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marianne lange-weinert

mÄdchenjahre

teil i

das haus mit den bunten scheiben und der sonnenuhr

"verliere deine puppe nicht, mahne", (1), sagt oma (2) und nimmt mich an die hand.
sie geht sehr schnell.

"oma, geh doch nicht so schnell. ich kann nicht mehr", sage ich und bleibe stehen.

"aber mannichen, dort ist schon der bahnhof, wir sind gleich da."

oma nimmt mir die puppe ab. sie geht jetzt noch schneller. ihr gesicht unter dem
schwarzten hut ist weiß.

in der großen bahnhofshalle sind viele menschen. sie laufen hin und her. ein kleiner
junge ruft laut nach seiner mutti. oma sieht und hört nichs und zieht mich hinter sich
her.

"hier muß es sein", sagt sie und wir steigen eine hohe treppe hinauf.

als wir oben angekommen sind, stellt oma ihren kleinen koffer ab und sagt zu dem
mann mit der roten mütze: "bitte, sagen sie, ist der zug nach münchen noch nicht
da?" "ja", antwortet der mann, "aber er ist nicht hier, er ist dort", und er zeigt uns,
wohin wir gehen sollen. wir laufen weiter.

als wir endlich den zug gefunden haben, steht papa plötzlich vor uns. er lächelt,
nimmt den koffer und die große tasche und geht mit uns zum zug. die müde oma
setzt sich auf eine bank im abteil, legt den hut aus das tischchen am fenster und
wischt sich mit dem taschentuch das gesicht ab.

papa setzt sich neben sie, nimmt mich zwischen seine knie und sagt: "ich bin so
traurig, saß mein kind von mir fortfährt, aber wie sollte ich für mariannchen sorgen,
jerzt, wo ihre mutter tot ist..."

oma beginnt zu weinen. immer, wenn mann von meiner mutti spricht, muß sie
weinen. vor einigen wochen erwachte ich morgens und hörte, wie mutti sagte: "du
mein armes mädchen, was soll nur aus dir werden, wenn ich nicht mehr bei dir bin!"
dann haben zwei männer in weißen mänteln sie die treppe hinunter geführt, sie in ein
auto mit einem großen roten kreuz gesetz und sind mit ihr fortgefahren. ich gabe
meine mutti nie wieder gesehen.

"erich, ich glaube, du mußt gehen." oma wischt sich mit dem taschentuch über die
augen. "der zug fährt gleich ab."

papa küßt uns. dann zieht er aus seiner tasche ein paket heraus. dort ist ein gelbes
stofftier mit langen ohren. "hier, mannichen, hast du noch einen passagier" (3).

papa geht aus dem wagen. oma, ich das gelbte stofftier sehen durch das fenster zu
ihm. dann fährt der zug ab. papa lächelt, aber seine augen sind traurig. dann wird er
immer kleiner und bald können wir ihn nicht mehr sehen.
"wie schlecht er aussieht", sagt oma traurig. sie setzt sich auf ihren platz und schließt
müde die augen.

der zug fährr immer schneller. ich sehe zum fenster hinaus. häuser, bäume, wiesen
fliegen vorbei.

"mannichen, bist du nicht müde?" fragt oma. "du solltest ein wenig schlafen. wenn du
erwachst, sind wir schon in münchen." ich setze mich neben sie und lege meinen
kopf auf ihren arm. das gelbe stofftier und meine puppe sitzen auch auf der bank und
sehen uns an.

"bleibe ich jetzt immer bei euch, oma?"

"ja, kind. es wird dir bei uns gefallen. tante Änni hat auch zwei kinder. evchen (4) ist
etwas älter als du. sie geht schon in die schule. bubi (5) ist noch klein. dann ist noch
der opa (6) da, die tante und ich. den schnauzerl (7) und eine katze haben wir auch.
die katze heißt mieze."

"und der onkel?"

"er wohnt nicht bei uns. er kommt nur uns besuchen. er arbeitet in einer anderen
stadt. tante Änni hat auch einen beruf. sie ist schauspielerin."

ich weiß nicht, was eine schauspielerin ist. aber ich bin zu müde, um zu fragen.

"wir wohnen nicht weit von münchen in einem schönen haus, manne", erzählt oma
weiter. ee hat viele zimmer, eine veranda und zwei balkons. die fenster haben bunte
scheiben. wenn die sonne scheint, so ist in den zimmern buntes licht."

das ist interresant. bunte fensterscheiben habe ich noch nie gesehen.

oma ist jetzt nicht mehr müde und traurig. sie erzählt weiter.

"unser garten ist so groß wie ein park. am hause ist eine sonnenuhr."

"was ist das, eine sonnenuhr?" will ich fragen, aber ich kann den mund nicht mehr
aufmachen.

"mannichen, du schläfst ja schon! und ich erzähle und erzähle..." oma legt mir eine
decke unter den kopf. dann fühle icn noch, wie sie mir die neuen schule von den
füßen zieht und sie unter die bank stellt.

als ich erwache, sind wir schon in münchen. tante Änni steht auf dem bahnsteig.
neben ihr steht ein kleines mädchen, es sieht uns neugierig an.

"hier ist deine kuzine, evchen", sagt die tante, nachdem wir aus dem zug gestiegen
sind. "sie hat sich schon sehr auf dich gefreut."

evchen küßt mich und nimmt mich an die hand. wir gehen zusammen hinter tante
und oma her.

"opa und bubi warten schon auf dich", sagt sie. "unser schnauzerl ist zum bahnhof
mitgekommen, und die mieze ist zu hause und wartet auch auf dich." ich gehe ein
wenig schneller: ich will opa, bubi, den schnauzerl und die mieze kennenlernen. auch
freue ich mich schon auf das haus mit den bunten scheiben.
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(1) manne, mannichen - der zärlich name von marianne

(2) oma - großmutter (in der sprache von den kinderen)

(3) passagier - lies passa'3r

(4) evchen - der zärlich name von eva

(5) bubi - der zärlich spitzname von deren kleinen bruderen von evchen

(6) opa - großvater (in der sprache von den kinderen)

(7) schnauzerl - der rufname von des hund

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abendliches gesprÄch im kinderzimmer

"nun, mannichen, jetzt bist du auch schon ein großes mädchen!" evchen setzt sich zu
mir auf das bett. "hat es dir in der schule gefallen?"

"nein. zu hause ist es viel schöner!"

"ich auch schule", sagt kleine bubi und steht in seinem bett auf. sein gesicht ist rot
und rund wie ein apfel.

"du sollst schlafen. wenn du nicht gleich schläfst, rufe ich die oma." evchen legt bubi
wieder ins bett.

"wie heißt deine lehrerin?" will evchen wissen. sie kommt wieder an mein bett.

"fräulein kranz."

"ist sie schön?"

"ja, sie gefällt mir. sie war auch sehr zu uns."

"in den ersten tagen sind die lehrer immer gut. sie entpuppen sich
später", sagt evchen. "du wirst schon selbst sehen. manche sind ruchtige scheusale.
du, manne, aber warum gefält dir die schule nicht? die lehrerin gefält dir doch. oder
sind die kinder nicht gut?"

ich weiß nicht, was ich antworten soll. mir ist selbst nicht klar, warum ich in die
schule nicht gehen will. es ist dort alles so fremd. ich glaube, ich habe einfach angst
vor ihr.

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eine schwere rechenaufgabe

die religionsstunde besuche ich nicht. mein vater ist kommunist. er will nicht, daß ich
die religionsstunde besuche. und in der letzten stunde haben wir heute rechnen.
"wenn ein mensch sechs stühle hat und ein anderer nur vier, wieviel stühle muß der,
der sechs hat, dem anderen abgeben, damit beide gleich viel haben?" fragt fräulein
kranz, und wir sehen es an ihren augen, daß sie uns gleich noch etwas erzählen will.
ich hebe die hand. erika, mariechen, und gertrud tun das auch. aber die lehrerin fragt
otto.

"einen stuhl", antwortet er und steht von seinem platz auf.

"richtig, einem stuhl muß der mann abgeben", sagt fräulein kranz und geht wieder
zum lehrertisch zurück. "an dieser aufgabe möchte ich euch zeigen, was die
kommunisten wollen."

fräulein kranz sieht mich nicht an. aber ich verstehe, daß sie etwas für mich sagen
will. "die kommunisten wollen, daß alle gleich viel stühle und andere sachen haben."
wir sehen an ihrem gesicht, daß ihr das nicht gefällt. otto, der ihr immer die hefte
nach hause trägt, sagt, daß sie sehr viel möbel in ihrem zimmer hat. sie wird
natürlich ihre sachen nicht gern abgeben. fräulein kranz steht nun vor meinem platz,
sieht mich aber jetzt nicht an.

"was für eine dumme idee das ist, können sogar ganz kleine kinder verstehen", sagt
sie. die faulen und dummen sollen auch so gut leben, wie die klugen und fleißigen
menschen."

nein, ich verstehe das nicht! mein papa, mein guter papa sollte ein dummer mensch
sein? und will oma nicht auch immer, daß wir alles teilen sollen? ich verstehe das
doch nicht.

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ein gesprÄch mit opa

die bäume im garten rauschen im herbstwind.


im kamin aber brennt ein lustiges feuer.
wie schön ist es im zimmer!

evchen sitzt an ihrem schreibtisch und malt große blaue blumen.


ich mache meine schulaufgaben.
ach, immer diese rechenaufgaben!
plötzlich muß ich an die aufgabe mit den stühlen denken.

"warum ist mein papa kommunist?" frage ich evchen.


sie sieht mich erstaunt an.
"onkel erich möchte, daß es keine armen menschen mehr auf der welt gibt",
antwortet sie.

"fräulein kranz sagt aber etwas ganz anderes", sage ich.

"weißt du, manne, ich kann dir das auch nicht richtig erklären.
geh doch zu opa.
er weiß alles, und er freut sich, wenn du zu ihm kommst."

ich will auch die katze zu opa mitnehmen, denn er hat sie so gern.
ich nehme also die mieze unter den arm und gehe die treppe hinauf.

opa sitzt wie immer in seinem rollstuhl am fenster.


nur im sommer, wenn schönes wetter ist, bringen tante und oma
ihn in der garten hinunter.

"na, kind", sagt er, "das ist aber sehr gut von dir, daß du
deinen alten opa besucnen kommst, und die mieze hast du mitgebracht."

ich setze mich auf eine kleine bank an seine armen, kranken beine.
opa kann nicht gehen.
auch ein arm ist gelähmt.

"nun, kiind, was willst du mir sagen?" fragt er ernst,


aber seine augen lächeln.

"die lehrerin hat gesagt, daß mein papa kommunist ist


und alle kommunisten dumm sind."

opa lacht so laut, saß die mieze schnell fortläuft


und oma aus dem nebenzimmer erstaunt ihren kopf zur tür hereinsteckt.
"hast du das gehört, - hanni?" fragt opa und wischt sich die tränen aus den augen.
"mannes lehrerin sagt, daß unser erich dumm ist."
dann sagt er plörzlivh ernst:
"du gast einen guten und klugen papa und kannst stolz auf ihn sein.
wenn du größer bist, wirst du das verstehen."

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die neue mutti und etwas Über das lesen

"du, tante li ist scön, sie gefält mir", sagt evchen leise zu mir.
"du sollst nicht so unfreundlich zu ihr sein."

tante li ist meine neue mutti.


heute mittag stand papa plötzlich mit ihr an den gartentür und lachelte mir zu, als ich
aus dem hause kam.

"das ist meine manne, li", sagte papa, stellte seinen kopfer auf die erde und küßte
mich.
die frau küste mich auch. warum?
sie ist doch nicht meine mutti!..
jetzt sitzt sie still neben papa und raucht eine zigarette.

ich denke, sie ist traurig über mich, weil ich nicht gleich so freundlich zu ihr war wie
evchen.
evchen ist zu fremden menschen immer freundlich.
ich kann das nicht.

"mannichen, wollen wir beide nicht einen kleinen spaziergang machen?"


papa steht von seinem platz auf.
wir laufen zusammen in der garten und spielen dort lustig mit dem schnauzerl.
ach, wie glücklich sind wir alle drei!

dann kehren wir zu den anderen zurück.

jetzt sitzen wir alle - papa, tante Änni und ich wieder auf der bank unter dem alten
baum.
nicht weit von uns liegt in der sonne die neue mutti.
sie will braun werden. in berlin kann sie das nicht.
das haben sie kennen garten, das sie mir gestern erzählt.

da kommt bubi.
er will mit meinem papa spielen.
sie laufen beide auf die wiese und wir hören, wie sie dort lustig lachen. ich bleibe
aber bei tante Änni sitzen, denn ich möchte so gern mit ihr über die neue mutti
sprechen, weiß aber nicht, wie ich es anfangen soll.

da hebt die tante den kopf und zeigt auf die wiese. dort kriecht papa auf allen vieren
(1). bubi sitzt auf seinem rückten und ruft lustig: "hü-hott! (2)" auf seiner kleinen
nase sehen wir die dunkle sonnenbrille der neuen mutti.

"mit deinem papa kann man aber alles machen", sagt tante Änni und schüttelt den
kopf. dann fragt sie: "manne, weißt du nicht, wo evchen ist?" bald müssen wir essen.
ich höre schon, wie oma die teller auf den tisch stellt. wo kann sie nur sein?

ich weiß, wo evchen ist. ich darf es aber nicht sagen. sir liegt im hohen gras und liest
ein buch, das sie sich wieder aus tante Ännis bücherschrank genommen hat.

"dein evchen ist ein liebes mädchen geworden", sagt papa. "sie lernt fleißig und malt
auch gern, nur die bücher, die in ihrem büchersvhrankn stehen, gefallen mir nicht.
"trotzköpfen", "goldelse" (3) - was ist schon? warum gibst du ihr nicht wahre, gute
bücher zu lesen wie "ditte menschenkind" (4) oder die jugendbücher von maxim
gorki?"

tante Änni sieht papa aufmerksam an: "ich dankte, evchen ist noch zu klein, um
diese bücher zu verstehen."

"aber Änni, wenn die kinder so groß sind, wie evchen, denken sie schon über die liebe
und das leben nach. wenn wir ihnen nicht selbst gute literatur in die hand geben, so
suchen sie sich die antwort auf alle fragen in den büchern, die sie noch nicht
verstehen können."

"aber evchen liest kein buch, von dem ich nichts weiß", sagt tante Änni.

"ich möchte, daß du recht hast", antwortet papa.

"für unsere manne gibt es aber diese probleme noch nicht. sie liest noch sehr gern
ihre alten märchenbücher. nicht wahr, mannichen? sagt tante Änni zu mir.

ich bücke mich schnell nach einen gänseblümchen, (1), damit papa mein gesicht
nicht sehen kann. in den büchern, die evchen aus den bücherschrank ihrer mutter
nimmt, lese ich auch manchmal. nur weiß evchen das nicht. aber papa vershteht
gleich alles. er packt mich beim ohr und sieht mir ins gesicht. "es wird zeit, daß
dunzu deinem vater kommst." er lächelt, aber ich fühle, daß er ernst ist.

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(1) kriecht ... auf allen vieren - polzet na chetwerenxkah

(2) hü-hott - etim slovom ponukayut loshadx

3) "trotzköpfchen", "goldelse" - nazwaniya detskih knig

(4) "ditte manschenkind" - roman m.a. nekse

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frÄulein kranz erscheint im wahren licht

"marianne, sieh mal, wie es regnet."


liesel, meine nachbarin, sagt es mir leise während der stunde.
"da können wir in der pause wieder nicht auf dem schulhof spielen."

auf dem schulkorridor kann man nicht vieles machen.


da ist nicht viel platz.
auch sind hier fraulein kranz und der pfarrer (3) in der nähe.
er steht an einem großen fenster im korridor und ißt sein frühstücksbrot.
er denkt dabei an etwas.

fräulein kranz hat keine zeit zum denken.


sie verteilt ohfeigen.
wie sie da den meier max an seiner jacke fangen will, rutscht sie aus.
der pfaffer kann sie noch festhalten.
dann geht er an sein fenster zurück.

allle kinder lachen.


sogar otto lächelt.
fräulein kranz sieht und böse an.
"ich werde euch das lacheln schon austreiben", sagt sie und sieht sich nach dem
pfaffer um.
er hat nicht gehört, was fräulein kranz gesagt hat.
er ißt jetzt einen apfel.

es klingelt. wir laufen in die klasse.


fräulein kranz kommt auch in die klasse.

"legt eure griffel auf die tische.


ich will sehen, ob sie gut angespitzt sind", (1), sagt sie und lächelt böse.
liesel sucht aufgeregt in ihrem ranzen.
"wo ist er denn? heute noch habe ich mit ihm geschrieben", sagt sie leise zu mir.

fräulein kranz steht jetzt neben unserer bank.


"du hast also keinen griffel?" lächelt sie böse, "nun, dann geh an den tisch.
der rohrstock (2) wird dir helfen, daß du nicht wieder deine sachen zu hause vergißt."

"ich habe ihn nicht vergessen!" ruft liesel.

"lüge nicht! geh an den tisch!"


fräulein kranz hat plötzlich den rohrstock in der hand.

liesel geht zum tisch und weint.


mariechen und max sind auch schon da.
sie weinen aber nicht.

"na, und du, zeige du deinen griffel", sagt fräulein kranz jetzt zu mir.
wie gut, saß mein griffel angespitzt ist.
das hat evchen heute früh gemacht.

"das ist nicht dein griffel.


dieser ist zu klein zum schreiben."

"ich schreibe immer mit einem kleinen griffel", sage ich. ich habe angst.

"du lügst !" schreit fräulein kranz.


"geh an den tisch!"

am tisch stehen bald viele kinder, die keine angespitzten griefel haben.
alle sehen auf fräulein kranz.
alle haben angst.

"gib schon die hand her", sagt sie, als ich an der reihe bin, und hebt den stock.

ich gebe die hand nicht her.


ich kann mich doch nicht schlagen lassen, wenn ich nichts gemacht habe.

"nun, schneller!"
fräulein kranz reißt meine hand hoch.
sie schlägt mit dem stock auf die hand.

ich weiß nicht, wie ich wieder auf meinen platz gekommen bin.
ich habe schon gesehen, daß böse menschen tiere mit dem stock schlugen.
aber daß es auch menschen gibt, die unschuldige kinder schlagen, daß wußte ich
nicht!

die stunde geht weiter.


fräulein kranz sieht uns freundlich an.
mit einem stück kreide schreibt sie wörter an die tafel.

warum nur müssen die kinder in diese schule gehen! denke ich.
wie schön war es, als ich mit evchen, bubi und dem schnauzerl
den ganzen tag im kinderzimmer oder im garten spielen konnte
und noch nicht wußte, daß es so böse menschen gibt wie fräulein kranz!

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(2) ob sie gut angespitzt sind - horosho li oni ottocheny.

(w to wremya w scholah deti ispolxzowali dlya pisxma grifeli, kotorymi pisali na


specialxnyh malenxkih doskah).

(3) der rohrstock - bambuklwaya palka (bambukowoj palkoj uchitelx bil detej po
rukam w nakazanue za kakuju-nibudx provinnostx).

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eine Überraschende nacricht

"evchen, evchen, wo bist du nur?"

im ganzen haus habe ich sie schon gesucht.


wo kann sie nur sein? sie wollte mir doch zeigen, wie man ein pupenkleid näht...

ach,mnun weiß ich, wo evchen ist: sie ist dei der oma in der küche, und sie erzählen
einander etwas.

natürlich, da ist sie! sie sitzt auf einer kleinen bank neben oma.

"du wolltest mir doch zeigen, wie man ein puppenkleid näht,
und jetzt sitzt du hier sprichst mit oma", sage ich.
evchen sieht mich traurig an.
ich glaube, sie hat geweint, ihre nase ist noch rot.

"wollt ihr etwas essen, kinder?" fragt oma.


"ich mache euch butterbrote ubd dann geht noch ein wenig in den garten.
es regnet nicht mehr."

ich finde, daß oma heute auch traurig ist.


ist etwas passiert, was ich nicht weiß?

schon beim frühstück waren alle so still, tante Änni las die zeitung und lachte nicht.
ich kann nichts verstehen.

im garten ist es kühl.


den ganzen tag hat es geregnet.
doch jetzt, gegen abend, scheint wieder die sonne.
evchen sieht immer noch traurug aus.

"bald haben wir ferien", sage ich, damit sie nicht mehr traurig ist.
"nur noch neun tage sind geblieben.
dann können wir von früh bis spät im garten sein."

evchen sieht mich an und will etwas sagen, macht aber gleich den mund wieder zu.

aber plötzlich beginnt sie zu weinen.


"in den ferien bist du schon nicht mehr bei uns, manne.
du sollst zu onkel erich nach berlin kommen.
er und die neue mutti möchten dich haben, wie einsam wird es hier ohne dich sein",
weint sie.

dann sitzen wir beide auf gartenbank und schweigen.


Über uns singt ein vogel.

"vielleicht bleibe ich noch hier?" frage ich evchen.


sie antwortet mir nicht, denn sie weiß so gut wie ich, daß ich nach berlin fahren
werde.

da lege ich den kopf an ihre schulter und sage nichts mehr.
mein herz tut mir weh.

langsam kommt der schnauzerl.


er legt seinen kopf auf meine knie.

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wieder auf einer reise
"nun gegen wir das zweite mal zusammen auf eine lange reise", sagt oma. "weißt du
noch, wie ich dich nach münchen geholt habe, als du noch klein warst? dein papa
brachte uns zum zug und schenkte dir ein stofftier dür die reise. war es nicht geob
mit langen ohren?"

"ja, das stofftier war gelb. und die langen ohren hatte bubi bald nach unserer ankunft
abgerissen."

der kleine schäft schon in seinem warmen bett, denke ich. aber evchen schläft noch
nicht und denkt an mich, wie ich hier mit oma durch die dunklen straßen zum
bahnhof gehe.''

"komm, manne, wir müssen schneller gehen." in einer halben stunde fährt schon der
zug, der uns weit fort von hier in das fremde berlin bringen soll.'

auf dem bahnhof läuft tante Änni aufgeregt hin und her. "da seid ihr ja endlich! ich
habe sehr wenig zeit, denn ich muß noch einmal ins theater zurück."

wir gehen schnell auf den bahnsteig und steigen in den zug ein. tante Änni nimmt
abschied von oma und umarmt mich fest.

"mannichen, was auch im leben passieren kann, du bleibst für mich meine tochter.
unser haus wird immer deine heimat sein." sie verläßt den zug.

als wir einige zeit gefahren sind, legen wir uns schlafen. ich versuche zu schlafen, es
geht aber nicht. immer wieder muß ich an tante, evchen und bubi denken.

"kind, denke doch nicht so viel nach." ich habe gar nicht gesehen, daß oma erwacht
ist. "in berlin erwartet dich so viel neues und inreresantes, da wirst du bald wieder
lustig sein. und dann kannst du und ja auch jedes jahr in den großen ferien
besuchen."

"ja, oma? jeden sommer?" mir ist gleich leichter ums herz. und dann freue ich mich
auch schon auf meinen papa, die neue mutti und die noch unbekannte stadt berlin.

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tante Änni an oma

liebe mutter!

gestern bin ich in berlin angekommen und will dir gleich nachricht geben. zuerst will
ich dir von manne erzählen. sie ist nun schon acht wochen bei erich, und es scheint
mir, daß es ihr gut geht. der anfang war natürlich schwer, denn sie lebt jetzt nur in
einer kleinen berliner stadtwohnung.

wenn li und erich abends zu einer versammlung gehen, bleibt sie allein zu hause und
fühlt sich einsam.

sie versucht aber tapfer die angst zu überwinden und hat bald verstanden, daß das
leben ihrer eltern anders ist. sie hilft li im haus und geht schon allein einkaufen.

sie hat eine freundin gewunden, mit der sie jeden tag spielt. nur abends, wenn es
dunkel wird, weint sie manchmal.
in der nächsten woche soll unsere mannr in eine berliner schule gehen. li macht sie
auch mit den jungpioneren bekannt.

ich bleibe noch eine wochr in berlin, dann komme ich nach hause.

es küßt dich und die kinder.

eure Änni

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winnetou (1)

"wir sind noch eine kleine gruppe, aber es wird dir natürlch bei uns gefallen", sagt
asta, die pionierleiterin. es regnet stark. ein kalter wind schlägt und ins gesicht. "so,
da sind wir schon", sagt sie und bleibt vor einem gasthaus stehen. asta öffnet die tür,
wir gehen durch bein ein großes zimmer in ein anderes, das viel kleiner ist. es ist hier
dunkel und kalt. in der mitte steht ein runder tisch. an ihm sitzen einige kinder, die
jerzt aufspringen und zu asta laufen. nur zwei jungen bleiben auf ihren plätzen.

"das hier ist marianne, die tochter vom genossen weinert. sie ist noch lange in berlin
und wird jerzt zu unserer gruppe gehören", sagt asta zu den kindern. dann holt sie
aus ihrer tasche ein buch und liest uns eine geschichte über einen russischen jungen
vor. sie interresiert mich wenig. ich lese gern bücher über mädchen oder die lieber.

ich sehe mich in dem kalten dunklen zimmer um. haben den die pioniere kein
besseres zimmer, wo sie sich treffen können?

draußen ist es ganz dunkel geworden. die alten bäume vor dem fenster schauen zu
uns hinein. aber asta liest und liest. plötzlich öffnet sich die tür ein junge kommt
herrein. asta legt das buch aus der hand und grüßt ihn freundlich. ach, winnetou ist
wieder gesung! das ist aber schön!"

"ich habe sogar den artikel für die wandzeitung geschrieben", sagt der jonge stolz
und holt ein stück papier aus der tasche. winnetou erklärt asta etwas, das in seinen
artikel geschrieben steht. ich habe hunger und möchte gern nach hause gehen.
mutti wartet bestimmt schon mit dem dem abendssen auf mich.

draußen ist er noch dunkler und kälter geworden. ich habe angst. asta wollte mich
nach hause bringen, aber sie hat es ganz vergessen, daß sie noch eine veravredung
hat.

ich gehe auf die dunkle straße, habe aber das gefühl, das jemand immer hinter mir
geht. ich beginne zu laufen. mein harz schlägt laut, ichbdarfvmich nicht umschauen.

da sehe ich plötzlich zwei grose jungen vor mir. "na du, kommunistentochter, was
habt ihr wieder in eurem gasthaus getan?" sagt ein junge böse, und der andere ruft:
"bestimmt kommt sie von den pioneren. gib ihr zunder!"

die gesichter der beiden jungen konnte ich in der dunkelheit zuerst nicht erkennen.
doch jetzt sehe ich, daß der eine von ihnen der schläger-toni aus unserer straße ist,
vor den alle kinder haben. ich will um hilfe rufen, es kommt aber kein wort heraus.

da erscheint plötzlich noch ein junge auf der dunklen straße. "schämt ihr euch nicht,
ein mädchen zu hlager schlagen?" ruft er und stellt sich tapfer vor mich. ist das nicht
der junge von der pioniergruppe mit dem komischen namen "winnetou?" woher
kommt er denn?

winnetous mut wundert die großen jungen. ach komm, laß sie schon. mit den
kommunisten ist es sowieso bald aus, sagt einer von ihnen und geht mit dem
schläger-toni zurück.

"da bist du vielleicht die ganze zeit hinter mir gegangen?" sage ich dem jungen. "und
ich habe schon angst bekommen." winnetou lacht.

wenn du willst, kann ich dich jetzt immer nach hause bringen. ich wonne nicht weit
von euch." er lächelt. "ich heiße ja walter, aber alle nennen mich winnetow".

"vielleicht darum, weil du so tapfer bist. "

winnetou freut sich über meine worte, macht aber ein ernstes gesicht. einn junge
muß doch die mädchen beschützen", sagt er einfach. "und ich bin ja auch pionier!"
freundlich gibt er mir die hand, als wir an unsere haustür kommen.

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winetou - das spitzname von des junges. winnetou ist der indianer, der held von eines
abenteuen erzälnugen von carl mai (1842 - 1812)

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marianne an evchen

liebes evchen!

seit ich dir das letzte mal geschrieben habe, ist sehr viel neues passiert. ich weiß
sogar nicht, wie ich anfangen soll. ich bin jetzt bei den pionieren. in der vorigen
woche waren wir mit unserer gruppe zu einer veranstaltung, um papa zu hören. der
saal war voll. an den wänden standen auch noch menschen.

schon als papa auf die bühne trat, haben alle beifall geklatscht. und nach seinen
neuen gedichten wollte der beifall nicht mehr enden.

icg war sehr stolz auf ihn. jetzt weiß ich auch, warum so viele leute meinen papa
kennen. eines tages hat mich jemand auf der straße gefragt: "bist du nicht die kleine
tochter von unserem erich? grüße deinen vater von einen unbekannten proleten."

als ich papa das erzählte, freute er sich. "du mußt mir doch sehr ähnlich sein", sagte
er. dann sahen wir beide in den spiegel, machten dumme gesichter und mußten über
uns selbst lachen. papa macht gern spaß.

er kann aber auch böse sein. so war es, als ich der kleinen inge meine puppen zum
spielen nicht geben wollte. sie ißt bei uns zu mittag, weil ihr vater keine arbeit hat.
"er kann ihr nichts kaufen", sagte papa. keine puppe, keinen ball, nichts. nun gebe
ich ihr alles zum spielen, nur die puppe lola nicht, sie soll mir allein gehören.

ich kenne in berlin schon viele interresante und lustige menschen. einmal mußte ich
für papa ein buch zu einem bekannten bringen, der hier bei uns um dir ecke wohnt.
er heißt egon erwin kisch (1) und ist auch schriftsteller wie papa. er schreibt aber
keine gedichte, sondern bücher. als ich kam, ließ genosse kisch seine arbeit und
zeigte mir eine ganze stunde zauberkunststückchen. später hat er mir erklärt, wie er
das tut. es ist ganz einfach. ich darf es nur den anderen kindern nicht erzählen,
damit er ihnen auch seine zauberkunststückchen zeigen kann.

bei uns im haus wohnt auch ein sänger. er heißt ernst busch (2). wenn er seine lieder
singt, hört man es in der ganzen steaße. wir kinder singen dann auch so laut wie er.
aber er ist uns nicht böse. er droht uns nur aus dem fenster und geht wieder ins
zimmer zurück. dann singen wir noch lauter, weil es uns so gut gefällt.

so, liebes evchen, nun ist mein brief schon lang geworden. aber ich muß dir noch
schreiben, das ich alles lesen darf, was in paris bücherschrank steht. er ist nich
geschlossen wie bei tante Änni. wenn ich ein buch lesen will, soll ich nur jedes mal
fragen, ob ich es auch schon verstehen kann.

nun muß ich aber schluß machen, denn ich soll noch etwas für mutti einkaufen
gehen.

viele küsse von deiner

marianne

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(1) egon erwin kisch (1885 - 1948) - ein bekannter deutscher antifaschistischer
schriftsteller

(2) ernst busch - ein berühmter sänger, kommunist; ist auch als schauspieler bekannt

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erste liebe

ach, was mir da einfällt! das habe ich ja ganz vergessen! um fier sollen sich alle
pioniere bei asta treffen. die neuen flugblätter müssen wir heute noch verteilen. es
passiert jerzt jeden tag etwas. papa spricht abend für abend in versammlungen und
veranstaltungen, um die menschen vor den nazis zu warnen.

astas kleines zimmer ist von pionieren vol. asta gibt jedem von uns flugblätter.

"kreuznacher straße vierunddreißig kann auch noch nehmen", ruft eine


jungenstimme von der tür. dad ist doch winnetou! ich habe ih schon lange nicht
gesehen. auf der letzten versammlung ist er nicht gewessen. immer denke ich, wie
tapfer er mich gegen die nazijungen beschützt hat. aber warum tut er jetzt so, als ob
ich gar nicht da wäre? auch weiß er doch, daß ich im haus 34 wohne und dort selbst
die fluglätterer verteilen kann!

aber winnetou nimmt seine flugblätter und läuft.

"na, mariannchen, da hast du ja einen guten kavalier, er läuft einfach fort und läßt
duch allein!" sagt asta lustig. sie bemerkt, daß ich ans fenster gekommen bin und auf
die straße hinunterschau. ich fühlte, wie ich rot werde. woher weiß asta nur, daß ich
gerade an winnetou denke?
nachdem alle flugblätter verteilt sind gehe ich müde und hungrig nach hause.'

"dein abendessen steht schon auf dem küchentisch", sagt mutti. "nimm dir auch ein
glas milch."

ich lese mit großen appetit. in der küche ist es warm. das essen schmeckt mir gut.

von meinem platz am küchentisch aus sehe ich, wie plötzlisch ein stück papier in den
korridor durch die wohnungstür fähllt. "kommt den so spät noch post?" fragt mutti
und hebt es auf. "ein flugblatt von unserer partei. hast du heute auch solche
verteilt?"

sie legt es auf den tisch und geht wieder zu ihrem pudding. "lies es mir vor", sagt
mutti, "aber bitte nicht mit vollem mund."

als ich den schlußsatz lese - "wählt kpd!" - sehe ich, daß dort erwas mit bleistift
geschrieben steht. "viele liebe grüße. ewig dein winnetou!" lese ich leise. ach,
deshalb wollte er also die glugblätter ib meinem hause verteilen! ich springe vom
tisch auf und laufe durch die gabze wohnung. "warum läufst du fort?" ruft mutti mir
nach. "willst du den schokoladenpudding nicht?" doch heute interessiert mich der
pudding nicht. ich gehe in mein zimmer und schaue auf den hof hinaus. die luft ist
warm. jemand spielt auf einer harmonika. ich fühle mich glücklich. immer wieder muß
ich an meinen liebesbrief denken.

"es ist so still bei euch. was macht manne?" höre ich papas stimme.

"sie hat heute flugblätter verteilt. jetzt ist sie bei den schularbeiten", antwortet mutti
und geht in die küche, um ihm das abendbrot vorzubereiten.

papa nähert sich meiner tür. schnekll stecke ich winnetouds gruß unter die matratze
meines puppenwagens. ich kann mich noch an den tisch setzen und das lehrbuch
nehmen, als schon papas kopf in der tür erscheint. "na, immer fleißig, kind?" fragt er
mich freundlich. an seinen augen aber sehe ich, daß er müde und voller sorgen ist.

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(1) die kpd - die kommunistische partei deutschlands

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einiges Über den klassenkampf

"die alte nazi-franke (1) hat heute gäste. wir haben durch ihr küchenfenster
geschaut", sagt mir leise maulwurf (2), als ich am nächsten tage zum spielen auf den
hof hinuntergehe. "was da alles auf der anrichte steht: schokoladenpuddibg, kuchen,
verschiedene salate ... "

"na und? frage ich ihn, "du hast wohl hunger bekommen?"

"nein, ich will von ihr nichts nehmen. aber die alte franke und ihre gäste bekommen
auch nichts." maulwurf lächelt geheimnisvoll. "höre, manne, gleich kommen auch
winnetou und peter. wir werden der alten franke auf ihr essen salz streuen. das wird
ja ein spaß!"

maulwurf springt vor freude. ich muß an unseren schnauzerl in münchen denken. er
sprang auch so, wenn er sich freute.

die franke wohnt bei uns um die ecke. sie hat eine parterrewohnung. das
küchenfenster ist offen. man kann fast die ganze küche gut sehen. das essen steht
nah am fenster. "jeder darf einmal streuen", kommandiert maulwurf. "peter fängt an,
wir anderen passen auf, daß niemand kommt maulwurf gibt peter erwas in die hand.
"du, maulwurf, das salz kann doch nicht schwarz sein", frage ich erstaunt. "natürlich
nicht, du dummkopf. salz ist weiß. kohlenstaub ist es."

ich sehe die jungen an. "das mache ich nicht mit", sage ich bestimmt. winnetou ist
natürlich auf meiner seite. "ich finde das auch nicht schön", sagt er.

"und ihr wollt pioniere sein?" ruft uns maulwurf zu. gegen die nazis zu kämpfen, da
habt ihr angst!" diese worte können uns natürlich nicht gefallen. winnetou streut
energisch den kohlenstaub auf das essen.

plötzlich ruft peter aufgeregt: "kommt schnell alle her unter in den keller! die alte ist
da!"

wir laufen die kellertreppe hinunter. unten ist es dunkel und kalt. wir sitzen in einer
dunklen ecke und warten. da erscheint oben die alte franke in der tür und schreit:
"aha, natürlich sitzt die bande unten im keller! kommt heraus, oder ich rufe fie
polizei! ich werde euch schon zeigen!"

vor der polizei haben wir angst. wir haben gesehen, wie sie die arbeiter geschlagen
und verfhaftet hat. es bleibt uns nichts anderes übrig, als uns zu ergeben.

wir gehen die kellertreppe wieder hinauf. oben steht die franke und gibt jedem vor
uns eine ohrfeige. sie trägt ein langes scwarzes kleid und goldene schuhe. "ich rufe
doch noch die polizei", sagt sie und schlägt mir gerade aufs ohr.

"die franke aus dem nebenhaus erzãlt überall, daß die kommunistenkinder ihr
kollenstaub zuf den sonntafsbraten gestreut haben", sagt zu hause mutti zu papa.
"wie konnten sie das nur machen? ich will das nicht glauben."

papa sagt etwas. er hat vielleicht nicht richtig gehört, denn er sitzt am tisch und
arbeitet.

"die franke lügt", sage ich. "es war nicht ihr sonntagsbraten. sie erwartete gäste und
hatte viel gutes vorbereitet."

papa legt seinen bleistift aus der hand und sieht mich aufmerksam an. "es ist also
wahr, was die frau erzählt hat? und du machst solche dummen späße auch mit? das
ist ja ausgezeichnet!"

"ich fand aber das von anfang an nicht schön. auch winnetou war dagegen. wir haben
nichts getan. dafüt bekamen wir auch noch ohrfeigen."

"wenn man eine sache falsch findet, so muß man das den anderen sagen und nicht
schweigen", antwortet papa.

"aber maulwurf sagte, das ist klassenkampf. die alte franke ist doch in der nazipartei.
ihr freund ist sofar ein sa-mann."

einen moment glaube ich, daß papa lächeln will. doch dann sagt er ruhig und ernst:
"was ihr gemacht habt, istbeine große dummheit und hat mit dem klassenkampf
nichts zu tun. das kann uns nicht helfen, es shadet uns nur. die leute glauben dann
den nazis, daß die kommunisten ihnen böses wünschen. und wir müssen doch die
menschen überzeugen. denke mal nach."

er beginnt wieder zu arbeiten. mutti holt wasser für die blumen am fenster.

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(1) franke - ein familenname

(2) maulwur - das spitzname von des jungen

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manne an oma

berlin, den 13.1.1933

liebes Ömchen!

vielen dank für die puppenküche. sie hat mich sehr gefreut. auch das konfekt und die
kekse. aber am meisten hat mir die kleine puppe gefallen, die evchen für mich so
schön angezogen hat.

diese tage reiste papa ab. er ist aber heute schon wiedergekommen: die polizei hat
einen teil der versammlungen, wo er sprechen sollte, verboten. mutti ist jetzt oft in
großer sorge um ihn, denn viele genossen sind schon von der polizei verhaftet. sie
freut sich, wenn er wieder zu hause ist.

wie geht es tante Änni, evchen und mieze?

es küßt dich

deine manne

p.s. papa läßt auch alle herzlich grüßen. in der nächsten woche fährt er auf längere
zeit in die schweiz, wo er inn vielen städten seine gedichte sprechen soll.

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bÖse tage

hat es da nicht geklingelt? oder schlafe ich noch immer ? doch alles bleibt still. es
muß sehr früh sein. müde will ich mich in mein warmes bett werfen, da klingelt es
zum zweiten mal an der wohnungstür.

ob papa schon as der schweiz gekommen ist ? ich ziehe meine hausschuhe an und
laufe hinaus. aber mutti hat schon geöffnet.

in der tür steht eine frau und sagt schnell: "die nazis haben das reichstagsgebäude
angezündet. das ist das signal, um einen offenen kampf gegen uns zu beginnen. ich
will noch viele andere genossen warnen."

"ich danke dir, liebe hilde, ich muß erich gleich schreiben, daß er jetzt nicht
zurückkomen soll", antwortet mutti voller sorge.

die frau geht schnell fort.

zwei stunden später klingelt es wieder. "aufmachen, polizei." jemand schlägt mit den
fäusten gegen die tür.

mutti schließt den schreibtisch ab und legt den schlüssel in ihre jackentasche.

"aufmachen!" schreit jemand wieder hinter der tür.

"hab keine angst, manne, man tut uns nichts. bleib hier in zimmer." mutti will lächeln,
aber ihr gesicht ist ganz blaß.

"ich komme ja schon", sagt sie dann und macht auf.

ist ihr mann zu hause ?" fragt eine männerstimme laut.

"nein, er ist jetzt in der schweiz."

der mann lacht ironisch. "wir haben viel zeit, madamchen. wir werden auf ihren
mann hier, in ihrer wohnung warten."

"bitte schön, wenn es ihnen spaß macht. ich habe ihnen aber schon einmal gesagt,
daß mein mann nicht in deutschland ist. da können sie lange auf ihn warten." mutti
ist ganz ruhig. ich aber bin sehr aufgeregt, denn jetzt laufen die polizisten und sa-
männer in papas zimmer. doch mutti setzt sich neben mich, umarmt mich und steckt
mir unbemerkt etwas in die tasche. dann nimmt sie sich eine zigarette.

in alle zimmer und schränke müssen die scheusale ihre nase stecken, sogar die
küche scheint sie zu interressieren.

"wo ist der schlüssel, frage ich!" schreit der polizist, der papas schreibtisch nicht
öffnen kann. "ich sage ihnen zum letzten mal: geben sie den schlüssel heraus!"
wieder schlägt er mit der faust auf den tisch.

mutti raucht ihre zigarette, sitzt rihig auf dem sofa und lächelt. "und ich sage ihnem
zum letzten mal, daß mein mann den schlüssel mitgekommen hat."

trotz meiner angst muß ich lachen. der mann schaut mich böse an. "was machst du
denn hier ? geh in die schule!"

wenn er wüßte, daß der schlüssel von papas schreibtisch in meiner kleidertasche ist!

plötzlich klingelt das telefon. "das ist vielleicht ihr mann, madam", lächelt jetzt der
polizist, schaut mutti einen moment an und geht dann zum telefon.

mutti wird blaß. es kann ja wirklich papa sein. er wollte doch in diesen tagen
zurückkommen. und woher sollte er wissen, was hier los ist ?"

es ist im zimmer ganz still geworden. dann hören wir eine frauenstimme im apparat.

"ein gespräch für sie aus münchen." der polizist ist enttäuscht. erfreut läuft mutti
zum apparat.
"ach, Änni, du bist es", sagt sie, "ja, uns geht es gut. manne auch. erich ist in der
schweiz. er wird dort noch etwas länger bleiben."

sie schaut triumphierend zu den männern hinüber, die ihren gespräch aufmerksam
zuhören.

jerzt glauben auch sie, daß papa nicht in berlin ist. "den weinert kriegen wir noch!"
sagt einer, und die ganze bande verläßt endlich unsere wohnung.

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angst um mutti

am morgen des nächsten tages ist unser ganzes haus von sa-leuten und polizisten
voll.

"marianne, am besten ist es, du gehst hinauf zur frau reinhold. ich glaube, man
kommt wieder zu uns."

kaum hat mutti das gesagt, als man auch schon an unsere tür schlägt.

mutti geht öffnen. "hier ist schon gestern polizei gewesen", sagt sie ruhig. "das
wissen wir, madam. man hat aber nicht richtig gesucht, scheint es." der mann lacht.
doch plötzlich sagt er laut und böse: "die ganze wohnung von unten bis oben auf den
kopf stellen!"

die leute, die neben ihm stehen, stürzen herein. jetzt werfen sie nicht nur papas
bücher und unsere kleider aus den schränken, sogar in der küche reißen sie alles aus
dem küchenschrank.

"marianne, geh doch bitte hinauf", sagt mutti noch einmal, als sie sieht, das ich
immer noch in der wohnung bin. ich klingele bei frau reinhold. lange öffnet niemand
dir tür, dann zieht mich frau reinhold schnell in ihren korridor

unruhug gehe ich im korridor hin und her. icn kann doch hier nicht so einfach sitzen
bleiben, wenn ich weiß, daß mutti da unten ganz allein mit den banditen ist. ich laufe
zur wohnungstür und schaue hinaus. es ist alles still. sind sie schon fortgegangen ?
ich schließe die tür wieder und gehe zum küchenfenster. ich kann die ganze straße
sehen. pkötzlich schreit jemsnf: "fenster zu, oder ich schleße!

ich weiß schon genug, was für banditen die nazis sind. daß sie aber sogar auf kinder
schießen, habe ich nicht gedacht! vor angst falle ich auf einen stuhl.

doch der gedanke, daß mutti etwas passieren konnte, läßt mir keine ruhe. ich muß
wissen, was da unten los ist, und so gehe ich auf den balkon hinaus. dort gibt es so
viele blumen, daß man mich nicht sehen kann.

vor unser haus fährt ein grüner polizeiwagen. "hier wohnt der weinert", sagt der
polizist, der aus dem auto herauskommt, und zeigt auf unsere haustür. eine gruppe
sa-leute springt schnell von wagen. sie schauen zu unseren fenstern hinauf.

"der weinert ist nicht da", ruft jetzt die stimme aus unserer wohnung. "wir warten
schon seit gestern auf ihn."

"dann nehmt auch die ante mit", antwortet man ihm unten. die bande stürzt in unser
haus. ich höre sie schon auf der treppe. ich weiß nicht, was uch tun soll. vor angst um
mutti laufe ich auf die treppe. frau reinhold ruft mich zurück, dann macht sie ihre tür
zu.

an unserer wohnungstür bleibe ich stehen. die wohnung kann man nicht mehr
wiederkennen. sogar in dem korridor liegen bücher, kleider und spielsachen.

"mutti", rufe ich. niemand antwortet. ich laufe in papas zimmer. hier sind die männer,
die mit dem polizeiwagen gekommen sind. sie werfen papas bücher und papiere aus
dem fenster.

im wohnzimmer ist mutti auch nicht.

endlich finde ich sie in der küche. sie sitzt auf einem stuhl, inre hände liegen auf den
knien, um sie herum liegt unser geschirr.

ich stürze zu ihr vollen angst. "sie wollen dich mitnehmen. ein polizist hat es gesagt.
ich habe es auf dem balkon oben gehört."

mutti zieht mich an sich unjd umarmt mich. "ich glaube das nicht, manne. und wenn
sie es wirklich tun, so sei tapfer, frau reinhold hat tante Ännis adresse. ich habe ihn
etwas geld gegeben und sie gebeten, an tante zu telegrafieren, wenn mir erwas
passieren sollte."

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niemand weiß,
daß ich fortrahren muß

mutti sitzt an der offenen balkontür und raucht eine zigarette. ich versuche ein buch
zu lesen. auf einem stuhl steht unser schwarzes köfferchen. seit zwei tagen wohnen
wir bei freunden, die papa schon lange kennt. sie haben uns üverredet, unsere
wohnung zu verlassen, weil die nazis gedroht haben, bald wieder zu kommen. man
weiß nicht, vielleicht verhaften sie mutti doch.

ich sehe zum fenster hinaus. draußen scheint die sonne. der frühlingswind spielt mit
den gardinen an der balkontür.

mutti steht auf und geht ein paarmal durch das zimmer. ich glaube, sie denkt über
etwas nach. "wollen wir nicht doch in unsere wohnung zurückgehen ?" fragt sie und
bleibt neben mir stehen. "ich habe hier einfach keine ruhe. vielleicht kommt papa
trotzt unserer briefe zurück. noch in seinen letzten brief schreibt er, sein platz ist
jetzt in deutschland. ich habe die genossen gebeten, ihm zu erklären, daß er nach
berlin nicht kommen darf."

"warum willst du dann aber nach hause ?"

"papa konnte doch unsere letzten briefe nicht mehr bekommen. wenn er nun nach
hause kommt und wir sind nicht da, macht er sich große sorgen. und dann ist noch
die gefahr, daß die nazis bei uns geblieben sind, um ihn zu fangen. er läuft ihnen
dann in die arme. das läßt mir einfach keine ruhe."

ich weiß nicht, was ich antworten soll. meine angst um paps ist sehr groß, aber ich
habe auch schreckliche angst, in unserer wohnung zu schlafen.

"vielleicht bleibst du hier, manne ? und ich fahre allein zurück ?" fragt mutti und
siehr mich an.

nein, ich komme mit. wenn ich hier bleibe und nicht weiß, ob meine eltern vielleicht
in gefahr sind, so ist das noch viek schlechter als die angst, in unserer wohnung zu
schlafen.

ich stellle das buch an seinen platz. mutti legt schon unsere sachen in das
köfferchen.

als wir in unser haus kommen, ist es schon dunkel. nur in einigen fenstern ist noch
licht. es ist kalt und windig.

auf der treppe ist es still. die menschen schlafen schon alle. leise gehen wir hinauf
und bleiben stehen. unsere tür ist halb offen, die klinke liegt vor ubseren füßen. "die
banditen sind wieder hier gewesen", sagt mutti und schickt mich nach einer kleinen
tischlampe. das elektrische licht kann man auf der straße sehen, und dann wissen die
menschen, daß wir zu hause sind.

ich gehe in der dunkelheit in mein zimmer und hole die kleine tischlampe, die mir
papa geschenkt hat. sie stellt sie auf den fußboden in der küche.

"ich habe solche angst, daß man die tür nicht schließen kann", sage ich leise,
nachdem ich mich gelegt habe.

"schlaf du nur. ich bleibe wach. das lämpchen lasse ich auch brennen. dann ist es in
der wohnung nicht so dunkel." mutti legt sich neben mich. wir können aber beide
die ganze nacht nicht schlafen.

man kann es nicht glauben, daß das leben äußerlich so ruhig weitergeht wie vor
diesen schrecklichen tagen und nächten. es kann ja scheinen, daß alles nur ein böser
traum gewesen ist.

aber leider war es kein traum. die sonne scheint wie immer, und die kinder spielen
wie in jedem frühling auf der straße, aber in papas zimmer stehen zwei große koffer.
sie sind schon halb gepackt. noch heute abend verlassen wir unsere wohnung und
auch berlin.

seit dem morgen, als die nazis das erste mal in unsere wohnung gestürzt waren, ging
ich nicht mehr ib die schule. mein lehrer, herr eschenhagen, und die kinder werden
sich wundern, warum ich nicht da bin.

von unserem pionieren sind nur noch wenige auf der straße. maulwurf ist mit der
mutter zu seinem onkel gefahren. die nazis haben seinen vater verhaftet. asta ist
auch verhaftet. winnetou lief gestern aufgeregt über die straße. heute sieht man
auch ihn nicht mehr.

" marianne, bringe mir doch bitte deine sachen, daß ich sie auch einpacken kann."
mutti sitzt auf dem koffer und versucht ihn zu schließen.

wir fahren zur oma nach münchen.

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abschied von der heimat
wieder muß man abschied nehmen. ich glaube, das ist das schlimmste, was es auf
der welt gibt. nun denke ich an unsere lezten tage. wie mutti und ich spät am
abend mit unseren
koffern durch das dunkle münchen gegangen sind und dann nachts an der tür der
großmutter geklingelt haben.

wie oft war ich in gedanken hier, in dem alten haus mit den bunten scheiben!

und doch ist jetzt alles anders. ich verstehe einfach nicht, warum. ein hauch von
fremdheit liegt über den menschen und dingen. bin ich in diesen zwei jahren anders
geworden ? oder sind die erlebnisse der letzten tage daran schuld ?

in zwei stunden geht unser zug. die koffer stehen schon vor der tür. papa hat uns
endlich geschrieben. wir sollen schnell in die schweiz kommen. er darf nicht nach
deutschland zurück. die nazis werden ihn dsnn verhaften und töten.

evchen gibt mir einen kuß. sie weint nicht, um und den abschied nicht noch
schwerer zu machen. sie ist beim abschied sehr tapfer. ich nicht.

als alle endlich im taxi sitzen und der schofför fahren will, stürzt sie noch einmal aus
dem haus und ruft laut: "wartet bitte, ich habe vergessen, manne etwas auf den weg
zu geben." sie steckt mir ein päckchen zu und lächelt nun doch unter tränen.

durch das kleine fenster des wages kann ich sie so lange sehen, bis das auto um eine
ecke fährt. liebes, gutes evchen! ihre schönste puppe, von der sie nie abschied
nehmen wollte, hat sie mir auf die weite reise geshenkt.

im zug nach zürich sind wenige menschen. wir haben ein abteil für uns allein.
"fielleicht steigt niemand zu uns ein", sagt mutti. sie steht am fenster und schaut in
die landschaft hinaus. ich sehe, wie sie sich auch die tränen vom gesicht abwischt.

heute abend scbon sind wir in einem fremden land. niemand weiß, wann wir wieder
nach hause zurückkehren können.

"wir müssen bald an die grenze kommen."

mutti sieht auf ihre uhr. dann setzt sie sich auf ihren platz. sie ist sehr unruhig. sie
hat angst, daß wir nicht mehr aus deutschland herauskommen.

vielleicht haben die nazis schon die grenzen abgeriegelt, damit keiner vor ihnen
fliehen kann.

"wenn sue nur das visum nicht sehen", sagt sie leise. sie war einmal früher mit papa
zusammen in der sowjetunion. dieses visum steht noch in ihrem paß. wenn die nazis
das sehen, so wissen sie gleich, wer wir sind.

der zug fährt jetzt langsamer. bald hält er. "das ist die grenze", sagt mutti, steht auf
und öffnet dir tür. ich schaue durch das zugfenster auf den bahnsteig. neben
unserem abteil steht ein polizist und sieht aufmerksam in unser fenster hinein.
schnell setze ich mich auf meinen platz. wo bleit nur mutti ?

doch da kommt sie wieder, mit ihr zwei polizisten. der eine ist derselbe, den ich auf
dem bahnsteig gesehen habe.
mutti zeigt ihnen den paß. dann setzt sie sich auf ihren platzt und lächelt ruhig. der
mann sieht den paß lange an. "die kleine ist ihre tochter ?" fragt er und shaut mich
kurz an. der paß ist noch immer in seinen händen. gleich wird er das visum finden!

doch da gibt er den paß mutti zurück.

"weißt du, manne, er hat ausgerechnet dir seite überblättert, wo das visum steht."
mutti schließt schnell die tür zu unserem abteil und setzt sich neben mich.

nun brauchen wir keine angst zu haben. wir sind nicht mehr in deutschland. vor den
fenstern zieht schon die schweizer landschaft vorbei. papa wartet natürlich schon
voller unruhe in zürich auf uns.

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eine tafel schokolade

"schon wieder sitzt du da und liest. warum gehst du bei dem schönen wetter nicht
an die luft ?" sagt mutti und nimmt mir das buch fort. traurig sehe ich das buch an.
es ist so interresant! ich weiß aber, daß mir jetzt nichts hilft. ich ziehe straßenschule
an und gehe die treppe hinunter.

sei einer woche wohnen wir nicht weit von züruch, das haus, in dem papa zwei
zimmer für uns gemietet hat, steht in einem garten. aber die wirtin hat mir verboten,
im garten zu spielen, und ich gehe auf die straße.

zuerst spiele ich ball. aber man kann doch nicht so lange mit sich selbst ball spielen!
ich gehe durch die straße spazieren. da ist ein schokoladegeschäft. was da alles
schönes im schaufenster liegt! und wir haben jetzt sehr wenig geld. mutti ist froh,
wenn sie uns jeden tag ein mittagessen auf den tisch stellen kann. uch schaue einen
moment auf die großen schokoladentafeln. dann gehe ich langsam nach hause. da!
was liegt denn dort auf der erde? das scheint ein geldstück zu sein! wirklich, das ist
ein ganzer shweizer franken. froh laufe ich durch die straße. ich halte das geld fest
in der hand. mutti wird sich freuen. vielleicht soll ich aber für und drei eine tafel
schokokade kaufen ? oder soll ich dich das geld der mutter geben?... und schon laufe
ich zurück zum geshäft und kaufe eine tafel schokolade. natürluch werde ich zuerst
gleich ein kleines stück essen. wie schön schmeckt das! jerzt aber genug, denn papa
und mutti müssen auch etwas von der schokolade haben. aber ein kleines stücken
kann ich doch nehmen... und jetzt nich ein wenig. plötzlich bleibe ich erschreckt
stehen: von der schokolade habe ich noch ein ganz kleines stückchen da. es ist klar,
daß ich es nicht mit nach hause bringen kann. es ist klar, daß ich es nicht mit nach
hause bringen kann. was tun? uch stecke das letzte stück schokolade in den mund.

"es gibt heute dein lieblingsessen, manne", ruft mutti aus der küche, als ich an ihr
vorbei ins wohnzimmer gehen will. "du kannst schon den tisch decken." ich decke
den tisch und setze mich auf einen stuhl. mutti bring das essen ins zimmer.
"schmeckt es dur nicht ?" fragt papa, als er sieht, daß ich nichts esse. "es ist schade,
daß du keinen appetit hast. aber wenn du siehst, was ich für dich mitgebracht habe,
kommt der appetit noch."

nachdem er gesessen hat, holt er ein päckchen aus der tasche und gibt es mir. ich
nehme es... eine tafel schokolade!

mit niedergeschlagenen augen biete ich mutti und papa von der schokolade an.
"nein, danke", sagen beide freundlich, "iß selbst..."
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wieder eine nachricht

endlich hat papa zeit gefunden, um mit mutti und mir einen spaziergang zu machen.
wir steigen den berg hinauf. hoch oben setzen wir uns auf eine bank und schauen in
den klaren morgen hinaus.

zu unseren füßen liegt in der sonne der blaue züricher see. "als ihr noch in münchen
wart, habe ich oft hier gesessen, an euch und die heimat gedacht", sagt papa, und
wie immer wenn er von deutschland spricht, ist sein gesicht traurig "kommt", sagt er
dann, "ich zeige euch noch ein anderes schönes plätzchen."

er steht auf und legt den arm um muttis schulter. ich gehe neben paos. nach einiger
zeit bleibe ich noch einmal stehen und schaue auf den züricher see hinunter. wie
schön ist die schweiz! und doch ist es zu hause besser! dort hatte ich viele freunde.
wenn ich im herbst in die schule komme, werde ich schon eine freundun finden. nur
sprechen die kinder hier einen so komischen dialekt, ich verstehe sie schecht.

jetzt sind wir schon im wald. zwischen alten hohen tannen fließt ein bach. papa
bleibt an dem bach stehen. "seid still und hört zu. dann könnt ihr hier vielle kleine
tiere sehen und hören, was der bach sagt." sein gesicht ist nicht mehr traurig.

"nach einem solchen spaziergang wird einem gleich leichter ums herz", sagt mutti,
als wir nach hause gekommen sind, und setzt sich auf das sofa. papa setzt sich an
den schreibtisch, und ich nehme wieder mein buch in die hand.

da klopft es an der tür. ein polizist kommt ins zimmer, holt ein papier aus der tashe
und sagt: "unterschreiben sie das hier, bitte."

erstaunt liest papa es durch und gibt es mutti. er spricht kein word.

des polizist nimmt das papier zurück, grüßt jurz und verläßt das zimmer.

mutti schweigt und schaut papa an. dann fragt sie: "warum weisen sie und aus?"

"weil wir für sie keine genehmen gäste sind."

paps nimmt sich eine zigarette. "da habt ihr die friendlirbende schweiz!"

"wohin fahren wir jetzt ?" fragt mutti wieder.

"ja, wohin ?" papa setzt sich an den tisch.

"nach frankreich, nach paris. aber wo nehmen das reisegeld her ?"

also, wir haben aus der schweiz fort.

doch werden wir ihre schönen wälder, wiesen, berge und den züricher see nie
vergessen.

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in paris
das fenster unseres hotelzimmers geht suf die kleine straße. ich stehe am fenster
und schaue hinaus. es ist sehr heiß. man sieht keinen menschen. mutti schläft.
ach, mir ist ja so langweilig!

"warum sitzt du immer in unserem engen, heißen hotelzimmer ?" fragt papa. "geh
doch in den park, er ist nicht weit von hier. dort kann man sehr schön spielen."

"nein, papa, ich bleibe hier. Überall sind nur fremde menschen. ich verstehe sie
nicht und komme mir unter ihnen so einsam vor."

papa zieht mich an sich. "in park sind viele kinder, bestimmt findest du dort
freunde. beim spielen versteht ihr einander auch ohne worte. ich bringe dir auch
etwas zum lesen. heute abend treffen wir und mit freunden, sie haben mir
versprochen, bücher mitzubringen." er beginnt wieder zu arbeiten. mutti schläft
noch. im zimmer ist es still. nur die uhr tickt laut.

"nehmt mich doch heute abend mit", bitte ich.

papa sieht mich erstaunt an. "nein, es wurd zu spät für dich. du sollst schlafen
gehen. du hast doch keine angst mehr wie damals in berlin ?"

"wenn ihr abends forgeht, fühle ich mich so einsam und muß weinen", sage ich.

"aber manne! du mußt tapfer sein. natürlich brauchst du freunde und die schule.
aber das kommt alles bestimmt noch."

"nehmen wir sie doch mit, erich", sagt mutti. sie is erwacht und steht auf. "das
zusammensein mit deutschen freunden bedeutet schon ein stück heimat für sie. und
morgen gegen wir beide durch die stadt spazieren, ja, manne ?"

meine freude ist groß. ich küsse mutti. sie ist noch rot und warm von schlaf. dann
sehe ich papa an. es scheint, daß er nichts mehr dagegen hat, und ist mit seinen
gedanken schon wieder ganz weit von hier.

===================================
die erste pariser bekanntschaft

im luxembourgpark gefält es mir gut. Überall sind blumen. im schatten der bäume
ist es kühl. in den alleen des parks stehen schöne statuen. in seiner mitte liegt ein
wasserbecken.

viele kinder spielen lustig auf dem platz am wasser. aber freunde habe ich noch
nicht gefunden, es ist nicht so leicht.

nicht weit von mir spielen zwei mädchen ball. ich möchte so gern mit ihnen spielen!
aber ich habe angst, mit den kindern zu sprechen. bestimmt lachen sie über mich,
weil ich französisch nicht verstehe.

ich stehe von der bank auf und beginne mit meinem großen roten ball zu spielen.
mein ball ist schöner als der ball der mädchen. mutti hat mir ihn noch in zürivh
gekauft. doch die mädchen sehen mich nicht an. traurig gehe ich wieder zu meiner
bank zurück.

der alte herr, der morgens immer auf der nachbarbank sitzt und auf das spiel der
kinder schaut, sieht mich eine minute nachdenklich an. ich glaube, er will mir etwas
sagen. er sagt aber nichts und sieht wieder auf die kinder hin.

plötzlich sagt der alte mann etwas zu mir und zeigt auf die erde zu meinen füßen.
dort liegt ein ball. wessen ball ist denn das ? da kommt schon ein junge angerannt.

schnell lebe ich den ball auf und gebe ihn dem jungen.

er sieht mich freundlich an und fragt mich etwas, was ich nicht verstehe.

ich antworte mit dem einzigen französichen satz, den ich kenne, und das bedeutet:
"ich spreche französisch nicht."

"allemand (1) ?" fragt der junge. ich nicke. warum macht er denn aber plötzlich so
ein böses gesicht ?

"allemand ?" sagt er noch einmal zu seinen spielkamaraden. "c'est une boche (2)."
er zeigt böse auf mich.

das muß ein schlechtes wort sein. in den augen des jungen sehe ich haß. haß sehe
ich auch in den augen der anderen kinder. ich möchte weinen. "sie ruhig, mein
kind", sagt da jemand. esrtaunt schaue ich mich um.

der alte mann von der nachbarbank ist aufgestanden und zu uns gekommen. er sagt
zu den kindern etwas und sie laufen schnell fort. der böse junge schaut sich noch
einmal um. wieder sehe ich in seinen augen haß.

"du wunderst dich, mein kind, daß ich deutsch spreche ? " der alte mann hat sich
neben mich gesetzt. "ich habe die deutsche sprache an der universität gelernt.
einige jahre studierte ich auch in heidelberg (3). ich bin geschichtsprofessor. das
heißt, ich war mal einer." er lächelt traurug.''

"mein papa ist schriftsteller. wir mußten aus deutschland fliehen, und wir sind nicht
lange in paris."

"das habe ich mir schon gedacht, als ich bemerkte, daß du kein französicch sprichst
und immer so allein auf der bank sitzt und keine spielkameraden hast."

der alte sieht mich mit seinen dunklen augen freundlich an.

"vielleicht wird es dir noch passieren, daß ein franzose dich beschimpft. man kennt
hier die deutschen nur als feinde. und nicht jeder mensch versteht, daß es deutsche
gibt, die unsere freunde sind !" der mann legt mir seine hand auf die schulter. ich
sehe diese hand und muß an opa denken.

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(1) allemand (franz.) - eine deutsche

(2) c'est une boche (franz) - das ist eine "boche" . eines "boche" ist verächtliches
spitzname der deutschens in frankreich.

(3) heidelberg - eine alte deutsche universitätstadt

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neue sorgen

wir wohnen jetzt in einem anderen kleinen hotel. ich habe jetzt ein zimmerchen für
mich allein. sein fenster geht auf einen dunklen hof. aber mein zimmerchen defällt
mir sehr gut. ich kann abends bis spät in die nacht lesen, und mutti weiß nichts
davon.

ich gehe in das zimmer meiner eltern, denn mutti hat sich gestern abend schlecht
gefühlt. wir sind beide allein in paris. papa ist nach elsaß-lothringen (1) gefahren,
um in einem kleinen städtchen an der saar (2) wohnung für uns zu suchen. er will
dort seine gedichte sprechen, weil man die menschen davon überzeugen muß, daß
sie ihre stimmen nicht für hitler abgeben dürfen (3).

papa versprach uns gleich zu schreiben und auch das reisegeld zu schlicken. bis jetzt
haben wir noch nichts von ihm gehört und machen uns große sorgen. ist ihm nichts
passiert ?

mutti liegt krank im bett. ihr gesich ist rot, sie kann kaum sprechen.

"marianne, frage biitte zuerst nach der post von papa", sagt sie leise und versucht
aufzustehen.

ich laufe die treppe hinunter und frage nach der post für mutti. wieder keine briefe.
ich traue mich nicht, nach oben zu gehen. wenn mutti hört, daß noch keine post da
ist, wird sie ganz verzweifelt sein.

mutti muß ein gutes frühstück bekommen, denke ich und gehe ins geschäft, das auf
der anderen seite der straße liegt. für ein stück frischen weißbrots habe ich nich geld
in dertasche. ich kaufe brot und bringe es in muttis zimmer.

als ich ihr aber ein stück brot mit butter geben will, schüttelt sie den kopf und macht
die augen wieder zu.

"mutti, soll ich den doktor holen ?" frage ich. sie macht die augen auf. "nein,
manne", antwortet sie mit schwacher stimme, "wir können ihn nicht bezahlen. ich
werde bald wieder gesund." sie lächelt schwach, dann sagt sie: "wenn wir von papa
keine nachricht bekommen, so weiß ich nicht, was werden soll. wir haben nur noch
für drei tage geld zum leben."

"mach dir nur keine sorgen, muttichen", sage icj. "morgen kommt bestimmt post.
jetzt mußt du schnell wieder gesund werden."

mutti trinkt mit meiner hilfe eine tasse heißen tee und ist gleich fest eingeschlafen.
ich setze mich leise, damit sie nicht erwacht , an das offene fenster und schaue
hinaus.

ich sehe einen großen schulhof. es ist gerade pause. die kinder laufen im hof. ein
lehrer verteilt ohrfeigen, so wie damals fräulein kranz in der münchner schule.

im herbst sollte ich in paris zur schule kommen, aber bald fahren wir leider nach
elsaß-lothringen.

mutti stöhnt im schlaf. wie kann ich ihr nur helfen ? ich weiß: ich werde ihr eine
bouillon kochen. leise stehe ich auf, nehme ihre geldtasche und gehe hinaus.
nicht weit von unserem hotel ist ein markt. ich kaufe ein wenig fleisch und laufe
schnell nach hause zurück.

der abend kommt. im zimmer wird es dunkel. der himmel ist dunkelviolett
geworden. ich setze mich neben muttis bett. das herz liegt mir schwer in der brust,
denn ich habe große sorgen. mit der nachtmittagspost ist wieder keine nachricht von
papa gekommen. wie leicht kann ihm etwas passiert sein. und was wird dann aus
uns ? und wenn mutti noch kränker wird ? soll ich den doktor holen ? aber wir haben
ja kein geld, um ihn zu bezahlen. was soll ich nur tun ? mutti wirft sich unruhig in
ihrem bett.

jetzt liegt sie wieder still. ich sitze auch ganz ruhig. plötzlich klopft es an unserer tür.
erstaunt öffne ich. da steht der alte hotel-portier und gibt mir einen brief.

"post von papa!" voll freude gebe ich mutti den brief. froh nimmt sie ihn und sieht
gleich nicht mehr so krank aus.

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(1) elsaß-lothringen - die grenzgebiet zwischen deutschland und frenkreich.

(2) die saar - das name von der fluß

(3) daß sie ihre stimmen nicht für hitler abgeben dürfen (im frühling 1935 in elsaß-
lothringen mußte finden statt das referendum (die befragung von der meinung von
des bevölkerunges): werden hinüber gehen diese gebietes zum deutschland (zum
gehören sie bis den ersten wetkrieg) oder lassen bei der kontrelle von der ligue von
nationen.

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ein brief in die heimat

forbach, den 15.11.1933.

liebes evchen!

ich bin so froh, daß ich endlich einen brief in die heimat schreiben kann. den letzten
brief von oma bekamen wir noch in paris. jetzt gibt es bei uns wieder viel neues. wir
wohnen in forbach, auf einem berg am rande der stadt, in einem waldgasthaus. es
ist hier alles sehr einfach, wir haben kein gas, kein wasser im hause. ich habe viel
arbeit hier: wasser holen, holz sammeln und ins städtchen einkaufen gehen. doch
gefällt es mir hier gut. ich habe jetzt zwei freundinnen. die eine heißt titine und ist
die tochter unseres hauswirts. die andere ist marie, ein bauernmädchen. beide
können deutsch sprechen, denn hier sprechen alle menschen deutsch und
französisch.

ich gehe noch nicht in die schule, weil wir nicht wissen, wie lange wir hier bleiben
werden. damit ich aber erwas lerne, gehe ich jetzt in die nähschule. diese schule
leiten die katholiken. in jeder pause beten sie mit den schülerinnen. in der großen
pause gehen alle in die kirche, die nah von der schule liegt. während sie beten,
mache ich einen spaziergang durch das städtchen.

die schwestern sind sehr streng. wenn sie eine schülerin mit einem jungen sehen, so
hält die oberin gleich eine moralpredigt. sie sagt, daß solche mädchen in die hölle
kämen. da muß in der hölle aber sehr viel platz sein.

nun muß ich aber schließen.

viele grüße von deiner

manne
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papa ist nicht vergessen

die frühlingssonne scheint warm und hell. gestern habe ich die ersten krokusse
gesehen. die vögel singen, und das macht mir eine große freude.

heute is sonntag. unser wirt, herr walter, stellt im garten schon stühle an die tische.
er wartet auf die ersten besucher.

da sehe ich am fuße des berges einige menschen. jetzt sind sie den berg
hinaufgestiegen und kommen in den garten. das sind sechs junge männer. sie
haven mandolinen und gitarren bei sich und sinf sehr lustig.

"tutine! gäste!" rufe ich. die jungen leute haben sich an einen tisch gesetzt und
beginnen sich nach allen seiten umzuschauen. aber herr walter hat sie wohl durch
das fenster gesehen. er läuft schon nach dem bestellen bier.

jetzt flüstern sie miteinander. ein junge schaut auf unsere fenster. plötzlich durchfährt
mich der gedanke: das sind spione! sie wollen wissen, ob wir hier wohnen. ja, ich
habe recht. als herr walter wieder in den garten kommt, höre ich, wie ihn ein junger
mann fragt: "wohnt hier ein herr weinert ?" "nein", antwortet der wirt. doch als ihm
der mann einen zettel gibt, läuft er mit diesem zettel ins haus.

die jungen männer flüstern miteinander. sie schauen wieder auf unsere fenster.

da kommt papa plötzlich aus dem haus. er gibt den jungen leuten did hand, und sie
begrüßen ihn herzlich.
"wir sind studenten aus berlin und brauchen ihre gedichte für flugblätter und illegale
zeitungen, sagt einer von ihnen. "wir können sie aber nicht mitnehmen. wir wollen
zwei tage hier bleiben und viele gedichte auswendig lernen. dann findet sie die
polizei bestimmt nicht." papa lacht: "das ist schön! kommt zu mir ins zimmer, damit
euch hier niemand sieht."

die jungen steigen mit papa die treppe hinauf. ich gehe natürlich mit. mutti wird
erstaunt sein. ich möchte nur wissen, was sie unseren gästen vorsetzen eill. sie
haben wohl hunger. und unser mittagessen reicht für sie bestimmt nicht aus. aber
papa macht sich keine sorgen. er kommt in die küche und sagt freundlich: "mutti,
nun bringe mal etwas zum essen aud den tisch!"

als ich zwei tage später kartoffeln aus dem keller hole, fragt meine freundin titine:
"was machen eure gäste die ganze zeit und wo schlafen sie alle ? ihr habt doch
wenig platz." sie sieht mich interresant an.

"auf stühlen, am fußboden, auf dem langen küchentisch. aber sie haben nur zwei
nächte bei uns geschlafen, bald fahren sie wieder fort." davon, wie die studenten
den tag verbringen, darf ich nichts sagen, auch wenn titine meine freundin ist.

ich trage kartoffeln in die küche und gehe ins wohnzimmer.


die jungen machen sich zum weggehen fertig. ihre rucksäcke sind gepackt. die
gedichte von papa wird die polizei in den rucksäcken nicht finden. die jungen
männer haben sie im kopf.

"ah, wenn ich doch mit euch in die heimat zurückgehen könnte..." papa umarmt
jeden von ihnen herzlich. und noch lange, nachdem die jungen fortgegangen sind,
steht er am fenster..."

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papa warnt zum letzten male

im zimmer ist es noch dunkel, und durch das offene fenster kommt frische morgenluft
herein. ich werde bald aufstehen und mit titine in den wald gehen, denke ich noch
halb im schlaf und lege mich zufrieden auf die andere seite. aber etwas macht mich
doch unruhig... plötzlich weiß ich, was das ist: wir fahren ja heute fort von hier, für
immer. zurück nach paris. in paris werde ich dann wieder allein in den parks sitzen
oder durch die straßen wandern.

traurig sehe ich auf unsere koffer, die schon gepackt in der ecke stehen. mutti und
papa schlafen noch, es muß sehr früh sein. ich lege mich wieder, aber das traurige
gefühl bleibt. wie lange sollen wir noch durch die welt herumgestoßen werden ?
kaum haben wir unser zuhause und freunde gefunden, schon müssen wir wieder
weiterfahren. doch wir dürfen nicht klagen, tausenden anderen geht es viel
schlechter als uns. sie arbeiten illegal im faschistischen deutschland, sie werden in
den konzentrationslagern gequält.

wie können die menschen nur so ruhig leben, wenn sie von mördern regiert werden ?
wann erwachen sie endlich ?

tag für tag hat papa zu ihnen gesprochen und sie gewarnt. damals in deutschland
und nun hier an der saar.

aber sie haben auch diesmal auf seine warnung nicht gehört (1).

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(1) im januar 1935 hitler, einsetzend die empressung und den terror, war ergelangen
nach nötig für ihm von resultats bei der verwirklichung von des referendumn und
angegkiedern saargebiet zum deutschland.
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wir fahren Über zwei meere
und lernen wieder neue lÄnder kennen

juli 1935

liebe titine!

heute bekommst du meinen letzten gruß aus frankreich, denn wir gehen nun auf die
weite reise in die sowjetunion. wir werden ungefähr sieben tage fahren müssen.
nach einigen stunden geht unser schiff. es deutschland bringt uns zuerst nach
dänemark. ich freue mich sehr auf die lange reise und die länder, die wir
kennenlernen werden, obwohl mir frankreich und franzosen sehr gut gefallen. und
die französische sprache ist sehr schön.

wie geht es dir ? ich denke oft an die schönen tage in forbach.
grüße deine eltern von deiner freundin

marianne

ich schlafe mit mutti in einer kleinen kajüte. durch das runde schiffsfensterchen sieht
man nichts als wasser.

hier kann man keine minute lang ruhig stehen. schon wieder bekomme ich einen
stups und fliege an die wand.

"mutti", sage ich, "ich habe ein merkwürdiges gefühl im magen. hast du es auch ?"

"du bist wohl seekrank", antwortet mutti, die versucht, sich die zähne zu putzen. da
klopft es an der kajütentür. "habt ihr noch keinen hunger ?" papa kommt herein.
"hier gibt es so viel schönes zum essen, und das braucht man nicht zu bezahlen.
alles ist im preis einbegriffen."

mutti läßt das zähneputzen und wir steigen nun alle drei die schmale treppe zum
schiffsrestaurant hinauf. wie das schaukelt!

jetzt sitzen wir am tisch. mirbist noch schlimmer geworden. das schöne essen
schmeckt mir nicht. ich höre, wie mutti sagt: "erich, bring doch marianne an deck,
sie ist schon ganz grün im gesicht."

ich kann das wasser nicht mehr sehen! mir ist so schlecht! ich weiß nicht mehr, wo
himmel und erde ist...

wie komme ich plötzlich in mein bett? es schaukelt in mir nicht mehr so stark.

"na, ist dir wieder besser, mannichen ?" fragt mutti, die in ihrem bett liegt und auch
ganz blaß aussieht.

"ja, ein wenig besser. wie lange fahren wir schon ?"

"bald sind es zwei tage, wie du im bett liegst. ich habe mich auch nicht sehr gut
gefühlt."

"wo ist denn papa ?"

"er ißt wieder. er geht 5-6 mal am tage ins restaurant und ist dort der einzige gast.
alle anderen passagiere liegen auf deck seektrank, sie können nichts essen."

"bekommen die kranken dann das geld für ihr essen wieder ? papa hat doch gesagt,
daß alles im preis einbegriffen ist."'

"ach, manne, bist du naiv. die herren schiffsbesitzer verdienen an allem, auch an an
der seekrankheit. bei papa haben sie pech gehabt." mutti lächelt.

"ich bin froh, daß wir nun bald in kopenhagen sind", sagt sie nach einer kleinen
pause.

kopenhagen ist eine sehr schöne stadt. leider können wir hier nur einen tag bleiben.
wir schauen uns das zentrum an, setzen uns in einem kaffeegarten und sehen auf die
straßen. ich glaube, ich habe in meinem ganzen leben nicht so viel fahrräder
gesehen wie hier in einer einzigen straße. Überall sind nur fahrräder. die menschen
sind hier groß, blond, mit hellen augen.

"hier gefählt es mir", sage ich zu mutti, obwohl für mich die schönste stadt wohl
immer paris bleiben wird.

"in schweden wird es dirbauch gefallen, ich war schon einmal als junges mädchen in
stockholm. du wirst alles selbst sehen, morgen sind wir schon dort."

"was hast du denn plötzlich ? du machst so ein trauriges gesicht ?" fragt papa und
sieht mich erstaunt an.''

"ich habe an das meer gedacht, denn um nach stockholm zu kommen, müssen wir
noch einmal auf ein schiff. und das kann ich nicht."

"auf der nordsee hatten wir außergewöhnlich stürmisches wetter. die ostsee ist aber
viel ruhiger. mach dir keine sorgen, wir bringen dich schon über das meer, sagt papa
und lächelt.

er hat recht. die fahrt über die ostsee ist schön. das meer ist hellgrün. die sonne
scheint warm auf das deck.

viele passagiere liegen auf dem deck in der sonne. da ist eine große gruppe
deutscher. aus ihren gesprächen verstehen wir, daß sie heute aus stettin in
stockholm angekommen sind, um an einem treffen in helsinki teilzunehmen.

"wenn mit dir jemand spricht, mach es so, als ob du deutsch nicht verstündest", sagt
papa zu mir. "diese deutschen sind nicht unsere freunde."

abends können mutti und ich lange nicht einschlafenn. wir sprechen über unsere
reise, über kopenhagen und stockholm.

da kommt papa in unsere kajüte. hört zu, ich erzähle euch, was mir eben passiert ist.
ich stand auf dem deck und schaute in das dunkle meer hinaus. plötzlich flüsterte
eine stimme neben mir: "guten abend, erich weinert!" ich gab dem mann natürlich
keine antwort, verließ meinen platz und setzte mich auf eine bank. doch er folgte mir
und sagte: "erich, du brauchst nicht zu schweigen. ich habe dich gleich erkannt,
aber ich wollte am tage mit dir nicht sprechen, weil ich mit den nazis reise. ich freue
mich sehr, daß ich dich wieder sehe. du bist in deutschland nicht vergessen. ich
kenne menschen, die deine gedichte gesammelt und versteckt haben. sie lesen sie
einander vor und denken an dich."'

da kam plötzlich jemand vorbei und der genosse verließ mich. ich habe mich sehr
gefreut über diesen gruß aus der heimat, besonders jetzt, wo wir sie verlassen."

nun sitzen wir wieder im zug.

"wohin fahren wir jetzt, mutti ?"

"nach helsinki, der hauptstadt von finnlznd. dann weiter über die russische grenze
nach leningrad."

helsinki. aber wir konnten uns leider diese stadt nicht ansehen, weil es regnete.

es regnet auch jetzt. der regen trommelt auf das dach des zuges. ich werde nüde
davon und schlafe ein.

ich weiß nicht, wie lange ich so geschlafen habe. jemand weckt mich. ich öffne die
augen. "wir fahren gerade über die grenze der sowjetunion, manne", sagt papa und
seine stimme klingt anders als sonst. "wir kommen jetzt in das vaterland der
arbeiter."

ich schaue zum fenster hinaus. ich sehe eine graue landschaft, einige menschen -
nichts besonderes. erstaunt sehe ich papa wieder an. aber wie ich den mund
aufmachen will, um ihm das zu sagen, bemerke ich, daß er tränen in den augen hat.
ich sage nichts. ich habe nich nie gesehen, daß mein vater weint.

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in leningrad

der zug fährt langsam in den leningrad bahnhof ein. wir sehen alle drei aufgeregt
zum fenster hinaus. papa zieht seinen mantel an. "bleibt noch hier, ich will sehen,
wer und abholen gekommen ist." er geht auf den bahnsteig. ich sehe aus dem
fenster nur seinen grauen hut. durch den bahnsteig menschen. ich bin über ihre
kleidung erstaunt. sie ist so grau, daß alle fast gleich aussehen. niemand trägt einen
hut. die frauen sind in kopftücher gehüllt, obwohl heute ein sonniger herbstag ist.

plötzlich sehe ich papa wieder. er steht in der mitte einer gruppe von menschen.
russische und deutsche freunde begrüßen ihn herzlich. jetzt kommen alle zu
unserem waggon. ein kleiner dicker mann schüttelt mutti und mir beide hände.

dann gehen wir alle zum auto. wir steigen ein und bald fahren wir durch die breiten
straßen leningrads.

das ist aber ein schönes hotel! ich sehe mir die möbel und wände unseres zimmers
an. "schnell, zieh dich an", sagt mutti. "die genossen warten dort unten und mit
dem essen." sie gibt mir den roten pullover und den grauen rock. "warum sind die
leute hier so schlecht angezogen? alle sehen sie so grau aus", frage ich. "ich habt
nie davon erzählt." "das wirst du bald selbst verstehen, antwortet mutti.

unsere gastgeber, es sind sowjetische schriftsteller, scheinen der meinung zu sein,


daß wir schon viele monate nicht richtig gegessen haben. ''kuschaite, kushaite",
sagen sie auf russisch immer wieder, und sehen unserem essen liebevoll zu. wir sind
schon so satt, daß wir kaum noch sitzen können. mutti, papa und ich, alle wollen wir
schlafen. aber jetzt heben alle ihre gläser, und der dicke mann gibt mir auch etwas
zum trinken. das ist schnaps! er brennt mir im mund wie feuer, so daß ich gleich
tränen in den augen habe. der mann klopft mir auf den rüchen und sagt:
"nitschewo, priviknisch." dann legt er mir noch ein großes stück kuchen auf den
teller; auch das muß ich noch essen.

als wir drei endlich wie tot vor müdigkeit und vielem essen auf unseren betten liegen,
klopft es, und ein kopf erscheint in der tür. "erich pawlowitsch, vergessen sie nicht ,
um vier uhr holen wir sie ab und zeigen ihnen und ihrer familie unser leningrad.
morgen fahren wir nach peterhof, und abends ins theater, und übermorgen..." "dai
she ludjam otdachnutj", sagt eine andere stimme, und der kopf verschwindet.
draußen wird es still. "kein anderes volk ist so gastfreundlich wie das russische", sagt
papa.

von muttis bett kommt keine antwort mehr. ich schlafe auch fast. doch in gedanken
bin ich noch bei unseren neuen freunden.

in anderen ländern hat uns niemand vom bahnhof abgeholt, und wir waren noch
glücklich, wenn wir ein schlechte zimmer gefunden hatten. hier aber erwartete und
so viel herzlichkeit, wie ich es nie gedacht hatte.

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das wiedersehen
mit meiner ersten liebe

vier wochen später in moskau nähern wir uns dem langen grauen gebäude, in dem
sich die deutsche schule befindet. ich habe ein wenig angst. seit dem jahre 1933
habe ich nicht mehr gelernt, und jetzt haben wir schon 1935. wie werde ich nur alles
verstehen? "ach, wenn ich doch gar nicht mehr zur schule müste! " ich schaue mutti
an, die mich wie ein kleines kind an der hand hält. "du warst doch früher immer gut
im lernen", antwortet sie, "und so viele bücher hast du in den letzten beiden jahren
gelesen. das haben viele kinder bestimmt nicht getan. und bücher geben den
menschen viel wissen. so, da sind wir ja", sagt mutti, bleibt stehen und schaut auf
die hohen schulfenster.

die direktorin der schule hat kurzes graues haar und trägt eine dunkle brille. "dem
alter nach muß ihre tochter in die siebente klasse kommen. wenn sie aber zwei jahre
nicht in die schule gegangen ist, muß sie noch in die fünfte gehen. unser lehrplan ist
wie in den russischen schulen und die forderungen sind sehr hoch. kann sie gut
lernen?"

sie sieht mich über ihre brille an. "ich glaube, ja", sagt mutti. "marianne war immer
eine gute schülerin. die erste zeit wird es ihr narürlich nicht leicht sein."

nachdem unser gespräch mit der direktorin zu ende ist, läutet es zur pause. viele
kinder stürzen aus den klassen in den breiten korridor.'
einige bleiben stehen und schauen uns neugierig an. "mutti, ist das nicht..."
aufgeregt packe ich sie an arm. aber natürlich, das ist doch winnetou aus berlin!
jetzt hat er mich auch erkannt. zuerst wird er rot, doch dann gibt er mir ruhig die
hand, als ob wur uns erst gestern gesehen hätten.

"ich habe mir die begegnung mit deiner ersten liebe anders vorgestellt", lächelt
mutti, als wir auf der straße auf eine straßenbahn warten. ich bin immer noch
etstaunt, daß ich in moskau gleich den winnetou aus unserem berlin getroffen habe.

die straßenbahn ist so voll, daß man kaum noch stehen kann. noch in keinem land
habe ich solche vollen staßenbahnen geseher wie hier. Überall hängen die menschen.
aber alle sind ruhig und freundlich. ein mensch fragt den anderen, wo er aussteigen
will. plötzlich gibt mir jemand ein papierchen in die hand und sagt etwas. erstaunt
erkenne ich einen rubel. ich sehe mir die gesichter der menschen an, um zu
erfahren, wer mir das geld gegeben hat und warum. aber die menschen bemerken
mich nicht. "mutti, mir hat jemand einen rubel geschenkt. verstehst du das ? was
soll ich mit dem geld machen ?" rufe ich leise, aber mutti weiß es auch nicht. was
kann nur das bedeuten ? jetzt gibt mir jemand noch geld und sagt wieder etwas. es
sind sogar zwei rubel. mein erstaunen wächst. ich schaue in die gesichter der
menschen. warum schenken mir fremde leute geld ? wollen sie mir, einer fremden,
so ihre sympathie zeigen ? da ruft mir mutti, daß wir aussteigen müssen.

nachdem wir endlich draußen sind, sehen wir, daß der ganze straßenbahnwagen in
bewegung ist und alle leute aufgeregt schreien. plötzlich zeigt ein mann auf mich
und droht mir mit der faust. die anderen sehen mich auch böse an. "daran muß das
geld schuld sein", flüstere ich mutti zu und schaue hilflos auf die rubel in
meinertasche. doch die straßenbahn fährt schon wieder, obwohl der mann immer
noch böse droht. dann verschwindet der wagen.

ein junges mädchen kommt zu uns und sagt in gutem deutsch: "ich sehe, sie sind
fremd hier und verstehen wohl nicht, was passier ist. jeder mensch muß in der
straßenbahn selbst für die fahrt zahlen."

"aber wir haben das gleich gemacht. doch zwei leute gaben mir ihr geld in die hand.
ich verstehe nicht, warum."

das mädchen lächelt. "die straßenbahnen sind so voll, daß jeder sein fahrgeld dem
nachbar weitergibt. er kann doch selbst nicht zahlen. dann kommt die fahrkarte
zurück."

ich gehe traurig neben mutti her. ich habe also zwei moskauer bürgern zwei rubel
gemaust und wußte es selbst nicht.

"mir ist auch einmal etwas Ähnliches passiert", sagt mutti und lacht laut auf. "als ich
im jahre 1928 das erstemal mit papa in der sowjetunion war, aßen wir in einem hotel
zu muttag. ich wollte "danke schön" auf russisch sagen, kannte aber nur sehr wenige
worte und sagte freundlich "poscholl!" der kellner sah mich an und verließ uns.
unsere freunde erklären ihm, daß wir russisch nicht sprechen können, er ist aber
nicht wieder erschienen.

und weißt du noch, wie ich in paris pferdefleisch zum muttagessen gebracht habe ?
uch wußte nicht, daß man in den geschäften mit den großen pferdeköpfen über der
tür nur pferdefleisch verkauft. gut, daß papa gleich den braten erkannt hatte. er hat
im krieg solches fleisch genug gegessen, und sagte, daß es nicht schlecht schmeckt."

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post nach frankreich

januar 1937

liebe titine!

deine antwort auf meinem brief habe ich wirklich bekommen, aber mit großer
verspätung. am selben tag kam auch eine postkarte von meiner oma aus münchen.
diese karte war schon drei jahre alt. einer von unseren bekannten hatte sie mit. er
mußte aus deutschand fliehen und trug sie lange mit sich auf seinen reisen.

bei mir ist wieder einiges anders geworden. in diesem herbst gehe ich in eine
russische schule. es ist so schwer, alles in einer fremden sprache zu lernen, aber die
lehrer und die kinder helfen mir, wir sir nur können. sogar dir frechsten jungen sind
zu mir nett. ich lese auch wie immer viele bücher.

du klagst, liebes titinchen, daß ich so wenig über die sowjetunion in meinem briefen
erzähle. Über dieses land kann man aber bücher schreiben. das schönste, was es
hier gibt, sinf die menschen. sie strömen so viel wärme und güte aus, daß man alle
seine sorgen vergißt. ich denke jetzt nicht mehr so oft an meine heimat wie früher.
ich kann endlich wieder lernen und habe keine zeit für traurige gedanken.
wir wohnen im hause der schriftsteller in einer sehr schönen drei-zimmer-wohnung.
wir haben auch eine russische hausangestellte, sie heißt marussja. wir verstehen
einander sehr gut. manchmal gehen wir zusammen ins kino oder ins theater. im
winter verbringe ich meine freie zeit oder ins theater. im winter verbringe ich meine
freie zeit auf der eisbahn.

liebe titine! schreib mir mal wieder, wie es dir geht. was machen deine eltern ?
wann werden wir uns wiedersehen ? papa holft immer noch, daß wir bald nach
deutschland fahren können.

es grüßt dich deinde freundin

marianne

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papa kÄmpft geben ein mÄuschen

ein glück, daß der fahrstuhl heute in betrieb ist, denke ich und fahre nach der schule
zu unserer wohnung hinauf. es macht wenig spaß, die treppe hinaufzusteigen, wenn
man im neunten stock wohnt. aber uns gefällt es da oben gut. man sieht, wie schön
moskau ist, besonders am abend.

auf mein klingeln öffnet marussja. sie lacht. wie viele russiche menschen hat sie
wunderschöne weiße zähne. ich ziehe meinen mantel aus und gehe in die küche. ich
will sehen, was es heute zu mittag gibt.

"mutti ist wohl nicht da ?"

"jelizaweta karlowna ist in die stadt gefahren", antwortet marussja. dann lacht sie
wieder und sagt: "heute war bei uns etwas passiert! in der nacht war eine maus in
die falle geganken, und erich pawlowitsch sollte sie in der badewanne im
badezimmer. jelizaweta karlowna saß in dieser zeit im arbeitszimmer und wartete.
sie wollte das zimmer verlassen, wenn die maus schon tot ist."

"na und ?" ich trinke pflamenkompott, das auf dem tisch steht. "hat papa denn das
mäuschen ertränkt oder nicht?"

"nie läßt du mich zu ende erzählen", antwortet marussja. "bald kam erich
pawlowitsch in die küche, sah sehr blaß aus und sagte: "marussja, ich kann das arme
tierchen nicht töten, vielleicht machen sie das ?" - "aber erich pawlowitsch", habe ich
geantworted, dss ist doch männersache, sie sollen mehr mut haben."

lieber papa, denke ich. wie kann er jemand sogar eine kleine maus, töten!

als student hatte er ein mäuschen gehalten, das neben ihm gesessen und bei
seinerarbeit zugesehen hatte.

ich öffne die tür zu seinem zimmer. papa sitzt am schreibtisch und hort radio. man
bringt seltsame, fremdartige musik der südlichen völker der sowjetunion.

"meiner freundin nadja geht diese musik auf die nerven. ich kann sie auch nicht
verstehen." ich küsse papa und falle auf das breite sofa. "das ohr muß sich natürlich
an das neue gewöhnen, später aber versteht man, wie schön diese musik aus den
dörfern oder bergen ist". papa stellt das radio lauter ein. "stelle dir einen hirten vor.
er sitzt in seinem langen, dicken pelzmantel hoch oben in den bergen auf einer
wiese und spielt ein trauriges liedchen."

da klopft es. marussja bringt das mittagessen. wie herrlich es schmeckt! für einige
zeit vergessen wir sogar unsere musik. "deine russischen freunde haben bestimmt
noch nie gesagt, daß unsere deutschen volkslieder langweilig und unschön sind",
sagt papa dann wieder. "zur wahren kultur eines menschen gehört, die kultur
anderer völker zu verstehen und auch zu lieben." er schämt sich, daß er die letzten
worte nicht auf russisch sagen konnte. aus rücksicht auf marussja sprechen wir bei
tisch immer russisch, obwohl das manchmal nicht leicht ist.

"erich pawlowitsch erzählt wohl, wie er heute die maus ertränkt hat", bemerkt
marussja und sieht papa lustig von der seite an. papa antwortet nichts. als das
mädchen das zimmer verlassen hat, macht er ein spitzbübisches gesicht und sagt:
"die maus ist ja nicht tot. sie wohnt vielleicht bei anderen leuten in der küche. ich
ließ sie auf der treppe laufen."

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ein ereignsreicher rag

"wenn sie mich nur heute nicht fragt", flüstert mir meine banknachbarin vera. ina
pawlowna, die geschichtslehrerin, beginnt aber den neuen stoff zu erklären. ich hole
ein buch aus der tasche. an manchen tagen werde ich in den stunden sehr müde.
dann kann ich aufmerksam zuhören und lese unbemerkt ein deutsches buch. heute
ist es der roman "die häßliche herzogin" von lion feuchtwanger (1), den ich sehr gern
lese.

ich lege mein buch so, daß ich es schnell verstecken kann, wenn die lehrerin kommt.
plötzlich habe ich das gefühl, daß mich jemand anschaut. das ist wohl der junge, der
auf der letzten bank sitzt. er hat langes haar, trägt eine braune samtjacke und sieht
wie ein künstler aus. er malt auch bilderchen in seine helfe oder sieht zum fenster
hinaus. ein seltsamer junge, denke ich und versuche weiterzulesen. dabei bin ich
stolz, daß sich ein junge für mich interessiert. die lehrerin erzählt und erzählt, aber
plötzlich öffnet sie das klassenbuch und studiert die namen der schüler. vera hat
wieder große angst. ich werde auch unruhig.

"ich habe ganz vergessen, daß ich einige noch nicht gefragt habe", sagt ina pawliwna
und sieht die klasse an. "nikitin, bitte zur tafel."

nikitin ist der junge auf der letzten bank. oft weigert er sich, auf die fragen der lehrer
zu antworten. er nimmt am schul- und klassenleben wenig teil und hat fast immer
ein trauriges gesicht.

"ich habe mich zur stunde nicht vorbereitet", sagt er auch heute und bleibt sitzen. für
das lernen zeigt er kein interesse. dabei interessiert er sich so sehr für das leben im
lande und draußen in der welt. aus seiner schultasche schauen morgens die
neuesten zeitungen heraus. auch hat er selbst gewollt, über die ereignisse in
spanien (2) vor der klasse zu erzählen. er tut das dreimal in der woche. wenn er
wüßte, daß mein papa auch bald nach spanien gehen wird! ich sehe stolz auf kolja,
werde aber bei diesem gedanken traurig.

"weinert, marianna", ruft da die lehrerin.

ich stehe von meinem platz auf und gehe nach vorn. ich mache jeden tag bis
spätabends schularbeiten. doch ist mir immer sehr schwer, in der fremden sprache
zu antworten, besonders in der anatomie, physik oder geschichte.

"charakterisiere uns bitte das zweite kaiserreich in frankreich."

in der klasse ist es ganz still geworden. alle finden interesse an der zungenakrobatik
eines ausländers. ich antworte auf die frage und suche dabei nach worten. wie
immer schäme ich mich, so im zentrum des interesses zu stehen.

"es ist gut, du weißt es", sagt die lehrerin. "nun sag mir aber bitte noch, wie hat karl
marx die pariser kommunarden genannt ?"

ja, wie denn ? ach richtig... himmelstürmer hat er sie genannt. aber wie sagt man
das auf russisch ? ich sehe die geschichtslehrerin hilflos an und schweige.

"schade, daß du das nicht weißt", sagt sie, "sagt sie, "ich wollte dir eine fünf geben."

"doch, ich weiß es", antworte ich aufgeregt, "ich kann es nur nicht sagen."

ina pawlowna sieht mich wieder an. in der klasse ist es unruhig geworden. einige
schüler versuchen mir mit den händen zu zeigen, was "himmelstürmer" bedeutet.

der kleine sascha auf der ersten bank hebt beide arme zum himmel.

lilka zeigt mit ihren blauen augen auch auf den himmel.

ach, gute freunde, ich weiß die antwort doch, ich kann es nur nicht sagen. da hilft mir
eure freundschaft nicht!

traurig setze ich mich auf meinen platz zurück. "alles ist nicht so schlimm", sagt
meine nachbarin vera, und auch lilka sieht um und lächelt mir zu: "nitschewo!"

"ina pawlowna!" steht plötzlich von der letzten bank kolja nikitin auf. "ich finde es
nicht richtig, daß sie marianna eine schlechtere zensur geben. sie hat auf ihre frage
nicht antwortet, weil sie noch nicht so gut russisch spricht."

"ach, sieh mal, es hat sich ein ritter gefunden", sagt die lehrerin und nähert sich dem
jungen. "gibst du mir vielleicht diese antwort ?"

"himmelstürmer hat marx die kommunarden genannt", antwortet er gleich er gleich


und hat schon wieder einen trotzigen ausdruck im gesicht.

ina pawlowna geht zum tisch zurück. wir sehen, daß sie noch nicht beschlossen hat,
was sie tun soll. sie ist noch jung und arbeitet nur zwei jahre.

"glaubt ihr es auch so ?" fragt sie unerwartet die ganze klasse.

"fragen sie marianna noch einmal. dann wird sie wohl eine bessere zensur
bekommen", sagt ein mädchen. "ja, so werden sie es richtig machen", rufen auch
andere schüler, und ina pawlowna ist auch froh. sie beginnt weiter zu erzählen.

"es ist das erste mal, daß kolja nikitin ein mädchen in der klasse beschützen wollte.
er hat dich bestimmt gern", neckt mich lilka nach der schule. "ein wenig gefällt er dir
wohl auch, nicht wahr ?"
"sei still, da steht er." lilka gibt mir die hand und verschwindet um die ecke.

so begleitet mich kolja an diesem tage nach hause.

als ich zu papa ins zimmer komme, bemerke ich, daß er sorgen hat. er raucht eine
zigarette und schaut zum fenster hinaus.

ich setze mich aufs sofa und sage nichts. immer muß ich an kolja denken: wir wolken
am sonntag einen spaziergang machen. jetzt kommt mutti ins zimmer.

ihre augen sind rot, sie hat wohl geweint. was konnte denn hier passieren, denke ich,
versuche aber von etwas anderem zu sprechen: "in der geschichte habe ich heute
alles gewußt, nur das russische wort für "himmelstürmer" nicht", sage ich. "vielleicht
bekomme ich keine fünf in der geschichte." ich habe das gefühl, daß mir niemand
zuhört.

"das ist dumm", papa schaut mich kurz an. "wichtig ist aber, daß du den stoff gut
kennst. "er öffnet seinen schreibtisch und sucht dort nach den papieren

"die lehrerin will mich aber noch einmal fragen", sage ich und werde ganz rot bei dem
gedanken an koljas hilfe. "ist marussja zu hause ?" ich muß ihr doch bei den
schularbeiten helfen."

auf unseren rat hin besucht marussja jetzt eine abendschule.

ich will schon zu ihr gehen, da ruft papa mich zurück: "warte doch mal, marianne, ich
wollte dir etwas sagen."

"ja, was ?" frage ich, aber im nächsten moment weiß ich, was er mit sagen wird...

"ja, kind. dein alter vater geht wieder auf eine weite reise. ach, könnte ich euch
beide doch mitnehmen! aber ich kann es leider nicht."

lange kann ich an diesem abend nicht schlafen. der gedanke an vater macht mich
tief traurig, dann aber sehe ich kolja vor mir und fühle große freude.

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(1) "die häßliche herzogin" von lion feuchtwanger; lion feuchtwanger ist bekannter
deutscher schriftsteller-antifaschist

(2) dir ereignisse in spanien - im jahre 1936 in spanien hatte begesiegen der
volksfront, und am 18. juli 1938 brach aus der faschist putsch von des general franko,
organisierend hitler deutschland und fashist italien bei die unterstützung von
imperialisten von england, frankreich und usa. der spanien volk heroisch verteidiget
die republik. die unionnder sozialistischen sowjetrepubliken (udssr) und also
demokratische kräfte der andere landers half den spanien volk kämpfen mit
faschismus. viele deutsche antifaschisten teilnehmen aktiv sich an heroisch kämpf
von den spanien volk.

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eine fahrt aufs land

wir haben den moskauer zug verlassen und sind ein wenig durch den bahnsteig
gelaufen. "hatte ich nicht recht, daß ich mit dir aufs land fahren wollte ?" fragt kolja
und zeigt zuf die wunderschöne sommerlandshaft. wir sind nicht weit von moskau.
diese gegend erinnert mich an die kinderjahre, als ich mit evchen unter den
apfelbäumen lag, im garten hinter dem haus mut den bunten scheiben. dort
wuschen auch solche herrilichen blumen, standen auch solche hohen grünen bäume
wie hier, viele hunderte kilometer von meiner heimat.

kolja ist stehengeblieben und nimmt liebevoll aus dem gras ein käferchen, das ich
nicht kenne.

er hat so gute hände, ich habe es bemerkt, als ich ihn das erste mal sah. die hände,
so wie die augen, sprechen vom character des menschen.

"an was denkst?" fragt mich kolja. "ich weiß nicht, warum ich oft die schönheit dort
sehe, wo andere menschen sie nicht bemerken. so sagen zum beispiel alle in der
klasse, daß lilka nicht schön ist. dabei muß ich während der stunden immer auf sie
sehen: ihr dunkles haar und der weiße hals sehen ja schön aus!"

"an dir ist ein maler verlorengegangen. jetzt weiß ich, was du manchmal in der
stunde tust. und der lehrer denkt, du hörst aufmerksam zu", sagt kolja. "du sagst,
du liebst die menschliche schönheit. lies mal bei leo tolstoj, was er über das lächeln
der menschen geschrieben hat."

"du hast wohl seine werke gern ? du zitierst ihn immer und versuchst, auch äußerlich
wie tolstoi auszusehen."

''sofort tutves mir leid, was ich gesagt habe. kolja fühlt sich gekränkt.

"ich bin so, wie ich bin. poesie und malerei sind meine freunde. manche können das
nicht verstehen, aber es spielt für keine rolle."

wir sind an einen hohen baum gekommen, haben uns ins gras gesetzt und sehen auf
kleine weiße wolken im blauen himmel.

"weißt du, marianna", sagt kolja wieder, "ich habe oft gedacht, warum ich nicht so bin
wie die anderen jungen leute. du bist der este mensch, bei dem ich das gefühl habe,
daß er mich versteht." ich kann seine augen nicht sehen. doch etwas im ton seiner
stimme berührt mich tief.

ich muß ihm helfen, denke ich. er weiß nicht, daß ich mich auch oft so einsam fühle.
ich denke an die vielen traurigen abende in fremden hotelzimmern. solche abende
gibt es auch jetzt, aber nicht so oft. der einzige mensch, der mich immer versteht, ist
vater. er hilft mir, meine traurigkeit zu überwinden. doch jetzt ist er so weit von
hier...

"du bist doch nicht allein", sage ich. "verstehen denn deine eltern und geschwister
dich nicht ?"

"mein vater muß immer schwer arbeiten. da ist er abends so müde und dabei ist er
nicht mehr jung. meine mutter hat neun kinder gehabt, sechs sind in der ersten
schweren jahren nach der revolution gestorben. ich hatte eine schwester, wir
verstanden einander sehr gut. sie ist aber mit achtzehn jahren an der tuberkulose
gestorben. sie zeichnete so gern wie ich."

"und ich interessiere mich sehr für bücher. ich habe zu hause ein buch. in dieses
buch schreibe ich gedichte und prosa, alles, was mir gut gefällt."
"dichtest du auch selbst ?" fragt kolja. "oh, nein. ich habe einmal ein gedicht
geschrieben, papa aber sagte, man soll in so schweren zeiten keine lyrischen
gedichte machen. ich habe versucht, politische gedichte zu schreiben, aber sie
waren schrecklich."

kolja ist aufgesprungen. "siehst du, mir geht es auch so. ich male in jeder freien
minute. doch immer höre ich: was ist das für ein komsomole, der nur wolken, vögel,
bäume und flüsse malt. unsere schüler machen sich über mich lustig! aber ich kann
nicht anders, verstehst du?"

jetzt wird mir klar, warum er nicht malen will und in den stunden so passiv ist.

"ich glaube nicht, daß du den richtigen weg gefunden hast, um dagegen zu
protestieren", sage ich. wie kann ich ihm nur helfen! ich fühlte, daß mir dieser junge
immer mehr gefählt. er ist klug und begabt, und das lernen fählt ihm leicht. er darf
nicht so einsam sein!

'"ach, wenig ich so gut hätte", sage ich. "kein mensch weiß, wie schwer ich es habe."

kolja sieht mich erstaunt an. was sagst du da ?"

du bist hier zu hause und kannst in deiner muttersprache lernen. und du machst dir
und den anderen dad leben schwer, weil jemand will, daß du plakate malst und nicht
bäume. hilf mir doch in der schule! dann mußt du aber narürlich selbst mehr
arbeiten als jetzt."

"mariannotschka, liebe, natürlich werde das tun." kolja ist sehr froh. ich glaube, er
will mich küssen, hat aber den mut nicht dazu. "ich bin so glücklich, daß ich dir
helfen kann. weißt du, marianna, ich habe immer bemerkt, daß du es mit der
sprache schwer hast. aber du bist immer in den stunden sehr ruhig. ich konnte
nicht glauben, daß du hilfe brauchst. nur hast du manchmal solche traurigen augen.
darum mußte ich so viel an dich denken." er legt seinen arm auf meine schulter.
seine worte machen mich glücklich. welch ein schönes gefühl ist es zu wissen, daß
ein anderer mensch für dich sorgen will !

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geburstag

"hast du die nachrichten gehört ? barcelona (1) hat man wieder stark bombardiert."
mutti setzt sich zu mir auf das sofa. "ich ferstehe nicht, an deinen geburtstag hat
papa doch bestimmt gedacht. warum kommt nur keine post ?"

"sie wird schon kommen", versuche ich ruhig zu antworten.

"sieh mal, hier ist ein kleines foto, das er uns im vorigen jahr aus spanien geschickt
hat."

mutti schaut sich das foto an. "ach, sieh, da steht auch kisch. erinnerst du dich noch
an ihn ? hier auf dem bild sieht er ganz fremd aus."

"natürlich! hast du vergessen, daß wir ihn auch in paris getroffen haben ?"
"ach, ja, richtig." mutti schaut wieder auf das bild.

da klingelt es an der wohnungstür. "vielleicht ein brief von papa. um diese zeit
kommt immer post." ich springe auf und laufe aus dem zimmer. aber draußen ist
niemand. ich will schon die tür wieder zumachen, sehe aber auf dem fußboden einen
kleinen blumenstrsuß.

ich habe ihm doch nicht gesagt, daß heute mein geburtstag ich, denke ich. vielleicht
hat es lilka gesagt ?

"marianne!" ruft mutti aus dem zimmer. ist post gekommen ?"

'"nein, aber etwas anderes." ich seige ihr den blumenstrauß.

"es ihr sehr lieb von kolja", sagt mutti, ich sehe aber daß sie ebttäuscht ist. in
diesem moment klingelt es wieder.

"post für sie aus spanien", sagt die briefträgerin. sie grüßt freundlich und geht.

"mein liebes kind!" lese ich, nachdem ich schnell das kuvert geöffnet habe. "man
weiß nie, wievel wochen die post von der front bis nach moskau braucht. darum
schreibe ich dir heute. ich möchte, daß du diesen brief noch zu deinem geburtstag
bekommst. mein teures kind, du bist nun sechzehen jahre alt, und meine grüße
kommen zu dir aus einem land von blut und zestörung. meine kameraden sind stolz,
daß sie für die beste sache der welt an der front kämpfen. in diesem kriege hat sich
das erste mal in der geschichte die herzliche internatinale kameradschaft in solcher
kraft gezeigt. dein alter vater ist auch wieder soldat geworden. ich fühle, daß mein
platz jetzt an der front ist und nicht am schreibtisch . vielleicht werde ich über dieses
große erlebnis auch später in gedichten schreiben, ich weiß es aber noch nicht. in
briefen kann ich euch leider von der front nicht erzählen. es ist so viel, daß ich sogar
nicht weiß, wie ich beginnen soll.

...ich denke jeden tag an euch und unsere freundliche moskauer heimat. bald kommt
die zeit, wo ich euch wieder umarmen kann.

bleib lustig und tapfer

dein vater
aragon-front, den 1.september 1937

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(1) barcelona ist der stadt in spanien, nach wurdet die. erbittert kämpfe.

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wieder zusammen

heute bin ich krank und liege im bett. draußen ist es kalt. in der wohnung ist es still.
mutti ist nicht zu hause. marussya sitzt an meinem kleinen schreibtisch und schreibt
in ihrem heft.

"nun kommt bald wieder frühling, und papa ist noch nicht zurück", sage ich traurig.
"fast zwei jahre ist er schon nicht zu hause. jetzt sitzt er in einem französischen
konzentrationslager. und wenn ihn die franzosen der hitlerregierung ausliefern?"
"mach dir keine sorgen", sagt marussya. "er wird schon kommen. eines tages
klingelt es an der tür, und erich pawlowitsch steht draußen . das wird eine freude
sein!" sie lächelt bei diesem gedanken und beginnt gleich wieder zu arbeiten. neben
ihr auf dem tisch liegen letzten nummern der zeitung "prawda".

"hat es da nicht geklingelt ? wer kommt so spät und bei diesem wetter zu uns ? oder
hat mutti ihren schlüssel nicht mit ? "

"ich habe nichts gehört. jelizaweta karlowna hat ihren schlüssel bei sich", antwortet
marussja. dovh jetzt hören wir beide ein langes klingeln. marussja steht auf und
geht öffnen. ich höre, wie sie die tür aufmacht. da, das ist... das kann doch nicht
sein! ich springe aus dem bett und laufe zur tür. mein herz schlägt bis zum halse.
und wie ich aus dem zimmer stürze, liege ich schon in den armen meines lieben,
guten vaters.

vor glück können wir zuerst kein wort sprechen. doch als papa mich endlich aus
seiner umarmung frei läßt, sehe ich, daß seine haare weiß gewordeh sind.

marussja steht an der korridortür und weint. "ach, was für freude wird jelisaweta
karlowna haben, wenn sie nach hause kommt", wiederholt sie und wischt sich die
tränen ab.

aber mutti weiß noch nicht von ihrem glück, denn papa wartet nun bald zwei stunden
an meinem bett, und sie ist immer noch nicht da! marussja
kocht in der küche etwas für ihn.

das heft ließ sie offen auf meinem schreibtisch liegen, damit papa es sehen kann. er
nimmt es wirklich und sagt: "das steht schon sehr gut aus."

"und wie geht es dir in der schule, kind, wirst du dein abitur schaffen ? und wünschst
du immer noch, französisch zu studieren ? er sieht mich aus seinen hellen augen
aufmerksam an. "ist es nicht besser, wenn du dich auf die deutsche oder russische
literatur specialisierst ?"

ich liebe aber so sehr die französischen klassiker. im institut soll man auch die
spanische sprache studieren, und du kannst mir dabei helfen. sag mal, papa, warum
gast du nicht geschrieben, daß du lange krank gewesen bist?"

"warum sollte ich euch sorgen machen." er geht zum fernster, aber im dunkeln kann
man nichts sehen. "wo ist nur mutti?" sie mußte doch schon zu hause sein?"

ich muß lächeln heute ist papas warten auf mutti ja verständlich. aber auch früher
ist das auch immer so gewesen. wenn sie nur eine halbe stunde später nach hause
kam, konnte er nicht mehr arbeiten, stand unruhig ind sorgenvoll am fenster und
schaute auf die straße.

"moscau ist in diesen zwei jahren anders geworden, es sind größe


lebensmittelgeschäfte entstanden, sagt papa vom fernster her. "auch die menschen
sind viel besser angezogen als früher."

"man wird mich bald in den komsomol aufnehmen", sage ich nach langem
schweigen, um ihm eine freude zu machen.

papa sieht mich liebevoll an und nimmt meine hand. "nun kann ich auf meine
tochter stolz sein."

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erlebnisse am schwarzen meer

anapa, den 2.29.1939

liebe kolja!

vielen dank für deinen lieben brief. ich habe mich sehr über ihn gefreut. hier ist es
wunderschön: die hohen ufer, das unendliche gründblaue meer und die rote
abendsonne - ich habe nie etwas schöneres gesehen.

natürlich gibt es auch schlectes wetter. dann wandere ich durch das städtchen.
seine hauser verschwinden hinter blumen und bäumen. abends sitze ich oft mit den
fischerleuten, bei denen ich wohne. sie erzählen mir aus ihm leben, und ich erzähle
ihnen davon, wie wir aus deutschland geflohen sind. auch von meinen erlebnissen in
der schweiz und in frankreich. auch hier, in diesem kleinen städtchen denken die
menschen über die ereignisse in der welt. krieg ist das schlimmste für die menschen.
aber sie sind bereit, ihre heimat zu verteidigen.

mein wirt hat auch viele gute bücher. uch war erstaunt, daß es in einem
fischerhäuschen am schwarzen meer romane von tolstoi und dreiser gibt.

ich habe auch verschiedene andere menschen kennengelernt, zum beispiel, eine
junge schauspielerin aus kiew. manchmal lädt sie uns abends zum tee ein und liest
uns liebesgedichte vor. das ist dann sehr romantisch.

ich habe mich hier sehr gut erholt und fühle mich gesund und stark. auch freue ich
mich auf moskau und unsere spazierergänge. bald sehen wit uns wieder !

es grüßt dich herzlich

deine marianna

p.s. als ich auf die post kam, erfuhr ich aus der morgenzeitung, daß die nazis in
polen einmarschiert sind. wie schrecklich! was sagst du dazu? wir wußten ja alle,
daß hitler den krieg will. aber so schnell und plötzlich hat msn doch nicht erwartet!

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wenn man eine fremdsrache schlecht kennt

man nahm mich in den komsomol auf, und am abend dieses tages ging ich mit
meinem freundinnen ins moskauer künstlerheater (1). wir sahen uns "anna karenina"
von leo tolstoi an. das war schon lange mein heißer wunsch.

jetzt klingelt es zur pause und die menschen verlassen langsam den zuschauerraum.

"den heutigen tag wird marianne bestimmt nicht bald vergessen. ihr kolja war ganz
blaß", lacht lilka. "ich glaube, er war mehr aufgeregt, als sie selbst."

ich muß lächeln, wenn ich an kolja denke. doch ich möchte von kolja nicht sprechen.
mich hat es besonders gerührt, als die kleine natasha aus der siebenten klasse sagte:
"marianna, gehört zu uns, ihr vater hat sogar in spanien gekämpft."

"hat er sich schon erholt?" fragt lilka. "das kann er nicht. denn er arbeitet den
ganzen tag. er sollte mit anderen spanienkämpfern in ein sanatorium fahren, aber er
hat es nicht getan. er hat sich noch nie im leben erholt. jetzt schreibt er ein buch
über seine erlebnisse und übersetzt lermontow ins deutsche."

"sind seine gedichte schon bei uns übersetzt ? ich möchte sie gern lesen."

"ein kleiner band ist vor kurzem bei und herausgekommen. man muß aber seine
gesichte hören, wenn er sie selbst spricht. er tut es viel besser als die schauspieler."

als wir später vor meiner haustür stehen, holt lilka ein buch aus der tasche und steckt
es mir in die hand. "du liest doch so gern französische schriftsteller. ich wollte dir
zum heutigen tage ein kleines geschenk machen." henru barbusse (2), "das feuer",
lese ich.

zu hause höre ich viele menschenstimmen. richtig! heute ist ja sonnabend. die
skatbrüder (3) sind wieder da: papa, willi bredel (4) und einige kameraden, die
während des spanienkriges mit ihnen zusammen gewesen sind.

"das ist unsere neue komsomolzin", sagt papa, als ich ins wohnzimmer trete.

alle rufen hurra, klopfen mir auf den rücken, und ich muß mit dem dicken max sogar
ein gläschen wodka trinken.

"max, erzähl mal deine geschichte wieder", sagt papa und nimmt sein glas. willi
bredel lacht. ich habe noch nie solch ein anteckendes lachen gehört.

"ich wollte zu freunden fahren und wußte nur, daß sie nicht weit von der
untergrundbshnstation 'rote tore' wohnen", beginnt max. "ich nahm das wörterbuch,
verwechselte aber das tor mit dem toren (5). in der straßenbahn fragte man mich,
wohin ich fahren will. ich aber antwortete in meinem schlechten russisch: "krasny
durak." alle wurden mir natürlich böse, aber ich verstand nichts und wiederholte
immer dasselbe. dann haben sie mich auf die straße gezetzt. ich stieg in einen
omnibus ein und
sagte auch hier meine worte. wieder geschimpfe und geseter, und mir passiert
dasselbe wie in der straßenbahn. man setzt mich auf die straße. dann bin ich zu fuß
gegangen. die freunde, die ich besuchte, lachten über mein erlebnis den ganzen
abend", endet max.

"ich muß euch auch erzählen", sage ich, "wie freundlich unsere sowjetischen freunde
sind. in der bibliothek für fremdsprachige literatur sprach ein deutscher genosse
über unsere literatur. neben mir saß ein grusinier und hörte sehr aufmerksam zu.
der vortrag dauerte mehr als zwei stunden. es schien mir, daß mein nachbar an
etwas anderes denkt. während der pause fragte er mich: 'ich bitte um verzeihung, in
welcher sprache spricht der genosse ?'

'in russisch', antworte ich erstaunt. 'er spricht nur sehr schlecht, er hat so einen
komischen deutschen dialekt. sie verstehen wohl nichts ?' 'nein', sagte der mann,
dankte mir und verließ den saal. nach der pause aber kam er wieder und setzte sich
auf seinen platz. als der vortrag zu ende war, fragte ich meinen nachbar: 'warum
sind sie hier geblieben, wenn sie nichts verstehen ? es est ja so langweilig!' 'aber
der deutsche genosse konnte doch glauben, daß sein vortrag mir nicht gefällt.
darum wollte ich nicht fortgehen.'

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(1) das moskauer künstlerheater - moskovskij hudogestvennyjn teatr (mhat)

(2) henry barbusse ist bekannter französischer schriftsteller-kommunust

(3) die skatbrüder - die freundes bei skat; skat ist verbreitened sich in deutschland
das kartenspiel

(4) willi bredel ist bekannter deutscher schriftsteller-kommunust

(5) verwechselte aber das tor mit dem toren (max hatte grausam gebüßet für dieser
fehler).

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die gefahr droht

papa hat das fenster in seinem zimmer weit geöffnet. wir sehen über das moskauer
häusermeer. tief unten laufen die menschen auf den straßen wie immer hin und her.
sie sehen ganz klein aus.

die katze murka sitzt zwischen uns schaut auch suf die straße. murka ist ein lustiges
tierchen. papa hat sie sehr gern. er wirft ihr papierkugeln auf den fußboden und
freut sich dabei wie ein kind. wenn sie beide genug gespielt haben und papa zu
seiner arbeit zurückkehrt, legt sich murka neben das telefon auf den schreibtisch.

"ich freue mich schon auf die ferien", sage ich. "mir ist nur noch morgen die letzte
prüfung geblieben."

"wie die zeit vergeht! schon hast du die schule hinter dir, und wir sind schon acht
jahre nicht mehr zu hause. wie geht es nur meiner mutter und Änni mit den
kindern?"

wenn papa traurig ist, sieht sein gesicht müde und manch mal alt aus.

"du sollst dich diesen sommer erholen. 1939 bist du aus spanien zurückgekommen
und hast ohne erholung zwei jahre gearbeitet. mutti wird sich auch freuen."

"du hast recht, kind", papas gesicht ist wieder hell. "wir schließen die wohnung ab
und fahren fort. marussya wollte ja auch aufs land zu ihren eltern... aber sieh mal, so
viele menschen, was kann das bedeuten? es muß mal, so viele menschen, was kann
das bedeuten? es muß etwas passiert sein, die leute stehen da in gruppen und
sprechen..."

und diesem moment stürzt mutti ins zimmer. sie fällt auf das sofa. "willi hat eben
angerufen, hitler ist in die sowjetunion einmarschiert."

jetzt kommt auch marussja, will uns über das schreckliche ereignis erzählen, sieht
aber, daß wir es schon wissen.

papa geht aufgeregt zum radio. obwohl hitler schon in der tschechosliwakei, polen,
frankreich ist, haben wir nie geglaubt, daß er auch gegen die sowjetunion krieg
führen wird...

doch bestätigt uns die stimne im radio die schreckliche nachricht - krieg!

auf der treppe ist es laut geworden. man macht die türen auf. viele stimmen rufen
einander etwas zu.

papa setzt sich auf das sofa neben mutti. marussja weint leise. ich schaue auf den
kalender. es ist der 22, juni 1941.

===========================================
wahre freunde

am nächsten tag sitze ich müde auf meiner bank im klassenzimmer und warte
klopfenden herzens auf die prüfung. der chemielehrer sieht müde und blaß aus, er
kann sich nur schwer konzentrieren. er soll morgen schon an die front fahren. ich
denke an seine drei kinder, die er verlassen wird.

ob lilkas vater auch schon morgen an die front geht?

ich konnte sie und kolja noch nicht sprechen. gestern bin ich gegen morgen
eingeschlafen und heute kam ich zu spät zur prüfung. sie bemerken mich aber nicht.
haben sie solche solche angst vor der prüfung? oder?... ich erinnere mich wieder an
den jungen in paris, der mich damals mit so viel haß ansah, weil ich eine deutsche
bin.

da ruft man meinen namen. ich gehe an den tisch und wähle einen von den
prüfungszetteln. meine hände zittern so, daß ich zuerst die fragen nicht lesen kann.

"nur den mut nicht verlieren!" sagt der lerner und lächelt. "sie waren doch sehr gut
in chemie. und in der sprache helfen wir ihnen. nicht wahr?" fragt er die schüler.
lilka nickt, und kolja lächelt. seine augen sehen mich gut und lieb an.

ich möchte laut weinen. da sitzen sie, meinen freunde, blaß und unruhig nach der
gestrigen nachricht. aber niemand sagt mir ein böses wort. sie helfen mir wie
immer, seit ihr land zu unserer zweiten heimat geworden ist.

====================================
wieder muß man abschied nehmen

"hast du heute keine vorlesungen im institut?" fragt kolja. er verläßt heute moskau
und fährt in eine militärschule im norden. niemand weiß, ob er zurückkehren wird.

"die ersten zwei vorlesungen sind nicht so wichtig, und zur letzten komme ich noch",
antworte ich, damit er nicht sieht, wie traurig ich bin. ich muß abschied nehmen von
ihm, meinem besten und liebsten freund.

"alle tun jetzt etwas nützliches. du fährs fort, papa arbeitet tag und nacht, und nur
ich studiere die französische grammatik! ich will krakenschwester werden."

"alle dürfen doch ihr studium nicht lassen", sagt kolja. "lerne du nur weiter. man
wird dich noch rufen."

wir treten in einem schulhof, auf dem schon viele junge männer stehen.
einige sind allein und schauen traurig vor sich hin. andere flüstern mit ihren
mädchen oder hören, was ihre eltern sagen. die eltern gehen aufgeregt hin und her.
an ihren gesichtern sieht man schlaflose nächte und die sorge der letzten tage.

kolja hat von seiner famile zu hause abschied genommen. die letzte stunde soll uns
allein gehören.

jetzt kommt eun mann aus dem gebäude und liest die namen vor.

"ich muß gehen, marianna", sagt kolja, nimmt sein köfferchen und zieht daraus ein
blaues heft hervor. "das ist mein tagebuch. kein mensch weiß etwas davon. nimm
es bitte an dich. lesen darfst du es auch. aber zeig es niemandem, sogar meinem
vater nicht. "dann umarmt er mich und küßt, vor allen leuten im hof. seine lippen
sind kalt und zittern ein wenig. "sorge auch ein wenig um meine eltern", ruft er mir
noch zu und ist gleich um die ecke verschwunden.

ich bleibe noch mit den anderen auf dem schulhof stehen. doch plötzlich - die sirene!
einige minuten später sind alle straßen leer. da laufe ich auch zur nächsten
untergrundbahnstation.

==============================================
eine schreckliche nacht

schon wieder hört man die sirene. in dieser nacht ist es schon das dritte mal. ich
ziehe mir schnell mantel und schuhe an und laufe in den dunklen korridor. marussja
und mutti warten auf mich.

wir laufen die treppe hinunter. da fallen schon nicht weit von unserem haus die
ersten bomben. für einen moment stehen die straßen im hellen kalten licht.

wir gehen schneller. "ich machte mir solche sorgen um papa! jede nacht bleibt er
oben auf dem dach. wenn ihm etwas passiert, kann kein mensh ihm helfen", sage
ich mutti.

"jemand muß doch auf dem dach wache halten. die männer sind ja fast alle an der
front", antwortet sie.

in dem keller ist es voll menschen. viele kommen aus den alten, kleinen häusern, die
nicht weit von uns liegen. ich setze mich in eine ecke, nehme mein französisches
lehrbuch und beginne zu lernen. ich brauche das, um nicht so große angst zu haben.
draußen scheint es mir nicht so schrecklich zu sein als hier, in diesem keller. die
anderen denken und fühlen auch dasselbe.

jetzt fallen die bomben immer näher. die nerven sind zum zerreißen gespannt. da,
schon wieder ist eine bombe ganz nahe gefallen. die menschen gehen unruhig hin
und her, kinder weinen.

plötzlich erscheint in unserer kellertür das gesicht eines schriftstellers, der die
brandschutzwache leitet.

"kann uns jemand von den jungen leuten helfen? es gibt heute sehr viel arbeit! und
der genosse weinert muß sich endlich auch ein wenig erholen. er ist schon einige
nächte ohne pause auf dem dach." und schon verschwindet er.
zwei junge und einige ältere männer stehen auf und folgen ihm.

da ertönt ein fürchterliches krachen. das haus zittert wie ein mensch. alle schreien
auf. dann wird es totenstill. in ihrer angst stürzen die menschen zur kellertür, aber
eine stimme ruft: "zurück! im keller bleibeh!" die menschen laufen zurück, doch ich
boxe mich hindurch, höre und sehe nichts mehr und habe nur einen gedanken: wenn
nur vater nichts passiert ist!

als ich auf den hof hinauskomme, sehe ich, daß unser haus noch steht. es steht
noch! die bombe ist in das alte nachbarhaus gegangen.

die männer tragen eine tote frau vorbei. auf dem asphalt sitzt ein alter mann und
hält ein totes kind in arm. die tränen laufen ihm über das gesicht.

papa kommt aus der tür unseres hauses. seine kleider sind mit mörtelstaub bedeckt,
die haare hängen ihm über das gesicht. "ich war auf einen moment in die wohnung
hinuntergegangen", sagt er. "da schlug eine bombe durch das schlafzimmer unserer
nachbarn, es liegt neben meinem arbeitszimmer. die bombe war aber nixt explodiert
. zu unser aller glück war es nur ein blindgänger. "

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vierundzwanzig tage unterwegs

endlich setzt sich der zug in bewegung. vier tage und nächte hatten wir wieder auf
einer kleinen station gestanden. ich liege auf einer bank im waggon, die mir schon
drei wochen als bett dient, und versuche die kalten füße unter dem mantel zu
verstecken. in dem zug ist es still und dunkel. die passagiere können vor hunger uns
schweren, traurigen gedanken nicht schlafen. ich erinnere mich an den
unfreundlichen oktobertag, an dem wir moskau verließen, an den abschield von
meinen eltern, die in kasan geblieben sind: vater wollte bald wieder nach moskau
zurückkehren. so fuhr ich allein mit den anderen schriftstellerfamilien nach
usbekistan, wohin man uns evakuiert hat.

draußen beginnt es hell zu werden. ich schau zum fenster hinaus. immer noch weite
unendliche steppe. am horizont kein haus, kein baum. ich verstecke mich wieder
unter meinem mantel. es ist noch sehr kalt, obwohl wir schon die grenze nach asien
hinter uns haben müssen. der winter war in diesem jahr lang und kalt.

es ist nun endlich morgen geworden, und die sonne scheint auf den fußboden des
abteils. in drei tagen werden wir in taschkent ankommen. bald können wir das
gebirge tjan-schan sehen. zu seinen füßen liegt die stadt.

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frÜhling in taschkent

der frühling in taschkent ist wunderschön. noch nie habe ich ein so herrliches bild
gesehen. langsam gehe ich durch die straßen und bewundere die obstbäume. die
ganze stadt ist ein meer von grün. die straße, durch die ich zu meiner arbeit gehe,
ist ein langer korridor von bäumen und blumen. die luft ist klar und frisch, obwohl es
hier ende märz so warm ist wie bei uns in juli.

ich bin ins zentrum der stadt gekommen. es erinnert mich immer ein wenig an paris.
dabei vergißt man nicht, daß man sich in asien befindet. neben den autos trotten
ruhig kleine esel dahin. alle usbeken tragen kaftane. die gesichter der frauen mit
großen braunen augen sind sehr schön. viele frauen gehen verschleiert. hier
beginne ich zu verstehen, wie schwer es für die menschen ist, über gebräuche und
gewohnleiten zu siegen. vor der revolution durften sich die usbekischen frauen nie
vor den menschen ohne schleier zeigen. die frauen, die ihr gesicht auf der straße
zeigten, wurden von ihren männern und söhnen getötet.

jetzt gehe ich an einem basar vorbei. hier kann man das schönste obst kaufen:
granatäpfel, aprikison und anderes mehr. doch auch hier ist während des krieges
alles zu teuer geworden. ich will noch einmal zur post gehen, die neben dem basar
liegt. vielleicht ist heute nachricht von meinen eltern da. ich fange schon an, mir
sorgen zu machen.

heute habe ich glück. "hier ist etwas für sie", sagt die frau und gibt mir einen brief.
er ist aber nicht von zu hause, sondern von kolja.

"liebe marianne", schreibt er. "du fragst, ob ich noch manchmal male. ich habe
keine zeit mehr zum malen. die ganzen tage lernen wir. und alle problebe, die wir
vor dem kriege hatten, erscheinen mir jetzt so unwichtig! erinnerst du dich noch, wie
wir über tod und leben gedacht haben; warum es in unseren zeiten keinen
beethoven, keinen raffael oder keinen tolstoi gibt, welche rolle die religion spielt und
wie das leben in kommunismus sein wird... und ob man kampf- oder liebesgedichte
schreiben soll?

ich glaube, daß die menschen eben jetzt gedichte und lieder über liebe und
menschliche gefühle brauchen. in den schwersten stunden fühlen sie liebe und haß
so intensiv wie nie zuvor...

ich mochte bald an die front komnen, um mitzuhelfen und dem krieg schneller ein
ende zu machen.

damit man sich wieder auf das leben freuen kann, das leben liegt noch in seiner
ganzen schönheit vor uns..."

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eine schwere reise

der zug nach ufa ist da. tausende von menschen stürzen sich auf die türen der
waggons. ein junger mann steigt ins abteil sogar durch das fenster. ich stehe mit
meinem koffer auf dem bahnsteig. hilflos schaue ich auf den vollen zug. was soll
jetzt werden ?

ich hatte plötzlich ein telegramm von deutschen genossen aus ufa bekommen. sie
baten mich, nach ufa zu kommen. warum und wozu, weiß ich nicht. aber drei tage
lang konnte ich in taschkent die fahrkarte nicht besorgen.

zurück kann ich auch nicht kommen - das letzte geld habe ich für die fahrkarte
ausgegeben. was soll ich nur tun?

"na, mädchen, du möchtest wohl auch in den waggon?" fragt da plötzlich jemand.
es ist ein offizier in fliegeruniform, der aus dem zugfenster herausschaut. ich nicke.
er ruft zwei soldaten, die auf dem bahnsteig stehen. vier starke arme heben mich
und tragen durchs fenster...

wie spät kann es sein? stehe ich nicht schon stunde im zug? plötzlich hält er. man
öffnet die türen. jemand ruft: "alles aussteigen!" draußen ist dunkle nacht, und wir
sind noch weit von ufa.

ich bekomme wieder angst. wie werde ich nun platz finden, um weiterzufahren? und
wo sind wir denn?

ich versuche, im dunkeln etwas zu erkennen. ich steige aus und ziehe auch meinen
koffer mit. jetzt stehe ich auf dem bahnsteig vor der tür einer kleinen
bahnhofschalle. ich öffne. dort sind vielleicht hundert soldaten und offiziere; sie
warten auf weitere reise, rauchen und sprechen laut miteinander. alle sehen mich
an. einige lächeln. ich setze mich in eine ecke, denke aber immer wieder, auf
welcher station ich mich befinde. wand fährt ein zug nach ufa? wie kann ich
weiterfahren?

plötzlich öffnet sich ein schalterfenster, und der halbe saal stürzt auf das fensterchen
zu. es beginnt ein kampf um die karten. als er endlich zu ende ist, trete auch ich an
das fensterchen. ich zeige meine fahrkarte vor und frage, ob ich mit den nächsten
zug nach ufa weiterreisen kann. "nein", antwortet der mann kurz. "mit diesem zug
darf nur das militär fahren."

"aber was soll ich nun machen?" frage ich hilflos. "zurück nach taschkent fahren",
antwortet er und macht das fernsterchen wieder zu. er hat aber mein trauriges
gesicht bemerkt, macht das fenster wieder auf und sagt freundlicher: "bitten sie den
bahnhofskommandanten. vielleicht kann er ihnen helfen." er verschwindet wieder
hinter dem fenster.

ich setze mich auf meinen koffer und weiß nicht, was ich machen soll. niemand
bemerkt mich. alle beginnen den wartesaal zu verlassen, denn der zug muß bald
kommen. ich aber darf mit diesem zug nicht fahren. ich werde vielleicht noch tage
auf dem bahnhof warten müssen.

plötzlich höre ich eine stimme: "was sitzt du so traurig da, mädchen?"

vor mir steht ein mann mit einer roten armbinde. es ist der bahnhofkommandant.
sein freundliches gesicht gefällt mir und ich erzähle ihm alles.

er hört mir aufmerksam zu und fragt dann: "du sagst, dein vater ist ein deutscher
schriftsteller? wie heißt er? so, weinert." ein herzliches lächeln zieht über sein
gesicht. so lächeln hier immer die menschen, wenn sie sich überzeugt haben, daß
ein deutscher antifaschist vor ihnen steht.

er sieht sich meine papiere und das telegramm an und stellt mir einen schein aus.
dieser mensch, der auf einem kleinen provinzbahnhof dient, dieser mensch kennt die
gedichte meines vaters! er hat mir geholfen!

"warte mal", ruft der kommandant einem soldaten zu, der mit seinem köfferchen an
unserer tür vorbeigeht. "nimm bitte das mädchen in den zug mit. sie ist die tochter
eines deutschen antifaschisten, eine komsomolzin,,, verstehst du?"

ich nehne von dem kommandanten abschied und gehe hinter dem soldaten. er stellt
meinen koffer in einen waggon hinein und findet dort zwei plätze. dann geht er noch
einmal auf den bahnsteig und holt heißes wasser zum tee. er gibt mir ein stückchen
zucker und brot, und wir essen und trinken zusammen.

spätabends komme ich in ufa an. in der dunklen stadt werde ich aber bestimmt das
gebäude nicht finden, wo unsere genossrn wohnen. ich gehe mit meinem koffer
durch den wartesaal, doch überall ist es voll. ich kann kein plätzchen für die nacht
finden. ich bin so müde, daß ich mich auf die kalte bahnhofstreppe lege.

am morgen gehe ich durch die stadt und suche dsd gebäude. wir froh ich bin, ald ich
esendlich gefunden habe!

"was soll ich in ufa tun?" frage ich einen genossen. "meine eltern sind ja schon
wieder in moskau."

"und hoffentlich auch bald wieder in berlin", antwortet er. "aber man muß noch
vieles tun, damit wir nach berlin zurückkehren können. nach dem krieg werden wir in
deutschland wir in deutschland viele menschen brauchen, die studiert haben. du
mußt hier auch in unserer schule studieren."

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ich gehe an die front

drei jahre sind vergangen, als ich aus moskau evakuiert war. und nun bin ich wieder
hier. die stadt ist so schön wie früher. die luftabwehr bei moskau war so gut
organisiert, daß seit dem jahre 1942 keine feindlichen flugzeuge die stadt mehr
bombardieren konnten. doch sind die gesichter der menschen müde und ernst.

der krieg nimmt kein ende. kolja kämpft schon viele monate als panzerkommandeur.
und ich werde zuch nicht lange in der hauptstadt bleiben. man hat mir
vorgeschlagen, an der front zu arbeiten. für ein junges mädchen ist es nicht leicht,
sagte man mir. aber ich habe ja in der schule in ufa vieles gelernt und kann an der
front nützlich sein...

da stelle ich wieder vor unserem haus und steige schon die treppe hinauf.

papa ist nicht da. er hat sehr viel arbeit, denn er ist jetzt präsident des
nationalkomitees "freies deutschland" (1). in dieser organisation sind deutsche
soldaten und offiziere, die den krieg hitlers nicht mehr mitmachen wollen. vater
erzählt viel über seine neue interessante arbeit.

ich shaue in die küche. mutti ist noch da, doch will sie auch fortgehen. sie ist jetzt
als sprecherin in den deutschen sendungen des moskauer rundfunks tätig.''

"jemand hat dich heute schon zweimal angerufen", sagt sie.

ob kolja vielleicht zurückgekommen ist? mein herz beginnt zu klopfen.

"war es eine männerstimme?"

"nein. was hast du beschlossen, zu tun?"

"ich gehe vielleicht an die front, aber bestimmt weiß ich es noch nicht."

"das ist wirklich nicht so leicht. wir sollen heute abend darüber mit vater sprechen.
und nub muß ich gehen." sie küßt mich und verläßt schnell die wohnung.

in diesem moment klingelt das telefon. "marinotschka, töchterchen, bist du es?"


fragt eine leise frauenstimme, in der ich koljas mutter erkennte. dann ist es plötzlich
still im apparat. "was ist passiert, nina iljinitschna?" frage ich voll angst.
"kolja ist gefallen", weint nina iljinitschna, und ihre stimme ist jetzt sehr nah. "komm
doch bitte schnell zu uns. iwan fjodorowitsch weint wie ein kind." "ja, ich komme",
antworte ich, bleibe aber vor dem telefon sitzen. wie schrecklich, mit neunzehn
jahren zu sterben! und er hat sich so auf das leben gefreut!

draußen öffnet sich die tür. vater ist nach hause gekommen und spricht mit der
katze. er bringt ihr jeden tag ein stückchen von seinem muttagessen. ich will
aufstehen, um etwas zu tun, bleibe aber wieder auf meinem platz sitzen.

"was ist denn, kind, du siehst so blaß aus?" vater ist ins zimmer getreten, sieht
schnell die zeitungen und die post durch. "was war heute morgen?"

'"man hat mich gefragt, ob ivh an der front arbeiten will", antworte ich. "na, und?"
fragt er. "was hast du geantwortet?"

'"ja, ich gehe."'

"ich habe von meiner tochter auch anderes erwartet", sagt vater, zieht mich zu sich
und ist ganz erstaunt, daß ich plötzlich laut weine.

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das nationalkomitees "freies deutschland" war gegründet by der initiative der zentral
komitee der kommunistischen partei deutschland 12 - 13. juli jahr 1943 in
krasnogorsk in der nähe von moskau nach der niederlage von des faschist heeres bei
stalingrad. in dieser komitee trat ein auch ulbricht, wilhelm pieck, willi bredel und
andere bekannt anrifasisten.

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das frontleben begint

lange gehe ich durch das dunkle dort. Überall liegt schnee. schon zwei soldaten
habe ich nach der abteilung watugins gefragt. doch alles ist so mit schnee bedect,
daß man nichts sehen kann. mir frieren hände und füße.

plötzlich sehe ich ein altes bauernhaus, in dem noch licht brennt. ich klopfe an das
fensterchen. ein alter mann öffnet mir. "großvater, kannst du mir nicht sagen, wo
hier ein stab ist?"

"ich weiß es, töchterchen, ich bringe dich selbst dorthin."

der alte führt mich über ein weißes feld.

"gibt es hier keine einwohner mehr? ich habe nur soldaten gesehen."

"ja, töchterchen. ich bin der einzige. viele sind zu den partisanen in die wälder
gegangen, alle anderen haben die deutschen getötet, auch meine frau und die enkel.
die deutschen sind keine menschen mehr, töchterchen!..."

endlich sind wir am ziel.

in einem häuschen sitzen viele soldaten und offiziere um einen tisch und essen ihre
abendsuppe. ein junges mädchen ist auch hier. sie schaut mich neugierig an.

"anja, du kümmerst dich bitte um marianna erichowna", sagt der leiter der abteilung
watigin. "morgen machen wir sie mit allen bekannt."
"du kannst bei mir schlafen", sagt anja. "ein bett gibt es hier natürluch nicht."

"aber waschen kann man sich doch?" ich sehe mich im zimmer um.

"morgen tauen wir schnee auf. aus dem brunnen kann man kein wasser mehr holen."

"warum?"

anja antwortet nicht gleich. "die nazis haben frauen und kinder lebendig in die tiefen
brunnen geworfen. eine frau haben unsere soldaten noch gerettet."

ich bin anja dankbar, daß sie gesagt hat "die nazis" und nicht "die deutschen". doch
schäme ich mich wie immer, wenn ich so etwas höre.

"bist du schon lange an der front?" frage ich. "wo ist denn dein zuhause?"

"in leningrad", antwortet anja. "meine eltern und geschwister sind aber während der
blockade gestorben. wir haben einen offizier in der abteilung, der auch alle verloren
hat. er heißt jegorow und ist aus kiew.". anja sagt nichts weiter.

lange kann ich nicht schlafen. ich denke über vieles nach. man hört flugzeuge und
das weite schießen.

"du kannst wohl nicht schlafen?" fragt mich anja.

"das schließen ist so unheimlich."

"das ist nur die erste zeit so", sagt sie. "man gewöhnt sich schnell daran."

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fragen, die nicht leight sind

es ist ein heißer sommertag im august. die sowjetische armee hat odessa
eingenommen. ich sitze am meer und höre mir die lieder der matrosen an. unsere
deutschen lieder sind bestimmt schön, aber nie haben sie mich so stark berührt wie
die russischen.

ich schaue auf das scwarze meer hunaus und denke an den schönen sommer vor
dem krieg. da war frieden, und auch kolja lebte noch...

wie vieles ist anders geworden! mir scheint, daß ein halbes jahrhundert zwischen
meiner kindheit und den krieg liegt. wo ist das haus mit den bunten scheiben? wie
geht es tante, oma und evchen? ob sie noch dort leben?

aus moskau ist auch schon lange keine nachricht mehr gekommen. vater hatte sich
in dem kalten winter bei stalingrad eine schwere erkältung zugezogen und war lange
krank. ob er jetzt wieder gesund ist?

ich hole seinen letzten brief aus der tasche und lesen ihn noch einmal.

"das höchste glück eines vaters ist, wenn seine kinder sein werk oder seinen kampf
weiterführen. so sagte immer unser opa. deshalb bin ich revolutionär geworden.
dasselbe glück fühle auch ich jetzt, weil ich weiß, daß mein kind in diesem kampf
neben mir steht. ich bin froh, daß du so tapfer bist. achte nur gut auf dich!"
uns, mir und anja, geht es natürlich nicht leicht. einmal mußten wir im walde
schlafen, und sie frage mich plötzlich: "wenn wie soja kosmodemyanskaja oder viele
andere helden?" ich denke oft an diese worte.

da weckt mich jegorow aus meinen gedanken. er ist sehf lustig heute. "ich habe mit
zwei gefangenen gesprochen. sie sind antifaschisten und wissen auch einiges über
das nationslkomitee."

"ach, sie erzählen immer in der gefangenschaft, daß sie gegen die nazis sind. wie
hält sich dann der hitler noch, wenn sie alle gegen ihn sind?"

"nein, diese waren richtig. einer kannte sogar ein gedicht von deinem vater. aber
dort ist auch ein major. watugin sagt, du sollst ihn vernehmen." er klopft mir
freundschaftlich auf den rücken und setzt sich neben nich.

ich höre mir noch das lied zu ende an und gehe dann zu dem hause, wo die
kriegsgefangenen sind.

der major ist im zimmer allein. er sitzt da und würdigt mich keines blickes.

"sind sie freiwillig in die gefangenschaft gegangen?" frage ich, obwohl ich weiß, das
es nicht so ist.

"ein deutscher offizier tut es nie!"

"doch, einige haben es schon getan", bemerke ich ruhig.

"diese leute sind daran schuld, wenn wir nicht siegen werden!"

"sie glauben also nicht an den sieg?" ich machte erstauntes gesicht.

"natürlich glaube ich", antworted er schnell. unsere soldaten gegen für deutschland
durchs feuer und haben eine hohe moral."

"dazu hätte ich vieles zu sagen. aber ich wollte sie etwas anderes fragen: was
halten sie von der gegenwärtigen lage deutschlands?"

"seien sie mir nicht böse, aber was können sie als frau davon verstehen?"

"in dieser zeit ist das nicht so schwer. alle sehen doch, wie die deutsche armee an
allen fronten flieht."

einen moment scheint es, daß der mann über meine worte nachdenkt. doch gleich
sagt er wieder: "ich bin überzeugt, daß deutschland siegen wird."

ich will schon das zimmer verlassen, als er plötzlich fragt: "sie sind doch bestimmt
eine deutsche. schämen sie sich nicht, an der russischen seite zu stehen?"

"auf ihre frage will ich gern antworten. ich schäme mich, wenn ich denke, daß die
deutschen unschuldige menschen töten. aber die hungrigen kriegsgefangenen tun
mir leid. denn an den sieg deutschlands kann wohl kein mensch mehr glauben."

mit diesen worten gehe ich hinaus und schließe die tür hinter mir ab.
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wieder in deutschland

unser wagen hält plötzlich an. "man verliert die orientierung bei diesem schnellen
marsch", ruft watugin und kommt aus der kabine. "vielleicht finden wir auf der karte
da, wo wir sind?"

jegorow und die anderen offiziere steigen aus und stidieren die karte. "marianne",
ruft watugin. "wir haben die grenze deutschlands hinter uns! hast du das nicht
gefühlt? in einer viertelstunde werden wir im ersten deutschen dorf sein."

vor dem nächsten dorf halten wir noch einmal an.

anja und ich, wir sind beide still geworden. jegorow geht ins dorf und kommt bald
zurück. "alles liegt wie tot da", erzählt er. "die deutschen sind wohl im nachbardorf,
es liegt drei kilometer weiter."

unser auto fährt durch das stille dorf. in einem großen steinhaus richten wir uns zur
nacht ein.

die menschen sind hier noch kurz vor uns gewesen: die kartoffeln stehen noch auf
dem tisch in der küche und eine tasse kaffee.

ich lege mich auf das grüne plüschsofa. schlafen aber kann ich nicht. ich öffne das
fenster und schaue in die nacht hinaus. es ist still und die bäume rauschen leise. am
horizont steht ein dunkler wald.

das ist deutschland, du bist wieder zu hause, denke ich. doch fühle ich es in meinem
herzen nicht.

enttäuscht denke ich nach dem warum.

haben die schweren kriegsjahre alle gefühle getötet? hat jemand von uns noch auge
und ohr für blumen oder lieder? seit zwei jahren haben wir kein buch mehr in die
hand genommen, keine einzige ruhige stunde gehabt.

lange nich stehe ich in gedanken am fenster.

am morgen gehe ich in den hof hinaus, um wasser zu holen. der brunnen ist da, es
gibt aber keinen eimer. auf der anderen seite des hofes liegt ein großer stall.
vielleicht finde ich den eimer dort.

ich öffne die tür und sehe mich um. acht oder zehn kühe stehen still. die armen tiere
sind hier allein geblieben. da bemerke ich plötzlich vier menschen, die wie tot in
einer ecke des kuhstalls liegen. ein mann, eine frau und zwei kleine mädchen. ich
trete näher. sie scheinen noch zu leben. ich laufe ins haus und hole jegorow.

"sie haben sich vergiftet", sagt er. "aber vielleicht kann man sie noch retten, wenn
wir ihnen frische milch geben."

einige minuten später geben wir schon den unglücklichen milch. die frau und die
kinder liegen noch unbeweglich. in den kleinen mädchenkörpern aber klopft nich
ganz leise das herz.

nach einer langen zeit macht der mann die augen auf sieht uns erstaunt und voll
angst an. dann schaut er auf die frau und die mädchen und stöhnt.

"wie konnte ich nur das tun!" klagt er. man hat uns immer gesagt, daß die russen
alke töten werden. da habe ich meine familie vergiftet und auch mich selbst." er
fällt vor der frau und den kindern in die knie.

anja und ich können uns das nicht mehr ansehen. wir gehen auf den hof hinaus.

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die letzten briefe

küstrin (1) ist ein einziges trümmerfeld. nach langen suchen finden wir noch einen
keller. todmüde lege ich mich in eine ecke. wie gern möchte ich noch ein wenig
schlafen! vielleicht bin ich noch nicht ganz gesund, denn ich war zwei wochen an
malaria krank.

"schlafe nicht!" ruft anja, "du mußt gleich wieder weiter. ein deutscher offizier ist
übergelaufen und will zu seinen leuten sprechen."

kaum kann ich ihr etwas antworten, da kommt auch schon watugin mit dem
deutschen offizier die kellertreppe hinunter.

"anja hat dir wohl schon erzählt." er zeigt auf den offizier. "du sollst helfen seine
ansprache ausarbeiten. sei so freundlich und schreibe sie auf der maschine."
watugin geht hinaus. ich bitte den offizier, sich neben mich zu setzen.

er schaut mich erstaunt an. vielleicht hat er nicht erwartet, hier ein deutsches
mädchen zu treffen. dann beginnt er mir zu diktieren. ich helfe ihm dabei, denn ich
habe schon sehr viele solcher ansprachen selbst geschrieben.

"sind sie plötzlich zu diesem entschluß gekommen, nicht mehr mitzumachen? oder
haben sie sich schon frürer mit diesem gedanken getragen?" frage ich ihn.

"ich habe es schon lange gefühlt, aber damals noch nicht daran gedacht. in meiner
kompanie erschienen plötzlich zwei soldaten. sie sagten, daß sie ihren truppenteil
verloren hatten. sie haben uns die wahrheit erzählt."

ich weiß, daß diese zwei tapfere jungen, wie viele andere, aus der gefangenschaft
wieder in die armee zurückgegangen sind. sie waren bereit, ihre kameraden zu
überzeugen, daß sie nicht weiter kämpfen sollten.

"und dann die briefe, die aus der heimat kamen...", sagt wieder der offizier. "sie
waren so verzweifelt."

ich nicke. habe ich nicht hunderte solcher briefe gelesen? sie erzählten über tiefes
unglück der frauen und männer in deutschland!

nachdem der offizier zu seinen leuten gesprochen hat, werde ich das gedicht von
vater "die letzten briefe" vorlesen.

nach kurzer fahrt sind wir an der frontlinie. wir verstecken unser auto hinter einer
baumgruppe und gehen zum keller eines zembonbten hauses.

"ihr dürft beginnen!" ruft der mechaniker. in dem moment, als der offizier zu
sprechen anfängt, beginnt man noch stärker zu schießen. doch als die soldaten ihren
offizier erkennen, wir es ruhig.

der offizier spricht gut, man sieht, daß er aufgeregt ist. jetzt lese ich das gedicht von
meinem vater vor. alles bleibt still. doch später, als wir in unser auto einsteigen,
schießen sie noch stärker.

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(1) küstrin ist die stadt an dem grenze von der deutsche demokratische republik
(ddr) und polen (jetzt kostriza)

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wieder in berlin

nach langen und schweren kämpfen steht unsere armee endlich in berlin. in machen
straßen dauert der kampf noch weiter. häuser brennen, tote liegen in den trümmern.

in friedrichsfelde (1) halten wir. watugin ruft mich zu sich.

"der armeegeneral will heute durch die stadt fahren, und er möchte dich als
dolmetscherin mitnehmen. du mußt gleich fahren."

ich steige in das auto und setze mich neben den general. langsam fahren wir durch
dir trümmer. der adjutant spring immer von seinem platz auf, um sich zu orientieren.
doch das ist in diesem trümmermeer sehr schwer.

von den berlinern ist niemand auf der straße. wir steigen in eine u-bahnstation
hinunter, wo sich viele menschen versteckt haben. tiefes mitleid fühle ich, als ich
diese hungrigen, schwachen menschen sehe. aber die freude, daß der krieg zu ende
ist, hat auch ihre gesichter heller gemacht.

"hat jemand eine frage oder eine bitte an mich?" sagt der general. alle schweigen.
da steht ein alter mann, ein kriegsinvalide, auf und sagt: "viele russische soldaten
sind schon hier gewesen. manche waren gut zu uns und haben uns sogar zu essen
gegeben. doch andere haben uns beleidigt."

ich übersetze die worte des mannes. alle sehen den general voll angst an. "ja, ich
habe davon schon gehört", antwortet er. "dafür werden unsere soldaten streng
besraft werden."

"während des gesprächs ist das gesicht des adjutanten dunkel geworden. in charkow
haben die deutschen seine frau getötet. der general verläßt die u-bahn. vor
unserem auto bleibt er stehen und sagt: "unsere soldaten haben viel schweres hihter
sich. doch der krieg ist nun zu ende, und wir sollen das vergangene vergessen. den
menschen in deutschland muß man helfen, ein neues leben aufzubauen."

endlich kann ich nach wilmersdorf fahren, wo ich als kind mit meinen eltern gelebt
habe. in wilmersdorf stehen nur noch wenige häuser da. ob unser haus noch steht?

ich fahre durch die stadt. der krieg ist zu ende. eine stille liegt über den straßen.
die nenschen haben ihre keller verlassen.

bald haben wir die straße und auch das haus gefunden. es sieht noch fast so aus wie
damals. ich laufe zur haustür und lese die namen, aber sie sind mir alle fremd.
enttäuscht gehe ich in den hof hinaus und setze mich auf eine bank. sind wirklich
zwölf lange jahre vergangen? waren sie nicht nur ein traum? was ist aus meinen
spielkameraden geworden? ob ich einen von ihnen wiederfinden werde? ob tante
Änni und evchen noch leben?

lange sitze ich auf der bank. endlich stehe ich auf und fahre zurück. man muß
weiter arbeiten.

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(1) friedrichsfelde ist das bezirk von berlin

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zehn jahre spÄter

forbach, den 10.4.55

liebe marianne!

mit welcher freude habe ich deine karte bekommen! bald zwanzig jahre haben wir
voneinander nichts gehört. ich wohne wieder in forbach. auch mein leben ist nicht so
still und ruhig gewesen wie damals.

als die nazis un unser land kamen, verhafteten sie mich und meinen vater. später
floh ich aus dem konzentrationslager und kam an die spanische grenze. dort habe
ich mich in einem stillen dort versteckt. dann bin ich in die französische armee
eingetreten und habe auch mitgekämpft.

wenn du mir als kind von deinen erlebnissen erzähltest, so konnte ich das nie so ganz
verstehen. heute verstehe ich dich und deine eltern so gut! und ich denke, daß kein
anständiger mensch den kampf aufgeben darf.

daß dein lieber vater gestorben ist, ist sehr traurig. schreib bitte über die ursachen
seines todes. wie geht es deiner mutter? leben noch evchen. oma ubd die anderen?
steht noch dad haus mit den bunten scheiben? mein größter wunsch ist, daß wir uns
einmal wiedersehen.

ich wünsche dir viel glück für dein weiteres leben. du warst meine beste freundin.

es grüßt und umarmt dich

deine titine

liebe titine!

ich bin sehr froh, daß du meinen brief bekommen hast. mich hat es sehr gefreut, daß
wir beide gegen die hitlerarmee gekämpft haben. ich denke noch oft, wie sich in
berlin franzosen, engländer, russen und deutsche antifaschististen brüderlich
umarmten und den sieg über den deutschen faschismus feierten.

du fragst mich in deinem brief nach dem tode meines vaters. er hatte sich an der
front bei stalingrad erkältet und war später an der tuberkulose erkrankt. im frühling
1953 ist er gestorben. in den sieben jahren seiner krankheit hat er immer fleißig
gearbeitet. nie hat er 'geklagt.

als man ihn kurz vor seinem tode ins krakenhaus brachte, lächelte er mir ruhig zu
und sagte: "wir haben nicht abschied voneinander genommen, kind, es ging alles so
schnell." das waren seine letzten worte an mich.

seine alte mutter, die heute siebenundactzig jahre alt ist, lebt noch. auch die tante
mit ihren kindern. ich sehe sie nicht oft. auch das haus mit den bunten scheiben
kann ich nich besuchen, obwohl ich es immer gewünscht habe.

ich denke oft an forbach und paris. vielleicht kommst auch du mich einmal
besuchen. ich glaube, daß es dir in unserem berlin gut gefallen wird.

es umarmt

deine freundin-marianna

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