möchtest du mit bösen Menschen etwas zu
tun haben?“, fragte Panyma mit einem feinen Lächeln. „Nein“,
antwortete das Mädchem entsetzt und schüttelte den Kopf. „Siehst
du“, fuhr Panyma mit freundlicher Stimme fort, „genau so ist es auch
beim Zaubern. Und nun liebe Kinder, lasst uns anfangen“.

Zur Einstimmung legte Panyma einige silbrige Farbzauberblätter auf


die Glut des Feuers. Sogleich glitzerten tausende farbiger Sterne in
der dunklen Hütte und spendeten ein buntes heimeliges Licht. Dazu
sang Panyma ein Lied. Emilia stimmte mit ein und legt ebenfalls
Farbzauberblätter auf die Glut. „Ohh, schön“, freuten sich die Kinder.
Kwarahi und Kevin staunten, was Emilia bei Panyma alles gelernt hatte.
Emilia, so dachten sie sich, ist ein wackeres und fleissiges Mädchen.

Die zwei Zauberinnen wollten weiter keine Zeit verlieren. Emilia


blickte tief in den magischen Spiegel und Panyma schob das erste
Zauberpfefferkraut über die Glut. „Avara, Iakunae“, sprach Emilia mit
lauter Stimme. „Hallo Emilia, Hallo Emilia“, freuten sich Avara und
Iakunae. „Iakunae, wie geht es dir?“, fraget Emilia vorsichtig. „Oh
gut“, tönte Iakunaes Stimme durch den Spiegel, „es hat mir gut
gefallen bei Avara und seinen zwei lieben Kindern. Aber jetzt, jetzt
möchte ich zu euch zurückkommen. Ich freue mich auf mein zuhause
und auf alle lieben Freunde im Dorf. –hmmm - Hat denn überhaupt
jemand bemerkt, dass ich nicht mehr da war, Emilia? Oder sind die
Indianer vielleicht sogar froh, wenn ich gar nicht mehr zurückkehren
würde, weil ich doch manchmal so ein Lausemädchen bin? Avara hat
gesagt, ich dürfe sonst schon noch hier bleiben, wenn ich wollte“.
Emilia hielt den Zeigefinger vor den Mund und gab den Kindern zu
verstehen, sie sollten ganz ruhig sein. „Ach nein“, antwortete Emilia,
„kehr doch zu uns zurück“. Dann sprach sie mit kalter Stimme weiter.
„Die anderen Indianer, na ja, du wirst schon sehen, ob sie bemerkt
haben, dass du fort warst. Und ob sie wollen, dass du wieder
zurückkommst, komm doch einfach mal, dann kannst du sie ja fragen“.
„Ja ich weiss“, sprach Iakunae mit trauriger Stimme, „ich bin halt
manchmal ein nerviges Lausemädchen. Da wären sicher viele froh, wenn
ich bei Avara bliebe und gar nicht mehr zurückkäme, aber ich bin halt
im Indianerdorf zuhause“. Panyma hielt ihren Zeigefinger etwas in die
Höhe. „Iakunae, pass gut auf“, sprach sie ruhig aber ausgesprochen
ernst, „ich werde in einem Moment doppelt soviel Zauberpfefferkraut
auf die Glut legen wie sonst. Wenn ich dir dann das Kommando gebe, so
berühre den grauen Fleck auf Avaras Zauberbildschirm und lass mit
dir geschehen, was geschehen wird“. „Soll ich nicht hineinspringen wie
das erste mal?“, fragte Iakunae. „Das könntest du auch“, antwortete
Panyma, „aber ich glaube es geht besser, wenn du langsam hindurch
gehst“. Vorsichtig nahm Panyma das Zauberpfefferkraut in die Hand.
„Bist du bereit Iakunae?“, fragte sie eindringlich. „Ja ich bin bereit“,
antwortete Iakuane tapfer und mutig. Panyma schob das Kraut
vorsichtig über die Glut und wartete, bis die Hitze ins Innere des
schwerelosen Krautes eingedrungen war. „Jetzt, Iakunae, jetzt
berühre den grauen Fleck“, wies Panyma in scharfem Ton an.

Iakunae zögerte keinen Moment. Sie berührte langsam, aber in


sicherer Bewegung den grauen Fleck. Augenblicklich wurde es
stockdunkel um sie herum und sie flog schwerelos im dunklen Raum.
Sie fühlte sich, wie wenn sie jeweils im tiefen Wasser tauchte und
ganz langsam an die Oberfläche aufstieg. So schwebte denn auch ein
heller Fleck ob ihr und es war Iakunae klar, dass sie nirgends anders
hingehen konnte wie eben in diesen hellen Fleck. In der schwarzen
Dunkelheit um sie herum leuchteten farbige Sterne. Heller
Elfengesang erfüllte den Raum, ohne dass Iakunae jemanden sehen
konnte. Es gefiel ihr und sie hätte ewig in diesem dunklen Raum
bleiben können, doch der helle Fleck kam näher und näher auf sie zu,
bis sie ihn schliesslich berührte.

Ein Wuschelkopf schwarzer Haare mit einem lieblichen


Indianermädchengesicht tauchte im Zauberspiegel vor Emilia auf.
„Iakunae, Iakunae“, freute sich Emilia. Emilia gab ihrer Freundin die
Hand und half ihr aus dem magischen Spiegel herauszusteigen.
Iakunae war in roten Farben wunderhübsch in moderner europäischer
Art gekleidet. Ein herrliches Sommerkleid trug sie, genau das richtige
für das warme Wetter im Indianerland.

Da plötzlich bemerkte Iakunae, wer alles in der Materialhütte drin


war. Verdattert schaute sie sich um. „Was ums Himmels Willen macht
denn ihr alle hier?“, fragte sie ratlos und alle Kinder antworteten
gemeinsam im Chor: „Willkommen zuhause, liebe Iakunae“. Iakunae
brach in Tränen aus und umarmte die Kinder, die ihr gerade am
nächsten standen. „Danke, danke“, freute sie sich, „danke für den
liebevollen Empfang“. „Juhuu Iakunae ist zurück, Juhuu“, freuten sich
die Kinder lautstark. Iakunae aber wandte sich Panyma und Emilia zu:
„Danke für alles was ihr für mich getan habt“. „Geht schon in
Ordnung“, antwortete Panyma freundlich, „du bist ja meine Schülerin,
und du hast sogar etwas neues, grossartiges entdeckt. Ohne dass du
es wolltest zwar, doch das geht noch hie und da so beim Zaubern. Da
musst du immer auf er Hut sein“. Emilia blickte nach wie vor tief in
den magischen Spiegel hinein. „Ich glaube du könntest noch jemand
anders danken“, schlug sie Iakunae vor und zeigte mit dem Zeigefinger
auf die helle Scheibe vor ihr. „Oh ja. danke Avara, danke für die
schöne Zeit, die ich bei euch hatte“, rief Iakuane fröhlich in den
magischen Spiegeln hinein, „Avara, darf ich dann wieder mal zu euch in
die Ferien kommen?“. „Ja natürlich“, sprach sich Avara, „komm doch
bald wieder liebe Iakunae“. Panyma winkte mit der Hand und deutete
an, dass der Zauber langsam zu Ende geht. „Aufwiedersehen, lieber
Avara“, grüssten die drei Zauberinnnen zum Abschied.
„Aufwiedersehen bis bald“, kam der Gruss aus der Ferne zurück.

10-3

Iakunae verliess die Materialhütte und genoss den herrlichen


Rundblick im Land Ubatuba. „Ach ist das schön, wieder zu hause zu
sein“, freute sie sich und setzte sich auf eine Holzbank. Ojang Utan
kletterte ihr auf die Schoss und umarmte seine Schwester. Die Kinder
des Dorfes sammelten sich um Iakunae. „Na dann erzähl mal ein
wenig“, bat ein Indianerjunge, „wie hat es dir gefallen so weit weg von
zuhause?“. Iakunae blickte in die Runde der Kinder und Erwachsenen
um sich herum. Einen Moment schwieg sie, dann begann sie zu
erzählen:

„Das ganze begann während ich mit Panyma und Emilia in der
Materialhütte am Zaubern war. Während meine zwei Freundinnen
fleissig an einem Zauber arbeiteten, faulenzte ich ein wenig auf
Kiripittis Schaukel. Höher und höher pendelte ich auf der Schaukel.
Das war lässig, höher und höher. Doch dann, ´Ratsch’, das Sitzbrett
riss weg und ich wusste, dass ich hart hinunterfallen würde. Schnell
hatte ich den Kopf eingezogen und hielt die Hände vors Gesicht.
´Iiiiihhh’, schrie ich und dachte, ´jetzt, ahh, der Aufprall, hart,
mmmhh’. Sowas tut doch fürchterlich weh. Aber nein, da kam kein
harter Aufprall. Ich landete weich in einer Hängematte. ´Wo denn?’,
fragt ich mich, ‚vor Emilia? hinter Panyma?’. Da hat es doch gar keine
Hängematte? Ich wusste nicht mehr wo ich war. ‚Panyma, hilfe’, flehte
ich doch Panyma erklärte mir von weit her mit leiser Stimme, ich sei
durch den magischen Spiegel gefallen. ‚Nur das nicht’, erschreckte ich
und guckte vorsichtig aus der Hängematte heraus. Ein mir unbekannter
Geruch drang an meine Nase. Schliesslich sah ich einen fremden Mann
neben mir sitzen. ‚Fortrennen?’ überlegte ich blitzschnell. Doch dann
schaute ich dem Mann in die Augen. Böse sah er nicht aus.

‚djandeko'em ava hee’, grüsste ich ihn freundlich, ‚mo pa aka iyee?’
(Hallo guter mann, wo bin ich?). Doch der Mann verstand meine Worte
nicht. ‚Liebes Mädchen’, sagte er zu mir. Ich wiederholte seine Worte,
die ich nicht verstand: ‚liebbess ??? Mäddchennn??’. Darauf machte er
ein ganz feines gesicht und sagte ‚lieb’ und dann ein fürchterliches
Gesicht und er sagte ‚bös’. Er zeigte auf mich und sagte mit hoher
Stimme ‚Mädchen’ und zeigte auf sich selbst und sagte mit tiefer
Stimme ‚Mann’. ‚Ahh’, antwortete ich und zeigte auf ihn. Dazu sagte
ich: ‚lieb mann, avara’. Dann zeigte ich auf mich und sagte: ‚lieb
mädchen, Iakunae ???? Nä nä nä..... mhhh, mmmhh, ähhh.. bös
mädchen, Iakunae.. , hi hi hi’, und lachte laut. Er lachte auch laut, wir
hatten uns verstanden. Bereits hatte ich die ersten Worte der
fremden Sprache gelernt.

Die bunte farbige Hängematte in der ich mich befand war nur wenig
über dem Boden gespannt. Langsam wagte ich es mit einem Fuss
auszusteigen und aufzustehen. Als ich schliesslich dastand
erschreckte ich fast zu Tode, denn der Boden unter mir war weich und
quietschte. ‚Hilfe’, dachte ich mir und bekam Angst. Vorsichtig
stampfte ich mit dem Fuss auf den Boden. Er tönte dumpf und die
Wände um mich herum zitterten. ‚Kein fester Boden unter mir’,
erschrak ich, und die Wände zittern‚ das fällt doch zusammen’. ’Raus
hier, nichts wie raus’, fuhr es mir durch den Kopf und ich rannte drauf
los, wo ich nur grad hinrennen konnte. Das war eine eigenartige Hütte
wo ich drin war. Die hatte soviele Türen und Zimmer, dass ich keinen
Ausgang finden konnte. Sowas hatte ich noch nie zuvor gesehen. Ich
hatte Angst vor dem Ding und wollte raus. Avara hatte mich schnell
eingeholt, legte schützend seinen Arm um mich und schüttelte den
Kopf, den er verstand nicht, wovor ich Angst hatte. Ich zeigte auf die
Wand und das Haus, winkte mit der Hand gegen den Boden und sagte
‚wufff, pumm?’. Nun hatte er verstanden. Er zeigte auf die Wand und
formte ein Dach mit seinen Händen. ‚Haus’, sagte er dazu, schwenkte
seine Hand so wie ich zuvor und sagte ‚zusammenfallen?’, winkte mit
seiner Hand ab und sagte ‚nein’. Ich wiederholte seine Worte: ‚Haus
zusammenfallen nein?’. ‚Nein’, wiederholte er mit sicherem Lächeln,
‚Haus zusammenfallen nein, Haus gut, gut, Haus gut’. ‚Haus gut, mhh’,
sprach ich ihm nach. Wieder hatte ich vier neue Wörter aus seiner
Sprache gelernt. Auf diese Weise lernte ich schnell die wichtigsten
Wörter der fremden Sprache und hatte eigentlich nie Probleme
diesen fremden Menschen etwas mitzuteilen.

Avara aber nahm mich an der Hand, führte mich zur Türe hinaus und
zeigte mir das Haus von aussen. ‚Hää?’, staunte ich und brachte Augen
und Mund nicht mehr zu. Das Haus war hoch und hatte mehrere Böden
übereinander und auf jedem von denen konnte jemand stehen. So
konnten die Leute übereinander wohnen. Sowas hatte ich noch nie
zuvor in meinem Leben gesehen. Zuerst konnte ich es kaum glauben,
doch ich gewöhnte mich schnell daran.„

Die Indianer hörten Iakunae auf dem Dorfplatz muxmäuschenstill zu.


Während sie eine kurze Pause machte, schaute ein kleiner Junge sie
fragend an. „Aber wenn der oben seine Suppe ausleert, dann fällt sie
ja dem unten grad auf den Kopf?“, entsetzte er sich. „Nein, nein“,
erklärte Iakunae, „die Böden sind dick und da geht so schnell nichts
hindurch“. Ojang Utan mochte nicht mehr warten. „Weiter zellen,
weiter zellen“, bat er seine Schwester. Iakunae lächelte zu ihrem
Bruder der immer noch treuherzig auf ihrer Schoss sass. So erzählte
sie weiter.

„Als wir ins Haus zurückkamen, standen zwei Kinder da und bestaunten
mich. Es waren Avaras Kinder, Christina, ein liebevolles Mädchen, etwa
ein Jahr älter wie ich und ihr kleiner Bruder, Simon, der etwas jünger
ist wie ich. Wir sollten zusammen noch viel Schönes erleben. Doch
zunächst zeigten sie mir ihre Zimmer und luden mich ein, mit ihnen zu
spielen. Wir spielten lange und ich kam nicht mehr zum Staunen
heraus, denn sie hatten viele fremde, mir unbekannte Spielsachen. So
waren wir bis spät abends zusammen.

Am nächsten Morgen standen alle früh auf. Beim Frühstück sagte


Simon, er müsse in die Schule gehen. „Iakunae auch Suul geen wollen“,
sagte ich in seiner Sprache. Simon war hell begeister. „Ja komm mit,
das wird lustig“, freute er sich. Avara meinte zuerst das ginge doch
nicht. Aber Simon wollte es unbedingt und Avara mochte nicht länger
nein sagen. „Aber Simon, du bist verantwortlich für Iakunae, pass gut
auf sie auf, vor allem auf dem Schulweg“. Simon freute sich riesig und
konnte kaum warten bis wir endlich gehen konnten.

Auf dem Schulweg sah ich viel neues, das ich noch nie gesehen hatte
und nicht verstand. Das unglaublichste aber waren die Automobile. Sie
sind etwa das gleiche wie es bei uns die Kanus sind. Die Leute sitzen
hinein und können damit fortfahren. Aber die Automobile fahren nicht
auf dem Wasser sondern auf dem Land und niemand muss rudern,
sondern unten drehen so runde Dinger und auf denen rollen sie von
alleine. Dazu knurrt und brummt das ganze fürchterlich laut.

In der Schule war es schön. Die Lehrerin war lieb und freute sich,
dass ein fremdes Mädchen auf Besuch kam. ‚Kannst du schon
schreiben?’, fragte sie mich. ‚Schreiben, was is?’, fragte ich. Da
machte sie mit der Hand eine zittrige Bewegung und ich wusste was
sie meint. Schreiben hatte ich bei Emilia gelernt, als wir in der
Materialhütte Schule spielten. Ich nickte, stand auf und ging zur
Wandtafel. Dort versuchte ich in der mir fremden Sprache zu
schreiben:

Die Lehrerin hatte riesig Freude, dass ich das konnte. Sie bestaunte
meine Schrift und meinte, vor vielen hundert Jahren hätten die Leute
bei ihnen auch so geschrieben. Ich zuckte mit den Achseln und
schüttelte den Kopf. So gut kannte ich ihre Sprache nicht, um ihr
erklären zu können woher ich komme.

Schliesslich kam die Pause und wir gingen ins Freie. Ich setzte mich
neben der Schulhausmauer. Simon war so lieb und gab mir ein feines
Brot mit frischem Fleisch dazwischen. Ich hatte einen riesigen
Kohldampf und das Brot roch so fein, dass ich alles um mich herum
vergass. Ganz nach Indianerart verschlang ich das Brot mit lautem
Geschmatze und Gemampfe. Am Schluss görpste ich laut. Das merkten
die Kinder um mich herum. Einige Lachten freundlich und lieb zu mir,
andere aber spotteten über mich. Sie kamen zu mir. „Woher kommst
du denn? Warst du schon immer so doof? Kleines Schwein“, und so
wüstes Zeugs sagten sie zu mir. Sie hänselten mich und lachten mich
aus.

Zuerst war ich so glücklich, dass ich mit Simon in die Schule gehen
durfte und dann geschah in der Pause so etwas trauriges. Ich schaute
an die Schulhauswand und in den Boden hinein und wünschte mir nichts
sehnlicher als dass ich wieder in Uwattibi auf dem Platz sein könnte,
wo wir Kinder immer spielten. Ich schloss die Augen und sah vor mir
den Platz mit seinen Bäumen und Lianen, an denen wir immer bis
zoberst hochkletterten und ich wünschte mir, eine solche Liane wäre
hier auf Simons Schulhausplatz und ich könnte vor diesen bösen
Kindern davonklettern. Dann öffnete ich meine Augen und was sah ich
vor mir, so etwas wie eine Liane, das der Hauswand hochging. ‚Jipiii’,
schrie ich und es verging kaum eine Sekunde und ich war schon weit in
der Hauswand oben. Klettern können wir Indianerkinder gut. Das
braucht uns niemand beizubringen. Die Liane war kalt und hart und
irgendwie innen hohl und sie war an Haken an der Wand fest gemacht.
Aber das störte mich nicht. Ich wollte nur noch höher hinauf, weg von
diesen bösen Kindern. Schliesslich war ich zuoberst am Haus und mit
einem leichten Schwung befand ich mich oben auf dem Dach. Oh war
die Aussicht schön. Freudig winkte ich zu den Kindern hinunter, die
lebhaft zu mir hochwinkten und laut zu mir raufschrieen, aber ich
kannte die Wörter nicht, die sie schrieen.

Ich begab mich zuoberst auf das Dach. Dort hörte ich niemanden
mehr und nichts auf der Welt konnte mich mehr stören. Ich war
wieder mit mir zufrieden und schliesslich hatte ich sogar den bösen
Kinder da unten verziehen. So Kinder gibt es halt, dachte ich mir, die
werden es sicher auch noch lernen.

Die Aussicht gefiel mir und ich staunte wieviele von diesen
eigenartigen Automobil-Kanus im Dorf unterwegs waren. Ich sah kaum
einen Menschen zu Fuss gehen, die meisten waren mit diesen
eigenartigen Kanus unterwegs. Die Berge ringsum waren wunderschön.
Oben waren sie weiss oder endeten in nacktem Fels. Nach unten kam
mehr und mehr Wald und zuunterst sah ich einen schönen See. Dann
aber entdeckte ich etwas, das mich staunen liess. Ich sah plötzlich
viele blaue Blitze im Dorf unten. ‚Was ist das?’, überlegte ich mir,
‚Blaue Blitze wie bei Panyma im Zauberunterricht? Das kann doch nicht
sein, dass sie hier mitten im Dorf zaubern. Das machen sie doch
bestimmt auch irgendwo in einer ruhigen Hütte. Doch was sonst sollte
so blitzen?’. Die Blitze kamen näher und heulten ungeheurlich. „Tüüü,
daaa, tüüü, daaa, tüüü, daa“, tönte es von allen seiten und ich sah, dass
es Automoblie waren, die so eigenartig blitzten und heulten. Die
blauen Blitze kamen so aus Fakeln heraus, die sie auf den Dächern
ihrer Landkanus mit sich trugen.

Schliesslich kam ein Automobil sogar auf den Schulhausplatz. Es war


knallrot und hatte eine Kletterleiter hinten drauf, wie wir Indianer sie
auch kennen, nur war denen ihre viel grösser wie unsere. Leute
sprangen aus dem roten Festlandkanu, ergriffen eine riesig grosse
Hängematte und stellten sich unten auf den Schulhausplatz. ‚Machen
sie das jeden Tag so?’, fragte ich mich, ‚das ist aber lustig in denen
ihrer Schule’. Schliesslich kamen noch mehr solche Automobile. Eines
hatte Schlangen drauf gemalt und rote Kreuze. Das gefiel mir am
besten, denn die Schlange erinnerte mich an den Urwald, an mein
zuhause. Schliesslich kamen noch weitere zwei dieser komischen
Dinger, die sie Automobile nennen. Diese hatten rote Balken drauf
gemalt. Ein dicker Mann stieg aus und nahm etwas grosses, das aussah
wie ein Kuhhorn, an seinen Mund. Ich erschrak, wie laut seine Stimme
selbst bei mir oben noch zu hören war, aber seine Worte verstand ich
nicht. Trotzdem, langsam wurde mir klar, dass dieser Mann mit mir
reden wollte.
So ging ich vorne an den Rand des Daches und blickte hinunter. Sofort
begannen die Leute unten laut zu schreien. ‚Hallo’, rief ich hinunter,
‚soll ich runter kommen?’. Doch da kam schon, wie von Geisterhand,
eine Leiter auf mich zu und ein Mann sass oben in einem Korb. Ich
musste lachen. So etwas lustiges hatte ich noch nie gesehen. Als der
Mann bei mir war, war er sehr lieb und freundlich und gab mir mit
Handzeichen zu verstehen, ich solle in seinen Korb einsteigen.
Natürlich machte ich ihm diesen Gefallen gerne, denn er war so nett
zu mir und an dem Korb glitzerten viele farbige Lichter und das sah so
schön aus. Er gab mir sogar die Hand und half mir beim einsteigen.

Der Mann lachte wie wir unten ankamen und klopfte mir freundlich auf
die Schultern. Der andere Mann aber, der dicke Mann, der mit dem
grossen Kuhhorn mit mir gesprochen hatte war gar nicht freundlich zu
mir. Ich verstand zwar kaum etwas von dem was er sagte, aber so
Wörter wie böse und frech verstand ich. Das war vielleicht ein ekliger
Typ. ‚Wenn der sich nicht mühe gibt und mit mir langsam spricht’, so
überlegte ich mir, ‚dann geb ich mir halt auch keine Mühe’. So begann
ich in Tupi Sprache zu sprechen, und laut schreien, und das kann ich.
Doch der dicke Mann wurde nur noch böser und zuletzt kamen vier
dieser Männer auf mich zugelaufen und packten mich ohne zu fragen.
‚Räuber, Urwaldräuber’, dachte ich mir, ‚die gleichen Räuber, von
denen mir Emilia so oft erzählt hatte’. Jetzt wusste ich, dass mein
Kampf bösen Räubern gilt und ich alles einsetzen musste um diese zu
besiegen und ihnen zu entkommen. Sie zerrten mich in eines ihrer
Automobil Kanus hinein und fuhren drauf los. Bei einem Haus stiegen
sie aus und zerrten mich raus. Es ergab sich, dass der dicke Mann
einen moment lang alleine war mit mir. Er hielt mich am Arm fest mit
seiner Hand, so fest, dass meine Gelenke nur so schmerzten. Der
würde sicher nicht gut rennen können, dachte ich mir. Ich biss ihn in
seinen Arm sodass er vor Schmerz jaulte und einen Moment locker
liess. Das genügte mir um mich loszureissen und fort war ich. Jipii,
rennen kann ich schnell. Da mag so ein Fettsack nie und nimmer
hinterher.

Schon bald traf ich auf Simon und wir gingen nach hause. Simon
meinte etwas von ‚Lausemädchen’ zu mir aber er lächelte freundlich.
‚dicker Mann bös, Iakunae Dickmann beissen, Iakunae fortrenn’, sagte
ich ihm und er begann noch lauter zu lachen. Während wir zuhause
etwas assen, kam beiAvara ein Automobil-Kanu vorbei, auch eins mit so
farbigen Streifen drauf. Lange redete Avara mit den Männern. Dann
kam er zurück, kratzte sich am Kopf und meinte zu Simon, es wäre
wohl besser, wenn ich am Nachmittag nicht mehr mit zur Schule ginge.
Das war nicht so schlimm, denn sie hatten nur noch an dem Tag und am
nächsten Tag Schule, nachher hatten sie frei, ‚Carneval Ferien’, sagten
sie dem“.

Wieder legte Iakunae ein Pause beim Erzählen ein. Kwarahi schaute
mit erleichtertem Blick zu Iakunae. „Da hattest du aber nochmal Glück
gehabt, dass du den Räubern entkommen konntest“, sprach sie.
Iakunae kicherte. „Mh ganz so war es nicht“, erklärte sie, „erst später
habe ich erfahren, dass dies Polizisten seien. Die müssen aufpassen,
dass niemand etwas verbotenes tut. Und auf Dächer klettern ist halt
in Avaras Land nicht erlaubt. Das hat mir Avara nachher gesagt“.
„Was, nicht auf Dächer klettern?“, wunderte sich Avanene, der
gespannt zuhörte, „wie kommen die auf so etwas. Und auf Bäume
klettern? Dürfen sie das oder ist das etwa auch verboten?“. „Das sind
komische Leute“, meinte Iakunae, „je nach dem wo du auf einen Baum
kletterst kann es durchaus sein, dass es auch da einen grossen Tumult
gibt“. „Haben sie sich wenigstens bei dir entschuldigt, dass sie so
unfreundlich waren?“, wollte Avanene weiter wissen. Iakunae
schüttelte den Kopf. „Nein, das machen die nicht“, antwortete sie, „es
gibt in Avaras Welt viele freundliche Leute, aber die, die nicht
freundlich sind, sind ausgesprochen unfreundlich, wie du es bei uns
höchsten bei den kranken, ganz verrückten Indianern erlebst“.

10-4

So erzählt Iakunae weiter.

„Am nächsten Morgen war ich alleine unterwegs. Es gab viel neues für
mich zu bestaunen in der fremden Welt aber immer wieder war ich zu
tiefst erschrocken, denn von Zeit zu Zeit tönte etwas ganz laut
durchs Dorf hindurch. „dinnggg, dännngggg – dinnnggg, dännngggg-
bumm- bumm –bumm“. Zuerst dachte ich ein Dämon überfalle das
Dorf, Doch dann mit der Zeit erschrak ich weniger, denn das Geräusch
schien tatsächlich irgendeine Bedeutung zu haben. Aber es war mir
nicht mögich zu sagen woher es kommt. So lief ich lange im Dorf
umher und versuchte immer wieder herauszufinden woher die lauten
Töne wohl kommen mochten. Näher und näher kam ich an den Ort bis
ich ein grosses weisses Haus sah. Von dort musste es kommen.

Eine Zeit lang stand ich vor dem grossen weissen Haus. Da plötzlich:
„dannggg, danngggg, dannnggg“, fing das ganze wieder an. Ich sah, dass
das grosse Haus auf der Seite ein schmales noch grösseres Haus
hatte mit einem spitzen Dach und da von zuoberst, von dort kam der
Lärm. Ich ging näher zum Haus und stand schliesslich vor hohen Toren.
Nur das Tor alleine schon war höher wie die Hütten in Uwattibi.
Trotzdem wagte ich es hinein zu gehen, denn ich hatte kurz vorher
eine alte Frau gesehen, die da raus kam. Also ging ich einfach rein.

Da drin war es gross, riesengross. Noch nie zuvor war ich in einem so
grossen Haus. Wie sie das nur bauen konnten? Es hatte viele, viele
Bänke und vorne einen grossen Platz. Ein paar alte Leute sassen da,
aber sie sagten nichts zu mir. Oben an der Decke waren Menschen
hingemalen. Menschen mit Flügeln, in Tücher gehüllt. Zuhinterst
führte ein Treppe auf eine Anhöhe hinauf. Da ging ich hoch. Viel gab
es nicht zu sehen da oben. Da war eine Wand mit vielen eisernen
Rohren und in der Mitte sowas wie ein Tisch. Ich ging dahin und sah
viele schwarze und weisse Stäbchen daliegen. Ich berührte eines.
„Piiiiiii“, tönte es aus der Wand der Metallröhren. „Ohhh“, staunte ich.
Das kam mir vor wie ein Wunder. Ich drückte auf ein Stäbchen auf
der anderen Seite. „Buuuuuuuu“, tönte es diesmal ganz tief. „Hi, hi“,
das war lustig und ich drückte eine Taste um die andere. Was wohl
geschieht, wenn ich da alle zusammen runterdrücke? Ich legte beide
Arme auf die weissen Stäbchen der oberen Seite und ein Bein auf die
weissen Stäbchen der unteren Seite. So konnte ich fast alle Stäbchen
miteinander drücken und das gab ein Höllenkrach. Ich musste laut
lachen.

„Hähähähamm“, hustete eine der alten Frauen unten laut. Ich ging
vorne an die Abschrankung und schaute hinunter. Dann huste ich halt
auch mal, dachte ich mir. ‚hä hämmmm’, machte ich laut. Die alte Frau
drehte sich und hielt ihren Finger vor den Mund. ‚ppsssssttt’, zischte
sie durch ihre Lippen und guckte verärgert zu mir hoch. Zum Glück
konnte sie von so weit weg nicht sehen, dass ich kicherte und mir
Mühe geben musste, nicht laut heraus zu lachen. Eine Weile schaute
ich da hinunter und dann ging zum Glück die Frau raus, denn inzwischen
hatte ich vorne eine Türe entdeckt und diese, glaubte ich, müsste
eigentlich zu dem hohen schmalen Haus hinführen.

Als die Frau draussen war, ging ich runter, nach vorne und verschwand
in die Türe hinein. Tatsächlich, da ging eine schmale Treppe im Kreis
nach oben. Ich versuchte die Stufen zu zählen, doch waren es mehr
wie ich bei Emilia Zahlen gelernt hatte, einfach über hundert waren
es. Ich vermutete nichts böses wie ich da hochging aber dann.
„Bonnnngggg bonnngggg“, erschlug es mir fast das Gehör. Ob mir
waren grosse metallene Dinger, sie sahen aus wie riesige Töpfe, nur
umgekehrt aufgehängt. In der Mitte hing bei jedem ein Metallstab
hinunter und dieser schlug an den Rand. Das war es, was so laut tönte.

Zum Glück hörte der Lärm schon bald auf und ich ging näher. Ich nahm
den Metallstab und schlug damit an das Eisen am Rand. Das war laut.
‚buah’, staunte ich. Aber da waren noch mehr so dinger. Wie die wohl
tönen würden. Ich probierte alle aus und konnte kaum mehr aufhören,
da Töne rausklingen zu lassen. Ich versuchte es so laut ich konnte und
so schnell ich konnte. Das war ein lustiges Spiel. Sowas müssten wir
auf dem Kinderplatz in Uwattibi haben, dachte ich mir. Nach einiger
Zeit hörte ich Schritte die Stiege hochkommen. Ich erschrak. Ob nun
schon wieder jemand wütend geworden war? Die Schritte kamen
näher. Es war ein grosser starker Mann mit blonden Haaren und Bart.
Er trug farbiges Gewand wie die Männer, die gestern auf den
Schulhausplatz kamen. Nur nicht schon wieder dachte ich mir, doch
der Mann stand schon vor mir. Es war derselbe Mann, der gestern auf
der Leiter zu mir ins Dach hochkam. Ich erkannte ihn sofort wieder.

„Hallo“, sagte der Mann, „du schon wieder?“. Dann lächelte er mich
aber freundlich an und winkte mir, ich solle mit ihm runterkommen. Na
ja, so lief ich hinter ihm her. Ich hatte Angst ,dass der dicke Mann,
dem ich gestern fortgerannt war, auch draussen ist. „Ander Mann bös
auch hier? Ander Mann - bös, dick, - dädädädä wü wü wü“, fragte ich
und ahmte so gut es ging das Schimpfen des Mannes von gestern nach.
Da drehte sich der Mann vor mir und lachte laut. „Nein, nein, nicht
hier, ich alleine“, sagte er und mir fiel ein Stein vom Herzen.

Vor dem grossen Haus setzten wir uns auf eine Mauer. Der Mann
schaute mich an. „Du Name?“, fragte er mich. „Mein Nam Iakunae“,
sagte ich, „dein Nam?“. „Ich heisse Germann“, antwortete er mir und
fragte weiter, „von wo kommst du? Von wo du?“. „Brasil“, sagte ich,
„Urwald, Indian“. „Oh“, staunte er, „schön. Amazonas?“. Amazon kenne
ich. Die Indianer erzählten uns von diesem Land, aber es liegt weit weg
vom Indianerland wo ich herkomme. „Nein, nein“, antwortete ich,
„Uwattibi“. Doch das verstand er nicht. Einen Moment überlegte ich.
„Iteronne“, sagte ich schliesslich zu ihm, denn das ist der grösste und
bekannteste Ort im Indianerland. Aber auch den kannte er nicht.
Langsam wusste ich nicht mehr weiter. Vielleicht kennt er die
Indianernamen nicht, kam mir in den Sinn. Also wählte ich den Namen
einer fremden Siedlung. „Rio de Jenero“, sagte ich ihm schliesslich und
ganz zu meinem erstauenen schien er ein gewisses Rio de Janeiro zu
kennen, aber glaub nicht das selbe wie ich. Denn Germann staunte
neben mir „Ohhh, Rio de Janeiro. Rio de Janeiro gross, schön, Rio
schön, ohh, aber grooooss“, sagte er und hielt seine Hände weit
auseinander. „Nein, nein“, sagte ich ,“Rio de Jenero klein. Iteronne
gross. Iteronne, zehn Haus, hundert, hundert Indianer. Rio de Jenero
klein, zwei haus, zehn, zehn Franzos“. Dazu versuchte ich ihm mit
Zeichen zu erklären, dass Iteronne und Rio de Jenero nebeinander in
einer Bucht am Meer liegen. Er schüttelte aber nur ratlos den Kopf
und grinste. Irgendwie konnte er mich nicht verstehen. Von Brasilien
werde ich wohl mehr verstehen wie jemand aus Avaras Land, dachte
ich mir. Doch zum Glück wechselte Germann das Gesprächsthema. „du
ferien hier? wo du wohnen?“, fragte er. „Avara“, antwortete ich ihm
und zeigte in Richtung von Avaras haus. Aber Avara verstand er
natürlich nicht, da nur wir Indianer Avara so nannten. Er hatte bei
ihnen einen anderen Namen, den ich aber nicht kannte. Also sagte ich
noch: „Simon, Christina“, und nun wusste er, wen ich meine.

„Ich muss gehen“, sagte Germann und stand auf. Er blickte mich ernst
an, zeigte auf die Kirche und sprach mit strenger Stimme zu mir: „Da
rauf, du nicht mehr gehen, klar?“. „Ja, ja, klar“, antwortete ich ihm.
Darauf schaute er mich wieder freundlich an und griff in seine
Tasche. Dort zog er einen kleinen Beutel raus. „Fischermen“, sagte er
zu mir, gab mir ein Bonbon und nahm selber auch grad eins.
„buahhhhh“, erschrak ich, denn die Bonbons waren scharf, „buaaahhh“.
Da lachte er und ich sagte ihm: „gut gut, bonbon“, und er gab mir noch
zwei. Er winkte mir, stieg in sein grosses rotes Automobil-Kanu ein und
ging fort. Ich winkte ihm nach, bis ich ihn nicht mehr sah. Dann ging
ich langsam nach Hause. Ich hatte Freude, dass Germann so freundlich
war zu mir und nicht so schimpfig und böse wie viele andere in dieser
fremden Welt“.

Die Indianer sassen im Halbkreis und hörten Iakunae interessiert zu.


„Zum Glück kam der liebe Germann zu dir und nicht der böse
Polizistenmann“, meinte erleichtert ein Indianerjunge. „Ja“,
antwortete Iakunae, „Germann war ein lieber“. „Hast du ihn später
wieder mal getroffen?“, fragte Kevin. „Es dauerte nicht lange und er
begegnete mir wieder. Und da war ich froh um seine Hilfe“.

Einige Indianermütter brachten Schalen mit feinen, frischen Früchten


drauf. „Eine kleine Erfrischung als Willkommensgruss“, sagte eine der
Frauen. Sie legten die Früchte in die Mitte auf den Boden, sodass
Iakunae und ihre Zuhörer etwas knabbern konnten. Mit grosser
Freude griffen die Indianer zu und dankten den lieben Müttern.
Iakunae setzte sich wieder auf die Bank und erzählte weiter:

10-5

„Am Nachmittag des selben Tages war ich alleine zuhause. Avara
musste fortgehen und verabschiedete sich von mir. Ich solle schön
brav sein, sagte er mir freundlich, und ja alles richtig machen.
Nachdem ich in der Wohnung all die vielen fremden Sachen angeguckt
hatte, ging ich nach draussen. Im schönen Garten blühten die ersten
kleinen Gänseblümchen, doch es war kalt und ich zog mir dicke Kleider
an. Unter einem Dach sah ich Avaras Automobil-Kanu stehen und das
zog unweigerlich mein ganzes Interesse an. Ich ging hinein. Da hat es
viele Knöpfe, die man drücken kann, Hebel und Räder. „Boah“, staunte
ich. Einige male zuvor war ich schon mit Avara in diesem Automobil-
Kanu mitgefahren. Wie Avara das nur machen konnte, das sich das
Ding bewegte? Ah ja, da unten die Pedale drückte er zuerst und dann
drehte er an diesem kleinen flachen Eisen, das da rein gesteckt war,
erinnerte ich mich. Und dann am einen Hebel rumzerren und am Rad
drehen. Ja genau so, wurde es mir jetzt ganz klar vor Augen. So hatte
er es gemacht und es schien mir plötzlich gar nicht mehr kompliziert
zu sein. Also setzt ich mich kurz entschlossen hinter das grosse Rad
mit dem man die Richtung einstellen kann wo es dann hinfährt, drückte
das Pedal runter und drehte am kleine flachen Eisen.
„RRRuuuunnnnnGGGGG“, tönte und knurrte es, genau gleich wie bei
Avara. Die Automobil-Kanus müssen so knurren, sonst können sie sich
nicht bewegen. Da plötzlich erinnerte ich mich an Avaras Worte, ich
solle schön brav sein und alles richtig machen. ‚brav? na ja’, dachte ich
mir, ‚aber richtig ist das jetzt ganz bestimmt so wie ich das hier
mache. Genau so hat Avara das auch gemacht’. Kurzerhand zerrte ich
am Hebel und wechselte unten das Pedal, wie ich es bei Avara gesehen
hatte. Das Kanu nahm einen riesigen Sprung und flog weit nach vorne.
Schlagartig wurde ich in den Sitz hineingedrückt. Dann aber fuhr es
langsam mit mir los. Juhui, freute ich mich, ich kann es, juhui. Und da
hatte es doch mitten in dem grossen Rad vor mir so etwas zum
Reindrücken und dann tönte es draussen laut. Das benutzte ich
fleissig. ‚tü, tü, tü, tü’, fuhr ich drauf los.

Der Weg wurde allmählich breiter und hatte einen weissen Strich in
der mitte. Das war gut so, denn es ist doch nicht so einfach mit dem
Kanu ans richtige ort zu kommen. So konnte ich mitten auf dem
weissen Strich fahren und hatte links und rechts genug Platz, denn
manchmal kam ich plötzlich an den Rand links oder rechts und musste
schnell am Rad vor mir drehen, damit das Kanu nicht gegen eine Wand
knallte.

Da kamen mir aber auch andere Automobil-Kanus entgegen. Diese


drückten immer wieder mitten ins Rad vor sich, dass es laut tönte.
Zuerst dachte ich die wollen mich grüssen und freuen sich, ein
fremdes kleines Mädchen zu sehen oder sie seien vielleicht sogar
stolz, dass ich das so gut kann. Aber dem war nicht so. Die Leute in
den anderen Automobil-Kanus sahen mich ganz böse an und schimpften
laut. Das machte mich etwas traurig. Mir war schon auch klar, dass sie
selber mit diesen Kanus besser fahren konnten wie ich, aber wieso
mussten sie deswegen dermassen böse sein zu mir? Das konnte ich
nicht verstehen.

Schliesslich kam ich auf dem Dorfplatz an und dort stellte ich das
Automobil-Kanu auf einen Platz, den sie da extra gemacht haben um
ihre Automobil-kanus hinzustellen. Ich stieg aus, denn ich wollte eine
Pause machen und die Aussicht geniessen. Doch wie ich draussen war,
erschreckte ich zu tiefst. Wieder sah ich von weit her die blauen
Blitze und hörte die lauten „düüü daaa“ Töne. Einen moment erschrak
ich, doch dann fasste ich Mut. Wenn die wieder zu mir kommen, dann
hau ich ab so schnell es geht, nahm ich mir vor. Nur nicht wieder von
denen fangen lassen.

Und da waren sie auch schon auf der einen Seite des Dorfplatzes.
Auch der dicke von gestern stieg aus und zeigte sofort auf mich. „Die
da, festnehmen“, schrie er laut. Ich machte ihm mit beiden Händen
eine lange Nase vor meinem Gesicht und rannte davon. Rennen kann
ich. Da kommt mir so schnell keiner nach. Doch ich hörte, dass sie mir
weit hinten folgten, denn sie haben viele Eisendinger um sich herum,
die laut klirren. Ich rannte so schnell ich konnte, doch um die nächste
Ecke stiess ich mit einem Mann zusammen. Ich konnte gerade noch
bremsen doch dann stand ich vor ihm. Es war Germann. „Bös Mann,
Polizeimann, mir nachrenn“, sagte ich ihm. Germann begriff sofort was
los war. Er packte mich an meiner Jacke und zog mich in ein Haus
hinein.

Im Haus drin hatte es viele Tische. Wir setzten uns, Germann sagte
etwas zu einer Frau und dann bekamen wir etwas zu trinken. Das war
fein, so ein brandschwarzes Getränk mit feinen Blasen drin, die
aufstiegen. Ich streckte meine Nase in den Becher und es spritze
mich an und roch süss. Das fand ich lustig und musste laut lachen.
„Was hast du denn nun schon wieder angestellt?“, fragte mich
Germann. „Iakunae Automobil-Kanu farn“, antwortete ich. „Was?“,
staunte Germann mit leiser Stimme, „du bist Auto gefahren?“. „Ja“,
antwortete ich ihm mit einem einzigen Wort. „Bist du verrückt?“,
fragte er mich, „Avaras Auto? und wo steht es jetzt?“. „Avara Auto
Dorfplatz“, sagte ich ihm. Er kratzte sich am Kopf und überlegte eine
Weile, doch dann schaute er mich entschlossen an und nickte.

Germann stand auf und winkte mir. Wir gingen an einen Tisch der
etwas abseits Stand. Das war ein lustiger Tisch. Er hatte Eisenstäbe
auf zwei Seiten reingesteckt und da waren kleine Holzmännchen
befestigt. Germann hatte vier solcher Stäbe auf der einen Seite und
ich vier auf der anderen Seite. In der Mitte warf Germann eine Kugel
hinein und nun musste jeder von uns versuchen, dem anderen die Kugel
in sein Loch rein zu knallen. Wer mehr treffer hatte, hatte gewonnen.
Jedesmal wenn Germann bei mir traf, schrie er: „goool“. So schrie
auch ich „goool“, wenn ich bei ihm traf. So spielten wir einige Zeit und
hatten es schön.

Zwischendurch setzten wir uns an den Tisch und tranken einen


Schluck. „Du Polizistenmann?“, fragte ich ihn. „Nein Feuerwehr“,
antwortete er. „Was ist?“, fragte ich. „Wenn ein Haus brennt oder
sonst was, dann müssen wir schnell gehen, so schnell es geht und das
Feuer löschen“. Er musste es mir ein zweites mal erklärten, denn das
war schwierig zu verstehen für mich, dann aber begriff ich es. „Ahh“,
sagte ich, „Haus gross brennen, du rennen, Feuer weg machen,
Wasser“. Es freute ihn, dass ich ihn verstanden hatte.
„Komm Iakuane“, sagte schliesslich Germann, „jetzt ist die Polizei weg.
Gehen wir mal schauen, wie das draussen aussieht“. So liefen wir in
Richtung Dorfplatz. Alleine hätte ich nicht mehr den Mut gehabt da
nochmals hinzugehen, aber mit Germann fühlte ich mich sicher. Und da
stand auch Avaras Automobil-Kanu noch an seinem Platz. Germann
stieg ein und fuhr mich wieder rauf zu Avara. „Lieb Germann, lieb
Germann“, sagte ich ihm zum Dank und legte meine Hand auf seine
Schulter. Er freute sich und lachte.

„Ich komme mit rein“, sagte er zu mir und wir gingen ins Haus hinein.
Avara war bereits da und kochte das Abendessen. Lange redeten
Germann und Avara miteinander. Dann plötzlich kamen sie zu mir und
erklärten mir, dass ich nicht Autofahren darf und das es ganz
gefährlich ist, was ich gemacht habe. „Sowas darfst du nicht wieder
tun“, sagte Avara so streng zu mir, wie er noch nie mit mir gesprochen
hatte. Das machte mich so traurig, dass ich weinen musste. Avara
erklärte mir, dass Simon und Christina nächste Woche Ferien hätten
und ich solle doch dann immer mit seinen zwei Kindern unterwegs sein
und nicht mehr alleine fort gehen. Ich nickte mit einem weinenden
Lächeln, denn ich freute mich inständig auf das Zusammensein mit den
zweien. „Simon lieb, Christina lieb“, gab ich zur Antwort. Nun wurden
Germann und Avara wieder freundlich. Sie setzten sich neben mich an
den Tisch, tranken etwas rotes aus einer grünen hohen Flasche,
erzählten fleissig und lachten viel. Schliesslich kamen Simon und
Christina nach hause und wir gingen in ihr Zimmer spielen.
Am nächsten Morgen erlebte ich etwas ganz schönes. Simon und
Christina waren schon früh wach und wir spielten in ihrem Zimmer.
Nach dem Frühstück zogen wir uns an und fuhren mit Avaras
Automobil-Kanu ins Dorf hinunter. Dort hatte es ein Haus und in dem
Haus konnten die Leute Karnevalskleider ausleihen. Wir gingen hinein.
Simon und Christina wussten schon vorher was sie wollten. Simon
wollte einen Alten Herrn und Christina ein Bajazzomädchen. Als ich
Christina in ihrem Bajazzomädchenkleid sah, wusste ich auch was ich
wollte. So ein schönes Gewand hatte ich in meinem ganzen Leben noch
nie zuvor gesehen. Es ist schwarz und dazwischen leuchtend gelb. Dazu
hat es einen schönen Hut, einen Rock und gelbe Strümpfe. Das
schönste am Gewand aber waren hundert-hundert kleine runde Eisen.
Die waren innen hohl und hatten Kieselsteine drin. Beim Herumrennen
rasselten sie laut und war ist ein schönes Gefühl. Mit jedem Schritt
tönte es laut. Die Leute nannten diese Eisen Glocken und schon wieder
hatte ich ein neues Wort der fremden Sprache gelernt.

‚Iakunae Bajazzomädchen, schön Bajazzomädchen, wollen


Bajazzomädchen’, bat ich Avara. Avara überlegte einen Moment. Er
nahm vom anderen Gestell ein Indianergewand. ‚Willst du nicht gerade
als Indianer gehen?’, fragte mich Avara ‚ich meine, du siehst schon aus
wie ein Indianer, weil du eine Indianerin bist, und dann brauchst du
dich nicht mal schminken und Perücke brauchst du mit deinen dicken
schwarzen Haaren auch keine. Ist doch viel einfacher’. Sein Vorschlag
gefiel mir nicht, denn ich hatte mich schon in das Bajazzomädchen
gewand verliebt. Noch etwas anderes aber machte mir viel mehr Angst
und Bange. ‚Nein, nein’, sagte ich, ‚Iakunae müssen verkleiden.
Polizeimann nicht darf kennen Iakunae, sonst rennen hinterher’. Avara,
Simon und Christina mussten laut lachen ab meinem Spruch und
schliesslich mietete Avara das Bajazzomädchen für mich.

Wenn ich mich irgendwann bei Avara so richtig zuhause fühlte, dann
war es während der Karnevalszeit. Wie im Indianerdorf schminkten
wir uns lange. Wir schminkten uns gegenseitig und das macht riesig
Spass. Dazu hörten wir Musik, erzählten, lachten, assen süsse Speisen
und tranken feinen Sirup. Als wir endlich fertig waren, spazierten wir
mit Avara in den Dorfplatz hinunter. Dort hatte es schon hundert-
hundert-hundert Kinder und alle trugen Karnevalsgewänder. Die
Erwachsenen spielten Musik. Immer wieder kam eine neue Musik und
wir tanzten dazu. Es gab Musik, die sei neu, sagte mir Christina und
dazu tanzten wir, wie es uns gerade in den Sinn kam. Wir gaben uns die
Hände und tanzten gemeinsam in einer grossen Schar Kinder. Und dann
gab es die uralte Musik. Das waren nur Trommler und der Tanz war
genau vorgeschrieben. So eine Art Hüpftanz. Aber das machte auch
grossen Spass.

Einige der verkleideteten Erwachsenen, Maschgraden, wie sie sich


nannten, rannten uns hinterher und versuchten uns zum Spass zu
packen. Zuerst hatte ich Angst und meinte das sei ein verkleideter
Polizeimann. Aber das war er zum Glück nicht. Die Maschgraden gaben
uns viele Süssigkeit und Orangen, die wir ihnen wie arme Leute
abbetteln mussten. „Sind so guet, liebe Maschgerad“, schrien wir ihnen
zu. Dazu mussten wir laut kreischen, so laut wir konnten und das tat
ich gerne. Jipiii, endlich durfte ich kreischen und schreien so laut ich
wollte und alle hatten Freude daran. Wenn wir wieder einen Sack voll
feiner Sachen gesammelt hatten, so brachten wir ihn Avara, der uns
das ganze in einem noch grösseren Sack hinterherschleppte. Armer
Avara.

10-6

Etwas von schönsten aber das wir bei Avara machten war das
Skifahren. Das könnt ihr euch gar nicht vorstellen, liebe Indianer. Ich
konnte zuerst selber kaum glauben, was da geschah. Wir gingen in
einen Berg hinauf, einen sehr hohen Hügel. Die haben Hügel wie bei uns
im Indianerland, in Ubatuba. Aber ihre sind noch viel höher wie unsere,
doppelt oder gar dreimal so hoch. Bequem wie immer sind wir nicht
etwa gelaufen, wie wir Indianer es tun würden. Nein, wir haben uns in
Avaras Automobil-Kanu gesetzt und sind da rauf gefahren. Avara
selbst war nicht mitgekommen. Er hat unterdessen etwas gearbeitet.
Simons und Christinas Mutter kam mit, denn sie hat Skifahren auch
sehr gerne.

Wir hätten auch gar nicht alles, was wir mitnehmen mussten, soweit
tragen können. Lange flache Eisen nahmen wir mit uns. Die waren mit
dicker Farbe angemalt und vorne nach oben gerundet. Die haben wir
am Platz wo wir das Automobil-Kanu hinstellten an unseren Schuhen
mit speziellen Schnallen angemacht. Aber ich verstand noch nicht,
was das soll. Ich stand da und konnte kaum richtig laufen. Doch Simon
drückte mir zwei lange dünne Eisenstäbe in die Hände und mit denen
konnte ich mich links und rechts abstossen.

Rings um mich herum lag diese weisse Zeugs, das ich von unten schon
einige male beobachtet hatte und nicht wusste was das ist. Der ganze
Hügel, der ganze Berg war über und über voll bedeckt mit diesem
weissen Zeugs. Wenn ich dies auch das erste mal sah in meinem Leben
und es nicht kannte, eines spürte ich, wie ich daneben stand, das
Zeugs ist kalt, so kalt wie ich in meinem ganzen Leben noch nie zuvor
etwas kaltes gesehen hatte. Ich nahm es in meine Hände. ‚buaah’,
erschrak ich, ‚kalt’. Du musst dir die Handschuhe anziehen“, sagte mir
Christina. Als ob ich nicht schon sonst am ganzen Körper überaus dick
angezogen gewesen wäre, nein, selbst an meinen Händen zog ich noch
etwas über, sie nennen es Handschuhe. In der Kälte war ich aber froh
darum.

‚Was ist?’, fragte ich Christina und zeigte auf das weisse Zeugs.
‚Schnee’, antwortete sie, ‚das ist Schnee’. ‚Schnee?’, fragte ich, denn
ich kannte das Wort nicht. ‚Schnee besteht aus Wasser’, erklärte mir
Simon, ‚wenn wasser ganz kalt wird, so wird es hart, es wird Eis. Und
wenn das Wasser in den Wolken zu Eis wird und hinunterfällt, dann
gibt es eben diesen Schnee’. Ich kam zum Staunen nicht mehr heraus.
‚Schön, oh schön’, schwärmte ich begeistert, denn die ganze
Landschaft, die im Schnee vor mir lag, sah bezaubernd schön aus“.

Die Indianer hörten Iakunae gespannt zu. Einen Moment unterbrach


Iakunae ihre Erzählungen auf dem Dorfplatz in Uwattibi. Sie stand auf
und holte sich eine Frucht aus den Schalen vor ihr. „Wasser sagst
du?“, fragte ein Indianerjunge neben ihr, „hattest du denn Pfeil und
Bogen dabei?“, „Pfeil und Bogen?“, staunte Iakuane, „wie kommst du
jetzt darauf?“. „Ja zum Fische fangen natürlich“, gab der Junge zur
Antwort, „im Wasser drin gibt es doch Fische und die hättest du
fangen können“. Iakunae lachte. „Nein, dieses Wasser war zu kalt und
zu hart, als dass dort drin Fische hätten leben können“. Mit grossen
Augen staunte der Indianerjunge. So etwas hatte er in seinem ganzen
Leben noch nie gesehen und noch nie etwas gehört davon. Iakunae
setzte sich und erzählte weiter.

„Simon, Christina und ihre Mutter begannen mit den eisernen Dingern
zu einem Haus zu laufen. Solange wir noch auf dem Platz liefen und es
keinen Schnee hatte, war es mühsam und streng. Doch dann wie wir
das erste mal auf den Schnee kamen, erschrak ich, denn plötzlich fuhr
ich ganz von alleine, ganz schnell. ‚Plumps’, machte es und ich landete
mit meinem Hintern auf dem Schnee. Simon lachte und half mir beim
Aufstehen. Er gab mir die Hand und begleitete mich liebevoll die erste
Strecke, die ich mit den komischen Dingern fuhr. ‚Ski’, sagte Simon
und zeigte auf die Eisen an meinen Füssen. ‚Ski’, sprach ich ihm nach.

Weit mussten wir nicht gehen und wir kamen beim Haus an. Dort
standen die Leute in einer Kolonne, die sich langsam nach vorne
bewegte. ‚Wo gehen hin?’, fragte ich Simon. ‚Skilift’, sagte er. Da sah
ich es. Ein langes Seil war den ganzen Berg hoch gespannt. Irgend
jemand zog oben am Seil und die Leute konnten sich zu zweit am Seil
anhängen. So musste niemand nach oben laufen, was sicher streng
gewesen wäre. Nur wer war so lieb und hat oben gezogen? Das nahm
mich Wunder.

Schliesslich waren wir zuvorderst in der Kolonne. Simon erklärte mir


wie ich mich am Seil anhängen musste und kam an meiner Seite mit.
Wir sassen auf einem Stecken, der an einer Schnur oben am Seil
angemacht war. Und so zog es uns hoch. Zuerst fürchtete ich mich,
denn das Seil lief viel schneller wie ich zuvor gedacht hatte. Aber es
ging gut und ich fand es wunderschön. Vorbei fuhren wir an
eingeschneiten Bäumen, Häusern und Hügeln. ‚Oh schön’, staunte ich
laut und Simon hatte Freude, dass es mir gefiel.

Oben mussten wir schnell wegspringen, sonst hätte es uns


weitergezogen und wir wären fürchterlich gegen eine Wand geknallt.
Da hatte ich doch ein bisschen Angst. Nun aber wollte ich sehen, wer
an dem Seil zog. Doch zu meinem Erstaunen war da nur ein grosses Rad
vor uns in der Luft an einem Eisenmasten befestigt und da lief das
grosse Seil drum herum, auf der anderen Seite wieder runter. Die
verstehen was von runden Sachen, die sich von alleine drehen in
Avaras Welt, dachte ich. Da hatte ich schon einige male gestaunt,
aber was ich hier sah übertraf alles. ‚Wer Seil ziehen?’, fragte ich
verdattert Simon und Christina, die neben mir standen. ‚Das geht mit
Strom, mit einem Elektromotor’, versuchte mir Simon zu erklären.
Aber ich hatte das Gefühl, dass ich nach seiner Erklärung gleich viel
wusste wie vorher. ‚Wie das Licht’, sagte schliesslich Christina. ‚Aha’,
staunte ich, denn das Licht hatte sie mir einmal gezeigt. Das machen
sie mit etwas teuflischem, das sie in so Eisen drin aufbewahren. Sie
nennen es Strom und es ist unsichtbar. Als mir Christina dies das
erste mal zuhause erklärt hatte, war ich so dumm und hab da in dieses
teuflische Eisen reingelangt mit meinen Fingern. Ui, das hat mich grad
weggeworfen. Das hätte ich nicht tun dürfen und damals schimpfte
Christina mit mir. Nun aber, da zuoberst auf der Skipiste, verstand
ich was Christina mir erklären wollte und kam zum Staunen nicht mehr
heraus. ‚Aha Teufel Eisen, wie Licht’, sagte ich und Christina und
Simon nickten.

Schliesslich nahm Simon einen kleinen Sprung nach vorne, sodass er in


Fahrt kam. Ein kleines Stück weiter unten wartete er. ‚Am besten
versuchst du es einfach mal’, forderte er mich auf, ‚ da kann nicht viel
schief gehen, nur mut’. Also nahm ich auch einen kleinen Sprung nach
vorne. Ich staunte, tatsächlich, ich bewegte mich. Mit meinen zwei
Skistöcken aus Eisen konnte ich zudem gut das Gleichgewicht halten.
Ich freute mich. Juhuu, schön, lässig, ich hätte ich vor lauter Freude
jauchzen können. Nur was sollte ich jetzt machen. ‚Simon’, schrie ich,
doch Simon war schon weit hinter mir. ‚Hilfe, was soll ich jetzt tun’,
rief ich, doch es war niemand da, der mir hätte helfen können. Einen
Moment war mir Angst und Bange, dann aber wich die Angst der
Freude, denn ich bewegte mich und ich fuhr den Hügel hinunter, ein
erhabenes, hohes Gefühl kam in mir hoch.

Eine Weile ging das halbwegs gut, doch dann wurde die Abfahrt steiler
und steiler. Die Luft zischte mir um die Ohren. Ich wusste, dass die
anderen Leute es verstanden, Kurven zu fahren und dann kamen sie
nicht in so ein Höllentempo hinein, wie ich jetzt hinunterzischte. Nur
ich wusste nicht, wie ich das hätte tun sollen. Neben mir schrieen
Frauen, Kinder und Männer. Doch ich verstand nicht, was sie mir
zuschrieen. Ich schrie ebenfalls, dass sie mir früh genug ausweichen
konnten. Hoffentlich wird es bald wieder weniger steil, hoffte ich.
Doch was ich dann sah, liess mein Blut in den Adern stocken. Vor mir
lag bereits das Haus, wo die Leute auf den Skilift gingen. Da
hineindonnern, in die Hütte? ‚Nein’, erschrak ich, ‚auf keinen Fall’. Ich
erinnerte mich gesehen zu haben, dass die ganz kleinen Kinder vorne
die Skieer kreuzten um zu bremsen. Das war meine letzte Hoffnung
und sonst würde etwas ganz schlimmes geschehen. Ich hielt die Beine
auseinander und versuchte die Füsse ganz wenig gegeneinader zu
kreuzen. Aber dann, ‚Krabatsch’, knallte es laut und meine Skier waren
weg, irgendwo, aber an meinen Schuhen waren keine Skier mehr
befestigt. In hohem Bogen flog ich weit durch die Luft und landete im
weichen Schnee.

Meine Kleider waren voll Schnee, mein Gesicht war voll Schnee, mein
Hals, meine Arme, meine Hosen, alles war voll Schnee und ich lag da
wie ein Schneemann, aber ich war überglücklich, dass es mir gelungen
war, die Fahrt noch rechtzeitig zu stoppen. Nun kamen all die Leute an
mir vorbeigefahren, die mir vorher zugeschrieen hatten. Einige von
ihnen lachten und riefen mir lustiges Zeugs zu, aber andere schauten
ausgeprochen böse aus ihrer Wäsche. Eine Frau begann sogar arg mit
mir zu schimpfen und ich streckte ihr die Zunge raus. Darauf wurde
sie noch wütender, aber sie war zum Glück zu faul, zu mir neben die
Piste hinunter zu kommen, denn sie hätte wieder weit rauflaufen
müssen. Dann endlich kamen Simon und Christina. Sie waren
überglücklich, dass mir nichts schlimmes passiert war. Simon brachte
mir sogar meine Skier runter und so brauchte ich nicht mal die ganze
Strecke wieder hochzulatschen.

Simon zeigte mir anschliessend geduldig und liebevoll wie das richtig
geht mit Skifahren. Ich begriff es schnell, denn alles, was mit
herumrennen, hüpfen und springen zu tun hat, gefällt mir und es passt
so richtig zu meiner Natur, die in mir drin steckt“.

So beendete Iakunae ihre Erzählungen. Nun, nach der schönen Reise in


Avaras Welt sass sie wieder auf dem Dorfplatz ihres Indianerdorfes.
„Ach war die Reise schön“, schwärmte sie, „ich vermisse es richtig, die
lieben Leute, die ich da kennengelernt habe, werde ich sie jemals
wiedersehen?“. Ein paar kleine Tränen flossen Iakunae aus ihren
Augen. Doch es waren Tränen der Freude, der Freude ob ihrer
schönen Reise, die leider jetzt zu Ende war. Emilia setzte sich neben
ihre Freundin und hielt den Arm um ihre Schultern. Auch Kwarahi und
Kevin setzten sich neben die zwei. „Uns geht es nicht anders“, sprach
Kwarahi, „auch wir sind von unserer langen Reise, an die ich mich so
gerne erinnere, zurückgekehrt. Zuhause ist es doch so schön und da
gehören wir hin“. Iakunae nickte. „Und du hast ja gehört“, sprach ihr
Emilia Mut zu, „Avara freut sich, wenn du wieder kommst. Das wird
schon klappen“. Iakunae nickte mit einem tapferen Lächeln und alle
Indianer, die herumsassen freuten sich ob dem schönen Wiedersehen.
Kapitel 11 Angriff der Piranabas

Am frühen Abend kurz vor Sonnenuntergang sassen Juanita und


Thiago am Rand der Veranda und liessen ihre Beine über den
Bretterboden hinunterbaumeln. So sassen die zwei Kinder gerne da,
denn es war so gemütlich. Dazu sangen sie ein fröhliches Lied. Es war
kühl und ein frischer Wind wehte ihnen ins Gesicht.

„Jetzt kannst du die erste Strophe schon ganz gut singen, Thiago“,
munterte Juanita ihren Bruder auf. „Liebe Juanita, lerne singen
Thiago“, freute sich der Kleine, „liebe Swesterlein“. Wie jeden Abend
warteten die zwei Kinder gespannt und voller Freude auf ihren Vater
Ronaldo, der schon bald von der täglichen Arbeit auf den Feldern und
beim Vieh zurükkehren würde.

Die zwei waren nicht die einzigen die auf ihren Vater warteten. Hinter
ihnen sass im Schaukelstuhl die liebe Mutter Emilia. Emilia hielt Nadel,
Faden und Stoff in den Händen, denn sie nähte ein paar Hosen für
Thiago. Der kleine Lausbub wuchs und wuchs und brauchte ständig
neue Kleider. „Thiago , Komm mal die neuen Hosen anprobieren“, bat
Emilia. „Oh neue Hose, neue Hose“, freute sich Thiago und eilte eifrig
zu seiner Mama.

„Mama sag mal?“, fragte Juanita etwas später, „wenn du damals den
Prinzen Konyan Bebe geheiratet hättest, dann wären wir ja jetzt gar
nicht hier?“. Emilia lächelte. „Ja, irgendwie wäre es wohl anders mit
uns“, meinte sie , „das habe ich mir auch schon überlegt. Dann wäret
ihr jetzt Königskinder, wär doch schön Königskinder, nicht wahr?“.
„Ja, aber unseren Papa, unseren lieben Papa Ronaldo, den hätten wir ja
dann gar nicht“, erschrak Juanita, „oder irgend ein fremder König
wäre jetzt unser Vater, irgend so ein herrschsüchtiger, dicker Mann.
Und dann erst unser Papa? - armer Papa, er wäre ganz alleine, ohne
uns“. „Ja das wär wirklich schade“, seufzte Emilia, „aber weißt du was,
Juanita? Es lohnt sich glaub nicht, sich sowas zu überlegen. Nie und
nimmer wäre ich Königsfrau geworden. Das schwöre ich dir. Und ich
habe ja heute genau die Familie, wie ich es als Kind immer wollte und
von der ich mein ganzes Leben lang geträumt habe. Ich habe euren
Vater, meine lieben Kinder, und all die Freunde die um uns wohnen. Das
ist mein Himmelreich auf Erden“. Kaum hatte Emilia den Satz fertig
gesprochen sass Juanita neben ihr auf dem Stuhl. „Ich bin ja so froh
dass ich dich habe, liebe Mama“, freute sich das Mädchen und
schmiegte sich eng an Emilias Seite.

„Loch, Loch“, rief Thiago begeistert. Er hatte wieder einmal ein


Mauseloch vor dem Haus entdeckt. In steilen Gängen führen die
Mauselöcher tief ins Erdinnere hinein. Thiago machte sich eine
Freude daraus, kleine, runde Steine da hinein fallen zu lassen. Er
kauerte sich nieder, nahm einen Stein und guckte ihm neugierig
hinterher, wie er ins dunkle verschwand. „Pass bloss auf“, neckte ihn
Juanita, „pass bloss auf dass die Maus nicht wütend wird, wenn du ihr
den Eingang verstopfst. Sonst kommt sie blitzschnell raus und beisst
dir in die Nase“. Fragend schaute Thiago Juanita an, dann schüttelte
er ungläubig den Kopf und sagte „äh-äh, maus klein, stimmt gal nigt“.
Alles glaubte er seiner grossen Schwester nun auch wieder nicht. Und
so warf den nächsten Stein hinein, und dann noch einen und noch einen.

Stimmen und Schritte nahten. „Papa, papa“, rannte Thiago seinem


Vater entgegen. „Papi papi“, folgte ihm Juanita. Mit beiden Kindern auf
den Armen betrat Ronaldo die Veranda. „Hallo liebe Emilia“, grüsste er
und setzte sich mit seinen Kindern neben Emilia auf die Bank. Emilia
hielt ihren Arm um Rondaldos Schulter und küsste ihn. Darauf küsste
sie ihre beiden Kinder, die auf Ronaldos Schoss sassen und ihren
Vater nicht mehr los lassen wolltn. Dies war die allabendliche familiäre
Begrüssungszeremonie.

„Ach war das schön heute“, schwärmte Ronaldo, „ein neues Feld haben
wir fertig bestellt. Mal schauen, wie gut die neue Weizensorte aus
Portugal gedeihen wird“. „Weizen, mh fein“, schwärmte Juanita, „ ...
Weizennudeln, meine Lieblingsspeise“. Emilia lachte auf den
Stockzähnen. Sie kannte die lieben Essgewohnheiten ihrer Kinder nur
zu gut. „Weizennudeln gibt es heute zum Abendessen“, verkündete sie
ihrer Familie, „mit scharfer Tomatensosse. Aber ihr zwei Lausekinder
lasst euch sagen, dass ihr vom Gemüse auch essen müsst. Sonst gibt’s
keine süsse Nachspeise“.

Juanita rümpfte kräftig die Nase. „Bäh nur kein Blumenkohl und kein
Broccoli“, entsetzte sie sich. „Und wohl auch keinen Kohl?“, schimpfte
Emilia, „keinen Spinat? keine Spargeln? Keine Auberginen und keine
Zuccheti? nein, nein, Kinder, es wird von allem gegessen. Nicht nur von
den Nudeln“. Ja so war Emilia als Mutter. Sie konnte auch streng sein,
wenn dies nötig war. Die Kinder sagten nicht mehr viel, denn sie
wussten genau, dass sie ein wenig Gemüse essen mussten. Ronaldo hielt
seine zwei Kinder fest im Arm. „Sagt mal ihr zwei“, wunderte er sich,
„habt ihr Gemüse dermassen nicht gerne?“. „Bäh Müse, bäh müse“,
schimpfte Thiago, „bäh müse, bäh müse“. „Ach wisst ihr“, gestand
Juanita ein, „eigentlich ist Gemüse ja gar nicht so schlecht. Aber die
Nudeln, die sind halt viel viel besser“. Emilia hielt ihren Arm um
Juanitas Schultern. „Ja, ja ihr zwei lieben“, lächelte Emilia.
Schweigend sassen sie so eine Weile beisammen und genossen den
schönen Abend.

„Damals in Uwattibi“, begann Emilia schliesslich zu erzählen, „da


hatten wir nicht immer genug zu essen“. Sie nahm das Pergament vom
Tisch, schaute es lange an und fuhr fort: “das ganze begann, als
Panyma das Dorf für einige Zeit verlassen musste. In einem Dorf weit
weg war eine schwangere Frau krank geworden und Panyma wollte ihr
zu Hilfe eilen“.

„Sie ist grün, blau und gelb im Gesicht“, sprach mit entsetzter Stimme
ein Indianer, der soeben aus einem entlegenen Dorf angerannt kam,
„Panyma, du bist die einzige die noch helfen kann“. Panyma sass mit
Emilia und Iakunae in der Materialhütte. Die drei wollten soeben mit
einer Zauberlektion beginnen. Aber jetzt war etwas dringendes
dazwischengekommen. „Und das Kind im Bauch der Frau, lebt es
noch?“, fragte Panyma mit besorgter Stimme. „Ja“, antwortete der
Indianer, „beide leben noch. Aber die Frau hat eine Krankheit, die wir
noch nie gesehen haben. Sie kann kaum mehr sprechen und aufstehen
kann sie auch nicht mehr. Es eilt. Wir sollten heute noch aufbrechen,
dass wir bis morgen Nachmittag bei ihr sind. Dann ist es vielleicht
noch nicht zu spät“.

„Emilia und Iakunae, es sieht so aus als ob ich euch für einige Zeit
verlassen muss“, erklärte Panyma ihren Zauberschülerinnen, „wenn
eine schwangere Frau krank ist, so will ich sogleich hingehen und
versuchen ihr zu helfen“. „Sollen wir nicht mitkommen und dir
beistehen?“, fragte Emilia. „Nein, nein, lieb von euch, aber das ist
nicht nötig“, antwortete Panyma, „Passt ihr zwei nur gut auf, dass hier
nichts schief geht. Und sammelt fleissig Zauberkäuter“. Kaum hatte
Panyma den Satz fertig gesprochen war sie auch schon aufgestanden.
„Gehen wir“, sagte sie zum Indianer und die zwei waren aus der
Materialhütte verschwunden.

Die nächsten Tage verliefen ruhig im Indianerdorf. Am morgen


spielten Emilia und Iakunae jeweils mit den Kindern und die heisse
Nachmittagszeit verbrachten sie in der kühlen schattigen
Materialhütte bei Zauberübungen. In einer der ersten
Zauberlektionen zeigte damals Panyma den Mädchen, wie sie ihre
Zauberkräfte darauf ausrichten können jemandem in grosser Ferne
Hilfe zukommen zu lassen. Es ist wichtig, dass Zauberschüler früh
lernen, mit ihrer Kunst Menschen in Not zu helfen. Zauberer, die dies
nicht tun oder gar in üblen Gedanken anderen schaden wollen, kommen
schnell in des Teufels Küche, weden selber krank oder verschwinden
gar für immer zu den Dämonen im Erdesinnern. So versuchten die
Mädchen, ihre Hilfe der kranken schwangeren Frau zukommen zu
lassen. Vor ein paar Tagen war denn auch erneut ein Bote aus dem
fernen Dorf vorbeigekommen, der sagte, der Frau gehe es schon viel
besser aber Panyma werde zur Sicherheit noch einige Zeit dort
bleiben.

So vergingen die Tage, ohne dass etwas besonderes geschah. Es war


eine friedliche Zeit ohne grosse Abenteuer und Gefahren. Einzig an
einem Nachmittag kam Kiripitti mit Schrecken kreidebleich und blass
im Indianerdorf angerannt. „Jngange, Jngange, der Teufel, der
Teufel“, schrie er ausser sich. Selbst im Dorf drin rannte er noch
nervös umher und kam nicht zur Ruhe. Nun, Kiripitti war weit herum
bekannt für seine Schreckhaftigkeit. „Kiripitti“, grinsten die
erfahrenen Indianerkrieger, „hat er wieder mal etwas gesehen, hi, hi,
hi“.

Wenn auch die Indianer hie und da über Kiripitti lachten, so hatten sie
ihn sonst ausgesprochen gern. Er war zwar nicht so tapfer und so
mutig, wie es die meisten Indianermänner waren, aber Kiripitti war
ausgesprochen hilfsbereit und wenn es dann sein musste, so hatte er
schon überraschend in der Not dennoch erstaunliches geleistet. Aber
meistens träumte er in seiner Phantasie etwas in den Tag hinein und
dafür war er bekannt.

Es kam bei den Indianern häufig vor, dass einer dem Teufel
begegnete. Hinter allem, was sie sich nicht erklären konnten, steckte
letztlich irgendwie Jngange, der leibhaftige Teufel. So störte sich
niemand ob Kiripittis Auftritt und selbst Emilia und Iakunae grinsten
anfänglich über den lieben Mann, doch dann erzählte Kiripitti weiter.

„Im Meer unten“, erklärte er der ungläubigen Menge, „in einem gelb
leuchtenden Meer, ist Jngange als Drache, halb Fisch halb Mensch ans
Ufer gekommen. Grad vorhin, ich habs selber gesehen“. „Im Meer
unten?“, fragte Emilia besorgt. „Ja, ja, geh nur selber schauen, Emilia“,
antwortete Kiripitti der sich freute, dass wenigsten jemand ihn ernst
nahm. Emilia schüttelte leise den Kopf und sagt lange nichts. Gebannt
schauten die Indianer zu Emilia hin. Allmählich hörten sie auf zu
lachen und schwiegen. Schliesslich nickte Emilia und wandte sich an die
Indianer. „Ihr kennt ja die Voraussagen der weisen Indianer!“, war das
einzige, das sie sagte, doch dies bleibt bei den Indianern nicht
ungehörte. Einige von ihnen blickten fragend zu Emilia und keiner
wagte es, weiterhin über Kiripitti zu grinsen. Wie in den nächsten
Tagen aber kein Jngange mehr gesichtet wurde, ging das Leben in
Uwattibi weiter seinen friedlichen Lauf.
An einem schönen Nachmittag trat Iakunae zu Emilia in die
Materialhütte ein. „Hast du gesehen, Iakuane, wir haben gar nicht
mehr viele Kräuter“, sorgte sich Emilia, „wir haben kein Tarantelkraut
mehr und die grüne Kratzwurzel ist auch ausgegangen“. Eine Zeit lang
schwieg Iakunae. Dann witzelte sie mit spitzem Lächeln und hoher
Stimme: „Ja ich weiss, ich weiss, keine Kräuter mehr, Zeit für
Zauberferien, Zeit für süsses Nichtstun“. „Zauberferien?“, staunte
Emilia, „süsses Nichtstun? Willst du etwa auf der faulen Haut
herumhocken, du Faulpelzchen? Das könnte dir so passen, Nichtstun
und das Leben geniessen. Nein, nein. Jetzt heisst es losmarschieren
und Kräuter sammeln“. Emilia nahm einen Staudenbesen und rannte
ihrer Freundin hinterher. Schlussendlich aber lachten sie beide. Sie
packten ihre Sachen und verliessen das Indianerdorf.

Der Weg führte die Mädchen auf einen der steilen Hügel, die das
Indianerdorf umgaben, denn die grüne Kratzwurzel konnten sie nur da
oben finden. „Bald haben wir es geschafft“, freute sich Emilia, „lass
uns eine Pause einlegen“. So sassen Emilia und Iakunae auf einer
Waldlichtung und genossen die Aussicht. Auf der einen Seite sahen sie
in die hügelige Landschaft des Indianerlandes und auf der anderen
Seite blickten sie auf das weite Meer hinaus, auf das Grosse Wasser,
das in seiner Ausdehnung unendlich erschien.

„Da, weit, weit hinter dem Grossen Wasser liegt Porto, wo ich
herkomme“, begann Emilia zu erzählen, „das Haus in dem ich viele
Jahre gewohnt habe und der Palast des Königs, wo ich zu Schule ging.
Wenn du viele Monde lang segelst, mehr wie sechs oder sieben Monde,
dann kommst du dahin“, „Hast du Heimweh?“, fragte Iakunae,
„möchtest du wieder zurückgehen, wo du herkommst, Emilia?“. „Nein,
auf keinen Fall“, antwortete Emilia, „ich finde es hier in eurem Land, in
der ‚Newen Welt America’ viel schöner. Bei euch, da dürfen die Leute
wenigsten denken und sagen was sie wollen. Das ist in Porto anders“.
„Dem Paygi darfst du aber auch nicht sagen, was du willst“, entgegnete
Iakunae, „sonst rennt er dir hinterher und will dich zu verhauen“.
Emilia lachte. „Ach Paygi“, grinste sie, „der ist doch keine Gefahr. So
Leute gibt es überall. Aber da drüben in Porto, wenn da die Leute
etwas gegen den Papst und seine Lehren sagen, dann werden sie
gefangen, bestraft oder gar getötet“. „Was? Wirklich?“, ensetzte sich
Iakunae, „Das kann ich ja kaum glauben. Da sagen sie doch immer, wie
fortschrittlich alles ist auf der anderen Seite des Grossen Wasser
und wie wir Indianer noch viel zu lernen hätten“. „Das ist auch so eine
blöde Ansicht“, erklärte Emilia, „in Wirklichkeit ist es ganz anders.
Auch wenn die Gelehrten in Porto noch so komplizierte Dinge erfinden,
von Mensch zu Mensch finde ich die Indianer offener und lieber“.
„Finde ich auch“, lächelte Iakunae erleichtert, „drum lass uns für
immer zusammen im Indianerland bleiben“. So sassen die zwei
Freundinnen nebeneinander und genossen den schönen Rundblick, ohne
auch nur im geringsten etwas Schlechtes oder Böses zu ahnen.

Nach einer Weile stand Emilia auf. „Wollen wir langsam weiter
gehen?“, fragte sie. „Ja“, antwortete Iakunae, doch noch bevor
Iakunae aufstehen konnte wurde es plötzlich finster um sie herum. Ein
kalter Wind blies Iakuane ins Gesicht. „Hilfe“, schrie Iakunae, „was ist
los?“. Aengstlich schauten sich die Mädchen um, doch schon donnerte,
krachte und blitzte es den beiden um die Ohren. „Hast du das
gesehen?“, erschrak Iakunae, „der Sturm? der Donner? das gelbe
Licht im Meer draussen?“. „Ja“, hauchte Emilia gebannt, „Ipupiara. Sie
kommt zurück. Sie greift uns an“.

Das Unglück traf Emilia und Iakunae erschreckend schnell. Noch bevor
sie genauer sehen konnten, was da los war, überzog sich der Himmel
brandschwarz. Die Mädchen hielten einander fest. Weit draussen im
Meer sahen sie das gespenstische Leuchten gelber Blitze.
Soweit das Auge reichte zuckten die gelben Blitze durch das Wasser.
Einem riesigen Spinnennetz gleich, das die ganze Meeresoberfläche
bedeckte, stiegen die Blitze aus den Gründen der Tiefe empor. In der
Mitte bäumte sich das Meer zu einem hohen Turm auf. Ipupiara, die
Dämonin, halb Fisch, halb Mensch sass oben auf diesem Thron von
donnerndem Wasser und schlug mit ihren kralligen Fäusten wild um
sich. „Nun habe ich euch“, krächzte sie mit wütender Stime, „nun
werde ich euch alle erwischen, ha, ha, ha“.

„Ipupiara“, entsetzte sich Emilia, „jetzt, ausgerechnet jetzt, wo


Panyma fort ist und uns nicht helfen kann, jetzt ist sie in den Besitz
ihrer Kräfte zurückgelangt“. „Böse Ipupiara“, schrie Iakunae in
Richtung Meer, „böse Dämonin, geh zurück von wo du herkommst“.
Doch Iakunaes Schreie nützten nichts, niemand ausser Emilia hörte
sie.

Wie wenn die eine Bedrohung nicht schon genug wäre, schlich noch
eine weitere Gefahr heran. Hinter dem Hügel, auf dem die Mädchen
standen, stiegen nämlich schwarze Wolken auf und verdeckten das
letzte Sonnenlicht. „Ein Gewitter?“, erschrak Iakuane. Emilia
schüttelte verzweifelt den Kopf. „Nein“, antwortet sie, „ das ist kein
Gewitter. Das sind auch keine Wolken. Das ist brennender Rauch,
pechschwarzer brennender Rauch“. Es verging keine Minute und die
zwei Mädchen sind waren der unausweichlichen Bedrohung ausgesetzt.

„Graaah, graaah, krrrsch“, fauchten gierige Stimmen durch die Büsche


und Bäume. „Wer ist das?“, erschrak Iakunae. Doch Emilia wusste
keine Antwort. „Ungeheuer, Gespenster oder was auch immer“,
entsetzte sich Emilia verzweifelt, „wir werden überfallen. Los,
verstecken wir uns hinter diesem Gebüsch da“. Iakunae ergriff einen
langen Holzstecken, der neben ihr liegt. „Damit schlage ich zu wenn sie
kommen“, entschied sie sich, „so schnell werden die mich nicht
kriegen“. Emilia hielt ihren Finger vor den Mund. „psst“, mahnte sie
ihre Freundin, „lass uns zuerst mal ausfindig machen, wer da
überhaupt auf uns zukommt“.

Lange brauchten die zwei Mädchen nicht zu warten. Eine riesige Schar
kurrliger kräftiger Gestalten, menschliche Wesen mit Köpfen von
Fischen kamen ihnen entgegen. Die Wesen hatten eine Haut aus
Fischschuppen und mächtige Krallen an ihren Fingern. Sie waren nur
halb so gross wie die Mädchen, aber es waren unzählig viele. Mit ihren
roten und grünen Fischaugen glotzten sie wütend um sich. Hungrig
fletschten sie durch ihre scharfen Fischzähnen. „Die Piranabas“,
stöhnte Emilia zum Himmel, „die Verbündeten, Untertanen und Diener
Ipupiaras überfallen das Indianerland“.

Die Piranabas schlugen fürchterlich zu. Emilia und Iakunae sahen, wie
die Wüstlinge alles kleinfressen, Bäume, Büsche, Gräser und Pflanzen,
alles rissen sie aus, zermalmten es mit ihren Zähnen und Krallen und
machten den Urwald dem Erdboden gleich. Emilia und Iakunae
versteckten sich hinter einem dichten Busch. „Diese bösen Biester“,
entsetzte sich Iakunae, „die machen das ganze Indianerland kapputt“.
„Schnell“, entschied Emilia, „lass uns ins Dorf zurückkehren und
unsere Leute warnen“. „Blöde Prianabas“, stöhnte Iakunae und helt
ihren Holzstecken in die Höhe, „wartet nur, von mir könnt ihr was
erleben“. „Die sind stärker wie du“, entgegnete Emilia, „wenn wir gegen
die etwas ausrichten wollen so geht das nur mit List und Köpfchen.
Aber jetzt komm, zurück ins Dorf, so schnell es geht“. So rannten die
zwei Mädchen drauflos.

Der einzige Fluchtweg, der den Mädchen offen blieb, und wo die
Piranabas nicht bereits lauerten, führte steil den Abhang hinunter.
Die Mädchen rannten so schnell es irgendwie ging, doch immer wieder
rutschten sie auf den kantigen Steinen im Geröll aus. Emilia und
Iakunae bluteten an Armen und Beinen aus brennenden Schrammen
und Schürfwunden. Aber es war jetzt keine Zeit diese Verletzungen
zu pflegen. Tapfer flohen sie um Leben und Tod. Doch da, plötzlich,
rutschte Emilia aus und kam ins Fallen. „Halte dich, Emilia“, schrie
Iakunae verzweifelt, „Halte dich, pass auf, hinter dir, sonst fällst du
in die Tiefe“. „Hilfe“, schrie Emilia, „ich kann nicht mehr bremsen“.
Das steile Geröll schob sich vor Emilia in die Tiefe und Emilia fiel
hinterher, haltlos, immer weiter den Abhang hinunter, immer näher
hinaus auf die Felswand, die senkrecht weit in die Tiefe abfiel. Doch
da, zum Glück, im letzten Moment konnte Emilia den Ast eines jungen,
starken Baumes ergreifen und mit aller Kraft gelang es ihr, sich vor
dem sicheren Absturz durch die Felswand zu retten. Emilia blieb
liegen und bewegt sich nicht mehr. Sofort versuchte Iakunae zu ihrer
Freundin zu gelangen. „Wart Emilia, einen moment“, rief Iakunae, „ich
komme Dir zu Hilfe„ . Schliesslich gelang es Iakunae, mühsam zu Emilia
runter zu steigen. „Mein Knie, mein Knie“, klagte Emilia mit leiser
Stimme, „es schmerzt. Ich habe es auf den grossen Stein da
aufgeschlagen. Ich kann es nicht mehr bewegen“. „Komm ich helf dir.
Leg deinen Arm um meine Schultern. Wir müssen weiter“. Mit
Iakunaes Hilfe gelang es Emilia weiterzukommen. Doch sie kamen nur
langsam voran, denn auf das Bein mit dem verletzten Knie konnte Emila
nicht mehr aufstehen, ohne dass es fürchterlich stechend schmerzte.

Hastige, rumplige Schritte näherten sich. „Graah, graah, graaah“,


schrieen die Piranabas hinter den Mädchen. „Die Piranabas folgen uns“,
entsetzte sich Emilia. „Schnell, hinter die Ecke da, dann sehen sie uns
wenigstens nicht mehr“. Mühevoll zerrte Iakunae ihre Freundin mit
sich.

Zum Glück aber schaute sich Iakunae genau um, bevor sie hinter der
Ecke mit Emilia weiterrannte. „Huch“, staunte Iakunae, „da geht’s
hinunter“. Keine zwei Schritte weiter vorne gähnte den Mädchen ein
steil abfallender Abhang entgegen. Vorsichtig blickte Iakunae zurück
zu den angreiffenden Piranabas. „Drei, es sind bloss drei“, stellte
Iakuane erleichtert fest, „das ist zum Glück nur einer ihrer
Spähtrupps, aber wir sollten sie aufhalten können und zum schweigen
bringen, denn wenn sie den anderen rufen, wird uns sofort die ganze
Meute hinterherrennen“.

Zu Emilias Erstaunen fürchtete sich Iakunae gar nicht sonderlich. Das


mutige Indianermädchen lächelte nur, denn sie hatte etwas gesehen,
das ihnen weiterhelfen konnte. „Siehst du die abgefressenen Büsche
die hier herumliegen? Doofe Prinanabas, fresssen alles grüne zu
Boden. Die Büsche stelle ich jetzt vor den Abhang. Dann sehen sie
nicht mehr wie es hinter uns in die Tiefe geht“. Kurzerhand stellte
Iakunae die herumliegenden Büsche ins Geröll.

Emilia traute Iakunaes Plan nicht so ganz. „Lass mal, vielleicht haben
sie uns ja gar noch nicht gesehen und ziehen weiter“, hoffte Emilia.
„Von wegen“, antwortete Iakunae, „die sollen uns jetzt bloss mal
sehen“. Iakunae rannte um die Ecke und streckte den Prianabas die
Zunge raus. Ihre Daumen steckte sie in ihre Ohren und wackelte mit
den Fingern. „Bäh, bäh , bäh, blöde Piranabas“, neckte sie die drei
Prinanabas. Emilia grinste, denn sie hatte Iakunes Plan sehr wohl
durchschaut. Obwohl Emilia kaum gehen konnte, ergriff sie einen
schweren Holzstock der neben ihr lag.

„Ohhh, rrrrghhhh“, kreischten die Piranabas. „ohhh, wart nur, jetzt


kannst du was erleben“, fauchten die drei durch ihre zähnigen Mäuler
und streckten Iakunae die Krallen ihrer Finger entgegen. Einer von
ihnen, es ar der stärkste, griff Iakunae am. „Kräh, kräh, kräh“,
stürzte er sich schreiend auf das Mädchen. „blä, blä, blä“, neckte
Iakunae noch mehr und rannte hin zu Emilia. „Wrrh, wrrrh“, stürzten
sich die drei Piranabas auf die Mädchen und diese handelten schnell.
Wie das stärkste Piranaba unmittelbar vor Iakunae angrannt kam und
zupacken wollte, schnellte Iakunae zur Seite, gab dem Piranaba noch
einen kräftigen Schubser und das stolze Piranaba, der Anführer der
dreien, flog mit samt den Büschen ins Leere hinunter, in die Tiefe der
Schlucht. Dass zweite kam auf Emilia zugerannt. Doch Emilia hatte
vorgesorgt. Mit einem kräftigen Schwung ihres Holzstockes war es
für Emilia ein leichtes, das zweite Piranaba auf die Flugreise Richtung
Schlucht zu befördern. Das dritte aber blieb in sicherer Entfernung
andächtig stehen und blickte den Mädchen verängstigt in die Augen.
„Gähh“, knurrte es den Mädchen ins Gesicht. Doch mehr und mehr
zeichnete sich eine tiefe Angst ab im Gesicht des Fischwesens und es
begann fürchterlich zu zittern. „rä tä tä tä tä tä tä“, zitterte es
schlotternd wie Espenlaub. Und dann kam etwas, womit die Mädchen
nie gerechnet hätten. Das dritte Piranaba holte kräftig Anlauf und
sprang den anderen beiden freiwillig in die Schlucht hinterher.
Iakunae grinste. „hi hi, Das hatte zuviel Angst vor uns“, stellte sie mit
einem Lächeln fest, „das Piranaba wagte nicht mit uns zu kämpfen, ha
ha, und damit wir es nicht hauen konnten, ist es selber
hinuntergesprungen... so feige.“. „Blöde Biester“, schimpfte Emilia, „sie
kommen in hoher Zahl, sind in der Gruppe stark und gefährlich, aber
einzeln sind sie feige und wagen nicht zu kämpfen“.

Aus der Tiefe drang böses Fluchen ans Ohr der Mädchen. „Graaaah,
verfluchte Gören, euch werden wir fressen“, schimpften die gründlich
vermöbelten Prianabas, die einiges an Schuppen und Zähnen beim
Sturz verloren hatten. Iakunae streckte die Zunge raus. „Bäääh, bullä
bulllä, bäääh“, neckte sie die drei arg gebeutelten Fischungeheuer.

„Lass uns weiter gehen“, sprach Emilia, „meinem Knie geht’s inzwischen
etwas besser“. So setzten die Mädchen ihre Flucht fort und
erreichten nach kurzer Zeit das Indianerdorf.
11-2

Ausser Atem stürzten die Mädchen durch das Tor hinein mitten auf
den Dorfplatz. „Rettet euch, rettet euch“, schrieen die zwei , „die
Piranabas überfallen uns. Zu hunderten, zu tausenden kommen Sie.
Rettet euch, rettet euch“.

Nur wenige Indianer befanden sich auf dem Dorfplatz. Paygi, der hohe
Priester, sass auf seinem Thron und erzählte seinen Verehrerinnen
schöne Geschichten. Die anderern Dorfbewohner hatten sich in die
Strohhütten zurückgezogen und ruhten sich aus.

Paygi hatte es gar nicht gerne, wenn ihn jemand beim Erzählen seiner
Heldengeschichten unterbrach. „Sagt mal, ihr zwei dummen Gören,
könnt ihr nicht woanders spielen?“, stänkerte Paygi zu Emilia und
Iakunae, „müsst ihr mit euren Kindereien wirklich das ganze Dorf
erschrecken?“. „Es ist aber wahr, die Piranabas, sie kommen“, keuchte
Emilia ausser Atem“, „schnell rettet euch, sonst ist es zu spät“.

Inzwischen waren Häuptling Avanene und einige Indianer durch die


Rufe und Schreie in ihrer Ruhe geweckt worden und vor die Hütten
getreten. „Sag mal Avanene“, entsetzte sich Paygi mit hochrotem
Kopf, “könnt ihr das euren Kindern nicht endlich mal beibringen? Sie
sollen ihre albernen Spiele auf den Plätzen durchführen, die ihnen zum
Spielen zugewiesen worden sind und nicht mit ihrem kindischen
Geschrei und Getöse das ganze Dorf erschrecken“. „Ja aber die
Piranabas, sie kommen“, stammelte Iakunae. „Ach was“, entsetzte sich
Paygi, „erzählt doch keinen Kram. Die Piranabas? Die sind ‚meilenweit’
entfernt“. Dabei brauchte Paygi das neuste Modewort ‚meilenweit’.
Dieses Wort hatten die Indianer von den portugiesischen Seeleuten
gelernt, denn in Meilen massen die gelehrten, hochangesehenen
Seeleute die Distanz auf dem Meer.

„Meilenweit enfernt sage ich euch“, fügte Paygi ich hohem gelehrten
Ton fort, „in ihren tiefen Erdlöchern und wagen sich nicht mehr
heraus. Seit wir sie vor zwei Jahren mit den von mir persönlich
gesegneten Tammarakas in die Flucht geschlagen haben, wagen sie sich
nicht mehr in unsere Nähe“.

Häuptlling Avanene stand vor den Mädchen und vor Paygi. Er schwieg
und sagte nichts. Er schaute Paygi und den Mädchen in die Augen und
wandte darauf seinen Blick in der Urwald hinein. „Paygi“, sprach
Avanene trocken, „dann dreh dich mal um“. Dazu streckte Avanene
seine Hand in Richtung Urwald. Vor dem Dorf spielte sich eine Szene
ab, wie niemand sie jemals für möglich gehalten hätte. Ein hoher Baum,
ein sogennanter ‚Urwaldriese’ , zitterte, neigte sich langsam zur Seite
und krachte in sich selbst zusammen. Offenen Mundes schauten die
Indianer dem unglaublichen Spektakel zu. „Grääh, grääh, grääh“,
drangen die neckischen Schreie der Piranabas ins Indianerdorf,
begleitet vom Gekrache und Getöse unzähliger umfallender Bäume und
Sträucher.

Von den Piranabas selber war nicht viel zu sehen. Sie versteckten sich
hinter Stauden und umgefallenen Baumstämmen. Nur hie und da
blinzelte eines schäbig zwischen den Blättern hervor. Die Indianer
standen mit Pfeil und Bogen am Steckenhag ums Dorf. „Nichts zu
machen“, entsetzte sich Avanene, „sie schlagen uns alles klein, aber
wir sehen sie nicht. Spart eure Pfeile, bis wir sie zu Gesicht
bekommen“. Die Indianer schauten Avanene fragend an. „Meinst du
sollen wir nicht raus gehen und sie angreifen, mit ihnen kämpfen?“,
wollte ein junger Indianer wissen. „Damit wir das Dorf alleine lassen?“,
entgegnete Avanene, „ und sie dann ins Dorf eindringen können und
auch hier alles klein schlagen? Du weißt ja wie zahlreich sie sind“. Der
junge Indianer nickte und schwieg, denn er sah ein, dass Avanene
recht hatte.

„So unternimm doch wenigstens du etwas, Paygi“, bat schliesslich eine


der Indianerfrauen, „du bist doch unser Priester. Und kein anderer
kennt die Zauberkräfte der Tammarakas so gut wie du“. „Ja, ja“, gab
Paygi in hohem Tone von sich, „die Tammarakas, die können uns in der
Tat besser helfen gar wie Pfeil und Bogen“. Andächtig und ruhig lief
Paygi eine runde um seinen Opferaltar auf dem Dorfplatz. Doch seine
Verehrerinnen verloren langsam die Nerven. „Ja mach schon, mach
schon“, drängten ihn die Frauen, „es eilt, schnell“. Paygi schliesslich
erhob sein Haupt und zog sich andächtig die hohen Priesterfedern
über. „Alle ihr Anwesenden, die ihr vertrauet auf die edlen Geister die
da drinne stecken in euren Tammarakas, folget mir mit euren heiligen
Gefässen. Gesegnet sein, sollen sie“. Gefolgt von einem dutzend
Männer verschwand Paygi in die grösste Hütte des Dorfes.

„he he he ho ho, he he hari, ha hari, ha hari“, sangen die Männer zum


Tanz in der Hütte. Dazu rasselten sie im Takt mit ihren frisch
gesegneten Tammarakas. Allen voran, mutig, lief erhobenen Hauptes,
im andächtigen Schritt, Paygi der hohe Priester. Zu diesem Ritual
hatten sich die Indianer mit Kriegsfarben bemalt und mit ihren
schönsten Federn geschmückt. Gäbe der Angriff der Piranabas nicht
zu höchster Sorge Anlass, wäre das Ganze ein erfreulicher Anblick
gewesen. So aber war es der verzweifelte Versuch, gegen die
gefrässigen, angreifenden Bestien wenigstens irgendetwas zu
unternehmen. Die Männer traten ins Freie und umrundeten fünfmal die
Hütten des Dorfes, begleitet von Frauen und Kindern , die im Takt mit
Schlaghölzern, Trommeln und Flöten mitspielten. So wollte es die
Tradition der Indianer, die Tradition des Kriegstanzes

Die Indianer waren sich die Gefahren des Urwaldes gewohnt und so
behielten sie nach dem ersten Schrecken des Ueberfalls rasch wieder
kühle Nerven, bereit zum weiteren Kampf. Dann aber plötzlich, wer
hätte es gedacht, nach der fünften Umrundung des Dorfes wurde es
totenstill im Urwald draussen. Die Indianer schwiegen und lauschten.
Einige machten lange Gesichter, andere freuten sich. Der Angriff der
Prianabas schien aufs erste gestoppt.

„Hurra, hurra, hurra, Sieg“, schrie Paygi und streckte mit beiden
Händen sein Priesterzepter in die Höhe. „Sieg, Sieg, Sieg“, kreischten
seine engsten Anhänger und Anhängerinnen und trugen ihren Liebling
im Dorf herum.

Häuptling Avanene kratzte sich am Hinterkopf und wandte sich an


Paygi. „Die magischen Kräfte der Tammarakas mögen bestimmt hoch
sein“, gab er zu, „aber Paygi, ich frage mich, ob das ausreicht, die
Piranabas für länger zu vertreiben“. „Ach was“, entsetzte sich Paygi,
„kein Neid und keine Argwohn bitte! Das verbiete ich mir ! Schon
möglich, dass sie nochmals kommen. Aber dann, hm ja, was solls? Ganz
einfach, vertreiben wir sie halt wieder mit dem Zauber der
Tammarakas, den sie zutiefst fürchten. Das wird ihnen bald zu bunt
werden und sie werden sich nicht mehr blicken lassen“. So freuten
sich Paygis Anhänger ob ihrem Erfolg, während Häuptling Avanene und
viele Indianer der plötzlichen Ruhe noch nicht so ganz trauten.

Trotz aller Not und Bedrohung freuten sich Emilia, Kevin , Iakunae und
Kwarahi über das Zusammensein nach der langen Zeit der Trennung,
als Kevin und Kwarahi auf der Reise waren. Sie sassen am späten
Nachmittag am Tor des Dorfes Uwattibi und schauten in den arg
verwüsteten Urwald hinaus. „Na ja, die Natur ist stark“, meinte
Kwarahi zuversichtlich, „die Bäume werden schnell wieder
nachwachsen, die Büsche auch, und die Maniokabäume schiessen ja
besonders schnell in die Höhe. Bis dahin werden wir uns schon
irgendwie zu helfen wissen“. „Recht hast du“, meinte Kevin, „und wenn
wir die Portugiesen fragen, werden uns in der Not bestimmt auch
helfen“.

Wieder schwiegen die Kinder und schauten in die Tiefe der Wildnis
hinaus. Doch da durchbrach urplötzlich lautes Kreischen und Schreien
die Stille. „Die Prianabas kommen zurück“, entsetzte sich Emilia, „die
Piranabas, sie greifen wieder an“. Schritte raschelten in der Wildnis
draussen und die Indianer rannten mit Pfeil und Bogen an den Hag ums
Dorf.

Paygi aber grinste fröhlich und wandte sich vergnügt an die Männer,
die um ihn herum standen. Kühl lächelnd ergriff Paygi sein Tammaraka,
und gab den Männern das Zeichen zum loslegen. Doch noch bevor die
Männer ihre Rasseln zur Hand hatten, erlebten sie eine
Ueberraschung, wie sie es nie erwartet hätten.

Wie schon beim ersten mal griffen die Piranabas das Dorf nicht direkt
an. Sie warfen aber auch keine Bäume mehr um. Nein, sie taten etwas
ganz anderes. Sie begannen zu rasseln. Sie kreischten und lachten
schadenfreudig und rasselten dazu wild mit hohlen Kokosnüssen, die
sie mit Steinen gefüllt hatten. Einige von ihnen hatten sich
Vogelfedern in ihre Fischschuppen gesteckt um die Indianer
nachzuahmen. Einer, der ganz besonders auffiel, trug hohe Federn auf
dem Kopf und hielt einen Holzstock als Zepter in der Hand.
Offensichtlich äffte er Paygi, den angesehenen Priester nach. „u, hu,
hu, hu“, grunzten die Piranabas dazu. Paygi guckte entsetzt mit
hochrotem Kopf in den Urwald hinaus. Neben ihm stiess Avanene
zutiefst enttäuscht kräftig Luft aus seinem Mund. „Jetzt kannst du
sehen, was sie von deinen Tammarakas halten“, meinte Häuptling
Avanene trocken zu Paygi. Paygi aber versank vor Wut beinahe in den
Boden. Er wurde hochrot im Gesicht und rasend wie noch nie zuvor in
seinem ganzen Leben.

Die Indianer reagierten verärgert. „Das dürfen wir uns nicht bieten
lassen“, schimpfte einer von ihnen, „los, greifen wie sie an“. „Halt,
halt“, mahnte Avanene, „lass sie uns erst mal genau beobachten. Am
Ende wollen sie uns bloss in eine Falle locken. Und dann ist der Kampf
nur verlustreich für uns und bringt uns überhaupt nichts“.

Während die grässlichen Unwesen schrieen, kreischten und lachten


vor Schadenfreude, näherte sich ein ein Donnern vom Meer her. Ein
schreckliches Donnern, begleitet von gelbem Dämonenlicht und
stinkigem Nebel. Kurz guckte Emilia zum Himmel, doch dann gab es für
sie keinen Zweifel mehr. Ipupiara, die Dämonin des Wasser hat nun
endgültig genügend Kräfte gesammelt um das Indianerdorf
anzugreifen zu können.

Kurz darauf erschien Ipupiara im kleingeholzten, geschändeten


Urwald. Wild schlug sie mit ihrem Speer aus Sägezahnfisch und
Piranhasköpfen um sich, sodass die Aeste und Stauden am Boden weit
herumgeworfen wurden. Gelbe Blitze zuckten aus Ipupiaras Kopf und
ihrem Fischkörper. „Jatzt hab ich euch“, schrie sie, „jetzt gehört alles
mir und ihr seid verloren. Piranabas, meine guten Helfer, schlägt alles
kurz und klein“. Erneut krachten die höchsten Bäume wie Zündhölzer
zu Boden und Gebüsche flogen in den Lüften herum, doch wie schon
zuvor griffen die Prianabas das Dorf selber nicht an.

11-3

Wenn auch kein Indianer von den Piranabas verletzt wurde, so mussten
die Indianer in den kommenden Tagen dennoch feststellen, dass die
Tiere des Waldes geflohen waren, die Äcker und die Maniokabäume
zerstört waren und sie kaum mehr wilde Tiere jagen konnten, keine
Früchte mehr fanden und keine Fische mehr fiengen. Der Urwald gab
kaum mehr etwas essbares her. Es war düster und traurig und mit
jedem Tag stieg der Hunger der Indianer. Gross war schlussendlich
die Not, aussichtslos die Lage.

Emilia und Iakunae sassen in der Materialhütte und berieten, was sie
noch tun könnten. „Kräuter werden wir so auch keine mehr finden“,
meinte Emilia. „Kräuter? Nein wohl kaum“, stimmte Iakunae mit ein,
„vielleicht noch weit weg oder zuoberst auf den Hügeln“. Emilia zuckte
die Schultern. „Wie willst du dahin kommen, wenn überall die
grässlichen Piranabas lauern?“, fragte sie, „und schliesslich sollten wir
mit Avara Kontakt aufnehmen. Und dazu brauchen wir
Zauberpfefferkraut, und das ist besonders schwierig zu finden“. „Ob
uns Avara überhaupt irgendwie helfen kann?“ ,fragte Iakunae. „Hm, es
ist die Vorhersage“, antwortete Emilia, „Ich vertraue darauf. Aber wie
das genau gehen soll, weiss ich auch nicht“.

Ein kleiner Junge betrat die Materialhütte. Es war Ojang Utan. Sein
Gesicht war kreidebleich und blass. Mit leerem Blick starrte er
teilnamslos vor sich in den Boden . Seine Arme und Hände hingen
schlaff hinunter ohne dass er mit etwas gespielt hätte. „Hunger“,
klagte der kleine Junge mit leiser Stimme, „ich habe Hunger“. „Ach du
armer Bruder, bist noch so klein und musst schon Hunger leiden“,
tröstete ihn seine Schwster Iakunae und legte einen Arm um ihren
Bruder. Emilia starrte derweil ins Feuer. Doch nun blickte sie auf und
sprach zu den zweien. „Wisst ihr was? Ob wir hier im Dorf drin
verhungern oder raus gehen um etwas essbares zu suchen und dabei
vielleicht von den Piranabas gefressen werden, was solls? Kommt,
gehen wir raus, vielleicht finden wir ja irgend etwas“. „Ja“, stimmmte
Iakune mit ein, „und wenn diese blöden Piranabas kommen. So leicht
kriegen sie uns nicht“. Die zwei Mädchen nahmen Ojang Utan in ihre
Mitte und gaben ihm beide je eine Hand. Mutig verliessen die drei das
Indianerdorf.

Eine Weile schon waren die Kinder unterwegs. „Nichts, nichts und
wieder nichts“, seuftzte Emilia, „die haben ratze putze kahl alles
weggefressen“. „böse Prianabas, böse Teufel“, schimpfte Ojang Utan.
So weit das Auge reichte, lag das Indianerland in Schlamm und Dreck
vor den Augen der Kinder, nichts wie umgefallene Bäume,
abgefressene Büsche, tote Aecker und zerstörte Maniakobäume.
„Lasst uns trotzdem weiter gehen“, meinte Iakunae, „denn
zurückkehren nützt uns nichts“. Von den Piranabas konnten die Kinder
nichts sehen und nichts hören. Doch die Kinder wussten, dass
Piranabas im Urwald lautlos schleichen können. Hie und da knirschte es
denn auch in den Büschen, doch die Kinder liessen sich nicht abhalten.
„Lass es uns weiter im Landesinnern versuchen“, schlug Emilia vor, „da
in den steilen Schluchten zwischen den Hügeln. Vielleicht waren sie ja
dort noch nicht“.

„Dass wir von denen nichts bemerken?“, wunderte sich Iakuane etwas
später. Doch Emilia zuckte bloss mit den Schultern und meinte: „passt
mal auf, ich glaube ich kann sie förmlich riechen“. Auch in den
Schluchten liess sich nichts essbares finden, und auf Piranabas
stiessen die drei auch nicht. So setzten die Mädchen und Ojang Utan
entschlossen ihren Schritt fort Richtung Urwald. Je weiter die Kinder
sich vom Indianerdorf entfernten umso eher trafen sie hie und da auf
einen Baum oder einen Busch, den die Piranabas nicht abgefressen
hatten.

„Pssst“, zischte Emilia durch ihre Lippen und die Kinder duckten sich.
Im Busch vor ihnen raschelte etwas. Dann aber, von hinten, „grrrschh“,
kreischte ein Piranaba zum Angriff. Mit seinen funkelnden roten
Fischaugen begaffte es die Kinder und sperrte sein Maul weit auf.
„Grsschh“, streckte es seine kralligen Hände auf Ojang Utan los.
„Blöde Piranaba“, schrie Ojang Utan und warf einen Faustgrossen
Stein dem Prianaba mitten ins Gesicht. „Gut gemacht“, schrie Iakunae
und gab dem Prianaba einen kräftigen Hieb mit einem schweren Stock.

„Kämpfe, kömpfe“, schrie Ojang Utan und warf nochmals ein paar
Steine hinterher. „Achtung Ojang Utan, hinter dir“, warnte Iakuane
ihren Bruder so laut sie konnte, „schnell Ojang Utan“. Blitzschnell
drehte sich Ojang Utan. Hinter ihm stand ein Piranaba, aber kein
gewöhnliches Piranaba, denn dieses war über und über mit goldenen
Knöpfen und Kreuzen aus Diamanten verziert. Dazu trug es einen
hohen spitzen Hut mit dem Zeichen eines hungrigen Adlers drauf.
„Gibs ihm, schnell Ojang Utan“, feuerte Iaknune, die selber mit einem
anderen Piranaba kämpfte, ihren Bruder an. Ojang Utan zog seinen
Stock auf und knallte dem Piranaba einen Hieb, dass dieses weit ins
Gebüsch flog. „üüüü, rrrgg“, tönte es schmerzhaft von dort. Emilia
lächelte. „Das war kein gewöhnliches Piranaba“, jauchzte sie dem
Jungen entgegen, „du hast soeben ihren Heeresführer besiegt , hi hi
hi, starker Ojang Utan“. Staunend, mit offenem Mund, traten die
Piranabas, die soeben noch angreifen wollten, langsam zurück.
„OOOhhhh“, entsetzten sie sich furchtvoll, denn vor jemandem, der
ihren Anführer besiegen konnte, vor dem hatten sie Angst.

Inzwischen war der General im Gebüsch wieder zu sich gekommen.


„Grrh, Ojang Utan“, knurrte der Genereal. Er wagte es aber ohne
weitere Verstärkung auch nicht mehr, in Ojang Utans Nähe zu
kommen. „Wolle nigt kämpfe? Komm !“, rief Ojang Utan und warf dem
Piranaba General einen grossen Stein hinterher. „Autsch, das war ein
Volltreffer“, kicherte Iakunae. „Ojang Utan, grrrrhhh“, knurrte der
General wütend, „Ojang Utan, warrt nurr.... ..... dich krriegen wir...
dafürr wirrst du büüssen, grrrrh“.

Ojang Utan und Iakunae bereiteten sich vor, erneut mit vollen Kräften
zu kämpfen. Ojang Utan legte sich einen Haufen Steine bereit und
Iakunae hatte einen noch besseren Stock gefunden. Emilia aber
bereitete sich nicht zum Kampf vor. Sie hatte eine andere Idee. Sie
streckte den Piranabas ihr Amulett entgegen, das sie vom alten
Schamanen geschenkt bekommen hatte. Dieses Amulett kannten die
Piranabas und fürchteten es wie der Teufel das Kreuz, denn der alte
Schamane war ihr grösster Widersacher. Ohne ihn hätten sie das
Indianerland schon längst erobert und dem Erdboden gleichgemacht.
Die Piranabas wussten zwar, dass der alte Schamane zur Zeit
geschwächt war weil er im Kampf gegen die Dämonin Ipupiara und die
Piranabas viel von seiner Lichteskraft verloren hatte. Aber es könnte
ja sein, dass er jetzt, wo jemand sein Amulett zeigte, trotzdem
erscheinen würde. Und das fürchteten sie. So verschwanden die
Piranabas. Sie zogen sich zurück, aber nicht weit weg. In sicherem
Abstand, ein , zwei Büsche entfernt, schlichen sie den Kinder
hinterher.

„Ojang Utan, Ojang Utan, Ojang Utan“, knurrten die Piranabas


hasserfüllt aus sicherer Distanz. „Die scheinen dich ja besonders gern
zu haben“, kicherte Iakunae auf den Stockzähen und die Kinder
lachten laut. Wenn sie sich auch in einer schwierigen Situation
befanden und Not litten, einen gewissen Humor und ein Lächeln hatten
sie behalten, denn es waren tapfere Indianerkinder. „Da hast du
jemanden zutiefst beleidigt, hi hi“, stimmte Emilia mit ein.

„Seht ihr den Jungwald da vorne?“, fragte Emilia, „den haben sie bis
jetzt verschont. Lasst uns da hinein gehen“. Schweigend folgten
Iakunae und Ojang Utan. Der Jungwuchs war niedrig und dicht. Die
zahlreichen Dornen und Nadeln stachen und kratzten auf Schritt und
Tritt. Sowas hatten die Piranabas gar nicht gerne. Wie Emilia
zurückblickte, sah sie, dass die Piranabas aufgegeben hatten, sie
weiter zu verfolgen. Statt dessen begannen sie den Jungwuchs nach
und nach zu zerstören und der beleidigte Heeresführer machte sich
laut bemerkbar. „Wald Auffressen, zerstören, Kleinholz hauen, sofort,
ganze Kompanie, dalli, dalli“, hörten sie ihn wütend schreien.

Emilia schaute sich um im Wald und entdeckte etwas. „Seht ihr was
ich auch sehe?“, fragte Emilia freudig, „ein alter Manioka Baum mit
vielen dicken Wurzeln“. Die Freude war gross. Schnell breiteten die
Kinder die mitgebrachten Baumwolltücher aus, ernteten die
Maniokawurzeln und schleppten die schwere Last ins Indianerdorf.

Dort wurden sie freudig empfangen. Endlich, endlich, nach langer Zeit
gab es wieder einmal reichlich Manioka Brote zu futtern für die
Kinder. Einmal nach vielen Tagen konnten sie ohne knurrenden Magen
in Ruhe des Nachts in ihren Hängematten einschlafen. Der kleine
Ojang Utan aber galt fortan als mutiger Kämpfer, und das nicht nur
bei den Indianern.

Am nächsten Tag blieb es ruhig im Urwald, nur zu ruhig. „Da tut sich
was“, warnte Avanene, „die Ruhe, die gefällt mir gar nicht“. Paygi stand
daneben und blickte in den Urwald hinaus. „Vielleicht haben sie auch
die Hosen voll bekommen“, meinte er,“. „Ja, ja ganz bestimmt die
Hosen voll“, grinste Avanene, „und zwar von deinen mächtigen
Tammarakas - nein, nein, die hecken etwas aus gegen uns“. „Oder sie
warten bis wir verhungert sind“, entgegnete ein anderer Indianer
daneben. „Da müssen sie leider nicht mehr lange warten“, gab Avanene
zu bedenken, „aber den Gefallen werden wir ihnen nicht machen. Wir
warten noch zwei Tage, und wenn bis dahin nichts entscheidendes
geschieht, werden wir angreifen“. So spähten die Männer in den
trostlos kleingehauenen Urwald hinaus, in banger Sorge um ihre
Zukunft.

Die Kinder sassen still auf dem Dorfplatz. Spielen mochten sie nicht.
Sie drehten ihre Spielsachen in den Händen und sprachen leise
miteinander. Die Mütter sassen dazwischen und versuchten ihre
Kinder zu trösten, so gut es ging. Es gab eine dünne Suppe zum
Mittagessen, eine Wurzelsuppe, angereichert mit ausgekochten
Schnecken, Würmern und dicken Käfern. Ja, ja, sowas assen die
Indianer, wenn ihnen die Natur sonst nichts mehr hergab. Immerhin
gab es wenigstens etwas kleines zum Mittagessen, wenn auch nicht
genug um davon satt zu werden.

Emilia, Kevin, Kwarahi und Iakunae sassen im Kreise und versuchen ihre
Freundschaft zu geniessen so gut es ging. „Warum müssen die immer
Krieg führen?„ ,fragte sich Emilia verzweifelt. „Ach das sind doch die
blödesten“, entsetzte sich Iakunae, „die wollen die ganze Welt für
sich alleine haben und niemand darf anders sein wie sie“. „Hirnkrank
würde ich sagen“, doppelte Kevin hinterher. „“Recht habt ihr schon“,
meinte schliesslich Kwarahi, „aber es hat keinen Zweck, allzu lange
dem Krieg nachzudenken, auch wenn wir dagegen sind. Meine Gedanken
kommen zu keinem Ende, wenn ich versuche, diesen Blödsinn zu
verstehen. Lasst uns wenigsten in uns selbst und unter uns den Frieden
bewahren. Und wenn wir uns zuletzt dennoch mit Waffen wehren
müssen, so tun wir es. Dann aber ohne die geringste Hemmung“.

Am späten Nachmittag geschah es. Es kam, wie es Avanene


vorausgesagt hatte. Eine Horde Prianabas näherte sich dem
Indianerdorf. „Gaaahhh“, kreischten sie hasserfüllt. „Es ist soweit“,
rief Avanene, „Leute wehrt euch. Kommt mit Pfeil, Bogen, Lanzen und
Speeren zum Schutzhag. Jeder der irgendwie kämpfen kann, soll sich
wehren. Indianer, ergreift eure Waffen“. Die Indianer machten sich
kampfbereit und die Piranabas bezogen Stellung ums Dorf, ohne
jedoch anzugreifen. „Graaaah“, schrieen sie unentwegt. Kurz wurde es
still und dann schrieen die Piranabas alle zusammen: „Ojang Utan,
graaahh, Ojang Utan, Ojang Utan graaah, Ojang Utan, Ojan Utan....“.
Augenblicklich zog Iakunae ihre Augenbrauen zusammen. „Ojang Utan,
mein Bruder, die scheinen es auf die abgesehen zu haben“, sorgte sie
sich, „deinen Angriff auf ihren Heeresführer haben sie noch nicht
vergesssen“. Schliesslich entfernte sich ein Piranaba mit einer weissen
Fahne von der Gruppe der Angreifer und näherte sich dem Dorf.
„Lasst ihn gewähren“, wies Avanene an, „vielleicht können wir mit ihnen
verhandeln. Das käme uns sehr gelegen. Wir haben nämlich nicht mehr
viele Pfeile und können uns ohnehin nicht mehr lange wehren“. Das
Piranaba mit der weissen Fahne kam ungefähr dreissig Schritte vor
das Tor. Dort stand es zwischen zwei schützenden Gebüschen still.
Avanene trat aus dem Dorf hinaus und lief auf das Piranaba mit der
weissen Fahne zu. „Was willst du?“, fragte Avanene. „Gebt uns Ojang
Utan“, kam das gehässige Wesen mit der weissen Fahne ohne
Umschweife zu seiner Forderung, „er hat unseren höchsten
Heeresführer beleidigt, wie ihn noch nie jemand zuvor beleidigt hat.
Wir wollen Ojang Utan. Dann werden wir euer Dorf nicht angreifen.
Ojang Utan “. Einen Moment stand Avanene da und sagt nichts.

Iakunae erschrak. „Nicht meinen Bruder, nicht meinen Bruder


hergeben“, entsetzte sie sich und hielt Ojang Utan fest in ihren
Armen. „wenn du gehen musst so gehe ich mit“, wehrte sich Iakunae.
„Ich auch“, schrie Emilia, „nicht unseren lieben Ojang Utan. Wenn er
auch ein Lausbub ist, diesen Bestien ausliefern dürft ihr ihn nicht“.
„Ich geh auch mit“, rief ein anderer Indianer. „ich auch“, „ich auch“,
riefen weitere und stellten sich vor Ojang Utan. Doch sahen es nicht
alle Indianer gleich. „Wenn wir ihn nicht rausgeben, dann sterben noch
mehr von uns“, meinte ein anderer Indianer, „bedenkt doch, wenn die
uns überfallen, dann sterben viele, wenn nicht sogar alle von uns“.
Kwarahi erschrak ob dieser mutlosen Aussage. „Meinst du die kommen
morgen nicht wieder?“, wehrte sie sich, „bestimmt kommen sie morgen
wieder und wollen noch mehr“.
Avanene erhob seinen Häuptlingsstab und sprach: „Einen von uns
ausliefern, nur weil er eurem skrupellosen Heeresführer eins
ausgewischt hat, und dann noch ein Kind? Nein, das tun wir nicht. Und
jetzt scher dich zum Teufel mit deiner weissen Fahne oder du kannst
was erleben“. „gräääh“, kreischte das Prianaba mit der weissen Fahe
wütend und warf einen Stein in Richtung Avanene. Doch Avanene
wusste gut zu kämpfen. Blitzschnell fing er den Stein im Flug und warf
ihn dem Piranaba an seinen wertesten Hintern, dass das Pirananba weit
wegflog. Die Indianer spannten ihre Bogen. „Halt“, wies Avanene die
Indianer an, „er ist mit einer weissen Fahne gekommen, um mit uns zu
verhandeln. Lasst ihn ziehen, auch wenn er es anders verdient hätte“.

„Ojang Utan, Ojang Utan“, kreischten die Piranabas wütend ums


Indianerdorf und begannen Steine und Aeste ins Dorf zu werfen.
„Wartet, bis sie näher kommen“, befahl Avanene, „wir haben kaum
mehr Pfeile. Wartet, bis sie vor euch stehen, dann treffen wir
wenigsten mit den wenigen Pfeilen, die wir noch haben“. So kamen die
Pirananbas näher und näher. „Jetzt“, schrie Avanene und dutzende von
Pfeilen schnellten drauf los“. „Äh, Äh, Äh“, schrieen die getroffenen
Piranabas und flohen hinter ihre Linien zurück. Doch die Pfeile der
Indianer vermochten die dicken Fischschuppenpanzer kaum zu
durchdringen, sodass die Piranabas sich schnell von den heckenden
Pfeilen befreit hatten und erneut angriffen. „Nehmt Schild, Speer
und Lanze“, befahl Avanene bei der nächsten Attake der Piranabas.

Die Piranabas kamen noch näher und ein verzweifelter Nahkampf


begann. Die Indianer waren zwar um einiges kampfgewandter wie die
fischigen Unwesen, aber die Pirnanabas waren zahlreicher. Wenngleich
viele von ihnen getroffen wurden, nicht mehr weiterkämpfen konnten
und flohen, so kamen immer wieder neue, noch mehr und noch mehr.
Schliesslich gelang es einer kleinen Gruppe gar ins Innere des Dorfes
einzudringen.

Die grässlichen Unwesen standen da vor den Müttern und Kindern auf
dem Dorfplatz, während die Indianerkrieger verzweifelt versuchten,
das Eindringen weiterer Piranabas zu verhindern. „Häääh“, kreischten
die Piranabas, drohten mit ihren Aexten und Keulen und begannen
sogleich auf alles und jedes loszuschlagen. Eilends flohen die Frauen
und Kinder in eine der Hütten. Ein Piranaba stand zuvorderst. Dieses
Piranaba war reichlich mit Goldknöpfen verziehrt und trug einen
spitzen Hut mit dem Zeichen des hungrigen Adlers drauf. Ojang Utan
erkannte sofort, wen er vor sich hatte. Der General war
höchstpersönlich gekommen, um sich zu raächen. Doch Ojang Utan
floh nicht, sondern blieb zusammen mit Kevin, Kwarahi, Emilia und
Iakunae stehen, denn die Kinder hatten sich schon lange entschieden,
zu kämpfen und nicht zu fliehen. „Ojang Utan, ääääh“, schrie der
Heeresführer der Piranabas, „jetzt hab ich dich“. Zu fünft kamen die
Piranabas mit dicken Keulen in ihren Händen langsam auf Ojang Utan
zugelaufen. „Lasst ihn mirr“, zischte der Heeresführer aus seinem
zähnigen Mund, „ich will ihn selber verhauen“.

Ojang Utan liefen die Tränen die Wangen hinunter. „flieht“, sagte er
zu den anderen Kindern, „Ojang Utan bleibe hier, kämpfen, werde
kämpfen“. Und schon stand der stolze General vor ihm. „Mich hast du
beleidigt“, zischte der Heeresführer zwischen seinen Fischzähnen
hervor, „aber nun wirst du dafür büssen“. Er zückte seine Peitsche aus
seinem Generalsmantel hervor und knallte in die Luft. Unausweichlich
schritt er auf Ojang Utan zu. „Andere haben mich auch schon
beleidigt“, drohte der hohe General, „nur fragen brauchst du die nicht
mehr, wie es jemandem ergeht, der mich beleidigt hat. Von denen lebt
keiner mehr. Ho ho ho ho“. Der schreckliche Heeresführer kam näher
und näher doch Ojang Utan hatte nichts in der Hand womit er sich
hätte wehren können. „Hä hä hä“, grinste dafür umso hämischer der
überlegene Heeresführer.

Ojang Utan war ein Indianerjunge und und Indianer kämpfen bis zum
letzten mit allem was ihnen in die Finger kommt. Verzweifelt schaute
sich Ojang Utan um und sah neben sich die Feuerstelle. Da lag ein
rauchender, angebrannter Holzstock drin, nicht gross zwar, aber
immerhin. Da es nichts anderes in seiner Nähe hatte, nahm Ojang Utan
diesen rauchenden Stock aus dem Feuer. „Kämpfe, du dumme Biest“,
schrie Ojang Utan und schlug blitzschnell dem verdutzten
Heeresgeneral mit dem brennenden Stock auf die Brust. Mit dem
glühenden Stecken stach Ojang Utan drauf los, bis schliesslich der
vordere Teil des Stockes mitsamt der Glut zwischen den
Fischschuppen des Genreales eingeklemmt blieb. Der getroffene
Heeresgeneral riss seine Augen weit auf. „Uhhhh, uhhhh“, schrie er
wehklagend, „heiss, brennt, uhhhhh, heiss, weh, weh, bääh, bäääh“. Der
Heeresführer wölbte und reckte sich schmerzerfüllt. „öööh, ööööh“,
klönte er. Darauf gaffte er Ojang Utan mit grossen Augen an. Er hob
kurz seine geballte Faust in die Höhe, drehte sich dann aber weg und
rannte so schnell es ging aus dem Dorf hinaus. „Aua, Feuer, Feuer,
heisses Feuer, brennt, Aua“, schrie er auf seiner Flucht. „Feuer,
Feuer“ stammelten die Prinabas auf dem Dorfplatz in panischer Angst,
„Feuer, heiss, bäääh“.

Kevin kämpfte daneben mit einem anderen Piranaba. Doch Kevin hatte
Ojang Utans Kampf genau beobachtet. „Sie scheuen das Feuer“, schrie
Kevin so laut er konnte, „sie scheuen das Feuer, Schnell nehmt
brennende Stöcke und vertreibt sie“. Kevin nahm einen Busch dürres
Stroh vom Dach einer Hütte, klemmte den Busch zwischen Saite und
Holz seines Bogens, hielt den Stroh kurz ins Feuer und rannte auf die
Piranabas los. „Uuh, uuhh, uhhh“, fürchteten sich die Piranabas vor
dem Feuer und rannten vor Kevin fort. Die Indianer begriffen sofort.
Einer nach dem andern holte einen brennenden Stock aus dem Feuer
oder machte es Kevin gleich mit Stroh vom Dach. „Feuer, Feuer, nehmt
Feuer und wehrt euch“, schrieen die Indianer freudig, ob der neuen
Wunderwaffe, die Ojang Utan entdeckt hatte. Im Nu waren die
Piranabas aus dem Dorf verdrängt und flohen in den Urwald hinaus.

Unter den Indianern machte sich Erleichterung breit und Avanene


zeigte sich ausgesprochen zufrieden. „Ich bin ja so stolz auf dich,
Ojang Utan“, freute sich Avanene, „du bist noch fast der kleinste von
uns, aber ein findiger, kluger Kerl“. Er hob den kleinen Ojang Utan vom
Boden auf und umarmte ihn.

In den kommenden Tagen verwandelten die Indianer ihr Dorf in eine


Feuerfestung. Ueberall ums Dorf herum brannten Feuer und lag Stroh
bereit, sodass die Indianer bei einem Angriff jederzeit ein
verheerendes Feuer entfachen konnten. Die Indianer schnitzten
hunderte von Feuerpfeilen und legten sie neben den Feuerstellen
bereit. Dies zeigte seine Wirkung. Die Piranabas greifen nicht mehr
an, obwohl sie fast zu allen Stunden von irgendeiner Richtung auf das
Dorf zugeeilt kamen und sich auf gefährliche Distanz näherten. Sie
versuchten auch mit dem fast gleichzeitigen Angriff aus mehreren
Richtungen zu ihrem Ziel zu gelangen. Doch Avanene war ein kluger
Häuptling und hatte schon lange mit dieser Taktik gerechnet und
entsprechende Vorbereitungen getroffen. So konnten die Indianer mit
ihren Feuerpfeilen und brennendem Stroh auch diese Angriffe
zurückschlagen. So gut nun die Abwehr der Indianer war, sie hielt die
Piranabas nicht davon ab, den Urwald weit herum kapput zu schlagen
und so wurde der Hunger und das Leiden der Indianer dennoch grösser
wie je zuvor.

11-4
Ein paar Tage später zogen Emilia und Iakunae mit Fakeln und Stroh in
ihren Händen los. Sie wollten endlich wieder mal Zauberkräuter im
Urwald finden. Sollten die Piranabas sie angreifen, wollten sich die
Mädchen mit brennendem Stroh wehren.

Im Urwald draussen war es ruhig. Piranabas begegneten ihnen nur ein


einziges mal. „Grrrrnnnnn“, knurrte es aus einem Gebüsch heraus. „Da
drin“, erschrak Emilia und zeigte auf das Gebüsch, „da drin sind sie“.
„Zu dumm die Piranabas“, lächelte Iakune, „lauern ausgerechnet in
einem ausgetrockneten, spindeldürren Gebüsch auf uns“. Kurzerhand
hielt Iakunae ihre brennende Fackel unter das Gebüsch. „wöh, wöh,
heiss, heiss“, schrieen die aufgescheuchten Piranabas und flohen in
alle Richtungen davon.

Schon bald fanden die Mädchen das violette Kratzkraut. Daran hatte
Emilia besonders Freude. „Damit kann ich Panyma um Hilfe rufen“,
erklärte Emila ihrer Freundin, „auch wenn sie noch so weit entfernt
ist, wird sie mich hören können. Dann werden wir Panyma zu uns bitten
und mit Panymas Hilfe können wir bestimmt mehr gegen die Piranabas
und Ipupiara ausrichten“. „Dann tu das jetzt gleich“, wünschte sich
Iakunae. „Hier draussen im Urwald?“, wunderte sich Emilia, „hier geht
das nicht. Ich brauche ein grosses Feuer dazu und viel Zeit. Komm lass
uns noch das Zauberpfefferkraut suchen. Ganz in der Nähe liegt eine
Stelle, an der mir Panyma dieses Kraut einmal gezeigt hat“. So liefen
die Mädchen weiter.

Kurz darauf waren sie an der Stelle angekommen. Der Ort im Wald, an
dem das Zauberpfefferkraut zu finden war, lag düster und dunkel vor
den Mädchen. Ein kalter Wind blies den beiden ins Gesicht. „ Das
gefällt mir gar nicht“, fürchtete sich Iakunae, „meinst du nicht wir
sollten umkehren? Sollen wir nicht erst mal Panyma rufen und dann das
Zauberpfefferkraut mir ihr zusammen suchen gehen?“. „Ach wo“,
winkte Emilia ab, „komm lass es uns hier suchen“. „Aber es ist so
dunkel und gespenstig hier“, fuhr Iakunae fort, „siehst du die dunklen
Schatten, die überall lauern“. Emilia schaute sich um und blickte
nachdenklich zu ihrer Freundin. „Ja du hast recht“, stimmte nun Emilia
mit ein, „der Ort ist ungeheurlich. Du hast recht, Iakunae. Es ist
besser, wenn wir umkehren“. So drehten sich die Mädchen um und
wollten ins Indianerdorf zurückkehren. Doch genau in dem Moment,
mitten auf dem dunklen Waldboden, vor den Mädchen, da glitzerte
eine schwarze Pflanze mit drei grossen schwarzen Blüten. „Das
Zauberpfefferkraut“, staunte Emilia, „die seltenste aller
Zauberpflanzen. Ohh, schön. Siehst du das wunderbare Kraut“. „Mh, ja
schon“, gab Iakunae zu, „trotzdem, das ganze gefällt mir nicht.
Überleg dir mal, seit Wochen schon machen die Piranabas den Urwald
kaputt, hacken alles klein und wir, wir finden ganz in der Nähe des
Dorfes ein Zauberpfefferkraut? Eigenartig“. „Schon eigenartig, da
hast du recht“, gestand Emilia ein, „aber schau mal, wie es so schön
vor uns liegt... schau wie wunderschön es ist“. „Ja schön ist es“,
staunte nun auch Iakunae, „und schau mal wie es geheimnisvoll
glitzert“. Eine Weile bewunderten die Mädchen das schöne Kraut.
„Meinst du, ist es auch wirklich das Zauberpfefferkraut?“, fragte
Iakunae, „sieht das wirklich so aus?“, „Ja, Panyma hat es mir einmal
gezeigt“, versicherte Emilia, „und das sah genau so aus. Obwohl, die
Blätter waren damals, glaub ich, ein wenig runder und die Blüten nicht
ganz so gross“. Dann nach einer Weile entschloss sich Emilia: „Ach
komm, was soll die lange Diskussion, stecken wir es ein und kehren wir
zurück. Wir werden ja dann sehen, ob es das richtige ist, entweder
der Zauber gelingt oder sonst halt eben nicht“. Kurzerhand pflückten
die Mädchen das Kraut und machetn sich auf den Weg zurück ins
Indianerdorf.

Kurz darauf hatten sich die zwei Mädchen in der Materialhütte zu


ihrer Zauberstunde eingefunden. Ihre Freude war gross, dass sie die
zwei wichtigsten Kräuter gefunden hatten . Das Zauberpfefferkraut
hing an einem Balken zum Trocknen und das violette Kratzkraut hielt
Emilia in den Händen. „He he ho, he he ho“, sangen und tanzten Emilia
und Iakunae ums Feuer und hoben ihre Hände in die Höhe.

„Schön, die warme Glut“, staunte Iakunae begeistert, „ich glaube wir
können beginnen“. „Ja“, antwortete Emilia mit grossen Augen, „setz
dich mir gegenüber, lass uns versuchen, aus der Ferne Panyma zu
erreichen“. Emilias Tierfreunde hatten es sich in der Materialhütte
bequem gemacht und schauten den zwei Mädchen zu. Filippo und Nico
lagen im Stroh und guckten neugierig zu den Mädchen. Abare sass auf
einem Balken und schaute zufrieden dem Spektakel zu, während
Rosabranca hinter der Materialhütte angebunden war und durchs Tor
hineinschaute. „u, u, u, u, u“, jauchzte Otsaro vom obersten Dachgibel
hinunter. Den Tieren ging es zu Hungerszeiten besser wie den
Menschen. Ihre Nahrung war einfacher wie die der Menschen und so
fanden sie auch viel leichter etwas. Doch auch die Indianer hatten
sich inzwischen an die Aenderungen auf dem Menuplan gewöhnt. Mit
beispielloser Selbstverständlichkeit assen sie täglich ihre
Wurzelsuppe die angereichert war mit Würmern, Schnecken und
dicken Käfern, ohne auch nur im geringsten darüber zu klagen.

„Weißt du wie der Zauber, jemanden weit weg anzurufen, genau


geht?“, fragte Iakunae. „Panyma hat es mir mal gezeigt“, antwortete
Emilia, „ungefähr weiss ich, was wir tun müssen, aber ich habe es noch
nie alleine gemacht. Wir müssen uns vorstellen, Panyma sei hier, wir
müssen uns genau erinnern, wie sie ist, wie sie denkt und fühlt, wie
ihre Seele sich bewegt. Versuch in deinem Geiste, Panyma vor dir zu
sehen. Wenn wir dann gleichzeitig das violette Kratzkraut auf die Glut
legen, sollte es gelingen. Am besten versuchen wir es einfach mal“.

„Panyma, Panyma“, murmelten die Mädchen mit tiefer Stime und legten
vorsichtig etwas vom violetten Kratzkraut auf die Glut. Abare nickte
kräftig auf seinem Balken oben und stampfte von einem Bein aufs
andere. „Kraaah, kraaah, Panyma, Panyma“, krächzte er. Die zwei
Mädchen grintsen einander an. „Ja, ja, lieber Abare, hilf du uns auch
ein bisschen“, lächelte Emilia ihrem Papageienfreund zu. Schliesslich
stieg violetter Rauch aus der Glut auf und in der Materiahütte wurde
es stockdunkel. Emlia und Iakunae streckten ihre Hände zum Rand der
Glut hin, worauf ein grelles violettes Licht über der Feuerstelle die
zwei Mäcchen blendete. „Panyma, Panyma“, flehte Emilia, „wir sind in
Not, komm schnell und hilf uns“. „Die Piranabas überfallen uns“, rief
Iakunae hinterher.

Für kurze Zeit erschienen im grellen Licht die schwingenden Umrisse


von Panymas Körper. Die vage Gestalt blickte mit grossen Augen auf
die Mädchen und sprach in Panymas Stimme, wie durch einen langen
Korridor: „Ich komme. Ich komme so schnell ich kann, so schnell wie
der Wind“. Ein violetter Blitz zuckte auf und ein Donner krachte durch
die rauchende Materiahütte, bevor der ganze Zauber im Nichts
verschwand.

„Gruhu, gruhu“, hörten die zwei Mächen über sich die Stimme der
Urwaldeule. „Kruhu, kruhu“, grüsste freudig Abare seinen Freund und
einen kurzen Moment später sassen die beiden Vögel nebeneinenader.
„Urwaldeule, du bist es? hallo liebe Urwaldeule“, grüsste Emilia
freudig. Dies brachte Emilia auf eine Idee. „Macht euch auf ihr zwei“,
bat sie die Vögel, „fliegt Panyma entgegen. Zeigt ihr den besten Weg
und versucht, sie an den wilden Horden der Piranabas sicher vorbei zu
führen“. Einen Moment hielten die zwei Vögel ihre Köpfe zusammen
und flogen dann los, hinaus in den verwüsteten Urwald.

Zaubern ist gar nicht so einfach, wie sich das viele vorstellen und es
ist vor allem für Zauberschüler ziemlich anstrengend. So ruhten sich
Emilia und Iakunae in ihren Hängematten aus, zufrieden, dass ihnen
der erste Zauber so gut gelungen war.

11-5

Nach einer Weile stand Emilia auf und holte ihren magischen Spiegel
neben die Feuerstelle. Iakunae folgte ihr und legte nochmals etwas
Holz ins Feuer, sodass die Hütte in hellem Licht erleuchtete.
Schliesslich kniete Emilia neben dem magischen Spiegel. „Nachdem uns
der Zauber vorhin so gut gelungen ist, lass uns versuchen mit Avara
Kontakt aufzunehmen und ihn um Hilfe zu bitten“, sprach Emilia. „Ja
lass uns anfangen“, stimmte Iakunae ein, „der erste Zauber ist ja so
gut gelungen, was soll da noch schief gehen?“. Emilia lächelte.
„Vielleicht kann uns ja Avara sogar noch eine gebratenen Pute
rüberschicken“, witzelte sie vergnügt, „ein feines Festessen anstatt
der ewigen Würmer- und Schneckensuppe“. So bereiteten sich die
Mädchen erneut zum Zaubern vor, während draussen die einbrechende
Nacht die Welt mehr und mehr in Finsternis versinken liess. Und, – -
da es schon fast dunkel war, - - konnte niemand - die schwarzen
Gestalten sehen, die um die Materialhütte lautlos sich anschlichen.

„Und wenn es nicht das richtige Zauberpfefferkraut ist? Na ja, was


solls?“, fasste Iakunae neuen Mut, „dann wird halt der Zauber nicht
gelingen, wohl halb so schlimm“. Schliesslich lächelte Iakunae. „Wär
dann halt Schade um die gebratenen Puten“, bedauerte sie, „um die
Puten, die uns entgehen würden, aber sonst kann ja nicht viel schief
gehen“.

Nur einem gefiel es nicht, was geschah. Nico der Hund streckt
schnuppernd seine Nase in die Höhe. „Grrrh“, knurrte er leise. „Hast
du was, Nico?“, fragte Emilia, „brauchst keine Angst zu haben. Iakunae
und ich werden jetzt ein wenig zaubern. Das haben wir ja schon oft
gemacht. Brauchst keine Angst zu haben“.

Nichts ahnend, kniete schliesslich Emilia vor dem magischen Spiegel


und Iakunae hielt das gefundene schwarze Kraut in den Händen.
„Avara, Avara“, rief Emilia durch den magischen Spiegel. „Hallo Emilia“,
tönte von dort Avaras Stimme sogleich auch zurück, „ schön wieder
mal was von euch zu hören“. Emilia atmete zufrieden auf. Soweit war
der Zauber schon mal gelungen. Sie gab Iakuane das Zeichen, dass sie
nun das getrocknete Zauberpfefferkraut über das Feuer schieben
sollte.

Iakunae liess das schwerelose Kraut in der Luft schweben. „Wie schön
es glitzert“, staunte Iaknunae übermütig, „so schön hat nicht mal
Panymas Zauberpfefferkraut geglitzert. So schön, so wundervoll, da
wird der Zauber bestimmt gut gelingen“. Sachte schob Iakunae das
seltsame, schwerelos schwebende Kraut über die sengende Glut. Das
Kraut glühte auf und ein glitzriger schwarzer Rauch stieg aus ihm
emport. „Booaaah“, staunte Emilia und starrte in die mächtige Glut.

Doch lange staunte Emilia nicht, denn da plötzlich sah sie etwas, das
sie zutiefst erschrecken liess. Das Blut blieb Emilia in den Adern
stecken, denn im glitzernden schwarzen Rauch erschien Ipupiara, die
Dämonin des Wassers. Zuerst nur klein und unscheinbar, doch schnell
wurde Ipupiara gross und grösser, bis schliesslich die leibhaftige
Dämonin vor den Mädchen stand. „Huo, hua, hua, seid ihr darauf
reingefallen, hua, huo huo“, lachte Ipupiara immer fort. Dazu drohte
sie den Mädchen mit ihrem Stab, der aus dem Schwert eines
Sägezahnfisches geschmiedet war.

Die Mädchen rückten nahe zueinander. Sie fürchteten sich und


verzogen sich, auf dem Boden sitzend, in die hinterste Ecke der
Materialhütte zurück. Emilia sah nun ein, was für einen grossen Fehler
sie begangen hatte. „Verloren“, stammelte sie, „jetzt ist alles
Verloren“. Iakunae brachte vor Schrecken kein Wort über die Lippen.
„Was jetzt?“, stöhnt Emilia, „was sollen wir tun?“.

In dem Moment nahten Schritte von draussen. Emilia und Iakunae


hörten eine vertraute Stimme hinter sich. „Ihr habt das falsche Kraut
erwischt“, hörten sie Panymas Stimme. Emilia drehte sich. „Panyma du?
Zurück? Gott sei dank“, flüsterte Emilia erleichtert. Panyma nickte.
„ja, nachdem ihr mir gerufen hattet, bin ich so schnell es geht
zurückgekommen. Dank der Hilfe unserer zwei treuen Vögel, bin ich
jetzt schon hier. Aber es ist zu dumm“ , bedauerte Panyma, „ihr habt
nicht das richtige Zauberpfefferkraut. Ipupiara hat euch ihr
Dämonenkraut untergeschoben“.

Ipupiara blickte wütend auf Panyma. „Kommst gerade rechtzeitig du


alte Hexe, Panyma“, donnerte sie drauf los, „jetzt gehört ihr mir, alle
gehört ihr mir, huo huo huo huoo“. „Zu dumm“, stöhnte Panyma.

Ipupiara aber sprach weiter. „Drei meiner Zauberblüten hat ihr


gestohlen, hua, hua ,hua“, lachte Ipupiara schadenfreudig und schlug
mit ihrem Sägefischschwert um sich, „dafür fresse ich drei von euch.
Zuerst diesen Fremdling Avara, dann die alte Hexe und schliesslich
Emilia. Und die kleine Göre da, Emilias Kameradin, die fresse ich als
kleine Nachspeise, hua hua hua hua“. „Kann sie das tun Panyma?“,
fragte Emilia ängstlich. „Ja“, stöhnte Panyma, „wer irrtümlich das
Kraut der Dämonin des Wasser erwischt, ist verloren, für immer“.
„Aber ich werde kämpfen“, schrie Iakunae mit einem schweren Stock
in der Hand. Panyma schüttelte den Kopf. „Es gibt nur eine einzige
Möglichkeit“, sprach sie leise, „eine einzige Möglichkeit lassen uns die
Gesetze des Urwaldzaubers. Wir müssen Ipupiaras grösssten Wunsch
erfüllen, den sie hatte, bevor sie uns ihr Dämonenkraut unterschieben
konnte. Erraten müssen wir ihn und erfüllen, dann zerfällt ihre
Macht.“.

„Zuerst fress ich diesen Fremdling, diesen Avara“, grölte Ipupiara,


„jetzt gleich, auf der Stelle, huo huo huo“. Ipupiara senkte ihren Kopf
und saugte Luft durch ihren Mund in ihren Fischkörper. Sie saugte die
Luft durch Emilias magischen Spiegel. „Hilfe, Hilfe, ein Wirbestrum“,
schrie Avara, „ ein Wirbelsturm reisst mich hinein in den Bildschirm.
Emilia, was soll das?“. „Halte dich, Halte dich“, rief Emilia, „halte dich
um Leben und Tod. Die Dämonin des Wassers will dich fressen. Halte
dich, so fest du kannst“.

Gebannt schauten die drei Zauberinnen Ipupiara in die Augen. Ipupiara


hielt ihren Mund weit geöffnet und darin sahen die Kinder ihren
blutigen Rachen, der in einem tiefen dunklen Schlund ins Schwarze
verschwand. „Ihr grössster Wunsch, was kann das bloss sein?“,
rätselte Emilia. Panyma antwortete nicht. Sie stand da und schaute
Ipupiara tief in die Augen. Panyma streckte ihre beide Arme aus und
schloss langsam ihre Augen „Ich sehe etwas arrogantes“, sprach
Pamyma, „etwas eitles in ihr, das mit König zu tun hat. Sie will etwas
königliches. Aber was genau, ich sehe es noch nicht“. Die Dämonin hielt
die Augenbrauen ihres finsteren Gesichtes eng zusammen. Weit hielt
sie ihren Mund aufgestreckt. Durch ihre scharfen Zähne, an denen
fleischiger, grüner und brauner Schleim hing, zog sie energisch Luft
durch Emilias magischen Spiegel ein. „Ich kann mich nicht mehr halten,
Hilfe“, schrie Avara. „Lieber Avara, halte durch“, rief Iakune laut.
„Ihr grösster Wunsch zuvor?“, drängte es Emilia, „ihr grösster
Wunsch? Etwas königliches? Hm, Ipupiara, sie ist so ein arroganter
Hexen-Drache, was kann das sein?“.

„Flieh Avara“, rief Panyma, „flieh weg von deinem Bilderschirm Spiegel
soweit du kannst“. „Ich kann nicht, ich kann nicht“, kam die Antwort
zurück, „ich kann mich nirgends halten, Hilfe, es zieht mich hinein“.
„Eine arrogante Hexe sagst du?“, stammelte Iakunae, „die Königin der
Piranabas, hm“. „Genau, eine Königin will sie sein“, dämmerte es Emila
langsam, „Arrogant? Eitel? und eine Königin, was braucht sie?
Schmuck? Etwas Wertvolles? Was tragen die Könige im Indianerland
heutzutage?“ „Na was schon, was schon, was weiss ich, vieles ?„,
stammelte Iakuane. Emilia blickte tief in Ipupiaras rote Augen. Dann
aber schloss sie ihre Augen. Plötzlich fuhr es Emilia wie ein Blitz durch
den Kopf. „Eine noble Halskette aus rostigen Nägeln“, entglitten ihr
schlagartig leise die Worte. Nochmals schaute Emilia Ipupiara in die
Augen. „Eine noble Halskette - aus rostigen Nägeln“, schrie Emilia laut
raus.

„Eine noble Halskette aus rostigen Nägeln?“, fragte Panyma und zeigte
sich auch gleich überzeugt. „Klar, das ist es“, rief Panyma laut,
„Ipupiara, du willst eine Halskette aus rostigen Nägeln“. Ipupiara
blickte Panyma wütend ins Gesicht, dann aber lacht sie: „hua, hua, hua.
Diesen Wunsch, hua hua hua, erraten habt ihr in zwar, aber wie wollt
ihr ihn erfüllen? Hä hä hä, Im ganzen Indianerland, hua hua hua, hat
einzig euer Könige eine solche Halskette. Und euer König ist weit weg,
über alle Berge, an einem anderen Ort, hua hua hua hua“.

„Recht hat sie, verflixt und zugenäht“, zeigte sich Emilia enttäuscht.
„Ja ihr zwei“, seuftzte Panyma, „ich weiss auch niemanden ausser der
Indianerkönig und die portugiesischen Siedler, die überhaupt Eisen
besitzen, und es eilt“.

„Schade“, seuftzte Emilia. Doch Iakunae zwinkerte mit den Augen. Sie
hatte eine Idee. „Avara“, rief sie laut in den magischen Spiegel hinein,
„Avara, ihr habt doch so viele Sachen aus Eisen in eurer Welt. Hast du
rostige Nägel bei dir zuhause?“. „Rostige Nägel?“, wunderte sich
Avara, „was sollte ich mit rostigen Nägeln? Nicht dass ich wüsste,
wären hier irgendwo welche“. „Schade“, seufzte Iakunae und stampfte
enttäuscht in den Boden. „Das wär zu schön“, flüsterte Panyma,
während Ipupiara freudig lachte: „ Jetzt fress ich euch alle auf. Hua
hua hua, alle, denn ihr mikrigen Indianer habt doch kein Eisen, hä hä
hä. Habt ihr keine würdige Halskette für mich? Für mich, die Königin,
die Königin der Piranabas? hua hua ! “. Stärker denn je zuvor saugte
Ipupiara kräftig Luft durch den magischen Spiegel und streckte ihre
spitzige Zunge und ihre kralligen Finger dem silbrigen Spiegel
entgegen. „Komm schon, komm schon , du Zauberspiegelmann. Ipupiara
hat Hunger , ha ha“.

Ängstlich schauten sich Panyma, Emilia und Iakuane gegenseitig ins


Gesicht. Eine Weile dauerte, dann kommt Avaras Stimme durch den
magischen Spiegel: „Mein Sohn, mein Junge, Simon“, sprach Avara, „als
er noch klein war, hat er immer wieder rostiges Eisen von der
nachbarlichen Baustelle nach Hause gebracht. Das sammelte er in
einem schweren Tonkübel vor der Haustüre, den hol ich jetzt“. Emilia
lächelte hoffnungsvoll und drückte die Daumen.

Avara versuchte Ipupiaras tödlichem Sog zu entkommen. Wie ein


Wirbelwind blies und saugte es in seiner Wohnung. Avara kletterte
den Wänden entlang wie ein Bergsteiger, doch er kam nicht voran.
„Scheisse“, schrie er, „die Dämonin saugt so stark. Ich komme nicht
weiter“. Doch Avara gab nicht so schnell auf. Erneut versucht er es.
Schweiss lief auf seiner Stirne hinunter. „Ich bin erst beim
Schlafzimmer“, konnten die drei Frauen seine Stimme hören, „es ist
noch viel zu weit, Hilfe , ich falle“. Avara rutschte aus. Mit letzter
Kraft konnte er sich an der Schlafzimmertüre halten und sich ins
Schlafzimmer retten. Avara schaute sich um. Wie sollte er es
schaffen, weiter durch den Gang entlang dem wirbelnden Sog zu
entkommen? Er schaute sich im Schlafzimmer um. Da, eine Bettdecke,
sah er, eingeklemmt zwischen Wand und Bett. „Ich schmeiss erst mal
eine Bettdecke durch den Spiegel“, sprach Avara leise vor sich hin,
griff nach der Decke und warf sie seinem Zauberbildschirm entgegen.

Die Verbindung vom Bildschirm zu Emilias magischem Spiegel, zurück


in die Vergangenheit der Indianerzeit, war eng und kratzig. Die
Bettdecke wurde bei ihrem Flug aufgerissen und zerfetzt. So flogen
der ganze Haufen Federn aus dem Zauberspiegel heraus, Ipupiara
entgegen, direkten Weges in den Schlund ihres Dämonenrachens. Eine
ganze Bettdecke voller kratziger Federn, das ist selbst für eine
Dämonin zuviel. „grüps“, schluckte Ipupiara hart und hielt den Atem
an, macht grosse Augen und hustete die ganzen Federnschar aus ihrem
Mund. Weisse Flocken flogen herum. „Boah“, staunten Emilia und
Iakunae. Zum ersten mal schneite es im Indianerland, Federn zwar
nur, doch weisse Flocken fielen vom Himmel, wie wenn es schneien
würde. „Oh schön, es schneit“, freuten sich die Mädchen.

Wütend hustete Ipupiara. „Wer war das?“, erboste sie sich, „dieser
fremde Mann da drin? Wart nur, dir werd ichs zeigen. Jetzt kannst du
was erleben“. Und schon saugt Ipupiara wieder Luft durch den
magischen Spiegel ein, nochmals stärker denn je zuvor. Einem Meeres-
Wirbelsturm gleich. Dennoch, die kurze Pause hatte Avara geholfen,
bis zu seiner Haustür zu kommen.

„Die Türe, ich bring das Ding nicht auf“, schrie Avara so laut, dass es
Emila, Iakunae und Panyma bis ins Indianerland hören konnten. „Mach
schon, mach schnell“, rief Iakunae. Da erinnerte sich Iakunae an
etwas. „Vergiss nicht, Avara“, schrie sie laut, „die Türklinke geht
anders rum bei eurer Haustüre“ . Ipupiara wurde ungeduldig und
wütend. Nun streckte sie ihre braunen Krallen den drei Frauen
entgegen. „Dann fress ich halt zuerst euch als Vorspeise huahua“,
freute sie sich.
„Jetzt, jetzt, ich bin draussen“, frohlockte Avara, der es mit letzter
Kraft geschafft hatte, dem tödlichen Sog entgegen vor die Türe zu
kommen. Kurzerhand ergriff Avara den schweren Tontopf mit dem
rostigen Eisen und warf ihn mit einem kräftigen Hieb dem saugenden
Loch auf seinem Bildschirm entgegen. „So, das sollte aufs erste
reichen“, freute er sich mit einem lauten Lachen.

„Das sollte auf erste reichen?“, staunte Emilia, „was meint er damit?“.
Der magsiche Spiegel schepperte und zitterte wild. „Ich glaube da
kommt was“, kicherte Iakuane. „Pong“, donnerte und krachte, zischte
und knallte Emilias magischer Spiegel laut und lauter. Einem Blitz
gleich, der aus einer Wolke zuckt, flog der Topf aus dem silbernen
Spiegel Ipupiara zwischen Augen und Nase an den Dämonenkopf.
„Auuuuuu, johoh“, heulte Ipupiara, „wehh, bebe, uuh“.

Doch damit nicht genug. „Rrrsch“, rasselte und rauschte der magische
Spiegel bedrohlich, wie wenn er jeden Moment selber explodieren
würde. Ipupira flehte und schrie. „Aua, aua, aua“, jammerte sie mit
einer grossen Beule am Kopf. „Jipiiiiee, da kommt noch mehr“,
frohlockte und tanzte Iakunae. „Ja, es ist...“, kreischte Emilia drauf
los doch sie konnte den Satz nicht zu Ende sprechen, da hagelte es
Nägel und Eisen aus dem magischen Spiegel . Im heulenden Sog, mit
dem Ipupiara Avara auffressen wollte, kamen nun rostige Nägel,
Harscheisen, Hämmer, Haken, rostige Klingen, Sägeblätter,
Schrauben, Armiereisen und tausende Stücke zermalmtes Eisen wie
Hagelschlag geschossen, flogen pfeifend durch den Spiegeln in
Richtung Ipupiara und knallten der Dämonin tief in ihre schuppige
Fischhaut. „Uuuuh“, heulte und sprang Ipupiara durchlöchert in die
Lüfte, „hüä, hüä, wäääh“, schrie sie und rannte los in Richtung des
endlosen weiten Meeres. Darauf wurde es still, totenstill.

„Die sind wir los“, freute sich Emilia. „Endgültig los“, doppelte Iakunae
hinterher. „Ja, ich denke auch“, meinte erleichtert Panyma, „die lässt
sich so schnell nicht wieder blicken“. Erschöpft doch zufrieden sassen
die drei Frauen eine Weile still nebeneinander.

„Meinst du die Nägel tun ihr fest weh?“, fragte Iakunae nach einiger
Zeit, „meinst du, stirbt sie daran?“. „Wegen diesen paar Nägeln?“,
grinste Panyma, „nein, nein, da stirbt sie nie und nimmer daran. Auch
das Stechen der Nägel ist nicht mal so schmerzhaft und im
Salzwasser des Meeres werden sich die Nägel im Nu in Rost aufgelöst
haben. Das alles ist nicht so schlimm für Ipupiara“. Dann nach einer
kurzen Pause fuhr Panyma fort: „Was für sie viel schlimmer ist, Emilia,
wir haben sie gleich drei mal in ihrem Stolz getroffen. Zuerst, als du
ihren grössten Wunsch durchschaut hast. Dann ein zweites mal, wie
sie behauptete, wir könnten ihr den Wunsch nicht erfüllen, doch es
mit Avaras Hilfe möglich war, ihr das rostige Eisen zu besorgen, und
dann zum dritten mal wie wir ihr das schöne Geschenk auch noch auf
die direkteste und deftigste Art überreicht haben. Dass wir sie so in
ihrem Stolz getroffen haben, ist das schlimmste für sie, viel
schmerzhafter wie die paar Nägel selbst“.

Schweigend doch zufrieden blickten die drei Frauen in den Urwald


hinaus, wo sich in der nächsten Zeit ganz bestimmt auch kein
Anhänger Ipupiras, kein Piranaba mehr zeigen würde. „Eigentlich finde
ich es schade“ , durchbrach Emilia nach einiger Zeit das Schweigen,
„wenn Ipupiara nicht so hässig und wild wäre zu uns, vielleicht steckt
irgendwo in ihr dennoch ein ganz herziges Wesen. Irgendwo glaube ich,
hat auch sie etwas besseres an sich“, „Finde ich auch“, pflichtete
Iakune bei, „aber warum ist sie denn so wild? Warum ist sie eine so
blöde Kuh?“.

„Hm, das ist eine uralte Geschichte“, begann Panyma, „unsere


Vorfahren erzählten uns, sie soll zu Zeiten, noch vor unserer Welt,
eine der schönsten Meerjungfrauen im unendlichen Sternenmeer des
Himmels gewesen sein. Ein Teufel der Urzeit, so sagte mir ein weiser
Zauberer, konnte mit Hilfe eines alten, bis dahin vergessenen Fluches
von ihr Besitz ergreifen und sie wurde zur fürchterlichen Dämonin, zu
Ipupiara, der Dämonin des Wassers“. Emilia verzog ein trauriges
Gesicht. „Meinst du, können wir sie nicht vom Teufel befreien?“, wollte
Emilia wissen. Panyma zuckte die Achseln „Ich weiss es nicht“, gab sie
zur Antwort.
Kapitel 12 Das Schreifest

Juanita und Thiago spielten auf der Veranda neben Emilia. Sie sassen auf
einem Holzpferd, das ihnen ihr Vater geschenkt hatte. Juanita sass hinten
und Thiago hielt vorne die Zügel des Pferdes fest in seinen Händen. So
schauckelten sie quitschend auf und ab.

Schliesslich wandte sich Juanita an Emilia und sprach: „Das ist aber schön,
Maija, dass es euch gelungen ist, Ipupiara zu besiegen“. „tumme Ipupiala“,
entsetzte sich Thiago. Emilia blickte zu ihren Kindern mit einem Lächeln im
Gesicht. „Ja, ja ihr zwei“, freute sie sich, „wir haben es damals genossen,
wieder ohne Angst und Sorgen leben zu können und haben manch
ausgelassenes Fest gefeiert. Jeden Tag ist uns etwas eingefallen um fröhlich
und lustig zu sein“. „Ach Maija“, meinte Juanita etwas wehmütig zu Emilia,
„jetzt, nachdem du uns das alles erzählt hast, und wir es sozusagen nun auch
miterlebt haben, da möchte ich auch gleich vor Freude feiern“. „Ja das
sollten wir tun“, stimmte Emilia bei und nickte ihren Kindern zu, „wartet hier
einen moment“. Sie stand auf und begab sich ins Haus. „Ach haben wir eine
liebe Mama“, freute sich Juanita und hielt sich auf dem schaukelnden Pferd
fest an ihrem Bruder, „jetzt holt sie uns bestimmt etwas ganz feines“.

In Juanitas und Thiagos Spielphantasie konnte das hölzerne Schaukelpferd


weit hoch in den Himmel hinauf fliegen. Es hatte auch einen Namen, nämlich
„pegasso“, Pegasus das letzte fliegende Pferd. „Iiiiih, iiiih“, ereiferte sich
Thiago und schwenkte sein Holzschwert in die Lüfte, „da volne, tumme böse
Ipupiala, iiiiih, iiiiih, snell pegasso kämpfen, kämpfen“. „Ja die böse Ipupiara
besiegen wir jetzt“, feuerte Juanita ihren Bruder an, „halt die Zügel fest
und reite voll drauflos. Aus der Luft werden wir mit Ipupiara kämpfen. Böse
Ipupiara, jetzt kannst du was erleben“. „Hüa hüa, hiiii“, kreischte Thiago
eifrig.

„swielig, swielig kämpfe“, entsetzte sich Thiago, „Ipupiala kämpfe mit Swelt,
Ipupiala stalk“. „Ach wo, das ist doch gar nicht so schwierig“, entgegnete
Juanita, „Ipupiara mit ihrem Sägezahn-Schwert, der zeigen wir jetzt mal
wer hier der stärkere ist“. „ja, ja ja“, doppelte Thiago hinterher. „Thiago,
weißt du was? Wir fliegen ja so hoch, nun setzen wir mal unsere
Geheimwaffe ein“. „Geheimwaffe? hmmm?“, fragte Thiago neugierg, „Ja,
flieg mal genau über Ipupiara“, gab Juanita das Kommando. „pegasso, hüa hüa
ho“, lenkte Thiago das fliegende Pferd bis sie hoch über Ipupiara
hinwegschwebten. „So und jetzt unsere Geheimwaffe, ich hebe Pegassos
Schwanz hoch und dann kann er ein paar Pferdebohlen auf Ipupiara runter
fallen lassen“. „Ja, ja, hi hi hi“, kreischte Thiago ausser sich vor Freude,
„pegasso seissen, los Ipupiala lunter seissen“. „Pfrrrrrr“, zischte Juanita laut
mit ihrer Stimme. Thiago kugelte sich vor Lachen. „Pass aber auf, mein
kleiner Bruder, dass du nicht vor lauter lachen noch hinunter in die Tiefe
fällst“, mahnte Juanita amüsiert ihren Bruder und umarmte den kleinen
Jungen von hinten.

Inzwischen kehrte Emilia auf die Veranda zurück. In ihren Händen hielt sie
eine grosse Schüssel voller Erdbeeren und einen Krug eiskalten Tee. „So ihr
zwei tapferen Kämpfer“, lächelte sie freundlich zu ihren Kindern, „jetzt
könnt ihr bei einem feinen Erdbeerschmaus und süssem Minzentee euren
Sieg feiern“. „Mhhh“, lechzte Thiago und begab sich eilends zu Tisch.

„Damals haben wir Kinder unseren Sieg auch mit Erdbeeren gefeiert.“,
erinnerte sich Emilia, „An einem Tag, ich weiss es noch , wie wenn es gestern
gewesen wäre. Das war ein besonders schöner Tag, an dem aber auch
Trauriges geschehen ist. Es war ein Tag, an dem sich vieles in meinem Leben
damals änderte“. Emilia hielt das alte Pergament in ihren Händen. Erdbeeren
schmatzend schmiegten sich Juanita und Thiago von beiden Seiten eng an
ihre Mutter. Emilia wusste genau, was die Kinder von ihr wünschten. Eine
Weile suchte sie auf dem grossen, vollgeschriebenen Pergament. Dann
begann sie zu erzählen.
Mit dem Sieg über die Dämonin Ipupiara war Friede ins Indianerland
zurückgekehrt. Der arg verwüstete Urwald erholte sich rasch, denn im
warmen Klima Brasiliens wuchsen die Pflanzen schnell wieder nach. Gräser,
Blumen, Stauden und Jungbäume, im Nu spriessten sie aus dem fruchtbaren
Boden in die Höhe. So fanden die Indianer schon bald wieder genügend
Nahrung. Die Hungerszeit war vorbei.

Die Bewohner genossen die sorglosen Tage nach der langen Zeit der
Ungewissheit. Jeden Tag kam ihnen etwas neues in den Sinn um irgendein
kleineres Fest zu feiern. Aber heute, da war ein ganz besonderer Tag,
wenigstens für Iakunae, denn sie hatte Geburtstag. Neun Jahre alt wurde
sie heute.

„Hast du viele Geschenke bekommen?“, fragte Emilia. „Ach ja“, antwortete


Iakunae, „mehr wie ich wollte. Sogar Häuptling Avanene hat mir
Honigbonbons geschenkt“. „Will auch Furztag, will auch Furztag“, beklagte
sich der kleine Ojang Utan wie er die schönen Geschenke sah, die seine
Schwester bekommen hatte. Iakunae versuchte ihren Bruder zu trösten. „Du
hast ja schon bald auch Geburtstag“, munterte sie Ojang Utan auf, „Dann
bekommst du bestimmt auch viele Geschenke“. „Wolle Gesenkli, auch
Gesenkli“, klagte Ojang Utan aufs neue. „Was wünschst du dir denn am
meisten?“, wollte Emilia wissen. „Ausflug machen, will Ausflug machen“,
wünschte sich Ojang Utan mit feurigen Augen, „will Erdbeeren, Erdbeerhügel
gehen“. „Oh ja, das ist eine ganz tolle Idee“, gab sich Iakunae begeistert,
„auf unserem Erdbeerenhügel hat es zu dieser Jahreszeit bestimmnt viele
Beeren. Lasst uns da hingehen“. „Ja, kommt“, stimmte Emilia mit ein, „machen
wir ein Kinderfest auf dem Erdbeerhügel“.

So bereiteten sich die Kinder des Dorfes auf den Ausflug vor. Alle Kinder
ausser die ganz kleinen Babies kamen mit. Die Kinder schminkten ihre
Gesichter in bunten Farben und schmückten sich mit ihren schönsten Federn.
Viele nahmen zudem Trommeln Flöten oder Kürbisposaunen mit, denn da oben
auf dem Erdbeerügel, da wollten sie gehörig loslegen. Das wird ein tolles
Kinderfest und darauf freuten sie sich. Kevin, Kwarahi und ein paar junge
Indianer gingen zum Schutz der Kinder mit.

Der Weg führte vorbei am Bach, wo die Enten auf dem Wasser mit
fröhlichem Gequake grüssten und die Fische im Übermut gewagte Sprünge in
die Luft vorführten. Bunte Blumen zierten den Weg, dicke Bienen summten in
den Blüten der Pflanzen und Bäume und fleissige Ameisen krabbelten mit
Holzspänen und trockenen Blättern am Boden, um sich ihre Nester zu bauen.
In ihrer Freude sangen die Kinder auf dem Weg ein Lied.

„Ja, ja, die Kinder haben was vor“, freuten sich die erwachsenen Indianer im
Dorf und guckten neugierig zum Erdbeerhügel hinauf. Sie hatten es gerne,
wenn ihre Kinder gemeinsam spielten und alle zusammen etwas unternahmen.
Und schliesslich genossen sie es auch mal ohne Kinder im Dorf zu sein, denn
dann war es viel ruhiger und das lud zu einem Mittagsschläfchen ein. Die
meisten Indianer dösten in ihren Hängematten gemütlich vor sich hin.

Nur zwei Frauen, denen war gar nicht nach Ausruhen zumute, nämlich Silvia
und Panyma. Zu zweit trugen sie eine grosse Schüssel Honigbonbons und
liefen durch den Urwald, weit hinter den Kindern, dem Erdbeerhügel
entgegen. „Unsere Kinder waren so lieb während der schweren Zeit“, meinte
Silvia zu Panyma, „und sie haben uns so viel geholfen. Da wollen wir ihnen
doch zum Dank etwas Süsses auf ihr Fest bringen“. „Und tapfer gekämpft
haben sie auch“, stimmte Panyma überein, „ohne unsere Kinder wäre es uns
nie gelungen, Ipupiara zu besiegen“.

Das letzte Stück des Weges führte die Kinder steil den Hügel hinauf. Die
Kinder genossen die Schönheit der Natur, das Zwitschern der Vögel, das
Kreischen der Affen, das Immergrün des Waldes und die hohen Bäume mit
ihren Hängepflanzen in allen schillernden Farben. All das liess die Kinder die
Gefahren des Urwaldes vollständig vergessen. Doch da, plötzlich, raschelte
es in einem Gebüsch.

„Was ist das?“, erschrak ein Mädchen, „im Gebüsch da vorne, da bewegt sich
was“. „Halt, stillstehen“, befahl Kwarahi, die als eine der ältesten zuvorderst
lief. „rschh, rrrsch, hss, hsss“, raschelte es in den dichten Stauden direkt
vor den Kinder. Kevin hielt Kwarahi fest in seinen Armen. „Zu dumm, haben
wir Pfeil und Bogen nicht dabei“, stöhnte Kevin. Doch dann liess er Kwarahi
los und ergriff einen Holzstock der neben ihm lag. Schon längst hatte er von
den Indianern gelernt, dass ein Holzstock als Waffe im Urwald besser ist
wie nichts.

Darauf wurde es still im Gebüsch, wie wenn da drinnen jemand gespürt hätte,
dass ein junger Mann die Waffe ergriffen hatte. Die Kinder sagten kein
Wort. Alle starrten sie gebannt auf das Gebüsch und auf Kevin. Kevin schritt
langsam voran, dem unbekannten Wesen entgegen, entschlossen zum
sofortigen, erbarmungslosen Kampf gegen alle möglichen Gefahren. Es gab
für die Indianer kein Zögern, wenn sie bedroht waren, denn alles andere wie
ein blitzschneller Kampf konnte den sofortigen Verlust des eigenen Lebens
bedeuten.

„Nichts, nichts und wieder nichts“, flüsterte Kevin nach einiger Zeit, „aber da war doch
was. Da war was im Gebüsch“. Kevin klopfte vorsichtig einge mal leicht auf den Boden.
Dann stachelte er mit dem Stock im Gebüsch, schob die Aeste auf die Seite. Doch
nirgends war etwas zu sehen

Kwarahi schüttelte leise den Kopf. „Ich hätte wetten können dass da was
war“, ereiferte sie sich, „hast du nicht auch gesehen, Kevin, die kleinen
braunen Schatten, die hinter die Bäume verschwunden sind und die runden
kugeligen Köpfe, wie wenn sie Hüte getragen hätten?“. Doch Kevin verzog ein
fragliches Gesicht und schüttelt den Kopf. „Irgendein Stinktier? Na ja, lass
uns weitergehen“, meinte er schliesslich, „wenigstens sind wir viele, da
werden wir uns wehren können“. Einige Kinder fürchteten sich dennoch
etwas. „Es war vielleicht doch nicht so schlau von uns, dass wir alleine
losgezogen sind“, meinte ein kleiner Junge. Kevin legte dem Jungen seinen
Arm um die Schultern und tröstet ihn: „Im Urwald wird es dir noch oft
geschehen, dass du von einem Tier überrascht wirst und es vor dir flieht
bevor du es überhaupt siehst, da brauchst du nicht gleich erschrecken“.

Schon bald hatten die Kinder die Anhöhe des Erbeerhügels erreicht. Schön
war die Aussicht von da oben. „Seht ihr das Dorf?“, fragte ein Mädchen.
„Das Dorf sehe ich schon“, kicherte Emilia, „bloss keine Indianer. Die sind
wohl froh, wenn sie uns mal los sind und in Ruhe in ihren Hängematten
faulenzen können“. „Ja, die faulen Männer“, lachte Iakunae, „haben sich
sicher heisshungrig ihre Bäuche mit Grilliertem vollgeschlagen und dösen nun
ihr Verdauungsschläfchen“. „Auf hohe Hügel steigen gibt auch Hunger“,
klagte Emilia schliesslich zum Spass, „lass uns Erdbeeren suchen gehen“.

Die Kinder suchten lange Zeit nach Beeren, doch leider vergebens. Sie
suchten in der Waldlichtung und tief im dunklen Wald, auf den obersten
Anhöhen und dem Bach entlang, auf den hohen Steinen und unter den Aesten
der immergrünen Bäume. Nirgends fanden sie auch nur eine einzige Beere.
Während die einen Kinder immer noch eifrig suchten, hatten die anderen den
Ehrgeiz aufgegeben und begonnen, mit ihren Instrumenten lautstark Musik
zu spielen.

„Lass uns noch hinten suchen gehen“, meinte schliesslich Emilia, „in der
Waldlichtung auf der anderen Seite des Hügels“. Iakunae seufzte
enttäuscht. „Also gut, aber wirklich als letztes“, gab Iakune ihr
Einverständnis, „nachher geb ich es auch auf. Dann werd ich auch lieber
Musik spielen“. „Ja“, stimmte Emilia mit ein, „dann können uns die Beeren mal
so lang wie breit sein“. „Beere suche, beere suche“, jauchzte Ojang Utan
voller Begeisterung und hüpfte den Mädchen eifrig hinterher.

Doch auch in der Waldlichtung auf der Rückseite des Hügels fanden die
Kinder keine Beeren. „So ein Mist“, schimpfte Iakunae und stampfte auf den
Boden „auch hier keine Beeren“. Auf den Boden stampfen und schimpfen, das
tat auch Ojang Utan liebend gerne. Mit beiden Beinen hüpfte auch er in die
Höhe und landete mit vollem Gewicht auf dem weichen Waldboden. „Seisse“,
brüllte er wütend, „so eine Seisse“. Emilia und Kwarahi grinsten zu den zwei
Geschwistern.

Doch dann geschah etwas womit die Kinder nie und nimmer gerechnet hatten.
Es raschelte heftig im Wald unter dem Laub, überall, im ganzen Waldboden
rings um die Kinder herum. „Was wollt ihr hier?“, rief eine erzürnte Stimme
von da unten, „Macht dass ihr wegkommt -, sofort“. Die Kinder schauten sich
erschrocken an. Jetzt, nachdem sie die Piranabas und die böse Ipupiara
besiegt hatten, wer konnte das sein? „Macht dass ihr wegkommt“, schimpfte
eine andere Stimme aus dem Gebüsch neben Emilia, „schert euch zum
Teufel“. Emilia erschrak und hielt den Atem an. „Wer – wer ist da? Wer bist
du?“, wunderte sich Emilia. Doch sie konnte ins Gebüsch gucken soviel sie
wollte, sie sah niemanden. „Ist das ein unsichtbares Wesen?“, flüsterte
Iakunae zu Emilia. „Weiss nicht“, antwortete Emilia. Aber schliesslich war
Emilias treuer Freund Nico auch zur Stelle. „Nico komm suchen“, rief Emilia.
„Wollen wir nicht lieber verduften?“, fragte Iakuane weiter, „ist vielleicht
besser, wie sich auf einen Kampf einzulassen“. „hm“, überlegte sich Emilia
laut, doch dann hörte sie eine vertraute Stimme aus der Luft: „Gruhu,
Gruhuu“. Die Urwaldeule und Abara flogen über die Kinder hinweg und das
gab Emilia neuen Mut. Die Urwaldeule landete auf dem Platz zwischen den
Kindern und hüpfte wild auf dem Boden herum. Abare landet neben ihm,
stampft ebenfalls kräftig und kreischte laut: „Kraaah, kraah. Beeren, wollen
Beeren, schert ihr kraaah kraaah schert ihr Teufel, krahh, kraahh, Teufel“.
Nico kam und schnupperte am Boden. „Wuff, wuff“, bellte er drauf los.

„Was soll der Radau“, schimpfte wieder eine hohe knurrlige Stimme im Laub,
„wenn das nicht sofort aufhört, so könnt ihr was erleben“. Es raschelte im
Laub und diesmal flog das Laub weit fort. Ein winziges Pilzmännchen stand
vor den Kindern. Der kleine trug ein rundes spitzes Pilzköpfchen als Hut.
Darunter guckten zwei Auglein hervor, eine spitze Nase und ein
unfreundlicher schimpfender Mund. Der Körper des Pilzmännchen aber war
spindeldürr, mit zwei dünnen Aermchen und zwei dünnen, langen Beinen.
„Pilztrolle, Piltztrolle“, kicherte Emilia vergnügt, „jipiii Pilztrolle, wir haben
Pilztrolle gefunden“.

„Musst gar nicht so blöd lachen“, schimpfte der kleine zur Begrüssung, „was
fällt euch eigentlich ein, ihr dummen Gören, hierher zu kommen und uns zu
stören?“. Nico ging hin zum kleinen Pilztroll und leckte ihn ab. „Bäh“,
wetterte der kleine drauf los, „dummer Köter, lass mich in Ruhe“. „Komm
hierher, Nico“, befahl Emilia, „lass die Trolle in Ruhe“. Nico knurrte
fürchterlich, aber er war ein braver Hund und gehorchte Emilia.

Überall raschelte es in den Büschen und unter dem Laub. Einen moment
später standen gut zwei dutzend Pilztrolle vor den Kindern. Da hatte es
welche die waren dick und rund mit grossen braunen Hüten. Dann aber wieder
dünne mit spitzen glockenförmigen Hüten oder gar bunte Trolle mit rot-
weiss getupftem Fliegenpilzdach. Doch ein freundliches Wort hatten sie
nicht übrig für die Kinder. „Verprügeln sollte mans sie alle“, schimpfte ein
brauner dicker, „kommen hierher ohne uns zu fragen, machen Krach -
fürchterlichen Radau, und stören uns im Schlaf. Brrrr, dumme Kinder“.

Ojang Utan fürchtete sich überhaupt nicht vor den Pilztrollen. Er streckte
ihnen die Zunge raus und wackelte mit den Fingern vor seiner Nase. „Dumme
Pilzttloll“, neckte er die Kleinen, „Ojang Utan keine Angst, blä, blä blä“. „Sagt
mal ihr Pilztrolle“, fragte Iakunae keck ,„habt ihr uns etwa all die Beeren im
Wald weggefresssen?“. „Wääääghi, Beeren“, entsetzte sich ein
Fliegenpilzttroll, „Beeren, wäh, zum Kotzen. So etwas scheusssliches essen
wir nicht“. Eine Welle der Empörung ging durch die Reihen der Pilztrolle:
„Wähh Beeren“, „igggittt“, „bäh, kotz“, „stink Beeren , wuah“, „beeren wüüh,
lieber noch gäggi“, „brrrr“.

Inzwischen näherten sich Silvia und Panyma mit ihrer grossen Schüssel
Honigbonbons. „Uff ganz schön schwer zu tragen“, lächelte Silvia freundlich
zur Begrüssung, „habt ihr schon viele Beeren gefunden?“. „Ach wo, keine
einzige“, antwortete Iakunae enttäuscht, bevor sich die Pilztrolle
schadenfreudig und lautstark bemerkbar machten. „Kinder kriegen keine
Beeren, keine Beeren, keine Beeren“, setzte der vielstimmige Chor der
Pilztrolle ein“. „Keine Beeren, keine Beeren, Kinder keine Beeren, böse böse
Kinder“. Panyma lächelte auf den Stockzähen, wie sie die Pilztrolle bemerkte.
Leise schüttelte sie den Kopf und kicherte vergnügt. „Wenn sie euch keine
Beeren übrig gelassen haben, dann schaut mal was wir euch feines gebracht
haben“, sprach Panyma zu den Kindern, „etwas ganz feines, das ihr gerne
habt. Augenblicklich kamen die Kinder und blickten voll Freude auf die
Honigbonbons. Die Schüssel mit den Honigbonbons zog aber nicht nur die
Aufmerksamkeit der Kinder auf sich. Auch die Pilztrolle standen da und
brachten vor lauter Staunen die weit aufgerissenen Augen und Münder nicht
mehr zu. „Oh, Honigbonbons, mmh Honigbonbons, lecker Honigbonbons“,
schwärmten die kleinen Trolle gierig. Iakunae schüttelte den Kopf und
drehte sich zu den Trollen hin. „Sagt mal, ihr glaubt aber nicht etwa im
Ernst, dass ihr von uns Honigbonbons bekommen werdet? Oder glaubt ihr das
etwa?... Nein, ihr bekommt nichts, ganz bestimmt nicht“, schimpfte sie mit
fürchterlicher Grimasse so energisch, dass die Pilztrolle ängstlich einen
Schritt zurückflohen. „üng, üng, bonbon, bonbon, üng üng“, stöhnten die
Pilztrolle weinerlich. Emilia kicherte leise vor sich hin. „Dann sagt uns
wenigsten zuerst, wo wir Beeren finden können“, erbarmte sich Emilia der
kleinen Wichtlinge. „Beeren, Beeren, wissen wir nicht“, antwortete frech der
grösste und dickste Pilztroll, „fragt doch die Erdbeerfee, Erdbeerfee weiss
wo“. Mit weit aufgerissenen Augen guckten die Trolle auf Emilia.
„Erdbeerfee, Erdbeerfee, ja, ja Erdbeerfee“, stimmten sie alle im Chor bei.

Emilia nahm ein Honigbonbon in ihre Hand und streckte es dem Troll vor ihr
mit der flachen Hand entgegen. Blitzschnell klumste es der Kleine aus ihrer
Hand. „Und wo finden wir diese Erdbeerfee?“, fragte Emilia. „Da hinten im
Wald, da hinten“, antwortete der Pilztroll und schmatzte gierig das
Honigbonbon, „ihr braucht bloss ihr Lied singen, dann kommt sie“. „Wie geht
denn ihr Lied?“, möchte Emilia wissen. „Weiss nicht mehr, weiss nicht mehr,
ha ha ha „, antworteten die Trolle wild durcheinander und lachen, „Wissen
nicht mehr, ha ha ha, wissen nicht mehr, wissen nicht mehr, ha ha ha“.

Panyma lächelte vergnügt. „Allzu viel darfst du von den Pilztrollen nicht
erwarten“, tröstete Panyma Emilia, „böse sind sie nicht aber sie ärgern all
die anderen Wesen, wo sie nur können“. „Dumme Trolle“, entsetzte sich
Iakunae. „Ja, ja, dumm sind sie“, lächelte Emila, „aber böse sind sie zum
Glück nicht“. So gab sie den kleinen Wesen noch eine Hand voll Honigbonbons.
„Panyma, kennst du das Lied der Erdbeerfee?“, fragte Emilia. Panyma nickt.

„Also die Melodie geht so“, beginnt Panyma, „’lai la lila leila li, lalalala lila leila
li’. Aber Text gibt es keinen. Da könnt ihr ja selbst was erfinden. Wenn ihr
einen guten Text habt, so könnt ihr die Melodie viel leichter singen“.

Eine Weile überlegte Iakunae. Zwei drei mal summte sie leise die Melodie
und sang dann schliesslich laut:

„tief im dunklen Wald ich geh,


such dich, kleine Erdbeerfee.
Ach bin ich ein hungrig’ Kind,
drum zeig mir wo ich Beeren find“.

„Ja genau, so singen wir es“, freuten sich die Kinder und lachten. Alle
zusammen sangen sie: „tief im dunklen Wald ich geh, such dich kleine
Erdbeerfee...“. So liefen sie durch den Wald zur Stelle, wo die Erdbeerfee
wohnte. Panyma und Silvia folgten den Kindern, und auch die Pilztrolle
humpelten eifrig hinterher.

Hinten bei der Waldlichtung kam den Kindern ein klitzekleines Wesen
entgegengeflogen. „Hallo liebe Kinder, ich bin die Erdbeerfee“, sprach das
wunderbare Wesen. Die Erdbeerfee war klein, etwas grösser wie die Hand
eines Kindes, aber viel mehr nicht. Sie trug eine rote Erdbeere als rundes,
spitzes Hütchen. Unter dem Rand des Hutes, der aus einem Kranz spitzer
grüner Blätter geflochten war, lächelte ein liebliches, rundes
Mädchengesicht. Die Fee trug ein Kleid aus grünen Erdbeerblättern. In ihrer
rechten Hand hielt sie einen glitzernden Sternenzauberstab. Flatternd flog
sie mit ihren duchsichtigen, glänzenden Flügeln weite Kreise um die Kinder,
und die Kinder kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus.

„Oh, schön, wie niedlich“, freuten sie sich. „Bist du die liebe Erdbeerfee?“,
fragte ein kleines Mädchen. „Ja die bin ich“, antwortete die Fee, „ich bin die
Erdbeerfee und ich freue mich, dass ihr meine Lieblingsmelodie so schön
singen könnt. Sagt mal, ist es wahr, dass ihr so hungrig seid?“. Emilia
lächelte. „Ja so fest hungrig nun auch wieder nicht“, gestand Emilia ein,
„aber wir haben halt schon die ganze Zeit Erdbeeren gesucht und keine
gefunden“. „Pilztlolle alle stohlen, böse pilztlolle“, erklärte eifrig Ojang Utan.
„Ach die Pilztrolle, hi hi hi hi“, lächelte die Erdbeerfee, „hi hi hi, haben sie
euch geärgert“. Mehr sagte die Erdbeerfee nicht. Sie lächelte nur. „Sollen
wir sie aus dem Wald vertreiben?“, fragte Iakunae. „Nein, nein“, antwortete
die Erdbeerfee, „lasst sie nur. Sie ärgern zwar alle andern im Wald. Aber
etwas zuleide tun sie niemandem. Hört nicht auf sie und sie werden euch in
Ruhe lassen“. „Bääääh“, drehte sie Ojang Utan und streckte den Pilztrollen
hinter ihm die Zunge raus. „Hi hi hi hi“, lächtelte die Erdbeerfee zu Ojang
Utan, „du bist ein lustiger Junge, ein richtiger Lausbub, hi hi hi. Kommt
Kinder. Ich zeige euch, wo ihr leckere Beeren finden könnt. Kommt mit, jetzt
gibt es etwas feines“. So flog die Erdbeerfee voraus. „Ahhh, mmmmhhhh,
mäm, mäm“, leckzten die Pilztrolle und humpelten eifrig in sicherem Abstand
hinter den Kindern her.

Eine Weile zog die bunte Schar durch den Wald. Die Erdbeerfee flog voraus
und summte zufrieden ihre Lieblingsmelodie. Die Kinder folgten dicht
dahinter und hörten der Erdbeerfee zu. „hi hi hi hi,Singst du nochmals das
schöne Lied von vorhin?“, fragte lächelnd die Erdbeerfee zu Iakunae, „das du
zu meiner Melodie gesungen hast, liebes Mädchen? Hi hi, ich möchte den
Text auch lernen“. „Ja natürlich“, antwortete Iakunae begeistert, „ er geht
so: ‚tief im dunklen Wald ich geh, such dich, kleine Erdbeerfee...“. Die Kinder
sangen eifrig mit und die Erdbeerfee kicherte unentwegt vergnügt. „So
lustig, so schön, hi hi“, schwärmte sie. Einzig die Pilztrolle zuhinterst sangen
nicht mit. Sie klagten und schimpften. „ein hungrig Kind ?.... hä, die sind nicht
die einzigen die Hunger haben“, jammerte ihr Anführer, ein dicker
Fliegenpilztroll.

Schon bald standen sie alle vor einer Senke mitten im Wald. Ein steiler
Abhang führte haushoch hinunter auf eine steinige Wiese. Und da unten
sahen die Kinder eine grosse Ueberraschung. Die ganze steinige Wiese war
über und über voll von Beeren. Beeeren in allen Farben, rote, rosa, violette,
schwarze , blaue, gelbe und grüne. „Oh, schön“, staunte Emilia. „Lecker,
lecker“, schwärmte Iakunae. „Mh, fein“, freute sich die ganze Schar Kinder.
Doch dann, urplötzlich, donnerte und krachte es im Wald. Die Pilztrolle
kamen von hinten vorbeigedonnert und stürzten sich den Abhang hinunter.
„Unsere Beeren, unsere Beeren“, kicherten und lachten sie schadenfreudig,
„unsere Beeren, gehören jetzt uns, gehören nur uns“.

„diese Bösewichte“, entsetzte sich Emilia, „nehmen uns die Beeren weg“.
„Blöde Trolle“, doppelte Iakune hinterher. „Tlolle, ooh tlolle“, stöhnte Ojang
Utan, „Tlolle, zelplüglen“. „Ach Ojang Utan“, tröstete Kevin den kleinen
Jungen, „verprügeln darfst du die Trolle deswegen nicht. Schliesslich gehört
der Wald allen Wesen, so auch den Trollen“. Die Erdbeerfee aber kicherte
nur und flog vor die Kinder. Mit der rechten Hand hielt sie sich den
Zeigerfinger vor den Mund ihres freundlichen Mädchengesichtes und gab
den Kindern zu verstehen, sie sollen ganz ruhig sein. „hi, hi hi hi“, kicherte sie
vergnügt, „da unten sind doch die ganz sauren Beeren, hi hi hi. Versteckt
euch da hinter diesem Gebüsch und folgt mir. Ich werde euch einen Platz mit
süssen Beeren zeigen“. Schweigend folgten die Kinder der Erdbeerfee einem
versteckten Weg entlang den Hügel hinauf. Ein Stück weiter oben kamen sie
an eine steinige flache Stelle mit weniger Beeren wie unten in der Senke,
aber die Beeren schmeckten ausgezeichnet süss und ihr fruchtiger
Geschmack lud ein zum Träumen.
„Mh fein, wie in einer anderen Welt“, schwärmte Iakunae. „Ja so gute Beeren
habe ich auch noch nie gegessen“, gestand Emilia ein. „fein, fein, mpf, mpf“,
mampfte Ojang Utan vor sich hin. Auch Kwarahi pflückte vorsichtig ein paar
Beeren. „Gibst du immer den Kindern so feine Beeeren?“, fragte Kwarahi die
kleine Fee. „Ja, ja, den Kindern gebe ich gerne meine Beeren“, erklärte die
Erdbeerfee freundlich, „Beeren haben ein feines Aroma und sind gesund, viel
gesünder wie all die Schleckereien aus Zucker, die die Kinder nur allzu oft
essen“. „Aber so richtige Bonbons sind halt schon auch gut“, schwärmte
Emilia. „Ja, ja“, lächelte die Erdbeerfee, „aber wenn ihr fertig geschleckt
habt, was müsset ihr dann machen?“. „noch mehl slecken“, ereiferte sich
Ojang Utan, „noch mehl slecken“. „Du bist mir ein lustiger kleiner Bruder“,
schüttelte Iakunae ihren Kopf, „würdest dir den Bauch mit Süssigkeiten
vollschlagen bis um Umfallen. Ojang Utan, sag mal, was musst du jeweils nach
dem Schlecken machen?“, „Tschändä butschn, Tschända butschn“,
antwortete freudig Ojang Utan. „Ja genau“, freute sich Iakuane über die
richtigen Antwort ihres Bruders, „jetzt weißt du es. Die Zähne musst du dir
gründlich putzen“. „Ja, ja, hi hi“, kicherte die Erdbeerfee, „ wenn ihr mal
schleckt, dann müsst ihr anschliessend eure Zähne gründlich putzen, merkt
euch das. Aber noch besser ist es, wenn ihr Beeren geniesst, denn die sind
gesund, haben viel Vitamine und stärken gar die Zähne“. So ging die
Beerenschlemmerei weiter.

Ein Stück weiter vorne reichte der Blick hinunter in die Senke des Waldes.
Emilia, Iakunae und Ojang Utan hatten sich heimlich angeschlichen und
beobachteten von da oben die Pilztrolle.

„Brrrr, sauer, sauer“, schimpfte ein Troll. „www, brrrr“, räusperte sich ein
weiterer. „Pft, pft pft“, spukte wieder ein anderer die Beeren im Wald
herum. „Saure Beeren, so ein Beschiss“, wetterte der Anführer der Trolle
unter seinem Fliegenpilzhut, „sauer nichts wie sauer. Und wo sind die Kinder
wo, wo sind sie, wo? Erdbeerfee, wo, wo?“. Dazu stampfte der Trollenführer
wild umher und schimpfte, und schimpfte. Er tat dies so laut, dass die Kinder
in ihrem Versteck jedes Wort verstehen konnnten. „reingelegt haben sie uns,
reingelegt, die Kinder, die Erdbeerfee, böse, böse, haben uns reingelegt. Wo
sind sie wo, wo sind sie?“. „Gehen wir sie suchen“, schlug schliesslich ein
dünner Pilztroll vor, „gehen wir sie suchen, gehen wir sie verhauen, schlagen,
strafen. Brrr, sauer, sauer, sauer, nichts als saure Beeren“.
Iakunae kicherte gut versteckt hinter den Büschen. Auch Emila lächelte und
die Erdbeerfee, die inzwischen angeflogen war, hatte ihre ganz besondere
Freude. „hi hi hi hi“, witzelte sie leise, „die Pilztrolle essen saure Beeren, hi
hi hi“. Nur Ojang Utan lachte nicht. In seiner rechten Hand hielt er eine
süsse Erdebeere, schaute sie an und warf sie in seiner Hand rauf und runter.
Dann wieder blickte er zum Anführer der Pilztrolle runter. „Suchen wir die
Kinder“, befahl der Pilztrollführer mit scharfer Stimme, „dann verhauen wir
sie und stehlen ihre Beeren. Will auch süsse Beeren, will auch süsse Beeren,
will süsse Beeren“. „Ach Ojan Utan“, sprach die Erdbeerfee mitleidig, „sei
doch so gut und gib ihm mal eine süsse Beere“. Das brauchte die Erdbeerfee
kein zweites mal zu sagen. Ojang Utan lächelte auf den Stockzähnen und
„patsch“, war die weiche, süsse Erdbeere auf dem Fliegenpilzhut des
Trollenführers zerplatzt .

Ueberrascht schaute sich der Trollenführer wütend um. „Wer hat das
gewagt, wer?“, erboste sich der Trollenführer, „wer hat mir eine Beere
angeworfen, wer, wer, wer von euch? Ich bin euer Anführer und wer mir eine
Beere anwirft, wird bestraft“. „Ich war es nicht“, „ich auch nicht“, „niemand
von uns“, wehrten sich die eingeschüchterten Pilztrolle, denn ihr Anführer,
der Fliegenpilztroll war der stärkste unter ihnen, stärker wie die anderen
Pilztrolle alle zusammen. „niemand von uns, glaub es uns, ehrenwerter
Trollenführer, niemand von uns“, versicherten die Pilztrolle ängstlich. Böse
schaute der Trollenführer durch die Reihen seiner Untertanen, doch dann
lief ihm langsam der Erdbeersaft über den Hutrand hinunter mitten ins
Gesicht. Er hob den Finger, wischte sich die klebrige Sosse ab und hielt den
Finger in den Mund. „Süss, süss“, staunte er, „wunderbar, herrlich süss. Von
wo kommt die Beere her?“. Erschrocken spähten die Trolle in die Höhe. Zu
trollig schaute das aus und die Kinder konnten ihr Lachen nicht mehr
zurückhalten. Laut lachten sie alle zusammen.

„Kinder, kinder, böse Kinder haben uns beworfen“, schimpften die Pilztrolle
im Chor, „wartet nur Kinder, jetzt verhauen wir euch“. Ojang Utan, Iakunae
und Emila schauten nun doch etwas ängstlich aus ihren Augen. „Hi hi hihi“,
lächelte die Erdbeerfee zu den Kinder, „vor denen braucht ihr euch nicht
fürchten, die werden euch nichts antun“.

Schliesslich kamen die Trolle den Hügel hinaufgehumpelt. Wütend hielten sie
Aeste in ihren Händen, bereit die Kinder erbarmungslos zu schlagen.
„Grrhhh“, knurrten sie. Doch noch bevor sie loslegen konnten, schwang die
kleine Erdbeerfee ihren Sternenzauberstab und ein Meer buntester Beeren
breitete sich vor den Pilztrollen aus. „Beeren, mhh, Beeren“, staunten die
Trolle. „Süsse Beeren, süsse Beeren“, leckten sie sich die Münder und hatten
den Aerger mit den Kindern auf der Stelle vergessen. „Beeren, beeren“,
schwärmten sie und stopfen sich die Mäuler voll.

12-2

„Sag mal Erdbeerfee“, fragte Emilia etwas nachdenklich, „du bist so lieb zu
uns, schenkst uns die ganze Beerenpracht. Wie sollen wir dir nur danken?“.
„Ach das ist doch schon gut“, freute sich die Erdbeerfee, „Beeren gibt es
umsonst. Aber ihr habt doch so schöne Musikinstrumente mitgenommen. Ich
höre so gerne Musik. Wollt ihr mir etwas vorspielen?“. „Oh ja“, stimmte
Emilia mit ein, „lasst uns der Erdbeerfee ein schönes Ständchen spielen“.
Emilia brauchte dies keine zweimal zu sagen. Eifrig holten die Kinder ihre
Trommeln, Flöten, Kürbisposaunen und Saiteninstrumente und legten los.

„Jipii“, jauchzte die Erdbeerfee und tanzte in der Luft. Die Kinder, Silvia
und Panyma konnten sich nicht zurückhalten und tanzten ebenfalls auf dem
schönen Platz im Wald. Doch nicht nur die Indianer und die Erdbeerfee
tanzten, nein, sogar die knurrligen Pilztrolle hatten Freude an der Musik,
gaben einander die Hände und tanzten mit. „Ja, ja, die wilden Pilztrolle“,
kicherte die Erdbeerfee, „wenn die nur Musik hören und tanzen können, dann
vergessen sie ihren ewigen Aerger und sind die liebsten Wesen“. „Lu, lu hullu
hullu hu“, sangen die urigen Pilztrolle im Chor und lächelten zum Tanz, „lu hu
hullu hullu hu“.

Panyma hatte inzwischen aufgehört zu Tanzen und ein kleines Feuer


entfacht. Als Emilia dies sah, begab sie sich mit Iakunae zu ihrer
Zauberlehrerin. „Lass uns ein paar Farbzauberblätter verbrennen“, sprach
Panyma begeistert zu den Mädchen, „daran wird die Erdbeerfee Freude
haben“. Schon bald stieg Rauch in allen Farben auf und die buntesten Sterne
schwebten glitzernd durch den Wald.

„Panyma, du kannst immer wieder so schön zaubern“, staunte Emilia ob den


Künsten ihrer Zauberlehrerin, „Ich wünschte ich könnte dies alles zaubern,
was du zaubern kannst“. „Alles was ich zaubern kann? ...“, fragte Panyma und
lächelte, „was ich zaubern kann, was ist das schon? Auch ich habe meine
Wünsche. Und der Zauber, den ich mir am meisten wünsche, von dem weiss
ich nicht im geringsten, wie der geht“. „Ein Zauber den du dir am meisten
wünschst?“, wunderte sich Emilia, „was ist denn das?“. „Es ist der grösste
Zauber, der einem irdischen Zauberer möglich ist“, erklärte Panyma, „der
Zauber, sich selber in ein Lichtwesen zu verwandeln, so wie es der alte
Schamane beherrscht“. Iakunae schaute den beiden zu und spitzte
nachdenklich ihren Mund. „Dann frag doch mal den alten Schamanen“, gab
Iakunae keck zum besten,“frag ihn, wie das geht, dann weißt du es nachher“.
„Schön wärs“, lächelte Panyma vergnügt, „nein, nein, liebe Iakunae, so einfach
ist das leider nicht. Gleich wie jeder Mensch ein eigenes Wesen ist, so gibt
es für jeden Zauberer einen eigenen Weg, zum Lichtwesen zu finden. Jedem
Zauberer ist ein eigener Pfad in der Unterwelt gegeben, dem er folgen muss,
und nur so ist es ihm möglich zu diesem ewigen Licht zu gelangen. Wenn der
Zauberer da angekommen ist, verwandelt er sich selber zu diesem Licht, dem
göttlichen Licht der Ewigkeit und der Undendlichkeit“. „Oh“, staunte
Iakunae. „das wär schön, wenn du das mal könntest. Sag uns, wenn wir dir
dabei helfen können“. „Das ist lieb von euch“, freute sich Panyma und legte
ihre Arme um die zwei Mädchen, „doch jetzt, lasst uns noch mehr Farbe an
unser Fest zaubern“.

Die Freude der Kinder war gross ob dem spontanen Tanzfest. Panyma, Emilia und Iakunae
standen ums Feuer herum und liessen immer wieder Zauberblätter ins Feuer fallen.
Jedesmal stiegen neue Farben auf, das bunteste Feuerwerk, und immer wieder staunten die
Kinder ob den Künsten der Zauberinnen. Neben dem Feuer spielten die einen Kinder auf den
Musikinstrumenten die wildesten Indianerrhythmen und Lieder. Die restlichen Kinder
tanzten im weiten Kreis aussen herum. Zuvorderst flog die Erdbeerfee mit ihrem
Sternenzauberstab. Einen langen Schweif glitzernder Sterne liess sie hinter sich
schwebend langsam zu Boden fallen. Die Kinder folgten ihr und tanzten Hand in Hand. Ganz
zuhinterst schliesslich humpelten freudig die Pilztrolle im Takt der Musik. Für einmal
zeigten sie sich von ihrer freundlichen Seite.

Doch dann, urplötzlich, niemand hätte es erwartet, wurde es düster und


dunkel im Wald. Die Kinder schauten ängstlich nach oben. Licht sahen sie
keines mehr. Ueber den höchsten Bäumen bedeckte eine schwarze Wand den
Himmel. „Was ist das?“, erschraken die Kinder, „hilfe, hilfe, was ist das“.
Schliesslich erschien ein violettes Licht unmittelbar über der Feuerstelle,
eine helle, brillierende Licktkugel. Emilia erkannte das Licht sofort. „Ihr
braucht keine Angst zu haben“, beruhigte sie die verängstigten Kindern, „das
ist das Licht des alten Schamanen. Er kommt uns besuchen. Freut euch, er
ist der grösste und liebste Zauberer im ganzen Indianerland“. „Oh“, staunten
nun die Kinder, „der grösste Zauberer, oh“.

„Hallo Emilia“, grüsste im hellen Licht der alte Schamane, „hallo Iakunae,
Panyma, Silvia, hallo all ihr lieben Kinder, Erdbeerfee, und hallo all ihr
Pilzwesen des Waldes“. In violetter Lichtgestalt schwebte der alte
Schamane mitten ob dem Feuer. In seinen Händen hielt er eine silbrige
Scheibe. Mit freundlicher Stimme wendet er sich zu Emilia: „Ich habe mir
erlaubt, deinen magischen Spiegel auszuleihen“. „Schon gut“, antwortete
Emilia , „ich hab ihn ja ohnehin niemand anders wie dir zu verdanken. Da
darfst du ihn gerne ein wenig ausleihen“. Der alte Schamane nickte
freundlich und fuhr mit seiner Ansprach fort: „Die besten Grüsse überreiche
ich euch von Avara, dem Mann der fernen Zukunft. Es freut ihn, dass es uns
gelungen ist, die böse Dämonin Ipupiara zu besiegen. Unser aller Leben und
sein Leben hingen von diesem Sieg ab, hingen ab vom mutigen Einsatz der
Zauberinnen eures Dorfes, liebe Kinder. Seinen besten Dank überweist er
uns. Allen voran einer Person möchte er höchsten Dank überbringen, nämlich
an Emilia. Einzig Emilia wurde der Magische Spiegel im Tor des Todes
übergeben. Der magische Spiegeln, den sie zusammen mit ihren Freundinnen
aus der Unterwelt geholt hat, er hat unseren Sieg erst ermöglicht“. Kurz
wurde der alte Schamane von lautem Applaus unterbrochen, doch dann fuhr
er fort: „Avara möchte uns zum Dank seine musikalischen Grüsse
überreichen, Musik aus der fernen Zukunft. Freut euch Kinder, freut euch
und tanzt“.

Die Hände des alten Schamanen begannen zu leuchten. Er liess den Spiegel
los, doch dieser fiel nicht hinunter sondern schwebte im Licht, das aus
seinen Händen austrat. So liess der alte Schamane den Spiegel höher und
höher schweben. Er liess ihn schweben auf einer Pyramide des Lichts, das
aus seinem Körper austrat. Dann schliesslich verliess der alte Schamane das
violette Licht, das den Spiegel inzwischen alleine trug, auch ohne dass er
mithalf. Langsam wich der helle Schein vom Körper des alten Schamanen, bis
dieser schliesslich in der Gestalt eines gewöhnlichen Menschen neben den
Kindern stand. Wie üblich trug der alte Schamane nur wenige Kleider, ein
paar dunkle Lederbänder, einige farbige Federn in seinem dünnen Haar und
etwas silbrige Farbe im Gesicht.

„Musik aus der fernen Zukunft“, rief mit freudiger Stimme der alte
Schamane und zeigte auf den schwebenden Spiegel, der sogleich satte
farbige Töne aus sich erklingen liess: „Däggn, däggn, däggn, däggn .... nz nz nz
nz.... bumm bumm bumm bumm“.

„Oh schön“, schwärmten die Kinder. „Ah so tönt nun Musik aus der fernen
Zukunft“, staunte Emilia. Sie konnte nicht mehr still stehen, in wilder Freude
fetzt es sie über den Tanzboden im Wald hinweg. „Jippieee“, kreischten die
Kinder vor Freude, hielten ihre Arme in die Höhe und bewegten sich im
Rhythmus der fremden, noch nie gehörten Musik. „Das tönt ja wie aus einer
anderen Welt, wie von einem fremden Stern“, staunte Kevin, der neben Silvia
und dem alten Schamanen tanzte. Der alte Schamane nickte zu Kevin und
erklärt: „Elektronische Goa Musik hat Avara diese Musik genannt. Die
machen sie mit Instrumenten, Werkzeugen und Gerätschaften, die wir
Indianer nicht kennen“.

„Goa, davon habe ich schon gehört“, kam Emilia ins Schwärmen, „in den
Büchern der königlichen Bibliothek in Porto habe ich von Goa gelesen. Es liegt
in einem fernen Land das den Portugalesern angehört, grenzt an ein seltsam
Land, das sie ‚Indiam’ nennen. Was ich von diesem Land gelesen habe, so
wundert es mich nicht, wenn sie dort solche Musik machen. Sogar Feuer
essen sie in diesem fernen Land, pures Feuer, uns sie werden sogar richtig
satt davon. Fakire nennen sich diese feuerspeisenden Leute und die gelten
als Zauberer und Künstler. Ich habe es in den Büchern des Königs selber
gesehen“. Kwarahi hielt Kevin beide Arme um den Hals und schmiegte ihren
Kopf an Kevins Brust. „Feuer? Die essen Feuer? Die sind ja verrückt“,
wunderte sich Kwarahi. „Pures Feuer, bäh“, stöhnte ein Fliegenpilztroll, „bäh,
pures Feuer essen? igit igit igititititititttt. Dann doch lieber saure Beeren, hi
hi hi hi hi“.

Den Kindern gefiel die fremde Musik, denn sie war schnell und riss mit zum
Tanz. Jedes weitere Musikstück liess die Kinder auf neue erstaunen, denn
die Vielfalt an Farben und Formen, die in den bunten Klängen steckte, schien
endlos zu sein.

Iakunae tanzte neben Emilia mitten zwischen den Kindern. Hie und da
schielte sie rüber zu Kevin und Kwarahi, die in enger Umarmung miteinander
tanzten. „Dein Bruder ist ja mal mächtig verliebt“, kicherte sie zu Emilia.
„sind ja so richtig Schatz und Schätzeli“. „Schatz und Schätzli, hi hi hi“,
grinste Emilia zurück, „du sagst es, aber schön haben sie es zusammen. So
schön und innig möchte ich auch mal mit einem Mann zusammen sein“. Mit
grossen Augen starrte Iakunae ihre beste Freundin Emilia etwas ängstlich
und eifersüchtig an. Emilia grinste. „Irgendwann später einmal, irgendwann“,
fügt Emilia hinzu, „irgend - irgendwann, viel später“. Die zwei Freundinnen
lächelten sich an.

Kevin und Kwarahi aber tanzen nicht die ganze Zeit nur zusammen. Kwarahi
löste sich von Kevin , zog ihre eleganten Pirouetten über die Tanzfläche und
kam rüber zu Emilia und Iakune. Zu dritt gaben sie sich die Hände und
tanzten im Kreise.

Tanzen machte müde, vor allem die ganz kleinen Kinder. Ein Mädchen hatte
es sich auf Kevins Arme bequem gemacht und war in den starken Armen des
grossen Jungen sogleich eingeschlafen. Der ärmste Kevin, hatte mal wieder
ein schönes Geschenk bekommen. „Dann lass uns mal eine Pause einlegen“,
meinte schliesslich der alte Schamane. Mit einem Wink liess er das violette
Licht erlöschen und die Musik im magischen Spiegel entschwand langsam.
„Ach ist das schön, wieder mal ruhig“, freute sich Kwarahi, „eine Zeit lang
Musik hören ist ja ganz schön, aber es geht doch nichts über die Stille. Den
warmen Klängen der Natur könnte ich ewig lauschen“.

So sassen die Kinder eine Zeit lang da und schwiegen. Die Pilztrolle standen
daneben und schauten die Kinder mit grossen Augen ungläubig an. Doch
Iakunae war ein lebhaftes Mädchen und mochte nicht ewig so ruhig dasitzen.
Sie hatte eine Idee. Sie stand auf und mit freudiger Stimme verkündete sie:
„Ach ist das schön hier, die Aussicht so weit in den Urwald hinaus, ich könnte
vor Freude schreien. So laut könnte ich schreien, dass jeder im ganzen
Indianerland es hören kann“. Die Erdbeerfee neben ihr kicherte: „hi hi hi hi,
dann schrei so laut du kannst, ein Schreifest soll es sein“. „Ja lass uns alle
Schreien“, stimmten die Kinder fröhlich mit ein, „lasst uns schreien so laut
wir können. Das ganze Indianerland, ganz Ubatuba soll aufwachen, jipiii“.

„Aiiiaiiaii iiiiii“, schrie Iakunae als erste aus voller Kehle. Doch dauerte es nur
einen Augenblick und die anderen Kinder war ebenfalls aufgestanden und
schrieen voll drauf los. Einzig Kwarahi, Silvia und Panyma hielten sich mit den
Händen beide Ohren zu, denn es kroste und kratzte in den Ohren dass es
schmerzt. Doch auch sie lächelten und hatten Freude an Iakunaes spontaner
Aktion.

Die Pilztrolle aber guckten gar nicht mehr freundlich drein. „Nicht schreien,
nicht schreien, halt, halt, nicht schreien, halt“, entsetzten sich die Pilztrolle.
„Böse Kinder, böse Kinder, verprügeln, verprügeln sollten wir sie“, schimpfte
der Fliegenpilztroll, ihr Anführer, „rettet euch, Pilztrolle, weg hier“. Der
Fliegenpilztroll knurrte ein letztes mal wütend, darauf waren die Pilztrolle
spurlos verschwunden.

„Seht ihr den Berg da drüben“, fragte Iakunae, „ob es uns gelingt, so laut zu
schreien, dass wir ein Echo hören können?“. „iiiiii“, schrie der kleine Ojang
Utan drauf los. Dann lauschten die Kinder – doch es kam kein Echo zurück.
„Wir müssen es alle zusammen versuchen“, ereiferte sich Iakuane, „aber nur
ganz kurz, dann ist das Echo viel schöner. Also los: eins, zwei, drei, giiiiiii“,
gab Iakunae das Kommando und alle Kinder schrieen miteinander ganz kurz.
Dann lauschten sie gespannt, ob da nun ein Echo zurückkommen würde.

Eine Weile lauschten sie und dann hörten sie etwas eigenartiges, ein Echo?
Sonst was? Auf jeden Fall ein Klang, wie sie es nicht erwartet hätten. Leise
hörten sie vom Hügel her fremde Geräusche. „Ist das unser Echo?“,
wunderte sich Emilia, “das tönt ja ganz anders“. „Mh das ist kein Echo“,
stellte Kevin fest, „das muss was anderes sein. Aber was?“. Wieder lauschten
die Kinder den fremden Tönen. „Kürbisposaunen“, staunte Kwarahi, „das sind
Kürbisposaunen, viele Kürbisposaunen. Wer kann das bloss sein?“. Doch die
Kinder wussten genau, wer das als einziger sein konnte. „Der König, der
König“, freuten sie sich im Chor, „der König kommt“.

In aller Eile wurde das Fest auf dem Erbeerhügel zusammengeräumt. „Danke
vielmals, liebe Erdbeerfee“, riefen die Kinder der freundlich winkenden
kleinen Fee zum Abschied entgegen und rannten so rasch es ging zurück ins
Indianerdorf. Nur zwei Leute blieben zurück, Panyma und der alte Schamane.
Sie setzten sich unter einen Baum und vertieften sich in ein Gespräch.

12-3

Die Kinder gaben sich die Hände und sprangen reihenweise fröhlich
jauchzend und schreiend dem Indianerdorf Uwattibi entgegen. Dort
herrschte emsiges Treiben. „Der König kommt, der König kommt“, rief
Häuptling Avanene den Kindern entgegen, „die Vorhut ist schon im Dorf und
der König wird in kürze auch da sein. Wascht euch schön sauber. Schminkt
euch und ziert euch mit den schönsten Federn und dem feinsten Schmuck
den ihr habt. Kommt dann so schnell es geht zum Dorfeingang“. Das brauchte
Avanene keine zwei mal zu sagen. Die Kinder rannten eilends in den Bach
neben dem Dorf um sich im erfrischenden Bad zu waschen. Auch Emilia und
Iakunae vergnügten sich im herrlichen Nass. „Ganz gut, dass wir vorhin fort
waren, hi hi hi“, kicherte Iakunae spitzbübisch, „jetzt haben die
Erwachsenen ohne uns schon das ganze Dorf aufgeräumt und wir brauchen
bloss noch uns schmücken und ans Fest gehen“. „Benimm dich Iakunae, du
faule Tasche“, schimpfte Emilia lächelnd mit ihrer Freundin, „aber du hast ja
recht, hi hi hi, mir ist es auch recht so, hi hi“.

Einen Moment später verschwanden die zwei Mädchen in die Strohhütte um


sich gebührend schön zu machen. „Macht schnell, macht schnell“, riefen
eilends ein paar Jungen zur Türe hinein, „sie können jeden Moment da sein“.
„Ach was“, meinte Emilia, „so schnell sind die nicht da. Komm Iakunae, jetzt
kleiden wir uns mal schön elegant ein“. „Oh ja“, freute sich Iakunae, „nur
woher willst du elegante Kleider nehmen, hier draussen im Urwald?“. „Da
hinten, schau mal“, erklärte Emilia, „der Reisesack meiner Mutter. Ich werde
mein portugiesisches Gewand anziehen und für dich hats da bestimmt auch
was schönes drin“.

Eine Weile wühlten die zwei Mädchen im Reisesack und schon nach kurzer
Suche standen sie schliesslich beide da in schicken weissen Kleidern. Emila
stand neben Iakunae und rückte ihrer Freundin das Kleid zurecht, das sie für
Iakunae gefunden hatte. „Deines ist zwar nur ein Nachthemd, Iakunae“,
lächelte Emilia, „aber hier im Urwald draussen spielt das keine Rolle“. „Ja“,
kicherte Iakunae mit nobler Stimme, „♫ und reich mir gleich mal die
Schminke da. Jetzt will ich auch mal eine schöne Tussi sein. Farbige
Augenlieder und knallige Lippen, dazu geschminkte Nägel und gepuderte
Wangen, ganz hübsch will ich sein, oh, oh ♫“. Mit siptzem Mund und hoher

Stimme gab Emilia ihre Antwort zurück. „ Ja teuerste“, kicherte sie,


„ deine Schönheit wird alles zuvor
gesehene in den Schatten stellen. Gib
acht, der Prinz wird sich gleich in dich
verlieben“. Zu guter letzt zogen sich die zwei Mädchen noch
Perücken aus Stroh über, die die Indianer sonst für ihre Ritualtänze
verwendeten. So waren sie kaum wieder zu erkennen. „Jetzt lass uns gehen“,
drängte Iakunae, „die Indianer trommeln draussen schon so laut, der König
kann nicht mehr weit sein“. So begaben sich Emilia und Iakunae auf den
Dorfplatz ins dichte Gedränge der hoffnungsvoll wartenden Indianer.

Lange brauchten Emilia und Iakunae nicht zu warten. Kaum hatten sie
begonnen mit den anderen Kindern im Takt der Trommeln zu tanzen, näherte
sich eine Gruppe bunt gezierter fremder Indianer dem Dorf Uwattibi. Der
vorderste trug einen Federschmuck, der zweimal so gross war wie er selbst.
Es war der Indianerkönig Ajun Bebe höchstpersönlich. Ein Schreien und
Kreischen ging durch die Reihen der Bewohner von Uwattibi. „Willkommen,
willkommen“, wurden die Fremdlinge begrüsst.

Neben dem König stand sein Sohn, der bildhübsche Konyan Bebe sowie eine
stattliche Anzahl wohlgekleideter, nobler Frauen. Berater, Diener, Helfer
und Träger folgten dahinter. Die Träger schleppten den Herrschaften kreuz
und quer durch den ganzen Urwald alles hinterher, was sie auf ihrer Reise
benötigten und die untertänigsten Diener fächerten den durchlauchten
Hoheiten mit Palmwedeln kühle Luft ins Gesicht.

Mit nicht enden wollendem, ohrenbetäubendem Trommelwirbel, mit wildem


Gekreische, Schreien und Singen wurde der Indianerkönig und seine
Gefolgschaft im Dorf Uwattibi empfangen. Kinder und Frauen begannen
spontan zu tanzen. Häuptling Avanene stand am Tor und begrüsste mit
freundlichem Winken die Ankömmlinge. Vergeblich versuchte er mehrmals
Grussworte auszusprechen, im krachenden Lärm ging jedes seiner Worte
lautlos unter.

Da stand der lange erwartete König Ajun Bebe nun endlich am Tor von
Uwattibi, in all seinem Glanz und in seiner Herrlichkeit. Geschmückt mit
mannshohem Federnschmuck, Lederbändern, Halsketten und natürlich mit
seiner Kette aus rostigen Schiffsnägeln, die er sich gerne zuoberst um den
Hals legte , da er der einzige Indianer war, der eine solche Kette besass,
gänzlich aus diesem glitzrigen fremden Material gemacht, das erst die
portugiesischen Einwanderer ins Indianerland gebracht hatten. In seiner
Hand hielt der stolze Indianerkönig ein hohes Zepter, an dem heilige
Tierknochen mit Lederbändern angeknotet waren als Zeichen der ihm
zugesprochenen Verbundenheit mit der Unterwelt der Geister und Dämonen.

Der junge Prinz Konyan Bebe war nicht so reichlich geschmückt wie sein
Vater. Doch sein holdes, hübsches Mannsbild liess das Herzen manch einer
Indianerfrau höher schlagen. Hinter den beiden folgten die vielen Frauen
und Kinder der Königsfamilie. Die Frauen waren allesamt hübsch fein
gekleidet und geziert. Doch eine der Frauen fiel ganz besonders auf, denn
sie war die einzige Indianerfrau mit strohweiss blondiertem Haar auf dem
Kopf. Powackelnd, mit verführerischem Lächeln, schlängelte sie sich an den
Reihen der aufgeregt wartenden Männer vorbei. Jeder kannte sie, die
berühmte Sirapi, unverkennbare Schönheit, von Frauen gleich wie von
Männern bewundert, bestaunt und allzu oft nur beneidet. Durch die Lippen
ihres knallig geschminkten Schmollmündchens liess sie Küschen links und
Küsschen rechts in die Lüfte gleiten, hin zu der staunenden Menge um sie
herum. Gar mancher hielt die Augen weit offen und begaffte Sirapis
Miniröckchen, das die zwei kuschelig süssen Pobäckchen nur dürftig
bedeckte. Netzstrümpfe und Hackenschuhe vollendeten den Reiz und die
Schönheit Sirapis langer schlanker Beine. Durch einen eleganten noblen
Zigarettenhalter rauchqualmend streifte sie durch die Menge, liess ihre
geschminkten Wimpern klimpern und schenkte grosszügig den Männern
verliebte Blicke nach allen Seiten hin.

Ganz zu ihrem Schrecken musste Sirapi aber feststellen dass sie für dieses
mal nicht die einzige portugiesisch gekleidete hochpolierte und strohblonde
Tussi im Indianerdorf war. Emilia und Iakunae, beide weiss gekleidet und
geschminkt, watschelten eifrig hinter ihr her. Die beiden Mädchen kicherten
einander an. Das passte Sirapi ganz und gar nicht.

„♫ Willst du auch Zigarette paffen, verehrteste Emilia ♫ ?“, krächzte


Iakunae in hoher Stimme und reichte Emilia einen der rauchenden
Holzstecken , die sie von der Feuerstelle aufgehoben hatte. „♫ Ach ja“,
antwortete Emilia, „ zu liebenswürdig von dir.
Lass uns nobel qualmen ♫ “. So stolzierten sie Sirapi
hinterher, den jungen Männern zuwinkend und schmeichelnd. Und das war für
Sirapi des Guten zuviel.

Nur zu gut erinnerte sie sich an die zwei Mädchen, die ihr noch bei jedem
ihrer Besuche in Uwattibi soviel Aerger beschert hatten. „Seid ihr immer
noch hier, ihr Lausemädchen?“, erzürnte sich Sirapi, „haben sie euch noch
nicht endlich zum Teufel gejagt?“. „♫ Nein , nein, nur keine Angst“,
antwortete Emilia, „♫ wir bleiben noch eine ganze Weile hier. Aber an deiner
Stelle, da würde ich gut aufpassen. Seit du das letzte mal so sehr mit Koamis
allerliebstem Freund herumgeflirtet hast, ist Koami stocksauer auf dich ♫“.
Kurz blickte sich Sirapi um. Tatsächlich, Koami stand da hinten in der Ecke
und schaute in keiner Weise freundlich zu ihr hin. Beide Fäuste hielt sie an
ihrem Hüftgürtel geballt. Es hatte ihr gar nicht gut getan, als Sirapi neulich
mit ihrem allerverehrtesten Freund herumgeflirtet hatte und er ihr zum
Schluss gar die Fingerspitzen küsste.

Doch all das liess Sirapi völlig kalt. „Pfähh“, antwortete Sirapi hochnäsig und
laut, so dass es alle weit herum hören können, „pfähhh, Koami, das Weichei !“.
Erschrocken hielt Iakunae einen Augenblick den Atem an ob Sirapis
gewagtem Ausspruch. Doch dann grinste Iakunae. „Pass bloss auf“, warnte
Iakunae Sirapi, „Koami ist viel stärker wie du“. Doch Iakunaes Warnung
bewirkte bei Sirapi nicht viel. Ein weiteres „Pfähhh“ stöhnte sie aus, „so ein
Landei mit Körperkraft, hi hi hi, und will einen Zickenkrieg gegen mich
gewinnen. Die hat aber die Rechnung ohne die kluge Sirapi gemacht, hi hi hi„.
Darauf wandte sich Sirapi einem der jungen Hübschlinge zu, die am Wegrand
auf die Ankömmlinge warteten. Doch einen Moment später erblickte Sirapi
Koamis allerverehrtester Freund auf der anderen Seite des Dorfplatzes und
diese Gelegenheit liess sie sich nicht entgehen. Einen kurzen Blick hin zu
Koami werfend, dass sie auch ganz sicher zuschaute, schlenderte Sirapi
langsam auf Koamis hübschen Freund zu.
Iakunae verdrehte grosse Augen. „Sirapi ist ja nicht mehr ganz bei Trost“,
entstzte sich Iakunae, „Koami ist die stärkste Frau im ganzen Dorf und
Sirapi will sich tatsächlich mit ihr einlassen? “. Emilia daneben zuckte die
Achseln. „Abwarten“, antwortete Emilia, „wenn auch Sirapi eine
hochgetakelte Tussi ist, ganz so dumm ist sie wohl auch wieder nicht. Ganz
bestimmt aber hat sie mit ihren ständigen Zickenkriegen einiges an
Erfahrung in so Sachen“. Die zwei Mädchen guckten einander in die Augen
und kicherten vergnügt.

Inzwischen war Sirapi bei Koamis hübschem Freund angekommen. „Hmmm,


mein Süssester, du bist doch hier der Schönste, ohhh“, begrüsste Sirapi
Koamis verehrtesten Freund. Dabei fuhr sie ihm sanft streichelnd mit ihren
geschminkten spitzen Fingernägeln über die glatt rasierte Wange. Koamis
Freund schloss entzückt seine Augen und atmete tief ein. „Oh Sirapi, du bist
zauberhaft“, schwärmte der Angebetete. Während die zwei sich über ihr
Wiedersehen freuen, verzog Koami ein äusserst unfreundliches Gesicht.
Langsam aber bestimmt überquerte sie den Dorfplatz und näherte sich den
beiden.

„Sirapi, du dumme Schachtel“, schrie Koami drauf los, “lass gefälligst deine
dreckigen Finger von meinem Freund“. Koamis Freund guckte wehmütig aus
der Wäsche. „Aber ich wollte doch nur, zur Begrüssung, so quasi als Anstand
den Besuchern gegenüber, das war schon immer so Sitte .. .....“, stotterte
Koamis Allerliebster. „Schweig“, befahl Koami in forschem Ton, „du bist
jetzt nicht gefragt. Diese dumme Tussi muss gar nicht in unser Dorf kommen
und allen Männern den Kopf verdrehen“. Sirapi blickte kühl und überaus
mitleidig zu Koami. „Oh du armes Wesen“, entgegnete Sirapi mit wehleidiger
Stimme, „du ärmste, pfähhh, bist halt nicht so schön wie ich. Dafür musst du
mit deiner Kraft prahlen“. „Ohhh“, fauchte Koami und ballte die Fäuste. Aber
schon standen ein gutes Dutzend Verehrer von Sirapi da, ihre
Schönheitskönigin notfalls zu verteidigen. „Hääh“, neckte Sirapi Koami,
„schlag doch los, wenn du noch mumm hast. Dann kannst du was erleben von
meinen lieben, treuen Freunden hier in eurem Dorf“.

„Siehst du, die ist schlau“, flüsterte Emilia Iakunae ins Ohr, „die weiss
genau, wie so ein Zickenkrieg abgeht“. Nun, ob sie das so genau wusste? Noch
mehr Männer standen auf und gingen hin zu dieser spontanen
Auseinandersetzung. „Ganz recht hat Koami“, murmelte einer der Männer,
„diese Sirapi geht mir auch langsam auf den Wecker“, erbosten sich andere,
„der müssten wir mal eine Lektion erteilen“, .

Koami und Sirapi starrten sich böse in die Augen. „Diese Weichlinge?“,
spottete Koami, „diese bockigen Schürzenjäger wollen dir helfen? Diese
Bubis, Pantoffelhelden, die an jede aufgetakelte, blöde Tussi ihr Herz
verlieren? Vor denen habe ich keine Angst“. „Aaah, das sagst du kein zweites
mal“, fauchte Sirapi wütend. Und nun ging alles schnell. Bevor Sirapi ein
weiteres Wort sprechen konnte, schwang Koami ihre Hängetasche im Kreis
herum und knallte sie mit voller Wucht an Sirapis Köpfchen. „Ohhh“,
erzürnten sich Sirapis Anhänger, „stürzt euch auf Koami“. Doch auch Koamis
Helfer waren schon zur Stelle und ein ungebremster Kampf, eine wilde
Balgerei, brach zwischen den Männern auf dem Dorfplatz los. Immer mehr
Männer und Frauen eilten herbei, ihren jeweiligen besten Freunden
beizustehen. In kürzester Zeit waren alle Bewohner des Indianerdorfes
ausser die alten Frauen und die Kinder in den wilden Kampf verwickelt.

Häuptling Avanene stand der Verzweiflung nahe. „Nein, nein“, flehte er seine
Männern an, „habt ihr vergessen, wer zu uns auf Besuch weilt. Bitte, bitte,
hört auf. Der König wird sich auf alle Zeiten entsetzen ab unserem Dorf“.
Aengstlich schaute Avanene hoch zur Tribüne, auf der Ajun Bebe, der König
der Indianer sass. Dieser aber nahm es gelassen. In einer Seelenruhe sass er
da oben, schüttelte den Kopf und schaute schmollig lächelnd auf seine
Untertanen hinunter.

Nur um Sirapi stand es nicht gut. Sie konntee zwar nach dem deftigen
Schlag, den ihr Koami auf den Kopf versetzt hatte, wieder aufstehen, doch
dummerweise stellte sie sich nun, verwirrt ob des harten Schlages direkt vor
ihre Widersacherin hin. Und die zögerte nicht lange. Nochmals schwang
Koami ihre Umhängetasche und knallte sie ein zweites mal auf Sirapis Kopf.
Und nun stand Sirapi nicht mehr auf. Verletzt lag sie ohnmächtig am Boden,
zappelte noch etwas, aber aufstehen konnte nicht sie nicht mehr. Das war
zuviel für sie. Dem Prinzen Konyan Bebe fielen fast die Augen aus dem Kopf
wie er sah, was Sirapi alles einstecken musste. „Das gibt es doch nicht“,
entsetzte er sich, „was erlaubt sich diese freche Indianerfrau. Immerhin ist
Sirapi meine vierte Frau. Wart nur, jetzt kannst du was erleben“. „Ja mein
Sohn“, ereiferte sich Ajun Bebe, „das darfst du dir nicht gefallen lassen.
Geh runter, kämpfe und verteidige deine Ehre. Los mein Junge, zeigs ihr,
schlag zu, volle Pulle, jetzt geht was ab hier, ha ha ha ha“.

Konjan Bebe stürzte sich in die Menge, um Sirapi zu verteidigen. Doch er


kam niemals hin zu Koami, über die er sich dermassen entsetzt hatte. Kaum
stand er unten auf dem Dorfplatz wurde er angegriffen. Schon lange war die
Balgerei in einen Kampf jeder gegen jeden ausgeartet und keiner wusste
mehr worum es überhaupt ging. Haare flogen in der Gegend herum, Nasen
bluteten und Fäuste krachten. Kampfschreie tönten, doch auch fröhliches
Gelächter und Gekreische machten sich breit, denn so richtig ernst nahm es
niemand von den Indianern. Sie liebten dieses wilde Spiel und machten gerne
mit, ohne jemanden ernsthaft zu verletzen.

„Nein, nein, aufhören, hört auf“, schrie Avanene entsetzt und versuchte
vergebens die Menge zu bremsen. Schliesslich wandte sich Avanene an den
hohen König. „Du musst entschuldigen, verehrter König Ajun Bebe“,
versuchte er den König zu besänftigen, „die Leute sind sonst nicht so. Deine
Ankunft, die Warterei, das warme Wetter heute, all die fremden Leute, das
war glaub einfach alles zu viel für sie“. Doch König Ajun Bebe hörte dem
Häuptling nicht zu. Er war von seinem Stuhl aufgestanden und warf
begeistert die Hände in die Luft. „Ja, ja, gebt es ihnen. Los Leute, verklopft
die Weicheier“, schrie der König begeistert, wie wenn er einem Fussballspiel
zuschauen würde.

Iakunae und Emilia hatten sich auf eine Holzbank gesetzt und schauten
vergnügt zu. „Ich glaube die Erwachsenen brauchen dringend mal eine
Abkühlung“, kicherte Iakunae zu Emilia und den Kindern, die neben ihr
sassen. Und das braucht sie keine zwei mal zu sagen. „Ja, ja“, kreischten die
Kinder vor Freude, „lasst uns Wasser holen am Bach unten“. So waren die
vielen Kinder des Dorfes schon bald mit etlichen Krügen und Eimern voll
Wasser zurück und begannen die überhitzten Indianer anzuspritzen.

Emilia flüsterte Iakune etwas ins Ohr und zeigte auf den König, der auf der
Tribüne steht. „Ja genau“, kicherte Iakunae vergnügt und darauf bestiegen
die zwei Mädchen eilends des Königs Tribüne. „Lieber König Ajun Bebe“,
sprach Emilia höfisch, „begehrt euch etwa danach, mitzuhelfen eure
Untertanen abzukühlen?“, „Ja, Jippiii“, freute sich der König, „ja bitte, gebt
mir die Krüge. Ohh, schön“. So hatte der König seine grösste Freude, dass er
jetzt auch etwas mitkämpfen konnte, und wenn es auch nur das
Herunterspritzen von Wasser aus der sicheren Höhe der Tribüne war. Noch
und noch brachten ihm die Kinder des Dorfes krugweise Wasser.

Es brauchte viel kaltes Wasser um die überhitzten Gemüter der Indianer


abzukühlen, doch langsam legte sich die Balgerei im Dorf. Verletzt war
natürlich niemand ernsthaft. Darauf achteten sich die Indianer selbst in der
grössten Auseinandersetzung untereinander. Mehr und mehr Indianer sassen
da und grinsten vergnügt vor sich hin. Die Abwechslung hatte allen gefallen
und jetzt wo der Kampf vorbei war, waren sie alle wieder die besten
Freunde.

Nur Sirapi lag noch ohnmächtig mitten auf dem Dorfplatz. Prinz Konyan Bebe
ging auf sie zu, hob seine vierte Frau vom Boden auf und hielt sie fest in
seinen Armen. Langsam öffnete Sirapi ihre Augen. „Ahhhh“, stöhnte sie
weinerlich. „Hast du dir weh getan?“, fragte Konyan Bebe vorsichtig und
liebevoll. „Ahhh, ahhh“, stöhnte Sirapi weiter, hielt mit gespitztem Mund
ihre Augen vollends offen und schaute Konyan Bebe zärtlich ins Gesicht.
„Meine Sirapi“, flehte Konyan Bebe mit weicher Stimme und küsste sanft
seine Liebste auf ihr Schmollmündchen, „dir wird doch nichts schlimmes
passiert sein? meine Allerliebste, meine Schönste“. „ohhhh“, stöhnte Sirapi
tief gerührt, „mein Süsser“. Darauf fielen ihr die Augen erneut zu und sie
liess ihren Kopf auf die andere Seite gleiten. Sogleich fiel sie in die nächste
Ohnmacht, denn diese sanften Worte waren einfach zuviel für sie.

„Danke, danke, danke“, schwärmte der König auf seiner Tribüne, „endlich mal
ein anderer Empfang wie sonst immer. Immer dieses noble Getue um ‚eure
Hoheit’, das kann ich schon gar nicht mehr mit anhören. Aber ihr habt euch
was einfallen lassen. Hier bei euch in Uwattibi, da ist endlich mal was los, da
lebt es. Jipiii, das war der schönste und lustigste Empfang, den ich je erlebt
habe“. Häuptling Avanene seufzte daneben und schüttelte den Kopf. Er
konnte die verrückte Welt an diesem schönen Tag nicht mehr verstehen.

12-4
Kämpfen macht hungrig und so begann schon bald das königliche Festmahl an
dem das ganze Dorf, alle Indianer, alle Frauen und alle Kinder teilnahmen.
Nur die besten Grilladen, Maniokabrote, Früchte, Süssigkeiten, Sirup und
kalter Früchtetee wurden aufgetragen und für die Männer gab es
Maniokabier. Musik wurde gespielt und die Indianer tanzten endlos. So gefiel
es allen, bis weit in die Nacht hinein.

Spät abends sassen Emila, Iakunae, Kevin und Kwarahi gemütlich im


Freundeskreis beisammen. Sie erzählten sich lustige Geschichten und
lachten viel. Einzig Iakuane, das sonst so fröhliche Lausemädchen sass ruhig
da und sprach nicht viel. Etwas traurig blickte sie daher. „Bist du müde?“,
fragte Kwarahi, „du kannst schon schlafen gehen wenn du nicht mehr magst.
Morgen geht das Fest ohnehin weiter“. „Nein“, antwortete Iakuane mit einem
einzigen Wort. „Na ja, jeder hat mal eine Krise“, tröstete Kevin das
Mädchen, „lass dir Zeit. Kommt schon wieder“. Emilia blickte ihrer Freundin
Iakunae ins Gesicht Dann plötzlich lächelte Emilia und stand auf. „Ich komm
gleich wieder“, sprach sie und lief in eine der Strohhütten. Kevin und Kwarahi
blickten einander fragend an und schauten Emilia hinterher.

Einen Augenblick später kehrte Emilia zurück. In ihrer Hand hielt sie einen
kleinen bunten Lederbeutel. Emilia blieb vor Iakunae stehen, die überrascht
zu ihr hochblickte. „Viel Glück zum Geburtstag, Iakunae“, wünschte Emilia
laut und freudig. Iakunae verzog ein breites Lachen über ihr Gesicht, stand
auf und fiel Emilia um den Hals. „Wenigstens jemand weiss noch, dass heute
mein Geburtstag ist und dass wir heute abend eigentlich meinen Geburtstag
feiern wollten“, freute sie sich.

„Ach wir haben ja ein Geburtstagskind“, erinnerte sich Kwarahi,


„Entschuldigung liebe Iakunae. Das haben wir ob des Königs Ankunft ganz
vergessen. Wie konnte das nur geschehen?“. Kwarahi stand auf. „Oh du
ärmste“, tröstete sie Iakune und umarmte das Mädchen. Doch Iakunae war
nicht mehr traurig sondern lachte wieder über das ganze Gesicht. Die vier
Freunde lachten fröhlich zusammen und umarmten sich liebevoll.

Neugierig blickte Kwarahi auf den Lederbeutel in Iakunaes Hand. „Was hast
du denn nun schönes von Emilia geschenkt bekommen?“, fragte Kwarahi mit
neugierigem, leuchtenden Augen. Behutsam öffnete Iakunae den Beutel, aber
hinein guckte sie noch nicht. „Es ist etwas schweres“, rätselte sie, bevor sie
mit ihrer Hand ins Innere des Beutels griff. „Etwas kaltes, schweres“,
staunte sie eine Weile und zog kurz darauf einen runden, leuchtend weissen
Stein aus dem Beutel. „Oh schön“, staunte Iakunae.

Mit grossen Augen schaute Kevin Emilia an. „Was ? Du verschenkst deinen
Glitzerstein?“, wunderte er sich. „Ja“, antwortete Emlia, „ihr seid meine
besten Freunde und mit Iakunae bin ich am meisten zusammen. So will ich
Iakunae etwas schenken, das mir selber viel bedeutet, meinen Glitzerstein,
den ich aus Porto mitgebracht habe. Schon als kleines Kind habe ich immer
mit ihm gespielt. Er hat viele Kräfte in sich und ist mein schönster Stein.
Doch nun will ich ihn dir schenken, Iakunae“. Ungläubig blickte Iakuane Emilia
ins Gesicht. „Meinst du, darf ich das wirklich annehmen?“, fragte sie. Kevin
legte seine Hand auf Iakunaes Schulter. „Ach meine Schwester„, seufzte
Kevin, „wenn sie dir was schenken will, so nimm es. Das ist schon richtig so“.
Ein fröhliches Lächeln erstrahlte auf Iakuanes Gesicht. „Oh schön der Stein,
danke vielmals“, freute sie sich und umarmte ihre Freundin.

Kevin stand auf, ging zur Feuerstelle und kehrte mit einem Holzbrett voll
Grilladen und feinen Früchten zurück. „ So, nun lasst uns was futtern“,
forderte er die Mädchen freundlich auf und eine gemütliche Mahlzeit
begann. Alle essen sie hungrig ausser Emilia. Sie mochte nicht essen. „Hast
du keinen Hunger?„, wunderte sich Kevin. Doch Emilia gab keine Antwort und
schüttelte leise den Kopf. „Stimmt etwas nicht?“, fragte Kwarahi besorgt.
„Doch schon“, gab Emilia zur Antwort, „bloss ich hab so ein komisches
Gefühl. Irgendwas stimmt nicht“. Verwundert schaute Kevin zu seiner
Schwester. Doch er wusste, dass wenn Emilia so drein schaut und dieses
Gefühl hat, dass da meistens was ernstes dahinter steckte.

Und da geschah es auch schon. Zwei Kinder kamen angerannt. „Hilfe, hilfe“,
schrieen sie ausser Atem, „Emilia, Iakuane, schnell kommt, in der
Materialhütte – eure Freundin Panyma“ . Erschrocken blickten die zwei
Mädchen hoch. Ohne ein Wort zu verlieren standen sie auf und eilten zur
Materialhütte. Kevin und Kwarhi folgten hinterher.

In der Materialhütte war es düster und dunkel. Nur ein kleines Feuer
erhellte den Raum ein wenig und liess drohende, dunkle Schatten an die
Wände fallen. „Panyma Panyma“, rief Emilia ängstlich wie sie Panyma neben
dem Feuer am Boden liegen sah. „Panyma, Panyma was ist los?“, fragte Iakune
mit besorgter Stimme. Die zwei Mädchen knieten links und rechts von
Panyma auf dem Boden. Kevin und Kwarahi standen daneben und blicken voll
Sorge zu Panyma.

Emilia bückte sich über Panyma und schaute in ihr Gesicht. Langsam öffnete
Panyma einen kleinen Spalt weit ihre Augen. „Emilia, Iakunae“, flüsterte sie.
Darauf schloss sie ihre Augen und sank in sich zusammen. Emilia hielt
Panymas Hand und liess keinen Blick ab von ihrer Zauberlehrerin, die da am
Boden lag. „Was ist geschehen?“, fragte Emilia, „bist du krank? Sag, wie
können wir dir helfen?“. Doch Panyma gab keine Antwort. Reglos lag sie da.

„Sollen wir dir ein paar Heilkräuter sammeln?“, fragt eIakunae. Leise
schüttelte Panyma den Kopf. „Der alte Schamane“, flüsterte sie, „was er mir
gezeigt hat. Ich komm nicht mehr los“. Panyma atmete schwer aber dennoch
zierte ein feines Lächeln ihren Mund, während sie die Hände der zwei
Mädchen fest gedrückt hielt.

„Ich komm nicht mehr los?“, rätselte Iakunae, „was meint sie damit?“. „Ich
weiss es auch nicht“, antwortete Emilia, „aber wenn es mit dem alten
Schamanen zu tun hat, dann bleibt uns nichts anderes übrig, als den alten
Schamanen zu rufen. Wenn jemand Panyma helfen kann, so ist er es“. „Nur
wo finden wir ihn?“, entgegnete Iakunae. Emilia zuckte die Schultern und
schwieg. Erleichtert sah sie, wie auch ihre Mutter Silvia die Materialhütte
betrat. „Silvia, Silvia, Maija, hilf uns“, rief Emilia leise. Silvia begab sich
neben Emilia und schaut hinunter auf Panymas Körper.

Allmählich entwichen sämtliche Kräfte aus Panymas Körper. Sie liess die
Hände der Mädchen los und schloss ihre Augen und ihren Mund. „Panyma,
bitte bleib bei uns“, flüsterte erschrocken Iakunae, „bleib bei uns“. „Ich
glaube nicht, dass wir da noch viel tun können“, erklärte Silvia mit ruhiger
Stimme, „es ist Panymas Natur, Panymas Seele, Körper und Geist. Wir sind
nicht Herr über Leben und Tod“. „Meinst du sie stirbt?“, fragte ängstlich
Emilia. „Ich weiss es nicht“, antwortete Silvia, „aber ich glaube, ihr braucht
euch keine Sorgen machen. Panymas Geist ist liebevoll und hilfsbereit. Was
auch geschehen wird, einem so lieben Menschen kann gar nicht viel schlimmes
widerfahren“. Emilia nickte. „Ich glaube du hast recht, Maija“, sprach sie
sichtlich erleichtert mit leiser Stimme, „wo sie jetzt auch hingeht, viel
schlimmes wird ihr nicht geschehen. Das glaube ich auch“.
Panyma lag da, reglos, und allmählich entwich alle Farbe aus ihrem feinen,
schlanken Körper. Die ohnehin schon faltige und runzlige Haut ihres
Gesichtes liess sie jetzt, wo sie ohne Farbe grau dalag, noch viel älter
erscheinen, als sie es sonst schon war. Doch immer noch trug Panyma einen
erhabenen und liebevollen Ausdruck in ihrem Gesicht. Emilia streifte in
feiner, ruhiger Bewegung mit ihrer Hand über Panymas Stirn. „Sie ist kalt“,
stellte Emilia fest, „das Leben ist aus ihr gewichen“.

Nun brach Iakunae in Tränen aus und auch Emilias Augenwinkel wurden
feucht. Silvia legte ihre Arme um die zwei Mädchen und versuchte sie zu
trösten, so gut es ging. „Jeder von uns wird einmal gehen“, sprach sie, „das
ist so. Der menschliche Körper ist begrenzt, doch sein Geist ist endlos und
ewig im Universum des allmächtigen Gottes“. Kevin stand dahinter und
machte ein trauriges Gesicht. Kwarahi hatte sich fest an ihn geklammert und
versuchte ihren Freund zu trösten.

Doch Iakunae war ein Indianermädchen, ein kleines Lausemädchen und sie
trug die Freude des Lebens tief in ihrem Herzen. So stand sie als erstes auf.
„Ja, das ist so“, sprach sie mit hoffungsvollem Lächeln im Gesicht, „das
können wir nicht ändern, aber bestimmt wird es Panyma gut ergehen, wo
immer sie auch sein wird“. Sie lief ums Feuer herum und legte einige
wohlriechende Kräuter auf Feuer. Dann plötzlich hielt sie ihren Atem an,
denn sie hatte etwas gesehen, dass sie zutiefst erschrecken liess.

„Sie wird aus Stein, schaut mal“, erschrak Iakunae. Zaghaft berührte sie
Panymas Körper. „Stein, purer Stein“, staunte Iakunae mit aufgesperrten
Augen und offenem Mund. Emilia blickte auf zu ihrer Freundin. „Aus Stein
sagst du?“. „Ja, grauer Stein, schau mal“. Ungläubig schauten die
Anwesenden auf Panymas toten Körper.

Nach einer Weile wurde der graue Stein langsam hell, hell und heller. In
weissem Antlitz strahlte Panymas Körper am Boden und schliesslich begann
gar ein violettes Licht aus Panymas Herzen zu strahlen. „Sie leuchtet“,
staunte Emilia. Ein Licht stieg aus Panymas Körper in die Höhe. Emilia hielt
sich eine Hand vors Gesicht um weniger geblendet zu werden. Nun konnte sie
mehr erkennen. Dieses geheimnisvolle Licht bedeckte Panyma von Kopf bis
Fuss. Vollkommen in dieses Licht eingetaucht lag Panyma da.
Während nun Panymas Körper langsam verschwand stieg das violette Licht
weiter empor und formte sich zu einer runden hellen Kugel. Eine Zeit lang
schwebte dieses Licht über der Stelle wo vorhin Panymas Körper lag und
jetzt nichts mehr war. Und dann geschieht das wunderbare. Panymas
Umrisse werden im Innern der Lichtkugel sichtbar, mehr und mehr, bis
Panyma schliesslich hell leuchtend in der Mitte der Kugel stand. Erstaunt und
ohne ein Wort hervorbringen zu können, schauten Emilia und Iakune dem
Geschehen zu.

Dann schliesslich begann Panyma gar zu sprechen. „Jetzt weiss ich wie der
Zauber geht“, eröffnete sie das Wort, „den Zauber, den ich so lange
vergebens gesucht. Der alte Schamane gab mir einen Hinweis und den Rest
habe ich schnell gefunden. Es braucht kein Zauberkraut, keinen Zauberstab
und keinen Zauberspruch um hin zum Lichtwesen zu gelangen. Es genügt die
Wärme und das Licht des Herzens.

Aufwiedersehen, liebe Freunde,


Aufwiedersehen Iakunae,
Aufwiedersehen Emilia,
bis bald“.
Mit betroffenem Blick hörten Juanita und Thiago ihrer Mutter zu. „Und
habt ihr Panyma je wieder gesehen?“, fragte Juanita mit trauriger Stimme.
„Ja“, antwortete Emilia, „Panyma kam hie und da vorbei, aber natürlich nicht
mehr jeden Nachmittag. Vieles hat sich an jenem Tag geändert für uns. Am
gleichen Abend noch zügelten Iakuane und ich unsere Hängematten von der
Materialhütte zurück zu Silvia und Kevin, denn ohne Panyma wollten auch wir
nicht mehr in der Materialhütte wohnen. Iakunae durfte am neuen Platz
weiterhin neben mir schlafen. Und das freute mich“. „Und Zauberschule,
hattet ihr die immer noch?“, wollte Juanita weiter wissen. „Ja, hie und da“,
erzählte Emilia, „Alle paar Tage kam Panyma jeweils gegen Mittag vorbei und
dann wussten wir, dass wir am Nachmittag zu ihr in die Materialhütte gehen
durften. Und das war schön. Besser noch wie zuvor, konnte uns Panyma vieles
aus der Welt der Zauberei zeigen, und vor allem begann ich die wirklichen
Zusammenhänge zu verstehen. So ging das weiter, bis eines Tages
Kundschafter nach Uwattibi kamen und Neuigkeiten über den Verbleib
unseres Vaters brachten. Darauf zogen wir fort, unseren Vater im Urwald zu
suchen“.

Es war später Abend. Thiago sass auf dem Schaukelstuhl und konnte die
Augen kaum mehr offenhalten. Mit liebevollem Blick schaute Emilia zu dem
Jungen hin. „Willst du nicht schlafen gehen, Thiago?“, fragte sie. Thiago
nickte und Emilia nahm ihren Sohn auf den Arm. „Pappa slafen gehen, Pappa
slafen gehen“, wünschte er sich. „Ja ja, ich leg dich gleich neben deinen Papa
ins Bett. So wie ich deinen Papa kenne, ist er nämlich auch schon
eingeschlafen“. Emilia ging mit ihrem Jungen ins Haus und vom Lausbub
Thiago war für diesen Abend nichts mehr zu hören.

Kurz darauf kehrte Emilia zu Juanita auf die Veranda zurück. Die beiden
genossen in vollen Zügen das Licht der schönen Vollmondnacht. Juanita
schaut ihre Mutter mit grossen Augen an. „Ich möchte auch mal zaubern
lernen“, wünschte sich Juanita. „Vielleicht kannst du das einmal“, antwortete
Emilia, „du musst vor allem einen Zauberlehrer oder eine Zauberlehrerin
finden. Es muss jemand sein, der das gut kann. Ich habe es nach der Zeit im
Indianerdorf nie mehr gemacht und ich glaube nicht, dass mir heute noch
etwas gelingen würde, denn Zaubern braucht viel Uebung und du musst über
lange Zeit voll dabei sein, sonst wird dir nichts gelingen“. „Am liebsten
möchte ich es bei Panyma lernen“, meinte Juanita begeistert. „Dann warte
nur ab“, machte ihr Emilia Mut, „wenn du dir das genügend lange wünschst, so
wirst du Panyma bestimmt mal begegnen. Aber jetzt ist es Zeit zum
Schlafengehen“.

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