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Cornelis
Kater
Arno
Wulfinger
verließ
das
Lehrerzimmer
mit
einem
unguten
Gefühl.
Vielleicht
war
er
zu
weit
gegangen.
Was
ihm
noch
vor
einigen
Tagen
als
strenge,
jedoch
angesichts
der
Umstände
faire
Maßnahme
vorgekommen
war,
erschien
ihm
nun
als
Akt
der
Willkür,
die
seiner
persönlichen
Lage
geschuldet
war.
Wulfinger
war
Lehrer.
Deutsch,
Sport
und
Geschichte,
zugelassen
für
den
Unterricht
an
Gymnasien.
Stolz
war
nicht
darauf.
Er
hielt
sich
nicht
für
schlecht,
aber
auch
für
alles
andere
als
gut.
Die
Schüler
respektierten
ihn,
meistens.
Gelegentlich
aber
auch
nicht.
Woran
es
genau
lag
konnte
er
meist
nie
so
ganz
herausfinden.
Vielleicht
lag
es
an
seinem
persönlichen
Biorhythmus.
Oder
den
Vorhandensein
oder
Nichtvorhandensein
gewisser
instabiler
Pole
im
sozialen
Gefüge
der
Klassen,
die
er
unterrichtete.
Vielleicht
fehlte
ihm
auch
schlichtweg
Humor
und
Motivationsfähigkeit.
Oder
einfach:
Es
gelang
zuweilen
nicht,
Berufliches
und
Privates
oder
Gefühle
und
Professionalität
zu
trennen.
Manchmal
war
er
einfach
launisch,
und,
so
fürchtete
er
auch
jetzt
wieder,
einfach
ungerecht.
Vor
einigen
Wochen
wurde
er
nach
einer
Diskussion,
die
ihm
noch
immer
absonderlich
und
wie
ein
emotionaler
Sturz
von
einem
Zehn-‐Meter-‐Sprungturm
in
ein
leeres
Schwimmbad
vorkam,
von
seiner
langjährigen
Freundin
verlassen.
Oder
hatte
er
sie
verlassen?
Oder
hatten
sie
sich
beide
sich
voneinander
getrennt,
einvernehmlich,
wie
es
immer
so
schön
heisst?
Er
wusste
es
nicht
mehr.
Sie
hatten
zugleich
eine
Hochzeit
und
eine
Beerdigung
beobachtet
und
eine
skurrile
aber
dennoch
ernste
Diskussion
geführt,
die
er
seitdem
zu
rekonstruieren
versuchte.
Es
gelang
ihm
nicht.
Es
blieb
nur
das
dumpfe
Gefühl,
das
nur
ein
paar
andere
Worte
an
entscheidenden
Stellen
die
Diskussion
auch
ganz
anders
hätte
ausgehen
lassen.
Ursprünglich
hatte
er
sogar
vor,
ihr
einen
Heiratsantrag
zu
machen.
Er
seufzte.
Allmählich
war
ihm
das
Gespräch
egal.
Er
konnte
sich
nicht
vernünftig
erinnern,
seine
Freundin
war
weg,
seine
Wohnung
vernachlässigt,
sein
Bart
zu
lang
und
sein
Deo
seit
Wochen
verbraucht.
Seinen
tief
sitzenden
Frust
hatte
er
in
der
letzten
Klassenarbeit
seiner
aktuellen
10.
Klasse
abgeladen.
Das
Thema,
dass
er
mit
den
Schülern,
abgesprochen
hatte,
war
das
Schreiben
einer
Definition
gewesen.
Er
hatte
ihnen
in
der
letzten
Stunde,
die
der
Arbeit
vorausging,
einen
Begriff
versprochen,
den
jeder
von
ihnen
kennen
würde
und
nur
sieben
Buchstaben
lang
werden
würde.
Schließlich
hatte
er
sie
den
Begriff
deutsch
definieren
lassen.
Als
er
die
Arbeit
entwarf,
hielt
er
es
noch
für
eine
angemessene
Maßnahme,
das
unmotivierte,
zuweilen
freche
und
in
bestimmten
Momenten
sogar
aggressive
Verhalten
der
Schüler
ihm
gegenüber
zu
sanktionieren.
Der
Begriff
sei
an
sich
nicht
schwer,
so
rechtfertigte
er
sich
nach
dem
Austeilen
der
Aufgabe
und
dem
Murren,
welches
sich
daraufhin
verbreitete.
Wenn
überhaupt,
sei
das
Problem
nur
die
Vielfältigkeit
der
Denkrichtungen,
aus
denen
eine
Definition
angegangen
werden
könne.
Die
Schüler
sollten
einfach
einmal
ihrer
Kreativität
freien
Lauf
lassen
und
aufhören
zu
jammern.
Damit
hatte
er
sich
hinter
seiner
Zeitung
und
einer
Thermokanne
schlecht
gebrühten
Kaffees
zurückgezogen
und
die
Schüler
schreiben
lassen.
Viel
zu
schreiben
hätten
sie
ja
nicht,
vielmehr
zu
denken,
dessen
bekräftige
er
sich
mit
jedem
zweiten
Schluck
Kaffee.
Genug
Zeit
also,
innerhalb
der
angesetzten
90
Minuten
in
sich
zu
gehen
und
in
Ruhe
die
Definition
zu
konstruieren.
Wulfinger
stand
nun
vor
der
Tür
des
Unterrichtsraumes.
Die
Arbeit
war
korrigiert,
wenn
man
das
überhaupt
so
nennen
konnte.
Er
hatte
sich
dazu
zunächst
eine
Definition
aus
einem
bekannten
Lexikon
herausgesucht,
was
er
aus
Faulheit
und
Unwillen
nicht
für
nötig
gehalten
hatte,
bereits
vor
dem
Stellen
der
Aufgabe
vorzunehmen.
Wenn
er
ehrlich
gegenüber
sich
selbst
war,
musste
er
sich
eingestehen,
dass
keiner
der
Schüler
eine
gute
Note
verdient
hatte.
Auch
nicht
die
Autoren
der
Definition
des
Lexikons.
Also
hatte
er
die
Musterlösung
erweitert,
umgeschrieben
und
ergänzt,
bis
eine
seiner
Meinung
nach
brauchbare
Definition
des
Begriffes
entstanden
war.
Er
öffnete
die
Tür,
und
steuerte
seinen
Platz
an
der
Stirnseite
an,
ohne
die
Schüler
zu
betrachten,
wie
es
seine
Art
war.
Erst
jetzt
drehte
er
sich
mit
einem
Ruck,
der
an
diesem
Tag
etwas
übertrieben
ausfiel,
zu
ihnen
herum,
knallte
die
Hefte
auf
den
Tisch
und
verzog
viel
zu
bewusst
einige
Hautregionen,
was
so
etwas
wie
ein
Lächeln
ergeben
sollte.
„Hallo
zusammen.
Wie
ihr
seht,
habe
ich
die
Arbeit
mit
euren
Definitionen
des
Wortes
deutsch
korrigiert.“
Der
übliche
Lärmpegel
sank
überraschend
schnell.
Wulfinger
wusste,
dass
bei
einigen
Schülern
das
Ergebnis
der
Klassenarbeit
die
Endnote
und
damit
auch
die
Eignung
zu
einer
Versetzung
bestimmen
würde.
Mindestens
drei
Schüler
hatten
ihn
nach
dem
Schreiben
der
Arbeit
darauf
hingewiesen,
dass
sie
das
Thema
für
unangemessen
hielten,
da
der
Begriff
nicht
definierbar
sei.
Er
hatte
diese
Kritik
in
etwa
mit
den
gleichen
Argumenten
übergangen,
wie
er
sie
auch
nach
dem
Austeilen
der
Aufgaben
genutzt
hatte.
Bereits
zu
diesem
Zeitpunkt
waren
ihm
erste
Zweifel
gekommen,
ob
er
die
richtige
Strategie
gewählt
hatte.
Es
war
also
offensichtlich,
dass
die
Schüler
sowohl
das
Ergebnis
als
auch
die
präsentierte
Lösung
im
Rahmen
der
nun
folgenden
Besprechung
äußerst
neugierig
erwarteten.
„Lassen
wir
uns
sofort
beginnen.
Um
es
vorweg
zu
nehmen:
Die
Lösungsansätze
hätten
unterschiedlicher
kaum
sein
können.
Ich
will
euch
zur
Einstimmung
ein
Beispiel
geben,
welches
zwar
einen
vertretbaren
Ansatz
wählt,
dann
jedoch
viel
zu
kurz
greift
und
es
schließlich
an
einer
gewissen
Ernsthaftigkeit
vermissen
lässt:
‚Deutsch
sind
die
ureigenen
Tugenden
und
Dinge,
die
eng
mit
Deutschland
verbunden
sind.
Zu
den
Tugenden
gehören
Disziplin,
Ordentlichkeit,
Pünktlichkeit,
Kampfesstärke.
Eng
mit
Deutschland
verbunden
sind
Fußball,
Saufen
(Ballermann),
Sauerkraut
und
Eisbein,
und
das
Oktoberfest.’“
Einige
Schüler
lachten,
andere,
denen
das
Ergebnis
wichtiger
war
oder
die
die
Arbeit
auf
ähnliche
Art
und
Weise
gelöst
hatten,
rutschen
nervös
auf
ihrem
Stuhl
hin
und
her.
Wulfinger
vermied
es,
den
Schüler
anzusehen,
der
diese
Definition
und
damit
die
schlechteste
Arbeit
geschrieben
hatte.
„Um
uns
der
Lösung
zu
nähern,
will
ich
euch
noch
einen
etwas
weiter
gehenden
Ansatz
vorlesen:
‚Deutsch
ist
die
Zugehörigkeit
zu
der
sozialen
Großgruppe
der
Deutschen,
die
durch
die
Gemeinsamkeit
von
Abstammung,
Wohngebiet,
Sprache,
Religion,
Welt-‐
und
Gesellschaftsvorstellungen,
Rechtsordnung
und
Staatsgewalt,
Kultur
und
Geschichte
sowie
durch
die
Intensität
der
Kommunikation
bestimmt
ist.
Nicht
immer
sind
alle
Merkmale
vorhanden;
entscheidend
ist,
jedoch
die
Überzeugung
der
Angehörigen
dieser
sozialen
Gruppe,
sich
durch
ihr
Anders-‐
und
Besonders
sein
von
allen
anderen
Nationen
zu
unterscheiden.’
Diese
Definition
bietet
schon
einmal
eine
gute
Grundlage,
auf
die
man
aufbauen
kann.
Jedoch
stören
immer
noch
zwei
eklatante
Fehler:
Der
Autor
zielt
hier
nur
auf
Zugehörigkeit
zu
einer
sozialen
Gruppe
ab.
Der
Begriff
deutsch
umfasst
jedoch
weit
mehr,
als
die
Zugehörigkeit
einer
Person
zu
einer
sozialen
Gruppe.
Denkt
nur
an
die
deutsche
Kultur,
deren
Eigenschaften,
die
sich
von
denen
anderer
Kulturen
eindeutig
unterscheiden,
ebenfalls
als
deutsch
bezeichnet
werden.
Schön
an
diesem
Definitionsversuch
ist
jedoch
die
Nennung
der
bestimmenden
Merkmale
für
den
Begriff
deutsch
wie
eben
Abstammung
oder
Gebiet,
Sprache,
Religion
und
Gesellschaftsvorstellungen.
Leider
geht
der
Autor
nicht
weiter
auf
diese
Merkmale
ein;
er
nennt
diese
nur.
Hier
sollten
die
Merkmale
auch
jeweils
mit
Inhalt
gefüllt
werden.“
Er
spürte
das
Raunen,
das
durch
die
Schüler
ging.
Er
kannte
diese
Reaktion
aus
unzähligen
Besprechungen:
Immer
wenn
er
konkret
wurde
und
Aspekte
nannte,
die
seiner
Meinung
nach
in
eine
Arbeit
gehört
hätten,
begannen
die
Schüler,
die
diesen
Punkt
definitiv
nicht
berücksichtigt
hatten,
ihre
Nachbarn
zu
fragen,
ob
diese
das
getan
hätten,
in
der
Hoffnung,
dass
auch
diese
versagt
hatten.
Frauke
meldete
sich:
„Herr
Wulfinger.
Sie
haben
angekündigt,
dass
die
Lösung
der
Arbeit
nicht
umfangreich
ausfallen
würde.
Ich
bekomme
jedoch
den
Eindruck,
dass
Sie
dennoch
tatsächlich
eine
eher
umfangreiche
Lösung
erwarten,
die
in
der
kürze
der
Zeit
gar
nicht
zu
leisten
war!“
„Ich
möchte
darauf
nicht
eingehen,
Frauke.
Ich
schlage
vor,
du
wartest
erst
einmal
ab,
ob
die
Musterlösung,
die
wir
nun
besprechen
werden,
tatsächlich
zu
umfangreich
ist.“
Frauke
gab
sich
nur
unzufrieden
mit
dieser
Antwort
zufrieden.
Auch
Lars
meldete
sich.
„Ja,
Lars?“
„Also
ich
hab
geschrieben:
Deutsch
ist
die
deutsche
Staatsangehörigkeit
besitzend
oder
deutscher
Abstammung
bzw.
Herkunft
seiend.’
Warum
mehr
schreiben?
Ich
habe
das
Gefühl,
sie
verkomplizieren
hier
unnötig
und
wir
leiden
darunter,
weil
wir
ihren
seltsamen
Ansprüchen
nicht
gerecht
werden!“
Wulfinger
spürte,
dass
die
Klasse
unzufriedener
mit
der
Situation
war,
als
sie
es
bisher
gezeigt
hatte.
Dennoch
war
er
vielleicht
gerade
deswegen
überzeugt
davon,
dass
seine
Aufgabenstellung
zwar
nicht
gerade
besonders
einfach
und
fair
gewesen
war,
aber
dennoch
lösbar
und
dem
Leistungsniveau
angemessen.
„Das
greift
zu
kurz.
Denke
daran,
was
wir
zu
dem
Thema
besprochen
haben:
Eine
Regel
war,
dass
nur
Begriffe
verwendet
werden
dürfen,
die
schon
als
Allgemeinbegriff
eindeutig
sind.
Ich
halte
weder
die
deutsche
Staatsangehörigkeit
–
die
übrigens
wieder
nur
für
Personen,
nicht
aber
für
kulturelle
Eigenschaften
gilt
–
noch
die
deutsche
Herkunft
für
eindeutig
genug.
Das
mag
zwar
auf
den
ersten
Blick
so
ausschauen,
ich
werde
aber
gleich
zeigen,
dass
wir
keine
der
Definition
genügenden
Eindeutigkeit
vorliegen
haben.“
Lars
war
damit
nicht
einverstanden.
„Sie
halten
die
deutsche
Staatsangehörigkeit
nicht
für
eindeutig
genug?
Es
gibt
Gesetze,
die
dieses
regeln.
Eindeutiger
kann
der
Begriff
gar
nicht
sein!“
„Die
Lage
ist
leider
nicht
ganz
so
einfach.
Es
greifen
allein
vier
Gesetze:
Das
Reichs-‐
und
Staatsangehörigkeitsgesetz,
das
Ausländergesetz
und
zwei
weitere
spezielle
Gesetze.
Es
gibt
eine
Vielzahl
von
Wegen,
auf
denen
eine
deutsche
Staatsbürgerschaft
erreicht
werden
kann.
Unter
diesen
Umständen
kann
man,
um
den
Ansprüchen
an
eine
Definition
gerecht
zu
werden,
nicht
von
einem
eindeutigen
Begriff
sprechen.
Wir
dürfen
nicht
vergessen,
dass
wir
den
Begriff
deutsch
nicht
jedoch
Deutscher
definieren
wollen.“
Lars
hatte
dem
nichts
mehr
hinzuzufügen
und
der
Lehrer
fühlte
sich
nur
für
einen
kurzen
Moment
sehr
überlegen.
Wulfinger
hielt
einen
Moment
inne.
Eine
Schwalbe
flog
an
dem
Fenster
vorbei
und
er
wünschte
sich,
mit
ihr
zu
tauschen.
Er
wusste,
dass
er
nun
seine
Lösung,
die
ihm
alles
andere
als
überzeugend
vorkam,
überzeugend
präsentieren
musste.
„Wie
ich
bereits
eben
festgestellt
habe,
gilt
es,
den
Begriff
deutsch
als
eine
Objekteigenschaft
zu
betrachten,
die
Einfluss
auf
Personen,
Tugendenden,
kulturelle
Besonderheiten
bis
hin
zu
einer
gewissen
mentalen
Grundhaltung
besitzt.
Es
ist
mir
wichtig,
diesen
Begriff
von
der
Staatsangehörigkeit
zu
trennen
–
die
Gründe
dafür
habe
ich
ja
bereits
genannt.
So
ist
es
durchaus
denkbar,
dass
eine
Person,
die
kein
Deutscher
ist,
durch
einen
Aufenthalt
in
Deutschland,
durch
den
Umgang
mit
Deutschen
oder
vielleicht
nur
durch
das
Lesen
deutscher
Literatur
bestimmte
deutsche
Denkweisen
für
sich
übernimmt,
ohne
jemals
selbst
Deutscher
zu
werden.
Also,
zunächst
mal
ist
deutsch
eine
Objekteigenschaft,
geprägt
durch
Sprache,
Herkunft,
Zugehörigkeit
zu
bestimmten
Religionsvorstellungen
und
Zugehörigkeit
zu
bestimmten
Welt-
und
Gesellschaftsvorstellungen.
So
in
etwa
sollten
Sie
ihre
Definition
grundsätzlich
aufbauen.
Nicht
alle
diese
Merkmale
müssen
gegeben
sein,
um
einem
Objekt
die
Eigenschaft
deutsch
zuzuschreiben.
Entscheidend
ist
die
Andersartigkeit
bzw.
Abgrenzbarkeit
gegenüber
Objekteigenschaften
anderer
Nationalitäten
oder
Kulturräume.
Allerdings
müssen
wir
uns
im
Rahmen
der
Definition
näher
mit
den
vier
genannten
Merkmalen
beschäftigen
und
diese
eindeutig
bestimmen,
um
die
abgrenzenden
Merkmale
der
Eigenschaft
deutsch
herauszuarbeiten.“
Wulfinger
wagte
einen
vorsichtigen
Blick
auf
die
Uhr
und
registrierte
zugleich,
dass
er
anfing
zu
schwitzen,
obwohl
die
Raumtemperatur
dazu
keinen
Anlass
bot.
Es
waren
bereits
20
Minuten
der
Stunde
vergangen.
Er
musste
die
Besprechung
heute
durchziehen,
dass
wusste
er,
sonst
würde
er
sich
lächerlich
machen.
Die
Klasse
blickte
ihn
mit
einer
Mischung
aus
Ablehnung
und
Erwartung
an.
„Fangen
wir
an
mit
der
ersten
Eigenschaft,
der
Sprache.
Die
Definition
dieser
Eigenschaft
sollte
jeder
ohne
weitere
Schwierigkeiten
hinbekommen:
Die
Objekteigenschaft
ist
durch
die
Verwendung
der
deutschen
Sprache
geprägt.
Das
war
leicht,
oder?“
Svenja
meldete
sich
gar
nicht
erst,
um
ihren
Einwand
hervorzubringen:
„Herr
Wulfinger,
damit
bezeichnen
sie
auch
Objekteigenschaften,…“
–
sie
sprach
das
Wort
aus,
als
wäre
es
etwas
Schmutziges
–
„…die
zum
Beispiel
in
Österreich
durch
die
deutsche
Sprache
geprägt
werden,
ebenfalls
als
Deutsch,
obwohl
nur
die
Sprache,
nicht
jedoch
die
Eigenschaft
deutsch
ist.
Sie
wissen
doch,
dass
die
Österreicher
auch
Deutsch
sprechen,
oder?“
Wulfinger
schluckte.
Und
nickte
vorsichtig.
„Das
ist
richtig.
Die
Definition
einer
Objekteigenschaft
einer
bestimmten
Nationalität
ist
niemals
einfach
zu
fassen.
Daher
müssen
in
der
Regel
mehrere
Merkmale
erfüllt
werden,
etwa
die
Herkunft,
über
die
ich
als
nächstes
sprechen
möchte.
Der
Begriff
„Schlagoberst“
–
obwohl
er
der
deutschen
Sprache
zugehörig
ist,
ist
in
den
Grenzen
der
Bundesrepublik
Deutschland
nicht
bekannt,
daher
kann
dieser
Begriff
nicht
als
deutsch
bezeichnet
werden.
Ergänzen
wird
also:
Die
Objekteigenschaft
wurde
von
in
den
jetzigen
Grenzen
der
Bundesrepublik
lebenden
Personen
geprägt.
Wird
der
Begriff
auf
Personen
selbst
angewendet,
so
müssen
diese
Personen
die
deutsche
Staatsangehörigkeit
besitzen.
Eine
Objekteigenschaft
kann
also
von
einer
in
Deutschland
lebenden
Person
geprägt
werden,
ohne
dass
diese
Person
selbst
deutsch
ist.
Sprechen
wir
über
Deutsche
als
Personen,
müssen
wir
auf
den
Besitz
der
Staatsangehörigkeit
zurückgreifen.“
Lars
Hand
war
schon
in
der
Luft.
„Ja,
Lars?“
„Wieso
greifen
Sie
nun
doch
auf
die
deutsche
Staatsangehörigkeit
zurück?
Ich
dachte
diese
wäre
nicht
hinreichend
eindeutig
definiert?“
„Weil
ich
in
diesem
Fall
nur
den
Sonderfall
einer
deutschen
Person
über
die
Staatsangehörigkeit
definiere.
Ich
hatte
schon
vorhin
gesagt,
wir
wollen
auch
und
gerade
deutsche
Objekte
definieren,
nicht
nur
deutsche
Personen.“
Wulfinger
fühlte,
dass
er
sich
auf
unsicherem
Boden
bewegte.
Es
waren
25
Minuten
vergangen
und
der
Boden
gab
immer
mehr
nach.
„Kommen
wir
zum
dem
dritten
Merkmal
den
Begriffes
deutsch:
Die
Zugehörigkeit
zu
bestimmten
Religionsvorstellungen.
Dieses
Merkmal
ist
ebenfalls
ohne
weiteres
zu
fassen:
Die
Objekteigenschaft
ist
durch
die
vorherrschende
Religion,
der
christlichen
Religion,
geprägt.
Ihr
seht,
dass
nicht
alle
Merkmale
gegeben
sein
müssen,
aber
zumindest
immer
mehrere:
Die
Prägung
durch
die
christliche
Religion
ist
zwar
für
den
Begriff
deutsch
nicht
unerheblich,
jedoch
nur
schwer
abgrenzbar
von
der
polnischen,
italienischen
oder
spanischen
Ausprägung
der
christlichen
Religion.
Die
Abgrenzbarkeit
muss
zumindest
bei
einem
der
jeweils
beanspruchten
Merkmale
wie
Sprache,
Herkunft,
Kultur
oder
eben
Religion
gegeben
sein.“
Er
schwieg
einen
Moment
und
wartete
auf
die
nächste
Kritik
aus
der
Klasse.
Aber
keiner
der
Schüler
meldete
sich.
Läuft
doch
gar
nicht
so
schlecht,
dachte
er
isch.
Wenn
er
noch
das
letzte
Merkmal
durchbringen
konnte,
hatte
er
es
geschafft.
Noch
15
Minuten.
Ein
Kinderspiel…
„Das
wichtigste
Merkmal
sind
die
Welt-‐
und
Gesellschaftsvorstellungen,
die
in
dem
Kulturraum
herrschen,
der
ein
Objekt
prägt
und
die
wir
für
den
deutschen
Kulturraum
definieren
wollen…“
„Wie
wollen
Sie
denn
deutsche
Gesellschaftvorstellungen
definieren?
Wie
kann
das
auf
etwas
anderes
hinauslaufen,
als
dass
wir
uns
im
Kreis
drehen
und
feststellen,
dass
die
deutschen
Vorstellungen
diejenigen
sind,
die
in
Deutschland
herrschen?“
Lars
lag
damit
eigentlich
richtig.
„Lars,
du
liegst
damit
falsch.
Natürlich
ist
die
Gefahr
eines
Zirkelschlusses
hier
groß.
Dennoch
lässt
sich
dieses
Merkmal
definieren.
Zunächst
mal
müssen
wir
die
Gesellschaftsvorstellungen,
die
in
den
Grenzen
der
Bundesrepublik
herrschen,
von
denen
der
Nachbarländer
abgrenzen.
Ganz
offensichtlich
unterscheiden
sich
diese
voneinander.“
Svenja
platzte
erneut
hinein:
„Warum
eigentlich
die
Grenzen
der
Bundesrepublik?
Was
ist
kulturellen
Eigenheiten,
die
sich
herausgebildet
haben,
als
die
DDR
noch
existierte
und
die
nun
an
die
Bundesrepublik
anexiert
wurden?
Was
ist
mit
ehemals
deutschen
Gebieten?
Sind
Königsberger
Klopse
noch
deutsch
oder
nicht
mehr?
Vermutlich
nicht.
Aber
kann
eine
deutsche
Eigenschaft
über
Nacht
durch
politische
Veränderungen,
die
Einfluss
auf
den
Grenzverlauf
haben,
zu
einer
solchen
werden
oder
diesen
Status
wieder
verlieren,
wie
es
in
den
von
mir
genannten
Beispielen
ja
dann
der
Fall
wäre?“
„Du
bringst
gute
Beispiele,
warum
der
Begriff
deutsch
so
schwer
zu
definieren
ist.
Wir
sollten
uns
jedoch
darauf
beschränken,
eine
Definition
dafür
zu
finden,
die
den
heutigen
Begriff
deutsch
umfasst.
Die
DDR
ist
sicherlich
ein
Sonderfall,
die
ich
auch
zu
Zeiten,
als
sie
noch
existiert
hat,
bereits
als
deutsch
bezeichnen
würde.
Letztlich
ist
eine
gewissen
Tradition
nötig,
damit
eine
Eigenschaft
deutsch
ist.
Auf
diese
können
wir
im
Fall
der
DDR
zurückblicken,
im
Hinblick
auf
die
Königsberger
Klopse
ist
diese
jedoch
dauerhaft
und
nachhaltig
durchbrochen.
Ähm,
ja.“
Wulfinger
war
nicht
sonderlich
glücklich
dem
Verlauf
der
Klausurbesprechung
und
er
konnte
kaum
noch
leugnen,
dass
er
sich
mit
einer
unlösbaren
Klausuraufgabe
in
eine
ausweglose
Situation
gebracht
hatte.
Die
Definition,
die
er
sich
auf
Grundlage
des
Lexikons
erstellt
hatte
und
die
er
eigentlich
als
Musterlösung
präsentieren
wollte,
wies
erheblich
Mängel
auf,
die
ihm
im
Vorfeld
nicht
aufgefallen
waren.
Vermutlich
hatte
ihn
die
Trennung
doch
mehr
mitgenommen
als
gedacht
und
seine
Fähigkeit
zum
logischen
Denken
getrübt.
Dennoch,
er
musste
da
jetzt
durchkommen.
Für
das
Eingeständnis
einer
Niederlage
war
er
sich
zu
stolz.
Noch
zehn
Minuten.
Er
beschloss
die
Flucht
nach
vorne.
„Also,
Tradition.
Kultur
hat
viel
mit
der
Geschichte
zu
tun,
aus
der
sie
entstanden
ist.
Deswegen
sollte
das
Merkmal
Kultur
folgendermaßen
erfasst
werden:
Die
Objekteigenschaft
ist
durch
Kultur-
und
Gesellschaftsvorstellungen
bestimmt,
die
Personen
hervorgebracht
haben,
deren
Eltern
bereits
in
den
Grenzen
der
heutigen
Bundesrepublik
aufgewachsen
sind.
Die
Bezug
darauf,
dass
die
Eltern
ebenfalls
in
der
Bundesrepublik
aufgewachsen
sein
sollten,
stellt
sicher,
dass
sich
diese
Kultureigenschaft
quasi
aus
einer
deutschen
Erfahrung
heraus
gebildet
hat.“
Was
redete
er
da?
Das
machte
doch
alles
keinen
Sinn!
Can,
ein
türkischstämmiger
Schüler,
zuckte
hektisch
mit
der
Hand.
„Herr
Wulfinger.
Was
wollen
sie
und
denn
damit
sagen?
Ist
nur
eine
Tugend,
die
sich
in
mehreren
Generationen
in
Deutschland
entwickelt
hat,
eine
gute
deutsche
Tugend?
Was
ist
mit
Kulturgütern,
die
zwar
nur
in
Deutschland
existieren
aber
von
Ausländern
hier
–
quasi
für
Deutschland
–
etabliert
wurden?
Zum
Beispiel
der
Döner?
In
der
Form
wie
wir
ihn
hier
kennen,
gab
es
ihn
in
der
Türkei
nicht.
Der
Döner
entstand
in
Berlin-‐Kreuzberg,
die
heute
überall
gebräuchliche
Drehmaschine
wird
in
Göttingen
gefertigt
und
weltweit
exportiert.
Also,
was
ist
der
Döner,
deutsch,
türkisch?
Ich
bin
in
Deutschland
geboren,
meine
Eltern
jedoch
erst
kurz
davor
hiergekommen.
Wenn
ich
das
Land
nun
mit
einer
Neuerung
präge
–
ist
das
dann
nicht
deutsch?
Klären
sie
uns
auf!“
Wulfinger
war
erstaunt,
dass
Can
sich
dafür
stark
machte,
mit
seiner
Person
gegebenenfalls
deutsche
statt
türkische
Kultur
zu
prägen.
Es
war
ein
gutes
Zeichen
für
den
fortschreitenden
Integrationsprozess
in
Deutschland,
jedoch
ein
schlechtes
Zeichen
für
seine
Argumentationskette.
Ihm
blieben
sieben
Minuten
Zeit,
diese
zu
retten.
„Ich
kann
dir
in
diesem
Punkt
nicht
Recht
geben,
Can.
Eine
Objekteigenschaft
kann
nicht
isoliert
von
einem
Individuum
allein
aufgebaut
werden.
Entscheidend
ist
immer
die
Interaktion
einer
oder
mehrerer
Personen
mit
möglichst
vielen
anderen
Personen
des
Kulturraumes,
um
die
Objekteigenschaft
als
ein
übergreifendes
Phänomen
zu
etablieren.
Der
Döner
entstand
zunächst
in
einer
eigenen
Subkultur.
Die
in
Deutschland
lebenden
Türken
haben
den
Döner
zunächst
für
sich
erschaffen.
Mit
der
zunehmenden
Verbreitung
des
Döners
in
Deutschland
kann
man
davon
sprechen,
dass
es
deutsch
ist,
eine
deutsche
Vorliebe
ist,
den
türkischen
Döner
im
dieser
Form
zu
essen“.
Can
rollte
mit
den
Augen,
einige
Schüler
schauten
Wulfinger
herausfordernd
an.
Unvermittelt
stand
Lars
auf
und
ging
zu
Tür,
ohne
den
Lehrer
eines
Blickes
zu
würdigen.
„Lars,
du
kannst
den
Raum
nicht
einfach
verlassen…“
„Ich
muss
mal
aufs
Klo.
Entschuldigen
sie
bitte.
Das
ist
wohl
erlaubt.“
Er
wandte
sich
ab
und
verließ
den
Raum,
drei
Minuten
vor
dem
Ende
der
Stunde.
„Also,
ja,
ich
will
euch
ein
Beispiel
nennen,
das
zeigt,
dass
gesellschaftliche
Gruppen
existieren,
die
in
kultureller
Hinsicht
nur
in
sich
Interagieren
und
damit
eigenständige
Kultur-‐
und
Gesellschaftsvorstellungen
entwickeln
oder
erhalten.
In
der
Ober-‐
und
Niederlausitz
um
Bautzen
und
Cottbus
lebt
eine
nationale
Minderheit,
ein
eigenes
Volk
mitten
in
Deutschland.
Die
Sorben
sind
ein
westslavisches
Volk,
das
eine
eigene
Sprache
spricht
und
eigene
Schulen
und
Kindergärten
betreibt,
um
die
eigene
Kultur
weiterleben
zu
lassen.
Da
sich
die
Sorben
jedoch
gerade
in
den
jüngeren
Generationen
kaum
gegen
die
Interaktion
mit
der
deutschen
Kultur,
in
die
sie
nun
einmal
leben,
verwehren
können,
fällt
der
Erhalt
des
sorbischen
Kulturguts
zunehmend
schwer,
wie
man
sich
vorstellen
kann.“
Einige
Schüler
begannen
zu
murmeln.
Gleich
mehrere
Handzeichen
waren
zu
sehen,
Wulfinger
seufzte
innerlich,
dachte
noch
einmal
an
die
Schwalbe
und
stellte
dann
sich
vor,
weit
weg
an
einem
einsamen
Strand
zu
liegen.
Er
deutete
Steffen,
zu
sprechen.
„Sie
widersprechen
sich
selbst.
Ihr
Kriterium
verlangt,
dass
die
Eltern
bereits
in
Deutschland
gelebt
haben
sollen.
Auch
die
Eltern
der
heutigen
Sorben
aus
ihrem
Beispiel
haben
bereits
hier
gelebt.
Somit
ist
die
sorbische
Kultur
deutsch.
Dieser
ganze
Definitionsquatsch,
diese
Klausur,
ihre
Herangehensweise,
das
geht
so
alles
nicht.
Ich
verlange,
dass
wir
die
Arbeit
einfach
als
nicht
geschehen
betrachten
und
wiederholen.
Ja,
lassen
sie
uns
das
Thema
mit
einem
Begriff
bearbeiten,
der
definierbar
ist,
der
als
Begriff
eindeutig
existiert!“
„Genau,
diese
Arbeit
war
reine
Schikane.“
Nena,
die
ihren
Platz
in
der
ersten
Reihe
hatte,
sprang
auf
und
schaute
Wulfinger
direkt
ins
Gesicht.
Nur
etwa
ein
halber
Meter
trennte
die
beiden.
Ihren
Augen
funkelten,
ihr
Gesichtsausdruck
war
zugleich
wissend
und
zutiefst
verärgert.
Höhnisch
fragte
sie
Wulfinger
direkt
ins
Gesicht:
„Unsere
Nationalhymne,
das
Deutschlandlied,
scheint
ja
wohl
das
Prädikat
deutsch
zu
verdienen,
wie
kein
anderes
Kulturgut.
Oder
was
meinen
Sie?“
Wulfinger
nickte
verunsichert.
„Die
Melodie
dieses
Lied
wurde
von
Joseph
Haydn
1797
komponiert.
War
Haydn
Deutscher?
Leider,
leider
nicht.
Haydn
wurde
an
der
österreichisch-‐ungarischen
Grenze
geboren
und
lebte
in
Wien.
Leider
ist
unsere
Hymne
also
gar
nicht
deutsch,
ihrer
Definition
zufolge.
Obendrein
hat
er
dafür
Teile
einer
kroatischen
Volksweise
übernommen.
Immerhin
stammt
der
Text
von
Hoffmann
von
Fallersleben
von
einem
Deutschen.
Schade
eigentlich
um
unsere
schöne
Hymne,
da
werden
wir
uns
wohl
demnächst
eine
neue
suchen
müssen,
wenn
diese
gar
nicht
so
richtig
deutsch
ist.“
Wulfinger
war
geschlagen.
Seine
„Disziplinarmaßnahme“
war
gescheitert,
die
Aufgabenstellung
gründlich
misslungen.