Sie sind auf Seite 1von 54

Verschiedene Arbeiten an der Drechselbank:

1. Bordunwindkapsel zum Fertigdrechseln eingespannt 1. Längsdrechseln eines Pfeifenrohlings vor dem Bohren

2. Längsdrechseln der Bordunwindkapsel 2. Nachzentrieren vor dem Bohren

3. Querdrechseln an der Stirnfläche der Bordunwindkapsel 3. Bohren eines Pfeifenrohlings


Bernd Eichler

Das Hümmelchen -
ein altdeutscher Dudelsack
W i s s e n s w e r t e s zum Selbstbau
und zur musikantischen V e r w e n d u n g
eines deutschen Dudelsäckchens

Zentralhaus-Publikation 1990
Inhalt

Seite

Vorbemerkungen: Allgemeines und Gegenwärtiges 3

Bock und S c h a p e r p f e i f f 7
Das H ü m m e l c h e n 10
Problematik der T o n e r z e u g u n g bei D u d e l s ä c k e n 12

Herstellung der Teile f ü r e i n H ü m m e l c h e n 20


Doppelrohrblatt 20
M e l o d i e p f e i f e u n d Teile für B o r d u n p f e i f e n 22
W i n d k a p s e l für d i e B o r d u n p f e i f e n 25
A u f n a h m e t e i l e für M e l o d i e p f e i f e , A n b l a s r o h r u n d B o r d u n w i n d k a p s e l 27
Windsack 27
Anblasrohr m i t V e n t i l 29
Endmontage 30
Hinweise zur S p i e l p r a x i s 31

Nachbemerkungen: Spezifisches und Zukünftiges 36

Eichler, Bernd:
Das H ü m m e l c h e n - ein a l t d e u t s c h e r Dudelsack. -
W i s s e n s w e r t e s z u m S e l b s t b a u u n d zur m u s i k a n t i s c h e n V e r w e n d u n g
eines deutschen D u d e l s ä c k c h e n s . -
I . A u f l a g e . - Leipzig: Z e n t r a l h a u s - P u b l i k a t i o n , 1 9 9 0 . -
48 Seiten.: 23 A b b . : 16 Fotos

ISBN 3-7444-0113-8

1. Auflage
© Z e n t r a l h a u s - P u b l i k a t i o n , Leipzig 1990
Printed in the G e r m a n D e m o c r a t i c R e p u b l i c
Herausgegeben mit U n t e r s t ü t z u n g d e s K u l t u r f o n d s der DDR
Lichtsatz: K a r l - M a r x - W e r k Pößneck V 1 5 / 3 0
Herstellung: D r u c k e r e i V o l k s w a c h t Greiz
Titelgestaltung u n d T y p o g r a p h i e : D i e t m a r Senf
Z e i c h n u n g e n : Rainer G r u b e
Fotos: Rolf Langematz (3. u n d 4. U m s c h l a g s e i t e )
H a n s - J o a c h i m Zylla
L S V : 8397
B e s t e l l w o r t : Dudelsack
B e s t e l l n u m m e r : 8025098
01280
3

Vorbemerkungen:
Allgemeines und Gegenwärtiges

Wer einen Dudelsack selbst bauen und spielen Dudelsäcke werden in unserem Land inzwi-
möchte, muß sich zunächst genau überlegen. schen nicht mehr nur von sorbischen Folklore-
welches Instrument er bevorzugt und was er Musikanten gespielt, sondern auch bei einigen
sich bei der Realisierung eines solchen Hobbys deutschen Musikfolkloregruppen kann man die
technisch zutraut. Viele werden, entsprechend unterschiedlichsten Sackpfeifen sehen und hö-
einem auch hierzulande immer noch gängigen ren. Viele davon sind selbstgebaut, und es sind
Vorurteil, vor allem an ein schottisches Instru- auch eine Reihe darunter, die man zu Recht als
ment denken, dabei den lauten Klang der High- >deutsche Dudelsäcke< ansehen kann.
land-ßagpipe im Sinn und das bunte Bild unifor-
mierter britischer Dudelsack-Regimenter vor Nun hat es jedoch mit den deutschen Dudelsäk-
Augen haben. Andere wieder haben möglicher- ken seine besondere Bewandtnis. Es ist ja durch-
weise eine sensiblere Liebe zu weniger bekann- aus ein Novum. daß entsprechende Instrumente
ten und weniger lauten Instrumenten entwickelt im Musikgeschehen unseres Landes überhaupt
und bevorzugen den böhmischen Bock oder die wieder ernst genommen werden.
Northumbrian-Small-Pipe. Wer sich umfassen-
Deutsche Dudelsäcke - das Titelbild der vor
der für Dudelsäcke und Dudelsackmusik interes-
liegenden Broschüre zeigt deutlich, daß meh-
siert weiß aber auch, daß es neben den erwähn-
rere Typen davon existiert haben — sind eigent-
ten Instrumenten noch eine Vielzahl anderer Du-
lich auf dem Territorium der DDR - und dies gilt
delsacktypen gibt, die jeweils mit recht unter-
in der Geschichte auch für ganz Deutschland -
schiedlichen nationalen Traditionen und Kultu-
schon vor mehreren Jahrhunderten so gut wie
ren verbunden sind. Das alle zwei bis drei Jahre
völlig >ausgestorben<. Innerhalb der deutschen
stattfindende internationale Festival der Dudel-
Folkloretradition gibt es nur eine kleine Aus-
sackpfeifer in Strakonice, CSSR. bietet ja eine
nahme von dieser Tatsache - der von einigen
der besten Gelegenheiten, sich in dieser Hin-
wenigen deutschen Volksmusikanten aus einem
sicht genauer zu informieren.
Umfeld slawischer Kultur bis in die Gegenwart
erhaltene Egerländer Dudelsack. Dieser ähnelt
Ausgehend von diesen Festivals und be-
bestimmten Formen des böhmischen, mähri-
stimmten, zunächst mehr oder weniger privaten
schen. polnischen und auch des sorbischen Du-
Initiativen von Dudelsackenthusiasten in der
delsackes in Konstruktion und Stimmung. Aber
DDR engagierten sich seit Mitte der siebziger
die Instrumente, welche noch Dürer und Breug-
Jahre dann auch verschiedene jüngere Musi-
hel als häufiges und typisches Instrument ihrer
kanten wieder für das Dudelsackspiel. Dabei
Zeit gemalt haben und die in ihrer Konstruktion
wurde aber von vielen solcher >Dudelsackfans<
mehr westeuropäischen Dudelsacktypen äh-
wenig beachtet, daß es bei uns in der Lausitz
neln. sind offenbar völlig verschwunden. Das
eine alte, kontinuierlich bis in die Gegenwart rei-
gilt nicht nur für ihren Gebrauch in der deut
chende Tradition des Dudelsackspiels gibt.
sehen Volksmusik, sondern auch für das Instru-
Das Interesse galt zunächst mehr bestimmten ment selbst. Zumindest findet sich heutzutage
ausländischen Dudelsacktypen. Einige von die- kaum noch ein Originalexemplar aus dieser Zeit.
sen >neofolkloristischen< Musikanten hatten
sich aber damals schon in den Kopf gesetzt, Es ist vor diesem Hintergrund also besonders
auch einmal wieder so etwas wie >deutsche Du bemerkenswert, daß es nun in der DDR doch
delsackmusik< zu machen. Das wurde aber nur wieder solche Instrumente und entsprechende
möglich, indem man auch damit begann, ent- Spieler gibt. Noch vor einem knappen Jahrzehnt
sprechende Instrumente selbst herzustellen. gab es hierzulande niemand, von dem man
Diese Initiativen haben sich seither weiter ent- hätte sagen können, daß er einen deutschen
wickelt. und es sind die verschiedensten Instru- Dudelsack spielt. Inzwischen gibt es davon aber
mente gebaut worden. mehr als sorbische Dudelsackspieler.
4
Vorbemerkungen

Man kann nun, wollte man fragen, inwieweit es den. Die oftmals müßige Frage nach der Au-
tatsächlich >originale deutsche Dudelsäcke< thentizität steht dann ganz anders, denn im
sind, die da gespielt werden, ganz unterschiedli- Sinne von folkloristischer Kultur gibt es eigent-
che Standpunkte vertreten. Entweder macht lich nichts authentischeres als solch' selbstbe-
man es sich ganz leicht und betrachtet einfach wußtes Selbermachen. Wahre Authentizität ist
jeden, wie auch immer gearteten Dudelsack, hier letztlich nicht als unerreichbares Phantom
den sich ein deutscher Musikant selber gebaut oder nur als fernes Ideal denkbar, sondern reali-
hat, als >deutschen Dudelsack<, oder man siert sich gerade innerhalb selbstgeschaffener
macht es sich ganz schwer und läßt, akade und selbstbewußt weitergeführter Tradition ten-
misch-puritanisch, nur das als deutschen Dudel- denziell stets dort, wo sie von werktätigen Men
sack gelten, was so >authentisch< wie nur irgend schen in kollektiver und traditionsbewußter
möglich nach Hinweisen aus längst vergange- Weise einfach selbst frei genug gelebt wird. Die
nen Zeiten detailliert rekonstruiert ist, wobei Unterbrechung einer kulturellen Tradition, die ja
dann von vornherein vollständige Authentizität beispielsweise hinsichtlich des Gebrauches
nur als anzustrebendes Ideal gelten kann, wel- deutscher Dudelsäcke offensichtlich ist, muß
ches in der Realität ohnehin nicht mehr erreich- dabei nicht unbedingt nur als Handicap angese-
bar ist. hen werden. Sie kann, eben unter anderen ge
sellschaftlichen Bedingungen, heute durchaus
auch ein größeres Maß an Freiheit für selbstbe-
Natürlich sind dies zwei sehr extreme Stand- wußte Wiederaufnahme und entsprechend sinn-
punkte, die in dieser Schärfe vielleicht niemand volle Weiterführung ergeben. Die vorliegenden
erfolgreich verteidigen könnte, aber in der Ten- Ausführungen zum >hausgemachten Dudelsack<
denz gibt es eine solche Divergenz der Ansich- können dabei vielleicht eine Hilfe sein, ohne daß
ten doch. sie unbedingt als bindende Vorschrift aufgefaßt
Im ersten Extrem wird die reale Möglichkeit werden müssen. Wer sich aber gerade für die
der bewußten Weiterführung deutscher Musik- Selbstherstellung eines so spezifischen Dudel
folkloretradition in bestimmter Weise unberück- sackes wie dem altdeutschen Hümmelchen ent-
sichtigt gelassen, und im zweiten Extrem wird - scheiden möchte, sollte auch überlegt haben.
eigentlich ganz analog - die tatsächliche gegen- warum er es tut und sich außerdem über die da-
wärtige Realität von Folkloreentwicklung zu we- mit verbundenen Konflikte einigermaßen im kla
nig ernst genommen. Das erste Extrem unter- ren sein.
schätzt die Bedeutung der Vergangenheit von
Tradition; das zweite die Realität ihrer Gegen-
wart. Wird im ersten Falle der Bruch von Folklo- Ich persönlich denke, daß gerade die Musikan-
retraditionen praktisch übertrieben, so ge- ten, die einmal (oder auch mehrfach) die Mühe
schieht das im zweiten theoretisch. Und beide auf sich genommen haben, ein solches Instru-
Übertreibungen haben wiederum praktische ment bis zur Spielfertigkeit selbst für sich herzu-
und theoretische Auswirkungen. Nun mag man- stellen, wahrscheinlich ein besonderes, enges.
chem Leser dies alles vielleicht als eine sehr möglicherweise lebenslängliches Verhältnis zu
theoretische Fragestellung erscheinen, welche diesem Instrument und den damit verbundenen
den praktisch gesinnten Dudeisackinteressen- Kulturmöglichkeiten erwerben werden und sich
ten eigentlich nicht sonderlich berühren müßte. gerade damit auch eine solide Basis für ein
Wem es aber ernsthaft um den Selbstbau eines eigenes gekonntes Dudelsackspiel erarbeiten.
Hümmelchens sowohl im Sinne der Darstellung
von Praetorius (siehe Titelblatt vorliegender Bro Das >Hümmelchen<. als ein spezifischer Typ
schüre) als auch im Sinne gegenwärtiger Folklo- unter verschiedenen deutschen Dudelsäcken.
repraxis geht, dem werden entsprechende hat aber eine Reihe von Besonderheiten, und es
Überlegungen letztendlich doch nicht gleichgül- bringt vielleicht auch besondere Schwierigkei-
tig sein. Ich denke, daß dies im folgenden noch ten mit sich, die man sowohl als anspruchsvol-
deutlicher wird, möchte aber zunächst betonen. ler Bastler, als auch als folkloristisch engagier-
daß die vernünftige Wahrheit hier keineswegs ter Musikant bedenken sollte.
einfach in der Mitte zwischen den Extremen . Zunächst ist folgendes wichtig: Man kann die
liegt, sondern weitaus mehr auf der ersteren Dudelsack-Instrumente nach verschiedenen Ge
Seite, auf der Seite derer nämlich, die sich eben sichtspunkten unterscheiden und klassifizieren.
praktisch an das liebenswürdige Abenteuer der Auffällig wird vielen der Unterschied zwischen
Dudelsackselbstherstellung wagen und ihr In- mundgeblasenen und blasebalg-betriebenen In-
strument dann auch selbstbewußt spielen wer strumenten sein, der ja tatsächlich wesentlich
für die Spielpraxis der jeweiligen Dudelsäcke
5
Vorbemerkungen

ist. So erscheinen etwa der Böhmische Bock. würde das viel Zeit kosten, aber im Notfall käme
die Northumbrian-Small-Pipe und die Irish- man da sogar ohne die Technologie des Drech-
Union-Pipe als ähnlich, da sie mit Blasebalg ge- seins und sogar des Bohrens aus. wenn man
spielt werden; andererseits scheinen auch der etwa Holunderholz verwenden und die Tonlö-
schottische und der bulgarische Dudelsack, die cher einbrennen würde. Ein Instrument in der
beide mit dem Mund geblasen werden, gleichar- Art des schottischen Dudelsackes zu bauen, ist
tig zu sein. In der Art der Tonerzeugung und der. hingegen auch für einen versierten Bastler und
Konstruktion der Melodiepfeife sind die ersten selbst für den professionellen Drechsler zu-
drei genannten aber gänzlich verschieden, und nächst eine schiere Unmöglichkeit. Wenn er
für die beiden letztgenannten trifft durchaus nicht über dafür speziell gefertigte genaue
das gleiche zu. Die Melodiepfeife des bulgari- Werkzeuge und hervorragende handwerkliche
schen hat im wesentlichen eine zylindrische Fähigkeiten verfügt, wird es ihm nicht gelingen.
Bohrung, und der Ton wird durch ein einfaches Die Hauptprobleme sind dabei die Herstellung
Rohrblatt erzeugt. Die Melodiepfeife der High- der konischen Bohrung der Melodiepfeife und
land-Bagpipe hat dagegen eine im wesentlichen des weiteren die Anfertigung und Zurichtung
konische Bohrung und muß mit einem Doppel- des speziellen Doppelrohrblattes. In Schottland
rohrblatt gespielt werden. Das ergibt nicht nur ist die Arbeitsteiligkeit zwischen Herstellern und
einen ganz unterschiedlichen Klangcharakter, Spielern auch schon lange ausgeprägter als
sondern auch ganz andere spieltechnische etwa in Bulgarien. Bei der Produktion schotti-
Möglichkeiten und jeweils spezifische Schwie- scher Dudelsäcke haben sich Spezialisten her-
rigkeiten. ausgebildet. die allein für die Herstellung der
Doppelrohrblätter zuständig sind. Ähnlich ver-
hält es sich auch in anderen Ländern bei der
Man kann beispielsweise viel Spaß daran ha- Produktion von Dudelsäcken, die mit Doppel-
ben, wenn man auf einem internationalen Du- rohrblättern bestückt sind.
delsackfestival erlebt, wie die entsprechenden
Spieler wechselseitig ihre Dudelsäcke auspro- Die Dudelsackfreunde in der DDR, die den
bieren, und dann selbst die stärksten Bulgaren schottischen Dudelsack bevorzugen, sind bei-
Mühe haben, das große schottische Instrument spielsweise immer noch auf Original-Doppel-
über längere Zeit in Betrieb zu halten, während rohrblätter >Made in Scottland< angewiesen, ob-
andererseits die Schotten mit bulgarischen Du- wohl sich unter ihnen auch geschickte Bastler
delsäcken zumeist nur wie klägliche Musikanten und Selbsthersteller von Instrumenten befin-
wirken. Wer beide Instrumente original gehört den. Die entsprechenden Blätter sind eben doch
hat, weiß um den großen klanglichen Unter- zu speziell gefertigt. Derartige Trennungen in
schied; und wer sie beide probiert hat, auch um der sozialen Verteilung von )Know how( und die
den spieltechnischen. Aber es sind nicht nur jeweilige Spezifik der Technologie bei Herstel-
diese Verschiedenheiten. Wenn man sich die lung und Konstruktion von bestimmten Dudel-
Frage stellt, welcher Dudelsack wohl am ehe- sacktypen ist auch in größerer kulturpolitischer
sten und leichtesten selbst herzustellen ist. wer- Sicht bedenkenswert. Man kann nämlich fest-
den weitere Unterschiede deutlich. Es geht da- stellen. daß in Westeuropa vor allem Dudelsack-
bei nicht nur um die Frage, was tatsächlich in instrumente mit Doppelrohrblättern benutzt
den verschiedenen Ländern üblich ist. Schließ- werden, während in der Folklore Osteuropas
lich werden schottische Instrumente ja schon ausschließlich Dudelsäcke mit einfachem Rohr-
recht lange serienmäßig und industriell gefer blatt in der Melodiepfeife vorkommen.
tigt, weil ein borniertes militaristisches Bedürf-
nis danach verlangte, und bulgarische Dudel- Die Deutschen befinden sich nun gerade -
säcke werden inzwischen (dies ist aber erst eine und das ist ja für unsere Geschichte bis in die
Entwicklung der letzten Jahre) ebenfalls serien- Gegenwart in vielerlei Hinsicht relevant - ge-
mäßig und industriell produziert, weil ein ähn- rade in der Mitte zwischen diesen kulturell un-
lich borniertes touristisches Bedürfnis damit be- terschiedlichen Bereichen. Es ist also nicht ver-
friedigt wird. Nein, es ist die Frage nach den wunderlich. daß es hier Dudelsäcke beider Ar
entsprechenden technologischen Möglichkeiten ten gegeben hat. da Deutschland sicherlich von
eines >folkloristischen Normalverbraucher beiden Seiten beeinflußt wurde. Westeuropä-
Einen Dudelsack in der Art des bulgarischen ischerseits wohl vor allem von seinem Nachbarn
könnte sich durchaus jedermann, der einigerma- Frankreich, wo bis auf den heutigen Tag eine
ßen schnitzen, bohren und binden bzw. schlach- fast unvergleichliche Vielfalt verschiedener Du
ten oder nähen kann, selbst herstellen. Freilich delsackinstrumente existiert und wo gerade das
Doppelrohrblatt, wie wohl nirgends in der Ge-
6
Vorbemerkungen

schichte der Holzblasinstrumente, zur Perfek- sich jeweils entscheiden, was fortzuführen und
tion kultiviert und bei französischen Dudelsäk was besser aufzugeben ist. Entsprechende Be-
ken sowohl in Kombination mit konischen als sonderheiten der Vergangenheit sind dabei bis
auch mit zylindrischen Bohrungen bei Melodie- in die Gegenwart bedenkenswert, und wenn es
und Bordunpfeifen verwendet wurde. um die Wiederaufnahme von Traditionen geht,
sollten sie umso gründlicher bedacht werden.
Von Ost- und Südeuropa her erfolgte die Beein-
flussung durch die Vielfalt von verschiedenen Geschichtlich rückblickend kann man nun aber
Dudelsackkulturen. die dort innerhalb eines un- feststellen, daß die Deutschen gerade solche
geheuren Reichtums von Folkloretradition bis Dudelsäcke aussterben ließen, die mehr west-
auf den heutigen Tag lebendig sind. Allerdings europäischer Art waren. In der DDR hat ja auch
muß man wohl auch sagen, daß die Germanen nur die slawische Minderheit der Sorben ihren
gerade diesem Reichtum der kulturellen Beson- Dudelsack erhalten. Und bei dem einzigen aus
derheiten Osteuropas oft mit Ignoranz begegne- deutscher Folkloretradition bis in die Gegenwart
ten. eine Tendenz, die sich (früher freilich aus erhalten gebliebenen Dudelsack - dem Egerlän-
anderen Gründen und mit anderen Begründun- der Bock - kann man generell sagen, daß die
g e n als heute) in verschiedenster Weise bis in Slawen wohl einen größeren Anteil an seiner Er-
unsere Gegenwart fortsetzt und auch in der haltung hatten, als die Germanen selbst.
DDR wirkt.
Nach diesen Vorbemerkungen sollen nun die
Es liegt auf der Hand, daß es neben kulturellen wichtigsten deutschen Dudelsäcke, über deren
Traditionen, deren Fortsetzung sich lohnt, stets Vergangenheit Belege bei Praetorius zu finden
auch Traditionen gibt, deren Fortsetzung eigent- sind, noch einmal einzeln hinsichtlich ihrer Ge-
lich vernünftigerweise abzulehnen ist. Das gilt genwärtigkeit näher betrachtet werden. Man
nicht nur in allgemeiner kulturpolitischer Sicht. kann drei wesentliche Grundtypen unterschei
sondern sollte auch bei allen )folkloristischen den: den Bock, die Schaperpfeiff und das Hüm-
Details< bedacht werden. Schließlich kann man melchen.
7
Bock und Schaperpfeiff

Teill

Bock und Schaperpfeiff Rohrblatt technisch verfeinert wurde. Die Zunge


wird nicht mehr, wie früher, aus einem vollen
Röhrenmaterial {etwa Schilf oder auch Holun-
Der Bock, ein Instrument mit zylindrisch gebohr- der) herausgeschnitten, sondern nur als einzel-
ten Pfeifen, hat bis in unsere Zeit hinein über- nes Teil extra hergestellt und anschließend auf
lebt, allerdings nicht in der von Praetorius über- eine spezielle Hülse (in der Regel aus Metall ge-
lieferten Form. Diese ist erst in den letzten Jah- fertigt) aufgebunden. Diese Technologie ist bei
ren ab und an aus nostalgisch-folkloristischen den meisten der genannten Böcke heute obliga-
oder auch kommerziellen Motivationen heraus torisch. Sie führte zu einer Veränderung des
wieder rekonstruiert worden. Charakteristisch Klangcharakters und zu besseren Möglichkei-
für die Entwicklung der Böcke bis zu ihrer ge- ten, die Tonerzeugung und die Intonation im De-
genwärtigen Gestalt war wohl, daß diese Instru- tail wirkungsvoller manipulieren zu können.
mente im Zusammenhang mit der allgemeinen Außerdem wird damit auch ein höheres Maß an
industriellen Entwicklung verbessert wurden, Standardisierung bei der Herstellung der toner-
wobei das Anfügen eines Blasebalges vielleicht zeugenden Elemente in Melodie- und Bordun-
die wesentlichste Neuerung war. Dies führte pfeife möglich.
aber nicht nur zu einer Erleichterung des Spiels
Am verbreitetsten ist dieser Instrumententyp
(das anstrengende Aufblasen mit dem Mund
heute in der Form des böhmischen Bockes.
entfiel), sondern auch zu einer wesentlichen
eines ziemlich großen und tief-brummig klingen-
Veränderung der Spielhaltung und zu einer grö-
den Instrumentes, welches in Es Dur gestimmt
ßeren Sicherheit in der Intonation, da das In-
ist. Es ist in der Spielanleitung von J. Rezny
strument nicht mehr durch die Atemluft be-
eingehend beschrieben. Dieser böhmische Du-
feuchtet wird.
delsack ist nicht nur in der musikantischen Ver-
Das alles beeinflußte in der weiteren Entwick wendung. wo er oft sehr virtuos gespielt wird.
lung dann auch die Technologie und Konstruk- sondern auch hinsichtlich Konstruktion und
tion des tonerzeugenden Teils, des einfachen technischer Verarbeitung ein recht perfekter
Rohrblattes, wodurch schließlich auch ermög- Vertreter unter den Böcken. Für den Instrumen-
licht wurde, daß der Dudelsackspieler während tentyp )Bock( ist die Größe eigentlich nicht das
des Spiels singen konnte. Als andere wesentli- Entscheidende. Die Tschechen und die Deut-
che Weiterentwicklung kann man vielleicht an- schen spielten auch kleine Böcke. Unter den
sehen, daß die Bordunpfeife, die in der Abbil- Egerländer Dudelsäcken, die man ja als quasi
dung von Praetorius noch durchgehend darge- deutsche Variante des böhmischen Bocks anse-
stellt ist. später bei vielen derartigen Instrumen- hen kann, kam sogar ein besonders kleiner, so-
ten eine schleifen- bzw. meanderformige Ver zusagen ein >Böckchen< vor, nämlich der Falke-
kürzung erhielt, wodurch das große Instrument nauer Dudelsack. Dieser klingt eine Oktave
auch handlicher wurde. Dies ist bei den gegen- höher als der heutige böhmische Bock. Auch
wärtigen Hauplvertretern dieses Instrumenten- gegenwärtig werden in Böhmen einige recht
typs, dem böhmischen, mährischen, dem sorbi kleine und höher gestimmte Instrumente in G-
sehen Dudelsack und bestimmten polnischen Dur gespielt. Wesentlich für den Instrumenten
Dudelsäcken auch der Fall. Durch diese Verkür typ >Bock< ist, daß er, ganz in der Art der osteu-
zung wurden außerdem die Luftdruckverhält- ropäischen Dudelsäcke, stets mit zylindrisch ge-
nisse in der Bordunpfeife verändert, und ich bohrten Melodie und Bordunpfeifen und einfa-
würde meinen, daß damit auch die Stabilität chen Rohrblättern ausgestattet und an den
des Borduntones günstig beeinflußt wurde. Eine Enden der Pfeifen mit markanten Schallbechern
weitere, sehr wesentliche Verbesserung besteht versehen ist, die meist aus Kuhhorn gefertigt
darin, daß die Tonerzeugung durch das einfache sind. Letzteres ist nicht nur eine Angelegenheit

1 Rezny. Josof: Skola hry na ceske dudy. Kojske Kullurni stredisko


Cesko Budcjovice/Ustav pro Kulturne vychovou cinnosi v Praze
8
Bock und Schaperpfeiff

der Gestaltung oder der Verwendung traditio- ferten traditionellen sorbischen Instrumenten,
neller Motive und Materialien^ sondern ebenso gelten inzwischen aber aufgrund ihrer Herstel-
wesentlich für seinen Klang. Die bekannten lung in der Lausitz und ihrer Verwendung in sor-
überlieferten und auch die heute in Gebrauch bischen Ensembles als sorbische Dudelsäcke.
befindlichen Böcke tragen außerdem zumeist
einen symbolischen holzgeschnitzten Ziegen- Der Selbstbau des Bockes bereitet zwar viele
kopf über der Melodiepfeife. Dieses attraktive Probleme und kostet eine Menge Zeit, enthält
Detail macht natürlich die Bezeichnung >Bock< aber von der Technologie her keine unüberwind-
noch einleuchtender, ist aber eigentlich gar lichen -Schwierigkeiten für den engagierten
nicht so wesentlich. Viele Böcke kommen auch Bastler, zumal dann, wenn man sich mehr an
ohne dieses Formelement aus, so wie es auch das Prinzipielle des Instrumententyps hält und
bei dem großen Bock auf der Darstellung von sich nicht unbedingt an der Rekonstruktion
Praetorius nicht zu sehen ist. überlieferter Details orientiert. Die Haupt-
Diese Darstellung enthält noch einen anderen schwierigkeit liegt letztlich im Einstimmen des
bemerkenswerten Hinweis, der uns auch hin- Instrumentes, also im wesentlichen in der ge-
sichtlich des Hümmelchens interessant sein nauen wechselseitigen Anpassung von Rohr-
muß. Wenn auch der dort abgebildete Bock ar- blatt und Mensur (d. h. Sitz, Abstand und Größe
chaischer als die modernen Instrumente er- der Grifflöcher) der entsprechenden Melodie-
scheint, so läßt doch der Sack des Instrumentes pfeife. Hier wird ein für die osteuropäischen Du-
bereits eine Form erkennen, die nicht mehr vor- delsäcke ganz prinzipielles Problem deutlich.
dergründig an den Tierkörper, aus dessen Fell Jedes neu gefertigte einfache Rohrblatt erfor-
oder Haut er hergestellt sein könnte, erinnert. dert in der Regel ein langwieriges Feinstimmen
Es ist auch kein Fell zu sehen. Dieser Sack ist und mehr oder weniger auch das Neueinstim-
also vermutlich bereits instrumentenspezifisch men der Spielpfeife, d. h. die Neuregulierung
entworfen und vielleicht sogar - was einen wei- der Mensur. Hinzu kommt dabei auch, daß sich
teren wesentlichen Aspekt der Entwicklung des unter Einfluß von Temperatur und Feuchtigkeit
Instrumentes ausmachen würde - körperge (ob nun beim mundgeblasenen Instrument
recht, d. h. spielgerecht konzipiert. Das ist bei durch die Feuchtigkeit der Atemluft oder beim
den heutigen Böcken keineswegs immer so. blasebalgbetriebenen durch die allgemeine
Beim böhmischen Bock wird in der Regel viel Schwankung der Luftfeuchtigkeit und der Tem-
Wert darauf gelegt, daß er mit einem attrakti- peratur) ganz schnell, gerade auch während des
ven Fell bekleidet ist, und beim gegenwärtigen Spiels, erhebliche, oft unerträgliche Verstim-
sorbischen Dudelsack wird oft ein riesenhafter, mungen ergeben können.
kaum noch zu bewältigender Ziegenbalg ver-
wendet, der weitgehend vollständig erhalten ist
und außer dem Hals und den Vorderbeinen, in Solche Probleme liegen bei der Schaperpfeiff
die ja die Pfeifen und der Blasebalgansatz ein ganz anders oder halten sich zumindest doch in
gebunden werden, auch noch die Hinterbeine Grenzen. Instrumente in der Art der Schaper-
und den Ziegenschwanz erkennen läßt. pfeiff, also mundgeblasene Dudelsäcke mit zwei
unterschiedlich gestimmten Bordunpfeifen so-
Von den neueren Dudelsackenthusiasten in wie mit konischer Melodiepfeife und Doppel-
der DDR wurde die Selbstherstellung des Bok rohrblatt (wie aus der Abbildung bei Praetorius
kes zunächst nicht sehr ernst genommen, aber ja meist gemutmaßt wird und wie auch viele an-
inzwischen sind doch einige derartige Instru dere Darstellungen nahelegen), haben sich in
mente gebaut worden, wobei zumeist die in der den letzten Jahren in der DDR auch schnell wie-
CSSR herausgegebene Spielanleitung von der durchgesetzt. Von den Selbstherstellern
J. Rezny als Grundlage genommen wurde, da und auch von vielen Spielern wurden gerade
sie sich aufgrund des ausführlichen Bild- und diese Instrumente, im Unterschied etwa zum
Zeichnungsanhanges auch gut als Bauanleitung Bock, bevorzugt. Sie wurden außerdem schon
eignet. seit längerem bei bestimmten Folkloregruppen
in Holland, Belgien und Westdeutschland ver
Einige Jahre früher hatte aber schon Karl Til-
wendet. Prinzipiell gilt für dieses Instrument das
lich in der Lausitz begonnen, für sorbische Folk-
gleiche, was schon über den schottischen Du-
loregruppen Böcke nach polnischen Vorlagen
delsack gesagt wurde. Die Herstellung der Me-
und Anleitungen herzustellen. Die schon er-
lodiepfeife und der entsprechenden Doppel-
wähnten Instrumente mit dem großen Ziegen-
rohrblätter bereitet eigentlich erhebliche
balg tragen zwar mehr spezielle Merkmale von
Schwierigkeiten, die nicht jedermann bewalti-
polnischen Böcken als von den original überlie-
9
Sock und Schaperpfeiff

gen kann. Diese Hürde bei der Selbstherstel- der Fall; der Bordunton ist dort in der Regel
lung solcher Dudelsäcke wurde jedoch dadurch nicht nur voller, sondern auch stabiler.
überwunden, daß einige Spezialisten unter den
Instrumentenbau-Amateuren damit begannen, Die konische Schalmei als Melodiepfeife der
entsprechende Schalmeien mit präziser koni- Schaperpfeiff hat noch einen anderen prinzipiel-
scher Bohrung herzustellen und auch zu verkau- len Vorteil. Ein gut gebautes Instrument mit
fen. Diese Instrumente konnten dann mit spe- einem speziell hergerichteten Doppelrohrblatt
ziell zurechtgemachten Oboenrohren bestückt kann durchaus in die Oktave überblasen wer-
werden. Wer dabei eine gute Schalmei erstand, den, wodurch der Tonumfang beträchtlich er-
konnte sich die anderen Teile für seine Scha- weitert wird. Zylindrische Melodiepfeifen könn-
perpfeiff durchaus selbst erfolgreich zusam- ten zwar theoretisch in die Duodezime überbla-
menbasteln. Dabei gab es keine genaue und sen werden (wie es beispielsweise bei der
einheitliche Vorlage als Orientierung, und so Klarinette praktisch genutzt wird), aber in der
entstanden Instrumente in verschiedenen Grö- bewußten Praxis des Dudelsackspiels kommt
ßen und Formen. Meist wurden sie aber mit dies kaum vor und wird auch bisher keineswegs
den vorgefertigten Schalmeien in G-Dur be- systematisch genutzt. Besonders leicht ergibt
stückt. sich die Möglichkeit des Überblasens bei der
konischen Schalmei, wenn sie unmittelbar mit
Der prinzipielle Vorteil einer gut gearbeiteten Lippenansatz gespielt wird. Durch entspre-
konischen Schalmei für Dudelsack besteht ne- chende Erhöhung des Luftdrucks aber ist glei-
ben dem charakteristischen Klang darin, daß sie ches auch prinzipiell in der Windkapsel und da-
in Kombination mit entsprechend gut gearbeite- mit im Dudelsack möglich. Meiner persönlichen
ten Doppelrohrblättern stets ungefähr das glei- Setbstbau- und Spielerfahrung nach ist bei be-
che gewünschte Ergebnis hinsichtlich Grund- stimmtem Konus, spezieller Mensur und ge-
stimmung und Intervallgleichheit ermöglichen nauer Doppelrohrblattherstellung auf diese
wird. Da nun auch leicht auf recht einheitlich Weise auch auf einer in G gestimmten Melo-
genormte Doppelrohrblätter für Oboe zurückge- diepfeife durchaus ein Umfang von mehr als
griffen werden konnte, setzten sich solche In- zwei Oktaven praktisch möglich! Das stellt aller-
strumente ziemlich unproblematisch durch. Ein dings sehr große Anforderungen an die Spiel-
anderer spezifischer Vorteil einer Schaperpfeiff fertigkeiten des Dudlers und erfordert viel Er-
besteht in der Praxis für den folkloristischen fahrung beim genauen Einrichten des Instru-
Musikanten auch darin, daß die konische Schal- mentes, insbesondere beim Zurechtmachen
mei jederzeit leicht aus dem Sack genommen und Einrichten des Doppelrohrblattes. Außer
werden kann und entweder mit einer aufgesetz- dem ergeben sich dann, gerade in der überbla-
ten Windkapsel oder - wie bei der Oboe - di- senen Tonlage, erhebliche Probleme mit den
rekt mit dem Mund unter leichtem regulieren- Bordunpfeifen, deren Ton zu schwanken be-
den Lippendruck angeblasen werden kann. Da- ginnt oder ganz ausfällt. Prinzipiell gelöst ist das
mit sind spezifische Spieltechniken wie Stak- Überblasen der konischen Melodiepfeife bei
kato und ein bestimmtes Vibrato möglich, gleichzeitig stabilen Borduntönen aber schon
welche ansonsten auf dem Dudelsack kaum rea- lange bei der irischen >Union-Pipe<.
lisiert werden können. Mit der Melodiepfeife
eines Bocks, zumal eines Bocks mit Blasebalg,
ist so eine vielseitige mundgeblasene Verwen-
dung der Melodiepfeife nicht so problemlos Die Erweiterung des Tonumfanges ist allerdings
bzw. sogar unmöglich. Allerdings gibt es bei auch beim Bock möglich. Beide Instrumente,
den bisher bei uns entstandenen Schaperpfeif- Schaperpfeiff und Bock, verfügen ja normaler-
fen hinsichtlich der Stabilität der Borduntöne in weise auf der Melodiepfeife etwa über den Ton
der Regel doch viele Schwierigkeiten. Das In umfang einer Oktave bzw. einer None. Beim
strument benötigt viel Luft, wenn beide, mit ein- Bock ist die Erweiterung des Tonumfangs mei-
fachem Rohrblatt bestückten Bordune in Be ner Erfahrung nach durch entsprechende Ver
trieb genommen werden, und auch, wenn nur längerung der Pfeife und Anbringen zusätzlicher
ein Bordunton eingeschaltet ist, ergeben sich Tonlöcher oberhalb und unterhalb der üblichen
leicht Stimmungsprobleme; oder aber der Bor Tonlöcher möglich, die dann mit einer Klappen
dunton schaltet sich während des Spiels durch mechanik geschlossen bzw. geöffnet werden.
einen gelegentlichen größeren Druckimpuls Ich konnte auf diese Weise über 1 1/2 Oktaven
selbst aus. Dies ist bei den Böcken aufgrund realisieren. Die Funktionstüchtigkeit der Bor
ihrer anderen Konstruktion meist nicht so leicht dunpfeife wird dabei kaum beeinträchtigt.
Durch andere Ansprachebedingungen in der
10
Bock und Schaperpfeiff Das Hümmelchen

Melodiepfeife, eine andere Position der Hände Das Hümmelchen


und andere Spielhaltung des Instrumentalisten
sowie durch die Auswirkungen ungewöhnlicher
Druckverhältnisse bei Benutzung des erweiter- Es gibt kaum Hinweise darüber, ob dieses bei
ten oberen und unteren Tonbereiches wird aber Praetorius abgebildete Instrument wirklich eine
doch die traditionelle Spezifik der Spielweise größere Rolle im Musikgeschehen der Vergan-
für den Bock (gerade wenn man an den böhmi- genheit gespielt hat. Es ist auch kein Original-
schen Bock denkt) in Frage gestellt und praktisch exemplar aus jener Zeit mehr verfügbar. Die In-
verunsichert. Diese Spezifik hat aber nicht nur formationen über dieses Instrument und Ver-
ihre >ehrbare folkloristische Tradition<. sondern gleichsmöglichkeiten mit anderen analogen
unbestreitbar auch ihre eigenen musikalisch be- Instrumenten sind beim Hümmelchen, im Unter-
deutenden Vorzüge. schied zu Bock und Schaperpfeiff, recht spär-
lich und reichlich unsicher. Die Darstellung bei
Es sollte aber keineswegs ausgeschlossen
Praetorius, wo es in enger Nachbarschaft neben
sein, am Bock weiter zu experimentieren. So ist
dem fast ebenso kleinen, aber dreibordunigen
beispielsweise durchaus ein Dudelsack in der
Dudey steht (dessen Name auf eine mehr slawi-
Art des Bocks denkbar, dessen zylindrisch ge-
sche Herkunft schließen läßt, sich aber als In
bohrte Pfeifen auch mit Doppelrohrblättern be-
strument auch nicht bis in die Gegenwart erhal-
stückt sind. Damit werden ganz neue Möglich-
ten hat), ist so ziemlich die einzige bedeutsame
keiten hinsichtlich der Spieleigenschaften, der
Informationsquelle zu diesem Instrument. Aber
Klangbeeinflussung und der Tonumfangserwei-
diese Quelle hat bisher doch einige Liebhaber
terung - aber auch hinsichtlich der Größenver-
historischer Musik angeregt, auch ein solches
hältnisse eines solchen Instrumentes - eröffnet.
Instrument zu rekonstruieren. Dementspre
chend sind auch in der DDR schon verschie-
Abschließend läßt sich zu Bock und Schaper- dene Hümmelchen von jüngeren Musikfolklori-
pfeiff vielleicht noch folgendes zusammenfas- sten gebaut worden, wobei aber diese Instru-
sen: Die Schaperpfeiff ist eigentlich ein >ausge- mente in unserem Musikgeschehen bislang nur
storbenes< Instrument und hat wahrscheinlich vereinzelt auftauchen.
schon mehrere Jahrhunderte in der deutschen
Folklore keine Rolle mehr gespielt; der Bock hin- Name und Abbildung des Instrumentes deu
gegen hat sich in Osteuropa gut entwickelt und ten darauf hin, daß es ein recht kleines und
innerhalb der deutschen Folklore >gerade noch auch nicht sehr lautes Instrument war. Der
überlebte. Er wird nun in der DDR ganz allmäh- Name >Hümmelchen< versinnbildlicht neben
lich auch wieder für deutsche Folklorepraxis einer ungefähren Klangvorstellung auch noch
ernster genommen, wohingegen die Schaper- die Kleinheit des Instrumentes. Ebenso schließt
pfeiff - vielleicht aufgrund des Images, das sie er aber vielleicht auch eine bestimmte Sympa-
vermittelt, aufgrund ihrer Lautstärke, aufgrund thiebeziehung zu dem pummeligen, dichtbe-
ihrer erfolgreichen Neuherstellung und ihrer haarten, schwarz-weiß-gelb farbigen Insekt ein
Praktikabilität hinsichtlich Ansprache und Into- (manche Hummeln sind auch geradezu in die
nation und entsprechender vielseitiger Ver- Farben schwarz-rot-gelb gekleidet), welches
wendbarkeit der Melodiepfeife etc. - bevorzugt sich ohne weiteres auf Wiesen und Feldern be
wiederverwendel wird und gerade im >neofolk obachten läßt und neben seiner Behäbigkeit,
loristischen< Musikgeschehen schon einen recht eben vor allem durch sein starkes Brummen auf-
festen Platz eingenommen hat. Der Bock hinge- fällt. Ein aufmerksames Kind kann diese Tier-
gen war aber selbst bei bestimmten dudelsack chen, die ja auch nicht so leicht stechen wie
erheischenden Wendungen und Aktivitäten in- Wespen oder Bienen (manche stechen sogar
nerhalb des städtisch-studentischen >Neofolklo- überhaupt nicht), auf einer Wiese im Frühjahr
rebooms< bislang nicht sonderlich gefragt, fand leicht bis zu ihrem Nest (eine kleine Höhle im
dafür aber mehr Aufmerksamkeit und Auf- Wiesenboden) verfolgen, wo es dann den Besit
nahme in regional-traditionellen deutschen Folk zer verscheucht und Gelegenheit hat, einen klei-
loregruppen, bei denen wiederum die Scha- nen Tropfen Honig aus einer Wachszelle in
perpfeiff noch keine große Rolle spielt. einem sorgfältig zusammengerollten Blatt zu er
beuten. Ländlich aufgewachsene und pfiffige
Kinder können sich jedenfalls eine solche Erin-
Wie sieht es nun vergleichsweise mit dem deut- nerung bewahren. Was das ruhige Brummen
schen Hümmelchen aus? der Hummel betrifft, so ist es unbedingt viel
sympathischer als das ähnlich laute, aber aufge
11
Das Hümmelchen

regte Brummen bestimmter größerer Fliegenar- terquart beginnende Dur-Skala als praktikabel
ten. die uns ja auch eher von anderen Örtlichkei- erweisen. Was die genauen Größenverhältnisse
ten als von Blumen geschmückten Wiesen be- und die exakte Anordnung der Grifflöcher des
kannt sind. Es ist sicher nicht zufällig, daß in der Instrumentes betrifft, so ist durchaus denkbar,
Bibel die Hummel als ein Vogel bezeichnet daß sie sich an der Grenze zum Spielbaren be-
wird - offenbar, um das sympathische und be- wegt haben. Dem könnte durchaus auch eine
merkenswerte Tierchen etwas von den Insekten, G-Dur-Skala (mit d beginnend) entsprechen.
zu denen die Menschen ja ansonsten nicht so Diese Tonart ermöglicht zudem ein problemlo-
leicht Sympathiebeziehungen entwickeln, abzu- ses Zusammenspiel mit verschiedenen anderen
heben. Instrumenten des gegenwärtigen folkloristi-
Ebenso verständlich ist dann vielleicht auch, schen Instrumentariums.
daß der aristokratisch gesinnte Aristophanes, Eine entsprechend kleine und zierlich gebaute
der die antiken Dudelsäcke offenbar nicht so Sackpfeife kann zwar spieltechnisch gewisse
recht leiden mochte, deren Klang als >wespen- Nachteile haben, sie kann aber andererseits ge-
ähnlich< bezeichnete. rade auch hinsichtlich ihrer spezifischen Ästhe-
Die Bezeichnung >Hümmelchen< ist jedenfalls tik in Gestaltung und Verarbeitung sowie hin-
keineswegs objektivistisch neutral, vielmehr ist sichtlich Unterbringung und Transport und in
anzunehmen, daß die Deutschen ihren kleinen bezug auf ihr besonderes Image (alles wichtige
Dudelsack geliebt haben. Was den Brummton Aspekte für einen Volksmusikanten) auch von
der Hummel betrifft, so haben sich die Insekten- Vorteil sein und eine besondere Faszination aus-
forscher bislang nicht sonderlich dafür interes- üben. Wenn dieses kleine Musikinstrument
siert, wohl, weil die Hummeln selber nicht dar- dann auch noch vom Klang her die gleiche Sym-
auf hören. pathie wie eine Wiesenhummel ausstrahlt, so
hat es durchaus gute Chancen, sich als Dudel-
Ich habe, nach dem Erlebnis einiger >gut ge-
sack auch gegenüber dem gewaltig brummen-
stimmten Hummeltöne zunächst geglaubt, daß
den und ziegenhaft meckernden Bock und der
man daher möglicherweise auch näheren Auf
durchdringend klingenden Schaperpfeiff zu be-
schluß über die Stimmung des Instrumentes er
haupten. Zwar gewiß nicht immer gleichzeitig
halten könnte. Praetorius gibt zwar Hinweise zur
neben ihnen, aber durchaus an anderer Stelle
Stimmung die Abbildung zeigt ja ein f am grö
und zu anderen Gelegenheiten.
ßeren Bordun —, aber es ist schwer zu sagen, in
welche Tonhöhe man dieses f von 1619 heute
einstufen würde. Ich horte mir also weitere Die Darstellung von Praetorius laßt neben der
Hummeltöne an, wurde dann aber auf Wiesen Kleinheit des Instrumentes aber noch weitere
und Kleefeldern doch von vielen Hummeln ent wichtige Details erkennen. Auf den abgebilde-
täuscht. Das Brummen läßt sich zwar jeweils in ten Sack des Instrumentes trifft im Prinzip das
der Tonhöhe recht gut bestimmen, d.h. es ist re- gleiche zu, was schon hinsichtlich des Bockes
lativ konstant, aber jede Art (es gibt allein in gesagt wurde. Wir können auch hier eine ent-
Deutschland ca. 20 verschiedene), aber auch wickelte Kultur der Instrumentenherstellung ver
jede einzelne Hummel brummt doch von Fall zu muten. Diese Vermutung wird beim Hümmel-
Fall in verschiedenen Tonhöhen, und ich glaube chen noch wahrscheinlicher, wenn man die
nicht mehr, daß die Hummeln als >Stimmga- Feinheit der Drechselarbeiten, auf die die Abbil
beln< für Dudelsäcke gedient haben könnten, dung hinweist, bedenkt. Die offenbar zylindri-
höchstens als ungefähre >Soundvorbilden. Man sche Melodiepfeife zeigt zwar keine weiteren
kann aber, wenn man die Länge der beiden Bor Verzierungen dort würde sich bei der Klein
dunpfeifen und die Länge der Spielpfeifen be- heit des Instrumentes auch jede übertriebene
trachtet, doch bestimmte Vermutungen über Verzierung als störend beim Spiel auswirken -
die Stimmungsverhältnisse beim Hümmelchen aber die beiden Bordune deuten schon auf kulti
anstellen. Die kleinere Bordunpfeife ist etwa so vierte Drechselarbeit hin. Und besonders das
lang wie die Melodiepfeife und damit vielleicht Anblasrohr, wo Verzierungen ja keineswegs stö-
auf deren tiefsten Ton einzustimmen. Die grö- ren müssen, fällt in dieser Hinsicht besonders
ßere Bordunpfeife ist etwa um die Hälfte länger auf. Am auffälligsten ist aber das Holzteil, wel-
und könnte somit eine Quinte tiefer klingen. Zur ches die beiden Bordunpfeifen aufnimmt. Sie
Skala der Melodiepfeife und zur Griffweise wis sitzen nicht frei in einer Röhre, die direkt in den
sen wir jedoch weniger. Luftraum des Sackes reicht, sondern sind in
einer Art Doppel Windkapsel untergebracht. Ein
Ausgehend von den Intervallverhältnissen der solches Teil ist keineswegs leicht herzustellen
Bordunpfeifen würde sich aber eine mit der Un
12

Das Hümmelchen • Problematik der Tonerzeugung

und hat auch Nachteile hinsichtlich der Unter- che Doppelrohrblätter hatte, ist wohl schwer zu
bringung der tonerzeugenden Blätter. Es ist ermitteln.
aber zweifellos in der Gestaltung von einer ge- Immerhin gibt es einen bemerkenswerten
wissen Eleganz. Mir scheint jedoch fragwürdig, Hinweis in den Darlegungen von Praetorius
ob die Form dieses Teils nur >ästhetisch< und selbst. Eine seiner Abbildungen zeigt auch eine
nicht auch funktional begründet ist. Zumindest französische Musette — ein sehr perfektes Du-
ermöglicht eine solche Bordunaufnahme eine delsackinstrument mit Blasebalg, von welchem
platzsparende Einbindung in das Sackmaterial wir sicher wissen, daß es sowohl bei der Melo-
und somit in der Tendenz auch einen kleineren diepfeife als auch im Bordun mit Doppelrohr
Sack. Außerdem kann die Position der Bordun- blättern bestückt wurde. Praetorius bezeichnet
pfeifen beim Musizieren weitgehend beliebig dieses nun in eingehender Beschreibung als
gewählt werden; nach oben, zur Seite oder »eine kleine Sackpfeiff oder Hümmelchen«. 7
nach vorn. Im Vergleich zur Bordunbefestigung
Dies erlaubt zumindest die Annahme, daß im
beim Dudey sind dies wesentliche Unterschiede.
Sinne von Praetorius zum Instrumententyp
Am bemerkenswertesten erscheint mir hier
>Hümmelchen<, außer dem in Frage stehenden
aber folgendes: Der Luftstrom aus dem Sack er
deutschen Exemplar, auch solche detailliert be-
reicht bei der Hümmelchenkonstruktion die ton-
kannten Instrumente wie die französische Mu-
erzeugenden Elemente der Bordunpfeifen erst
sette und folglich auch die Northumbrian-Small-
über einen gewissen Umweg, und dies ist viel-
Pipe gehören können und demnach die >Hüm-
leicht von besonderer Bedeutung, denn die
melchen< durchaus als Doppelrohrblatt-Instru-
Bordunaufnahme kann somit als Windkapsel
mente verstanden werden dürfen. Ich schließe
eine separate Luftkammer neben dem Sack bil-
mich heute einer solchen Auffassung gerne an.
den. Meiner Experimentiererfahrung nach eig-
Um die damit verbundenen Probleme besser zu
net sich eine solche relativ geschlossene Unter-
verstehen, ist es angebracht, noch einige grund-
bringung der tonerzeugenden Elemente eher für
sätzliche Fragen zur Tonerzeugung in Dudelsäk-
genormte Doppelrohrblätter als für die ein-
ken zu stellen. Jeder, der an solchen vielleicht
fachen Rohrblätter aus Schilf oder Holunder,
zu theoretisch anmutenden Problemen weniger
welche in der Praxis auch von Fall zu Fall
interessiert ist und sich lieber gleich an die Her
unterschiedlich in Durchmesser und Länge
stellung des Instrumentes machen möchte.
ausfallen.
kann das folgende Kapitel durchaus überschla-
gen und sich entsprechend der Anleitung an die
Herstellung von Doppelrohrblättern begeben.
Hier stellt sich eine der wichtigen Fragen, wenn Wer die folgenden Probleme aber mit durch-
es um die Rekonstruktion des Hümmelchens denkt. weiß dann vielleicht auch besser, warum
geht: welche Rohrblätter wurden wirklich ver- es sich lohnt, die Schwierigkeiten dieser Dop-
wendet? Eine Frage, die man freilich auch da- pelrohrblattherstellung wirklich im Detail auf
hingehend erweitern kann, daß man überlegt, sich zu nehmen.
welche Rohrblätter heute dafür verwendet wer-
den sollten. Schließlich haben sich die Dudel-
säcke seit 1619 beträchtlich weiterentwickelt.
Bei der Betrachtung des Bockes wurde ja schon Problematik der Tonerzeugung
deutlich, wie wichtig es ist, dies auch für die bei D u d e l s ä c k e n
deutschen Dudelsäcke gründlicher zu beden-
ken. Aufgrund der Ähnlichkeit mit dem abgebil
Eigentlich hätte der Leser eines Büchleins zum
deten Dudey, bei dem eher einfache Rohrblätter
Dudelsack die Erklärung der Tonerzeugung die-
angenommen werden, wird das Hümmelchen
ser Instrumente am Anfang erwarten können.
theoretisch oft in gleicher Weise interpretiert.
Es soll hier auch keine allgemeine Erklärung fol
Ich war auch lange Zeit der Meinung, daß eine
gen. sondern im Sinne unserer Fragestellungen
Rekonstruktion sich auf einfache Rohrblätter
zum Hümmelchen der Versuch unternommen
orientieren sollte. Die Instrumentenbauer, die
werden, einige Probleme dudelsackspezifischer
das Instrument aber wirklich nachbauten, haben
Tonerzeugung vielleicht etwas gründlicher zu
es — soweit mir bekannt ist - meist mit Doppel
durchdenken. Daß es einfaches und doppeltes
rohrblättern spielbar gemacht. Das hat seinen
Rohrblatt, konische und zylindrische Bohrungen
ganz praktischen Grund darin, daß Doppelrohr
und - wie meist in der Literatur hervorgeho-
blätter eben viel sicherer und zuverlässiger sind.
ben - das Klarinetten- und Oboenprinzip bei
allerdings sind sie auch schwieriger herzustel-
Dudelsäcken gibt, ist aus den bisherigen Darle-
len. Ob das Hümmelchen tatsächlich einmal sol
gungen sicher schon deutlich geworden und

2 Praetonus. Michael Syntagma musicum 2. Wolfenbüttel, 1619.


S.43
13
Problematik der Tonerzeugung

wird in der Literatur zu Dudelsäcken allenthal- trotzdem ist nie genügend Luft im Spiel. Daß
ben erklärt. Allerdings sind das oft sehr verein- der Luftverbrauch beim Dudelsack enorm sinkt.
fachende Darstellungen, die unter dem Blick- sobald die Töne erklingen und daß die Luft viel
winkel moderner, normierter Orchesterinstru- schneller entweichen kann, wenn noch nichts
mente die Vielfalt der Volksinstrumente zu tont, ist in der Regel nicht richtig klar, auch vie-
erklären versuchen, wobei dann meist eine len Dudelsackspielern nicht. Messungen, die ich
Reihe von Problemen des folkloristischen Instru mit dem Physiker Dr. H. Düsterhöft in Berlin
mentariums nicht deutlich werden - und bei durchgeführt habe, ergaben, daß der Luftver
einer solchen Optik ja auch nicht unbedingt be brauch im Dudelsack sich bis zu 2/3 reduzieren
dacht zu werden brauchen. Für unsere Proble- kann, sobald es richtig dudelt.
matik ist zunächst eine ganz elementare Frage Es ist also gerade das Gegenteil dessen der
zu bedenken: Warum gibt es eigentlich nur Du- Fall, was der Laie annehmen wird. Erst wenn's
delsäcke mit solchen spezifischen Tongenerato- richtig klingt, kann man sich ausruhen. Dem Du-
ren wie einfaches und doppeltes Rohrblatt bzw. delsackspieler geht es hier also ganz anders als
anders gesagt - wie ja oft formuliert wird - mit sonst den Bläsern unter den Musikanten.
aufschlagendem und >gegenschlagenden< Zun-
gen? Der aufmerksame Leser wird sofort mer-
Also: Dudelsäcke funktionieren mit diesen Ton
ken, daß hier bereits eine zweite Fragestellung
generatoren - und nur mit diesen - deshalb so
impliziert ist, nämlich: Sind diese benutzten Be-
gut, weil diese neben der Tonerzeugung eben
zeichnungen bzw. Beschreibungen der Tonge-
auch als Reduzierventile wirken; sonst wäre die
neratoren eigentlich exakt, richtig, objektiv; ent-
Luft ja allzu schnell wieder aus dem Sack bzw.
halten sie nicht Irreführendes und allzusehr Ver-
man müßte extrem vorsichtig drücken und
einfachendes? Darauf ist zurückzukommen.
einen exakt gleichmäßigen Druck erzeugen kön-
Doch zunächst zurück zur ersten Frage. nen. Um also einen >Flöten Dudelsack< zu reali-
Warum kommen Flöten oder etwa Hörner und sieren - theoretisch wäre das ja durchaus mög-
Trompeten bei Dudelsäcken nicht vor? Die Flöte lich - müßte man für Luftdruck und Luftmenge
könnte in ihrer Form als Labialflöte ja immerhin zusätzliche raffinierte Reduzier- und Regelvor-
auch an einen Dudelsack angeschlossen wer richtungen installieren und könnte sich mit so
den (bei Kesselmundstücken wäre das schon einem Instrument dann auch die Mühe des Um-
viel komplizierter!). Ich denke, daß die Antwort gangs mit den schwierig zu behandelnden Rohr
weniger auf dem Gebiet der Akustik zu suchen blättern ersparen. Dudelsackspieler nehmen
ist, sondern eher darin besteht, daß die Tonge- aber gerade diese Mühe auf sich, haben dafür
neratoren von Dudelsäcken eine ganz spezifi ihren spezifischen >Rohrblattk!ang< und können
sehe physikalische Eigenschaft haben. Sie kön- sich außerdem — wenn die Rohrblätter gut ge-
nen als ziemlich exakte Reduzierventile funktio lungen sind - auch auf die sichere Hilfe ihrer
nieren, welche die durchströmende Luftmenge Reduzierventile im Sack verlassen.
pro Zeiteinheit recht genau regulieren. Diese
Funktion realisiert sich gerade dann, wenn der
Was hat dies alles nun mit den verschiedenen
Ton erklingt. Daß ein Ton erklingt, ist so be
Arten von Tongeneratoren des Dudelsacks (ein-
trachtet - ein Nebenergebnis der Reduzierven
fach — doppelt; bzw. >aufschlagend< - >gegen-
lilfunktion. und dieser kann dann durchaus als
schlagend<) zu tun? Ich denke, daß die einfa-
Anzeige bzw. als Meßwert für die Realisierung
chen Rohrblätter in der Regel wirkungsvolle,
und Aufrechterhaltung der Ventilfunktion ge
aber nicht sonderlich stabile Reduzierventile
nutzt werden Wenn der Ton erklingt, arbeitet
sind - bei den doppelten verhält es sich eher
das Reduzierelement in seiner Funktion; so-
umgekehrt. Das ist für das Verständnis ihrer un-
lange die Tonfrequenz stabil bleibt, wird ange
terschiedlichen Funktionsweise und damit auch
zeigt, daß es auch stabil wirkt So könnte es je-
ihrer weiteren Vor- und Nachteile sehr wichtig.
denfalls ein Techniker betrachten. Musikanten
Aber inzwischen sind doch einige korrigierende
sehen die Sache freilich anders und hören auf
Bedenken zu den üblicherweise verwendeten
den Ton. ohne daran denken zu müssen, was er
Bezeichnungen angebracht.
uns über die Stabilität der Reduktion mitteilen
kann. Es ist leicht möglich, sich dieses Problem
zu vergegenwärtigen, wenn man bedenkt, wie Die Bezeichnung >einfache aufschlagende
hilflos sich manche Anfänger am Dudelsack ver Zunge< legt nahe, daß dieses Prinzip primitiver
halten. Er wird mit gewaltigen Lungenzügen auf- als das des Doppelrohrblattes ist und daß die
geblasen und dann vorsichtig gedrückt, und Zunge zur Bildung des Tones bei Erzeugung der
Schwingung bzw. eines Impulses jeweils immer
14
Problematik dei Tonerzeugung

auf die unter ihr befindliche Kammer aufschla- daß diese Öffnung bzw. der entsprechende
g e n müßte. Dies ist aber keineswegs eine rich- Luftkanal durch >gegeneinanderschlagen< der
tige Vorstellung. Um die zwischen Zunge und beiden Halbmembranen jeweils geschlossen
Bahnöffnung der Kammer hindurchströmende werden muß. Der Ton entsteht durch koordi-
Luft in Schwingung zu versetzen, kann auch nierte Oszillation der beiden Halbmembranen.
eine oszillierende Bewegung der Zunge unmit- Damit entsteht auch eine spezifische Sperr- und
telbar über der Öffnung ausreichen, bei der Reduzierwirkung im Luftkanal, der natürlich im
diese Öffnung zwischen Zunge und Bahn kei- Zustand der Schwingungslosigkeit die Luft un-
neswegs immer durch Aufschlagen der Zunge gehinderter hindurchlassen kann als nach Ent
vollständig geschlossen werden muß, sondern stehung des Tones.
jeweils nur verkleinert und vergrößert wird. Wenn man diesen Überlegungen folgt, wird
Noch weniger passend ist die Vorstellung, deutlicher, inwiefern das einfache Rohrblatt so-
das Doppelrohrblatt bestehe immer aus >gegen- wohl als Reduzierventil, als auch hinsichtlich
einanderschlagenden Zungen<. Dies wäre nur der Erzeugung genauer Töne in den verschiede-
zutreffend, wenn die beiden gegenüberliegen- nen Bereichen der geforderten Melodieskala
den Blatteile in Ruhestellung auch seitlich aus- oftmals nicht ganz so sicher und stabil funktio-
einanderklaffen würden, um dann als Zungen niert wie das Doppelrohrblatt. Da es sich hier
beim Anblasen wirklich gegeneinanderzuschla- tatsächlich über dem Luftkanal um eine frei-
gen. Tatsächlich ist ja auf diese Weise eine Ton schwingende Zunge handelt, die ja den Luftstrom
erzeugung möglich, und man kann auch ein ton- nicht nur von vorne, sondern auch an beiden
erzeugendes Element (einen Tongenerator) her- Seiten einläßt, sind die Verhältnisse hinsichtlich
stellen, welches mit zwei gegenüberliegenden Druck und durchströmender Luftmenge viel we-
einfachen Zungen funktioniert. Dazu genügt es. niger klar. Die einfache Zunge kann zudem viel
auf beiden Seiten eines Schilfrohres zwei freier nach beiden Seiten ihrer justierten Posi
gleichartige gegenüberliegende einfache Zun- tion ausschwingen, was den gewölbten Halb-
gen in bestimmter Weise herauszuspalten. Bei membranen des Doppelrohrblattes, die ja viel
der Verwendung von Doppelrohrblättern in Du- fester gegeneinander justiert sind, nicht so
delsäcken wird nun gerade ein derartiges seitli- leicht möglich ist. Daraus ergibt sich auch, daß
ches Auseinanderklaffen der beiden Blatthälf- der Bereich des Luftkanals, in dem wesentlich
ten prinzipiell vermieden. die Luftschwingungen produziert werden, beim
einfachen Rohrblatt weniger leicht festzulegen
ist als beim Doppelrohrblatt. Die einströmende
Doppelrohrblätter, die seitlich geöffnet sind, und hindurchströmende Luft wird weniger ge-
bringen merkliche Unsicherheiten in der An- nau kanalisiert, sie hat hier viel mehr Auswetch-
sprache des Tones und der Intonation der Skala möglichkeiten. Es entstehen gewisse Turbulen-
der Melodiepfeife mit sich. Für eine mit Lippen- zen. zumal dann, wenn der Druck auf den Sack
druck geblasene. Schalmei sind solche seitlich verändert wird. Gerade der Bereich des Luftka
geöffneten Doppelrohrblätter allerdings weni nals, in welchem dem Luftstrom die Schwingun-
ger problematisch, da sie durch den Ansatz des gen der Zunge auf moduliert werden, ist nicht so
Bläsers stets korrigiert werden können. Sie kön- exakt abgeschlossen und genau umrissen wie
nen dabei sogar für die Tonbildung und Gestal- beim Doppelrohrblatt.
tung des Schalmeienspiels reizvoll sein und
dementsprechend vielleicht auch als doppelte. Wenn man außerdem weiß, daß die Einzel-
gegeneinanderschlagende Zungen interpretiert zunge in der Regel viel labiler, beweglicher und
werden. Ein exakt funktionierendes Doppelrohr- druckanfälliger ist als die festsitzenden Halb
blatt für Dudelsack sollte meiner Meinung nach membranen des Doppelrohrblattes, wird deut-
jedoch keinesfalls als >gegenschlagende< oder lich, daß das einfache Rohrblatt im Vergleich
>doppelte Zunget interpretiert, sondern eher als mit dem doppelten gewisse prinzipielle Nach-
ein System mit zwei fest gegenüberliegenden teile haben kann. Das ist vielleicht auch der
Halbmembranen verstanden werden, welches Grund dafür, daß es bislang keinen Dudelsack
im wesentlichen beim Schwingungsvorgang nur und auch kein Windkapselinstrument gibt, wel-
die obere Öffnung des Doppelrohrblattes und ches - etwa wie ein Saxophon - mit einem
den durch die beiden Halbmembranen um- Einzelrohrblatt Tongenerator auf einer konisch
schlossenen Luftkanai verkleinert und verengt gebohrten Melodiepfeife sicher in die Oktave
und dementsprechend die zwischen ihnen hin- überblasen werden kann. Bei konischen Pfeifen
durchströmende Luft in Schwingungen versetzt. mit Doppelrohrblatt ist diese Möglichkeit ja
Auch hier wäre es wenig sinnvoll anzunehmen, prinzipiell realisiert und findet sich perfekt auf
15
Problematik der Tonerzeugung

der Irish-Union-Pipe. Beim einfachen Rohrblatt rohrblatt, exakte Bohrung und entsprechend
ist dafür wohl doch der alle beschriebenen Kon- entwickelte Klappenmechanik wären erforder-
flikte bewältigende Lippendruck des Bläsers lich. Ich sehe keinen prinzipiellen Grund, warum
und ein dementsprechend konstruiertes Mund- dies nicht realisierbar sein sollte, obwohl es die
stück erforderlich. Verwirklichung dieser Möglichkeit bislang nicht
gibt. Dies hängt aber mit einer bemerkenswer-
Man kann nun aber auch eine andere Frage stel- ten entwicklungsgeschichtlichen Besonderheit
len: Warum gibt es bei den Dudelsackpfeifen zusammen. Die Kombination von Doppelrohr-
eigentlich keinen Tongenerator, der aus einer blatt und zylindrischer Bohrung, die ja unter den
einzelnen Halbmembrane besteht? Also, sozu- Blasmusikinstrumenten schon vor hunderten
sagen ein )halbes Doppelrohrblatt<. Ich habe von Jahren ihre Triumphe am französischen Du-
derartige Tongeneratoren versuchsweise herge- delsack feiern konnte — es wurden wunder
stellt, was im Prinzip kein Problem ist, da man schöne, exakte Instrumente aus Elfenbein und
sich ja erst einmal genau an die eine Hälfte Silber gebaut, für die am französischen Hofe
eines Doppelrohrblattes halten kann und nun spezielle Kompositionen entstanden - wurde in
nur noch die innere Form des zweiten aus einem der weiteren Entwicklung der Musikinstrumente
kompakten, festen, nichtschwingenden Material nicht mehr so ernst genommen. Dieses Kombi-
herausarbeitet und dann mit der ersten Hälfte nationsprinzip wurde sozusagen >vergessen<.
entsprechend verbindet. Das erfordert natürlich Oder, wie man auch sagen könnte, es blieb in
Präzision, ergibt aber durchaus einen funktionie seiner Entwicklung bis auf den heutigen Tag an
renden Tongenerator, der in der Tonerzeugung bestimmte Dudelsäcke gefesselt, ohne sich von
dem Doppelrohrblatt ähnelt und keineswegs diesen bislang emanzipieren zu können. Viel-
den brummenden oder auch leicht schnarren leicht wird es dies auch nie mehr tun.
den Ton des Einfachzungenrohrblattes erzeugt.
Wir finden unter den modernen Orchesterin-
strumenten zwar die Oboe und die Klarinette so-
Aber es liegen eigentlich noch andere Fragen wie auch das Saxophon {welches manchmal als
hinsichtlich der akustischen und technischen Klarinette mit konischer Bohrung interpretiert
Ausnutzung der Rohrblattonerzeugung nahe. wird, aber ebenso als Oboe mit Klarinetten-
Wenn keine überblasbare >Saxophon-Pfeife< am mundstück verstanden werden kann), wir finden
Dudelsack vorkommt, kann natürlich auch ge- aber kein modernes entwickeltes Instrument,
fragt werden, warum keine sicher überblasbare das man etwa als Klarinette mit Doppelrohrblatt
)Klarinetten-Pfeife< - also zylindrische Bohrung ansehen könnte, obwohl auch dieses durchaus
und Einfachzungenrohrblatt — vorkommt. Es möglich wäre! Freilich hat es schon im Zusam-
bietet sich eine einfache Erklärung an: Wenn es menhang mit dem französischen Dudelsack Mu-
als Saxophon-Pfeife nicht klappt, wird es bei sette diverse Versuche und auch interessante
einer überzublasenden Klarinetten-Pfeife - die Entwicklungen gegeben, um den Tonumfang für
ja mit zylindrischer Bohrung nicht in die Oktave. das Melodiespiel zu erweitern, aber diese Ent-
sondern in die Duodezime überblasen müßte - wicklungen sind gerade an der hier besproche-
noch schwieriger sein. Die Probleme des Einzel- nen Möglichkeil genau vorbeigegangen. So
zungenrohrblattes wären im wesentlichen die wurde bei der Musette zunächst eine zweite,
gleichen, zusätzlich wären aber zur sinnvollen kurze, geschlossene Melodiepfeife angefügt.
Bewältigung des Duodezim-Überblasens noch auf der in der Höhe zusätzliche Töne eingeschal-
einige Klappen an der Spielpfeife erforderlich tet werden konnten, die auf der ersten Melo-
(worauf z. B. die Melodiepfeife der Irish-Union- diepfeife nicht mehr erreichbar waren. Das ist
Pipe mit ihrem hochkultivierten oktavierenden natürlich für einen Dudelsack eine elegante Lö-
Überblasen durchaus verzichten kann), ganz ab- sung (die später im Prinzip bei den sogenannten
gesehen davon, daß ohnehin das Überblasen in Regulators der Irish-Unions-Pipe, allerdings mit
die Duodezime selbst auf der modernen Klari- konischen Pfeifen, wieder auftaucht), weil damit
nette mehr Anforderungen an den Bläser stellt die Mensurverhältnisse, aber auch die Druckver-
als das Oktavieren beim Saxophon. hältnisse auf der ursprünglichen Melodiepfeife
kaum berührt wurden. Alles blieb eigentlich
Die Antwort auf diese Frage wird aber viel beim alten, es wurde nur ein zusätzliches >Re
problematischer, wenn man nach der Realisie serve-Melodiepfeifchen< mit zusätzlichem Dop
rungsmöglichkeit des Duodezimüberblasens bei pelrohrblatt angefügt. Anders ist die Weiterem
einer zylindrischen Dudelsackpfeife mit Doppel- wicklung bei der Northumbrian-Small-Pipe, die
rohrblatt fragt. Diese Möglichkeit müßte grund in gewisser Weise als ein Nachfolgeinstrument
sätzlich bestehen. Ein gut gearbeitetes Doppel-
16
Problematik der Tonerzeugung

der Musette angesehen werden kann, verlaufen. lich nicht >trotz, sondern >wegen< der moder-
Die Umfangserweiterungen erfolgten hier durch nen Klappenmechanik sagen, weil diese unter
Verlängerung der Melodiepfeife und Erweite- der Voraussetzung einer im Prinzip >offenen<
rung des Klappenmechanismus in Richtung auf Griffweise viel mehr in Richtung auf genaue
einen chromatisch spielbaren Tonumfang bis zu chromatische Skala und Überblassicherheit
zwei Oktaven. konstruiert ist.

Die dritte - theoretisch eigentlich auf der Hand Zusammenfassend kann also gesagt werden,
liegende — Möglichkeit, das Überblasen in die daß die Ausnutzungsmöglichkeiten des Doppel
Duodezime, welches prinzipiell auf einer kürze- rohrblattes in der Entwicklung der Blasinstru-
ren Pfeife und mit weniger Klappenaufwand mente noch lange nicht erschöpft sind. Einer
möglich gewesen wäre und zudem Möglichkei- seits könnten unter Ausnutzung modern konzi-
ten erschließt, die über den Umfang von zwei pierter Klappenmechanismen, in einer vom
Oktaven hinausreichen können, wurde nicht in Dudelsack emanzipierten Form, ganz neuartige
Angriff genommen. Dabei mag vielleicht auch mundgeblasene Instrumente realisiert werden,
eine Rolle gespielt haben, daß das Überblasen und andererseits könnte — ebenfalls unter Aus-
in die Duodezime doch einen ganz anderen nutzung moderner klappenmechanischer Mog
Klangcharakter ergibt; die auf diese Weise er- lichkeiten und technisch sicherer Druckregulie
zeugten Töne haben meist eine ganz neue >Re- rung - am Dudelsack selbst das Duodezim-
gister-Charakteristik<. Aufgrund der Gebunden- Überblasen kultiviert werden. Daß beides nicht
heit an den Dudelsack gibt es jedoch noch an- so leicht geschehen wird, hat wieder viele
dere naheliegende Erklärungen. Abgesehen Gründe, denn einerseits ist die industrielle Ent-
davon, daß ein allzugroßer Umfang und die wicklung des Musikinstrumentenbaus neben ob-
volle Chromatik auf der Melodiepfeife für den jektiven ökonomischen Zwängen gegenwärtig
Dudelsack als Borduninstrument ohnehin etwas auch sehr stark von dem Vorurteil beherrscht.
überspannt erscheinen kann, neigen erfahrene daß wesentliche (und >erfolgreiche<) Entwick-
(und qualifizierte) Dudelsackspieler meist zur lungen hier künftig vor allem im Zusammenhang
Zurückhaltung hinsichtlich starker Druckverän- mit Elektronik und Elektroakustik zu erhoffen
derung während des Spiels, da diese das Spiel sind, und andererseits verfügen gerade die Du-
auf der Melodiepfeife unbeweglicher machen delsackbauer oder andere Instrumentenbauin
würde und zudem die Stabilität der Borduntone teressenten (die nicht derartigen Zwängen und
in Frage stellt. Vorurteilen unterliegen) in der Regel nicht über
die technischen und technologischen Möglich
Derartige Druckveränderungen wären aber keiten derer, die solche Vorurteile gerade fest-
für das Überblasen zunächst erforderlich. schreiben und institutionalisieren. Und. zugege-
Außerdem ergibt sich aus der gedeckten Spiel- benermaßen, ist die Entwicklung von moderner
weise, die ja mit ihren spezifischen virtuosen Elektronik und Computertechnologie gegenwär
Möglichkeiten für die Northumbrian-Small-Pipe tig auch wichtiger für unsere Gesellschaft als
besonders charakteristisch ist, die logische For- etwa der Dudelsackbau. Vielleicht wird aber
derung, alle Töne, auch bei großen Intervall- später einmal irgendein hochkarätiges Compu
sprüngen. mit dem gleichen Spieldruck sicher tersystem die Testaufgabe erhalten, diese aku
erzeugen zu können. Und gerade das ist wieder stisch-technischen Möglichkeiten genau durch
eine dudelsackspezifische spieltechnische Be- zurechnen und technologisch zu programmie
sonderheit (die ja auch beim böhmischen Bock ren, denn das hier dargestellte Problem ist
hoch entwickelt ist. sich aber technisch am be möglicherweise als >Intelligenztest für Compu
sten bei Kombination von zylindrischer Bohrung ter< oder als entsprechende >Spielaufgabe< gut
und Doppelrohrblatt realisieren läßt). geeignet. Unter der Voraussetzung, daß die Ge
sellschaft über eine hohe Kapazität technolo-
In der Entwicklung der modernen Blasinstru-
gisch hochentwickelter und spielerisch einsetz
mente ist nun gerade diese >gedeckte Spiel-
barer Produktionsmöglichkeiten verfügt, könn-
weise< weitgehend verloren gegangen. Auf der
ten dann vielleicht auch ein paar solcher
modernen Klarinette oder auch der Oboe sind
neuartiger Doppelrohrblatt- bzw. Halbmem
die virtuosen, spieltechnischen Besonderheiten,
bran-lnstrumente ohne allzugroßen Aufwand in
die für die gedeckte Spielweise charakteristisch
guter Qualität hergestellt werden. Ich bin si-
sind, trotz der hochentwickelten Klappenmecha-
cher. daß diese in den Händen lebensfroher Mu
nik nicht möglich, wie etwa auf der Northum-
sikanten durchaus eine weitere Perspektive hät-
brian-Small-Pipe mit ihrer eher archaischen
Klappenanordnung. Genauer müßte man eigent-
17
Problematik der Tonerzeugung

ten und auch in spezifischer Weise stimulierend und erhält wunderbare (übrigens sehr >humme-
auf die Entwicklung musikantischer Spielfreu- lig< klingende) Borduntöne. Beim Stengel der
digkeit wirken könnten ... Pusteblume ist dazu ein einziger Handgriff nö
tig, beim Strohhalm schon eine etwas kompli-
Nach so viel Lobhudelei zum Doppelrohrbtatt ist ziertere Operation mit mehreren >Arbeitsgän-
es vielleicht angebracht, zu einer anfänglich auf- gen<. So einfach verhält es sich nun beim Einzel
geworfenen und seither nicht wieder gründlich zungenrohrblatt keineswegs. Es wird entwick-
aufgenommenen Fragestellung zurückzukehren. lungsgeschichtlich viel später in Gebrauch
Ist das sogenannte >einfache Rohrblatt< (ich gekommen sein, denn zu seiner Herstellung
habe im Text ja schon deutlich werden lassen, sind bereits Werkzeuge erforderlich. Die Wahr-
daß ich dieses lieber >Einzelzungentongenera- scheinlichkeit des Zufalls bei der allerorten und
tor< nennen würde) eigentlich das einfachere immer wieder möglichen spielerischen Entdek-
und primitivere gegenüber dem Doppelrohr- kung eines Doppelrohrblatt-Tones ist bei dem
blatt? Einzelzungenrohrblatt weitaus geringer. Seine
Tonerzeugung entspricht schon viel mehr einer
Diese Frage kann man, wie viele andere un- >Erfindung<. Außerdem ist es hinsichtlich des
glücklich gestellten Fragen, mit einem sehr Prinzips der Tonerzeugung keineswegs einfa-
schönen >Jein< beantworten. 8esser für das Ver- cher als das Doppelrohrblatt, weil es eben kein
ständnis der Problematik wäre zunächst viel- übersichtlicher und einfacher, sondern ein sehr
leicht die Frage, welcher von beiden Tongenera- problematischer Tongenerator ist. Aber es ist in
toren entwicklungsgeschichtlich älter ist. Oder, der Form, in der es bis heute in Dudelsäcken
um der geschickt gestellten Frage noch eine un- vorkommt, doch primitiver hinsichtlich Techno-
geschickt gestellte beizugeben, die sich (wie die logie und Präzision der Herstellung und Verar-
meisten Trivialisierungen) schön mit ja oder beitung als vergleichbare Doppelrohrblätter.
nein beantworten läßt: Hat sich das Doppelrohr- Ebenso kann man natürlich auch sagen, daß es
blatt aus dem einfachen Rohrblatt entwickelt? mehr in den weniger entwickelten Dudelsäcken
Eigentlich zeigen die bisherigen Ausführungen vorkommt, wogegen das Doppelrohrblatt vor-
schon, daß letzteres nicht der Fall ist. Beides nehmlich in den komplizierteren und perfekte-
sind weitgehend unabhängige akustische Mög- ren Dudelsackinstrumenten verwendet wird. In-
lichkeiten, die jeweils ihre eigene Entstehung haltreichere Antworten auf die gestellten Fra-
und Entwicklung haben und die der Mensch gen ergeben sich aber viel eher aus einem
schon lange für Musik genutzt hat. Verblüffend besseren Verständnis der jeweiligen Entwick-
mag manchem aber scheinen, daß man recht si- lungsgeschichte dieser Tonerzeuger.
cher sagen kann, daß das Doppelrohrblatt im
Prinzip das geschichtlich ältere ist. Es ist in ge
wissem Sinne auch das einfachere, und zwar in Am Anfang der Entwicklung des Doppelrohr-
zweifacher Hinsicht. blattes stand möglicherweise ein fast werkzeug-
loses Knicken, Drücken, Pressen, Binden, Bie-
gen, Anfeuchten, Trocknen usw. Zunächst war
Erstens vereinfacht es die Verhältnisse der es vielleicht wirklich nur so etwas wie ein an
Schwingungserzeugung (freilich auf der Grund- einem Ende zusammengedrückter Blumensten-
lage einer oft sehr komplizierten und inzwischen gel. In der weiteren Entwicklung wurde dann
auch technologisch verfeinerten Herstellung) der eigentlich schwingungserzeugende Teil
und zweitens ist es im Prinzip in seiner Grund- mehr von der Stengelröhre getrennt, unterhalb
form aus einfach strukturierten, in der Natur un- der beiden Halbmembranen (die zunächst noch
mittelbar vorliegenden Materialien ganz einfach an den seitlichen Knickstellen ungetrennt ge-
durch jedes Kind mit bloßen Händen, ohne jegli- blieben sein konnten) verengend eingebunden
ches Werkzeug, herstellbar. Man kann - Kinder und auf ein festes Röhrchen gesteckt. Dieses
tun es allenthalben bis auf den heutigen Tag - wurde dann später (meist aus Metall gefertigt)
die entleerte, halbierte und leicht flachge- zum festen Bestandteil, indem es am unteren
drückte Schote bestimmter Leguminosen-Ge- Teil der beiden Halbmembranen, die inzwischen
wächse ganz unproblematisch als Doppelrohr jeweils aus zwei getrennten Teilen bestehen,
blatt benutzen, um darauf zu fiepen. Das glei- fest eingelassen und sicher angebunden wurde.
che kann man mit einem an einem Ende Beim Fagott finden wir noch heute diese beiden
geschickt zusammengedrückten Teil eines zusammengefügten Halbmembranen ohne ein-
Strohhalms oder, noch leichter, mit dem Sten- gebundene Röhre - das Fagottrohrblatt muß
gel der bei Kindern auch aus anderen Gründen auf das Instrument aufgesteckt werden. Bei der
beliebten >Pusteblume< des Löwenzahns tun Oboe finden wir es in seiner bislang vollendet-
18
Problematik der Tonerzeugung

sten Form mit einem fest eingebundenen präzi- und dann in nachregulierbarer Weise auf die
sen konischen Messingröhrchen, wobei noch Bahnöffnung einer seitlich geöffneten Hülse
eine aus Draht gefertigte Umwicklung am un- aufgebunden werden konnte. Diese Hülse ließ
teren Teil der Halbmembranen, die sogenannte sich nun auch genauer herstellen, die Bohrung
Zwinge, vorkommen kann. Damit kann durch (der Innendurchmesser), die Öffnung und gege-
Zu- oder Aufbiegen (im Extremfall auch durch benenfalls der Bahnwinkel konnten standardi-
Verschieben) noch nach der Fertigstellung des siert und für stets neue Einzelzungen verwen-
Doppelrohrblattes der feste Sitz und die Span- det werden. Wir finden eine derartige Zunge
nung der beiden Halbmembranen sowie die auch in der modernen Orgel, wo sie, ähnlich wie
Größe der Öffnung zwischen ihnen nachregu- bei Bordunpfeifen am Dudelsack, jeweils nur
liert werden. Diese Zwinge empfiehlt sich inso- zur Erzeugung eines einzelnen Tones auf einer
fern vor allem für die Benutzung in der Wind- Pfeife verwendet wird. Sie ist hier, wie bei ihren
kapsel bzw. im Dudelsack, ist aber weder dort, unmittelbaren Verwandten, der >durchschwin-
noch bei der Oboe obligatorisch. Das Doppel genden Zunge< oder der >freischwingenden
rohrblatt wurde also sowohl in der Entwicklung Zunge< aus Metall gefertigt.
moderner Blasinstrumente, als auch in der Ver-
Am konsequentesten erfolgte diese Entwick-
wendung für den Dudelsack ständig sehr ernst
lung unserer Einzelrohrblattzunge aber am Klari-
genommen und weiterentwickelt.
netten- bzw. späteren Saxophon-Mundstück.
Da sieht die bisherige Geschichte des Einzel- Hier zeigt sich jedoch wieder deutlich ein we-
zungenrohrblattes vergleichsweise doch ärmer sentlicher Unterschied in der Entwicklung von
und einfacher aus, obwohl seine Entstehung ein Einzelzungen- und Doppelrohrblatt. Letzteres
viel späterer und komplizierterer Prozeß ist. Am läßt sich in seiner hochentwickelten Form —
Anfang seiner Entwicklung stand wahrschein- etwa auf der Oboe - durchaus direkt auf den
lich schon ein messerartiges Werkzeug. Ein Dudelsack und die Schalmei mit Windkapsel zu-
Stück festes Rohrmaterial (etwa Schilf) mußte rückübertragen. Auf einer Oboe kann man auch
an einem Wachstumsknoten abgeschnitten und noch einigermaßen weiterspielen, wenn man
dieser dann verschlossen werden. Danach das Rohrblatt >dudelsackartig< frei in der Mund-
wurde in dessen Nähe eine Kerbe bzw. ein höhle (also wie in einer Windkapsel) anbläst.
Quer-Einschnitt angebracht, um die Zunge aus Auf der Klarinette ist dies keineswegs so kon-
dem Material längs herausspalten zu können. fliktfrei möglich, und es wäre ein reines Unding,
Das kann auf zweierlei Art geschehen: entweder wollte man etwa ein modernes Klarinetten-
in unmittelbarer Nähe des Wachstumsknotens, mundstück unmittelbar als Tongenerator für
so daß sich der Zungenspalt in Richtung des eine Melodie- oder Bordunpfeife auf dem Du-
Rohrmaterials entwickelt und die Länge der delsack benutzen. So ist auch zu verstehen, daß
Zunge beliebig vergrößert werden kann - oder bis heute das Einzelzungenrohrblatt in vielen
in einiger Entfernung vom Wachstumsknoten, Dudelsäcken durchaus noch in einer Form vor-
so daß die herausgespaltene Zunge am Wachs- kommt, die sich von seiner ursprünglichen Ge-
tumsknoten enden muß. Beide Arten haben so- stalt nur wenig entfernt hat. Am besten entwik-
wohl in der Herstellung als auch in der Verwen- kelt wurde es für den Dudelsack vielleicht beim
dung ihre jeweiligen Vor- und Nachteile; die zu- böhmischen Bock, wo die Möglichkeiten der ex-
erst geschilderte wird jedoch häufiger verwen- akten Bearbeitung der Metallhülse und des ent-
det. Die weitere Entwicklung konzentrierte sich sprechenden Zungenblattes gut genutzt wer-
wohl zunächst auf eine verfeinerte Bearbeitung den. Das Einzelzungenrohrblatt hat also gerade
der Zunge. Eine Trennung des oberen schwin- am Dudelsack eine vergleichsweise ärmere Ent-
genden Teils eines derartig zurecht geschnitte- wicklung als das Doppelrohrblatt. Vielleicht
nen Schilfrohres, welches, da es sich um festes, kann man noch hinzufügen, daß es - wenn man
haltbares Material handelt, unmittelbar als zylin- nicht nur an seine Verwendung im Dudelsack
drisches Pfeifenrohr geeignet ist, erfolgte in der denkt - allerdings bedeutende, hochinteres-
Entwicklung des Einzelzungenrohrblattes wahr- sante direkte Verwandte in der Musik hat, wie
scheinlich zögernder als beim Doppelrohrblatt, etwa die in einem Rahmen durchschwingenden
für dessen Herstellung zunächst mehr weiches Zungen (Maultrommel, Harmonica etc.) oder
und flexibleres Rohrmaterial in Frage kam. Nach- auch - viel entfernter — einfache, einseitig befe-
dem diese Trennung erfolgte, ergab sich (histo- stigte Zungen (die etwa bei Spieluhren zu hoher
risch aber wohl erst viel später) dann auch die Bedeutung gelangt sind, aber auch bei moder
technologische Verselbständigung der Zunge, nen elektromagnetischen Instrumenten ange-
die als Einzelteil hergestellt, besser bearbeitet wendet werden können); ganz zu schweigen
19
Problematik der Tonerzeugung

von einem ziemlich unmusikalischen Verwand- vor er sich daran macht, die Rohrblätter für sein
ten, dem einfachen technischen Klappenventil, Instrument zu basteln. Wahrscheinlich hätte ein
in das sich unser Einzelzungenrohrblatt ja gerne Hümmelchen mit Einzelzungenrohrblatt auch
verwandelt, wenn plötzlich ein zu hoher Druck seine unbestreitbare Spezifik und entspre-
einwirkt und seine Reduzierventileigenschaften chende Vorteile in Herstellung und Gebrauch.
überfordert werden, was uns bei solcherart be- Der Hauptvorteil eines solchen Instrumentes
stückten Pfeifen sofort auffällt, wenn der Ton mit Doppelrohrblatt liegt aber, neben den eini-
ausfällt und keine Luft mehr entweicht. Beim germaßen überschaubaren attraktiven akusti-
Doppelrohrblatt fallen mir hingegen keine direk- schen und spieltechnischen Möglichkeiten, vor
ten Verwandten ein, höchstens sehr entfernt - allem darin, daß hier ein zwar zunächst techno-
vielleicht die Tonerzeugung auf Kesselmund- logisch etwas schwierigerer Weg gegangen
stücken. Freilich kann es sich auch zum schlie- wird — das entsprechende Doppelrohrblatt ist ja
ßenden Ventil verwandeln, wenn es zu locker kompliziert in der Herstellung -, der dann aber
gearbeitet ist. ein Minimum der für das künftige Zurechtma-
chen und Einstimmen des Instrumentes zu be-
Das Einzelzungenrohrblatt ist aber keines- wältigenden Probleme garantiert.
wegs einfach primitiver als das Doppelrohrblatt.
Es ist vielmehr problematischer und, durchaus Die Herstellung und Verwendung des Doppel-
wörtlich gemeint, unberechenbarer. Um den rohrblattes ist hier ein schönes Trivial-Beispiel
Unterschied zwischen beiden vielleicht in einem für das Wirken des Gesetzes der Ökonomie der
aphoristischen Vergleich auszudrücken, könnte Zeit. Indem ich zunächst in einen schwierigen
man sagen, daß es ein selbstgezeugtes Pro- Produktionsprozeß viel Zeit investiere, kann ich
blemkind ist, in dessen Entwicklung aber auf- später viel mehr sparen, als anfänglich inve-
grund vieler enttäuschender Erfahrungen später stiert wurde. Oder, um das gleiche Problem we-
nicht mehr so intensiv investiert wurde. Es kann niger >Ökonomisch< auszudrücken (der ökonomi-
mit seinen Eigenarten zwar immer wieder faszi- sche Blickwinkel kann ja sehr leicht ganz einsei-
nieren, und das wilde Kind findet auch immer tig und borniert werden - nicht nur, wenn es um
wieder Spielkameraden, wird aber doch von vie- Musik geht): Wir gehen am Anfang bewußt
len nicht so recht verstanden und keineswegs einen unbequemen Weg über Hügel, durch Tä-
immer geliebt und geachtet. Hingegen mutet ler und durch viel Dickicht, um dann sicher das
das Doppelrohrblatt als hochgeachtetes, zuver- freie Feld vieler Möglichkeiten und die gerade
lässiges, artiges und leicht zu zivilisierendes Fin- Straße, die zu einem sicheren Dudelsack führt,
delkind an, auf das die Adoptiveltern stolz sind, zu erreichen. Mit dem Einzelzungenrohrblatt
ihm die beste Ausbildung angedeihen ließen, so können wir uns zwar zunächst am Dickicht der
daß es ein Spezialist, Perfektionist und Einzel detaillierten Doppelrohrblattherstellung vorbei-
gänger geworden ist, dessen naturwüchsige schlängeln, erreichen aber kaum freies Feld,
Herkunft kaum noch zu erkennen ist, wenn es keine gerade Straße und keinen so zuverlässi-
uns hochkultiviert, in Samt gekleidet und mit gen Dudelsack, sondern geraten bei seiner Ein-
Ebenholz, Elfenbein und Silber geschmückt, be- stimmung und Verwendung dann immer wieder
gegnet. Gerade eine solche Karriere ist vielen ganz leicht auf's neue in den viel unüberschau-
Vertretern des Einzelzungenrohrblattes beim bareren Dschungel der Neuherstellung, Zurecht-
Dudelsack bis auf den heutigen Tag nicht ge- machung und Einrichtung der Einzelzungenrohr-
glückt. Viele von ihnen laufen immer noch glatt blätter sowie der ständigen Veränderung bzw.
in Lumpen oder mit Tierfellen bekleidet herum Neuregulierung der Mensur auf der Spielpfeife.
und werden folglich, entsprechend einem sehr Außerdem geraten wir immer wieder in den
typischen Mechanismus der Vorurteilsbildung, Sumpf des ständigen Ärgers über Unsicherhei-
von Mitläufern zivilisatorischer Entwicklungen ten in Stimmung und Tonerzeugung unseres In-
für primitiv gehalten. Sie haben aber vielleicht strumentes.
doch noch eine weitere interessante Entwick-
lung vor sich, wohingegen die Entwicklung des
Doppelrohrblattes heute schon weit eher als ab-
Ganz abgesehen davon, ermöglicht das Dop
geschlossen (wenn auch nicht als ganz ausge-
pelrohrblatt eben auch ein zierlicheres, kleine-
schöpft) gelten kann.
res und feiner gebautes Instrument, also keine
dicke Hummel, sondern ein >Hümmelchen<. Als
Einzelzungenrohrblatt Instrument wäre ja schon
Ein Hümmelchen-Selbsthersteller kann sich dies ein größerer Durchmesser der Melodiepfeife
alles nochmal durch den Kopf gehen lassen, be- und wahrscheinlich auch mehr Luft erforderlich.
20
Herstellung der Teile

Teil II

H e r s t e l l u n g der T e i l e einer Wandstärke nicht stärker als 0,5 mm so-


f ü r ein H ü m m e l c h e n wie Silberstahl-Rundmatertal von 4 mm Durch-
messer.
Die Fagottrohrblätter sind zuweilen im Musik-
Doppelrohrblatt handel erhältlich; ansonsten muß man sie sich
über einen Fagottisten besorgen. Die Metallröh-
Die Doppelrohrblätter sind die wichtigsten und ren und das Stahl-Rundmaterial sind in Eisen-
empfindlichsten Teile unseres Dudelsäckchens. warenläden oder bei Bastlerbedarf erhältlich.
Außerdem ist ihre Herstellung vielleicht die Wenn kein Silberstahl-Material zu bekommen
schwierigste Hürde, die auf dem Weg zu einem ist, eignet sich auch entsprechender Schweiß
eigenen, selbstgebauten Dudelsack überwun- draht oder ähnliches; falls kein Röhrenmaterial
den werden muß. Wer sich dabei besondere erhältlich ist, müssen entsprechende Röhrchen
Schwierigkeiten zutraut, kann sogar versuchen, für die Blätter selbst aus Messingblech zurecht-
sich Doppelrohrblätter in allen Teilen von An- geschnitten und gebogen werden. Vom Stahl-
fang an selbst herzustellen. Dazu wäre es am rundmaterial sollte gleich etwas mehr besorgt
günstigsten, die entsprechende Anleitung zur werden, weil wir es später auch zum Bohren der
Blattherstellung aus der Bauanleitung für North- Melodie- und Bordunpfeifen gebrauchen kön-
umbrianSmall-Pipe 3 zugrunde zu legen. Es nen.
müßten dann aber auch die Herstellung bzw.
Außerdem benötigen wir für die Blattherstel-
Anschaffung entsprechender Spezialwerkzeuge
lung noch Messing- oder Kupferdraht (etwa
und Materialien ins Auge gefaßt werden. Man
0,4 — 0,7 mm Durchmesser sind möglich), Zwirn,
hätte damit allerdings auch die Möglichkeit, mit
Chemikalkleber oder anderen, einigermaßen fle-
verschiedenen Holzarten zu experimentieren.
xibel bleibenden, wasserfesten Klebstoff, ein
Normalerweise wird dabei das sogenannte
scharfes Messer (möglichst mit gerader
>Spanische Rohr< (arundo donax) verwendet.
Schneide) sowie eine Schere und eine feine
Ich habe aber auch mit anderem Material, z. B.
Flachzange.
Holunder oder auch Weidenästen mit entspre-
chendem Durchmesser gute Ergebnisse erzielt, Man sollte wirklich mindestens fünf Fagott-
und gerade unter den Spielern der Northum- rohre besorgt haben, da bei der Blattherstellung
brian Small Pipe in England gibt es einige Ex auch Ausschuß anfällt und wir immerhin drei
perten. die für die Herstellung ihrer Melodiepfei gelungene Rohrblätter für unser Instrument be-
fen-Doppelrohrblätter am liebsten das Holz der nötigen. Die Fagottrohre werden zunächst vor
gewöhnlichen Weide verwenden, um einen be sichtig auseinandergenommen und mindestens
sonderen Klang zu erzielen. eine halbe Stunde in Wasser gelegt. Die jeweils
zusammengehörigen Halbmembranen werden
Ich möchte aber zunächst vorschlagen, die dabei entsprechend gekennzeichnet oder auch
Sache doch leichter zu nehmen und sich eine locker zusammengebunden. Inzwischen können
Handvoll fertig gearbeiteter Fagottrohrblatter zu andere Arbeitsgänge erfolgen - die Reihenfolge
besorgen. Das hat den Vorteil, daß uns der Fa ist dabei beliebig.
gottrohr Hersteller schon eine Menge Arbeit ab- 1. Herstellung der Schablone entsprechend der
genommen hat. Mit den gekauften Fagottrohren Zeichnung. Dafür eignet sich dünnes Blech. vgl.Abb 2
verfügen wir über das entsprechende Blattma- Die Schablone sollte sehr genau gearbeitet S 39
terial, welches bereits für unsere Zwecke gün- sein, denn sie wird künftig immer wieder für
stig zugeschnitten ist und mit sehr komplizier- das exakte, maßhaltige Zuschneiden der bei-
ten Werkzeugen bearbeitet wurde. Wir benöti- den Rohrblatthälften verwendet, damit alle
gen außerdem Messing oder Aluminiumrohr selbsthergestellten Blätter die gleichen Maße
mit einem Innendurchmesser von 4 mm und haben. Das ist wichtig, um im Laufe der Zeit

3 The Northumbrian Bagpipes by WA Cocks. F S A (Scot i J " d


J f. Society. Newcasile upon Tyne 1975
21
Herstellung der Teile

sichere Erfahrungen sammeln zu können. Erst kungsgleich übereinander geschoben und vor-
wer solche Erfahrungen hat und dann zu einer sichtig, ohne große Spannung am oberen Teil
anderen Meinung kommt, sollte die Maße der mit einigen Fadenwicklungen zusammengebun-
Blätter gegebenenfalls verändern und weiter den.
experimentieren. Das soweit hergerichtete Rohrblatt kann nun
2. Herstellung eines genau gearbeiteten Arbeits- zum Trocknen des Klebstoffs einige Zeit liegen.
Abb.9 dorns für die Blatthülse laut Zeichnung. Für Anschließend müssen die Blatthälften auf das
S.41
diesen Arbeitsdorn gilt das gleiche wie für die Röhrchen fest aufgebunden werden, wozu es
Schablone. Er garantiert, daß alle Hülsen, die auf den Arbeitsdorn gesteckt wird und auf diese
künftig hergestellt werden, weitestgehend die Weise sicher festgehalten werden kann. Der Be-
gleichen Maße haben und dient uns später reich, auf den später die Fadenwicklung ent-
zum Festhalten bei der Blattbearbeitung. sprechend der Zeichnung aufgebunden wird, Abb. 4
3. Herstellung mehrerer Metallrohrhülsen ent- sollte nun nochmals dünn Leim erhalten, den S.39

Abb.3 sprechend der Zeichnung. Diese werden nach man nur kurz antrocknen läßt. Die Fadenwick-
S. 39 lung beginnt am Metallröhrchen, wo zuerst eine
dem Absägen und Abfeilen genau auf den Ar-
Schlinge zum Festmachen des Fadens gelegt
beitsdorn aufgesteckt und mit einer Flach-
wird. Dann werden die spitz auslaufenden Teile
zange flachgedrückt, so daß sie entsprechend
der beiden Blatthälften, die man zuvor mit dem
dem Maß des Arbeitsdorns geformt werden.
Messer flach geschnitten hat, fest und mit
Außerdem werden die flachgedrückten Sei-
Spannung auf das Röhrchen gebunden. Der Fa-
ten anschließend mit einer Feile abgearbeitet,
den wird dabei auch von der aufgetragenen Leim-
wonach das ganze Röhrchen entgratet wird.
schicht gut festgehalten. Schon hier muß deut-
Alle Röhrchen sollten möglichst gleiche Maße
lich darauf geachtet werden, daß die beiden
haben. Die glattgefeilten Seitenflächen der
Blatthälften genau deckungsgleich bleiben und
Röhrchen werden dünn mit Chemikalkleber
sich auch ihre Position am Röhrchen (immer
bestrichen, und die Röhrchen können dann
wieder die Zeichnung beachten!) nicht ändert.
zum Trocknen beiseite gelegt werden. Wir
Abb. 5
brauchen sie wieder, wenn wir die gewässer-
Es folgt nun Fadenwicklung auf Fadenwick S.39
ten Halbmembranen getrocknet und zuge-
lung dicht nebeneinander in Richtung der Blatt-
schnitten haben.
flächen, wobei die Spannung beim Binden lang-
Die aus dem Wasser genommenen Fagottrohr-
sam nachgelassen werden muß. Die beiden
teile müssen beim Trocknen etwas flach ge-
Blatthälften dürfen sich durch die Spannung der
drückt werden, damit sie bei der weiteren Bear-
Wicklung nicht aufbiegen. Die unmittelbar auf-
beitung nicht so leicht knicken. Sind sie getrock-
einanderliegenden Fadenwicklungen müssen
net, so werden sie, immer zu gleichen Paaren,
das Blatt seitlich luftdicht verschließen. Bei der
mit ihrer jeweiligen Innenseite deckungsgleich
letzten Fadenwicklung wird wieder eine
beidseitig an die vorgefertigte Schablone gelegt
Schlinge (ohne Spannung!) gelegt, danach der
und mittels eines scharfen Messers auf Maß ge-
Faden mit wenig Spannung und mit wenigen
schnitten. Das ist ein sehr empfindlicher Ar-
Umwicklungen wieder in Richtung Metallröhr-
beitsgang. Man muß sich Ruhe und Zeit neh-
chen gewickelt, dort fest verschlungen und ab-
men und nicht gleich alles überständige Mate-
geschnitten. Bei diesem Arbeitsgang dürfen
rial mit einem Schnitt entfernen wollen, sondern
sich die deckungsgleich liegenden Blatteile seit-
zunächst vorsichtig Span für Span abheben; zu
lich nicht geöffnet haben. Der Bereich der Fa
erst die parallel verlaufenden Seiten und dann
denwicklung wird nun wieder mit Leim einge-
den unteren Teil, der später auf das Metallröhr-
strichen, wodurch die Fadenwicklung fixiert und
chen aufgebunden wird. Beim Schneiden ist
der Bindebereich abgedichtet wird. Das Doppel-
grundsätzlich darauf zu achten, daß von der
rohrblatt ist damit im Prinzip fertig. Es müßte
breiten zur schmalen Seite geschnitten wird,
nun schon ein Ton entstehen, wenn man es am
d. h. in Faserrichtung. Vorn wird möglichst
Röhrchen ansaugt. Diese Probe ist wichtig,
nichts abgeschnitten, da wir das vom Fagott-
denn nur solche Blatter, die auf Ansaugen einen
rohr-Hersteller genau gearbeitete Blattprofil zu-
Ton erzeugen, eignen sich gut für den Betrieb
nächst für uns ausnutzen wollen. Der spitz zuge-
im Dudelsack. Der dabei entstehende Ton sollte
schnittene unlere Teil wird nun innen leicht mit
etwa bei e s ' " liegen. Es kann nun noch unmittel-
Chemikalkleber bestrichen (Achtung, nicht zu
bar über der letzten Fadenwicklung am Blatt
viel auftragen!), dann werden beide Teile maß-
eine Zwinge aus Messingdraht gewickelt und
gerecht (Zeichnung beachten!) auf den flachge-
verdrallt werden. Das fertige Blatt sollte an der
drückten Teil eines Röhrchens aufgeklebt, dek-
oberen, linsenförmigen Öffnung zwischen den
22
Herstellung der Teile

beiden Halbmembranen nachreguliert werden. gegenüber vielen anderen Drechselbänken. Sie


Das geschieht durch Anfeuchten und Zurecht- läßt sich mit einem einfachen Trick sehr günstig
drücken des Blattes und entsprechender Verän- für den schwierigsten Arbeitsvorgang, die sau-
derung der Zwinge mit einer Zange. So kann die bere Herstellung exakter zylindrischer Bohrun-
Ansprache und die Stimmung des Blattes beein- gen. herrichten. Wir benötigen dafür ein Rollen-
flußt werden. Diese Manipulationen sollten mit drucklager mit einem Außendurchmesser von
allergrößter Vorsicht geschehen, machen sich 40 mm (Typ 1203), notfalls geht auch ein ent
aber von Fall zu Fall erforderlich; jeder Spieler sprechendes Kugellager (Typ 6203). Beides ist
muß da seine eigenen Erfahrungen sammeln. als KFZ-Ersatzteil erhältlich oder müßte anson-
Außerdem kann die Ansprache und die Stim- sten von einem Mechaniker besorgt werden. Es
mung des Rohrblattes beeinflußt werden, in- genügt auch ein abgenutztes, schrottreifes
dem es in feuchtem Zustand beidseitig im mitt- Exemplar, welches sich aber noch gut drehen
leren vorderen Bereich der Halbmembranen läßt; notfalls auch der nach innen konisch ver-
gleichmäßig abgeschabt wird. Es darf aber kei- laufende Außenring eines derartigen Rollen
nesfalls zu dünn gearbeitet werden. Ein zu dün- drucklagers. Wenn auch dieser nicht zu be-
nes Blatt führt leicht zu Tönen, die zu tief und in schaffen ist, muß man sich einen entsprechen-
der Intonation instabil sind; umgekehrt kann ein den Ring von einem Dreher herstellen lassen.
zu starkes und zu festes Blatt zu hoch klingen Dieser Ring wird später in die Spannbuchse der
und wird schwer ansprechen. zur Drechseleinrichtung gehörenden >Spannein-
richtung< — aus der zuvor der >Reitstock< mit der
mitlaufenden Spitze entfernt wurde - so einge-
Mit dem genauen Einstimmen und Einrichten spannt, daß die größere Öffnung der konischen
der Blatter sollte jedoch bis zur Fertigstellung Innenseite zur Bohrmaschine zeigt und uns auf
der Melodiepfeife gewartet werden. Von mehre- diese Weise anstelle der mitlaufenden Spitze
ren gefertigten Blättern nehmen wir dann nur für die Aufnahme des Werkstückes dienen
das Beste für die Melodiepfeife; die anderen kann. Durch ihn hindurch kann dann der Bohrer
lassen sich immer noch für die Bordune zurecht- in Axialrichtung an das laufende Werkstück an
machen. Dadurch besteht für uns auch die Mög- gesetzt werden.
lichkeit, an verschiedenen Doppelrohrblättern
Erfahrungen zu sammeln. Jedes Blatt wird doch Den Bohrer müssen wir uns selbst aus dem
etwas anders geraten, und jeder Spieler wird 4 mm Stahlrundmaterial herstellen. Ein entspre-
dabei die Erfahrungen sammeln müssen, die er chend langes und gerades Stück wird an der
für den späteren Umgang mit dem Instrument Schleifscheibe unter ständigem Drehen genau
braucht, denn dieses muß ja immer mal wieder angespitzt und dann entsprechend der Zeich- Abb. 7
nachreguliert und neu eingestimmt werden. nung flachgefeilt und nachgeschliffen. Dabei S.40
muß immer wieder mit Wasser gekühlt werden,
Melodiepfeife und Teile für Bordunpfeifen damit das Werkzeug nicht ausglüht. Dieser Boh
rer arbeitet zwar nicht so wirksam wie ein Spi-
Die Anfertigung der Melodiepfeife sollte der ralbohrer, hat aber den Vorteil, nicht so leicht
nächste Schritt zu einem Hümmelchen sein. Da- wie dieser zu verlaufen, d. h. er bleibt, wenn er
mit beginnen die Drechselarbeiten, die nach der gut gearbeitet ist, während des Bohrens >mit-
Blattherstellung das Schwierigste für den Bau tig<. Da dieser Bohrer nur an der flachgeschliffe-
eines Dudelsackes sein dürften. Dementspre- nen Seite Späne aufnehmen kann und über
chend muß hier auf die einschlägige Literatur keine weitere Spannut verfügt, muß er während
zum Drechseln verwiesen werden. Empfohlen des Bohrens häufig zurückgeführt und von Spä-
seien besonders »Der Drechsler«. Steinert/He- nen gereinigt werden.
gewald; Leipzig 1981 und »100 Tips für den
Hobby-Drechsler«. Schlicker/Krieger; Leipzig, Nun müssen die Holzteile zum Bohren vorberei-
Jena, Berlin 1983. Wer keine entsprechenden Er tet werden. Man bedenke bei der Herstellung
fahrungen hat. sollte sich zunächst in einigen der Rund-Rohlinge, daß diese ein entsprechen-
weniger komplizierten Arbeitsgängen versu- des Übermaß haben müssen. Es empfiehlt sich,
chen. Ich empfehle für unseren Zweck die Be- gleich alle Teile, bei denen die 4 mm-Längsboh
nutzung der Drechseleinrichtung für die Multi- rung erforderlich ist, vorzubereiten, das heißt,
max-Bohrmaschine (Typ ZDB 250). Nebendem entsprechend den Angaben und Maßen auf der
geringen Preis, den vielen Zubehör Möglichkei- Zeichnung einen Teil für die Melodiepfeife, vier Abb.
ten und der für unsere Zwecke genügenden Prä- Teile für die Bordunpfeifen. Ratsam ist außer- S.42/43
zision hat sie noch einen entscheidenden Vorteil dem, für die Melodiepfeife mehrere Teile vorzu
23
Herstellung der Teile

bereiten, denn hier ist die größte Ausschuß- das Bad schon dickflüssig wird, verbleibt viel in
quote zu erwarten. den Poren des Holzes. Letzteres ist zu empfeh-
Die Herstellung mehrerer Melodiepfeifen ist len, denn das Kerzenwachs dient dann während
gewiß kein Schaden, denn diese lassen sich des Bohrens als Schmierung.
auch mundgeblasen verwenden. Außerdem
wird der Spieler später an der Melodiepfeife die Die imprägnierten Rohlinge werden nun zwi-
meisten Erfahrungen sammeln und froh sein, schen Mitnehmer und mitlaufender Spitze in die
ein Ersatzexemplar zu haben, an welchem er be- Drechselbank gespannt. Die beiden Seitenflä-
stimmte Korrekturen durchführen kann. chen werden plangedrechselt und beide Enden
auf einen bestimmten Durchmesser abgedreht.
Als Holzarten sind vor allem die Obsthölzer wie Dieser ergibt sich für das eine Ende aus dem In-
Birne, Pflaume, Kirsche oder auch Apfel zu nendurchmesser unseres Rollendrucklagers
empfehlen. Es eignet sich auch Ahorn oder Pla- bzw. dem vorgefertigten Metallring mit konisch
tane. Das beste Holz, also etwa Birne oder verlaufender Innenwand und für das andere
Pflaume, sollte für die Melodiepfeife verwendet Ende aus der Größe des Spundfutters, welches
werden. Bei Pflaume verwendet man dabei wir für den nächsten Arbeitsgang benötigen. Es
möglichst nur den dunklen Kern des Pflaumen- wird hier das im Handel angebotene kleine Me-
holzes. Bei allen Holzarten ist auf folgendes zu tallspundfutter für die Multimax-Drechselein-
achten: Es ist günstig, wenn man den Holzroh- richtung empfohlen. Ansonsten kann natürlich
ling selbst aus einem größeren Stück herausge- selbst ein beliebiges Spundfutter hergestellt
spalten hat, um dadurch ein besseres Gefühl für werden. Wenn alle zu bohrenden Werkstücke
den Verlauf der Maserung und die Spaltrichtung entsprechend imprägniert und an den Enden
zu bekommen. Dies ist besonders bei den Teilen maßgerecht vorbereitet sind, werden zunächst
mit langer Bohrung zu bedenken, denn der Boh- die Oberteile für die Bordune zur Seite gelegt,
rer richtet sich leicht nach der inneren Struktur denn diese bereiten wegen der stufenförmigen
des Holzes. Innenbohrung besondere Schwierigkeiten. Die
anderen Rohlinge, also für Melodiepfeife und
Bordununterteile, müssen nun zwischen Spund-
Nun noch ein sehr wichtiger Arbeitsgang. Die futter und Rollendrucklager eingespannt wer-
grob vorgedrechselten Rohlinge sollten vor dem den. Das Festspannen kann durch folgenden zu-
Bohren in geschmolzenem Kerzen-Stearin aus- sätzlichen Trick gesichert werden. In die Füh-
giebig imprägniert werden. Holz neigt ja stets rungsstange der Multimax-Drechseleinrichtung
zur Aufnahme von Feuchtigkeit, aber durch wird an einer Seite ein M 20 Innengewinde ge-
diese Imprägnierung wird es wasserabweisend schnitten. Mit einer entsprechenden Schraube
und läßt sich außerdem besser bearbeiten. Zum (zugehörige Unterlegscheibe nicht vergessen!)
Imprägnieren muß ein Gefäß mit Stearin gefüllt kann dann von der linken Seite die Spannvor-
werden, welches auf kleiner Flamme langsam richtung mit Bohrmaschine und Spundfutter ge-
erwärmt wird (besser ist jedoch elektrische Be- gen das Werkstück im Rollendrucklager ge-
heizung wegen der Brandgefahr). Als Gefäß da- spannt werden. Wir können gut und sicher
für eignen sich beispielsweise die fettdicht ge- spannen, obwohl die Nachspanneinrichtung auf
pfalzten Kastenkuchen-Formen aus Alumini- der rechten Seite schon entfernt wurde, um an
umblech, die in verschiedenen Größen im Han- ihrer Stelle das Rollendrucklager, welches uns
del angeboten werden. Beim Imprägnieren muß ja nun als Lünette dient, aufzunehmen. Das ein-
gut gelüftet werden, und das Stearin sollte nicht zuspannende Werkstück trägt zwar noch die
so stark erhitzt werden, daß es zu qualmen be- Zentrierkörnung vom ersten Drechselarbeits-
ginnt. Die dann eingelegten Holzteile werden gang, sollte aber vor dem Bohren genau nach-
bei ca. 120 Grad so lange im erhitzten Stearin- zentriert werden. Dazu ist die Drechselauflage
bad gelassen, bis sie nicht mehr schwimmen rechts neben der rechten Spannvorrichtung an-
und keine Blasen mehr aufsteigen. Das kann zubringen. Nach dem Nachzentrieren kann ge-
mehrere Stunden andauern, wobei die Behei- bohrt werden. Der Bohrer, der in ein Bohrfutter
zung zwischendurch mehrmals abgeschaltet eingespannt und dann mit der Hand gehalten
werden sollte. und geführt werden muß. wird an das sich dre-
hende Werkstück angesetzt. Dies sollte mit
Beim Herausnehmen der Werkstücke ist fol- größter Vorsicht und viel Gefühl geschehen.
gendes zu bedenken: Wenn die Werkstücke aus
dem stark erhitzten Bad genommen werden,
fließt viel Stearin vom Holz ab; wenn sie hinge- Wenn kein ruhiger Ansatz gelingt, d . h . wenn
gen erst herausgenommen werden, während der Bohrer schon zu Beginn vibriert und
24

Herstellung der Teile

>schlägt<. sollte das W e r k s t ü c k an dieser Stelle werden. Dort ist außerdem mit einem 5 mm-
neu zentriert w e r d e n . Beim w e i t e r e n Bohren Bohrer (per Hand und vorsichtig!) entsprechend
m u ß der Bohrer genau in der A c h s r i c h t u n g des dem Zeichnungsmaß aufzubohren. Das gleiche Abb. 11
W e r k s t ü c k e s , m i t viel G e f ü h l und Ruhe u n d erfolgt später an den beiden Bordununterteilen. S.42
ohne allzugroßen Druck g e f ü h r t w e r d e n . Es Die becherförmige Auskehlung kann vor ihrer
m ü s s e n dabei i m m e r w i e d e r Späne a u s g e f ü h r t endgültigen Fertigstellung mit Bohrern verschie-
w e r d e n . Falls der Bohrer nach m e h r e r e n Zenti- denen Durchmessers stufenförmig ausgebohrt
m e t e r n B o h r u n g oder auch gegen Ende der werden. Beim Drechseln der Bordununterteile
Bohrung zu heiß w i r d , sollte das W e r k s t ü c k zwi- ist noch folgender Ratschlag angebracht. Da
s c h e n d u r c h besser w i e d e r ausgespannt u n d die Zapfen der beiden Bordununterteile sehr
n o c h m a l s ins heiße Stearinbad gelegt w e r d e n . dünn gedrechselt werden müssen und bei der
D a n a c h kann das B o h r e n , w e n n die B o h r u n g Bearbeitung folglich dazu neigen, sich zu ver-
nicht s c h o n h o f f n u n g s l o s außer M i t t e geraten biegen bzw. zu vibrieren, ist es ratsam, jeweils
ist, in der Regel problemlos zu Ende g e f ü h r t vor dem Einspannen auf der Drechselbank ein
werden. entsprechend langes Stück 4 mm-Stahlrundma-
terial anzufertigen und in die Innenbohrung ein-
M a n sollte nur die Teile v e r w e n d e n , bei denen zuführen, wo es die Stabilität des Werkstückes
eine g e r a d e B o h r u n g g e l u n g e n ist. Diese wer- sichert.
den d a n n erneut auf einen e n t s p r e c h e n d e n Mit-
nehmer und d i e m i t l a u f e n d e Spitze gespannt Wir können dieses Stahlrundmaterial auch ins
und n u n , m i t der Bohrung als Achse, e n t s p r e - Bohrfutter der Bohrmaschine einspannen und
Abb. c h e n d der auf d e n Zeichnungen a n g e g e b e n e n so als Mitnehmer beim Fertigdrechseln dieser
S . 4 2 / 4 3 M a ß e u n d Formen fertiggedrechselt. feinen Holzteile benutzen. Wenn dann das Rohr-
N a t ü r l i c h kann j e d e r m a n n d i e äußere Form blatt in die fertige Melodie pfeife gesteckt wird,
auch e n t s p r e c h e n d seinem Geschmack gestal- können beide richtig ausprobiert und für das
t e n . Es w u r d e hier vor allem eine Form angege- Spiel fertiggemacht werden. Die endgültige
ben, d i e sich recht p r o b l e m l o s drechseln läßt. Ausarbeitung des kleinen Schallbechers, mit
Die M e l o d i e p f e i f e sollte aber vor allem in d e m der die Stimmung des tiefsten Tons auf der Me-
Bereich, w o n u n die Grifflöcher e i n g e b o h r t wer- lodiepfeife wesentlich beeinflußt wird, erfolgt
d e n , keine w e i t e r e n Verzierungen tragen. Zuerst zuletzt.
kann m a n nun das h i n t e r s t ä n d i g e / o b e r e Dau- Für das Einstimmen ist es günstig, jetzt schon
m e n l o c h b o h r e n . Ihm gegenüber w i r d auf der den Abschnitt »Hinweise zur Spielpraxis auf der
vorderen Seite d i e Mittellinie f ü r die Fingergriff- Melodiepfeife« zu beachten, denn ein musikan-
löcher angerissen. Dann w e r d e n die Griffloch- tisch gesinnter Hümmelchen-Hersteller wird
abstände eingezeichnet u n d angekörnt. Zu- wahrscheinlich nun erst einmal das Weiter-
nächst w i r d mit e i n e m sehr kleinen Bohrer, e t w a drechseln sein lassen und auf seiner Melodie-
1 mm Durchmesser, jedes Loch vor- u n d erst pfeife mundgeblasen üben wollen. In diesem
d a n n auf das angegebene M a ß a u f g e b o h r t , w o - Sinne gehört zur Vervollständigung der Melo
bei ich e m p f e h l e n w ü r d e , mit hohen Drehzahlen diepfeife noch eine Windkapsel, die wir am Du-
zu b o h r e n u n d , w i e bereits gesagt, keine Spiral- deisack eigentlich nicht unbedingt benötigen.
bohrer, sondern selbsthergestellte Bohrer zu Dafür sind Arbeitsgänge notwendig, die außer-
v e r w e n d e n . Man sollte darauf a c h t e n , d a ß der dem auch für die immer noch nicht fertigen
Bohrer j e w e i l s nur bis zur M i t t e der Längsboh- Bordunoberteile und auch für die im folgenden
rung der Pfeife g e f ü h r t w i r d . Dies gilt insbeson- Abschnitt beschrebene Herstellung der >Wind-
d e r e für die unteren Grifflöcher, d i e ja einen kapsel für Bordunpfeifen< erforderlich sind.
g r ö ß e r e n Durchmesser als die I n n e n b o h r u n g
haben. J e d e s Griffloch w i r d nun innen u n d
a u ß e n v o r s i c h t i g m i t Sandpapier entgratet. Die Zunächst die Melodiepfeifen Windkapsel: vgl. Abb. 22
Wir benötigen dafür einen Spezialholzbohrer S.45
Grifflöcher sollten aber vorerst nicht zu sehr
ausgekehlt w e r d e n , da dies die S t i m m u n g der mit Zentrierspitze. Holzbohrer in dieser Art wer- vgl. A b b 10
Töne b e e i n f l u ß t ; starkes A u s k e h l e n erhöht den den im Handel angeboten. Damit wird ein ent- S.41

Ton. sprechend übermäßig grob vorgedrechselter


und imprägnierter Rohling nach Maß gebohrt.
Nun w i r d die Pfeife wieder auf die Drechsel- Dies geschieht entweder im Schraubstock an
bank gespannt, um ihre Oberfläche abzuschlei- der Bohrmaschine oder in der Drechselbank.
f e n . Im unteren Teil der Pfeife ist eine Art kleine- Ich empfehle für die Windkapsel das erstere.
rer S c h a l l b e c h e r vorgesehen u n d im oberen Teil Nach der großen Bohrung verbleibt das Werk-
m u ß Platz für das D o p p e l r o h r b l a t t geschaffen stück im Schraubstock, der Bohrer wird ge-
25
Herstellung der Teile

wechselt und die kleinere Bohrung genau an der dann gebeizt (Beize mit einem Stück Filz oder
Zentrierspitze der größeren Bohrung angesetzt. einem Lappen fest einreiben) und nach dem
Anschließend wird das Teil an beiden Bohröff- Trocknen in Leinöl gelegt werden. Danach müs-
nungen auf die Drechselbank gespannt und er- sen sie wieder einige Zeit trocknen (mehrere
hält seine endgültige Außenform. Es kann dann Tage) und können so abschließend mit Schel-
nochmals imprägniert werden und wird nun mit lack behandelt werden.
Abb. 6 einem dafür angeschliffenen Schnitzeisen vor-
S.40
sichtig ausgehöhlt und innen mit Sandpapier Als letztes wird die Fadenwicklung an den Zap-
geglättet. Dies ist sowohl für die sichere und fen der Melodiepfeife und der Bordununterteile
>unfallfreie< Einführung und Aufbewahrung des angebracht. An den entsprechenden Stellen
Blattes in der Windkapsel als auch für die An- muß zuvor eine dünne Schicht Chemikalkleber
sprache von Vorteil und muß dann in der Wind- aufgetragen werden. Als Wicklung sollte ein
kapsel für die Bordunpfeifen ebenso gemacht einzelner weicher, dünner Stopftwistfaden ver-
werden. Die Melodiepfeife kann nun dudelsack- wendet werden. Da eine zu locker gewickelte
artig direkt mit dem Mund angeblasen werden Dichtung die Funktionstüchtigkeit des Instru-
und ist mit dieser Windkapsel ein selbständiges mentes beeinträchtigt und mit einer zu starken
Instrument. Wicklung die Holzfassungen gesprengt werden
können (zumal dann, wenn das Instrument spä-
ter feucht wird und quillt), muß hierbei größte
Es bleibt uns nun noch die Hefstellung der bei-
Sorgfalt angewendet werden. Der Faden wird
den Bordunoberteile. Das Problem bei der stu-
nur auf die eingedrechselte Stelle aufgewickelt.
fenförmigen Bohrung besteht darin, daß die
Zuerst wird er fest auf den Leim gebunden,
größere genau zylindrisch sein muß, um später
dann etwas lockerer, bis ein Wulst vom Innen-
ein leichtes Verschieben der beiden Bordun-
durchmesser des Aufnahmeteils entsteht. Der
oberteile, d.h. ein genaues Einstimmen des Bor-
Faden wird jedoch noch nicht abgetrennt, son-
duntones zu ermöglichen, außerdem soll die
dern der Zapfen mit Fadenwicklung vorsichtig
kleinere mit der größeren in einer geraden Linie
eingeführt und bewegt, wodurch die Fadenwick-
liegen. Dazu wird der Rohling, so wie bereits für
lung gestaucht wird. Dann werden noch einige
die Längsbohrung der Melodiepfeife beschrie-
Wicklungen dünnen Fadens kreuzweise aufge-
ben, in die Drechselbank gespannt und mit
legt und abschließend mehrfach verschlungen.
einem Bohrer 8 mm Durchmesser in der Art des
Auf diese Weise ist der sichere Sitz der Zapfen
beschriebenen selbstgefertigten (keinesfalls
gewährleistet, ohne daß das Holzmaterial über
Spiralbohrer verwenden!) auf Maß gebohrt. Für
ansprucht wird. Zum besseren Gleiten sollten
das Einbringen der darauffolgenden 4mm-Boh-
diese Teile ab und an auch entsprechend mit
rung wäre es günstig, sich zuvor ein entspre-
Zapfenfett bzw. Vaseline (oder Cenu-Paste) be-
chendes Führungsstück (kleines Röhrchen mit
handelt werden.
Innendurchmesser 4 mm und Außendurchmes-
ser 8 mm) zu besorgen, um die Mittigkeit der
kleinen Bohrung zu gewährleisten. Wenn etwa
1 cm tief gebohrt wurde, kann das Führungs- Windkapsel für Bordunpfeifen
stück wieder entfernt werden. Falls die kleinere
Bohrung etwas schief gelaufen ist, spielt das Die eigenartige Bordunaufnahme des Hümmel-
zwar akustisch keine große Rolle, ist aber doch chens war uns schon bei Betrachtung der Dar-
ärgerlich für den, der sich über sein Instrument stellung von Praetorius als problematisch aufge-
freuen möchte. Wer sonst noch großen Wert fallen. Jetzt, wo es darum geht, dieses Teil her-
auf das Äußere legt, wird auch an Beizen und zustellen. wird's noch problematischer. Der
Lackieren der Holzteile denken. Ich meine, daß Hobbydrechsler kann hier ein kleines formge-
dies nicht unbedingt erforderlich ist, schließlich stalterisches Kunststück vollbringen, was ihm
lassen sich alle Teile sehr gut schleifen, glätten natürlich auch, wenn es mißraten sollte, viel Är-
und polieren. Außerdem kann man nun, nach ger einbringen kann. Allerdings kann man diese
dem Imprägnieren, auch nicht mehr jeden Lack Arbeitsgänge nun. nachdem die Rohrblätter und
problemlos auftragen. Ich habe aber auf fol- die Melodiepfeife als die schwierigsten Teile
gende Weise gute Ergebnisse erreicht: des Instrumentes schon fertig sind, in aller
Ruhe und Gelassenheit und in völliger Konzen-
tration auf die gestalterische Eigenart dieses
Die fertiggeschliffenen Teile werden wieder
Teils, angehen.
in das Stearin-8ad gelegt, erhitzt und dann in
noch heißem Zustand herausgenommen, so Über Alexander von Mazedonien, der uns an-
daß möglichst viel Stearin abfließt. Sie können sonsten nur als gewaltiger Feldherr geläufig ist.
26
Herstellung der Teile

wird auch berichtet, daß er ein begeisterter noch verziehen oder auch reißen. Es empfiehlt
Hobbydrechsler war, ebenso wie Peter der sich also von vornherein, zwei oder drei Werk-
Große von Rußland oder etwa auch Martin Lu- stücke vorzubereiten. Nach diesem Imprägnie-
ther aus Sachsen. Sie drechselten, weil sie ein ren wird dann kontrolliert, welches Werkstück
ästhetisches Vergnügen an dieser Art gestalteri- am wenigsten >gelitten< hat. Der obere, später
schen Wirkens hatten, ebenso wie vielleicht ein die entsprechenden Zapfen der Bordunpfeifen
Schäfer lange an einem Stück Holz schnitzt und aufnehmende Teil der Bohrungen wird auf
darüber erfreut ist, wie sich dabei bestimmte Rundheit überprüft und entsprechend nachge-
Beziehungen von äußerer Form und innerer ge- arbeitet. Dies darf keinesfalls mit der Bohrma-
maserter Feinstruktur ergeben. Drechseln ist ja schine versucht werden, sondern sollte ganz
auch mehr als nur das ökonomische Rundma- vorsichtig mit der Hand und einem geeigneten
chen von Holzteilen. Ich denke, daß man gerade Werkzeug (Reibahle, Schaber etc.) geschehen.
mit einer solchen Haltung auch an dieses unge- Nun wird das Werkstück wieder in die Drechsel-
wöhnlich geformte Stückchen Holz herangehen bank gespannt - der Mitnehmer an der Einzel-
sollte. bohrung, die mitlaufende Spitze genau zwi-
schen den Parallelbohrungen — und so vorsich-
tig nach Zeichnungsmaß abgedrechselt und
Wir spalten und sägen uns wieder einen über- geschliffen. Außerdem muß die Stirnfläche mit .Abb. 21
S.45
mäßigen Rohling aus gut abgelagertem Holz zu- der Doppelbohrung abschließend plangedreht
recht. Hier empfiehlt sich ein gut gewachsenes werden. Dies sollte mit größter Vorsicht gesche-
Stück Pflaumen- oder Birnenholz. Solche Teile hen. Es wird empfohlen, eine hohe Drehzahl zu
sind aber von verschiedenen Hümmelchen-Bau- wählen und das Drechseleisen dafür nochmals
ern auch schon aus Harthölzern wie Buche, nachzuschärfen.
Esche oder Eiche hergestellt worden. Der Roh-
ling wird an den Stirnflächen plangedrechselt
und dann, nachdem auch die Seitenflächen et- Das Werkstück wird nun ausgespannt, um die
was abgearbeitet wurden, im Schraubstock ein- beiden Seitenflächen abzuarbeiten. Die sich da-
gespannt und mit dem bereits für die Windkap- bei seitlich ergebenden Kantenlinlen bilden eine
sel der Melodiepfeife benutzten Bohrer mit Zen- gute Kontrollmöglichkeit dafür, daß beide Sei-
trierspitze gebohrt. Wir beginnen mit den tenflächen gleichartig gearbeitet sind. Sie kön-
beiden parallel laufenden Bohrungen, die in ge- nen zunächst mit einer Raspel und zuletzt mit
nau gleichem Abstand von der Mitte angekörnt einem auf ein Brett aufgeleimten Stück haltba-
und dann gleich tief gebohrt werden. Das Boh- ren Schleifleinen bearbeitet werden. Dazu wird
ren geschieht wieder nach den Maßen der das Werkstück und nicht der Schleifkörper be-
Abb. 21 Zeichnung. Nach dem Bohren muß kontrolliert wegt, wobei ständig auf die Parallelität der bei-
S.45
werden, ob der Abstand zur Mitte {Zentrierkör- den oberen Kanten sowie auf den Winkel der
nung) eingehalten wurde. Falls nicht, so muß beiden Flächen geachtet werden muß. Wenn
der Sitz der gegenüberliegenden, in der Mitte die äußere Form soweit fertig ist, wird mit dem
sitzenden Bohrung entsprechend korrigiert wer- bereits bei der Melodiepfeifen Windkapsel er-
den. Diese Bohrung ist anfänglich unproblema- probten Schnitzeisen auch hier die innere Aus-
tisch, sollte aber dann, wenn der Bohrer mit höhlung erarbeitet. Das muß wieder mit viel Ge-
Zentrierspitze die anderen beiden Bohrungen er- fühl und Vorsicht sowie Geduld geschehen, ist
reicht, sehr vorsichtig weitergeführt werden. nun aber insofern einfacher, als wir durch ver-
schiedene Bohrungen von vielen Seiten Spane
Ich habe gute Erfahrungen gemacht, wenn ausheben können. Einerseits soll diese Aushöh-
mit höherer Geschwindigkeit (ca. 1500 U/min) lung recht groß sein, damit die Doppelrohrblät-
und sehr langsamem Vorschub gebohrt wird. ter der Bordunpfeifen in einem eigenen Stau-
Der Schraubstock mit dem festgespannten Teil raum frei schwingen können; andererseits wäre
sollte dabei auch auf dem Tisch der Bohrma- aber viel Arbeit umsonst getan, wenn man beim
schine befestigt sein. Unser Windkapsel-Roh- letzten Arbeitsgang mit dem Schnitzmesser
ling wird nun bei geringer Temperatur einige nach außen durchsticht und alles verdirbt. Es
Stunden vorimprägniert, dann auf die Drechsel- empfiehlt sich, das Werkstück an den gefährde-
bank gespannt und über der Einzelbohrung grob ten Stellen ab und an gegen das Licht zu halten
abgedreht. Anschließend kann das Werkstück und mit dieser Methode zu prüfen, ob es an den
gründlich imprägniert werden. Die Gefahr des allzu dünn gearbeiteten Stellen bereits durch
Reißens ist nun, wenn das Stearin und die Hitze schimmert. Falls man im Bereich der glatten
gleichmäßig von allen Seiten eindringen kön- Seitenflächen durchstößt, so läßt sich die Sa-
nen, nicht mehr so groß. Trotzdem kann es sich
27
Herstellung der Teile

che reparieren, indem diese Flächen später Ansatzstück aufgesprengt wird, hat man die
überklebt werden (z. B. mit dekorativem Furnier, ganze Mühe der Neuherstellung vor sich.
Leder, Metall usw.); im Bereich der Rundungen Analog gilt aber gleiches auch für die Zapfen
ist dann jedoch nicht mehr viel zu machen. Natür- an den Bordunpfeifen, an der Melodiepfeife und
lich kann diese ganze Bordunwindkapsel auch am Anblasrohr, die alle vor der Endmontage
insgesamt etwas größer, und somit stabiler, her- nochmals in diesem Sinne überprüft und nöti-
gestellt werden. genfalls entsprechend nachgearbeitet werden
Für eventuell vorgesehenes Lackieren ist es müssen.
ratsam, so zu verfahren, wie es bei der Behand- Es ist natürlich auch möglich, die durch das
lung der Melodiepfeife empfohlen wurde. Feuchtwerden beim Spiel besonders gefährde-
ten Teile entweder aus geeignetem Plastema
Aufnahmeteile für Melodiepfeife. terial herzustellen (z. B. die Aufnahmeteile für
Anblasrohr und Bordunwindkapsel Bordunwindkapsel und Melodiepfeife, die ja
auch kaum zu sehen sind) oder mit entspre-
Die Anfertigung dieser Teile entsprechend der chenden Metallfassungen zu versehen, um dem
Abb. Zeichnung stellt natürlich für denjenigen, der gefährlichen Aufquellen oder Reißen entgegen-
S.44/45
schon Melodiepfeife und Windkapsel herge- zuwirken.
stellt hat, kein Problem mehr dar. Trotzdem
einige Hinweise. Die Aufnahmehülsen für Melo- Vor der Endmontage müssen wir aber nun noch
diepfeife und Anblasrohr werden mit dem be- den Sack und schließlich das Anblasrohr her-
reits benutzten Bohrer mit Zentrierspitze ge- stellen. Zunächst den Sack, weil die endgültige
bohrt und dann fertiggedrechselt. Das Ansatz- und günstigste Länge des Anblasrohrs erst
stück für die Bordunwindkapsel wird mit einem durch seine Stellung am Sack, also durch die je-
8mm-Bohrer gebohrt. Bei allen unmittelbar in weilige Spielhaltung, und durch die Körper-
den Sack eingebundenen Teilen empfiehlt es maße des Spielers bestimmt werden.
sich, sie beim letzten Imprägnieren erst bei
niedriger Temperatur aus dem Bad zu nehmen,
Windsack
damit sie möglichst vollgesogen eingebunden
werden können. Diese Teile sind schließlich di-
Neben den Tongeneratoren ist der Sack der Teil
rekt der Feuchtigkeit, die sich im Sack ansam-
des Instrumentes, um den sich die erstaunlich-
melt, ausgeliefert.
sten Vorurteile, widersprüchlichsten Ansichten
und meisten Legenden ranken. So gibt es etwa
Die Aufnahmehülse für die Melodiepfeife muß die Meinung, daß sich ein Dudelsack umso bes
auch in der Art unserer Windkapseln ausgehöhlt ser spielen lasse, je größer der Sack sei, daß
werden. Das kann ohne weiteres mit dem das Material so weich und geschmeidig wie
Schnitzeisen geschehen, ist hier aber auch irgend möglich sein müsse, und es gibt viele eu-
durch stufenförmiges Aufbohren möglich. phorische Argumente für die verschiedensten,
oft recht exotischen Substanzen und Verfahren,
mit denen er gepflegt und abgedichtet werden
Ein besonders wichtiges Problem sollte noch
müsse. Und gerade dann, wenn es um Materia-
mals bei dem Ansatzstück für die Bordunwind-
lien und Pflegesubstanzen geht, so werden
kapsel bedacht werden. Dieses wird ja später in
diese oft für umso bedeutender gehalten, je
den Sack eingebunden und andererseits in die
schwerer sie für den Normalverbraucher zu be-
Windkapsel eingesteckt. Von beiden Seiten
schaffen sind ...
wird sich also Feuchtigkeit ansammeln, so daß
dieses Teil zwangsläufig >arbeiten< bzw. auf-
quellen wird. Hier ist es also besonders wichtig, Während sich die >geheimnisvollen< Rohrblätter
darauf zu achten, daß der Holzzapfen nicht im Innern des Instruments verbergen, steht der
straff in der Bohrung der Windkapsel sitzt. Nur Sack ja gerade im »Blickpunkt der Öffentlich
der Bereich der Fadenwicklung sollte mit Span- keit«, und so gibt es manchmal auch einen ent-
nung in der Windkapsel sitzen. Die Holzteile sprechend ausgiebigen Demonstrationskult.
dürften sich, zumindest im trockenen Zustand, Schließlich ist der Dudelsackspteler mit dem
im Aufnahmeteil gar nicht berühren und sollten Sack des Instrumentes am intensivsten und ein-
1 - 2 Zehntel Millimeter >Spiel< haben. Das ist druckvollsten verbunden. Gerade der Sack ist ja
bei der Bordunwindkapsel besonders zu beach- auch entscheidend für das Design des ganzen
ten, schließlich war es schwierig genug, sie her- Instrumentes und trägt in diesem Sinne oft
zustellen; und wenn sie durch ein verquollenes noch viele zusätzliche Zierelemente. Entspre-
28
Herstellung der Teile

chend auffällig wird er dann auch von vielen weisen haben). Es gibt da zwar kein sicheres
Spielern behandelt: Er wird show-bewußt auf- Rezept und keine feste Regel, aber doch ein ob-
geblasen und demonstrativ verprügelt, d. h. die jektives, stets personengebundenes Optimum,
Borduntöne werden durch eindrucksvolle Faust- an welches man sich nur durch viel persönliche
hiebe auf den Sack eingeschaltet, nachreguliert Erfahrung im Laufe der Zeit annähern kann.
und überprüft, und dann wird gern noch ge- Ähnlich wie für die Konzeption richtig ange-
zeigt, daß das Instrument mit dem Sack< noch paßter Kleidungsstücke könnte hier ein gut pro-
lange quieken und quaken kann, auch wenn grammierter Computer exaktere Werte und eine
man nicht mehr reinbläst ... jeweils personengebundene optimale Form an-
geben. (Wir werden hier aber zunächst mehr
Die Hümmelchen-Spieler mit ihrem schon von Kompromisse schließen müssen.) Desweiteren
den Ausmaßen her viel bescheideneren Dudel- bin ich der Meinung, daß der Sack möglichst
sack haben da weniger Gelegenheit für solch aus völlig luftundurchlässigem und festem Ma-
eindrucksvolles Gebaren. Gerade für das Hüm- terial sein sollte. Mit einem dehnbaren Sack
melchen sollte bedacht werden, daß es gewiß wird man die Druckverhältnisse und dement-
auch objektive spieltechnische Kriterien für den sprechend die Intonation des Instrumentes nur
Sack an der Sackpfeife gibt: er muß sowohl ein schlecht beherrschen, ebenso mit einem Sack.
angemessenes Kaliber als auch eine angemes- bei dem ständig Luft entweicht.
sene Form haben, wenig dehnbar, feuchtigkeits-
unempfindlich sowie luftdicht sein. Die Oberflä-
Ein besonderes Problem entsteht durch die
che des Sackes hingegen sollte von rauher Be-
Feuchtigkeit, welche sich bei einem mundgebla-
schaffenheit sein, um ein Rutschen des Instru-
senen Instrument ja immer im Sack ansammeln
mentes während des Spiels zu verhindern.
wird und auf Rohrblätter und Holzteile ungün-
Was Größe und Form betrifft, so ist eine prak- stig einwirkt. Zur Bewältigung dieser Schwierig-
tikable Relation zu finden zwischen bequemer keit sind zwei Extreme denkbar.
und sicherer Haltung des Sackes zum Drücken 1. Das Sackmaterial nimmt von innen viel
einerseits (es gibt da verschiedene Möglichkei- Feuchtigkeit auf, die dann aber auch aus dem
ten: mit dem Oberarm unter der Achsel; mehr Sack heraustrocknet, wobei der Sack trotz-
mit dem Ellenbogen; oder auch mehr vor der dem weitgehend luftdicht bleiben sollte.
Brust bzw. dem Bauch und den beiden Unterar- 2. Das Sackmaterial ist absolut luftdicht und
men) und der sicheren und bequemen Haltung nimmt auch von innen keine Feuchtigkeit auf,
der Spielpfeife andererseits (die Bewegung der so daß es jederzeit schnell entwässert und
Finger darf dabei nicht verkrampfen oder durch nach dem Spielen problemlos trockengelegt
den Sack behindert sein). Die Berücksichtigung werden kann.
des ersten Aspektes wird sich mehr auf die all-
Die Verwirklichung der ersten Möglichkeit wird
gemeine Form des Sackes (etwa schlauchför-
in letzter Zeit bei uns von einigen Spielern ange-
mig oder mehr kugelförmig) auswirken; hin-
strebt, indem die Ledersäcke von Schaperpfeiff
sichtlich des zweiten sind eher Auswirkungen
oder schottischem Dudelsack mit einem zu-
auf die Gesamtlänge des Sackes und die Form
nächst mit warmem Wasser gelierten und dann
des Sackhalses zu bedenken, welche allerdings
wieder angewärmten Gemisch aus Gelatine,
auch durch die Länge und Konstruktion der
Glyzerol, etwas Salizylsäure und ein bißchen
Spielpfeife beeinflußt werden. Die vernünftige
Bienenhonig (es sind noch weitere Substanzen
Größe und Form eines Sackes wird also neben
im Gespräch) durchgeknetet werden.
der Größe und Form der dazugehörigen Bordun-
und Spielpfeifenteile etc. und dem wesentlich Was unser Hümmelchen betrifft, so neige ich
durch die jeweiligen Tongeneratoren bestimm- mehr zum zweiten Extrem und habe bisher mit
ten Luftverbrauch, auch durch individuelle folgendem Dichtungsverfahren gute Erfahrun-
Spielhaltung und die Körpermaße des Spielers gen gemacht:
bestimmt. Dies ist gerade für unser Hümmel- Auf die Rauhseite eines entsprechend großen
chen wichtig, da sein Sack ja bekanntermaßen Stück Leders (am günstigsten ist weiches Zie-
recht klein ist. Ich habe schon auf Dudelsäcken genleder) wird gründlich eine gleichmäßige
der verschiedensten Größe gespielt und persön Schicht (etwa 1 mm stark) Cenusil aufgespach-
lich den Eindruck gewonnen, daß man z.B. mit telt. Nachdem die Gummischicht vollständig
3 Liter Volumen (eine mögliche Größe für Hüm- ausvulkanisiert und nicht mehr klebrig ist, kann
melchen) durchaus besser zurechtkommen die genaue Sackform mit einer normalen Haus-
kann als mit 30 Liter (die manche Böcke aufzu- haltsnähmaschine und festem Polyestergarn
genäht werden. Die Gummiflächen-sind dabei
29
Herstellung der Teile

innen; Stichweite der Naht ca. 2 mm. Nachdem dunwindkapsel in den Sack getan, da dieses
das überständige Material an der Naht mit einer später zum Einbinden von innen durchgesteckt
Schere sauber abgeschnitten wurde, muß der werden muß. Danach wird die Aufnahmebuchse
Sack gewendet werden. Dann wird wiederum für die Melodiepfeife in den Sackhals eingebun-
gründlich Cenusil in die Naht eingestrichen und den. Dazu muß zuvor die Einbindekerbe dieses
abschließend noch ein ordentlicher Wulst Cenu- Teils gründlich mit Bienenwachs (Kerzen-Stea-
sil auf die gesamte Naht aufgetragen, welcher rin eignet sich dafür nicht) beschichtet werden.
nicht nur abdichtet, sondern der Nahtstelle Es wird erforderlich sein, das Sackmaterial an
auch zusätzliche Haltbarkeit verleiht. Nach dem diesem Teil einzuknicken und entsprechend
Aushärten der Cenusilschicht auf der Naht wird doppelt zu legen, da die Öffnung des Sackhal-
der Sack wieder gewendet, wobei Seifenlauge ses größer ist als der Durchmesser des Aufnah-
den Vorgang leichter macht. Nun ist der Sack mestückes. Da an solch einem Knick sehr leicht
im wesentlichen fertig und kann, z. B. mit Was- ein kleiner Luftkanal entsteht, muß dieser natür-
ser gefüllt, auf Dichtheit geprüft werden. lich besonders gründlich mit Wachs verschlos-
Abb. Die in der Zeichnung angegebene Form und sen werden. Für das Einbinden eignet sich eine
S46
Größe kann natürlich verändert werden; beach- etwas kräftigere, gezwirnte Dederonschnur, da
tet werden muß jedoch der entsprechende diese elastisch ist und die Spannung auch nach
Durchmesser des Halses, denn falls er zu eng dem Verknoten hält, wobei das Einbinden so
gerät, wird das zum gründlichen Abdichten und fest wie möglich erfolgen sollte.
Verfestigen der Naht erforderliche Wenden des
Sackes unmöglich. Außerdem muß bei dieser Nun muß der Sack prall mit Luft gefüllt wer-
Methode der Sackabdichtung nicht unbedingt den. Dazu wird die Melodiepfeife oben ver-
Leder verwendet werden. Es ist beispielsweise schlossen und mit der Aufnahmebuchse halb
auch gewöhnliche Leinwand oder anderer fester zusammengesteckt, so daß man den Sack noch
Stoff (manche Fans haben natürlich auch schon seitlich mit dem Mund vollblasen und dann
an Jeans-Stoff gedacht) möglich. Ich habe auch schnell mit der Pfeife verschließen kann. Das In-
gute Erfahrungen mit handelsüblichem PVC- strument kann dann am Sack unter dem linken
beschichtetem Polyestergewebe (Sport und Arm und an der Melodiepfeife mit den Händen
Campingzubehör) gemacht, welches als absolut in einer bequemen Spielposition gehalten wer-
luftdichtes, feuchtigkeitsunempfindliches und den. So wird auch die Position für die Fassung
dehnungsarmes Material besonders gut geeig- des Anblasrohres am oberen Teil des Sackes er-
net ist. Dieses Material braucht natürlich nicht mittelt.
mit Cenusil beschichtet werden; nur die Naht Dabei sind zwei Dinge zu beachten. Wenn wir
wird, wie bereits beschrieben, zusätzlich mit die Bordunpfeifen später schräg nach vorn le-
einem Cenusilwulst belegt und verstärkt. Dazu gen wollen, müssen wir bei der Festlegung der
muß dieser Bereich vor dem Vernähen gut mit Position des Anblasrohres auch an den Platz für
flexibel bleibendem Chemikalkleber (oder auch die Bordune denken. Außerdem ist unbedingt
PCM 13) vorbehandelt werden, da die glatte zu beachten, daß das eingebundene Anblasrohr
PVCSchicht ansonsten das Cenusil nicht so gut später, bei aufgeblasenem Sack, selbständig in
annimmt. Freilich sollte man einen solchen all- Richtung des Mundes zu stehen kommt; das
zusehr nach Chemieindustrie aussehenden heißt, es muß an der Rundung des Sackhalses
Sack bei der Endmontage des ganzen Instru- eine Stelle ermittelt werden, die später auch
mentes noch mit Samt überziehen. den entsprechenden Richtungswinkel des An-
blasrohres garantiert. Natürlich wird dies alles
ständig durch die Spielhaltung beeinflußt wer-
den. Es kommt also darauf an, mit dem Sitz des
Anblasrohr mit Ventil
Anblasrohres einer spieltechnisch günstigen
und bequemen Position zu entsprechen. Der
Für die Herstellung des Anblasrohres müssen Spieler kann sich hier auch schon überlegen, ob
wir uns zunächst eine Meinung über seine er das Instrument vorwiegend im Sitzen oder im
Länge bilden, die ähnlich, wie bereits hinsicht- Stehen spielen möchte. Man sollte aber auf
lich Form und Länge des Sackes angedeutet, für beide Möglichkeiten eingerichtet sein.
jeden Spieler anders sein kann. Die eigentliche
Länge des Anblasrohres wird vor allem durch
die Haltung des Sackes beim Spielen bestimmt, Wenn die richtige Position für das Anblasrohr
wenn also der Sack fertig ist, können wir diese gefunden ist, wird der Sitz der Aufnahme-
ermitteln. buchse am Sack angezeichnet und die Länge
Zunächst wird das Ansatzstück für die Bor des Anblasrohres bis zum Mund ermittelt. Der
30

Herstellung der Teile - Endmontage

bereits imprägnierte Rohling für das Anblasrohr auf Blasen und Saugen hin frei öffnen und
wird nun auf Längenmaß zugeschnitten und vor- schließen kann. Die Klappe sollte sich dabei
gedrechselt. Danach kann er gebohrt werden, etwa bis zur Mitte des Rohrquerschnitts frei be-
wobei wir mit dem bereits für die Oberteile der wegen können.
Bordunpfeifen verwendeten 8 mm-Bohrer arbei- Nun wird dieser Teil erneut angefeuchtet und
ten können. Der Rohling wird nach dem Bohren muß dann im Ansatzstück einwandfrei als Ventil
nochmals imprägniert und erhält dann seine funktionieren. Dies kann leicht durch Ansaugen
äußere Form, deren drechslerische Gestaltung des Anblasrohres überprüft werden — ein gut ar-
natürlich von der realisierten Länge abhängig beitendes Ventil muß für einige Zeit ein merkli-
ist. Aus unserem Anpassungsverfahren ergibt ches Vakuum im Anblasrohr halten können.
sich, daß das Anblasrohr durchaus kürzer aus- Eine solche Forderung mag zwar den meisten
fallen kann, als bei Praetorius dargestellt. Dudelsackspielern als übertrieben erscheinen,
Außerdem zeigt die dortige Abbildung auch ein jedoch darf die sichere Funktion des Ventils für
sehr schlankes Anblasrohr, welches wahr- unser Instrument keinesfalls unterschätzt wer-
scheinlich eine kleinere Innenbohrung als 8 mm den. Durch das Ventil wird sowohl die Intona-
hatte. tionssicherheit als auch der Aufwand an Ener-
gie, den wir benötigen, um das Instrument zu
Ich würde trotzdem diesen vielleicht etwas
beherrschen, wesentlich beeinflußt.
größeren Durchmesser empfehlen, da das
leichte und schnelle Aufblasen des Sackes ein
entscheidender Vorteil unseres Instrumentes
ist. Ein gut vorbereitetes und eingestimmtes Endmontage
Hümmelchen ist durchaus mit ein bis zwei
Atemzügen spielfertig aufgeblasen und damit Wer eine klare Meinung zum Sitz des Anblas-
fast ebenso schnell einsatzbereit wie jedes an- rohres hat, kann nun an das Zusammensetzen
dere Blasinstrument. der Einzelteile gehen.
Besondere Aufmerksamkeit verdient die An- Die Aufnahmebuchse für die Melodiepfeife
fertigung des Ventils. Es wird eine der Zeich-
Abb.16/17 wurde ja schon zum Abmessen des Anblasroh-
S.44 nung entsprechende Lederklappe zurechtge- res eingebunden. Nun wird die Öffnung für die
schnitten. deren später festzubindender Teil mit Aufnahmebuchse 'des Anblasrohres an der er-
einer Rasierklinge möglichst dünn abgearbeitet, mittelten Position eingeschnitten. Es werden le-
d. h. so >gespalten< wird, daß dieser kleine Le- diglich Einschnitte in der auf der Zeichnung an- Abb
derlappen wesentlich dünner ist als die runde gegebenen Weise gemacht. Die Aufnahme- S.46
Ventilklappe, Dann empfiehlt es sich, das un- buchse, welche in der Einbindekerbe wieder gut
tere Ende des Anblasrohres leicht schräg abzu- mit Bienenwachs abgedichtet wurde, kann dann
feilen. Es muß dabei eine glatte Fläche entste vorsichtig - ohne die Einschnitte weiter einzu-
hen. die nötigenfalls mit Sandpapier fein nach- reißen - in das entstandene Loch eingesetzt
zuarbeiten ist. Außerdem muß seitlich in dem werden. Die durch die Einschnitte in das Sack-
Bereich, in welchem das dünn geschnittene material entstandenen Spitzen werden nun über
Ende der Lederklappe aufgebunden wird, eine der Einbindekerbe des Aufnahmeteils mit Klebe-
entsprechende Bahn abgefeilt werden {Zeich- band und Gummi befestigt, so daß sich auf
nung beachten). Für das Aufbinden der Leder- diese Weise dann an der Einbindekerbe nur un-
klappe ist dünnes Polyestergarn zu empfehlen, eingeschnittenes Sackmaterial befindet, wel-
da dieses weitgehend unempfindlich gegen ches fest eingebunden wird. Dies führt zwar zu
Feuchtigkeit ist. Diese Bindung sollte sich spä- einigen Falten im Sack, ist aber eine sichere und
ter auch immer wieder leicht wechseln und kor- luftdichte Methode. Anschließend kann das Kle-
rigieren lassen. Sie muß also möglichst selb- beband entfernt werden. Es empfiehlt sich, die
ständig bleiben und darf nicht von der Faden- nun frei stehenden Spitzen des Sackmaterials
wicklung, die das Anblasrohr in dem Ansatz- nicht abzuschneiden, da sie bei einem später
stück abdichtet, überdeckt werden. Das Einrich- eventuell erforderlichen erneuten Einbinden im-
ten des Ventils erfolgt folgendermaßen: Die mer wieder in der beschriebenen Weise von
Lederklappe wird gründlich angefeuchtet und Nutzen sein können. Wenn nun die Melodie-
dann durch das Anblasrohr festgesaugt, so daß pfeife mit Doppelrohrblatt und das zuvor am Ven-
sie eine sicher schließende Form annimmt. In til angefeuchtete Anblasrohr aufgesteckt wer-
dieser Position wird sie getrocknet und abschlie- den, ist der Dudelsack eigentlich schon spielbe-
ßend, wenn nötig, nochmals nachgeschnitten, reit - es fehlen nur noch die Bordunpfeifen.
so daß sie sich im Innern des Aufnahmestückes Jetzt sollte man erst eine Weile spielen, um eine
31
Endmontage - Hinweise zur Spielpraxis

sichere Meinung zur künftigen Position der Bor- vieler kleiner Widerhäkchen wirken und es dem
dunpfeifen zu bekommen. Sack erschweren, nach vorn wegzurutschen.
Eher sollte er sich problemlos nach hinten ver-
Die Abbildung bei Praetorius legt eine Haltung schieben lassen. So kann das gesamte Instru-
nach oben oder nach vorn nahe. Es ist aber ment gut zwischen Melodiepfeife und Unterarm
auch eine Haltung der Bordune nach der Seite — festgehalten und sicher gedrückt werden. An-
etwa in Richtung auf den rechten Unterarm - ders gesagt: Im Unterschied zu den meisten
möglich. Wer diese, eigentlich sehr vorteilhafte, Tierfellen, die eine deutliche Streichelrichtung
Position bevorzugt, muß den Sack seitlich ein- vom Kopf nach hinten haben, sollte der Samt-
schneiden. Bei der nach oben gerichteten Posi- überzug des Dudelsackes die Streichelrichtung
tion kann der sternförmige Einschnitt für die von hinten zur Melodiepfeife haben.
Aufnahme der Bordunkapsel oben erfolgen. Die
Bordune bleiben dabei aber so beweglich, daß Bei der Herstellung des Samtüberzuges wird zu-
sie später immer noch mit einer extra Schnur- nächst ein entsprechender Sack in der Größe
bindung um Sackhals oder Anblasrohr nach des Dudelsacks geschneidert, der aber am Hals
vorn fixiert werden können. Zu bedenken ist da- noch weit geöffnet ist. Der Dudelsack wird nun.
bei, daß die nach oben gerichtete Position zwar ohne Pfeifen und Anblasrohr, >angekleidet<. An
einer weit verbreiteten Vorstellung von der Hal- den Stellen des Bordunansatzes und der An-
tung des Dudelsackes entspricht, aber doch blasrohrbuchse wird entsprechend freigeschnit-
einen entscheidenden Nachteil hat, den der ten, durchgesteckt und vernäht. Danach kann
Spieler bald selbst merken kann. Da die Bordun- auch der Hals vernäht und abschließend an der
pfeifen-Enden sich auf diese Weise bei unserem Aufnahmebuchse für die Melodiepfeife festge-
recht kleinen Instrument allzusehr in der Nähe bunden werden. Diese Stelle sowie die beiden
des linken Ohres befinden, hören wir die Melo- Einschnittstellen am Bordun- und Blasrohran-
diepfeife kaum noch, und der eigentlich sympa- satz werden gerne mit viel dekorativem Zierrat
thische Hummel-Bordunton fängt bald an zu (Fransen. Bänder, Schleifen etc.) getarnt bzw.
nerven. In der nach vorn gerichteten Position er- geschmückt. Falls man sich für die vorderstän-
gibt sich für uns hingegen ein günstigeres dige Position der Bordunpfeifen entschieden
Klangbild von unserem Instrument, und wir ha- hat, kommt dazu dann meist noch eine dekora-
ben zudem noch den Vorteil, daß sich die Bor- tive Kordel mit Quasten und Troddeln. Schade
dunteile in unserem Blickfeld befinden, also wäre nur, wenn ein so prächtig und eindrucks-
auch zum Ein- und Nachstimmen besser über- voll verziertes Instrument dann doch jämmerlich
schaubar sind. Dies gilt umsomehr für die seitli- klingt und man sich vielleicht den Vorwurf gefal-
che Position der Bordunpfeifen in Richtung auf len lassen muß. daß die gerade umgekehrte Re-
den rechten Unterarm. lation eigentlich besser gewesen wäre.

Wenn die Entscheidung für die Position der Bor-


dunpfeifen getroffen ist, wird der Sack einge- Hinweise zur Spielpraxis
schnitten, dann der kleine Aufnahmezapfen für
die Bordunwindkapsel, welcher sich ja immer Aus der Grifftabelle ist der Umfang der Melo- Abb.
noch im Sack befindet, von innen bis zur Ein- diepfeife, der von d' bis e" reicht sowie die S.47
bindekerbe durch die Öffnung gesteckt und in Grundstimmung des Instrumentes in G-Dur er-
der bereits beschriebenen Weise eingebunden. sichtlich. Diese Tonart wird gerade von den
Wegen seines geringen Durchmessers sollte neueren Musikfolkloristen, insbesondere bei
hier etwas dünnerer Dederonfaden verwendet den >Bordunmusikanten< oft genutzt. Es läßt
werden. sich auf unserem Instrument allerdings auch
Falls für den Sack ein Kunststoffmaterial ver- eine vollständige D-Dur-Tonleiter spielen, wenn
wendet wurde, so ist ein Samtüberzug, schon man das c i s " durch einen halbgedeckten Griff
aus optischen Gründen, zu empfehlen. Ein sol- mit dem Zeigefinger der linken Hand auf dem
cher Überzug hat aber, wenn er fachgerecht an- oberen vorderständigen Griffloch spielt. Bei
gefertigt wird, mehr als nur optische Vorzüge. langsamen Tonfolgen ist dies durchaus mög
Die feinen Samthärchen stehen am Stoff in lieh, und ein versierter Bastler könnte hier sogar
einer bestimmten Richtung. Diese sollte genau eine Doppellochbohrung anbringen.
beachtet werden, so daß der Samtüberzug spä- Ich habe in vielen Aufführungen der Sinfonie
ter am Körper eine feste Position des Dudel- D-Dur von Leopold Mozart (Die Bauernhochzeit)
sacks sichert, d.h. die Härchen sollten in der Art den Dudelsack Part in D-Dur auf dem hier vor-
32

Hinweis« zur Spielpraxis

gestellten selbstgebauten Instrument spielen ehern korrigiert. Entsprechende Unstimmigkei-


können. Dabei konnte ich auch die für mich sehr ten können sowohl durch die jeweilige Unter-
wichtige Erfahrung machen, daß dieses Hüm- schiedlichkeit der Doppelrohrblätter als auch
melchen intonationssicher genug sein kann, um durch ungenaues Bohren der Grifflöcher bei der
die Stimmung über alle Sätze bis zum Finale zu Herstellung der Pfeife begründet sein. Man
halten. Schließlich hat man bei solch einer Auf- denke in diesem Sinne stets an die entspre-
führung mit einem Sinfonie-Orchester nicht viel chende Reservemelodiepfeife. Ein zu hoch klin-
Chancen, sein Instrument vor jedem Satz neu gender Ton kann am Griffloch korrigiert werden,
einzustimmen. Um eine so lange Strecke mit indem dieses mit etwas Bienenwachs (oder ähn-
einem mundgeblasenen Dudelsack intonations lichem Material) verengt wird. Zur Erhöhung
sicher zu überstehen, sollte das Instrument aber eines Tones wird das entsprechende Griffloch
nicht nur vor jeder Aufführung exakt einge- an seinem oberen Rand erweitert. Bei diesen
stimmt, sondern zuvor auch gründlich einge- Veränderungen muß stets berücksichtigt wer-
spielt werden. den, daß durch das Korrigieren eines Grifflo-
ches stets auch die Stimmung der unter ihm lie-
Wenn in D-Dur gespielt wird, dann kann dabei
genden Töne beeinflußt werden kann.
die kleine Bordunpfeife erklingen. Ihr Ton ent
spricht dem tiefsten Ton der Melodiepfeife. Die Der tiefste Ton der Pfeife, der beim Einstim-
größere Bordunpfeife wird normalerweise auf men der ganzen Tonskala immer wieder mit be-
den Ton g eingestimmt, ihre Maße sind aber so achtet werden muß, kann nötigenfalls tiefer ge-
konzipiert, daß sie mit einem etwas höher ein- stimmt werden, indem etwas Wachs in die
gestimmten Doppelrohrblatt durchaus auch bis Schallbecheröffnung geklebt wird. Eine gute
zum a hochgestimmt werden kann und sich so Kontrollmöglichkeit beim Einstimmen besteht
auch zur Begleitung für D-Dur eignet. Außer- darin, daß zunächst das d' der kleinen Bordun-
dem läßt sich durch Austausch der beiden obe- pfeife genau eingestimmt wird, und dann auf
ren Bordunpfeifenteile auch leicht ein h-Bordun der Melodiepfeife die Töne des Tonika- und Do-
einstellen, der für ein Spiel in e-Moll geeignet minant-Akkordes überprüft werden. Mit dem
ist. großen Bordun in g können dann die Tonika so-
wie die Töne des Subdominantakkordes über-
Die angegebene Grifftabelle zur Melodie-
prüft und eingestimmt werden. Das entspre-
pfeife ist eigentlich überflüssig, da sich die Griffe
chende Ausschalten eines Borduntones, wel-
für die einzelnen Töne aufgrund der gedeckten
ches sowohl zum Einstimmen als auch für das
Spielweise, bei der ja für jeden Ton der Skala
vielseitige und abwechslungsreiche Spiel zu
nur das jeweils erforderliche Griffloch geöffnet
empfehlen ist, erreicht man am einfachsten da-
wird und alle anderen Grifflöcher im Prinzip ge
durch, wenn jeweils ein kleiner, angepaßter Zap-
schlossen bleiben, ganz logisch von selbst erge-
fen in ein Bordun-Pfeifenende gesteckt wird.
ben. Allerdings ist diese Spielweise gerade für
Auf diese Weise lassen sich auch beide Bor-
solche Musikanten, die schon Erfahrung mit an
dune abstellen, was bei bestimmten Musikstük-
deren Blasinstrumenten wie Klarinette, Oboe,
ken, in denen der Dudelsack vor allem als Melo-
Flöte etc. haben, etwas ganz Ungewöhnliches.
dieinstrument gebraucht wird, von Vorteil, und
Man wird zunächst gewisse Schwierigkeiten ha
manchmal auch, abhängig von der harmoni-
ben, ständig >Gabelgriffe< benutzen zu müssen.
schen Struktur, direkt erforderlich ist.
Wer anders herangehen und die Melodiepfeife
erst einmal mit offener Griffweise spielen
möchte, wird schnell merken, daß dies mit
einigen Korrekturen an den Grifflöchern auch Es gibt aber noch eine weitaus sensiblere Me-
möglich ist. Man verzichtet damit aber auf ganz thode, die Bordune auch während des Spiels
wesentliche Vorteile der gedeckten Spielweise ein- und auszuschalten. Dies ist durch plötzli-
und überhaupt auf die Spezifik des so konzipier- che, impulsartige Druckveränderung möglich.
ten Instrumentes. Die Einrichtung des Blattes Ich habe diese Möglichkeit zusammen mit dem
und das Feinstimmen des Instrumentes soll also Physiker Dr. H. Düsterhöft im >Laborversuch< un-
auf der Grundlage der gedeckten Spielweise er- ter Zuhilfenahme von Meßinstrumenten gete-
folgen. Wenn ein gutes Blatt ermittelt und zu- stet. Sie ergibt sich aus dem Umstand, daß die
rechtgemacht wurde (man wählt für die Melo- Windkapsel für die Bordunpfeifen u. U. als rela-
diepfeife stets nur das beste), richtet man zu- tiv selbständiger Druckbereich wirkt. Realisie-
erst die Grundstimmung des Instrumentes, also ren kann man dieses Ein- und Ausschalten dann
ein genaues g' ein. Es wird dann, soweit erfor- unter der Voraussetzung, daß die Blätter in Me
derlich, die Intonation an den anderen Grifflö lodie- und Bordunpfeifen hinsichtlich ihres An-
sprachedruckes jeweils sehr präzise eingerich-
33
Hinweise zur Spielpraxis

tet werden und dazu die verkleinerte Einlaßöff- manuelle Umgang mit diesen Musikinstrumen-
nung für die Bordunwindkapsel entsprechend ten war jedenfalls hochentwickelt! Über die spe-
genau eingeregelt wird, so daß die Druckver- ziellen spieltechnischen Feinheiten wissen wir
hältnisse im Sack, die zunächst das Einschwin- aber viel weniger als sich vergleichsweise über
gen des Melodiepfeifen-Rohrblattes bestim- den Verarbeitungsgrad an erhaltenen Musikin-
men, erst durch einen zusätzlichen plötzlichen strumenten aussagen läßt - zumal sich Spiel
Druckimpuls (der von der Reduzierventileigen- techniken nicht unmittelbar am Instrument able
schaft des Doppelrohrblattes der Melodiepfeife sen lassen.
aber gut )verkraftet< wird) auch im >Neben- Außerdem ist bedenkenswert, daß überhaupt
raum<, d. h. in der Windkapsel der Bordunpfei- menschliche Kulturen viel empfindlicher sein
fen aufgebaut werden. Es genügt dabei tatsäch- können und auch viel leichter unwiederbringlich
lich eine kurzzeitige Druckerhöhung, denn der untergehen können als bestimmte überlieferte
einmal angeregte Schwingungsvorgang bei den Geräte aus diesen Kulturen. Wobei anderer-
Borduntönen setzt sich auch fort, wenn später seits - und das wäre vielleicht für die Gegen-
mit normalem Druck am Sack weitergespielt wart besonders zu bedenken - bestimmte Ge-
wird. rätschaften eben auch den kulturvollen Umgang
Durch ein deutliches kurzzeitiges Nachlassen mit der Welt einengen und verarmen können.
des Druckes kann dann auch wieder auf der Me- Der engagierte Hümmelchenspieler von heute
lodiepfeife alleine - also ohne Bordunbeglei- kann sich also über das kulturelle Spannungs-
tung - weitergespielt werden. Diese spieltech- feld, in welchem er sich mit seiner Instrumen-
nische Feinheit wird freilich in unserer heutigen tenwahl selbst plaziert, auch seine eigenen Ge-
Musizierpraxis nur selten realisiert werden kön- danken machen. Aphoristisch gesprochen, wird
nen, da sie neben dem sehr genauen Herrichten er sich vielleicht irgendwie zwischen künstlich
der Blätter und dem entsprechenden Einrichten beleuchteter Computertechnik und sonnen-
des ganzen Instrumentes, eben auch sehr viel orientierter Wiesenhummel-Natur seine Zeit
Gefühl für die Beherrschung der Druckverhalt- zum Üben suchen müssen. Ich vertrete nun
nisse und ein zeitaufwendiges Üben erfordert. nicht die These, daß es sehr wahrscheinlich sein
muß, daß das Ein- und Ausschalten der Bordun-
töne auf die oben geschilderte Weise bei unse-
An dieser Stelle ist vielleicht eine generelle rem Hümmelchen tatsächlich üblich war, eben
Überlegung zur Spielpraxis und zum Umgang sowenig wie ich vielleicht jedem Hümmelchen-
mit unserem Instrument angebracht: spieler heute empfehlen würde, unbedingt viel
Die soeben geschilderte Möglichkeit ist natür- Zeit seines Lebens darauf zu verwenden, diese
lich physikalisch begründet und wurde von uns Technik zu realisieren. Ich meine nur, daß es
ja auch im Labor ermittelt. Das schließt jedoch wichtig ist, um solche Möglichkeiten und das
keineswegs aus, daß sie nicht auch schon in der sie umgebende Problemfeld zu wissen, um sich
Vergangenheit, ohne die Hilfe genauer Meßin- im Spannungsfeld von Traditionsbemühungen,
strumente und exakter physikalischer Theorien Alltagsdruck und moderner Zivilisationsentwick-
gefunden und genutzt wurde. Was Experimenta- lung auch eine sinnvolle persönliche Meinung
toren in einem Labor voller Meßinstrumente re zu seiner Freizeit — Musik bilden zu können.
lativ schnell ermitteln, auf Protokollen festhal- Denn schließlich läßt man sich mit diesem In-
ten und vielleicht noch durch >hochintelligente< strument eben doch auf eine ganz spezifische
Computer nachrechnen lassen können, darauf Kultur ein, die liebevolle und auch zeitaufwen-
konnte in diesem Falle durchaus auch ein pfiffi- dige Beschäftigung erfordert. Und gerade dies
ger Musikant im 16./17. Jahrhundert gekommen ist bei der im folgenden erläuterten Spieltech-
sein, der sich vielleicht sein Leben lang liebevoll nik — die ich unbedingt zum intensiven Üben
mit dem Hummelchen beschäftigte und viel Er empfehlen möchte - der Fall. Hier geht es um
fahrung mit dem genauen Einrichten der Tonge- das genaue Ein- und Ausschalten der Töne auf
neratoren und der Ausnutzung unterschiedli der Melodiepfeife. Da ist ein exaktes Stakkato
cher Druckverhältnisse sammeln konnte. Wenn kein prinzipielles Problem. Wenn in sitzender
man sich die erstaunliche Vollkomenheit ande Spielhaltung der kleine Schallbecher der Melo
rer historischer Musikinstrumente aus dieser diepfeife auf das Knie bzw. den Oberschenkel
Zeit vor Augen hält, die mit gegenwärtiger Her aufgesetzt wird und alle Grifflöcher geschlos-
stellungstechnik (obwohl die technischen Mittel sen sind, so kann sich kein Ton entwickeln, da
heute zweifellos höher entwickelt sind) keines die Luft nicht durch das Rohrblatt der Melodie-
wegs wieder erreicht wurde, so kann einen das pfeife strömen kann. Sobald aber ein Griffloch
schon bedenklich stimmen. Der handwerklich/
34

Hinweise zur Spielpraxis

oder der Schallbecher geöffnet werden, kann technischen Feinheit - dem Vibratospiel bei ge-
die Luft aus dem Sack durch diese Öffnungen deckter Grifftechnik - bewältigen kann.
strömen, und es erklingt schlagartig der ent Dieses Vibratospiel ergibt sich dadurch, daß
sprechende Ton. bestimmte, unter dem gegriffenen Ton liegende
Grifflöcher schnell geöffnet und geschlossen
Die für unser Instrument eigentlich normale ge- werden und ist in der Regel eine Mischung aus
deckte Spielweise, bei der ja zwischen allen Me- Tonhöhenschwankung und Veränderung des
lodietönen auf der G-Dur-Skala immer wieder Toncharakters (also ein vibrierendes >Abblen
schlagartig die Unterquarte, also der tiefste Ton den< des Tones). Schwierig dabei ist, daß es
der Melodiepfeife, >zwischengeschaltet( wer nicht immer eine feste Regel gibt, mit welchem
den kann, wird im Wechselspiel mit dieser auf- Griffloch das entsprechende Vibrato erzeugt
gesetztem Haltung der Spielpfeife, bei der eben werden soll. Es ist sowohl von der Einrichtung
auch ein exaktes Stakkato bei allen Tönen der Me- der Mensur als auch vom Blatt abhängig, und
lodiepfeife spielbar ist, in attraktiver Weise be jeder Spieler muß sich die sicheren Vibrato-
reichert. Die Verbindung von beiden Techniken Griffe für sein Instrument ganz bewußt selbst
sollte also intensiv erprobt und geübt werden. erarbeiten. Die Gefahr bei dieser Spielmanier
Allerdings wird man beim Erproben dieser besteht darin, daß man sich damit vielleicht
Möglichkeit auch bemerken können, daß bei doch am genauen Einstimmen des Instrumentes
aufgesetzter Spielpfeife bestimmte Töne der vorbeimogelt und dann bei allen Tönen Vibrato
Melodieskala eine leichte Verstimmung erleiden spielt (und vielleicht noch jedes Vibrato mit
und nötigenfalls entsprechende Korrekturen an einem anderen Charakter), so daß letztlich die
der Mensur der Melodiepfeife erforderlich ma- gesamte Intonation leidet.
chen. Genau genommen könnte man sogar sa-
gen, daß in Abhängigkeit von der Spielweise Auf unserem Hümmelchen ist in bestimmten
drei unterschiedliche Mensuren bei unserer Grenzen auch ein Glissando von Ton zu Ton
Hümmelchenpfeife möglich sind: möglich. Dieses sollte aber bewußt mit den Fin-
gern (langsames >Abrollen< oder Schrägverstel-
- eine Mensur für die offene Spielweise, lung der Finger) und nicht durch Druckänderung
- eine Mensur für die gedeckte Spielweise mit am Sack erzielt werden, wobei jedes Glissando
unten geöffneter Melodiepfeife und möglichst wieder auf einem exakt gespielten
- eine Mensur für die gedeckte Spielweise mit gedeckten Griff enden sollte.
aufgesetzter (also unten geschlossener) Me-
lodiepfeife. Ein echter Musikant wird beim Erproben dieser
Die offene Spielweise sollte man nur ausnahms- Möglichkeiten des Instrumentes bald herausge-
weise. sozusagen als Notbehelf, bei sehr funden haben, daß sich ohne weiteres eine
schnellen und schwierigen Tonfolgen anwen Menge Volkslieder damit spielen lassen und
den. Wer bei unserem Instrument die Mensur daß es viele Varianten gibt, solche Lieder ent-
der Melodiepfeife nur dafür einrichtet und auf sprechend den Eigenheiten und Möglichkeiten
gedeckte sowie >aufgesetzte< Spielweise ver des Instrumentes spezifisch zu gestalten. Ich
zichtet, nutzt die musikantischen Möglichkeiten würde dabei zunächst folgende traditionelle
der Hümmelchen-Dudelsackmusik nur ungenü- deutsche Volkslieder zur Übung empfehlen:
gend. Wer aber die beiden zuletzt genannten Wenn alle Brünnlein fließen ...
Spieltechniken intensiv übt und dann auch in
Widele. wedele hinterm Städtele ..
der Lage ist. ihre jeweiligen Vorteile und Eigen
In Mutters Stübele ...
heiten in fließendem Übergang wechselseitig zu
Jetzt fängt das schöne Frühjahr an ...
verbinden und geschmackvoll zu gestalten, der
Maienzeit. Maienzeit ..
kann mehr als auf Dudelsäcken sonst üblicher-
Im Märzen der Bauer ...
weise gemacht wird.
Kein schöner Land
Um diese Verbindung beider Spieltechniken Auf, auf zum fröhlichen Jagen .
aber anspruchsvoll und intonationssicher zu rea Auf, du junger Wandersmann ...
lisieren, muß zunächst die Mensur für die ge- Wenn ich ein Vöglein wär
deckte Spielweise gründlich erprobt und einre- Oh, du lieber Augustin ...
guliert werden, um dann die Konfliktstellen Innsbruck, ich muß dich lassen ...
beim Stakkato-Spiel zu ermitteln und entspre- Wer sich systematisch um die Vervollkomm-
chend auszugleichen. Dabei werden oft auch nung seiner Spielfertigkeiten und um ein dudel-
bestimmte Intonations-Kompromisse erforder- sackspezifisches Repertoire bemühen will, der
lich sein, die man aber mit einer weiteren spiel- kann auch auf die schon erwähnte Spielanlei-
35
Hinweise zur Spielpraxis

tung für böhmischen Bock von J.Rezny zurück- mehr musikalische Möglichkeiten, die jeder
greifen. Der böhmische Bock ist zwar hinsicht- Dudler für sich entdecken und für sein Spiel
lich Kaliber und Klang nahezu das gerade Ge- ausnutzen kann. Es werden ihm aber mit diesem
genteil des Hümmelchens, aber es gibt eine we- Instrument auch immer wieder gewisse funk-
sentliche Analogie in den spieltechnischen tionstechnische Schwierigkeiten begegnen, die
Möglichkeiten, die darin besteht, daß auch dort es erforderlich machen, stets für entsprechende
die gedeckte Spielweise obligatorisch ist und Reparaturen und Instandhaltungsarbeiten ge-
außerdem alle Intervalle der böhmischen Spiel- wappnet zu sein. Dafür sollte man folgende
pfeife auch auf der Hümmelchenpfeife - aller- >Werkzeuge, Materialien und Substanzen< mög-
dings in einer anderen Tonart — spielbar sind. lichst immer bei der Hand haben:
- kleine Flachzange
Um als Hümmelchen-Spieler den Notenteil die- - Arbeitsdorn für Doppelrohrblatt
ser Spielanleitung unmittelbar nutzen zu kön- - scharfes Messer
nen. muß man nur drei Dinge tun. Erstens alle - feines Sandpapier
Noten von Es-Dur nach G-Dur transponieren - Streichhölzer
(die böhmischen Dudelsackspieler. die ein klei- - Messingdraht
nes in G gestimmtes Böckchen spielen, müssen - Polyestergarn
ja das gleiche machen); zweitens muß man den - Stopftwist
d'-Bordunton erst einmal abschalten und nur - Bienenwachs
das g der größeren Bordunpfeife klingen lassen - Chemikalkleber
(der kleine Bordun eignet sich nicht bei allen - Zapfenfett
Stücken des )Böhmischen Repertoires<) und - Pflaster bzw. Klebeband
drittens sollte man den kleinen Finger der rech-
- Lederklappen für Ventil
ten Hand bei diesen Übungen stets auf dem
- einige gut vorbereitete Doppelrohrblätter.
Griffloch liegen lassen, denn das entsprechende
Neben dem ständigen Üben am Instrument
Intervall kommt in böhmischer Dudelsackmusik
empfiehlt es sich, auch die Herstellung von
nicht vor. Für deutsche Volkslieder benötigen
Doppelrohrblättern zu >üben< und entspre-
wir es allerdings sehr oft, und auch auf dem tra-
chende Erfahrungen dabei zu sammeln.
ditionellen sorbischen Dudelsack wurde die
ses Intervall verwendet - wir können also mit Der wichtigste Hinweis im Sinne der Instand-
unserem Instrument auch die traditionellen haltung des Instrumentes ist aber der, daß der
sorbischen Dudelsackthemen vollständig spie- mundgeblasene Dudelsack nach jedem Spiel
len. auseinandergenommen wird, um gründlich aus-
trocknen zu können. Also:
Und wenn wir etwas freier an die ganze Sa- - Melodiepfeife abnehmen und trocknen lassen
che herangehen, ist leicht zu finden, daß auch (möglichst mit Windkapsel aufbewahren);
manches böhmische Dudelsackthema damit be- - Windkapsel mit Bordunen abnehmen;
reichernd gestaltet werden kann. - Anblasrohr abnehmen und Ventil mit Hülse
Wenn das Hümmelchen experimentierfreudig schützen;
und bewußt gespielt wird, hat es noch weitaus - Sack austrocknen lassen.
36

Nachbemerkungen:
Spezifisches und Zukünftiges

Wer ein Instrument nach vorliegender Bauanlei- blasen nicht standhalten. Hier kann man mit en-
tung hergestellt hat, wird möglicherweise be- geren Bohrungen (beim g-Bordun ca. 3,5 m m ;
reits beim Bauen bestimmte Ideen und Vorstel- beim d'-Bordun ca. 3,0 mm) günstigere Verhält-
lungen entwickelt haben, wie es auch hätte an- nisse schaffen, die bei leiseren Borduntönen
ders gemacht werden können, was am Instru- auch ein ausgeglicheneres Klangbild für die
ment verbesserungswürdig sei, wie man das überblasenen Töne der Melodiepfeife ergeben.
Ganze noch sicherer machen oder auch hüb- Zu beachten ist dabei, daß eine Verringerung
scher gestalten könnte. Wer sein Hümmelchen des Durchmessers zu einem tieferen Ton führt
dann auch noch emsig spielt, wird erst recht und sich also entsprechende Verkürzungen der
Ideen und Wünsche zur Verbesserung entwik- Bordunpfeifen erforderlich machen. Möglich ist
keln können. Bei diesem Instrument, welches ja auch, daß weitere Ideen entwickelt werden, um
weit mehr eine Rekonstruktion im Sinne eines ein mechanisch sicheres Ein- und Ausschalten
>Neuentwurfs<, als etwa die >exakte Kopie nach der Borduntöne sowie praktikable Umstim-
authentischer Vorlage< ist, steht dies auch je- mungsmöglichkeiten an den Bordunpfeifen zu
dermann völlig frei. realisieren. Ebenso nahe liegt es, verschieden
gestimmte Melodiepfeifen herzustellen, um
Es gibt da noch viele Möglichkeiten, und in auch in anderen Tonarten und mit anderen In-
den ersten Abschnitten wurden dazu ja bereits strumenten zusammen spielen zu können. Man-
einige Gedanken geäußert Am interessantesten chem Dudelsackfreund wird die Mensur der hier
und auch am aktuellsten erscheint mir nun die angegebenen G-Dur-Melodiepfeife ohnehin
Erweiterung des Tonumfangs der Melodie- grifftechnische Schwierigkeiten bereiten, da die
pfeife, wobei wohl eine f i s " und eine g"-Klappe Grifflöcher für die obere (also die linke) Hand
denkbar sind. Eine solche Umfangserweiterung recht eng beieinander liegen. Eine F Dur Pfeife
ist technisch durchaus möglich. Bei der Anord- mit etwas weiterer Mensur kann also auch aus
nung der Klappen wäre aber darauf zu achten, diesem Grunde erforderlich werden. Dazu müs-
daß auch bei diesen Tönen die Spezifik der ge sen dann freilich auch die zugehörigen Bordun-
deckten Griffweise erhalten bleibt. Damit wäre pfeifen entsprechend tiefer gestimmt werden.
ein Umfang realisiert, mit dem man die meisten Aus den vorliegenden Ausführungen geht be-
deutschen Volkslieder (von denen auf der Skala reits hervor, daß es drei verknüpfbare Möglich-
des böhmischen oder des sorbischen Bocks keiten gibt, dies zu realisieren: tiefer gestimmte
oder aber auch der üblichen Schaperpfeiff viele Tongeneratoren; Verlängerung der Bordunpfei-
nicht enthalten sind) spielen könnte. Wer mit fen; Verringerung des Durchmessers der Boh
solchen Klappen an der Melodiepfeife experi rungen. Desweiteren ist zu erwarten, daß künf
mentiert. kann sich dann auch an das Abenteuer tig auch öfter versucht wird, die Doppelrohrblät-
des Überblasens in die Duodezime wagen, ter aus entsprechend geeignetem Plastmaterial
denn mit den nächsten beiden Tönen im über- herzustellen. Dies würde, falls damit ein guter
blasenen Register - also a" und h" - kann die Klang sowie eine sichere Ansprache und Intona
G-Dur-Tonleiter, und mit den weiterfolgenden tion in allen Bereichen der Melodiepfeife (auch
auch noch die D-Dur Skala unmittelbar fortge bei erweitertem Tonumfang!) erreicht werden
setzt werden. Darüberhinaus kann man mit ins- kann, tatsächlich eine wesentliche Verbesse
gesamt 7 Klappen und drei Doppellochbohrun- rung darstellen, da die Stimmungsunsicherhei-
gen eine vollständig chromatische Melodie ten durch Feuchtigkeitseinwirkung auf diese
pfeife herstellen, die dann beim Überblasen Weise wesentlich verringert werden könnten.
einen chromatischen Umfang von mehr als zwei Das einmal mit gut gemachten und gut einge-
Oktaven ermöglicht. Als problematisch können richteten Plasteblättern ausgerüstete Hümmel-
sich dabei allerdings die Borduntöne erweisen, chen könnte dann immer sofort spielbereit sein,
wenn sie den Druckveränderungen beim Über
37

Nachbemerkungen

während normale >hölzerne< Doppelrohrblätter selt und oral sowie in einer lebenslustigeren
nach längerem Liegen des Instrumentes doch und spontanen Beziehung von Musik-Rhythmus
stets ein bißchen angefeuchtet bzw. nachregu- und Körperbewegtheit einlassen möchten. Und
liert werden müssen. in diesem Sinne bin ich auch der Meinung, daß
die möglichen Verbesserungen und Entwicklun-
Eine solche Sicherheit läßt sich allerdings gen am >toten Instrument< vielleicht nicht so
auch mit einem Blasebalg erreichen, da auf wichtig sein müssen wie die sicherlich weitaus
diese Weise keine Atemfeuchtigkeit mehr in das wichtigere Entwicklung der wirklichen lebendi-
Instrument dringt und so auch die lästigen Ma- gen Spielpraxis im Sinne einer Kultur, in der ein
nipulationen zum jedesmaligen Austrocknen solches Instrument wieder sinnvoll existieren
des Instrumentes nach dem Spiel entfallen wür- und lustvoll gebraucht werden kann. Erst in die-
den. Dies ist wahrscheinlich auch die beste Lö- sem Rahmen werden sich dann auch be-
sung, um ein intonationssicheres Zusammen- stimmte technische Verbesserungen am Instru-
spiel mit anderen Instrumenten zu gewährlei- ment mit umso größerer Gewißheit durchset-
sten. Außerdem ermöglicht ein Instrument mit zen können. Jedenfalls gibt es in dieser
Blasebalg eine freiere Haltung der Hände und Hinsicht viele bemerkenswerte Tendenzen und
zudem in sitzender Spielposition auch ein siche- neue Möglichkeiten derartiger kultureller Ent-
res und ungezwungeneres Abstoppen der Melo- wicklung. So treffen sich schon seit einiger Zeit
diepfeife auf dem Oberschenkel. Nicht zu ver- alle zwei Jahre die Dudelsackselbsthersteller
gessen wäre auch, daß ein mit Blasebalg spie- unseres Landes, um Erfahrungen auszutau-
lender Dudler eben auch gleichzeitig zu seinem schen, und haben inzwischen auch eine Reihe
Instrumentalspiel singen kann. internationaler Kontakte geknüpft. In der weite-
ren Perspektive sind durch das Zentralhaus für
Aber ein solches Instrument bringt auch wie- Kulturarbeit der DDR in Leipzig und das Haus
der bestimmte Konflikte mit sich. Zunächst ist für Sorbische Volkskunst in Bautzen etwa alle
zu bedenken, daß es sich durch den Blasebalg vier Jahre Dudelsackspielertreffen mit interna-
mit Leibriemen in Größe und Gewicht ungefähr tionaler Beteiligung geplant. Darüber hinaus
verdoppelt. Die Selbstherstellung wird natürlich gibt es für die wachsende Zahl von Interessen-
auch viel problematischer, und vor jedem Spiel ten weitere vielfältige Möglichkeiten spontanen
müßte das Instrument - etwa wie der Böhmi- oder organisierten Erfahrungsaustausches, und
sche Bock oder die Northumbrian Small-Pipe - seit vielen Jahren ist ja gerade auch unter jun-
aufwendig und zweifach >angeschnallt< werden. gen Musikanten ein wiedererwachendes Inter-
Vielleicht sollte es doch eine wesentliche Spezi- esse an Folklore und traditioneller Musik zu be-
fik unseres Hümmelchens sein, daß es - einmal obachten. Die Beschäftigung mit dem Hümmel-
vor dem Spiel hergerichtet — ohne weitere Um- chen ist ein Teil dieser ganzen Entwicklung, und
stände in die Hand und spielend an den Mund ich bin sicher, daß sich viele Musikanten künf-
genommen werden kann und sich auch ebenso tig auch für dieses Instrument stärker interes-
leicht wieder ablegen läßt? Letztlich provoziert sieren werden. Seine Chancen stehen zumin-
ein Blasebalg-Instrument ja auch einen ganz an- dest nicht schlecht. Vielleicht kann es sogar
deren >Musikanten Habitus<. Der Kneipen- und viele Interessenten außerhalb des gegenwärtig.
Straßenmusikant oder auch der Wandermusi- manchmal recht markterheischenden >Neofolk-
kant (warum soll es so etwas eigentlich in unse- lorebooms< finden. Was seine Lautstärke be-
rem Lande - beispielsweise in den sonnigen Fe- trifft. so liegt ja nahe, daß es vielleicht mehr für
rienmonaten - nicht geben?) wird vielleicht Hausmusik im Neubau als für Straßenmusik auf
eher das mundgeblasene Instrument bevorzu- dem Altmarkt geeignet ist. Allerdings sind in
gen, während der kammermusikalisch-konzer- den letzten Jahren auch die leisen Töne in der
tant agierende Musiker möglicherweise weitaus neueren Musikfolklorebewegung der letzten
mehr mit einem blasebalgbetriebenen intona- Jahre wieder ernster genommen worden, und
tionssicheren Gerät, welches spielfertig aus mit einem solide gespielten Hümmelchen wä-
dem Kasten genommen, nur noch angeschnallt ren da ganz neue Kombinationen in der Instru-
zu werden braucht, liebäugeln wird. Hinzu mentierung denkbar. Der leise Dudelsack kann
kommt noch, daß letzterer keine Probleme ha- sich auch mit solchen Instrumenten, die anson-
ben muß, wenn er sich - an Leib und Arm fest sten vom Bock oder der Schaperpfeiff eher ver-
angeschnallt - auf sein vorgeschriebenes No- trieben wurden, vertragen. Sicher wird das
tenblatt konzentriert, während andere Musikan- Hümmelchen auch auf manchen Musikfreund
ten sich auf die dudelsack-spezifische Einheit beeindruckend und überzeugend wirken, der
von Körper und Instrument wohl lieber ungefes-
38
Nachbemerkungen

sich zuvor von Dudelsackmusik keineswegs Sein eigentliches Wesen wird es aber wohl erst
überzeugen ließ; ganz abgesehen davon, daß offenbaren und entfalten können, wenn tatsäch-
dieses Instrument auch einen anderen Perso- lich die verschiedensten Musikanten aktiv damit
nenkreis zum Selbermachen und Selberspielen umgehen und versuchen werden, ihre Vorstel-
anregen kann, als dies bislang bei Bock und lungen zu verwirklichen, um dann in der Be-
Schaperpfeiff der Fall war. Zumindest würde schäftigung mit dem Instrument und den durch
ich hoffen, daß es nicht so zäh wie diese bei- das Instrument vermittelten Begegnungen mit
den nur an bestimmte kulturelle Szenen gebun- alten Traditionen und gegenwärtigen Moden
den bleibt, sondern sich vielleicht einen breite- letztendlich auch selbst wieder andere musikali-
ren sozialen und kulturellen Bereich erschließen sche Vorstellungen und neue Initiativen zu ent-
kann. wickeln.
Bildanhang 39

gekürztes Rohr-Rohmaterial Röhrchen aus Messing, Kupfer oder


eines Fagottrohres Aluminium, auf den Dorn Pos. 9
geformt

Blechschablone für das Rohrblatt Beide Blatt-Teile


auf Röhrchen
geleimt

Fadenwicklung

Nachschnitt

Fertiges Doppel-Rohrblatt Spalt in der Draufsicht

mehrere Wicklungen
Messingdraht verdrallt abebereich

Seitenansicht

Faden kreuzweise gewickelt,


verschlungen und verklebt

freies Röhrchen /
40

vergrößerte Darstellung Anschliff

Silberstahlbohrer

Handelsüblicher Schälbohrer nach TGL 5 - 20


(VEB Werkzeugmaschinenfabrik Zella-Mehlis)
41

vorn parallel auf 2mm abfeilen


M = 2:1

Dorn zur Formung der Metallröhrchen

Handelsüblicher Holzbohrer
mit Zentrierspitze b - 14
42

Absatz: Bezugspunkt für Grifflochmaße

Fadenwicklung

Melodiepfeife
in Schnittdarstellung

Bordunpfeifenunterteil
in Schnittdarstellung
(g-Bordun)

unteres Griffloch
ca. 30° versetzt

Auskehlung durch Schälbohrer

[Nacharbeiten entspr.Blattmaß
43

Auskehlung entspr. Schälbohrermaß

Bordunpfeife in Schnittdarstellung -
oberer Teil - (g-Bordun)

Bordunpfeife in Schnittdarstellung - (d'-Bordun)

-Unterteil — - Oberteil -

Auskehlung durch Schälbohrer


Nacharbeiten entspr. Blattmaß
44

Anblasrohrin
16
Schnittdarstellung
Kerbe
Ventil-Lederlappen
Ansatz
dünn schaben

Aufnahmeteil für Melodiepfeife

Ansicht Schnitt
Auskehlung einseitig

18

Aufnahmeteil
für Anblasrohr

Fadenwicklung des Zapfens mehrlagig. ..ballig"

Fadenwicklung für Ventillappen einlagig


45

Aufnahmeteil für Bordun-Windkapsel

Bordun-Windkapsel

Hohlraum
mit Schnitzeisen
ausgearbeitet

Schnitt A-A Schnitt B-8

Melodiepfeifen-Windkapsel
ca. 120

Hohlraum mit Schnitzeisen ausgearbeitet


Zuschnitt des Sackes: (1/2 natürl. Größe)
Hilfsraster 5 x 5cm Halbteil rechts

Sternförmige Einschnitte ins Sackmaterial


zum Einbinden der Aufnahmeteile;

für Anblasrohr25 x 25mm


für Bordun-Windkapsel-
Aufnahmeteile13 x 13mm
Position muß individuell
ermittelt werden
Grifftabelle

hinterständiges Loch für den Daumen der linken Hand


48

Die Einzelteile
des Hümmelchens
Bordunpfeife
(g-Bordun)

Anblasrohr
mit Ventil-Lederlappen

Aufnahmeteil

Aufnahmeteil

Rohrblatt

Bofdunpfeife
(d'-Bordun)

Rohrblätter

Bordun-Windkapsel

Aufnahmeteil 1
Abdichten des Windsackes:

1. Einstreichen des Sackmaterials mit Cenusil

2. Erstes Wenden des Sackes vor dem Abdichten der Naht

3. Auftragen der Cenusil-Wulst auf die Naht, vor dem zweiten


Wenden des Sackes
Spielhaltungen:
1. Sitzend beim Aufblasen des Sackes; 2. Sitzend mit aufgesetzter Spielpfeife;
Spielpfeife zum Aufsetzen am rechten Anblasrohr in Mundnähe
Oberschenkel

3. Stehend mit aufgeblasenem Sack; 4. Stehend, beim Aufblasen des Sak-


Anblasrohr in Mundnähe kes

Bernd Eichler (geb. 1942 Berlin) erlernte den Beruf eines Maschinen-
schlossers; 1967 Beginn eines Philosophiestudiums an der Humboldt-
Universität Berlin; danach Aspirantur und später Promotion; anschließend
wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentralinstitut für Philosophie der
Akademie der Wissenschaften; gegenwärtig mit dem Forschungs- -
thema »Wissenschaftsentwicklung und Musik« befaßt. Schon in der
Lehrzeit starke Hinwendung zur Musik: besonders zur Rock- und Jazzmu-
sik; Autodidakt auf verschiedenen Musikinstrumenten; während der
Studienzeit Chef der Jazzformation des Ernst-Hermann-Meyer-
Ensembles der Humboldt-Universität; während der Weltfestspiele 1973 in
Berlin erste Kontakte zu Jack Mitchell; aus dieser Verbindung rekrutierte
sich später die internationale Gruppe »Jack & Genossen«, 1978
Gründung der Gruppe »Windbeutel«; 1979 Gründung der
Dudelsackbrüderschaft der DDR, einer Interessengemeinschaft zur
Förderung des Dudelsackspiels; 1979/80 erste Rekonstruktion eines
altdeutschen Dudelsackes nach Michael Praetorius und Vergleichen mit
Dudelsacktypen anderer europäischer Volker; 1985 Zusammenschluß
von mehreren Dudelsackspielem der DDR zum Ensemble »Deutsche
DudelsackspielerrRunde/DDR«; seit 1975 verschiedene Schallplatten-
und Rundfunkaufnahmen, auch mit Dudelsackmusik; langjährige
ehrenamtliche Tätigkeit am Zentralhaus für Kulturarbeit der DDR als
Vorsitzender der Zentralen Arbeitsgemeinschaft Musikfolklore sowie als
Mitglied der Arbeitsgruppe »Traditionelle Volksmusikinstrumente«; besitzt
eine große private Sammlung von mehreren hundert Musikinstrumenten;
unterhält rege Kontake zu Dudelsackspielem europäischer Länder.

Das könnte Ihnen auch gefallen