Mehr Wohlstand durch weniger Agrarfreihandel: Landwirtschaft und Globalisierung
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Der Wirtschaftswissenschaftler Mathias Binswanger räumt mit einem der Mythen der Handelslehre auf – dass nämlich Freihandel immer den Wohlstand vergrößert. Tatsächlich schafft Freihandel bei landwirtschaftlichen Produkten viele Verlierer und nur wenige Gewinner. Verlierer sind viele Bauern sowohl in den Industrie- als auch in den Entwicklungsländern, während sich einige Großbauern und ein paar internationale Konzerne zu den Gewinnern zählen dürfen. In den ärmsten Entwicklungsländern machen die Kleinbauern die Mehrheit der Bevölkerung aus. Deshalb sind diese Länder oft am stärksten von den negativen Folgen des Agrarfreihandels betroffen, obwohl sie gemäß Theorie am meisten profitieren sollten.Die politischen Schlussfolgerungen liegen für Binswanger auf der Hand: Zölle und Handelsbeschränkungen für landwirtschaftliche Produkte sind grundsätzlich gerechtfertigt und sinnvoll. Sie leisten einen Beitrag zu Lebensqualität und Wohlstand.
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Mehr Wohlstand durch weniger Agrarfreihandel - Mathias Binswanger
1.
WEIN GEGEN TUCH: DER HISTORISCHE HINTERGRUND DER THEORIE DER KOMPARATIVEN VORTEILE
Seit der Ökonom David Ricardo im Jahre 1817 erstmals seine Theorie der komparativen Vorteile veröffentlichte, gehört es in der Ökonomie zum »Standardwissen«, dass Freihandel grundsätzlich den Wohlstand vergrößert, während Handelsbarrieren wie Zölle oder Importbeschränkungen ihm abträglich sind. Würden wir nur in einer freien Welt ohne Handelsschranken und Subventionen leben, in der Güter und Dienstleistungen ungehindert von einem Land ins andere gelangen könnten, so wird uns gesagt, dann würde das Prinzip der Ausnutzung komparativer Vorteile dazu führen, dass (fast) alle Menschen weltweit in mehr Wohlstand leben könnten. Was verbirgt sich also hinter der Zauberformel des komparativen Vorteils?
Falls Sie es nicht wissen, dann befinden Sie sich in guter Gesellschaft. Viele Politiker und Wirtschaftsführer, die die Bedeutung von komparativen Vorteilen herausstreichen, wissen es auch nicht und verwechseln komparative mit absoluten Vorteilen. Das fällt jedoch nicht weiter auf, da wir uns inzwischen an solche Floskeln gewöhnt haben. Worum geht es also? Es braucht kein Genie, um einzusehen, dass es für ein Land wie Österreich vorteilhafter ist, Bananen von den Philippinen einzuführen, statt selbst Bananen in Gewächshäusern anzupflanzen. Umgekehrt zahlt es sich für die Philippinen aus, Wintersportdienstleistungen aus Österreich zu importieren (sprich in Österreich Ski zu fahren), statt selbst künstlich Schnee zu erzeugen und in klimatisierten Hallen Ski zu fahren. Die Philippinen sind Österreich in der Bananenproduktion absolut überlegen, während Österreich den Philippinen beim Wintersport einiges voraushat. In einem solchen Fall profitieren beide Länder vom gegenseitigen Handel, da jedes Land das produziert, was es aufgrund seiner geografischen Lage besser kann.
Doch Ricardos Theorie der komparativen Vorteile ist viel raffinierter. Er zeigte nämlich auf, dass zwei Länder sich auch dann auf die Produktion je eines Gutes spezialisieren sollten, wenn das eine Land beide Güter effizienter produzieren kann und somit bei beiden Gütern einen absoluten Vorteil besitzt. Bezug nehmend auf die damals wichtigen Handelsbeziehungen zwischen England und Portugal »bewies« er, dass es für beide Länder vorteilhafter sei, wenn Portugal sich auf den Weinanbau spezialisiert und England sich auf die Herstellung von Tuch konzentriert, obwohl die portugiesische Tuchindustrie der englischen gemäß Ricardos Analyse überlegen war. Dieses Beispiel bildete die Basis der Theorie der komparativen Vorteile, die bis heute dazu dient, den wirtschaftlichen Nutzen der Spezialisierung und des Freihandels sowie den volkswirtschaftlichen Schaden von Schutzzöllen zu demonstrieren. Grund genug, die Hintergründe dieses berühmten Beispiels einmal genauer zu durchleuchten.
Was mit dem Begriff »komparativer Vorteil« gemeint ist, lässt sich am besten verstehen, wenn wir für einen Moment die Länderebene verlassen und stattdessen einen Anwalt betrachten, der eine Schreibkraft anstellt, obwohl er selbst schneller und mit weniger Fehlern Briefe schreiben kann als diese. Trotzdem macht die Anstellung der Schreibkraft Sinn. Wenn der Anwalt seine Briefe nämlich selbst auf dem Computer eintippen würde, könnte er während dieser Zeit nicht an den Fällen arbeiten, mit denen er sein Geld verdient. Der Anwalt verzichtet deshalb darauf, selbst seine Briefe zu schreiben, weil die ihm dadurch entgehenden Anwaltshonorare höher sind als das Gehalt, das er der Schreibkraft bezahlen muss. Die Anwaltshonorare sind in diesem Fall die Opportunitätskosten des Briefeschreibens, das heißt, die Einnahmen, auf die er verzichten muss, wenn er selbst Briefe schreibt. Die Schreibkraft besitzt gegenüber dem Anwalt zwar einen absoluten Nachteil beim Briefeschreiben, aber einen komparativen Vorteil, denn ihre Opportunitätskosten sind geringer als die des Anwalts. Im Unterschied zum Anwalt könnte sie nämlich, wenn sie keine Briefe schriebe, keine Fälle bearbeiten und dafür ein Anwaltshonorar kassieren.
Wenn wir jetzt den Anwalt durch Portugal und die Schreibkraft durch England ersetzen und zusätzlich noch annehmen, dass die Schreibkraft zumindest theoretisch ebenfalls Anwaltstätigkeiten ausüben könnte, dann sind wir wieder beim Beispiel von Ricardo. Obwohl Portugal die effizientere Tuchindustrie besitzt, sollte es gemäß Ricardo auf die Tuchproduktion verzichten, und zwar wiederum wegen der Opportunitätskosten. Ricardo demonstrierte dies anhand des folgenden Zahlenbeispiels: In England braucht es hundert Arbeitsstunden, um eine Einheit Tuch (ein Ballen) herzustellen, und in Portugal neunzig Arbeitsstunden. Gleichzeitig brauchen