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35 Tumorgewebe
Petro E. Petrides
Literatur – 1162
1142 Kapitel 35 · Tumorgewebe
Biochemische Untersuchungsmethoden wurden von Otto Warburg in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in die
Krebsforschung eingeführt. Dieser machte vor allem Störungen der Atmungskette und des Glucosestoffwechsels für die Mali-
gnität verantwortlich. Im Gefolge dieser Pionierforschungen suchte man seit Ende der 40er Jahre nach allen möglichen bioche-
mischen Unterschieden zwischen Krebs- und normalen Zellen. Diese Bemühungen haben erst seit Beginn der 80er Jahre des
vergangenen Jahrhunderts durch die Entdeckung von Krebsgenen zu ersten sichtbaren Erfolgen geführt.
Das Auffinden der molekularen Unterschiede zwischen Normal- und Krebszellen stellt nicht nur die Grundlage zum Ver-
ständnis der malignen Transformation dar, sondern eröffnet auch neue Wege zur Entwicklung von Krebstherapeutika. Denn das
Problem der dem Onkologen zur Verfügung stehenden Krebsmittel war bisher ihre mangelnde Spezifität, d.h. die Tatsache,
dass sie auch auf gesunde Gewebe wirken. Der Ansatz der zielgerichteten Tumortherapie (»targeted therapy«) auf der Basis
tumorbiochemischer Erkenntnisse hat zur Entwicklung neuer Krebsmittel wie monoklonaler Antikörper oder Tyrosinkinase-
Inhibitoren geführt, die bereits Eingang in die Tumorbehandlung gefunden haben. Die molekulare Dimension des Krebspro-
blems ist extrem vielschichtig, da es den Krebs par excellence nicht gibt: Tumoren der einzelnen Gewebe unterscheiden sich,
wie auch die normalen Gewebe, voneinander; in einem Gewebe entstehen unterschiedliche Tumoren, und viele Tumoren wei-
sen zudem Subpopulationen von Zellen auf (Tumorheterogenität). Darüber hinaus nehmen die Krankheiten bei einzelnen
Patienten einen sehr unterschiedlichen, individuellen Verlauf.
35.1 Fehlregulation des Wachstums ! Störungen des Gleichgewichts von Zellneubildung und
und der Differenzierung bei programmiertem Zelltod können zu Tumoren führen.
Tumoren Neben den Basalzellen der Haut und den Mukosazellen ha-
ben auch die Zellen des Knochenmarks eine dauerhaft hohe
! Störungen des Fließgleichgewichts zwischen Zellauf- Proliferationsrate. Daneben existieren Zellen mit nur zeit-
und -abbau führen zu Tumoren. weilig erhöhter Mitoserate wie Fibroblasten oder Endothel-
zellen, die bei Verletzungen aktiv werden, und Zellen endo-
Der menschliche Organismus besteht aus etwa 1013 Zellen, kriner Gewebe wie das Endometrium, die in Zyklen proli-
die in Organen und Geweben jeweils Funktionseinheiten ferieren. Insgesamt sollen während eines Menschenlebens
bilden. Diese bestehen aus verschiedenen Zelltypen in ge- 1016 Zellen unbrauchbar und durch neue Zellen ersetzt
nau festgesetzten Proportionen und mit definierter, räum- werden. Wie der Ausgleich des Zellverlusts durch entspre-
licher Anordnung. Die Entwicklung, die zu den einzelnen chende Zellproliferation reguliert wird, ist noch unbekannt.
Arten spezialisierter Zellen führt, wird als Differenzierung Die molekularen Grundlagen sind jedoch von großem
bezeichnet. Darüber gibt es praktisch in allen Geweben wei- praktischem Interesse, wenn bei Störungen des Fließgleich-
tere Spezialisierungen: So besteht die Population der Epi- gewichts die Zahl der neu gebildeten Zellen die der verloren
dermiszellen der Haut zu einen aus Basalzellen zum anderen gegangenen übersteigt. Die überzähligen Zellen können
aus Zellen verschiedener Keratinisierungs-Stadien (7 Kap. sich teilweise oder vollständig, zeitweilig oder auch immer
24.8.2). Die mitotische Aktivität ist auf die basalen Zellen der Regulation entziehen: die Folge sind harmlose Wuche-
beschränkt, bei deren Teilung jeweils wieder eine Basalzelle rungen (benigne Tumoren) oder bösartige Krebsge-
und eine Zelle entstehen, die sich weiter differenziert, d.h. schwulste (maligne Tumoren). Häufig ist mit der erhöhten
die Fähigkeit zur Teilung verliert, dafür aber die Fähigkeit Proliferation auch eine Unfähigkeit zur Differenzierung
gewinnt, Keratin zu produzieren. Während Zellen der Epi- verbunden. Deshalb zielen Therapieansätze nicht nur auf
35 dermis ständig abgebaut und durch neue ersetzt werden, eine Hemmung der Proliferation, sondern auch auf eine
bleiben andere Zellen, wie z.B. der Großteil der Nervenzel- Induktion der Differenzierung.
len, als individuelle Einheit bis zum Tode des Menschen Je nachdem, ob die Tumoren von Mesenchym- oder
bestehen. Der Austausch der Epidermiszellen ist wohl orga- Epithelzellen ausgehen, wird zwischen Sarkomen und Kar-
nisiert: Die Stammzellen produzieren durch Replikation zinomen unterschieden. Tumoren der Blut bildenden Zel-
ständig Nachkommen, die nach mehreren Differenzie- len werden als Leukämien bezeichnet. Ein Tumor entsteht
rungsschritten den Platz der verlorenen Zellen einnehmen. aus einer neoplastisch veränderten Zelle und stellt damit
Zwischen Wachstum und Differenzierung einerseits und einen Klon dar.
dem programmierten Zelltod durch Apoptose (7 Kap. 7.1.5;
7 Kap. 25.8.2) andererseits besteht ein Fließgleichgewicht,
d.h. die Anzahl der neu produzierten Zellen entspricht ge-
nau der der abgebauten Zellen. Eindrucksvolles Beispiel ist
das Darmepithel, das beim Menschen wie die Epidermis
innerhalb von einigen Tagen regeneriert wird.
35.3 · Onkogene
1143 35
35.2 Tumorentstehung . Tabelle 35.1. Protoonkogene und verwandte Onkogene
(Cancerogenese) (Auswahl)
1. Wachstumsfaktoren
! Onkogene und Antionkogene sind die verantwortlichen PDGF (platelet derived growth factor) sis-Onkogen
Krebsgene. FGF (fibroblast growth factor) int 2-Onkogen
2. Transmembranäre Wachstums-
faktorrezeptoren
Krebs stellt eine genetische Erkrankung in dem Sinne dar,
EGF-Rezeptor erbB-Onkogen
dass das Genom der Krebszelle durch eine Akkumulation M-CSF-Rezeptor fms-Onkogen
von genetischen Veränderungen gekennzeichnet ist und 3. Membranassoziierte Tyrosinkinasen
dass diese Veränderungen von einer Krebszellgeneration Abl-Tyrosinkinase abl-Onkogen
auf die nächste übertragen werden. 4. Membranassoziierte Guanin-
Wesentliches Ziel der Krebsforschung ist die Identifi- nucleotid-bindende Proteine
zierung der für die Entstehung und Progression der einzel- Ras-Protein ras-Onkogen
nen Tumorerkrankungen beim Menschen verantwortlichen 5. Cytosolische Serin-Threoninkinasen raf-mil-Onkogen
Gene (nach den Sequenzdaten des menschlichen Genoms mos-Onkogen
etwa 900), der »Krebsgene«. Zu den »Krebsgenen« gehören 6. Cytosolische Hormonrezeptoren
die Onkogene und die Antionkogene, die die Tumorent- Schilddrüsenhormonrezeptor erbA-Onkogen
stehung fördern bzw. supprimieren. Diese Gene sind im 7. Transkriptionsfaktoren fos-, jun-, myc-, myb-,
normalen, d.h. genetisch nicht veränderten Zustand häufig rel-Onkogene
35.3 Onkogene
35.3.1 Mechanismus der Onkogenwirkung
tenzfaktoren von der G0- in die G1-Phase überführt wer- 35.3.2 Protoonkogenaktivierung
den und anschließend unter dem Einfluss von Progres- durch Mutationen
sionsfaktoren mit der DNA-Synthese beginnen. Zur
Gruppe der Kompetenzfaktoren zählen der epidermale ! Onkogenmutationen wirken dominant.
Wachstumsfaktor (EGF), der transformierende Wachs-
tumsfaktor-D (TGF-D), der Fibroblastenwachstumsfak- Onkogene werden bei menschlichen Tumoren durch Mu-
tor (FGF) und der Plättchenwachstumsfaktor (PDGF) tationen aktiviert. Die Wirkung aktivierter Onkogene ist
(7 Kap. 7.1.4, 25.1.3). Der insulinähnliche Wachstums- dominant, d.h. sie wird bereits manifest, wenn das zweite
faktor-1 (IGF-1) oder Insulin in hohen Konzentrationen Allel noch nicht aktiviert ist. Onkogen-Mutationen kön-
sind wichtige Vertreter der Progressionsfaktoren (. Abb. nen ständig in somatischen Zellen auftreten. Da sie nicht
35.1). Der Durchtritt durch die G1-Phase erfordert die kon- in Keimbahnzellen beobachtet worden sind, wirken On-
tinuierliche Wachstumsfaktor-Stimulation über mehrere kogenmutationen während der Embryonalentwicklung
Stunden, da die Zellen sonst wieder in den G0-Zustand offenbar letal. Punktmutationen verursachen den Aus-
zurückkehren. Während eines bestimmten Abschnitts der tausch einer Aminosäure, so z.B. in den Positionen 12, 13
G1-Phase müssen sowohl Kompetenz- als auch Progres- oder 61 des Ras-Onkoproteins bei Patienten mit Colontu-
sionsfaktoren anwesend sein, anschließend nur noch Pro- moren. Chromosomale Translokationen wie bei der
gressionsfaktoren. Einige Cytokine wie der transformieren- chronischen Leukämie (9/22) führen zum Bruch von On-
de Wachstumsfaktor-E (TGF-E), Interferone oder Tumor- kogenen und zur anschließenden Fusion der Bruchstücke
nekrosefaktor D (TNF-D) antagonisieren die Wirkung von mit Ausbildung von Fusionsgenen, die in ihrer Funktion
Wachstumsfaktoren. verändert sind. Durch andere Translokationen (t8/14) ge-
Der erste Schritt in der Wechselwirkung von Wachs- rät ein Onkogen unter den Einfluss eines neuen regulato-
tumsfaktoren mit der Zielzelle ist die Bindung an einen rischen Systems (wie z.B. das c-myc-Onkogen beim Bur-
spezifischen Membranrezeptor, meist aus der Familie kitt-Lymphom unter den Einfluss des Immunglobulin-
35 der Rezeptoren mit Tyrosinkinaseaktivität (7 Kap. 25.5.1). locus). Folge der Onkogenmutation ist die konstitutive
Eine wichtige Funktion bei dieser Signaltransduktion Anschaltung eines Signaltransduktionswegs, auch wenn
kommt dem G-Protein Ras zu, das, das nach Aktivierung kein exogenes Wachstumssignal vorliegt. Sie macht die
durch Rezeptoren mit Tyrosinkinaseaktivität GTP bindet Zelle also vom Liganden unabhängig. Alternativ kann
und damit die Signaltransduktionskaskade weiterleitet. eine Daueraktivierung auch durch die konstitutive Pro-
Zur Signallöschung dient das GAP-Protein (GAP, GTPase duktion eines Wachstumsfaktors hervorgerufen werden,
activating protein). Dies fördert die GTPase-Aktivität von für den die Zelle einen Rezeptor besitzt. Diese auto-
Ras und leitet damit dessen Inaktivierung ein (. Abb. 35.2). krine Stimulation der Proliferation (7 Kap. 25.1.1) ist
Es gibt Mutationen, die einen Aminosäureaustausch im demnach ligandenabhängig. Darüber hinaus können
Ras-Protein auslösen, der die Bindung des GAP-Protein auch Gene, die am programmierten Zelltod (Apoptose)
und damit die Ras-Inaktivierung unmöglich macht. Dies beteiligt sind, durch eine veränderte Expression zu einer
führt zu einer Arretierung des durch den Wachstums- Verlängerung der Überlebenszeit der Zelle (ohne Pro-
faktor aktivierten Zustands der Zelle und wirkt damit liferationssteigerung) führen. Dies kann z.B. durch eine
mitogen. Erhöhung der bcl 2-Konzentration oder den Verlust von
35.4 · Antionkogene
1145 35
Caspase-Inhibitoren hervorgerufen werden (7 Kap. 7.1.5, dass es sich bei den beiden postulierten Mutationen um die
7 Kap. 9.3.1, 9.3.5). Inaktivierung der beiden Allele dieses Gens handelte. Es
wurde auch klar, dass das Rb-Gen rezessiv wirkte, da Kin-
der mit nur einem defekten Allel eine normale Entwicklung
35.4 Antionkogene erfahren. Nur die Zelle, die auch das normale Wildtyp-Allel
zusätzlich verliert, ist wachstumsgestört.
35.4.1 Identifizierung von Antionkogenen
! Eine somatische Mutation ist an dem Verlust der Hete-
rozygotie erkennbar.
! Bei familiären Tumoren liegt bereits eine Keimbahnmu-
tation vor. Zur Identifikation chromosomaler Regionen, die Anti-
onkogene enthalten, dient die DNA-Sequenzverlust-Ana-
Wesentliche Anstöße erhielt die Antionkogenforschung lyse, die am Beispiel des Retinoblastoms veranschaulicht
durch das Postulat von Alfred Knudson von der University werden soll (. Abb. 35.4), das – wie besprochen – als here-
of Texas in Houston zu Anfang der 70er Jahre des ver- ditäre und sporadische Form vorkommt. Geht man von der
gangenen Jahrhunderts, nach dem das Retinoblastom Annahme aus, dass der hereditären Form eine Keimbahn-
(RB), ein Augentumor bei Kindern, durch zwei konseku- mutation des Retinoblastomlocus zugrunde liegt, dann
tive Mutationen im Genom entsteht. wird das mutierte Allel bei einem Nachfahren des Patienten
4 Danach treten bei der sporadischen Form des Retino- in allen seinen Keimzellen und somatischen Zellen vor-
blastoms beide Mutationen in der Retinazelle als soma- kommen. Der Nachkomme ist also heterozygot für den
tische Mutationen nach der Konzeption auf Locus, da er auf einem Chromosom das normale und auf
4 wohingegen bei der familiären Form eine Mutation dem anderen das mutierte Allel aufweist. Tritt nun in einer
als Keimbahnmutation von einem Elternteil ererbt Retinazelle eine somatische Mutation auf, die zum Verlust
und die zweite als somatische Mutation erworben wird des normalen Allels führt, so verliert die entstehende Tu-
(. Abb. 35.3) morzelle ihren heterozygoten Zustand (loss of heterozygosi-
ty, LOH). Die Mutation, die zum Verlust des zweiten Allels
Diese Hypothese geriet in Zusammenhang mit den Anti- führt, kann mit einer Frequenz von 10–6 pro Zellgeneration
onkogenen, als die Natur dieser Keimbahn- und soma- auftreten, sodass zwei nicht-funktionierende Allele entste-
tischen Mutationen erkannt wurde: Sie führen nämlich hen, die jedoch Mutationen in unterschiedlichen Regionen
zur Inaktivierung eines Gens auf Chromosom 13, das als aufweisen können (gemischte Heterozygotie). Wesentlich
Rb-Gen (7 Kap. 7.1.3; 35.4.2) bezeichnet wird. Grundlage häufiger (mit 10–3 bis 10–4 pro Zellgeneration) erfolgt der
für diese Identifizierung waren cytogenetische Analysen, Verlust des Wildtyp-Allels jedoch durch andere Mechanis-
die ein gelegentliches Fehlen der Bande q14 des Chromo- men wie chromosomale non-disjunction, meiotische Re-
soms 13 bei Retinoblastomtumorzellen ergeben hatten. An- kombination oder Genkonversion, sodass die meisten Tu-
schließende genetische Analysen erbrachten den Beweis, moren, die beide Allele des Antionkogens verloren haben,
identisch mutierte Allele aufweisen. Ist eine solche Mutati-
on mit dem Verlust einer chromosomalen Bande (7 oben)
oder gar des gesamten Chromosoms verbunden, so ist sie
entsprechend einfach unter dem Mikroskop mit Hilfe der
Cytogenetik zu erkennen (ohne dass dadurch der genaue
Locus definiert wäre). Die meisten Mutationen liegen je-
doch auf submikroskopischer Ebene. Da aufgrund des oben
geschilderten Mechanismus der Entstehung der Heterozy-
gotie die chromosomalen Regionen, die das mutierte Allel
flankieren, oft ebenfalls betroffen sind, können polymor-
phe Marker, die in der Nähe der mutierten Region liegen
und ebenfalls vor der Tumorentstehung heterozygot waren,
einen parallelen Verlust der Heterozygotie aufweisen.
Zur Identifizierung bisher noch nicht bekannter Anti-
onkogene werden auch sog. anonyme Sonden (da zwar ihr
Bindungsort an einen Chromosomenabschnitt, nicht aber
ihre Struktur bekannt ist) als Marker für Polymorphismen
verwendet: Mehrere Hundert solcher anonymen DNA-
. Abb. 35.3. Vergleich der zeitlichen Mutationsabfolge bei fami- Sonden für alle Chromosomen mit einem mittleren Ab-
liären und sporadischen Tumoren. Gezeigt sind die beiden Allele, stand von etwa 10 Millionen Basen stehen für diese Unter-
die nacheinander durch Mutationen geschädigt werden müssen suchungen zur Verfügung. Um den Verlust von Allelen zu
1146 Kapitel 35 · Tumorgewebe
entdecken, muss DNA von normalen und Tumorzellen ! Unterschiede in den genetischen Fingerabdrücken von
desselben Patienten verglichen werden. Die wiederholte Tumor- und Normalgewebe weisen auf somatische
Beobachtung des Verlusts der Heterozygotie eines spezi- Mutationen hin.
fischen chromosomalen Markers in Zellen eines be-
35 stimmten Tumortyps spricht dann für die Existenz eines in Ein ähnlicher Ansatz ist mit Hilfe der Sonden für Mikro-
der Nähe gelegenen Antionkogens, dessen Verlust an der satelliten möglich. Dazu werden kurze Nucleotidabschnitte
Tumorentstehung beteiligt ist. So findet sich z.B. ein Mar- wie (CAC)5 oder (CTGT)4, die mehrfach an bekannten
ker für Chromosom 18q, der hochpolymorph (und des- Stellen des Genoms vorkommen, als Sonden verwendet.
halb in den meisten Genomen heterozygot) ist, in 70% Bei diesem Ansatz werden bei einem Patienten der trans-
fortgeschrittener Colonkarzinome in einem homozygoten formierte und der noch verbliebene gesunde Anteil eines
Zustand. Dies spricht für die Gegenwart eines Antionko- Organs parallel untersucht. Dies ist z.B. beim Nierenkrebs
gens in der Nähe dieses Markers. Mit diesem Ansatz kann möglich, zu dessen Behandlung die erkrankte Niere durch
man das gesamte Tumorgenom systematisch auf die Ge- Operation entfernt wird. Solche als genetischer Finger-
genwart von LOHs untersuchen. Erschwert werden Inter- abdruck bezeichneten Analysen zeigen, dass bei Verwen-
pretation und Analyse von LOHs gelegentlich durch die dung der mit dem DNA-Abschnitt (CTGC)4 hybridisie-
Gegenwart stromaler und inflammatorischer Zellen in renden Sonde (GACA)4 nach Restriktionsenzymverdau
Tumorgewebeproben, d.h. von Zellpopulationen, die den bei einem Großteil der Patienten Bandenabschwächungen
normalen Genotyp aufweisen. erkennbar sind (. Abb. 35.5). Da die repetitiven Elemente,
35.4 · Antionkogene
1147 35
S
Transkription von
S -Phase-Genen
Übergang in die S-Phase nicht verhindert werden. Darüber die S-Phase ermöglichen. Die Bindung von E7 an Rb105 ent-
hinaus supprimiert das p53-Protein die Entstehung von spricht der Phosphorylierung von Rb105 durch die CDKs
Tumoren noch über die Initiation der Apoptose (7 Kap. (. Abb. 35.6), sodass die Notwendigkeit für das normale
7.1.5). Somit überwacht p53 die Integrität des Genoms Signal umgangen wird. Unter diesen Umständen erkennt
durch Verhinderung der Zellteilung durch G1-Arretierung das p53-Kontrollsystem möglicherweise, dass etwas nicht
oder Aktivierung eines Suizidprogramms, wenn die DNA stimmt, sodass die Zelle der Apoptose anheim fallen würde.
eine Schädigung aufweist. Da jedoch das E6-Protein mit p53 assoziiert, wird sein Abbau
gefördert und seine Wirkung entsprechend geschwächt.
! Papillomvirus-Genprodukte können p53 und das
Rb105 inaktivieren.
Papillomviren (7 Kap. 10.3.2) benötigen für ihre Replikation 35.4.3 Inaktivierung von Antionkogenen
Nucleotidvorstufen. Aus diesem Grunde ist es für sie günstig, durch Mutationen
wenn die Wirtszelle in die S-Phase eintritt, in der die Bedin-
gungen für die Virusreplikation optimal sind. Die Virus- ! Antionkogenmutationen wirken rezessiv.
proteine E6 und E7 binden und inaktivieren p53 und Rb105.
Wenn E7 an Rb105 bindet, setzt das Rb105-Protein die Antionkogene wirken – im Gegensatz zu den Onkogenen
E2F-DP1-Transkriptionsfaktoren frei, die den Eintritt in – rezessiv, d.h. sowohl die vom Vater als auch die von
. Abb. 35.8. Verteilung somatischer Mutationen im p53-Gen. In risikoregionen. Unten Patienten mit Lungen- oder Darmkrebs. (Nach
der Mitte: Die Gesamtverteilung bei 1312 Patienten. Oben: Die unter- Harris u. Hollstein 1993)
schiedliche Verteilung bei Leberkrebspatienten in Hoch- und Niedrig-
1150 Kapitel 35 · Tumorgewebe
der Mutter ererbte Kopie des Gens muss inaktiviert sein, eine immer wieder beobachtete zeitliche Abfolge morpho-
damit die wachstumssupprimierende Funktion des Gens logischer Veränderungen vom Adenom bis zum Karzi-
aufgehoben wird. Prädispositionssyndrome resultieren nom auf, die auf molekulare Veränderungen untersucht
aus der Keimbahninaktivierung einer Kopie eines Anti- werden kann.
onkogens, der eine somatische Mutation auf dem anderen
Allel folgen muss, damit die Krankheit klinisch manifest
wird. Auch Antionkogene können über die bekannten 35.5.1 Familiäre adenomatöse Polyposis
Mechanismen inaktiviert werden: Punktmutationen (mit (FAP)
Aminosäuresubstitutionen oder vorzeitigem Transla-
tionsabbruch), Deletionen, Insertionen oder Spleißmuta- ! Werden Patienten mit der FAP nicht operiert, so entwi-
tionen. ckelt sich ein Dickdarmtumor.
. Abb. 35.10. Die APC-mRNA: Darstellung der 15 Exons. In der dargestellt, die sowohl bei der FAP als auch bei sporadischen colorek-
unteren Hälfte sind die Keimbahnmutationen mit ihren klinischen talen Tumoren vorkommen
Manifestationen, in der oberen Hälfte die somatischen Mutationen
Translation mit Bildung eines verkürzten Proteins zur und Größe eine weitere (in diesem Fall somatische) Mu-
Folge haben. Über den Nachweis solch unterschiedlich tation in dem noch normalen Allel (Knudson-Hypothese,
verkürzter Proteine können etwa 80% der Mutationen 7 Kap. 35.4.1). Diese könnte durch Mutagene in der ver-
nachgewiesen werden. Dem APC-Protein wird eine Funk- dauten Nahrung verursacht werden oder dadurch, dass
tion als Zelladhäsionsmolekül durch Wechselwirkungen die Zellen eine Störung des DNA-Reparaturmechanismus
mit α- und ß-Catenin (7 Kap. 6.2.6) zugeschrieben. Zwi- aufweisen, sodass sie die Rasterschubmutationen nicht
schen Art der Mutationen (und damit der Länge des Pro- reparieren können. Die Folge ist ein Wachstumsvorteil
teinprodukts) und dem Auftreten klinischer Symptome durch die Mutation, sodass der betroffene Zellklon stark
besteht eine direkte Beziehung (. Abb. 35.10). Die Ade- expandiert.
nome bei FAP-Patienten erwerben mit zunehmender Zahl
1152 Kapitel 35 · Tumorgewebe
35.5.2 Hereditäre nicht-polypöse etwa 15% der Patienten mit sporadischen colorektalen
colorektale Tumoren Tumoren gesehen wird. Diese Mikrosatelliten-Instabilität
könnte für Mutationen anderer Gene verantwortlich sein,
! Mutationen in Genen für Reparaturenzyme können die an dem Mehrschrittprozess der Tumorentstehung be-
Tumorerkrankungen verursachen. teiligt sind.
35
. Abb. 35.11. Familienstammbaum mit hereditärem, nicht- me (rote Symbole), einzelne aber auch andere Tumoren z.B. des Nieren-
polypösem, colorektalem Karzinom (CRC). Die Zahl gibt das Mani- beckens oder Dünndarms (grüne Symbole). ○ Frau; □ Mann; ø □/ ver-
festationsalter an. Die meisten Betroffenen haben colorektale Karzino- storben; CRC colorektales Karzinom
35.5 · Kumulative Aktivierung von Onkogenen und Inaktivierung von Antionkogenen
1153 35
. Abb. 35.12. Genetische Veränderungen bei der Progression vom Colonadenom zum Colonkarzinom. (Einzelheiten 7 Text)
sem Zustand ist das mcc-Gen (mutated in colon carcinoma) dukt übrig bleibt, so erwirbt die Tumorzelle einen weiteren
auf Chromosom 5q21 beteiligt. Das Auftreten des Adenom- Wachstumsvorteil.
phänotyps wird von einer Hypomethylierung (verringerte Der zweite wichtige Allelverlust betrifft Chromosom
DNA-Methylierung, 7 Kap. 8.5.1) mit genomischer Insta- 18q21–22, das bei etwa 70% der Tumoren und etwa 50%
bilität begleitet (. Abb. 35.12). Diese hemmt die Chromo- der späten Adenome verloren ist. Das dort gelegene dcc-
somenkondensation. Bei einem Drittel der untersuchten Gen (deleted in colorectal carcinomas) codiert für ein Pro-
DNA-Abschnitte konnten bereits bei Grad I/II-Adenomen tein, das eine signifikante Homologie zur Familie der Zell-
Hypomethylierungen festgestellt werden. Im weiteren Ver- adhäsionsproteine aufweist. Das dcc-Gen wird in normaler
lauf der Tumorigenese treten ras-Mutationen auf. Bis zu Colonschleimhaut exprimiert, jedoch nicht oder nur in
10% der Colonadenome (Polypen) mit einer Größe von reduzierter Menge in der Mehrzahl (etwa 75%) der colorek-
weniger als 1 cm, aber bereits etwa die Hälfte der Adenome talen Tumoren. Das Gen könnte durch Veränderungen von
mit einer Größe von mehr als 1 cm und die Hälfte aller Zell-Zell-Wechselwirkungen oder Zell/extrazelluläre Ma-
Karzinome weisen ras-Mutationen auf (. Abb. 35.13). Da- trix-Wechselwirkungen eine Rolle bei der Tumorigenese
neben können andere Onkogene wie z.B. das neu-, c-myc- spielen. Im Gegensatz zu Allelverlusten auf Chromosom
oder c-myb-Onkogen aktiviert sein. 17p bestehen 18q-Verluste bereits in etwa 15% sog. Grad
! Mutationen in den dcc- und p53-Antionkogenen be-
stimmen die späte Phase des Adenom-Karzinom-Über-
gangs.
I–II-Adenome und nehmen mit weiterer Dysplasie (Grad kämie (CML), war die Voraussetzung für die Klonierung
III) auf 47% zu. Bei diesen molekularen Veränderungen der beteiligten Gene.
handelt es sich um häufige, in der Adenom-Karzinom-Se-
! Patienten mit chronisch myeloischer Leukämie weisen
quenz anzutreffende Veränderungen, deren dargelegter
eine reziproke Translokation zwischen den Chromo-
Zeitablauf bevorzugt auftritt, aber nicht auftreten muss. So
somen 9 und 22 auf.
sind 17p-Allelverluste in frühen Adenomen selten und ver-
gleichende Untersuchungen zwischen Adenomen und Kar- Die chronische myeloische Leukämie (CML) ist eine Leu-
zinomen zeigen, dass der Unterschied nicht durch die Qua- kämie, bei der Granulozyten und ihre unreifen Vorstufen
lität der Veränderungen, sondern ihre Quantität bedingt ist. unreguliert produziert und ins Blut freigesetzt werden. Bei
Daraus kann man schließen, dass die Akkumulation gene- Patienten mit CML waren im Jahre 1960 ein verkürzter lan-
tischer Veränderungen und nicht ihr zeitlicher Ablauf für ger Arm des Chromosoms 22 (22q- oder Philadelphia-
die Progression vom Adenom zum Karzinom verantwort- Chromosom) und als dessen Ursache im Jahre 1973 eine
lich ist. Mit Sicherheit sind noch Allelverluste in anderen Translokation beschrieben worden, die durch eine Aus-
chromosomalen Regionen (so z.B. auf 1q, 4p, 6p, 8p, 9q, tausch von Bruchstücken zwischen den Chromosomen 9
22q) für die colorektale Tumorigenese von Bedeutung, so- und 22 charakterisiert ist. Dabei ist jeweils eines der beiden
dass man davon ausgehen kann, dass mindestens 6 bis 10 Chromosomen der Zelle betroffen. An der reziproken
genetische Veränderungen die colorektale Tumorigenese Translokation sind das Abl-Onkogen auf Chromosom 9
bedingen. und das Breakpoint Cluster Gen (BCR) auf Chromosom 22
beteiligt. Das Abl-Onkogen kodiert für eine Nichtrezeptor-
Tyrosinkinase mit einem Molekulargewicht von 145 kd
35.6 Entstehung von Fusionsgenen (p145ABL) (. Abb. 35.14).
durch Translokationen Der Bruchpunkt im ABL-Gen tritt in Richtung 5c (zum
Zentromer hin) des Exon 2 (von insgesamt 11 Exons) auf . Die
35 Jede Änderung des Tumorzellgenoms kann (muss aber Exons 2–11 des ABL-Onkogens werden in die sog. Major
nicht) eine makroskopisch sichtbare Veränderung der Breakpoint-Cluster Region (M-bcr) des BCR-Gens trans-
Chromosomen bedingen und damit mit Hilfe der Cytoge- poniert: die dabei entstehende Fusions-mRNA wird in ein
netik erkennbar werden. Daraus folgt, dass die molekulare chimäres Protein transkribiert, das als p210BCR-ABL bezeich-
Charakterisierung der chromosomalen Veränderung zur net wird. In seltenen Fällen liegt der Bruchpunkt auf Chromo-
Identifikation der an der Erkrankung ursächlich beteiligten som 22 an anderen Stellen, den Minor- bzw. Mikron-Break-
Krebsgene führen kann. In der Tat zeigte die Identifizierung point Cluster Regionen. Dabei entstehen das p190BCR-ABL-
von Genen, die an Rearrangements beteiligt sind, dass es (m-bcr) bzw. p230BCR-ABL-(μ-bcr) Fusionsprotein.
sich in einzelnen Fällen um Onkogene handelt. Dadurch, Die mit der Bildung der Fusionsproteine verbundenen
dass Onkogene an der Translokation beteiligt waren, war strukturellen Änderungen rufen die Charakteristika der
belegt, dass sowohl Translokationen als auch Onkogene CML (Transformation, vermehrte Proliferation, gestörte
entscheidend an der Tumorentstehung beteiligt sein müs- Adhäsion) hervor: vermittelt wird diese durch konstitutive
sen. Die chromosomale Analyse, d.h. z.B. der Nachweis der Aktivierungen der RAS- , JAK-STAT-, FAK und Pl-3-Kina-
9/22 Translokation bei der chronischen myeloischen Leu- se-Signalwege (7 Kap. 25).
35.7 · Mechanismen der Invasion und Metastasierung
1155 35
Durch die auf diesen biochemischen Kenntnissen beru- zen und die die Proliferation im Zielorgan der Metastasie-
hende Entwicklung eines spezifischen BCR-ABL-Tyrosin- rung ermöglichen. Diese Proteine werden auch von nicht-
kinase-Inhibitors (STI 571) können Patienten mit CML transformierten Zellen gebildet, werden aber durch Proteine
heute sehr gut behandelt werden (7 Kap. 35.11). antagonisiert, die ihre Produktion, Regulation oder Wir-
kung blockieren können. Störungen dieses Gleichgewichts
führen zur Aktivierung der Bewegung (Motilität) und Pro-
35.7 Mechanismen der Invasion teolyse als Voraussetzung für Invasion und Metastasie-
und Metastasierung rung.
! Die Neubildung von Gefäßen ist ein kritischer Schritt
Solange ein Tumor auf seinen Ausgangspunkt beschränkt
bei der Tumorbildung.
ist (Primärtumor), kann die Erkrankung durch einen ope-
rativen Eingriff geheilt werden. Viele Tumoren weisen je- Invasives Verhalten und Metastasierung beruhen auf einer
doch die Tendenz auf, lokal invasiv zu wachsen und nach Kaskade von miteinander verbundenen und nacheinander
Einbruch in die Gefäßbahn sekundäre Tumoren (Metasta- ablaufenden Schritten, die viele Wirt-Tumor-Wechselwir-
sen) zu bilden. kungen beinhalten. Für die erfolgreiche Metastasierung
muss eine Zelle oder eine Gruppe von Zellen imstande sein,
den Primärtumor durch Überwindung der Basalmembran
35.7.1 Invasion und Metastasierung zu verlassen, in das örtliche Stroma einzudringen, An-
schluss an die Zirkulation zu gewinnen, im entfernten Ge-
! Invasion und Metastasierung erfordern zusätzliche fäßbett stecken zu bleiben, in das Zielorgan zu auszuwan-
genetische Veränderungen in Tumorzellen. dern (Interstitium und Parenchym) und als sekundäre
Kolonie zu proliferieren (. Abb. 35.15). Dabei stellt die
Verschiedene koordiniert ablaufende Prozesse stellen die Neubildung von Gefäßen, die Angiogenese, die Vorausset-
Voraussetzung für Invasion und Metastasierung dar. Dabei zung für die Größenzunahme des Primärtumors über einen
sind – wie im Falle der Onko- und Antionkoproteine – ne- Durchmesser von 2 mm dar; diese Größenzunahme ver-
gative und positive regulatorische Elemente von Bedeutung. ursacht eine Hypoxie, die zur Bildung des Hypoxie-indu-
Die bisher beschriebenen genetischen Veränderungen füh- zierbaren Transkriptionsfaktors I (HIF) führen (7 Kap.
ren zu einer Störung der Proliferation. Das fehlregulierte 28.1.10). Diese führt zur Expression des vaskulären endo-
Wachstum ruft jedoch nicht per se Invasion und Metasta- thelialen Wachstumsfaktors (VEGF). Auf parakrinem
sierung hervor, d.h. diese Prozesse bedürfen zusätzlicher Weg stimuliert VEGF die Proliferation von Gefäßendothel-
genetischer Veränderungen. Mutationen können entweder zellen. Diese Wirkung wird über spezifische VEGF-Rezep-
nacheinander und völlig unabhängig voneinander auftre- toren (VEGF-R1 und VEGF-2 oder KDR) vermittelt, die
ten oder – was wahrscheinlicher ist – durch zeitlich über- Tyrosinkinaseaktivität aufweisen. An der Gefäßneubildung
lappende Prozesse. Invasion und Metastasierung kommen sind auch andere Cytokine wie TGF-E, FGF und Angio-
durch Proteine zustande, die die Anhaftung von Tumorzel- genin beteiligt. Über die neu gebildeten Blutgefäße, die den
len an zelluläre oder extrazelluläre Matrixbestandteile des Tumor durchdringen, treten die Tumorzellen häufig in die
umgebenden Gewebes fördern, die die Proteolyse von Zirkulation ein. Eine Neubildung von Gefäßen ist ebenso
Wirtsbarrieren wie z.B. Basalmembranen durch Tumorzel- für die Vergrößerung der metastatischen Kolonie erforder-
len stimulieren, die die Tumorzellfortbewegung unterstüt- lich. Nur ein sehr kleiner Prozentsatz, d.h. weniger als 0,01%
der zirkulierenden Tumorzellen, ist schließlich imstande, Basalmembran findet sich an dieser Stelle eine umschrie-
metastatische Kolonien zu verursachen. Demzufolge wird bene lokalisierte Zone der Auflösung. Dies kommt dadurch
die Metastasierung auch als ein hochselektiver Wettbewerb zustande, dass Tumorzellen proteolytische Enzyme sezernie-
angesehen, der das Überleben einer Subpopulation von me- ren oder dass die Wirtszelle Proteinasen freisetzt, die die
tastatischen Tumorzellen favorisiert, die im heterogenen Matrix und ihre Adhäsionsmoleküle abbauen. Die Auflö-
Primärtumor präexistieren. sung der Matrix findet in einer umschriebenen Region in
der Nähe der Tumorzelloberfläche statt, in der die Mengen
aktiven Enzyms die natürlich vorkommenden Proteinase-
35.7.2 Wechselwirkungen inhibitoren im Interstitium und in der Matrix, die von nor-
von Tumorzellen mit der malen Zellen in der Nachbarschaft sezerniert werden, über-
extrazellulären Matrix schreitet.
! Tumorzellen müssen beweglich sein.
! Tumorzellen haben die Tendenz, Kompartimentgrenzen
zu überwinden. Die Motilität ist ein weiterer wichtiger Schritt der Invasion,
der dazu führt, dass die Tumorzelle gerichtet die Basal-
Im Zuge der Entwicklung zu invasiven Tumoren missach- membran überwindet und sich durch das Stroma nach re-
ten Tumorzellen die soziale Ordnung von Grenzen inner- gionaler Proteolyse der Matrix bewegt. Die Bewegung be-
halb von Geweben und dringen in fremde Organe ein. Der ginnt mit der Ausstreckung von Pseudopodien an der Front
Säugetierorganismus ist durch die extrazelluläre Matrix, die der wandernden Zelle. Die Tumorzellmotilität wird durch
aus der Basalmembran und dem darunter liegenden inter- Tumorzellcytokine (autokrine Motilitätsfaktoren) reguliert.
stitiellen Stroma (7 Kap. 24.1) besteht, in eine Reihe von Die ebenfalls erhöhte ungerichtete Motilität von Tumorzel-
Gewebekompartimenten aufgeteilt. Die basale Epithelzell- len führt zu einer Ausbreitung im Bereich des Primärtu-
schicht liegt auf dieser Basalmembran, auf der anderen mors. Zusätzlich können Ort und Richtung der Tumorzell-
Seite befindet sich das interstitielle Stroma mit stromalen bewegung durch von anderen Zellen gebildete Stoffe mit
Zellen wie z.B. Fibroblasten oder Myofibroblasten. Norma- chemotaktischer Wirkung beeinflusst werden.
lerweise mischen sich die Zellpopulationen auf den beiden
Seiten diesseits und jenseits der Basalmembran nicht. Beim
invasiven Tumor überwinden Tumorzellen jedoch die 35.7.3 Bedeutung von Proteinasen
Basalmembran, dringen in das darunter liegende inter- für Invasion und Metastasierung
stitielle Stroma ein und treten mit den stromalen Zellen in
Wechselwirkung. Demzufolge ist das metastatische Ver- ! Matrix-Metalloproteinasen besitzen eine Schlüsselfunk-
halten der Tumorzelle durch ihre Tendenz gekennzeichnet, tion beim Abbau der extrazellulären Matrix.
Gewebekompartimentgrenzen zu überwinden und sich mit
verschiedenen Zelltypen zu mischen. Die Basalmembran Verschiedene Familien proteolytischer Enzyme (Metallo-,
ist eine Matrix aus Kollagen, Glycoproteinen und Proteo- Cystein- und Serinproteinasen) sind am Abbau der Basal-
glykanen, die normalerweise keine zum passiven Zelltrans- membran bzw. der extrazellulären Matrix beteiligt. Serin-
port ausreichend großen Poren enthält. Aus diesem Grunde proteinasen wie t-Plasminogenaktivator aktivieren das
muss die Invasion der Basalmembran durch Tumorzellen Proenzym Plasminogen zu Plasmin, welches Matrixkom-
ein aktiver Vorgang sein. Sobald die Tumorzellen das ponenten abbaut. Cysteinproteinasen wie Kathepsin B
Stroma erreichen, können sie Anschluss an Lymph- und können bei transformierten Zellen in aktivierter Form mit
Blutgefäße zur weiteren Disseminierung gewinnen. Die der Plasmamembran assoziiert sein, von wo aus sie bei Kon-
35 Wechselwirkungen der Tumorzelle mit der Basalmembran takt mit einer Basalmembran darin enthaltenes Laminin
können in mehrere Schritte unterteilt werden: degradieren. Die wichtigste Gruppe Matrix-abbauender
4 die Herabsetzung der Wechselwirkungen zwischen den Enzyme stellen die Matrix-Metalloproteinasen (MMP) dar
einzelnen Tumorzellen (7 Kap. 9.3.3, 7 Kap. 24.6).
4 ihr Kontakt mit der Basalmembran Die Aktivität vieler Metalloproteinasen wird nach ihrer
4 die Auflösung der Matrix und Sekretion in den Extrazellulärraum auf verschiedenen Ebe-
4 die Wanderung (Motilität) nen reguliert (7 Kap. 9.3.3), entweder durch Aktivierung
mittels limitierter Proteolyse, durch Bindung an Zellmem-
Die Bindung der Tumorzelle an die Basalmembranoberflä- branen, durch Substratbindung und durch Wechselwir-
che wird durch Tumorzelloberflächenrezeptoren der Inte- kungen mit von Wirt- und/oder auch Tumorzellen gebil-
grin- und Nichtintegrin-Familien vermittelt. Diese Rezep- deten Metalloproteinase-Inhibitoren (tissue inhibitors of
toren erkennen Glycoproteine wie Laminin, Typ IV-Kolla- metalloproteinases, TIMPs). TIMP1, ein Glycoprotein mit
gen und Fibronektin in der Basalmembran (7 Kap. 24.5.3). einer Molekülmasse von 28,5 kDa, wird von vielen vom
Einige Stunden nach dem Kontakt der Tumorzelle mit der Mesoderm abstammenden Zellen und von Fibroblasten
35.8 · Tumorentstehung durch Cancerogene
1157 35
atomen1 und 3 von Adenin sowie dem Stickstoffatom 3 von entsprechende Glutathion-S-Transferase reduziert, so ist
Cytosin in Nucleinsäuren. dies mit einem erhöhten Krebsrisiko verbunden (7 Kap.
15.3). Der oxidative Stoffwechsel chemischer Fremdsub-
! Die meisten Cancerogene sind Procancerogene, die
stanzen durch die Leber, der einen lebenswichtigen Ent-
durch Zellenzyme aktiviert werden müssen.
giftungsmechanismus darstellt (7 Kap. 33.2.1), macht somit
In allen Fällen wird dann eine stark elektrophile Verbin- die chemisch inerten Cancerogene erst zu Krebs auslö-
dung gebildet. Enzyme, die Cancerogene aktivieren, sind in senden Stoffen. Die Organspezifität bestimmter Cancero-
vielen Zellen mit unterschiedlicher Spezifität und Aktivität gene ist möglicherweise auf die unterschiedliche Ausstat-
35 vorhanden. Polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe tung einzelner Gewebe mit diesen Enzymen zurückzu-
werden zu Epoxiden (cyclische Äther) oder Radikalen um- führen.
gewandelt: 3,4-Benzpyren wird unter Beteiligung von Cyto-
chrom P450 (Genfamilie I, 7 Kap. 15.2.2) im endoplasma-
tischen Retikulum zum Arenoxid oxidiert, das durch eine 35.8.2 Physikalische Cancerogenese
Epoxidhydratase in ein Transdihydrodiol überführt wird.
Durch erneute Epoxidierung dieses als vorläufig bezeich- Ultraviolettes Licht ist hoch mutagen, was zumindest teil-
neten Cancerogens entsteht das endgültige Cancerogen, weise auf die charakteristischen Pyrimidin-Dimerschäden
das covalent unter Öffnung des Epoxidrings mit nucleo- in der DNA zurückzuführen ist. Nicht reparierte Cytosin-
philen Basen wie der Aminogruppe von Guanin reagiert Dimere rufen Tandemmutationen hervor, bei denen zwei
(Bildung von Benzpyrendiolepoxid-DNA-DNA-Adduk- benachbarte Cytosinreste (Cytosin-Cytosin) durch zwei
ten). Entgiftungsreaktionen überführen vorläufiges und Thyminbasen (Thymin-Thymin) ersetzt werden. Diese
endgültiges Cancerogen in die entsprechenden Phenole Änderung tritt praktisch nur nach Exposition mit UV-
und Glutathionverbindungen. Ist durch eine Mutation die Strahlung auf (7 Kap. 7.3).
35.10 · Früherkennung von Tumoren
1159 35
35.9 Stoffwechsel von Tumorgeweben keit davon abgeleiteten Tumorgewebes nicht überrascht.
Die Hormone wirken dabei über die Induktion der Bildung
! Tumorzellen weisen oft einen erhöhten Glucosedurch- von Polypeptidwachstumsfaktoren wie IGF, EGF oder
satz auf. TGF-D. Die Antagonisierung von Östrogenen ist deshalb
ein wesentlicher Bestandteil der Therapie des Mamma-
Etwa vor 60 Jahren bemerkte Otto Warburg (1883–1970), karzinoms: diese kann entweder durch Antiöstrogene wie
einer der Begründer der heutigen Biochemie, dass verschie- Tamoxifen erfolgen, die Östrogen kompetitiv vom Östro-
dene Tumoren auch in Anwesenheit von Sauerstoff große genrezeptor verdrängen, durch Hemmstoffe der endogenen
Mengen von Lactat bilden. Er postulierte, dass die hohe Östrogensynthese, sog. Aromatasehemmstoffe oder durch
Glucoseabbaurate zu Lactat auch in Gegenwart von Sauer- Medikamente, die zu einem Abbau des Östradiolrezeptors
stoff die Folge eines Defekts der Atmungskette sei, und dass führen (7 Kap. 27.6.2).
Krebs entstehe, wenn die Zelle auf eine irreversible Schädi-
gung ihrer Atmung mit der Adaptation an die Glycolyse zu
Lactat antwortet. Nach Warburg können diese Zellen ihren 35.10 Früherkennung von Tumoren
differenzierten Zustand nicht aufrechterhalten und wach-
sen als entdifferenzierte Zellen unkontrolliert. Seine Beo- Zu den dringlichsten Problemen in der klinischen Onkolo-
bachtungen führten ihn zu der apodiktischen Aussage gie gehört die Früherkennung von Krebserkrankungen. Die
(1956), dass »die Ära vorbei sei, in der die Glycolyse zu ideale Substanz zur Früherkennung einer Tumorerkennung
Lactat in Tumorzellen und ihre Bedeutung für die Tumo- wäre ein stabiles Molekül, das ausschließlich von Tumorzel-
rentstehung diskutiert werden, und niemand heutzutage len (eines Gewebes) synthetisiert und sezerniert wird und
bezweifelt, dass wir den Ursprung der Tumorzellen erken- im Plasma und/oder Urin nachweisbar ist. Alle bisher be-
nen werden, wenn wir wissen, wie die hohe Glycolyserate kannten von Tumorzellen abgegebenen und als Tumor-
zu Lactat zustande kommt, oder um es vollständiger zu marker bezeichneten Moleküle werden jedoch auch von
fassen, wenn wir wissen, wie die gestörte Atmung und die gesunden Geweben produziert. Da von Tumoren abgege-
exzessive Lactatbildung zustande kommen«. Durch Unter- bene Moleküle in den Körperflüssigkeiten verdünnt wer-
suchungen seit Mitte der fünfziger Jahre sind die Ergeb- den, muss eine bestimmte Anzahl von Tumorzellen vor-
nisse von Warburg relativiert worden, da auch Tumoren handen sein, um nachweisbare Quantitäten zu bilden: Die
existieren, die Glucose in normalen Mengen oxidieren. chemische Grenze liegt etwa bei 104 bis 105 Zellen, das sind
Dennoch weisen viele Tumoren eine erhöhte Glucoseauf- vier bis fünf Zehnerpotenzen weniger als das Minimum
nahme auf, was auch die Grundlage der sog. Fluordesoxy- von 109 Zellen, welches 1 cm3 Tumormasse entspricht, das
glucose-(FDG)-Methode zur PET-Analyse von Tumoren zum radiologischen Nachweis (z.B. durch Computertomo-
darstellt. graphie) erforderlich ist. Aus diesem Grunde sind die Er-
krankungen bei dem erstmaligen Nachweis eines Tumor-
! Mammakarzinome sind in ihrem Wachstum auf Östro-
markers i.a. bereits in einem fortgeschrittenen Stadium.
gene angewiesen.
Tumormarker eignen sich deshalb weniger zur Früher-
Bereits normales Brustdrüsengewebe ist von weiblichen kennung als zur Verlaufsbeurteilung der Therapie einer
Sexualhormonen abhängig, sodass die Hormonabhängig- Krebserkrankung: klinisch wichtige Tumormarker sind
das D-Fetoprotein, das carcinoembryonale Antigen (CEA), Proteine (Cetuximab bzw. Trastuzumab) sind therapeutisch
das Prostata spezifische Antigen (PSA) und Hormone, die wirksam und werden für die Behandlung dieser Krebsarten
von bestimmten Tumoren ektopisch produziert werden eingesetzt. Ebenso ist ein Antikörper gegen vEGF (Bevazu-
(. Tabelle 35.4). zimab), der die Angiogenese hemmt, für die Therapie von
Eine wichtige Früherkennungsmethode ist die Unter- Darmtumoren zugelassen.
suchung des Stuhls auf okkultes Blut (das aus Darmtumo- Tyrosinkinasen sind wichtige Vermittler der Signal-
ren stammen kann). Der auch als Haemokkult bezeichnete transduktion einer Vielzahl von Membranrezeptoren
Test nutzt die Pseudo-Peroxidaseaktivität von Hämoglobin (7 Kap. 25.5.1). Bei der chronisch myeloischen Leukämie
aus. Empfindlichere – in Entwicklung befindliche – Tests wird die BCR/ABL-Fusions-Tyrosinkinase (siehe oben)
versuchen, Mutationen in Tumor-DNA, die aus Stuhl extra- effektiv durch den Tyrosinkinase-Inhibitor STI 571 ge-
hiert wird, nachzuweisen. hemmt. Deshalb hat auch dieses Molekül Eingang in die
In der Diagnostik von Leukämien und Tumorerkran- Leukämietherapie gefunden. Die Tyrosinkinaseinhibitoren
kungen finden zunehmend Mikroarray- und Proteom- Erlotinib und Gefitinib hemmen über eine selektive Hem-
analysen Anwendung (Beispiel, 7 Kap. 7.4.4), bei denen die mung der ATP-Bindungsstelle die EGF-Rezeptor-Tyrosin-
Probe auf die unterschiedliche Expression von Tausenden kinase und werden zur Behandlung des Bronchialkarzi-
von Genen bzw. Proteinen untersucht wird. noms angewandt.
! Tumorzellen entwickeln Resistenzmechanismen gegen
35.11 Krebstherapie Cytostatika.
. Abb. 35.18. Strukturmodell des MDR1-Proteins (P170-Glycoprotein), das als transmembranäres Protein in der Zellmembran ver-
ankert ist
Marker zur Verfügung gestellt, der zur Beurteilung der ! Mit der Anti-Gentherapie sollen Gene der Tumorzelle
Chemotherapieresistenz dienen kann. Daneben spielen gehemmt werden.
auch Änderungen der Expression anderer Enzyme wie der
Topoisomerase II (7 Kap. 7.2.3) oder der Glutathion-S- Andere Ansätze bedienen sich der Antisense-Oligonuc-
Transferase (7 Kap. 15.3) eine Rolle für die Chemothera- leotide, d.h. kurzen synthetischen Nucleotidsequenzen,
peutikaresistenz. die zu DNA- und RNA-Sequenzen komplementär sind
und diese durch Hybridisierung inaktivieren (7 Kap. 7.4.4).
Durch Bindung dieser Nucleotide an ihr jeweiliges Ziel-
35.12 Gentherapeutische Ansätze molekül können Transkription oder Translation des dazu-
bei Krebserkrankungen gehörigen Gens selektiv gehemmt werden. Wenn dieses
Gen ursächlich an der Entstehung der Tumorkrankheit be-
! Die Gentherapie von Krebserkrankungen steht am teiligt ist, könnte seine Inaktivierung zu einer Regression
Beginn ihrer Entwicklung. des malignen Phänotyps führen. Die mRNA im Cytosol
stellt ein geeigneteres Ziel als die DNA im Zellkern für
Die kausale Behandlung des durch Mutationen hervorgeru- diesen Ansatz dar, da die Antisense-Oligonucleotide –
fenen Gendefekts bei Tumorzellen ist die Einführung des neben der Zellmembran – nicht auch die Kernmembran
normalen Gens in die Tumorzelle. Bei Genverlusten oder permeieren müssen.
-störungen (wie z.B. solcher der Antionkogene) ist das Ziel,
! Der Einbau von Cytokingenen soll natürliche Abwehr-
durch Transfektion ein neues Gen in das zelluläre Genom
mechanismen stimulieren.
einzubringen (Additionstherapie) oder das defekte Gen
durch homologe Rekombination (7 Kap. 7.4.4) durch ein Cytokine können eine Wirkung auf das Tumorwachstum
neues zu ersetzen (Substitutionstherapie). Das ersetzte haben, besitzen jedoch bei systemischer Gabe Nebenwir-
fremde Genmaterial tritt dabei an die Stelle des defekten kungen und eine sehr kurze Halbwertszeit. Deshalb ver-
endogenen Gens und wird wie dieses reguliert. Die homo- sucht ein neuer Ansatz, Gene für Cytokine (Interleukin-2,
loge Rekombination gelang jedoch bisher nur an kulti- Interleukin-4, Interferone, Tumornekrosefaktor) in Zellen
vierten Zellen der Maus (7 Kap. 7.4.5). Die Transfektion, einzubringen, die spezifisch mit Tumorzellen in Wechsel-
d.h. die Einbringung eines zusätzlichen funktionellen Gens wirkung treten, wie z.B. tumorinfiltrierende Lympho-
in eine Zelle, kann durch die in Kapitel 7 (7 Kap. 7.4.1, 7.4.2) zyten (TIL). So wurden solche Zellen mit dem Gen für
besprochenen Methoden erreicht werden; dies funktioniert Tumornekrosefaktor transfiziert. Durch Markierung mit
in vitro zwar leicht, ist aber in vivo bei einem soliden Tumor einem Markergen wie Neomycinphosphotransferase konn-
bisher sehr viel schwieriger zu erreichen. Die Effizienz der te nachgewiesen werden, dass sich diese Zellen im Tumor
Transfektion ist immer noch sehr niedrig und auch von anreichern und dort bis zu 10 Monaten fremde Gene expri-
Zelle zu Zelle stark unterschiedlich. Die meisten mensch- mieren.
lichen Zellen können zudem nur kleine Mengen fremder
! Gentherapeutische Manipulation erlaubt die lokale
DNA integrieren (etwa 6 kb). Weiterhin wird das trans-
Produktion eines Cytostatikums.
fizierte Gen aus noch unbekannten Gründen nur für einige
Monate exprimiert. Daher versucht man, durch selektive Ein weiterer Therapieansatz ist die virusdirigierte Enzym-
Promotoren die Transkription der transfizierten Gene zu Medikamentenvorstufen-Therapie, die darauf beruht,
beeinflussen. dass ein Vektor spezifisch in Tumorzellen, aber nicht in
1162 Kapitel 35 · Tumorgewebe
normalen Zellen exprimiert wird. So wird ein Virusgen das Gen für Cytosin-Desaminase an einen derartigen
in der normalen Leberzelle nur dann exprimiert, wenn es selektiven Promotor, so führt die Expression dieses Gens
an den Albuminpromotor gekoppelt ist, aber nicht bei in der Zielzelle dazu, dass angebotenes 5-Fluorocytosin
Kopplung an den D-Fetoprotein-Promotor. In der Leber- intrazellulär in das Cytostatikum 5-Fluorouracil umge-
tumorzelle ist dies genau umgekehrt: Koppelt man z.B. wandelt wird.
In Kürze
Der programmierte Zelltod, die Apoptose, ist ein Vorgang, von Fusionsgenen und damit -proteinen mit veränderter
der im Zuge der Tumorentstehung fehlreguliert sein kann. Funktion führen. Invasion und Metastasierung erfordern
Onkogene und Antionkogene sind die Krebsgene, deren zusätzliche genetische Veränderungen. Expression von Pro-
Mutationen die Tumorentstehung verursachen. Mehrere teinasen und Neubildung von Gefäßen (Angiogenese) sind
Hundert dieser Gene sind inzwischen bekannt. Onkogene Schlüsselvorgänge in dem Mehrschrittprozess der Tumori-
und Antionkogene sind im nicht-mutierten Zustand an genese. MMPs und vEGF sind dabei von entscheidender Be-
der Regulation des Zellwachstums beteiligt. Onkogene deutung, sodass an der Entwicklung von Inhibitoren gear-
werden durch Mutationen aktiviert. Die mutierten Gene beitet wird. Mutagene Stoffe sind in unserer Umwelt und
werden auf die nächste Tumorzellgeneration weiter- Nahrung vorhanden.
gegeben. Die Inaktivierung von Antionkogenen trägt Die Krebstherapie entwickelt sich von einem empiri-
ebenfalls zur Tumorentstehung bei. Mutationen in Genen schen zu einem auf den Erkenntnissen der Biochemie ba-
für Reparaturenzyme verursachen Tumoren. Bei vielen sierenden Ansatz. Beispiele dafür sind monoklonale Anti-
Leukämien sind Translokationen bekannt, die zur Bildung körper und Tyrosinkinase-Inhibitoren.
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