(Quelle: http://img524.imageshack.us/img524/4931/antiaimagezw0.jpg)
Liszts Bezugnahme auf andere Künsten will „Ausdruck eines neuen ästhetischen
Anspruchs [sein], dass die Musik nicht nur als Sprache sui generis zu ihrer höchsten
Ausdrucksfähigkeit in der Geschichte gefunden, sondern auch genuin kompositorische
Verfahrensweisen entwickelt habe, die es ihr ermöglichen, sich als Dichtung in Tönen der
Sujets der Weltliteratur zu bemächtigen, ja dass die literarischen Gattungen in den neuen
poetischen Gattungen der Musik im doppelten Sinne des Wortes aufgehoben seien“1 (MGG,
Liszt, S. 285). In diesem Sinne ist auch die „grande mission religieuse et sociale“ des
Künstlers zu verstehen, von der Liszt in musiktheoretischen Aufsätzen spricht. Das Sujet des
dem zweiten Band später als Supplement hinzugefügten Teils Venezia e Napoli ist eher das
der ‚Kunst der kleinen Leute’: Eine Gondelfahrt, ein Liebeslied und ein Volkstanz.
Der dritte Band, der keinen eigenen Titel hat, trägt nun auch stark der Tatsache
Rechnung, dass sich Liszt nach all den Jahren der Unrast nach äußerer und innerer Ruhe
sehnte, die er – nun Abbé Liszt – schließlich im römischen Kloster Madonna del Rosario
fand. Die dortige Zeit der Muße ermöglichte ihm auch die Verwirklichung weiterer
Kompositionsvorhaben wie das Oratorium Christus, einige Messen und eben der letzte Band
der Pilgerjahre. Er selbst schrieb die aufschlussreichen Worte über sein Verständnis der
Beziehung von Kunst und Religion:
„Wie einst, und mehr noch, muss die Musik sich an VOLK und GOTT wenden; sie muss vom einen zum
anderen gehen; den Menschen bessern, veredeln und trösten, Gott loben und preisen. Um dies zu
erreichen, muss eine neue Musik geschaffen werden. Diese zutiefst religiöse, starke und wirksame Musik,
die wir in Ermangelung eines anderen [Namens] Menschheitsmusik nennen wollen, wird THEATER und
KIRCHE in gewaltigen Ausmaßen vereinigen. Sie wird zugleich dramatisch und weihevoll sein,
prachtvoll und einfach, pathetisch und ernst, feurig und wild, stürmisch und ruhig, heiter und zart.“2
Liszt scheint nun tatsächlich am Ende seiner Pilgerreise angekommen zu sein. Im dritten
Band finden wir sowohl religiöse (z.B. Angélus) als auch weltliche Elemente wie den Marche
funèbre im Gedenken an Kaiser Maximilian von Mexiko. Les jeux d’eaux à la Villa d’Este
nimmt deutlich impressionistische Züge an und in weiteren Stücken verwendet er Skalen,
Melodien und Gestaltungsprinzipien, die manchen Hörer schon an frühe Formen Neuer Musik
erinnern mögen, womit sich hier das Wort von der „Zukunftsmusik“ als mehr als treffend
erweist.
Doch hat Liszt nun als Komponist neue Wirklichkeiten geschaffen oder ‚nur’ einen Weg
gedeutet, den andere nach ihm zu gehen hatten? Der Streit darüber, ob Franz Liszt nicht nur
1
Altenburg, Detlef, Franz Liszt in: Musik in Geschichte und Gegenwart, S. 285
2
LSS 1, S. 58-59, zit. nach: Altenburg, Detlef, Franz Liszt
als Klaviervirtuose, sondern auch als Komponist eine Bedeutung hat, wird wohl nie beigelegt
werden. Vielleicht ist hier eine definitive Entscheidung auch nicht so wichtig. „Nicht dem
Wollen des Künstlers, sondern dem, was ihm auszusprechen gelungen ist, trägt die Nachwelt
Rechnung.“ (Franz Liszt) Und so ist es an uns, der Nachwelt, Liszts ‚Fotografien’ von
Stationen seiner Pilgerjahre gleich einem Album in die Hand zu nehmen und uns selbst ‚ein
Bild zu machen’.
Fabian Moss