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Der Vorsitzende

Vortrag Twinning-Conference am 25. Juni 2004 in Berlin

Der langandauernde Kampf um die Rückerlangung von Eigentum

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

seit der Wiedervereinigung im Jahre 1990 hat Deutschland ein schwerwiegendes, ungelöstes
Eigentumsproblem mit langanhaltenden nachteiligen Auswirkungen auf Investitions- und
Rechtssicherheit in den neuen Bundesländern. Die Lösung dieses Problems ist deshalb so
schwierig, weil alle drei Staatsgewalten, die Bundesregierung, die Gesetzgebung und das
Bundesverfassungsgericht, den früheren Eigentümern die Rückgabe ihres Besitzes in den
neuen Bundesländern nahezu entschädigungslos verweigern, so dass nunmehr der
Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg aufgerufen ist, eine Entscheidung
zu treffen.

Es geht um die Rückerlangung früheren Eigentums vornehmlich an land- und


forstwirtschaftlichen Flächen in den neuen Bundesländern, welches in der Zeit nach dem 2.
Weltkrieg entschädigungslos konfisziert worden ist. Überwiegend, im Umfang von ca. 75%
ist es als sog. sozialistisches Volkseigentum dem Staatsfiskus zugefallen, der es nun unter
Übergehung der berechtigten Ansprüche früherer Eigentümer zu Gunsten der Staatskasse
privatisiert.

Erlauben Sie mir, einen Blick auf die Geschichte zu werfen:


Nachdem der 2. Weltkrieg für Deutschland verloren war und die sowjetische
Besatzungsmacht den Ostteil von Deutschland besetzt hatte, bereitete die kommunistische
Partei Deutschlands (KPD) nach dem Muster Lenins die sog. "demokratische Bodenreform"
vor. Sie erließ im September 1945 Bodenreformverordnungen, aufgrund derer sämtliche land-
und forstwirtschaftlichen Betriebe über 100 ha, das Industrievermögen, aber auch Tausende
kleinerer Betriebe, gewerbliche Unternehmen und Hausbesitze konfisziert wurden. Davon
betroffen waren ca. 2,3 Mio. ha land- und ca. 900.000 ha forstwirtschaftliche Flächen,
insgesamt ca. 3,2 Mio. ha.

Die Konfiskation erfolgte nach der Doktrin Lenins, der verkündet hatte: "Der größte geheime
Feind des Sozialismus ist der kleine Eigentümer. Erst enteignen wir die Großen und geben es

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Vorstand: RA u. Notar Albrecht Wendenburg, Vorsitzender; Geschäftsführer: Wolfgang v. Dallwitz
Bankverbindung : Bankhaus Hallbaum, Maier & Co., Hannover (BLZ 250 601 80) Kto.-Nr. 142 489
Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft der Grundbesitzerverbände

Bürozeit : 9.00 bis 13.00 Uhr


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den Kleinen. Dann enteignen wir die Kleinen und beseitigen das Eigentum. Man muss sie alle
zu Arbeitern machen!" Die Aktion wurde unter dem Schlagwort "Junkerland in Bauernhand"
durchgeführt, um zunächst die kleineren Bauern und die Massen für das Vorhaben zu
gewinnen. Die Konfiskationen gingen mit menschenrechtswidriger Vertreibung und
Verfolgung der Eigentümerfamilien einher. Dabei erlitten die enteigneten Bauern und
Gutsbesitzer ein schweres Schicksal. Hatten sie mit ihren Familien das Einrücken der Roten
Armee überlebt und waren auf ihre Höfe zurückgekehrt, so mussten sie erneut um Leib und
Leben bangen. Innerhalb weniger Stunden mussten sie ihren Besitz verlassen und wurden aus
ihrer Heimat vertrieben oder in Güterzügen zu zentralen Internierungslagern, z. B. auf die
Inseln Rügen und Hiddensee, verschleppt, wo viele an Hunger und Typhus starben. Viele von
ihnen wurden in deutsche Konzentrationslager verbracht, welche die deutschen Kommunisten
von den Nationalsozialisten übernommen hatten und fortbetrieben. Auch dort sind viele der
internierten Bodenreformopfer umgekommen.

Die zugunsten von sog. "Neusiedlern" aufgesiedelten Kleinflächen wurden an diese aber nicht
übereignet, sondern Ihnen lediglich als sog. "Arbeitseigentum" mit der Verpflichtung
übergeben, deren Bewirtschaftung zu gewährleisten. Es war absehbar – und, um sie alle zu
Arbeitern zu machen, auch gewollt – dass, die meisten von Ihnen die Bewirtschaftung
verstreut liegender Kleinstflächen wieder aufgeben mussten mit der Folge, dass diese in den
sozialistischen Bodenfonds zurückfielen und zu „sozialistischen Volkseigentum“ erklärt
wurden. Auf diesen Umstand ist zurückzuführen, dass 75 % der 3,2 Mio. ha land- und
forstwirtschaftlichen, s.Zt. konfiszierten Flächen in den neuen Bundesländern bis zur
Wiedervereinigung Deutschlands nicht zugunsten freier Bauern aufgesiedelt, sondern als
sozialistisches Volkseigentum im Besitz des Staatsfiskus noch vorhanden waren, so dass diese
eigentlich für eine Rückgabe an die früheren Eigentümer zur Verfügung standen.

Dass es dazu kommen würde, hatte nach dem Fall der Mauer im Jahre 1989 jedermann in Ost
und West erwartet. Denn die damals regierenden bürgerlichen Parteien aus CDU/CSU und
FDP hatten den Bodenreform-Opfern seit dem 2. Weltkrieg wiederholt versprochen, das ihnen
widerfahrene Unrecht wieder gut zu machen, wenn es dereinst zu einer Wiedervereinigung
Deutschlands kommen würde. Zudem hatte die erste frei gewählte Volkskammer der
ehemaligen DDR am 18. März 1990 entschieden, dem Geltungsbereich des Grundgesetzes
beizutreten, so dass jedermann – wie selbstverständlich – davon ausgehen konnte, nunmehr
würden rechtsstaatliche Verhältnisse auch in den neuen Bundesländern einkehren. Die
Arbeitsgemeinschaft der Grundbesitzerverbände hatte mit Hilfe von Gutachten frühzeitig
darauf hingewiesen, dass die Rückgabe konfiszierter Flächen aus dem Staatsbesitz
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unabdingbar und dass eine hohe Rückkehr- und Investitionsbereitschaft aus dem Kreise der
sog. "Alteigentümer" zu erwarten sei.

In der irrigen Annahme, bei den Bodenreformopfern handele es sich nur um einen zu
vernachlässigenden, geringen Anteil ihrer Wähler, hatte sich die Kohl-Regierung jedoch wider
Erwarten anders entschieden, obwohl mit dem Einigungsvertrag für alle außerhalb der Zeit
von 1945 bis 1949 der Grundsatz "Rückgabe vor Entschädigung" vereinbart wurde, - nämlich
für Opfer von Enteignungen aus der NS-Zeit von 1933-1945 und für Enteignungsopfer aus
den Jahren 1949-1989. Die relativ kleine Gruppe allerdings größerer Eigentümer, die Opfer
von Konfiskationen in den Jahren 1945-1949 geworden waren, wurden von diesem Grundsatz
ohne jede Rechtfertigung ausgenommen. Damit hat es folgende Bewandtnis:

Zunächst hatte man irrtümlich geglaubt, dass "sozialistische Volkseigentum" habe einen Wert
von zunächst 1,2 Billionen, bzw. später von 800 Milliarden DM. Dessen Privatisierung durch
die Treuhandanstalt werde dem Staatsfiskus Erlöse erbringen, mit Hilfe derer die Kosten der
Wiedervereinigung ohne Steuererhöhung finanziert werden könnten. Tatsächlich war dies ein
schwerer Trugschluss. Stattdessen hat die Treuhandanstalt bereits Mitte der 90er Jahre mit
einem Minus von 175 Milliarden DM abgeschlossen.

Eine weitere Motivation der Kohl-Regierung für den sog. "Restitutionsausschluss" zu Lasten
der Bodenreform-Opfer war der Blick auf die ersten gesamtdeutschen Wahlen, die Alt-
Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl mit Hilfe der (sozialistischen) Blockparteien von CDU und
LDPD in der ehemaligen DDR gewinnen wollte. Diese Parteien wurden von den Vorsitzenden
der früheren landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPGen) beherrscht, welche
im Falle einer Rückgabe der von ihnen bewirtschafteten Flächen an die wahren Eigentümer
befürchteten, sie würden ihre Macht auf dem Lande verlieren.

Die als "Alteigentümer" bezeichneten Bodenreform-Opfer hatten jedoch alsbald nach dem
Fall der Mauer unmissverständlich deutlich gemacht, sie wollten zwar in ihre angestammte
Heimat zurückkehren, aber unter gar keinen Umständen "neues Unrecht" bewirken. Aus
diesem Grunde haben sie den redlichen Erwerb, das Eigentum der Neusiedler und die
Nutzungsrechte der wirtschaftenden Pächter stets anerkannt. Dabei handelte es sich um
diejenigen Vermögenswerte, welche dem Staatsfiskus nicht zugefallen waren, immerhin um
25 % der konfiszierten Grundfläche. Außerdem war selbstverständlich, dass im Falle einer
Rückübertragung des Eigentums an die Bodenreformopfer der Bestand zu Gunsten der
wirtschaftenden Landwirte bestehenden und ggf. zu verlängernden Pachtverträge nicht
berührt werden würde. Denn nach deutschem Recht bricht Kauf nicht Miete. Vielmehr muss
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der neue Eigentümer bestehende Miet- und Pachtverhältnisse erfüllen. Die aus den LPGen
hervorgegangenen Nachfolgebetriebe hätten die Pacht danach lediglich statt an den Staat
nunmehr an die rechtmäßigen Eigentümer zahlen müssen. Ihre Rechte als Pächter wären aber
unberührt geblieben.

Die überwiegend noch sozialistisch geprägten Parteiführer in der Volkskammer der DDR von
PDS und SPD, insbesondere aber auch der letzte Ministerpräsident Lothar de Maizière
(CDU), schürten unter den ostdeutschen Menschen jedoch Verdrängungsängste und betrieben
Desinformation, indem sie Horrorszenarien an die Wand malten, beispielsweise 400.000
Landarbeiter würde arbeitslos werden, würde das Eigentum an die Bodenreform-Opfer
zurückgegeben. In Wahrheit waren die LPGen in Folge notwendiger Auflösung früherer
"Staatsbeschäftigung" in einer freien Marktwirtschaft ohne Rücksicht auf die
Eigentumsverhältnisse ohnehin gezwungen, sich von dem überwiegenden Teil ihrer
Arbeitskräfte zu trennen, - was auch ohne Rückgabe des Eigentums an die Bodenreform-
Opfer tatsächlich geschehen ist. In diesem politischen Umfeld entstand über die Parteigrenzen
hinweg zwischen Ost- und Westdeutschland schließlich ein Konsens darüber, die
Bodenreformopfer aus dem Grundsatz "Rückgabe vor Entschädigung" auszunehmen und sie
auf eine dereinst noch festzusetzende Minimalentschädigung zu verweisen.

Gegen die vorgesehene Diskriminierung der „Alteigentümer“ hat sich der von den
Mitgliedern bereits im Frühjahr 1990 gegründete Verband, die Arbeitsgemeinschaft für
Agrarfragen, von Anfang an gewehrt, nachdem die Absicht der Kohl-Regierung Anfang März
1990 bekannt geworden war. Auch in den Fraktionen von CDU/CSU und FDP hat es gegen
den "Restitutionsausschluss" massiven Widerstand gegeben, welcher in persönlichen
Protesterklärungen von 112 Bundestagsabgeordneten anlässlich der Beschlussfassung über
den Einigungsvertrag dokumentiert worden ist. Dort haben die Abgeordneten erklärt, sie
widersprächen der nach rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht hinnehmbaren Diskriminierung
der früheren Eigentümer. Sie haben wörtlich hinzugefügt: „Um die Wiedervereinigung
Deutschlands nicht zu gefährden, stimmen wir dennoch zu." Sie waren ersichtlich mit einer
unzutreffenden Behauptung der Kohl-Regierung getäuscht worden:

Um den Widerspruch zu brechen, aber auch um die Ungleichbehandlung der Bodenreform-


Opfer im Vergleich zu allen übrigen Betroffenen zu rechtfertigen, verlautete nämlich im
Sommer 1990, der sog. "Restitutionsausschluss" sei eine Vorbedingung der ehemaligen
Sowjetunion und der Regierung der DDR für ihre Zustimmung zur Wiedervereinigung
Deutschlands gewesen. Heute wissen wir, dass es sich dabei nur um einen Vorwand gehandelt
hat, der in Wahrheit nicht stimmt. Die ehemalige Sowjetunion hatte nämlich lediglich eine
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sog. "Indemnitätserklärung" gefordert, wie das abziehende Siegermächte nach Ende einer
Besatzungszeit gewohnheitsrechtlich immer tun. Dabei ging es um das Verbot, die
Rechtmäßigkeit der von ihr nach dem 2. Weltkrieg verantworteten Maßnahmen zu
überprüfen, sie nachträglich als nichtig zu behandeln und insgesamt rückgängig zu machen.
Die Siegermacht Sowjetunion wollte also wegen der unter ihrer Besatzungshoheit
verantworteten menschenrechtswidrigen Vertreibungen und völkerrechtswidriger
Konfiskationen nicht nachträglich vor den Kadi gestellt oder gar auf Schadensersatz in
Anspruch genommen werden. Sowohl Präsident Michail Gorbatschow als auch
Außenminister Eduard Schewardnadse haben vor laufender Kamera erklärt, um mehr sei es
nicht gegangen, der Sowjetunion sei gleichgültig gewesen, wie das souveräne,
wiedervereinigte Deutschland mit dem Eigentum verfährt, welches dem Staatsfiskus mit dem
Beitritt der ehemaligen DDR als ehemaliges „sozialistisches Volkseigentum“ zugefallen war.

In der DDR-Volkskammer hat es zwar eine Vielzahl von Stimmen gegeben, die auf einen
Machterhalt der LPGen sowie auf die stets anerkannten redlichen Erwerbe und
Nutzungsrechte gerichtet waren. Nach mir persönlich gegenüber abgegebenen Erklärungen
des DDR-Unterhändlers und damaligen Staatssekretärs Prof. Dr. Günther Krause und des
früheren Volkskammerabgeordneten und ersten Ministerpräsidenten des Landes Sachsen-
Anhalt, Dr. Gerd Gies, ging es der Volkskammer aber lediglich darum, neues Unrecht zu
vermeiden, also die redlichen Erwerber und die Neusiedler zu schützen, und zu gewährleisten,
dass in laufende Nutzungsverträge nicht eingegriffen werde, all das, worauf die früheren
Eigentümer von Anfang an immer verzichtet hatten. Von einer Vorbedingung der DDR-
Regierung kann aber keine Rede sein, zumal die "Abstimmung mit den Füßen" zwecks
Erlangung der D-Mark nach dem Fall der Mauer Mitte des Jahres 1990 derartige Ausmaße
angenommen hatte, dass Ministerpräsident Lothar de Maizière und Staatssekretär Prof. Dr.
Günther Krause eigens an den Urlaubsort von Bundeskanzler Kohl an den Wolfgangsee
geflogen waren, um den eigentlich erst für Dezember 1990 vorgesehenen Beitritt der DDR
auf den 03. Oktober 1990 vorzuziehen. Danach steht heute fest, dass die vorgebrachte
Rechtfertigung für den Restitutionsausschluss zu Lasten der Bodenreform-Opfer in Wahrheit
nicht gegeben war.

Ich habe über dieses Thema übrigens kürzlich ein Streitgespräch mit dem letzten
Ministerpräsidenten der DDR, Lothar de Maizière, geführt, welches am kommenden
Mittwoch, dem 30. Juni 2004 in der Zeit von 19.15 bis 20.00 Uhr im Deutschlandfunk
gesendet wird.
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Nachdem im Frühsommer 1990 absehbar war, dass die Diskriminierung der Bodenreform-
Opfer Gegenstand eines Verfassungsrechtsstreits werden würde, forderte de Maizière, den
Restitutionsausschluss „verfassungsfest" zu machen. In diesem Zusammenhang hatte der
damalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Prof. Dr. Roman Herzog federführende
Ausschüsse der Volkskammer der DDR am 04. Juli 1990 beraten und zu den
beitrittsbedingten verfassungsrechtlichen Fragen hilfreiche Ausführungen gemacht. Das
Ergebnisprotokoll dieser Volkskammerausschusssitzung liegt vor. Daraufhin ist mit dem
Einigungsvertrag, für den eine verfassungsändernde 2/3-Mehrheit zwanglos erwartet werden
konnte, zugleich eine Grundgesetzänderung erfolgt, durch welche der sog.
Restitutionsausschluss nunmehr Gegenstand unseres Grundgesetzes geworden ist, - eine
Verfassungsbestimmung, an welche das unter dem Vorsitz des Präsidenten des
Bundesverfassungsgerichts Prof. Dr. Roman Herzog tagende Bundesverfassungsgericht später
gebunden war:

Diese Mitwirkung an der Grundgesetzänderung hat Herzog aber nicht etwa bewogen, sich als
Richter als befangen abzulehnen oder den Anwälten wenigstens Gelegenheit zu geben, dies zu
tun. Vielmehr ist seine Hilfestellung bei der Verfassungsänderung im Dunkeln geblieben.
Dennoch war der unter seiner Leitung tagende 1. Senat des Bundesverfassungsgerichts
anlässlich der Verhandlung unserer Beschwerden zu der Auffassung gelangt, die
Diskriminierung der Bodenreform-Opfer müsse in Ansehung des Gleichheitssatzes
gerechtfertigt werden. Zu diesem Zweck hat es lediglich die von der Regierung gestellten
Zeugen vernommen - nicht aber Zeugen der Beschwerdeführer - und zwar Ministerpräsident
Lothar de Maizière, Bundesjustizminister Dr. Klaus Kinkel und Staatssekretär im
Auswärtigen Amt, Dr. Dieter Kastrup. Diese haben dem Bundesverfassungsgericht
wahrheitswidrig bestätigt, der Restitutionsausschluss zu Lasten der Bodenreform-Opfer sei
eine Vorbedingung sowohl der ehemaligen Sowjetunion als auch der ehemaligen DDR-
Regierung für ihre Zustimmung zur Wiedervereinigung Deutschlands gewesen. In Ansehung
des höherrangigen, durch das Grundgesetz vorgeschrieben Ziel der Wiedervereinigung
Deutschlands hat das Bundesverfassungsgericht die Diskriminierung der Bodenreform-Opfer
als gerechtfertigt angesehen.

Nachdem ausreichende Beweismittel dafür zur Verfügung standen, dass die Behauptung der
Bundesregierung nicht zutraf, hat die Arbeitsgemeinschaft für Agrarfragen in den Jahren 1993
- 1996 eine weitere Verfassungsbeschwerde auf den Weg gebracht und diesen Nachweis
geführt. Das Bundsverfassungsgericht hat diese Beschwerden im Jahr 1996 wider Erwarten
erneut zurückgewiesen. Dabei war es mit der überraschenden Auffassung hervor getreten,
anders als im Vorprozess, könne es nunmehr unentschieden bleiben, ob es eine solche
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Vorbedingung gegeben habe oder nicht. Entscheidend sei nur, ob die Bundesregierung bei den
Verhandlungen um die Wiedervereinigung auf Grund der ihr obliegenden Einschätzung
schuldlos annehmen durfte, die Wiedervereinigung Deutschlands sei ohne Hinnahme des
Restitutionsausschlusses nicht erreichbar gewesen. Dies hat das Bundesverfassungsgericht der
Bundesregierung attestiert, obwohl durch eine schriftliche Erklärung Gorbatschows vom 05.
Juli 1994 und durch Dokumente aus dem Auswärtigen Amt nachgewiesen worden ist, dass
über diese Frage gar nicht verhandelt worden war. Vielmehr ging es damals vornehmlich um
viel bedeutendere Fragen als um diejenige, an wen das ehemalige sozialistische
Volkseigentum zu privatisieren sei. Insbesondere ging es nach einer späteren Erklärung
Gorbatschows darum, ob das Gebiet der ehemaligen DDR, auf dem damals noch die
Sowjetarmee Besatzungsmacht war, künftig der NATO unterstellt werden könne.

Seit Beginn dieses Jahres liegt eine politikwissenschaftliche - mit summa cum laude
ausgezeichnete – Doktorarbeit vor, welche aufgrund umfänglicher wissenschaftlicher
Recherchen die ganze Wahrheit ans Licht gebracht hat: Danach liegt weder eine
Fehleinschätzung noch ein Irrtum der Bundesregierung über das vor, was s.Zt. von der
ehemaligen Sowjetunion und von der DDR-Volkskammer verlangt worden ist. Vielmehr
handelt es sich danach um eine von vornherein von der Bundesregierung erdachte
Rechtfertigung für die Ungleichbehandlung der Bodenreformopfer, ohne die deren
Diskriminierung vor dem Grundgesetz keinen Bestand hätte haben können. Dieser
Verfassungsskandal ist für die Betroffenen und für eine große Zahl rechtdenkender Menschen
in Deutschland vor allem auch deshalb nicht hinnehmbar, weil die Betroffenen in gleichem
Atemzug als angebliche "Nazi-Größen und Kriegstreiber" diffamiert werden, obwohl sie doch
Opfer menschenrechtswidriger Vertreibung gewesen sind, nur weil Sie Eigentum besaßen und
einer Bürgerschicht angehörten, die es nach der sozialistischen Maxime Lenins zu beseitigen
galt. So wird die Schuld des gesamten Deutschen Volkes am nationalsozialistischen Unrecht
und am 2. Weltkrieg einer Minderheit zugeschoben, aus deren Reihen - insbesondere der
deutschen Adelsfamilien -, mehr Widerstandskämpfer gegen die Nationalsozialisten aktiv
geworden sind, als aus anderen Bevölkerungsgruppen. Die Betroffenen werben um
Verständnis dafür, dass diese Diskriminierung rechtstaatlich nicht hinnehmbar ist und dass sie
sich diese Behandlung durch alle drei Staatsgewalten in Deutschland nicht gefallen lassen!

Hinzu kommt, dass die für sie vorgesehenen Ausgleichsleistungen derart minimal sind, dass
sie in der Regel lediglich zwischen 0 - 5% des Verkehrswertes liegen. Unbestritten hat weder
die Sowjetunion noch die ehemalige DDR bezüglich der Höhe der Ausgleichsleistungen für
die vom Restitutionsausschluss Betroffenen keinerlei Wünsche oder gar Vorbedingungen
geäußert oder gar gestellt. Deshalb hat die Arbeitsgemeinschaft für Agrarfragen in einer
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weiteren Verfassungsbeschwerde die Minimalisierung der Entschädigungen und damit die


Ungleichbehandlung zu dem großen Kreis der restitutionsberechtigten
Enteignungsbetroffenen aus den Jahren 1933-1945 und 1949 - 1989 gerügt, die nach dem
Grundsatz „Rückgabe vor Entschädigung“ den vollen Verkehrswert ihres früheren Eigentums
erhalten. Die zwischen beiden Gruppen klaffende "Wertschere" war Gegenstand einer
Verfassungsbeschwerde. Das Bundesverfassungsgericht hat aber auch diese Beschwerde am
22. November 2000 zurückgewiesen, allerdings lediglich mit einer "Mehrheit" von 4:4.

Gegen dieses Verfassungsgerichtsurteil hat die Arbeitsgemeinschaft für Agrarfragen im Jahr


2001 schließlich den Europäische Gerichtshof für Menschenrechte angerufen. Dieser Weg
war notwendig, weil vor den nationalen Instanzen Deutschlands, weder in der Regierung noch
im Parlament, noch vor dem Bundesverfassungsgericht Mehrheiten für eine Beseitigung der
Diskriminierung der Bodenreformopfer zu finden sind. Der Europäische Gerichtshof für
Menschenrechte hat die Beschwerden bereits im Jahre 2002 aufgegriffen und über sie vor der
sog. Kleinen Kammer am 29. Januar 2004 mündlich verhandelt. Der Gerichtshof hat die
Beschwerden offenbar als aussichtsreich angesehen und sie dem Plenum des Gerichtshofs, der
sog. Großen Kammer überantwortet. Diese hat unsere Beschwerden sogleich behandelt und
bereits für Mittwoch, den 22. September 2004 eine mündliche Verhandlung in Straßburg
anberaumt.

Die Weichen für den Ausgang dieser Beschwerden sind günstig gestellt, nachdem der
Gerichtshof erst in der vergangenen Woche eine positive Entscheidung zugunsten polnischer
Vertreibungsopfer getroffen hat. Die Bundesregierung muss seitdem ernsthaft damit rechnen,
vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt zu werden, gegen die
Europäische Menschenrechtskommission verstoßen zu haben. Ein solches Urteil des
Gerichtshofes führt zwar nicht zu einer direkten Rückgabe früheren Eigentums, welches - bis
auf ca. 1 Mio. ha Land und 150.000 ha Forst - teilweise bereits privatisiert worden ist.

Der Gerichtshof könnte aber zu der Erkenntnis gelangen, die berechtigte Erwartung der
Konfiskationsopfer auf Rückgabe habe diesen nach der Wiedervereinigung Deutschlands
nicht entschädigungslos wieder entzogen werden dürfen. Dafür müsse vielmehr eine
angemessene Kompensation geleistet werden. Ein solches Urteil müsste anschließend vom
bundesdeutschen Gesetzgeber umgesetzt werden. Darauf setzen wir unsere Hoffnung. Um
den Steuerbürger mit unverhältnismäßigen Entschädigungszahlungen nicht zu belasten,
könnte der Staatsfiskus das noch in seiner Verfügungsmasse verbliebene Konfiskationsgut
zurückgeben und die aus bereits erfolgten Verkäufen erzielten Erlöse an die Bodenreform-
Opfer auskehren. Auf diese Weise könnte es mittelbar, zu einem zumindest teilweisen
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Rückerwerb des früheren Eigentums kommen. Viele der Betroffenen, die bereits auf eigenes
Risiko in ihre angestammte Heimat zurückgekehrt sind, dort Flächen erworben oder gepachtet
haben, könnten auf diese Weise ihre wirtschaftliche Basis verstärken. Andere könnten zum
Wohle des Wiederaufbaus mit Investitionsbereitschaft in die neuen Bundesländer
zurückkehren und langfristig zu vernünftigen, gewachsenen Eigentumsstrukturen auch dort
beitragen. In diesem Sinne sehen wir der mündlichen Verhandlung vor dem Europäischen
Gerichtshof für Menschenrechte am 22. September 2004 mit Hoffnung entgegen. Ich würde
mich freuen, wenn Sie die Entwicklung verfolgen und sie in ihren Ländern positiv begleiten
würden.

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