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Politische Bühne im Marmara-Meer


- Verhandlungstag auf der Insel Imrali

IMRALI - Da sitzt er nun also. Leicht breitbeinig, die Hände im Schoß


gefaltet und keine zehn Meter weit weg von der Pressereihe sitzt Abdullah
Öcalan hinter seiner schußsicheren Glasscheibe und konzentriert sich fast
eifrig auf die Fragen des Vorsitzenden Richters. Wenn er die Lesebrille
aufsetzt und in seiner ordentlich ausgedruckten Verteidigungsrede blättert,
dann wirkt der 50jährige im offenen Hemd und Jackett fast wie ein Professor in
seiner Vorlesung. Und doch ist dies ein mächtiger Rebellenführer, ein
jahrzehntelang international gesuchter Terrorist und ein von Millionen
verehrter Freiheitsheld. Wenn Öcalan im Gerichtssaal über Geschichte und
Entwicklung des Krieges zwischen der Türkei und der PKK doziert, könnte man
fast vergessen, daß er sich nicht nur gut mit diesem Konflikt auskennt,
sondern diesen Krieg selbst ausgerufen und geführt hat. Daß selbst die
schlagkräftige türkische Armee diesen Mann noch immer als ihren gefährlichsten
Feind fürchtet, wird dafür auf dem Weg in den Gerichtssaal nur zu deutlich.

Das Rendezvous mit Abdullah Öcalan beginnt für die acht im Gerichtsaaal
zugelassenen ausländischen Journalisten schon am Vortag der Verhandlung bei
der Regionalkommandantur der paramilitärischen Gendarmerie in der Hafenstadt
Mudanya am Marmara-Meer. Alle fünf Fingerabdrücke der rechten Hand nehmen die
Soldaten von den Berichterstattern, die das Staatssicherheitsgericht zur
Verhandlung im Hochssicherheitssaal auf der Gefängnisinsel Imrali zugelassen
hat. Anschließend müssen sich die Reporter mit weit aufgerissenen Augen vor
einem Scanner aufstellen und stillhalten, bis der Computer die
Netzhautoberfläche abgelesen und ihre individuellen Eigenheiten gespeichert
hat. "In Ordnung, Sie sind erfaßt", sagt ein fröhlicher Rekrut schließlich und
wünscht frohes Schaffen auf der Insel.

Doch bis dorthin dauert der Hindernislauf durch die Sicherheitsvorkehrungen


noch lange. Bei Sonnenaufgang finden sich die Prozeßbeobachter - Reporter,
Diplomaten und Anbgeordnete - im Hafen von Mudanya ein, weisungsgemäß ohne
Handys, Laptopcomputer oder Taschen. Beim Sicherheitscheck werden ihnen dann
noch sämtliche Metallgegenstände bis hin zum Schmuck abgenommen; ein von der
UN-Menschenrechtskommission entsandter amerikanischer Rechtsanwalt versucht
vergeblich, seinen silbernen Kugelschreiber vor den Argusaugen der Soldaten zu
retten. Mit einem Sprengstoffsuchgerät tastet ein Beamter die Hände der
Reisenden ab, nach einer weiteren Leibesvisitation und einer erneuten
Netzhautkontrolle - "verified" (bestätigt) sagt der Computer mit metallischer
Stimme - gelangt die Gesellschaft durch die letzte Sperre auf die
Anlegestelle.

Das Tragflügelboot wird auf seinem Weg zur Insel Imrali von zwei
Schnellbooten der Küstenwache und einem Marine-Hubschrauber begleitet. Im Boot
stehen Soldaten in den Gängen zwischen den Sitzreihen mit auf dem Rücken
verschränkten Armen Wache. Erst nach knapp einstündiger Fahrt über das Wasser
tauchen die Umrisse von Imrali im sanften Morgenlicht auf. Fregatten der
türkischen Marine liegen in einem Ring rund um die Insel; Hubschrauber
überfliegen das Meer. Auf dem Kamm der Hügelkette, die sich über das zehn
Quadratkilometer große Eiland zieht, steht alle 50 Meter ein Soldat mit
Sturmgewehr. Am Ufer entlang wachen in 20-Meter-Abständen maskierte Kämpfer
der türkischen Sondereinheiten, die Anlegestelle ist mit einer
Maschinengewehrstellung gesichert. "Nicht stehenbleiben, bitte weitergehen",
heißt es auf dem kurzen Weg zwischen stacheldrahtgekrönten Sperrgittern zum
Gerichtssaal.
"Die Türkei - originell und anders" verkünden Tourismusplakate, mit denen
das Foyer des in Containerbauweise neu errichteten Gerichtsgebäudes geschmückt
ist. Im Gerichtssaal selbst verläuft die Verhandlung äußerlich aber durchaus
konventionell - sieht man von der Anwesenheit von 20 Wachsoldaten im Saal ab.
Der Vorsitzende Richter Turgut Okyay führt die Verhandlung ruhig und sicher,
schlägt Störfeuer der Nebenklage und Protestrufe aus den Reihen der als
Nebenkläger zugelassenen Hinterbliebenen von PKK-Opfern energisch nieder und
ist akribisch darauf bedacht, den Angeklagten und seine Verteidiger zu ihrem
Recht kommen zu lassen. Letztere wirken tatsächlich recht eingeschüchtert,
aber nicht etwa vom Gericht, sondern von ihrem Mandanten - denn Abdullah
Öcalan hält sie ganz offensichtlich für lästig und unerwünscht. Das wirklich
Bemerkenswerte an dieser Gerichtsverhandlung ist das Auftreten des
Angeklagten.

Denn Abdullah Öcalan sitzt nicht als gedemütigter Verlierer vor Gericht und
auch nicht als trotziger Rebell. Öcalan steht selbstbewußt und aufmerksam da
und scheint seinen Glaskasten eher als Bühne für seine politischen
Ausführungen zu begreifen, denn als Käfig. Eindringlich und konzentriert
spricht er durch sein Mikrofon auf den Vorsitzenden Richter ein, dem er seine
Botschaft vermitteln will, und blickt gereizt und ungeduldig über die
Schulter, wenn einer seiner Anwälte das Wort ergreift. Im Verhör läuft der
Dialog zwischen Richter und Angeklagtem reibungslos wie nach einem Drehbuch:
Öcalan ist perfekt vorbereitet, antwortet ausführlich auf jede Frage, ohne
einen Moment zu zögern. Manche Aussagen hat er für das Gericht sogar schon
schriftlich vorbereitet und sauber ausgedruckt in einem gelben Plastikbinder
bereitgelegt. Den Oberkörper leicht vorgebeugt, blickt er den Richter bei
jeder Frage erwartungsvoll an, bevor er zum Antworten aufsteht und fast wie
befreit zu sprechen beginnt.

Nur einmal verliert der PKK-Chef an diesem Verhandlungstag die


konzentrierte Selbstbeherrschung, mit der er das Verfahren für sein
politisches Verhandlungsangebot an den türkischen Staat nutzt. Als die im Saal
sitzenden Angehörigen türkischer Gefallener zum wiederholten Male ihre Wut
über seine lapidare Entschuldigung für den Tod ihrer Kinder zum Ausdruck
herauszuschreien versuchen und von Gerichtsdienern hinausgeführt werden,
wendet Öcalan sich kurz dem Unruheherd hinten im Saal zu. "Mir habt ihr 25.000
Leben genommen", sagt er leise - die Bemerkung geht im verzweifelten Schreien
einer jungen türkischen Witwe fast unter.

Ansonsten hat Öcalan sich aber voll im Griff und zieht konzentriert seine
Verteidigungslinie durch, die darauf hinausläuft, daß er die strafrechtliche
Verantwortung für die Verbrechen der PKK ablehnt, die politische Verantwortung
für den Krieg übernimmt und dem türkischen Staat den Frieden anbietet, wenn
dieser ihn dafür leben läßt. Daran, daß diese Rechnung aufgehen wird, könnte
er allerdings bei den Auftritten der Nebenkläger doch Zweifel bekommen haben,
denn die flehen fast ausnahmslos das Gericht an, den Mörder ihrer Kinder zum
Tode zu verurteilen. Zwar regt Öcalan während ihrer Erklärungen keine Miene,
doch der zu unerschütterlichem Haß geronnene Schmerz dieser Männer und Frauen
macht selbst die Prozeßbeobachter beklommen. "Das ist eindeutig der bessere
Ausgang", murmelt ein europäischer Diplomat, als die Zuschauer am Ende des
Tages durch den Hauptausgang wieder auf ihr schwerbewachtes Boot zum Festland
geführt werden - während der Angeklagte durch einen Hinterausgang des Saales
in seine Zelle auf der Insel geführt wird, die er vielleicht nicht mehr lebend
verlassen wird.

Susanne Güsten / Imrali

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