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nzz 11.05.05 Nr.

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Überbordender Tanz und konservative Moral


Der Zürcher Verleih Cinedrome bringt Bollywood-Filme
in die Schweiz
Der Filmausstoss Indiens übertrifft denjenigen Hollywoods schon seit längerem. Auch
hierzulande werden die Bollywood-Filme immer populärer. Der Zürcher Filmverleih
Cinedrome hat sich auf Filme aus Indien spezialisiert und versucht, damit vermehrt ein
schweizerisches Mainstream-Publikum anzusprechen.
luc. Im indischen Blockbuster-Film «Main Faszinierend an den Filmen aus Bollywood sei
Hoon Na» verfolgt Superstar Shahrukh Khan in für ihn die visuelle Umsetzung, die sich stark von
der Rolle von Major Ram Prasad Sharma terroris- westlichen Filmen unterscheide, erklärt Peter
tische Bösewichte, welche die friedliche Annähe- Simeon. Insbesondere die Gesangs- und Tanzein-
rung von Indien und Pakistan sabotieren wollen. lagen, die zwingend zu jedem indischen Film ge-
Weil ihm kein besseres Gefährt zur Verfügung hörten, seien in der hiesigen Filmkultur schon
steht, jagt er die im Auto davonbrausenden Terro- lange ausgestorben. «Die Inder können in ihren
risten mit einer Velo-Rikscha, mit der er in bester Filmen auch sehr gut Emotionen vermitteln, sie
James-Bond-Manier Böschungen überspringt und machen wunderbare Liebesgeschichten.» Mit den
durch gewaltige Explosionen rast. Diese Verbin- konservativen Moralvorstellungen, welche die
dung von Elementen aus westlichen Filmen mit Filme portieren, habe er schon etwas Mühe, gibt
indischer Tradition zeichne «Main Hoon Na» Daniel Schneider zu. «In amerikanischen Filmen
aus, sagen Peter Simeon und Daniel Schneider. rege ich mich aber viel mehr darüber auf.» Die
Simeon ist Geschäftsführer des Filmverleihs Cine- vermittelte Moral widerspiegle die indische Kul-
drome, Schneider dessen einziger Angestellter. tur, ergänzt Simeon. «Eine grosse Mehrheit der
Als Dritter im Bunde fungiert ein stiller Teilhaber Inder ist konservativ.» In letzter Zeit hätten sich
in Genf. Das kleine Zürcher Unternehmen be- die Wertvorstellungen in den Filmen gelockert; so
dient in der Schweiz einen Nischenmarkt, der gebe es immer mehr explizite erotische Szenen.
immer grösser wird: Es verleiht sogenannte Bolly- Auch die Haltung Bollywoods zum Konflikt mit
wood-Filme. Das Wort «Bollywood» ist ein Zu- Pakistan habe sich geändert: Es liege momentan
sammenzug aus Bombay, Indiens Filmmetropole, im Trend, ein positives Bild des Nachbarstaates
und dem amerikanischen Vorbild Hollywood. zu zeichnen, wie dies auch in «Main Hoon Na»
Cinedrome sei im Jahr 2003 aus einem Engage- geschieht. «Die meisten Inder haben genug von
ment im Filmverein der ETH heraus entstanden, diesem Konflikt», so Simeon.
erzählt Daniel Schneider. Zuerst organisierten Indische Filme würden in der Schweiz immer
Schneider und Simeon in verschiedenen Schwei- populärer, resümieren Schneider und Simeon. Sie
zer Städten sogenannte «Limited Screenings», wo begründen diese Entwicklung damit, dass allge-
die entsprechenden Filme nur wenige Male ge- mein das Interesse an indischen Kulturgütern
zeigt werden. Diese Vorführungen richteten sich hierzulande steige. So gebe es immer mehr indi-
vornehmlich an ein asiatisches Publikum. Nur in sche Restaurants in der Schweiz, und Schweizer
Zürich und in Lausanne habe ein grösserer Anteil führen vermehrt nach Indien in die Ferien. Auch
an schweizerischem Publikum bestanden, meint umgekehrt ist die Affinität gross, die Schweiz ist
Simeon. ein beliebter Drehort für Bollywood-Filme. In
letzter Zeit suchten die Produzenten aber neue
Potenzial beim Schweizer Publikum Orte, zum Beispiel in Russland. Schliesslich, so
Das Potenzial der asiatischstämmigen Zuschau- Daniel Schneider, gibt es noch einen Grund, um
er sei nun aber langsam ausgeschöpft. Zudem, sich die Filme aus Indien anzuschauen: «Man
sagen Schneider und Simeon, sei dieses Publikum kann dem Alltag entfliehen und glücklicher aus
sehr anspruchsvoll: Wenn der Film in der Heimat dem Kino kommen.»
floppt oder hierzulande später gezeigt wird, las- «Main Hoon Na», ab Donnerstag, 12.Mai, im Kino Plaza 1.
sen sich damit kaum noch Leute in die Kinosäle
locken. Das liege auch daran, dass wenige Tage
nach der Weltpremiere eines Films bereits überall
Raubkopien verfügbar seien. «Dieses Geschäft ist
im ganzen asiatischen Raum sehr gut organisiert;
in der Schweiz kann man schlecht dagegen vor-
gehen», ärgert sich Simeon. Marktpotenzial wäre
hingegen beim Schweizer Publikum vorhanden,
glauben die Cinedrome-Vertreter. Sie möchten
deshalb die Bollywood-Filme aus der «Studio-
kino-Ecke» herausholen. «In Indien sind das ja
Mainstream-Filme», sagt Daniel Schneider. Sie
könnten deshalb in der Schweiz auch ein grösse-
res Publikum erreichen. Bewusst haben sich
Schneider und Simeon dazu entschieden, mit
«Main Hoon Na» die Publikumserweiterung zu
versuchen. «Der Film ist ein ‹Masala-Movie› –
die Bezeichnung stammt von der Gewürz-
mischung Masala –, der unterschiedliche Aspekte
verschmilzt und auf allen Ebenen funktioniert»,
erzählt Simeon. Er sei gespannt, wie die Zu-
schauer auf einen solchen Film reagieren würden,
nachdem sie in der Vergangenheit eher klassische
indische Filme wie «Devdas» gesehen hätten.
«Wunderbare Liebesgeschichten»

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