metaphysische Einheit meinte, kam er nie mit dem Problem der endlosen
Teilbarkeit in Schwierigkeiten.2
Mit dieser Erklärung ist aber das Problem noch nicht wirklich aus der
Welt geschafft, sondern verlangt nach einer Bestimmung, was denn unter
dem Begriff eines metaphysischen Punktes alles zu verstehen sei. Damit
steht Leibniz nicht nur vor dem Problem, der negativen Erklärung der
mathesis universalis einen positiven Entwurf der Metaphysik
gegenüberzustellen, sondern auch daß jenes Geschehen, welches wir in
den Erscheinungen wahrnehmen, sowohl eine Entsprechung im wahrhaft
und eigentlichen Sein wie im endlichen Seienden besitzen soll.3
Vereinfacht dargestellt besteht das zentrale Problem nicht darin, das
Objekt der Erfahrung auf den realen Gegenstand zu bringen, sondern daß
das eigentliche, nicht selbst phänomenale Sein, ob nun als Monade oder
als Reales bezeichnet, ein einfaches Wesen sein soll, welches selbst keine
Akzidentien als Teile hat, welche bei gleichzeitiger Beharrlichkeit des
Wesenskernes veränderlich sein könnten. So wird also sowohl der
Empfang einer Wirkung wie auch eine Wirkung eines einfachen Wesens
auf ein anderes verunmöglicht, zumindest wenn die Abgabe einer
Wirkung mit einer Veränderung deren Quelle gedacht wird, und nicht
eine fortlaufende Emanation eines sich selbst gleichbleibenden Wesens
anzusetzen ist, was aber für solche einfachen Wesen, welche die
Wirklichkeit selbst als Phänomen erscheinen lassen, nicht in Betracht
gezogen wird. Aber selbst gäbe es eine solche Wirkung, so könnte sie von
anderen einfachen Wesen nicht empfangen werden. Noch der junge Kant
(Nova dilucidatio) und der späte Boskovic haben deshalb den göttlichen
Verstand zur Verbindung zwischen den einzelnen einfachen Atomen und
deren Veränderung vorausgesetzt.
Darin liegt nun besonders für Leibniz die Schwierigkeit, welcher trotz
seiner uneinheitlichen Verwendung des Begriffes von der Monade und
von der Materie, die erstere bald als Einheit der Materie oder substantielle
Einheit, dann als Einfachheit oder Form der Einheit überhaupt nennend,
2 Friedrich Kaulbach, Der philosophische Begriff der Bewegung, Köln, Graz 1965,
3 Hier reicht die für die Transzendentalphilosophie bemerkenswerte Interpretation
vom Dasein als Sein und vom, dem Vorhandenem und Zuhandenem
zugrundeliegenden Seienden bei Heidegger nicht aus.
— 3—
die zweite auch als Verhältnis einer herrschenden Substanz zu der von ihr
beherrschten Materie bezeichnend,4 doch darin übereinkommt, daß die
Monade eine fortlaufend spontane Tätigkeit nach einem in ihr allein
liegenden Veränderungsgesetz ganz ohne äußere Vorschreibung oder
Ursache dieser Veränderung ausübt. Durch die Fensterlosigkeit der
Monade ist dasjenige, was durch die stetige Tätigkeit verändert wird,
nichts anderes als sie selbst. Daß nun dies nicht die oben verunmöglichte
Veränderung des sich selbst gleichen Wesens aus äußeren Gründen ist,
aber auch nicht die fortlaufende Emanation eines solchen, versteht sich
von selbst. Daß aber die Veränderung des sich selbst gleichen Wesens aus
inneren Gründen nicht zu einem inneren Widerspruch führt, erklärt sich
daraus, daß Leibniz die Monade auch Entelechie genannt hat; es sich also
gar nicht um ein mit sich selbst gleiches Wesen im Sinne des zweiten
Teiles der aristotelischen Definition handelt, welches der vom ontologisch-
wissenschaftlichen Syllogismus vorausgesetzten Konstanz der Arten zu
entsprechen hat, sondern der Wesensbegriff bei Leibniz mit der Differenz
der reinen Idee des Wesens in seiner Vollkommenheit und der in der
Zeitlichkeit geschauten Idee im Eidos gemeinsam betrachtet wird; also die
Zeitlichkeit nicht mehr in der Reihe der Erscheinungen abstraktiv zu einer
Einheit zusammengefaßt wird, sondern die Überzeitlichkeit des
eigentlichen Seins erst die zeitliche Auseinandergelegtheit der idealen
Idee des Wesens vorstellig machen kann (das Ideal als Schema). Nur so
kann die Monade in der kontingenten Zeit als einfach und ohne Teile
betrachtet werden. Eine phänomenale Wirkung von einer Monade auf
eine andere bleibt so ausgeschlossen.
Diesem idealen Entwurf, welcher dem oben vorstellig gemachten Motiv
Leibnizens, eine Metaphysik auf Grund des Verdachts der unendlichen
Analysierbarkeit absoluter Wahrheit aufzustellen, entspricht, ist ein
rationaler Entwurf aus dem Koizidenzproblem in der Mechanik
gegenüberzustellen. Darin wird jeder einfachen Substanz eine passive, wie
auch aktive Fähigkeit unteilbar zugesprochen. Deren Passivität erklärt
sich aus der Unvollkommenheit einer jeden einfachen (also auch jeder
zusammengesetzten) Substanz gegenüber dem Ganzen des Seins; deren
5 Über die Verbesserung der ersten Philosophie, in: Acta eruditorum, 1694, in: Die
philosoph. Schrift G.W. Leibniz, Hrsg.: C.I. Gerhardt, Bd. I-VII, Berlin 1875-90; I, 5, p. 468
ff.. Damit unterscheidet sich Leibniz grundlegend in der Auffassung der Materie von
Descartes, der nur zwischen unausgedehnten und ausgedehnten Substanzen unterschied.
— 5—
6 Vgl. dazu auch die Erörterung der ersten vierzehn Sätze der 24 Sätze von Leibniz,
die zum Prinzip der Verwirklichung der größtmöglichen Mannigfaltigkeit aller
Möglichkeiten in einer Welt gelangt. Gerhardt, Bd. VII, Kap. VIII, p. 289.
7 Vgl. die Einschätzung Leibnizens durch Zimmermann als gemäßigter Nominalist im
Sinne Abelards Konzeptualismus. Zimmermann, Robert: Studien und Kritiken zur
Philosophie und Aesthetik, Bd.1, Wien 1870
— 6—
Zweifellos läßt sich die Physik und die Raumerfassung von der Idealität
der Monade aus ebenso regieren wie sich die zeitgenössischen
Vorstellungen des Entwicklungsgedankens in Botanik und Zoologie in
den Entwurf der Monadologie Leibnizens einfügen lassen. Allerdings sind
die verschiedenen Konzepte als regionalontologische
Wissenschaftsgrundlegungen nicht überzeugend miteinander vereinbar.8
Das Gebiet des stärksten Zusammenhanges verschiedener Entwürfe ist
wohl die Erfindung der Infinitesimalrechnung mittels der Verbindung der
physikalischen Vorstellung der Bewegung und der Kraft im dynamischen
Momentum (Descartes) mit dem geometrischen Momentum (Cusanus).
Das herausfallende Materiale in der Fassung der Monade als dynamischen
metaphysischen Punkt ist als dessen Produkt der Kontinuation der
Strebung mittels Repetation zu denken, die in der daraus resultierenden
phänomenalen Kontinuation in der Perzeption der beseelten Monade
vorgestellt wird.
Hingegen scheint die Fassung der Monade als freie Seele weder mit der
Monade des metaphysischen Punktes noch mit den substantialen Formen
des Lebensprinzipes in einem engen und notwendigen Zusammenhang
zu stehen, wie die Naturromantik behauptet; weder die vitalistische
Vorstellung der Entelechie noch ihr systematisches Gegenstück in der
Mechanik und deren Reich der Wahrscheinlichkeiten des
Zusammentreffens vermag der Monade als freie Seele gerecht zu werden.
Jedoch besitzt die vitalistisch gefaßte Entelechie eine Gemeinsamkeit mit
der beseelten Monade, die auch selbst Zwecke setzend ist: Nur das Reich
des Bewußtseinslebens in den menschlichen Tätigkeiten und
Willensbildungen vermag selbst im Kleinen schöpferisch zu sein. Leibniz
kann damit nur die Naturbeherrschung mittels der Mechanik meinen.
8 Vgl. die Ablehnung der Verbindung von Intentionalität (Suarez: Foramalobjekt) und
empirischer Gegenstandsbereich einer Wissenschaft bei Husserl durch Heidegger.
In: Vortrag von Rainer Turnher (Innsbruck): Husserls »Ideen« und Heideggers »Sein
und Zeit«, gehalten am 15. November 1990 in der Österreichischen
Nationalbibliothek anläßlich des Husserl-Schütz-Symposium (Gelehrtenrepublik und
Lebenswelt) im Rahmen der Ausstellung: Edmund Husserl und die phänomenologische
Bewegung.
— 7—
9 Dazu R. H EINRICH 1985 über die Haltung Kants in dieser Frage (p. 46 f.): »Kant
denkt, wie schon erwähnt, daß man in der philosophischen Begriffszergliederung "auf
unauflösliche Begriffe zu kommen" (Nat.Theol. A 75) hätte. Er gibt jedoch
unmißverständlich zu erkennen, daß er diese Begriffe keineswegs als die einfachen
Elemente (oder Zeichen) eines kombinatorischen Systems betrachtet wissen will.
Heinrich ist in diesem Punkte nicht sehr klar, aber man muß betonen: Kant spricht von
unauflöslichen Begriffen nie als von Elementen eines dereinst möglichen synthetischen
Vorgehens. Wo er dieses ferne Ideal erwähnt, gebraucht er die Wendung: "deutlich und
und ausführlich verstandene Begriffe". (Nat.Theol. A 87)
— 8—
nicht nur die Tiere und Pflanzen, sondern möglicherweise noch andere,
uns gänzlich unbekannte Arte einbegreife - enthalten ist. Man darf jedoch
darum nicht sagen, daß jeder Teil der Materie beseseelt ist, sowenig man
einen Teich voller Fische darum einen beseelten Körper nennt, weil jeder
Fisch beseelt ist.«
In diesem Zusammenhang wird von Entelechie und Seele nur vitalistisch
gesprochen; die freie beseelte Monade besitzt einen freien Willen und
vermag Gott zu erkennen, weshalb deren Entelechie auch von den eigenen
Zwecksetzungen der freien beseelten Monade bestimmt wird und einer
anderen Gesetzmäßgkeit unterworfen wird. Trotz der Unterscheidung,
daß nur organische Körper ein Lebensprinzip als Entelechie besitzen, aber
daß nicht jeder Teil der Materie beseelt ist, bleibt mit der zugleich
aufgestellten Behauptung, daß in seinem System kein Teil der Materie
ohne unendliche Anzahl organischer und beseelter Körper möglich sei,
das Gewicht des biologistisch-vitalistischen Erklärungsansatzes der
Materie bestehen. Der Versuch eines Ausgleiches zwischen Physik und
Biologie wird parallel dazu in der Erklärung des Verhältnisses von
»Maschinenwelt« und »Organismenwelt« deutlich: Entgegen der von
menschlicher Kunstfertigkeit gebauten Maschinen bleiben die Maschinen
des göttlichen Baumeisters auch bei noch so weit geführter Teilung immer
Maschinen, was Leibniz zunächst als natürlichen Automat und als
Kennzeichnen des Organischen überhaupt auffaßt. Damit nähert sich
Leibniz wieder Descartes und seiner mechanischen Auffassung vom
tierischen Leben an, was auch die vitalistisch interpretierte Entelechie an
die den Dingen äußerlich bleibenden Wahrscheinlichkeit des
Zusammentreffens von Determinationen in der mechanischen Welt
angleicht.
Mit der Behandlung der Frage nach dem Beginn und dem Ende des
Lebens wird dieser Gedanke aber noch weiter - und umgebildet:
Eigentlich ist das Lebensprinzip wie die Monade (oder wie jede Monade)
von außen unzerstörbar und kann so nur mit der Schöpfung selbst
beginnen und erst am Weltende zugrundegehen. So ist der Tod und die
Zeugung nichts als die Umgestaltung ein und desselben Geschöpfes, das
sich vermindert oder vermehrt. Hier liegt auch die Grundlage des
Entschlussens Leibnizens gegen die Metempsychose zugunsten der
— 10 —
Seelen oder Geister nicht allein dadurch, daß die letzteren gegenüber den
ersteren nicht nur ein Abbild der kreatürlichen Welt, sondern vor allem
ein Abbild Gottes sind (und begründet damit ihr Verhältnis zu Gott als
Universalmonarch). Vielmehr folgert er daraus weiters auch die
besondere Eigenschaft dieser Geister, selbst im Kleinen schöpferisch sein
zu können. Die damit notwendig gewordene Idee des place d‘autruy geht
über die Entdeckung der Spontaneität der vitalistisch gefaßten Monade
hinaus und entdeckt den Geist-Monaden ihren individuellen Ausdruck
nicht mehr in der Beweglichkeit in der abstrakten Stellenordnung des
Raumes, oder in der Aneignungsfähigkeit nach vitalen Interessen (beides
ist unter dem point de vue zu bringen), sondern in der Selbstbegegnung
mit dem anderen, der selbst schöpferisch sein kann. Die Trilateralität von
Physik, Biologie (als Leibseele) und Bewußtsein (als Geistseele) bleibt trotz
der Analogien zwischen Physik und Bewußtsein (Strebung) einerseits und
Biologie und Bewußtsein (Entelechie) andererseits ontologisch allerdings
ungelöst.
Leibniz hat von Anfang an bis hin zur Entwicklung des logischen Kalküls
in der analytischen Urteilslehre ein semantisches und nicht rein formales
Element im Auge gehabt. Es ist die Frage, ob für ihn die Substantiata der
reinen Form des Gedankens sich mit einer allgemeinsten
Bedeutungsebene der Semantik oder mit logischen Prinzipien treffen.
Leibniz experimentierte in verschiedenen Ansätzen zum logischen Kalkül
auch mit einem semantisch definierten Zeichen der Prädikation eines
selbst nicht notwendigerweise syllogistisch definierbaren Begriffes, dessen
logisches Verhältnis zwischen spezifischer Differenz von Gattung und Art
einerseits und von Species und Akzidenz nach wie vor eine Streitfrage
darstellt. Dieses semantische Zeichen eliminiert er aber schließlich als
nicht konstituierend für ein rein logisches Kalkül zugunsten einer
modalen Interpretation des Satzes vom zureichenden Grundes. Leibniz
begann demnach in der analytischen Urteilstheorie von 1684 mit einer
bloßen Analyse der bestehenden Sprache, und zwar einerseits um aus ihr
— 12 —
Stimmt man der Überlegung zu, daß Leibniz aus den Scheitern des
Projektes einer scientia generalis als einheitliches System einer
universiellen Charakteristik, die wie Aussagenlogik und Prädikatenlogik
ein gemeinsames interpretierbares logisches Kalkül erfüllt, die geordnete
Mannigfaltigkeit des Seienden und die logisch-mathematische Formalität
deren Beschreibbarkeit in einem Doppelsystem zu umfassen hätte, seine
Lehren gezogen hat, kann auch historisch mit einiger Plausibeilität
angenommen werden, daß die nach dem Zusammenbruch übrig
bleibende Vorstellung von der Übersprachlichkeit des cusanischen
Seelenfünkleins Leibniz wieder zur Bewußtseinsphilosophie
zurückgeführt hat. Das Doppelsystem von der Mannigfaltigkeit des
Seienden und der logisch-mathematischen Formalität, das sich nunmehr
nicht in eine scientia generalis mit semantisch geordneter universieller
Charakteristik erfüllen kann, hat nun zur Folge, daß die Einheit des
Bewußtseins von etwas nicht allein den zureichenden Grund der Geltung
ausmacht, sondern auch die Behandlung des phänomenologischen
Bestands benötigt, der selbst verschiedene Naturen umfassen kann.
So steht man vor der paradoxen Situation, die pragmatische wie
metaphysisch-rationalistische Seite Leibnizens in der Sprachphilosophie
gegen die Stoßrichtung der Gottschedschen Sprachreform halten zu
können, während seine späteren theoretischen Überlegungen ebenso für
die Thesei-Auffassung der rationalistischen Sprachaufklärer wie
Gottsched wie gegen die Physei-Auffassung der Gegenreformation, der
auch Popovic angehört, sprechen. Popovic teilt wiederum mit dem frühen
Leibniz die adamitische Ursprachentheorie, die als Vorläuferin der
Semantik anzusehen ist. Es ist also zwar möglich, Popovic und Gottsched
vor dem Hintergrund Leibniz zu unterscheiden, aber es ist nicht möglich,
eine Tradition von Leibniz zu Gottsched oder zu Popovic eindeutig und
widerspruchsfrei zu konstruieren.
Hingegen ergibt die Beleuchtung dieser Verhältnissse von Herder aus
genau den Verlust, der hier anhand der von Leibniz demonstrierten
Differenz zwischen den Realen der Apperzeption und der sprachlichen
Explorationsfähigkeit vorgestellt wird, sodaß die Frage zu stellen ist, ob
Herders Überlegungen, die insgesamt mehr der antiken Literatur
verpflichtet sind, als ein Indiz für die Möglichkeit einer Einsicht
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