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Wäre diese Kälte nicht ein Grundzug der Anthropologie, also der Beschaffenheit der M

enschen, wie sie in unserer Gesellschaft tatsächlich sind, wären also nicht die Mens
chen im Grunde gleichgültig gegen das, was mit allen anderen geschieht außer den paa
r, mit denen sie eng und womöglich durch Interessen verbunden sind, so wäre Auschwit
z nicht möglich gewesen. Die Menschen hätten es dann nicht hingenommen.

Die Kälte der gesellschaftlichen Monade, des gesellschaftlich isolierten Konkurren


ten, ist als Indifferenz gegen das Schicksal der anderen die Voraussetzung dafür,
dass alle zusahen und keiner sich regte.

Nun, meine Damen und Herren, bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Ich möchte nic
ht die Liebe predigen, deshalb, weil ich es vergeblich halte, sie zu predigen, u
nd auch, weil keiner das Recht hätte, sie zu predigen, weil jener Mangel an Liebe
ich sagte es schon der Mangel aller Menschen ist ohne Ausnahme, so, wie sie heut
e existieren. Liebe predigen setzt in denen, an die man sich dabei wendet, berei
ts eine andere Charakterstruktur voraus. Denn die Menschen, die man lieben soll,
sind ja selber so, dass sie nicht lieben können, und darum keineswegs so liebensw
ert.

Es war einer der großen Impulse des Christentums, dass es die alles durchdringende
Kälte gefühlt hat und versucht hat, sie zu verändern. Aber dieser Versuch und ich gla
ube, das muss gesagt sein, ist vergeblich geblieben, weil er nicht an die gesell
schaftliche Ordnung rührte, welche die Kälte produziert und reproduziert.

Vielleicht ist die Wärme unter den Menschen, nach der alle sich sehnen, außer in kur
zen Perioden und ganz kleinen Gruppen, vielleicht auch unter manchen Wilden , bis h
eute überhaupt noch nicht gewesen. Wenn irgendetwas helfen kann gegen diese Kälte al
s Bedingung des Unheils, dann ist es allein der Versuch, im individuellen Bereic
h Möglichkeiten zu schaffen,die dem entgegen sind.

Man möchte glauben, je weniger in der Kindheit versagt wird, je besser Kinder beha
ndelt werden, umso mehr Chance sei dazu. Aber auch hier ist vor Illusionen zu wa
rnen, nicht nur deshalb, weil Kinder, die gar nicht die Grausamkeit und Härte des
Lebens erfahren, dann,wenn sie aus dem Geschützten entlassen werden, erst recht de
r Barbarei ausgesetzt sind.

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