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SCHWERPUNKT: QUALITÄT _INTERVIEW MIT BETTINA WARZECHA

Ungesunde
Ordnung
Qualitätsmanagement gilt als Königsdisziplin, um Unternehmen, Universitäten,
Schulen, Krankenhäuser und Verwaltungen auf Vordermann zu bringen.
Vor Risiken und Nebenwirkungen warnt die Sozialwissenschaftlerin Bettina Warzecha.

Ein Gespräch über Kennzahlen-Kultur, Dokumentations-Orgien


und die Konzentration aufs Unwesentliche.

Interview: Jens Bergmann


Foto: André Hemstedt und Tine Reimer

brand eins: Überall im Land sind Qualitätsmanager dabei, Prozesse vieren. Und zweitens hat der Begriff, der dem Qualitätsmanage-
zu optimieren. Was ist dagegen einzuwenden, Frau Warzecha? ment zugrunde liegt, mit unserer landläufigen Vorstellung vom
Bettina Warzecha: Es ist natürlich nichts dagegen einzuwenden, Streben nach dem Guten und Richtigen nichts zu tun. Qualität
wenn Manager und Mitarbeiter sich ihren Betrieb anschauen und wird dort auf das möglichst effiziente Erreichen bestimmter Stan-
aufräumen. Gefährlich wird es, wenn dabei übertrieben wird – das dards reduziert. Und diese Standards lassen sich beliebig festset-
ist das Kernproblem des Qualitätsmanagements. zen. Philip B. Crosby, ein Vordenker des Verfahrens, hat das mal
schön auf den Punkt gebracht: „Wenn wir Qualität handhaben
Wie kann das sein? Die Verbesserung der Qualität ist doch ein wollen, müssen wir Qualität als Übereinstimmung mit den An-
prima Ziel, an dem sich jeder orientieren kann. forderungen definieren. Wenn ein Cadillac alle Anforderungen an
So scheint es – und deswegen gibt es auch kaum Kritik an der einen Cadillac erfüllt, dann ist er ein Qualitätsauto.“
Methode, die doch offenbar einer guten Sache dient. Doch erstens
kann man über den Sinn und Nutzen von Produkten und Dienst- Wenn der Kunde andere Ansprüche hat als vorgesehen, ist das also
leistungen trefflich streiten – sie werden individuell sehr unter- sein Problem?
schiedlich bewertet. Qualität lässt sich also nur schwer objekti- Genau. Nehmen Sie beispielsweise die Telekommunikations- 3

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Die Crux beim Qualitätsmanagement: Je komplexer die Arbeit, desto mehr nicht Messbares steckt in ihr, sagt Bettina Warzecha

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unternehmen, die ihre Hotlines im Sinne des Qualitätsmanage- Der Weltkonzern General Electric ist dagegen stolz auf sein Six-
ments optimiert haben. Sie als Kunde verzweifeln aber trotzdem, Sigma-System – und damit seit Langem erfolgreich. Widerspricht
weil Sie – nachdem Sie versucht haben, Ihr Anliegen mühselig das nicht Ihrer These?
durch die Eingabe verschiedener Ziffern auf der Telefon-Tastatur Ich bin überzeugt, dass unternehmerischer Erfolg nicht auf sol-
einzugrenzen – dann doch an den falschen Ansprechpartner chen Methoden beruht, sondern auf engagierten Mitarbeitern und
geraten. Dieses und viele weitere Beispiele zeigen: Qualitäts- guten Produkten. Qualitätsmanagement ist aber überwiegend an
management kann Produkte und Dienstleistungen – ganz anders der Vergangenheit orientiert: Man fixiert einen bestimmten Sta-
als der Begriff suggeriert – verschlechtern und tut dies auch. tus quo. Abweichungen vom Standardprozess sind ebenso wenig
vorgesehen wie selbstständig denkende und handelnde Mitarbei-
Diese Erkenntnis müsste die Verantwortlichen doch ins Grübeln ter – und übrigens auch Manager. Das ist keine gute Basis, um
bringen. zu neuen Ufern aufzubrechen. Dennoch kann Qualitätsmanage-
Nicht unbedingt, weil die Methode gegen Kritik von außen gut ment in einem bestimmten Rahmen nützlich sein, etwa bei der
immunisiert ist. So werden Fehler im Qualitätsmanagement nur industriellen Produktion standardisierter Produkte. Absurd wird
als solche erkannt, wenn sie zuvor definiert wurden. Pointiert aus- es, wenn man diese aus der Ingenieurswissenschaft stammende
gedrückt: Wenn etwas schiefläuft, das nicht in dieses Raster passt, Methode – wie leider mittlerweile üblich – auf Wissensarbeit
kann es sich gar nicht um eine Panne handeln. Nur in dieser Lo- überträgt.
gik ist es etwa bei dem Six Sigma genannten Verfahren überhaupt
möglich, ein vermessenes Ziel wie „null Fehler“ anzupeilen – Warum?
jeder Mensch weiß doch, dass die Welt nicht perfekt ist und Weil die Qualität komplexer Dienstleistungen noch viel schwerer
immer irgendetwas schiefgeht. Außerdem erweckt das Qualitäts- zu fassen ist als die von Industrieprodukten. Trotzdem hat das
management den Anschein eines streng wissenschaftlichen Vor- Qualitätsmanagement beispielsweise auch in Schulen und Hoch-
gehens. Der jeweilige Produktions- oder Dienstleistungsprozess schulen Einzug gehalten. Dort versucht man krampfhaft, mess-
wird zunächst unter Beteiligung der damit befassten Mitarbeiter bare Kriterien für die Güte der Arbeit von Lehrern und Wissen-
analysiert, in kleine Teilschritte zerlegt, ausführlich dokumentiert, schaftlern zu definieren. Alles, was sich nicht in Zahlen ausdrücken
und dann – das ist entscheidend – mit Kennzahlen versehen und lässt, fällt dabei unter den Tisch. Dieses Vorgehen erinnert an den
gemessen. Nur streben Qualitätsmanager im Gegensatz zu Wis- berühmten Betrunkenen, der, um seinen verlorenen Hausschlüs-
senschaftlern eben nicht nach allgemeingültigen Wahrheiten, son- sel zu finden, zu einer Laterne geht – weil es da so schön hell ist.
dern nach beliebig festgesetzten Zielen. Und falls ihnen selbst auf- Die Qualität von Wissenschaftlern – das ist leider kein Witz – wird
fiele, dass es trotz oder wegen ihrer Arbeit irgendwo grundsätz- heute anhand der Zahl ihrer Veröffentlichungen in bestimmten
lich hakt, müssten sie den Prozess von vorn beginnen. Das wäre Fachzeitschriften bewertet. Der griechische Philosoph Sokrates
wiederum sehr zeitaufwendig, und die wegen des damit einher- gälte an einer modernen Universität als Versager, weil er selbst
gehenden Papierkriegs mittlerweile frustrierten Mitarbeiter hätten bekanntlich nichts publiziert hat. Das Fatale: Ist ein solches Sys-
oft auch keine Lust dazu. Stattdessen wurschtelt man sich irgend- tem erst einmal etabliert, orientieren sich die Leute auch daran.
wie durch und tut den Formalitäten Genüge – was der Qualität Nachwuchsakademiker publizieren auf Teufel komm raus, statt
und Arbeitsfreude natürlich nicht zuträglich ist. zunächst gründlich zu forschen. Lehrer bereiten nach dem soge-
nannten Pisa-Schock ihre Schüler vor allem auf die nächsten Tests
Ist es nicht erstaunlich, dass Firmen, die gern über zu viel staatliche vor statt aufs Leben.
Bürokratie klagen, sich einer selbst gemachten unterwerfen?
So ist es. Allerdings muss man zwischen großen und kleinen Dennoch muss die von Ihnen kritisierte Kennzahlenkultur doch
Unternehmen unterscheiden. Konzerne verfügen über den not- einen gewissen Reiz haben, sonst wäre sie nicht so verbreitet.
wendigen Apparat – inklusive der Rechtsabteilung. Denn Quali- Sie hat durchaus ihre attraktiven Seiten. Viele unsichere Manager
tätsmanagement dient nicht zuletzt der juristischen Absicherung, reizt die Aussicht auf totale Kontrolle. Qualitätsmanagement ver-
damit man im Falle des Falles sagen kann: Wir haben aber alles heißt, dass sich alle Prozesse bis ins kleinste Detail beschreiben,
genauso gemacht wie vorgeschrieben. Dies ist ein wesentlicher messen und stetig verbessern lassen. Man kann die unübersicht-
Grund, warum Qualitätsmanagement in Krankenhäusern um sich liche Welt auf ein paar Kennzahlen reduzieren. Auch viele Ange-
greift. In kleinen Firmen sieht man die Sache kritischer. So haben stellte sind zunächst angetan, denn sie werden an der Analyse der
sich Unternehmer massiv und mit einigem Erfolg gegen die zu- Abläufe beteiligt – und häufig zum ersten Mal in ihrem Arbeits-
nächst überkomplexen ISO-9000-Normen gewehrt. Einer hat zu leben überhaupt nach ihrer Meinung dazu befragt. Die Begeiste-
mir einmal gesagt: „Qualitätsmanagement ist die Methode, um rung legt sich aber, wenn sie merken, mit wie viel Bürokratie Qua-
den Mittelstand kaputt zu machen.“ litätsmanagement verbunden ist. So verwenden Pflegekräfte 3

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heutzutage rund ein Fünftel ihrer Arbeitszeit auf die Dokumen- Was ist die Alternative? Soll man ganz auf Analyse und Planung
tation ihrer Tätigkeit. Und manch einer entzieht sich diesem verzichten?
Papierkrieg, indem er die vielen Formulare einfach abhakt. Am Nein. Selbstverständlich sind Analyse und Planung wichtig. Aller-
unangenehmsten für die Mitarbeiter ist die Erkenntnis, dass das dings ist es nicht redlich, von Qualität zu reden, wenn es in Wahr-
Qualitätsmanagement sie entmündigt. Denn sie sollen ihr ge- heit um das Optimieren von Arbeitsabläufen geht. Und man
samtes Wissen – auch das implizite – abgeben, das dann Teil des sollte die Aufräumerei nicht übertreiben, um dieses Bild noch ein-
formalisierten Prozesses wird. Danach sind individuelle Entschei- mal aufzugreifen. Ganz wichtig ist es, die Risken zu kennen, die
dungen nicht mehr angesagt. In der Konsequenz läuft Qualitäts- damit einhergehen. Eines der größten ist die gedankliche Zerle-
management auf Dienst nach Vorschrift heraus. Der galt früher gung des großen Ganzen – also des Wertschöpfungsprozesses –
zu Recht als Form des Arbeitskampfes, weil man wusste, dass in seine Teile.
nichts läuft, wenn die Leute ihren gesunden Menschenverstand
ausschalten. Worin besteht die Gefahr?
Es gibt ein schönes altes Gleichnis, das dieses Problem illustriert.
Demnach dürfte sich die Methode für Unternehmen unter dem Ein König zieht mit seinem Gefolge, zu dem auch ein Elefant
Strich auch nicht rechnen – warum fällt das den Verantwortlichen gehört, in eine Stadt, in der nur Blinde wohnen. Einige sind so
offenbar nicht auf? mutig, das mächtige Tier zu ertasten, und erstatten anschließend
Die Propagandisten dieser Methode sind sehr gut darin, die ihren Mitbürgern Bericht. Der Unerschrockene, der das Ohr des
potenziellen Kosten von Fehlern hochzurechnen, die ohne Qua- Elefanten zu fassen gekriegt hat, sagt: „Es handelt sich um einen
litätsmanagement passieren könnten. Dagegen werden die Kosten großen, flachen und rauen Teppich.“ Derjenige, der die Stoßzähne
ausgeblendet, die etwa durch die endlosen Sitzungen und Doku- befühlt hat, ist überzeugt, eine Pflugschar in der Hand gehabt
mentations-Orgien anfallen, nach dem Motto: Die dafür nötigen zu haben. Andere sprechen von einer gigantischen Säule, einem
Mitarbeiter werden sowieso bezahlt. Außerdem hat sich mittler- dicken Schlauch, einem weichen Hohlköper oder einer Schlange.
weile in Wirtschaft und Verwaltung eine gewisse Eigendynamik Bald artet das Ganze in einen handfesten Streit aus.
entwickelt. So verlangen Großunternehmen und auch die öffent-
liche Hand von Zulieferern, sich nach einem bestimmten ISO- Aus den Einzelteilen lässt sich also nicht aufs Ganze schließen.
Standard von einem Dienstleister zertifizieren zu lassen, gegen Das ist das eine. Außerdem entstehen im Prozess der Differen-
Gebühr, versteht sich. Dieses Siegel muss in regelmäßigen Abstän- zierung notwendigerweise Fehler, etwa, weil man sich auf Un-
den erneuert werden, wenn man es nicht verlieren will. So ist eine wesentliches konzentriert. Bestes Beispiel ist die jüngste Welt-
ganze Qualitätsmanagement-Industrie entstanden, die von ihrem finanzkrise. All die Banken, die entweder pleitegingen oder mit
selbst geschaffenen Mythos gut lebt. unvorstellbaren Summen aus Steuermitteln gerettet wurden, hat-
ten ein Risikomanagement, also eine angeblich besonders aus-
gefeilte Form des Qualitätsmanagements. Ihre Wertpapiere, die
heute als Giftmüll gelten, hatten Bestnoten von Rating-Agentu-
ren. Trotzdem schlug keiner von den dort Verantwortlichen
Alarm, weil sie sich so intensiv mit Nebensächlichkeiten beschäf-
tigt hatten, dass sie das Wesentliche immer weniger sehen konn-
ten. Diese Beinahe-Katastrophe ist nicht zuletzt eine Folge der
Vorstellung, Komplexität sei beherrschbar und auf ein paar Kenn-
zahlen zu reduzieren. -

Bettina Warzecha, 53, Literatur


hat in Göttingen Sozialwissenschaften studiert, Bettina Warzecha: Problem Qualitätsmanage-
danach als Sozialplanerin in öffentlichen ment – Prozessorientierung, Beherrschbarkeit und
Einrichtungen gearbeitet und über Planung und Null-Fehler-Abläufe als moderne Mythen.
Organisation promoviert. Heute berät sie Verlag für Planung und Organisation, 2009;
Institutionen zu dem Thema. Weitere Informatio- 163 Seiten; 12,90 Euro
nen unter: www.lektorat-wimac.de

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