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Interkulturalität ist mehr ...

UNIQUE Jena

Apr. ‘09
47
9. Jahrgang | ISSN: 11612-2267 | weiterlesen: www.unique-online.de | selberschreiben: uniqueredaktion@gmx.de

++ bolo’bolo ++ Hamas ++ San Francisco ++ Weltverbesserer-ABC ++ Amoklauf ++ Vanuatu ++


Heile Welt
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Inhalt Liebe Leserinnen
Seite 5 Happy Vanuatu - Inseln der Glückseligen?
und Leser,
Heile Welt Seite 6-8 Das Weltverbesserer-ABC
Seite 8 Jena, das Inzestdorf lange haben wir sie gesucht,
Seite 9 2x bolo: Die Dezentralisierungsutopie d. P.M. sie erforscht und versucht, ihr
Geheimnis zu ergründen …
Seite 10/11 Interview : Prof. Dreyer zu Utopien
und sie dann wohl doch nicht
gefunden. Der Morgen bricht
an, die Flaschen sind leer, hin-
ter den doppelten Fenstern der
Seite 12 Gewinnspiel : Freikarten für den Schillerhof Redaktion zeichnet sich weiter-
Kultur

hin die altvertraute Silhouette


Film : Nur ein Sommer Jenas ab. Haben wir sie längst
Soundtracks, die Filme retten ... gefunden, die heile Welt, hier
zwischen deutschbewaldeten
CampusRadioCharts: Anna vs. Uli King
Seite 13 �������������������
Muschelkalkhängen? Zweifel
Seite 14 Philosophique: Konstruktivismus sind angebracht!
Seite 15 CampusTV-Kolumne: POPulär und KULTur
Fahrig, auf der Suche nach
kleinsten Fehlern und letzten
Unachtsamkeiten, gleitet flink
die Maus über den Tisch, wäh-
Seite 15 ACOTO-Kolumne: Europa ist in uns rend sich Nazis, Plattenbaupar-
zellierte und Inzestopfer auf
Weltweit

Seite 16/17 Städtebericht: San Francisco


zerwühlten Nachtlagern wäl-
Seite 18 EU-Wahl ohne Wahlvolk zen, rastlos von einer besseren
Welt träumend. Die Nacht ge-
Seite 19 Eine Legende aus Äthiopien biert Illusionen und Utopien,
Seite 20-22 Interview: Khalid Amayreh über die Hamas die geladene Waffen zerschie-
ßen. Wer schreibt eigentlich
den Soundtrack des Lebens,
der uns alle in entspannte Zu-
friedenheit entließe? Nicht
Seite 23 Alle Jahre wieder ... Amoklauf Gott, nicht Morus, auch der
Zuhause

Seite 24 Portrait: Nan aus Harbin edle Wilde nicht. So bleiben


am Ende doch nur wir.
Seite 25 Kontaktion: Til & Tung

Sozial Aktiv: refugio thüringen e.V. Und dann, ganz kurz, verstum-
men sie doch, die ewigen De-
Seite 26/27 Die Normannia feiert Geburtstag batten und Polemiken. Die
Seite 28 Das Ende des Besetzten Hauses Erfurt Linie stimmt, die Kontur wird
erkennbar. Heile Welt gerinnt in
32 Seiten glänzenden Papiers.
Selbstvergessen sinke nun nie-
der, den flüchtigen Augenblick
Titelbild Heile Welt von bergi
Und Sonst?

zu genießen!
Seite 4 Rückblique: Ihr habt schlichtweg keine Ahnung!

Seite 27 Impressum
Seite 29 Die andere Meinung: Ja zu Studiengebühren!
Viel Spass
Warum hört man eigentlich ... Nichts mehr von Ronald Schill und Wonne
Seite 30 Glosse: Wohnen in der Platte wuenscht die
Seite 31 Int.Ro-Veranstaltungskalender UNIQUE-Redaktion
Glanzlichter

Rückseite UNIQUE-Pinnwand
Seitenzahlen Barcode
3
Und Sonst

Rückblique
"Dieser Artikel (...) zeigt mir deutlich auf, dass ihr von
manchen Dingen, über die ihr schreibt, schlichtweg
keine Ahnung habt."
Leser Tobi K. zum Artikel "Das letzte Geleit" in UNIQUE 46

Zum „Medien“-Leitartikel Zum „Medien“-Leitartikel schreibt, schlichtweg keine vom Freihafen-Magazin aus
in UNIQUE 46 in UNIQUE 46 Ahnung habt. Christoph, wie Hamburg!"
von Steffi Kirstenpfad von Karl Nassauer könntest du sonst ernsthaft
"Nach dem ganzen Wirbel um "Vielleicht sollte man auch die das DFB-Pokalspiel gegen Zu den „Problem-Inter-
die letzte Ausgabe setzt ihr Lehrbücher an der Uni ein- Schalke mit dem Abschieds- views“ in UNIQUE 45 & 46
nun leider mit diesem Artikel fach mal wegschmeißen!? Vor konzert einer großen Band von Dr. Gregor Schwirtz
den ‚schlechten Journalismus‘ allem, wenn sie (…) womög- vergleichen? Dass der FCC "Wenn es wirklich nur ‚Klei-
fort. Er ist formal lich eine Unterscheidung von freilich bessere Zeiten erlebt nigkeiten‘ wären, die einem
und in- guten und schlechten Medien hat, steht ja völlig außer Fra- Frieden im Nahen Osten im
evozieren. Ist es wirklich noch ge. Aber indirekt aktuelles Wege stehen, dann hätte der
so viel, was eine Ta- Ansehen und die Größe eines Interviewer fragen sollen, wie
gesschau Vereins auf seine derzeitige Herr Rabinowitsch sich die Je-
Im A v o n Liga zu beschränken, zeugt rusalem-Lösung vorstellt, wie
rtike
die J l“
ugen Das hei einer meiner Meinung nach von er zur Siedlungspolitik steht
die N dzeit ße E
a s ise Bild-Zei- einem kommerzvergifteten, und zur Rückkehrmöglichkeit
“Köp zi-Kontr chrift “S n” beric tung un- oberflächlichen Verständnis der arabischen Flüchtlinge aus
fe so over p i e sse h t e t
listisc lle se
he V n rollen in UNIQ r” über terschei- von Fußball. (…) Genau die den Lagern rings um Israel,
haup ergeh für d UE 4
tu e 5: det? Den von dir wohl als wehmuts- zum Nichtreagieren der israeli-
tervie ngen üb n, unrec ieses jou
ws w er di h e rc hi r n a - b lödesten volle Erinnerung empfun- schen Regierungen auf UN-Re-
radik e e
ale In rden ver Entstehu erte Be- Nachrichten- dene Nostalgie ist doch das solutionen. Überhaupt kommt
Lynch t ernet ö ffentl n g de
u s ic s
auf. ( ng der ve eiten rufe ht und l In- satz bringen Kernstück einer Verbunden- es wohl bei problematischen
...) Un rantw n reg inks- sie beide: ‚Heu- heit mit einem Verein: Es ist Interviews immer auf die Fra-
wied d so ortlic elrech
er w h t
richte verstärkt ird in näc en Redakt zur te wieder ein Tradition! (…) Dass Erfolge gestellungen an. Das gilt auch
t.” über h e
das M ster Zeit ure Selbstmordat- mit dem Altern der damals für das umstrittene Interview
ensa w
-Esse ohl tentat, es gab Beteiligten verblassen, kann mit dem NPD-Mann im Heft
n be - über 50 Tote.‘ man (…) nur
men-
Was bitte fange bei einer ober- erse kom
ich mit solch einer flächlichen Be- d ie N a zi-Kontrov u n te r "Der
E benfalls tö ru n g sm elder"
halt- Nachricht an, liebe trachtung fest- EIT-S
tiert der "Z l!? Mit
lich absolut un- Psycholog(inn)en stellen. (…) Es
ande re W e g ": ein Skanda
tragbar. Das, was ihr verfasst und Kommunikati- ist doch noch ch m it ei nem Nazi, en W ochen
“Ein Gesprä nächst
habt, ist kein journalistisch gut o n s - wissenschaftler? Diese lange nicht g e so llt en sich in den n , sp ä te r der
dieser Fr a sc hulmedie
aufbereiteter Artikel, sondern ständige Ausflucht in die Wis- gesagt, dass der en H o ch
rz der Ver fas-
erst die an m En d e sogar ku ie w so ll-
ein Kommentar (vielleicht soll- senschaft, als sei sie das Ora- glorreichere d a rv
Landtag u
n
(. ..) M it dem Inte
te es auch eine Glosse werden). kel von Delphi, allwissend und Zeiten nicht befass en . wer .d en
sungsschutz a n d er er W eg gegangen ihren
Diese Form müsste dann aber wertfrei … Sie wird genauso wiederkommen
te ein neuer
, ein beinahe
auch als solche ausgewiesen wie die Massenmedien, aber können. (…) tt e es d ie Redakteure
ä
Am Ende h
werden – was ihr nicht tut. In was ist das Gegenstück? Ein- Wer die Oberli- stet.”
Posten geko
einen Artikel gehört nämlich zelmedien oder der diskrimi- ga-Zeit (mit teil-
eine eigene Meinung nicht nierende Begriff Qualitätsme- weise gerade 2.000
hinein. Hierbei sollten sich dium? Beide werden ebenfalls Zuschauern) verfolgt
Journalisten (die ihr ja sein von Menschen betrieben und hat, weiß, dass der
wollt) mit ihrer Meinung voll- die sind – so einfach es klingt tiefste Punkt des Tals durch- 45 von UNIQUE. Sind die Fra-
kommen zurücknehmen und – eben Menschen, keine Ob- schritten ist. (…) In diesem gen so formuliert, dass der In-
andere Experten und Fakten jekte." Sinne: Forza FCC!" terviewte mit den Antworten
sprechen lassen. Also bitte: die eigentlichen Knackpunkte
Schaut einfach mal in ein Buch Zu „Das letzte Geleit“ in Zum „Nazi-Interview“ in ohne Schwierigkeiten umge-
zur Einführung des Journalis- UNIQUE 46 UNIQUE 45 hen kann, dann könnte man
mus, damit so was nicht noch von Tobi Krawuttke von Sebastian Olényi auf das ganze Interview gut
mal passiert. (…)" "Dieser Artikel (...) zeigt mir "Mittelmäßiges Interview, und gerne verzichten."
deutlich auf, dass ihr von coole Stellungnahme, geiles
manchen Dingen, über die ihr Studentenmedium. Grüße


Happy Vanuatu – Inseln der Glücksseligen?

HeilE WELT
Ein Staat ohne Armee, dessen Nationalhymne mit „Wir, wir, wir sind glücklich!“ beginnt.
Eine Bevölkerung, die Bungee-Jumping („Naghol“) als eine Art Nationalsport betreibt
und sich mit Rauschpfeffer-Sud („Kava-Kava“) rituell entspannt – in Vanuatu im Südpa-
zifik leben die glücklichsten Menschen der Welt! Das zumindest behauptet eine 2006
von der Londonder „New Economics Foundation“ veröffentlichte Studie, der „Happy
Planet Index“ (HPI). Vanuatu landete dort auf Rang 1, Deutschland nur auf Platz 81.

von Luth Vanuatu taucht in den Medien meist Land seit Jahren am Tropf der Welt-
nur im Zusammenhang mit exotischen bank hängt, traditionelle Männerbünde
Mehrfach versuchten Wissenschaftler oder kuriosen Nachrichten auf. Die In- bis heute den Alltag bestimmen und
zuletzt, das subjektive Glücksempfin- ternet-Tauschbörse „KaZaA“ hatte ihren Frauen als „Besitz“ gelten. 77 Prozent
den von Menschen verschiedener Staa- Sitz auf Vanuatu, bis sie 2006 zu vielen aller Ni-Vanuatus leben auf dem Land,
ten zu messen, um ihre Ergebnisse dann Millionen Dollar Strafe verurteilt wurde. weitgehend von Subsistenzwirtschaft.
in die Form anschaulicher Ranglisten zu Bekannt bei Internetusern sind auch die Die Fischereierträge sinken aufgrund
gießen. Etwa zeitgleich mit dem HPI, kostenlosen de.vu-Domains, mit deren hochgerüsteter ausländischer Fangflot-
der neben Lebenserwartung und sub- Verkauf Vanuatu angeblich über 42 Mil- ten seit Jahren dramatisch. Die Lebens-
jektiver Zufriedenheit erstmals den Pro- lionen Euro verdiente. Bis 2003 galt die erwartung in Vanuatu liegt bei etwa 64
Kopf-Ressourcenverbrauch der jewei- Hauptstadt Port Vila als einer der füh- Jahren, das ist weltweit der 170. Platz.
ligen Bevölkerung mitberücksichtigte, renden Offshore-Finanzplätze im pazi- Nicht erst seit der Veröffentlichung
veröffentliche die britische University fischen Raum, man könnte auch sagen: des „Happy Planet Index“ berichten
of Leicester den „Satisfaction with Life als Geldwäscheparadies und Steueroa- deutsche Medien trotzdem lieber über
Index”, von dankbaren deutschen Medi- se. Erst dann strich die OECD Vanuatu traumhafte Südseestrände, „edle Wil-
envertretern sogleich in„Welt- de“ und „authentischen“
karte des Glücks” umgetauft. Traditionen – letztere sind
Als Indikatoren flossen dort inzwischen längst zur kit-
u.a. subjektive Zufriedenheit, schigen Touristenfolklo-
Statistiken aus dem Gesund- re verkommen. Oder sie
heitswesen, das Pro-Kopf- missbrauchen Vanuatu als
Einkommen und der Zugang Vehikel für dümmliche An-
zu elementarer Bildung in die ekdoten und stürzen sich
Bewertung ein. Dänemark bemüht verständnisvoll
belegte den 1. Rang, Vanuatu auf vanuatuische Olympia-
landete relativ abgeschlagen teilnehmerinnen (in Peking
auf Platz 24. Der „Human De- 2008 belegte Elis Lapenmal
velopment Index“ des UN- im 100-Meter-Lauf erwar-
Entwicklungsprogramms von tungsgemäß den letzten
2007/08 führt den Inselstaat Platz), die FIFA-Weltrang-
sogar nur auf Rang 120 – dort liste (Vanuatu: Rang 143),
machte Island das Rennen. Und? Welches Problem hast Du? Sinnlosmeldungen über
Wer hat nun recht? Sind die (Foto: Flickr, User 'thmcmahon') eine „Biskuitkrise“ zwischen
Ni-Vanuatus tatsächlich die den Fidschi-Inseln und Va-
glücklichsten Menschen der Welt? wieder von ihrer Schwarzen Liste. Zu nuatu oder – im Jahre 2001 – auf die
Um es kurz zu machen: Jein! Winston den sonstigen Vanuatu-News-Klassi- angeblich Ängste der Ni-Vanuatus vor
Churchill bemerkte einst spöttisch: „Ich kern gehören Vulkanausbrüche, Erd- einem Absturz der sowjetischen Raum-
glaube keiner Statistik, die ich nicht und Seebeben, Wirbelstürme (allesamt station „Mir“ auf eines ihrer Eilande. An
selbst gefälscht habe!“ Lässt sich eine sehr häufig), Haiangriffe, Atomwaffen- Schwachsinn und Arroganz ist das oft
derart subjektive, individuelle Empfin- tests auf benachbarten Pazifikinseln kaum noch zu überbieten.
dung wie Glück überhaupt messen? und illegale Giftmüllentsorgung (alles Die simple Rechnung „arm und exo-
Und entspringt es nicht der Tradition eher selten). Das in Zukunft mit Abstand tisch = glücklich und zufrieden“, die
eines unkritischen Exotismus’ und der existenziellste Problem Vanuatus dürfte von wichtigtuerischen Indices und zu
eurozentristischen Südseeromantik des allerdings – trotz vieler Skeptiker dieser Simplifizierung neigenden Medien gern
späten 18. Jahrhunderts, wenn wir die Theorie – der Klimawandel sein. kolportiert wird, geht daher kaum auf.
Lebensumstände in Vanuatu gern in Kaum bekannt ist hierzulande, dass Vieles spricht dafür, dass die Ni-Vanua-
einem etwas milderen Licht betrachten? Vanuatus politische Klasse hoffnungs- tus genauso glücklich und unglücklich
Wie immer lohnt sich ein Blick hinter die los korrupt ist, die Regierungen noch sind wie wir – sie haben schlicht andere
Kulissen … häufiger wechseln als in Italien, das Probleme.


In 26 Buchstaben
Heile Welt

B
iogemüse: Als „Antwort auf die und sogar -Kaffee in der Cafeteria am
dringendsten Fragen des 21. Jahr- EAP. 1,4 Millionen Bauern, so die F.-
hunderts“ bezeichnete Renate Dachorganisation FLO, profitieren heute
Künast einst antibiotika-, kunstdün- von Produkten, deren Preise nicht von
ger- und pestizidfreie Jonagolds, Aga- Weltbank und Nestlé diktiert werden,
tas und Hybridhühner. Zwar blieben sondern sich an der wirtschaftlichen
von fabik, bergi & Luth Studien über den Zusammenhang von Lebensfähigkeit der Produzenten orien-
ungespritzten Äpfeln und „dringenden tieren. Schön!

N
Fragen“ wie Hunger, Klimaerwärmung

G
eulich in der Redakti- oder Krieg bisher aus, doch räumte Kün- läubig werden: Sei es der Mes-
on: Die jährliche G8- asts ehemaliges Ministerium mittlerwei- sias, der unvermeidbare Unter-
Demo steigt. Till er- le ein, es bestehe „kein gesundheitlicher gang des Kapitalismus oder der
Unterschied zwischen normaler und Zerfall der letzten Supermacht, welcher
richtet im guten Glauben an Biokost.“ die Welt retten werde – Fatalisten sind
das Böse die erste Barrikade, sich sicher, dass die heile Welt nur eine
und schon moniert Lutz G.
C
landestine Insurgent Rebel Frage der Zeit ist. Das Gute daran: Man
Clown Army (CIRCA): Im Prinzip hat den ganzen Tag frei und macht auch
die seltenen Tropenhölzer, kein eigenes Weltverbesserungs- ansonsten nichts falsch. Schlecht: Was,
die für die Europalette abge- mittel, ergänzen die lustigen Demo- wenn Marx’ und Jesu Prophezeiungen
holzt werden mussten. Ralf Clowns mit ihren Puscheln, Spritz- oder das UFO doch nicht eintreffen?
pistolen und Klamaukstücken doch
steckt alles in Brand und zieht trotzdem den nächsten Eintrag (> De-

H
so den Unmut von Heike („Du monstrationen) und rufen Polizisten äuser besetzen: Für die einen
verbrennst Recyclebares!“) und Demonstranten ab und zu wieder eine Möglichkeit, ein Dach über
ins Gedächtnis, dass hinter Kaputzen dem Kopf zu haben, für andere
und Sebastian („Denk an das und Plexiglasvisieren auch ein Mensch die Möglichkeit, sich zu vernetzen, ein
CO2!“) auf sich. Claudia ver- steckt. Grundstück vor dem Abriss zu retten,
sucht, den Brand zu löschen, Kunst- und Kulturnischen zu schaffen

D
emonstrationen: Dass es in oder politischen Unmut auszudrücken
wird aber von Christoph Deutschland keine Revolution (> Aussteigen). Hat man Glück, darf man
(„So eine Wasserverschwen- geben wird, da man dazu den bleiben. Oder man wird mit Kreissägen
dung!“) aufgehalten. Sarkozy Rasen betreten müsste, wusste schon losgeschnitten, um daran erinnert zu
Stalin. Tun wir es dann doch, vergessen werden, in welcher Welt man lebt.
ist mittlerweile ungehindert wir allzu schnell unser eigentliches Ziel,
per Hubschrauber gelandet. empören uns über schubsende Bullen
Damit ihr beim nächsten G8-
I
und stilisieren jede 5er-Sitzgruppe zum mmer freundlich bleiben: Alterna-
letzten antifaschistischen Bollwerk. tive zu > Jammern. Wie viele Kriege
Gipfel besser gerüstet seid als Trotzdem: D. schaffen viel Öffentlichkeit hätten verhindert werden können,
wir, bieten wir euch hier einen und machen Spaß! wären alle Menschen ein wenig gelas-
kleinen Ratgeber der gängigs- sener und freundlicher zueinander. Als

E
ntwicklungshilfe: Eurozentris- Chruschtschow in einer UNO-Versamm-
ten Weltverbesserungsmög- mus, rein auf Ökonomie fixierte lung im September 1960 wütend mit
lichkeiten. Hilfe und politische Instrumentali- seinem Schuh auf den Tisch hämmerte,
sierung – es gibt viele Vorurteile gegen betrachteten das die USA auch nicht
den Berufsstand mit einer der höchsten gerade als freundlichen Akt – trotzdem
Alkoholikerquoten. Doch selbst wenn E. kam es ein Jahr später nicht zum Krieg.
nichts an den systemischen Ungleich-

A
ussteigen: Während man sich in heiten in der Welt ändert, schafft sie

J
der Freistadt Christiana oder im doch nicht nur Brunnen, sondern ist ammern ist Grundkonsens jedes
Ökodorf Sieben Linden über die auch eine der wenigen Möglichkeiten, deutschen Stammtisches und so et-
eigene Autonomie und vorbildliche Le- Weltverbesserung im Vollzeitjob zu be- was wie der Kern der ostdeutschen
bensweise freut, verweisen Zurückge- treiben. Volksseele, hat aber noch nie etwas ge-
bliebene auf Strom und Weichspüler, die bracht! Na ja fast, irgendwann steht viel-

F
noch immer aus der kommerzialisierten airtrade: Es begann in den leicht auch der apathischste Phlegmati-
Warenwelt kommen. Letztere geht nun 1950ern mit Jutehandarbeiten in ker mal auf, weil er das Gejammer der
auch ganz ohne Aussteiger zugrunde. verrauchten Dritte-Welt-Läden. Gardinenomas um ihn herum satt hat.
Heute gibt es F.-Cafes, -Städte, -Siegel


zur heilen Welt

Heile Welt
lich auch nicht freiwillig in Stücke zer-
sägt, wurde es doch – wie alle Produkte
aus regionalem Anbau – gegenüber au-
ßereuropäischen Borstenviechern mit
staatlichen Milliarden konkurrenzlos bil-
lig gemacht. Dies, so der UN-Sonderbe-
richterstatter für das Recht auf Nahrung,
sei einer der Hauptgründe für Hunger in
der Welt. Lediglich sein geringer Kero-
die nicht geringe Gefahr, schon beim sinverbrauch rettet dem R. einen Punkt.

K
onsumverweigerung: Einfach > Jammern stehen zu bleiben oder sich
nur am alljährlichen „Kauf-Nix- im YouTube-Zeitgeistdschungel des

S
Tag“ Ende November mitzuma- „9/11-Truth-Movement“ zu verlaufen. penden: Solange die monetäre
chen, reicht natürlich nicht aus. Wer Weltversklavung noch nicht über-
aber erstmal erkannt hat, wie ange- wunden ist, brauchen auch pro-

P
nehm ein bescheideneres Leben ohne atenkind: „Mit nur 83 Cent pro fessionelle Weltverbesserer stets ausrei-
einen Großteil völlig sinnloser Konsum- Tag einem Kind, seiner Familie chend finanziellen Nachschub. Insofern
zwänge ist und wie viel Freiraum mehr und dem ganzen Dorf helfen!“, der S.-Adressat nicht einen Namen trägt
man im Oberstübchen plötzlich für heißt es z.B. bei World Vision, „Paten- wie „Verein zur Bewahrung des Och-
eigenständiges Denken zur Verfügung schaften verursachen einen riesigen senfroscherbes im Braunkohlebergbau
hat, wird automatisch zum überzeugten Verwaltungsaufwand, erzeugen Neid Oberpfälzer Seenland“, bewirkt ein S.-
Konsumverweigerer. und setzen sich nicht mit den Ursachen Dauerauftrag müheloses und regelmä-
der Not auseinander“, dagegen bei Ter- ßiges Gutmenschentum im Weltverbes-

L
okalwährungen: Die auch Regi- re des Femmes. Auch wenn die kleinen serungs-Abo. Dafür, dass das Geld nicht
ogeld genannten L. entstanden schwarzen Kinder mit Hundeblick ein doch in der Oberpfalz ankommt, bürgt
vielfach aus der Antiglobalisie- probates Mittel bleiben, um chronisch das Spendensiegel des DZI.
rungsbewegung heraus, sollen regio- Weltverbesserungsunwilligen doch ein
nale Wirtschaftskreisläufe stabilisieren paar Euro aus dem Gewissen zu leiern,

T
helfen und so nachhaltiges Wirtschaften ist einfaches > Spenden zu bevorzugen. errorismus: Obwohl nicht all-
fördern – die Wertschöpfung bleibt im gemein als Weltverbesserungs-
Lande. Wenn eine Währung nur regional methode anerkannt, erzeugen

Q
gültig ist, kann man damit eben nur Eier uerfront: Um die revolutionäre einstürzende Hochhäuser, brennende
vom Bauern aus dem Nachbardorf und Umwälzung des Systems zu be- Nachtclubs und explodierende Linien-
keine Gensoja-Schokolade von Unilever schleunigen, könnte man doch busse doch unglaublich viel > Öffent-
kaufen. Und Numismatikern, die bereits ideologische Differenzen temporär au- lichkeit und manifestieren die Bereit-
alle Euro-Kursmünzen ihr Eigen nennen, ßer Kraft setzen, dachten sich einst „Na- schaft zur revolutionären Umwälzung
bietet sich mit L. ein völlig neues Betäti- tionalbolschewisten“ der KPD und Nati- des Systems wie keine andere. Der
gungsfeld. onalsozialisten der NSDAP. Heute hieße Nachteil: Für eine gewisse Anzahl von
das, Oskar Lafontaine und Udo Voigt Menschen stirbt mit jeder Aktion jegli-

M
ülltrennung: Entschiede sich demonstrierten gemeinsam für „soziale che Möglichkeit, die zurechtgebombte
die Rettung der Welt an der Gerechtigkeit“ sowie „gegen Fremdar- heile Welt mitzuerleben. Gleichzeitig
Anzahl verschiedenfarbiger beiter und Asylmissbrauch“. Ach so, ma- läuft der T. selbst Gefahr, von der Öffent-
Mülleimer in Hinterhöfen, Deutschland chen sie ja schon! Gefällt mir nicht. lichkeit als zu überwindendes Übel auf
wäre auf der sicheren Seite! 50 Prozent dem Weg zur heilen Welt betrachtet zu
des Mülls landet jedoch in der falschen werden.

R
Tonne und damit allzu oft in der Ver- egionaler Anbau Antipode zu

U
brennungsanlage. Wesentlich effizi- > Fairtrade. Abgesehen davon, nterschriftenlisten: Ob für
enter wären technische Sortieranlagen, dass sich das Schwein aus dem mehr kommunale Mitbestim-
behauptet das rheinland-pfälzische Um- Schlachthof Jena-Ilmnitz wahrschein- mung, politische Gefangene in
weltministerium und das heutige Recyc-
lingsystem sei aufgrund seines hohen
Energiebedarfes „völliger Schwachsinn“,
meint der ehemaliger Pressesprecher
des Dualen System Deutschlands.

N
ichtstun weil alle Möglichkeiten,
die Welt zu verbessern, ambiva-
lent sind. Doof.

Ö
ffentlichkeit schaffen: Eine
essenzielle Methode bei aus-
geprägtem Weltverbesserungs-
drang, um "Die da oben!" anzuprangern Der Feind der
und die eigenen Ideen und Utopien heilen Welt:
publik zu machen. Allerdings besteht Die Jossif Het-
tler Muh

Bild: Steven Hopp
Inzest – Harmonie
Heile Welt

Xinjiang oder die Bewahrung des Schlammlings


in den niedersächsischen Elbauen – Unterschriften
kosten weder Geld noch Zeit, bringen aber auch Weit hinter der großen Stadt, inmitten
nichts. „Doch“, erwidert David Król von Amnesty
Jena, „über 35 Prozent der Unterschriftenaktionen
von Muschelkalk- und Sandsteinhängen,
von Amnesty sind tatsächlich erfolgreich! Politische liegt das Reich der Harmonie. Hier sind
Gefangene werden freigelassen, Folterungen ver-
hindert, Todesurteile umgewandelt.“ Na wenn das Sehnsüchte überholt. Ich kam hier an,
so ist...
nicht ahnend, welch Unheil unter all der

V Nettigkeit begraben lag. Ich möchte da-


egetarismus: „Nichts wird die Chance auf
ein Überleben auf dieser Erde so erhöhen,
wie der Schritt zur vegetarischen Ernährung“, von berichten, wie mir Erleuchtung wi-
sagte Albert Einstein, und tatsächlich scheint es
kaum einen größeren Feind einer heilen Welt zu
derfuhr. von Anna
geben als die industrialisierte Massenkuh. Ihre

M
Fürze sind fünfmal so klimaschädlich wie CO2, Kot, ein Zimmer, mein Bett. Ich wache auf, neben mir liegt je-
Düngung und Futtermittel vergiften Wasser und mand. Jetzt weiß ich wieder, woher ich Dich kenne, denke
Böden. Sie frisst Millionen hungernden Menschen ich. Du bist der ehemalige Mitbewohner von Lars, der mal
das Getreide weg, um uns nach ihrem qualvollen auf einer Party mit Melanie geknutscht hat. Hast Du nicht auch mal
Tod nicht nur fett und krank zu machen, sondern zusammen mit Paula studiert? Du hast doch Deine Ex völlig fertig-
uns auch nur ein Zehntel der Kalorien zurückzuge- gemacht! Ach die, die kennst Du doch auch schon seit Kindertagen.
ben, die ihre Mästung verbraucht hat. „Liebling, ich weiß alles über Dich!“
Wie betrunken waren wir gestern? Gestern, wieder so ein Tag, der sich
nahtlos einreihen lässt in das Bild einer monoton gewachsenen Klein-

W
asser sparen: Mit einem täglichen Pro- stadt. Grillen im Paradies. Das Paradies, ein kleiner Garten der Lust,
Kopf-Wasserverbrauch von knapp 200 der unserer studentischen Trägheit einen Platz zu Entfaltung bietet.
Litern rangiert Deutschland zwar am Nach einer langen Winterdepression begibt man sich im Frühling auf
sparsamen Ende der Verschwendungsrangliste die Suche nach einem passenden Partner, um im Sommer, wenn sich
westlicher Staaten, doch werden für die Erwär- die Kulturelite um das Theaterhaus versammelt, in gemeinsamer Eu-
mung, Reinigung und den Transport jeden Liter phorie den neuesten Hype zu würdigen. Wir saßen und aßen, alle im
Wassers Unmengen Strom verbraucht. Die Produk- goldenen Schein der Abendsonne, mit zwitschernden Vögeln und
tion unserer täglichen Konsumprodukte steigert wilden Füchsen, dem Leuchten der Grillkohle zugewandt. „Wie ro-
den täglichen Pro-Kopf-Wasserverbrauch sogar auf mantisch!“, haben sich da wohl auch Chris und Jenny gedacht und
über 5.000 Liter. sprachen über die Vornamen ihrer zukünftigen Kinder. Ob er ihr je-
mals das mit Angela oder mir erzählen wird? Na, unsere Namen wer-

X
enophilie: Sei es der Atomkraftbefürworter, den die Kleinen wohl nicht bekommen. Wie romantisch!
der Frauen diskriminierende Afghane oder Das „München des Ostens“ hörte ich die Presse loben. Ich lebe in
der neoliberale Nachbar – es scheint viele der wohlbehütetsten Stadt, die ich kenne. Eine Stadt, deren Seele
Feinde der heilen Welt zu geben. Nur wird der ei- zu schrumpfen scheint. An so einem Abend sehne ich mich nach
gene, gutmenschliche Dogmatismus (> Gläubig etwas weniger Normalität und Gefasstheit, nach etwas mehr Freaks,
werden) oft zur größten Bedrohung. Gegenseitiges nach Fremden und Querdenkern, nach Exzessen. Aber hier bleiben
Zuhören auch bei fremden Menschen, ohne de- wir studentisch. Übersättigte Idylle wird erstickt in den Tiefen des
ren Ansichten vorzuverurteilen, rettet zwar nicht kleinstädtischen Nachtlebens. Im Rosenkeller, der kuscheligen Höhle
zwangsläufig die Welt, ist aber eine wichtige Vor- der Erstsemestler, die begeistert einander kennenlernen. Anwesend
aussetzung, um in seiner heilen Welt nicht plötzlich auch jene Elftsemestler, die nicht zuletzt wegen der Erstis hier sind
alleine dazusitzen. und sich unauffällig unters Publikum mischen. Wohin soll es heute
Abend noch gehen?

Y
ellow Press: Egal ob Luthers Thesen , die Em- Die Sehnsucht zwingt mich ins Kassablanca, das Tor zur schönen Frei-
ser Depesche oder die Ausgabe des „Neuen heit. Hier wird Großstadtleben konstruiert, wenn Mathias Kaden, der
Deutschland“ vom 14. Juni 1953 … epocha- Star der Nachbarmetropole, zum Style-Happening lädt. Das Beste
le Umwälzungen beginnen oft mit farbigen Pig- kommt eben von hier oder aus der Region. Für eine Nacht werfe ich
menten auf weißem Zellstoff. Ohne > Öffentlich- den Blick in eine ausschweifende Welt und lasse mich gehen mit der
keit bringen die besten Weltverbesserungsideen Gewissheit, dass ich mich noch immer in einer heilen Welt befinde.
wenig, überschreiten sie doch nicht die Grenzen Beim gemeinsamen Frühstück stelle ich fest, dass Du auch ein guter
der eigenen WG-Idylle. Freund von Ina bist. Ihr kennt euch noch aus der Schulzeit. Mit Me-
lanie hattest Du dann eine kurze Affäre, was ich auch von Julia weiß.

Z
iviler Ungehorsam: Von an Bahngleisen Weißt Du gar nicht. Auf ein Abenteuer mit Paula haben wir uns beide
angeketteten Antiatomkraftmädchen zu schon eingelassen. Ich trinke einen riesigen Schluck Kaffee und stelle
sitzblockierenden Hausmütterchen … Z. ist mir vor, wie ich Hand in Hand mit all meinen Freunden im Sonnen-
mittlerweile so mehrheitsfähig geworden, dass schein durch die Stadt hüpfe, und frage mich, mit welchen meiner
man selbst im Fall einer Verhaftung kaum etwas Freundinnen Du denn schon ein inniges Verhältnis pflegtest. Mit der
zu befürchten hat. Der Nachteil: Wenn Z. zur Mo- Frage, ob Du bei der Kulturarena neben mir sitzen willst, bringe ich
deprotestform wird, erregt es auch immer weniger Dich noch zur Tür.
Aufmerksamkeit. Noch aber ist Z. eine wichtige Es zieht sich ein roter Faden durch diese Begebenheiten. Und in kei-
und überaus öffentlichkeitswirksame Protestform, ner Weise lassen meine Gedanken ab von jener Feststellung, welche
inklusive kostenlosem Adrenalinkick. unaufhaltsam probiert, sich in mein Bewusstsein zu zwängen. Wir
sind eine Mannschaft, ein Team. Jena ist ein Inzestdorf, manchmal
jedenfalls.

Die Dezentralisierungsutopie des

Heile Welt
Schweizers P.M.

Seit 30 Jahren wartet


eine eigentlich recht
simple und umsetzbare
gesellschaftliche Uto-
pie auf ihre Chance: das
bolo’bolo-Projekt des
Aktivisten und Autors r
de
“P.M.“. Dabei könnte al- nac
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von bergi ihm/ihr am besten liegen, übernimmt. dass wir nun alle in bolos leben wür-
Die Grenzen zwischen Arbeit und Frei- den. Seine Ideen erschienen erstmals

I
n was für einer Welt wollen wir leben? zeit verschwimmen und der Haushalt Anfang der 1980er-Jahre im Paranoia
Weniger Kriege um Rohstoffe, Macht und das Miteinander werden wieder City Verlag unter dem Titel „bolo’bolo“,
und Geld? Sicher! Weniger Hunger, zentrale Aspekte. Natürlich sollte jeder später dann z.B. in „Amberland“ oder in
dafür mehr Forschung und Internet? Großhaushalt über eigene Anbauflä- „Weltgeist Superstar“. Letzterer nimmt
Da wird es schon schwieriger, alle unter chen verfügen, um autark für die Ernäh- in Romanform schon einmal die Uto-
einen Hut zu bringen. Weniger Staats- rung zu sorgen. pie und die aufkommenden Schwierig-
grenzen und Bürokratie, und mehr Dass das möglich ist, zeigen zahlreiche keiten vorweg. Dennoch ist der erste
Selbstbestimmung für den Einzelnen? Projekte in der ganzen Welt. Nach den Schritt recht einfach. Schafft Netzwerke!
Jetzt wird es schon fast utopisch! recht umfangreichen Berechnungen Versucht, einen Bogen um Aldi und te-
Und in der Tat stehen diese Wünsche P.M.’s und seiner Kollegen sinkt die nö- gut… zu machen, legt einen Garten an,
in harter Konkurrenz zur Politik, die tige Arbeitszeit in solch einer Konstella- oder helft anderen dabei! Schließt euch
von den selbsternannten G8-Staaten tion auf etwa drei Stunden pro Tag und zusammen und zweifelt an der – wie
und ihren
Zwar Protagonisten
kein Gulag, bietetvertreten wird Person.
aber trotzdem P.M. es nennt – „Planetaren Arbeits-Ma-
– genug
mal ganz abgesehen von
Möglichkeiten für den unzähli- Das meiste entfällt selbstverständlich
gutmenschliche schine“! Klingt immer noch utopisch?
gen Diktatoren undaus
Betätigungsfelder Warlords in anderen
sicherer Entfernung:auf Essenszubereitung und Putzen. In Zürich gab es tatsächlich schon ein
Teilen der Erde. Alle, die
US-Gefangenenlager in den jetzigen Heute so wichtige Sektoren wie Versi-
Guantanamo bolo-Projekt in P.M.’s Sinne, das dann al-
Verhältnissen keine lebenswerte Zu- cherung, Bankenwesen und Großindus- lerdings im Jahre 1990 einer „Geschäfts-
kunft sehen, die auch nichts mit einem trie schrumpfen dagegen zu vernach- überbauung“ zum Opfer fiel und heute
durchstrukturierten Öko-Nationalstaat lässigbaren Faktoren zusammen. P.M. ist eher als Genossenschaftsprojekt an an-
anfangen können und generell großen bei Weitem nicht der Einzige, der darauf derer Stelle weitergeführt wird (http://
und zentralisierten Machtstrukturen hinweist, dass ein Großteil des Geldes karthago.ch).
eher ablehnend gegenüberstehen, fin- – und damit auch der Arbeit in unserem Während die Militarisierung unserer
den bei dem anonymen Schweizer Au- heutigen System – einfach versackt Staaten wieder enorme Ausmaße an-
tor und Aktivisten P.M. vielleicht neue (Vergleiche: Ein Monteur verdient zehn nimmt, ist es, wie ich finde, höchste Zeit,
Ansätze eines realisierbaren und nach- Euro pro Stunde, kostet aber 40.). Es sich konkret mit friedlichen Alternativen
haltigen Miteinanders. geht bei den bolos allerdings nicht dar- auseinanderzusetzen.
um, sich zu primitiven Stammeskulturen
Die Idee: bolo’bolo zurückzuentwickeln. Auch dort werden
Ein bolo ist ein Großhaushalt von ma- Forschung und Technik sehr nützlich Zum Weiterlesen:
ximal 500 Personen, die sich Wasch- sein. Und sie haben – im Gegensatz zur http://www.baraka.de/bolo-bolo/idee.
maschine, Küche und die sonst noch jetzigen Gesellschaftsform – tatsächlich html
nötige Infrastruktur teilen, was alleine das Potential, uns die Arbeit in großem
schon dazu führt, dass enorme Mengen Maßstab zu erleichtern.
an Energie eingespart werden können.
Der wichtigste Aspekt ist allerdings, Wie und wer?
dass es keine festen Hierarchien gibt, Die Frage nach der Umsetzung ist kei-
denen man sich unterordnet, sondern ne leichte. Tatsächlich wurde P.M. von
jeder die Aufgaben und Tätigkeiten, die seinem Zeitplan längst eingeholt, ohne


"Die erfolgreichste Utopie der Weltge-
Heile Welt

schichte ist der liberale Rechtsstaat!“


Der Jenaer Politikwissenschaftler Michael Dreyer zur Bedeutung gesell-
schaftlicher Wunschbilder

von Frank

UNIQUE: Herr Dreyer, besonders in Zeiten der Krise träu-


men die Menschen von einer gerechteren und harmo-
nischeren Gesellschaft. Was ist es, das die Menschen sol-
chen Wunschbildern nachhängen lässt?
Dreyer: Im Grunde genau das, was Sie gerade gesagt haben:
Dass es eine Zeit der Krise ist und dass einige Menschen mit
den Mitteln, welche ihnen die jeweilige Gesellschaftsordnung
bietet, keine Chance sehen, zu einer besseren Gesellschaft
zu gelangen. Das ist dann eigentlich immer eine Hoch-Zeit
für Utopien, wenn man außerhalb der bestehenden Gesell-
schaftsordnung denkt und die Ideale der Gerechtigkeit nur
verwirklicht sieht in einer Gesellschaft, die ganz neu geschaf-
fen werden müsste, die es noch nicht gibt.

Der Humanist und Staatsmann Thomas Morus schildert


in seinem Werk "Utopia“ aus dem Jahre 1516 eine ideale
Gesellschaft und gab damit wohl den Anstoß für eine Art
"Genre“ der Sozialutopien. Können Sie kurz schildern,
was den Gesellschaftsentwurf von Morus kennzeichnet?
Darüber streiten sich die Gelehrten seit Jahrhunderten. Es
gibt viele verschiedene Interpretationsrichtungen bei Tho-
mas Morus, u.a. auch die, dass das Ganze als Satire und damit
überhaupt nicht ernst gemeint war. Dann gibt es eine sozi-
alistische Interpretationslinie, die sehr stark auf die Gleich- Prof. Dr. Michael Dreyer ist Direktor des Instituts für
behandlung und Gleichberechtigung, die Abschaffung des Politikwissenschaft an der FSU Jena. Seit dem Jahre
Geldes, die Gütergemeinschaft und ähnliche Aspekte bei 2005 vertritt er dort außerdem den Lehrstuhl für
Morus abhebt – allesamt übrigens frühchristliche Anklänge. Politische Theorie und Ideengeschichte. Zuvor war
Es ist ein Gegenbild zur frühkapitalistischen Gesellschaft in er mehrere Jahre als wissenschaftlicher Assistent
England, die in Morus’ Utopie abgelöst wird durch eine Ge- an verschiedenen Universitäten, u.a. in Jena und
sellschaft, in der Geld keinerlei Rolle spielt, in der Gold ledig- Mainz, tätig.
lich als Spielzeug benutzt wird und in der alle Menschen glei-
chermaßen gerecht behandelt werden. Das ist seine Vision.

Lässt sich denn sagen, ob diese, in gewisser Hinsicht so-


zialistische, Utopie Nachfolger wie Karl Marx beeinflusst
hat? tives Denken bedeutete, dass man den Status quo erhalten
Weniger als unmittelbarer Ideengeber, aber Karl Marx war wollte. Wenn man zufrieden ist mit den bestehenden Ver-
natürlich vertraut mit Thomas Morus und er hat ihn als einen hältnissen, dann braucht man auch keine Utopien. Das gilt
Vorläufer der Ideengeschichte des Sozialismus geschätzt. für alle klassischen konservativen Denker, die ja überhaupt
Fast alle sozialistischen Denker beriefen sich, wenn sie in der erst durch die Herausforderungen des Liberalismus und der
Ideengeschichte zurückschauten, in irgendeiner Weise auf Französischen Revolution veranlasst wurden, sich hinzuset-
Morus. Sie rekurrierten aber auch auf Platon und seine Ideen zen und ihre Gedanken zu Papier zu bringen.
zur Gütergemeinschaft, das geht also zurück bis in die Antike. Anders sah die Sache erst mit dem Umschwung einiger Strö-
Morus ist sicherlich einer der ganz wesentlichen Wegberei- mungen des konservativen Denkens von einer staatskonser-
ter. vativ-beharrenden Richtung hin zu einem völkischen Uto-
pismus aus. In den Ideen der rassistischen, antisemitischen
Die bekannteren Utopien lassen sich ja scheinbar alle Weltuntergangsphilosophen vom Ende des 19. Jahrhunderts
eher dem politisch linken Lager zuordnen. Gibt es solch finden Sie dann in der Tat utopische Züge. Da gibt es durch-
umfassenden Idealvorstellungen denn auch am anderen aus Ähnlichkeiten, wobei allerdings die Dominanz der linken
Ende des politischen Spektrums? Utopien, wie ganz generell die Dominanz des linken Intellek-
Das ist eine sehr interessante Frage! Zunächst einmal: Histo- tualismus, unzweifelhaft ist.
risch gesehen gibt es sie nicht, muss und kann es sie auch
nicht geben, weil bis ins 19. Jahrhundert hinein konserva-

10
Heile Welt
Haben politische Utopien eine aufwiegelnde Wirkung? te, sind die israelischen Kibbuzim. Die entstanden auf Basis
Oder ergehen sich die Menschen eher schicksalsergeben einer weltlichen Utopie mit sehr starken sozialistischen Ele-
in Träumereien, anstatt an der Umsetzung von Utopien menten, die übers ganze 20. Jahrhundert hinweg als gelebte,
zu arbeiten? alternative Lebensform entwickelt wurde und die in Israel bis
Diese Frage wurde von der Utopieforschung intensiv behan- heute erfolgreich ist.
delt. Bereits in den 1920er-Jahren hat sich der große Sozio-
loge Karl Mannheim damit auseinandergesetzt. Mannheim Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Wo liegt Ihr
kam zu der Überzeugung – die auch ich schlüssig finde „Utopia“, wo ist für Sie „die Welt noch in Ordnung“?
– dass Utopien die Wirkung haben, bestehende politische (lacht) Darauf kann man einerseits antworten, dass Utopien
Systeme zu destabilisieren und eine Idealvorstellung an die durchaus erforderlich sind. Oscar Wilde hat mal davon ge-
Stelle der Wirklichkeit zu setzen. Das Problem ist aber: Was sprochen, dass jede Landkarte, in der das Land „Utopia“ nicht
passiert, wenn die Utopie verwirklicht wird? Das ist auch der vorkommt, nichts wert wäre. Das ist ein guter Gedanke.
Grund, warum sich Mannheim damit beschäftigte, denn er Aber ich fürchte, ich muss Sie ein wenig enttäuschen: Die
hatte die marxistische Utopie und deren Verwirklichung in Utopie, die meines Erachtens eine realistische Verwirk-
der Sowjetunion vor Augen. Hier konnte man sehen, dass lichungschance hat, ist genau die Utopie, die ich vorhin
Utopien, wenn sie die Macht erringen, ihrerseits repressiv schon einmal angesprochen hatte, nämlich die Utopie des
und unterdrückend werden und die Fehler und Mängel, die liberalen Rechtsstaats mit sozialer Gerechtigkeit und einem
sie ursprünglich anprangerten, in schlimmerer Form selbst Modell, das letzten Endes den Werten der Französischen und
wieder machen. Amerikanischen Revolution entspricht. Mit anderen Worten:
Das, was über 200 Jahre hinweg als liberal-demokratischer
Kann man mit Verweis auf den „Realsozialismus“ in der Rechtsstaat versucht wurde. Das ist eine Vision, die den Vor-
Sowjetunion und im ehemaligen Ostblock behaupten, zug hat, tatsächlich verwirklicht werden zu können.
dass die Marx’schen Vorstellungen die bisher erfolg-
reichste gesellschaftliche Utopie darstellt? Herr Dreyer, wir danken Ihnen für das Gespräch!
Das hängt ein bisschen davon ab, wie Sie Erfolg definieren!
Sicherlich ist es so, dass die Marx’schen Ideen mit den Ver- Das vollständige Interview findet ihr auf
änderungen, wie sie Lenin und Mao vornahmen, und in der www.unique-online.de
Umgestaltung hin zu einer politisch aktiven Kampfideologie,
mit der sich die Macht in einem Staat mit Gewehren erobern
ließ, natürlich schon eine sehr erfolgreiche Utopie waren.
Nur: Unmittelbar nach Machterringung verwandelte sich di-
ese Utopie in einen Alptraum voller Unterdrückung. Die er-
folgreichste gesellschaftliche Utopie sehe ich woanders, an
einer Stelle, an der man es vielleicht nicht unbedingt vermu-
ten würde: Man kann die Idee einer liberalen Gleichheit aller
Menschen als eine jahrhundertealte Utopie verstehen. Deren
Verwirklichung mutete bis vor 200 Jahren – in Deutschland
noch weitaus länger – gleichfalls utopisch an. Ich denke,
die erfolgreichste Utopie der Weltgeschichte ist der liberale
Rechtsstaat – auch wenn er uns nicht ohne Weiteres so vor-
kommt, weil wir ihn inzwischen selbstverständlich leben.

Wurde denn auch abseits dieser Großtheorien, vielleicht


sogar erfolgreich, versucht, bestimmte Idealgesell-
schaften umzusetzen?
Kurz- und mittelfristig ja. Es hat eine ganze Reihe von Versu-
chen gegeben, Utopien in die Tat umzusetzen. Vor allem im
19. Jahrhundert versuchten mehrere frühsozialistische Den-
ker, ihre Anhänger um sich zu scharen und mit ihnen nach
Amerika auszuwandern. Dort waren so viele Chancen und so
viel Platz, dass jeder alles probieren konnte. Das hat einige
Zeit funktioniert; Robert Owen hat mit seinen Anhängern in
Amerika mehrfach Kolonien gegründet. Nach einiger Zeit
scheiterten diese Versuche aber allesamt.
Was allerdings auf Dauer erfolgreich war, sind religiöse Uto-
pien, die ja auch in Amerika als Lebensentwurf versucht
wurden. Denken Sie an religiöse Gemeinschaften wie die
Amish. Die gibt es noch heute und sie leben im Prinzip nach
demselben Wertekanon wie zur Zeit ihrer Einwanderung. Ein
weiteres Modell, das in diesem Kontext erwähnt werden soll-

Heile Welt alá Thomas Morus, Holzschnitt aus seinem Roman “Utopia”

11
Kultur

Film: Bauer sucht Frau – „Nur ein Sommer“


Regie: Tamara Staudt, Deutschland/Schweiz 2008, Verleih:
Filmlichter, ca. 94 Minuten
von Yeke von anzureißen, gelingt dem Film
nicht. Hier ein bisschen Komödie

V
on der Platte in die Berghütte. über kauzige Bauern, dort ein biss-
Einen härteren Kontrast in Sa- chen Selbstfindungsdrama über
chen Wohnumgebung mag man eine Frau mit Hang zur Bindungs­
sich kaum vorstellen, doch verzichtet angst – von der aber jeder "ein
die Regisseurin Tamara Staudt glück- Kind haben will“. Am Ende bleibt
licherweise auf die Darstellung der da nicht mehr als die große, be-
Trabantenstädte als Betonhöllen. Die langlose Leere und ein paar nette
vertraute Heimat der arbeitslosen Hel- Episoden. Überzeugend ist "Nur
din Eva (Anna Loos) ist stets in warmes ein Sommer“ v.a. als Komödie,
Sonnenlicht getaucht und eigentlich etwa wenn der gut aussehende
ganz hübsch – wären da nicht die Ab- Almnachbar Mehmed (Oliver Zgo-
rissarbeiten nebenan! Eva, eine 35-Jäh- relec) an Eva Gefallen findet und-
rige mit einem befremdlich gleichaltrig der ansonsten mürrische Daniel
wirkenden Sohn und einem wesentlich die Eifersucht für sich entdeckt.
jüngeren Freund, will endlich wieder Vorm Hintergrund schöner Land-
selbst Geld verdienen. Das Angebot schaftsaufnahmen schroffer Berge
der Arbeitsagentur, sich als Melkerin sorgt allenfalls das Zusammenspiel
für einen Sommer in der Schweiz zu so unterschiedlicher Figuren – man
verdingen, nimmt sie daher ohne möchte fast sagen: "Kulturen“ – für
großes Zögern an. Konfrontiert mit dem Unterhaltung. Verbunden wird das
schweigsamen Käsemacher Daniel (Ste- Ganze mit einem genauen Blick auf
fan Gubser) und einer Schar Milchkühe den Arbeitsalltag und die Käseherstel- nalität abgeht. Die Idee, eine Berliner
auf einer Alm irgendwo im Nirgendwo lung. Ein uriges Gefühl vermittelt "Nur Schnauze auf eine Schweizer Alm los-
der Alpen, findet Eva zu sich selbst, lernt ein Sommer“, so dass man den Käse fast zulassen, mag zwar für ein paar Lacher
die Liebe ihres Lebens und den Weg aus riechen, das Holz unter den Füßen bei- sorgen. Doch wenn das Drama anklopft,
der Arbeitslosigkeit kennen. nahe knarzen hören kann. Dem unrhyth- bleibt Anna Loos ausdruckslos. So ist
Solche oder ähnliche Erwartungen hat misch vor sich hinplätschernden Film Staudt nichts Halbes und nichts Ganzes
man zumindest an diese moderne Hei- kommt es aber leider nicht zugute, dass gelungen, denn eine Idee allein reicht
matkomödie, doch mehr als ein Teil da- der Hauptdarstellerin jegliche Emotio- nicht. Es ist eben "nur“ ein Sommer.

Schillerhof und UNIQUE verlosen 2x2 Freikarten für


den Film "Rock’N’Rolla“ für Dienstag, dem 28. April
2009. Schreibt einfach eine Email an
uniquredaktion @gmx.de

Soundtracks, die Filme retten …


… machen den Film, den sie musikalisch unter
malen, nicht unbedingt besser, wohl aber erträ
dabei, über dramaturgische Schwächen, einsc glicher. Sie helfen
hläfernde Längen und unsägliche Schauspie
hinwegschauen zu können. Hatte man das lerperformances gnädig
Kino angesichts des vergeudeten Eintrittsbe
sen, ging man wenige Wochen später nicht trags noch verärgert verlas-
in die Videothek, um die entbehrliche DVD auszu
Sounddealer seines Vertrauens, um die Ohrw leihen, sondern zum
ürmer des Films zu Hause noch einmal nach
die Songs blieben hängen, während Schauspie hören zu können. Allein
ler- und Rollennamen zurecht der Vergessenh
Drei UNIQUE-Redakteure sind mal wieder tief eit anheimfielen.
in sich gegangen. Na ja, lest und hört selbst!

radies fernab von


ihr persönliches Pa
The Beach (2000) Str an dk om mu ne seine Schwä-
einer abgelegenen t zerstören, hat so
von LuGr

rla nd um ein pa ar Aussteiger, die in eln de Co ura ge und Egoismus selbs ch ka um abrufender
m na ch de m Be sts eller von Alex Ga
be n gla ub en , bis sie es durch mang rch tra ini erter, ab er sein Potenzial no im merhin ganz
Der Fil den zu ha du er
chaltourismus gefun im Jahre 2000 zwar er mittelmäßige, ab
fernöstlichem Paus , da ss mi t Le on ardo DiCaprio ein hn sin n nic ht ga nz abnahm. Der eh dtrac k en orm au fgewertet.
en . Da s lie gt ve rm utlich auch daran
te, de m ma n de n schleichenden Wa be vö lke rt wi rd, wi rd durch den Soun mi t „W oo zy“ neben
ch lle des Richard spiel n Urlaubskulissen Mary“ und Faithless
ler die Ha up tro en in tra um ha fte y mi t „Sp inn ing .
Schauspie önen Mensch lain“, Sugar Ra hen zum Cocktail
der von vielen sch s“, Moby mit „Porce n wie das Schirmc
nett bebilderte Film, All Sa int s mi t ihrem Song „Pure Shore , die zu r wa rm en Jahreszeit passe
sen die Rhythme n zu
Unter anderem las ng auch tanzbare
nnigem Strandfeeli
guter Laune und so

12
Die CampusCharts

Kultur
Die aktuellen CampusCharts gibt es jeden Dienstag
um 9 Uhr, frischen Hip-Hop jeden Donnerstag ab
22 Uhr auf 103,4 MHz!

Anna vs. Uli King


von Anna Etienne von Ulrich Hepperle
Yeah Yeah Yeahs – Zero Frauenarzt und Manny Marc - Das geht ab
Das neue Album „It’s Blitz!“ glitzert und glamourt nur so, denn Atzenstyle! Man stelle sich ein paar Berliner Atzen am Baller-
Gitarrist Nicholas Zinner hat seine Gitarre gegen ein altes Key- mann vor und denke sich die Musik dazu. Geile Partymucke für
board ersetzt, und nun klingt nach mehr als drei Jahren alles den Sommer!
sehr synthie-lastig und ordentlich. Dennoch, wir freuen uns,
Huss & Hodn - D. Stoff, aus dem Regenschirme sind
dass die YYY’s uns zum Mithüpfen einladen und mit uns das
Jetzt feiern, den einen guten Moment, den es auch in schlech- Das Innovativste auf dem aktuellen Markt! Rückschritt = Fort-
ten Zeiten gibt. schritt. Geilere Beats gibt’s derzeit in Deutschland nicht!
Seit Jahren unter meinen persönlichen Favoriten.
Peaches – Talk to me
Die kanadische Musikerin und Electroclash-Wegbereiterin mit Ugly Duckling – Right Now
Wohnsitz in Berlin schmeißt die erste Single aus dem am 4. Mai Unglaubliche Beats und Raps – absolut on point und gewitzt.
erscheinenden Album „I Feel Cream“ auf den Markt. Als Produ- Unvergleichbar! Auch hier gilt: Rückschritt = Fortschritt.
zenten waren neben Peaches auch Mitglieder der Formationen
Simian Mobile Disco, Digitalism, Soulwax und Drums of Death
dead prez – PolitriKKKs
am Werk. Nach drei Jahren Wartezeit wirft Peaches mit gewohnt Eine überaus gelungene Single, die weniger musikalisch (da
rauen und sperrigen Beats um sich, neuerdings aber mit einem sehr Dirty-South-geprägter Beat), dafür aber lyrisch und inhalt-
melodischen Groove. lich überzeugt. dead prez wie immer sehr politisch und entspre-
chend polarisierend. Ich wünsche mir mehr Rapper dieser Art!
The Dø – On my Shoulder
Und noch ein Duo: Olivia Merilahti, eine bezaubernde junge
Damion Davis – Lampenfieber
Finnin mit prägnanter Stimme, und der Franzose Dan Levy, Ein Track vom gleichnamigen Mixtape. Nach wie vor einer der
Jazzkomponist und Liebhaber zeitgenössischer Musik. Die Plat- fähigsten deutschen Rapper, der die Qualitäts-Niveau-Messlatte
te mit intelligenten Popsongs, Folk- und Electro-Einschlag und im Berliner Rap deutlich nach oben hebt.
vielfältigen, internationalen Einflüssen steht seit dem 17. April
in den Läden.

Head·On - Gegen die Wand (2004)


von Luth

Eigentlich passt er nicht in diese Kategorie, denn „Gegen die Wand“ ist kein Film, den man in irgendeiner Art und Weise „retten“ müsste. Dennoch
erhält er erst durch seinen Soundtrack den finalen Ritterschlag. Fatih Akin gehört – weltweit übrigens – zu den wenigen Regisseuren, die nicht nur
etwas von moderner Leinwandsprache und interkulturellen Geschichten verstehen, sondern auch Ahnung von richtig guter Musik haben. Wenn der
lebensmüde Clochard Cahit (Birol Ünel) seinen abwrackprämiewürdigen Mercedes zu Depeche Modes „I Feel You“ volle Kanne – wenn auch ohne das
gewünschte suizidale Ergebnis – vor eine Betonmauer setzt oder seine ihm lange widerstrebende, zweite große Liebe Sibel (Sibel Kekilli) zu den Klän-
gen von Atilla Özdemiroglus „Agla Sevdam“ endlos verzweifelt durch Hamburgs Straßen läuft, um sich danach die Pulsadern aufzuschneiden, dann ist
das musikalische Filmchoreografie auf höchstem Niveau. Auch dass so viele verschiedene Musikstile – darunter u.a. türkischer Hip-Hop und Pop, Soul,
deutscher Industrial, Elektronik, Reggae und Gothic-Ambient-Mucke – angesichts sonstiger Hörgewohnheiten deutscher Kinobesucher angeblich
nicht zusammen funktionieren könnten, widerlegt dieser Soundtrack eindrucksvoll.

Ghostbusters (1984) die Geschichte von den vier


von Chrime

ptik ist herrlich trashig-kultig. Klar, auch


Klar, die 1980er-Jahre-Special-Effects-O ckversion auch bekannt.
Klar, Bill Murray ist einfach ’ne coole Sau! chen spätestens nach der etwas späte
r hinzu geko mme nen Zeich entri
Geisterjägern ist legen där und den allerm eiste n Mens Egon Spen gler spiele n, auch ein unerhört
yd und Haro ld Rami s, welch e die Rollen von Dr. Raymond Stantz bzw. Dr. ’
Jr. s fast schon prototypisch-
Und natürlich haben Dan Aykro Trotzdem bedarf es erst Ray Parker
Dreh buch gesch riebe n – was nicht unbedingt vielen Schauspielern gelingt! gen Block buste r-Klas siker zu machen. Allein dieser
witziges n einen absolut kultigen Film und richti
, um aus einem überd urchs chnit tliche eghö ren – zu könn en. Und man kann
klassischen Titelsongs hinwegsehen – oder eben hinw
Längen oder die etwas angestaubte Optik
Song ist stark genug, um über etwaige
eilige Party rocken!
damit immer wieder jede noch so langw

13
Philosophique
Kultur

Tatsache Wahrheit
Objektivität im Radikalen
Konstruktivismus

von gonzo unbeteiligte Beobachter kann sich so seiner unmittelbaren


Beteiligung nicht entziehen. Er ist ein untrennbarer Teil des

A
m Anfang jeder Erkenntnis stehe die Wahrheitsfrage. Beobachteten, welches sich auch unter größter Sorgfalt als
Auf dass sie erkennt, wie die Welt wirklich ist. Wis- dynamische, aktive Konstruktion einer viablen Möglich-
sen und Wirklichkeit korrespondieren dabei in jener keit erweist. Nicht aber als passives „so sein“, im Sinne einer
Qualität, in der der Wissende die objektive Wirklichkeit ab- beständigen, objektiven Realität. Das kognitive Erkennen
zubilden vermag. Der Radikale Konstruktivismus (RK) bricht (Erschließen) bedingt und konstruiert das Erkannte erst
mit dieser konventionellen Erkenntnistheorie. selbst. Der Fakt (von lat. „facere“ = „tun“) ist eine Tat-Sache.
Er bezieht sich dabei auf den grundlegenden Unterschied Nun mag der kritische Leser vorbringen, der RK schließe sich
zwischen „etwas stimmt“ und „etwas passt“. Mit Überein- durch seine Argumentation selbst aus, treffe er doch die
stimmung sei dabei ein erkanntes Wissen gemeint, das eine scheinbar absolute Aussage, dass keine absoluten Aussagen
so erschlossene, unabhängig bestehende Realität abbildet getroffen werden könnten. Hier grenzt sich der RK aber vom
und beschreibt. Der geneigte Forscher erkenne beispiels- sogenannten Solipsismus ab, indem er auch sich selbst als
weise eine physikalische Gesetzmäßigkeit, mit welcher er viables Konstrukt, als theoretisches Werkzeug zum Verstän-
einen objektiven Mechanismus der uns umgebenden Welt dnis menschlicher Denkprozesse und Wissensstrukturen
verifiziert. Sprechen wir hingegen von Etwas, dass es „passt“, einsieht.
so bedeutet dies nicht mehr und nicht weniger, als dass es Das Fehlen der universellen, metaphysischen Gewissheit
den Dienst leistet, den wir uns von ihm erhoffen. Isaac New- kann man dabei als negative Beschränkung verstehen oder
tons Gravitationstheorie z.B. dominierte bis zur Relativität- als völlig irrelevante, transzendente Variable. Sobald Erken-
stheorie Albert Einsteins über 200 Jahre lang Philosophie ntnis nicht mehr als die Suche nach ikonischer Übereinstim-
und Naturwissenschaft. Und obgleich sich beide Ansätze mung mit einer ontologischen Wirklichkeit, sondern als
grundlegend unterscheiden, setzte die NASA bei der math- Suche nach gangbaren Verhaltensweisen und Denkarten
ematischen Berechnung der Mondflüge auf die weniger verstanden wird, relativiert sich das traditionelle Problem
komplizierten Gravitationsgesetze Newtons. Beide Theorien dieses existentiellen Dilemmas. Das heißt, dass sich eine
passen. Doch welche stimmt? apriorische Welt nur bestenfalls dort offenbart, wo unsere
Der RK spricht dabei von der sogenannte Viabilität (von lat. Konstruktionen scheitern, wo sich unsere Hypothesen falsifi-
„via“ = „der Weg“) von Wissen. Erkenntnis sei ihrem Chara- zieren. Da wir dieses Scheitern aber immer nur in eben jenen
kter nach rein selektiv und subjektiv determiniert. Sie er- begrenzenden Begriffen beschreiben und erklären können,
schließt zwar mehr oder minder funktionale Wege inner- die wir zum Bau der scheiternden Strukturen erst verwendet
halb einer Wahrscheinlichkeit, niemals aber das objektive haben, können sie uns so gesehen niemals ein Abbild von
Wesen einer außen stehenden Wirklichkeit. Innerhalb des irgendwelchen unabhängigen Gegebenheiten vermitteln,
Systems der menschlichen Existenz, der Wahrnehmung die wir für das Scheitern verantwortlich machen könnten.
und Erfahrungen, werden kognitiv viable Strukturen kon- Abschließend bleibt noch anzumerken, dass dieser Artikel
struiert, welche diesem System der Beschränkungen nicht nur einen äußerst oberflächlichen und allgemein formuli-
entsteigen können, um es von einem, sagen wir, göttlichen erten Eindruck von den sehr vielschichtigen und umfang-
Standpunkt aus untersuchen zu können. Der scheinbar reich geführten Diskussionen zum RK geben konnte.

14
KulTUR

WeltWEIT
Kolumne ACOTO-Kolumne
Europa ist in uns
von Anna Klingebiel

D
ie Bahn rollt. Trotz des Schneckentempos ist das
Wechseln des Landes immer noch so unauffällig,

POPulär dass ich mein leises, an Polen gerichtetes Tschüss


erst im deutschen Görlitz nachhole. Der deutsche Him-
mel ist aber genauso grau, und die Sonne scheint auch

und KULTur nicht. OK, der Bahnsteig sieht ein bisschen schicker aus.
Ist das aber ein Grund, sich als Ausländerin fühlen zu
müssen?

von Yeke Es wird immer deutlicher und lauter, sodass die Sprachen
anfangen, sich zu mischen. Meine ist nicht im Vorteil. Bin

V
or siebzehn Jahren nahm ein reichlich idealisti- ich jetzt eine Ausländerin? Schengen garantiert nämlich
sches Fernsehprojekt seinen Sendebetrieb auf, ein nur eine geographisch-meteorologische Camouflage.
deutsch-französischer Kultursender namens arte.
Weder ein anspruchsvolles Programm, noch eine dezi- Deutschland. Der Geschichte längerer Teil. Alternativ:
diert europäische Ausrichtung führten aber zum Quo- Patchwork-Identität, europäisch verpackt.
tenwunder. Das jedenfalls beweist der Marktanteil von
unter einem Prozent, den arte zur Zeit in Deutschland für Jena. Ausgestattet mit einem Lebenslauf und einem
sich verbuchen kann. Während jedoch andere öffentlich- Arbeitserlaubnis-Nichtvorhandensein sehe ich ein klein
rechtliche Sender ihre Zuschauer mit Heimatfilmen und bisschen freakig aus. Mein Akzent wirkt wie ein Magnet.
Telenovelas martern, mutiert arte zur letzten Zuflucht Die Fragen wiederholen sich: „Woher kommst du? –Was
für all jene, die den Glauben an das gebührenfinanzierte willst du hier arbeiten?“
Fernsehen noch nicht verloren und ihren 60. Geburtstag
noch vor sich haben. Ja, auch ARD, ZDF und Co. produ- Ich antworte zügig: „Polen in Asien, Erdbeere pflücken.
zieren - abgesehen von JBK, Knopp und „Sturm der Lie- – Nein, bin nicht entmuntert!“
be“ - auch noch die eine oder andere sehenswerte Sen-
dung. Doch was bleiben dem Fernsehliebhaber noch für Ausländerbehörde, Arbeitsamt und die Stadtverwal-
Formate in Zeiten, in denen Tita von Hardenbergs immer tung, die sind doch alle für mich da. Permanent und mit
wieder sehenswertes Magazin „Polylux“ vom RBB wegen einer netten Bedienung.
„fehlender Gebühreneinnahmen“ eingestellt wird? De-
ren unkonventionelle Herangehensweisen äußern sich Europa, Europa.
in Thema und visueller Aufbereitung. Bei arte wird man
noch fündig. Anders, als es manchmal den Anschein er-
weckt, besteht das Programm des Senders nämlich nicht
nur aus klassischen Konzerten, Opernaufführungen
und der Paris-Berlin-Debatte. Arte bewältigt täglich
den Spagat zwischen Hoch-, Underground-, Trash- und
Subkultur. Internationale Filmklassiker werden in Ver-
bindung mit selten gezeigten Dokus am Themenabend
präsentiert. Ganze Monate stehen unter dem Banner
einer Epoche, etwa den 1970er-Jahren oder zuletzt dem
amerikanischen Bürgerkrieg. Das Kulturmagazin „Me-
tropolis“ entführt in fremde Literatur-, Ballett- und Mu-
sikwelten. Wer es etwas abseitiger mag, wählt das Pop-
kulturmagazin „Tracks“, das gekonnt zwischen Londoner
Bondage-Clubs, japanischen Neeters (Not in Education,
Employement or Training) und kubanischen Rockern zu
manövrieren weiß. Als eine der letzten Bastionen des
Kurzfilms im deutschen Fernsehen bietet sich dem in-
teressierten Zuschauer die Sendung „Kurzschluss – Das
Magazin“ an. Und wer schon immer mal wissen wollte,
was die Mazedonier täglich in der Glotze zu sehen be-
kommen, schaltet bei „Zapping International“ ein. Das
Anzeige
mag hier nach einem Werbetext aus der Zeitschrift des
Senders klingen, doch beweist arte immer wieder, dass
Kultur nicht staubtrocken präsentiert werden muss und
das Medium Fernsehen noch immer die Fähigkeit zur In-
novation besitzt. Arte ist mittlerweile wohl der einzige
Grund, warum ich die Briefe der GEZ nicht ignoriere.
Städtebericht
Weltweit
San Francisco
Das liberale Amerika auf sieben mal sieben Meilen
von Martin Thormann Yuppie im
regenbo-

E
s ist Hochsommer in San Francisco g e n b e -
und ich suche krampfhaft einen f l a g g t e n
Winterpullover. Bis auf einen lie- Castro Dis-
gen sie alle vollgeschwitzt im Wäsche- trict, weiter
korb. Wenig später rase ich mit dem über Meth
Rennrad – die Finger in warme Hand- schniefen-
schuhe gepackt – von meiner Wohnung de, jugend-
im Sunset District durch den dicken, liche Run-
alles verschlingenden Nebel. Der staut aways, die
sich, verlässlich wie immer, bis hoch bei McDo-
zum Mount Sutro Tower auf den Twin nalds an der
Peaks-Hügeln. Ecke Haight
und Sta-
Mathematisch präziser Küstennebel nyan Street Downtown San Francisco mit derTransamerica Pyramid
Auf der anderen Seite des bei Filmfans abhängen
weltweit bekannten Höhenzuges er- und von
wartet mich neben Sonnenschein auch der Polizei gegängelt werden, bis hin forschte, kutschierte mich eines Tages in
meine Arbeitsstelle, eine kleine Softwa- zu fundamentalistischen Jesus-Eifer- seinem Taxi zum Flughafen.
refirma, in Betrieb gehalten von sechs ern, die Touristen, welche sich in der
Deutschen und einem Österreicher. Powell Street zum obligatorischen Ca- Kiffen mit Chipkarte und Rezept
Dieser Job und meine Freundin, die ble-Car-Fahren angestellt haben, mit San Francisco ist für viele Amerikaner ein
ich bei einer Weinverkostung im nahen unerschütterlicher Beharrlichkeit die Sündenpfuhl, insbesondere natürlich für
Napa Valley kennen gelernt hatte, sind Botschaft der Bibel näher zu bringen alle tief im Bible Belt des Mittleren Wes-
nur zwei von vielen Gründen, warum versuchen. ten lebende. Gras bekommt man ganz
aus ursprünglich einem Jahr in den USA legal auf Rezept und gegen Vorlage ei-
letztendlich fünf geworden sind. Pfarrer in Frauenkleidern ner „Medical Marijuana ID Card“ in den
So gegensätzlich wie die beiden Stadt- Zu San Francisco gehören auch Viet- zahlreichen Dispensaries ausgehändigt.
hälften, die der Küstennebel mit mathe- namveteranen im Tenderloin-Viertel, Während des alljährlichen „Folsom Street
matischer Präzision in unangenehm- die Müllcontainer nach Essbarem durch- Festivals“ haben Schwule, Transvestiten,
kühl und kalifornisch-warm teilt, sind wühlen, für die Erntesaison des Central Cross-Dresser, Transsexuelle und Lesben
auch die Menschen, die in „Frisco“ leben. Valley eingeschmuggelte Mexikaner nicht nur jede Menge Spaß, sondern oft
Man findet hier jeden Typ von Amerika- im Mission District, allerlei Ramsch ver- auch auf offener Strasse Sex. Beim „Bay
nern, viele gängige Klischees scheinen kaufende Asiaten in Chinatown und to Breakers“ laufen Tausende San Fran-
dauerhaft außer Kraft gesetzt: Das geht Tausende Akademiker aus Europa und ciscans – viele von ihnen splitternackt
los beim schwulen, iPhone-süchtigen dem Rest der Welt. Genau das macht – vom Ferry Building durch den Golden
die Stadt gleichzei- Gate Park zur Windmühle am Ocean Be-
tig so attraktiv und ach. Ein republikanischer Bürgermeister

Infobox San Francisco so widersprüch- wird es jedenfalls nie in die City Hall
lich. Weitere Bei- schaffen …
spiele gefällig? Ein Nichtsdestotrotz kommen sie alle, auch
Die Golden Gate Bridge ist der Hotspot für Selbstmörder in den USA. russischer Profes- die Bibeltreuen, und sei es nur, um vor
Der Fall dauert etwa vier Sekunden. Auf dem Parkplatz findet die Po- sor, der in seinem dem Rathaus erst lauthals gegen die
lizei dann oft die verlassenen Mietwagen der meist von weither ange- früheren Leben fürs Homo-Ehe zu protestieren und dann für
reisten Lebensmüden. sowjetische Raum- die Familie zu Hause doch ein paar Fotos
f a h r t p r o g r a m m von der Golden Gate Bridge zu schießen.
Es gibt weder eine 13th Street, noch eine 13th Avenue oder eine Busli-
nie 13. Die 13th Avenue heißt z. B. Funston Avenue.

Aufgrund des milden Klimas und der zahlreichen Sozialprogramme


hat San Francisco die höchste Obdachlosenquote der USA. Ihr bevor-
zugter Schlafplatz ist der Golden Gate Park.

Die Minna Street, die Jessie Street und die Clementina Street im SOMA
District, das einst zum Hafenviertel gehörte, wurden nach bekannten
Prostituierten benannt.

Die SF State University gab über mehrere Semester hinweg Studen-


tenausweise ohne Ablaufdatum heraus und machte damit unzählige
Studenten glücklich – günstiges Mensaessen auf Lebenszeit!
Cable Car in der California Street

16
Weltweit

Viele der alt gewordenen Hippies und bezeichnung als „Melting Pot“ viel nä- Andere ziehen um, um eine Wohnung
Revoluzzer sagen, San Francisco sei her als Metropolen wie New York, Bos- auf sicherem Boden zu finden. Damit
lange nicht mehr so politisch wie wäh- ton, Washington oder Los Angeles. Klar, sind allerdings nicht die von Kriminalität
rend der wilden Flower-Power-Zeiten auch im Schatten der Twin Peaks exis- gebeutelten Straßen von Hunters Point
im Haight-Ashbury-District der 1960er- tieren mexikanische, chinesische und im Südosten der Stadt gemeint. Wenn
oder im Castro District der 1970er-Jah- schwarze Enklaven. Abgesehen von den das nächste „Big One“, sprich Erdbeben,
re. Damals wurden die Politiker Harvey Städten des US-amerikanischen Südens kommt, schwingt Felsgestein nämlich
Milk und George Moscone aufgrund und Südostens, die von illegalen me- weit weniger mit als aufgeschüttetes
ihrer sexuellen Neigungen bzw. poli- xikanischen Einwanderern regelrecht Land. Die Mietpreise in San Francisco

Critical Mass Garagentor im Mission District Homo-Hochzeitskutsche

tischen Einstellungen noch gezielt von überflutet werden, hat wohl kaum eine richten sich daher daher nicht nur nach
einem katholischen Ir(r)en abgeknallt. andere US-Großstadt einen höheren der Wohnlage, sondern auch nach der
Stattdessen ziehen nun mehr und Ausländeranteil und so viele gemischt- Wohnunterlage. Dass das nächste Be-
mehr zahlungskräftige, politisch jedoch nationale Familien. ben kommt, ist so sicher wie Global
kaum aktive Google-Jünger aus dem Warming. Nur wann es kommt, das weiß
weiter südlich gelegenen Silicon Valley Warten auf the „Big One“ niemand. Am liebsten möchte es auch
Silicon Valley in die Stadt, was viele der Auch viele meiner Freunde leben mitt- keiner wissen. Statistisch gesehen wur-
alten Kämpfer als geistige Verflachung lerweile in internationalen Beziehungen de die Stadt bisher alle hundert Jahre
zu sehen scheinen. und Ehen. Das ist die sonnige Seite San von einem schweren Erdbeben heimge-
Franciscos. Bedauernswert ist hinge- sucht, zuletzt im Jahre 1906. Wir schrei-
Altgewordene Hippies und Revoluzzer gen, dass immer mehr von ihnen aus ben das Jahr 2009. Go figure!
Doch die Politik der Straße erlebte ich „the city“ wegziehen. Denn San Fran-
bisher in keiner anderen Metropole so cisco ist teuer – sehr teuer! Vor allem Schicksalsergebene Ignoranten
intensiv wie in San Francisco. Kaum ein junge Leute und Familien können sich Als Bewohner San Franciscos muss man
Wochenende vergeht ohne irgendwel- die horrenden Mieten nicht leisten, sie also entweder schicksalsergeben und/
che Demonstrationen, obwohl diese ziehen in den suburbanen Mainstream oder ignorant sein. Spürbare Beben er-
selten die Ausmaße erreichen, wie man von Oakland, der North oder der South eignen sich zwar nur ca. alle sechs Mo-
das von französischen Streiks kennt. Bay. Die durchschnittlich zwei Stunden nate, trotzdem werden die kostenlosen
Eine Ausnahme ist sicher die Critical Pendelverkehr zum Arbeitsplatz neh- Erdbebentrainings der Feuerwehr von
Mass, die immer am letzten Monats- men sie dafür wohlwissend in Kauf. lediglich fünf Prozent der Stadtbevölke-
freitag stattfindet. Tausende Radfahrer rung wahrgenommen.
fahren dann in einer bis zu fünf Kilo- Für den Notfall lernte ich dort sehr ele-
meter langen Kolonne durch die Stadt mentare Dinge, etwa dass man in einem
– singend, demonstrierend, pfeifend, Plastikbeutel unter dem Bett eine Ta-
ohne festgelegte Route und alle Am- schenlampe, Schuhe und Klamotten auf-
peln ignorierend. Für wenigstens einen bewahren, dass man Schränke und Spie-
Tag zeigen sie den Autofahrern, wer tat- gel an der Wand festschrauben und dass
sächlich die Straße beherrscht. Neben- man sein Bett nicht neben ein Fenster
bei lernt man dabei auch leicht nette stellen sollte. Da San Francisco auf drei
Leute kennen. Seiten von Wasser (davon nur zwei mit
Manchmal glaubte ich, es ist schlicht Brücken) umgeben ist, sagt man, dass
unmöglich, in San Francisco einen Ame- man nach einem katastrophalen Beben
rikaner kennen zu lernen. Nach fünf etwa drei Tage allein zurechtkommen
Jahren zählt nur eine einzige Vollbluta- müsste. Wissenschaftler sprechen vom
merikanerin zu meinem Freundeskreis. sogen. Island Phenomenon.
Alle anderen Freunde sind entweder Als neulich mal wieder die Wände wa-
selbst Einwanderer oder nur teilweise ckelten, fragte mich ein Arbeitskollege:
„amerikanisch“. Das liegt sicher daran, „Wollten wir nicht einen Kaffee trinken
dass es so etwas wie den Amerikaner gehen?“ Das trifft es wohl …
gar nicht gibt. Tatsächlich kommt San Folsom Street Festival
Francisco der amerikanischen Selbst-

17
Weltweit

von Christian Gesellmann auf Listen nach dem Verhältniswahl- sehr beliebt und werden deshalb aus-
recht bestimmt. Das heißt, dass die Zahl geklammert. Erstmal müsse man die ei-

A
uch dieses Mal hatten wieder der Sitze für eine Partei ihrem Stimmen- genen Probleme lösen, bevor man sich
Millionen Deutsche zugeschaut. anteil entsprechen sollte. Anschließend um Europa kümmern könne, so lautet
Und ganz ehrlich: Was wäre Sil- bilden sich im Europaparlament Frakti- die katastrophale Argumentation. Das
vester ohne diese einmalige Sendung onen (man könnte auch sagen: Partei- erklärt auch die miserable Wahlbeteili-
im Fernsehen gewesen? Ohne sie hät- enfamilien), z.B. die der Europäischen gung im Jahre 2004 von nur 43 Prozent
te einfach etwas gefehlt. Die gut zehn Sozialdemokraten oder der Europä- aller deutschen Wahlberechtigten (von
Minuten bester Unterhaltung mit der ischen Grünen. Deutschland hat mit den 18- bis 30-Jährigen gingen sogar
Neujahrsansprache der Bundeskanzle- 99 Sitzen das weitaus größte Gewicht nur 35 Prozent zur Wahl). Die meisten
rin sind zur Tradition geworden wie Kor- in diesem Gremium, Frankreich, Italien Nichtwähler begründeten ihr Fernblei-
kenknallen und Sektsaufen! und Großbritannien stehen jeweils nur ben damit, nicht gewusst zu haben,
Live aus der Waschmaschine konnte die 78 Sitze zu. was und wer denn eigentlich genau zur
brombeerrote Vergleichsweltmeisterin Wahl stand.
dem beschwipsten Volk kurz vorm Jah- Angela Merkel, die brombeerrote Ver-
reswechsel noch einmal die nagenden Das „Superwahljahr“ – auch ein super
gleichsweltmeisterin
Existenzängste vertreiben. Dank mene-
Wahljahr?
tekelartigem Optimismus und der Erin- Bedenkt man, wie groß der Einfluss ist,
nerung, dass wir den Krieg ja schließlich den Entscheidungen aus Brüssel auf Barack Obama hat inzwischen mehrmals
auch überlebt hätten. Was sollte da die nationalen Politiken – insbesondere betont, die Europäer mehr in die Pflicht
noch kommen? Mit dieser Rückbesin- auch die deutsche – haben, fragt man nehmen zu wollen, was Aufgaben der
nung auf unsere ultimative Aufbaufä- sich, warum die Spitzenkandidaten internationalen Staatengemeinschaft
higkeit könnten uns die Bedrohungen durchweg unprominent bzw. vollkom- angehe – eine Aussage, der zwei Beson-
der Zukunft nur noch ein arrogantes men unbekannt sind. Von Wahlkampf derheiten innewohnen. Erstens weicht
Lächeln abluchsen. "Weltwirtschaft und kann auch noch keine Rede sein. Bir- das neokonservative Postulat vom
Klimawandel, Klimawandel und Welt- git Schnieber-Jastram? Silvana Koch- "End of History“ mit der alles kontrol-

Nur noch knapp sechs Wo-


Dinner in
Foto: Flickr, User 'Jaume Meneses'
chen sind es bis zur Eu-
ropawahl am 7. Juni und
so recht interessiert sich Brombeer
niemand dafür – schein-
bar nicht einmal die Be-
troffenen selbst. So leidet
die Europwahl wie in den
vergangenen Jahren unter
Geheimniskrämerei.

wirtschaft – das geht auch zusammen!“, Mehrin? Martin Schulz? Markus Ferber? lierenden Hypermacht USA scheinbar
stellte Angela Merkel fest. Und … was Wer die Kandidaten den richtigen Par- endgültig der Realität. Zweitens fällt
war noch gleich? Ach so, die Finanzkri- teien zuordnen will, muss schon einen die unspezifische Adressierung "Euro-
se. Na wird schon! Mit Optimismus und Absatz weiterlesen. pa“ auf. Ganz offensichtlich wird die EU
Krediten … Schnieber-Jastram: CDU, Koch-Mehrin: in den USA wieder als leistungsfähiger
Wer außer mit seiner Kaufkraft und guter FDP, Schulz: SPD, Ferber: CSU. Angela politischer Partner in außenpolitischen
Laune noch anderweitig am demokra- Merkel scheint etwas von ihrem anfäng- Fragen wahrgenommen.
tischen System teilnehmen möchte, lichen Europa-Enthusiasmus verloren zu Das alle fünf Jahre gewählte Europäische
dem wird es dieses Jahr auf jeden Fall haben. Das Scheitern des Vertrages von Parlament repräsentiert die zweitgrößte
nicht an Möglichkeiten mangeln. Es ist Lissabon, ausgerechnet unter der deut- Demokratie der Welt. Nur in Indien sind
nämlich "Superwahljahr“! Aber wird es schen Ratspräsidentschaft, war ein har- bei den Wahlen mehr Wahlberechtigte
auch ein super Wahljahr? Neben der ter Schlag. Dabei sind die Bedrohungen aufgerufen, in einer allgemeinen, freien,
Bundestagswahl, den Landtagswahlen und Herausforderungen der Zukunft direkten und geheimen Wahl ihre par-
in Thüringen, Sachsen, Saarland und nur in europäischer Zusammenarbeit lamentarische Vertretung zu wählen.
Brandenburg sowie acht Kommunal- lösbar, so sind die wirtschaftlichen Be- Dem sollte auch endlich ein angemes-
wahlen steht auch die Europawahl an. ziehungen, so transnational die Struk- sener Wahlkampf gegenüberstehen.
Das ist die Wahl der Abgeordneten des turen der organisierten Kriminalität und Die Kandidaten sollten vorgestellt und
Europäischen Parlaments, die am 7. Juni des internationalen Terrorismus’. v.a. auch die politischen Ziele der Par-
stattfinden wird. Allerdings sind europäische Themen teien bekannt gemacht werden.
Die deutschen Abgeordneten werden beim Wahlvolk zurzeit einfach nicht

18
Eine Legende aus

Weltweit
Da unsere Vorfahren nun aber fliegen
wollten, wurden die Götter zornig und
bestraften meine Vorfahren mit der

Äthiopien braunen Hautfarbe. Seitdem tragen


die Schamanen keine Federn mehr. Nur
gelegentlich schmücken wir unsere
feinen Baumwolltücher mit urtypisch-
„Ein Taxifahrer erzählte mir in Addis eine seltsame äthiopischen Mustern und tragen sie
zu festlichen Anlässen. Daher kommen
Legende über die Herkunft der braunen Hautfarbe diese Muster.“ Er fuhr fort: „Die Äthiopier
unterscheiden sich von anderen Afrika-
der Äthiopier, die durch einen Fehler der Schama- nern, sie haben eine eigene Kulturge-
nen eines Volksstammes aus Albinomenschen ent- schichte. Viele kleine Völker leben zu-
sammen in diesem recht großen, aber
standen sei. Ich erfuhr auch so manches über die armen Land.“
Aus Sicht der heutigen historischen Ent-
äthiopische ‚Blume‘ Addis Abeba – und natürlich wicklung muss kurz erwähnt werden,
über ihre Leute.“ dass die Hauptstadt von Äthiopien Sitz
der Afrikanischen Union ist und über
sehr gute politische Beziehungen zu
erzählt von Zweta den zusammen. Sie besagt, dass sie sehr Europa verfügt – besonders zu Bulga-
verärgert waren, als die Menschen eines rien, was übrigens mein Herkunftsland

D
as große, silberne Tablett auf kleinen Dorfes auf dem Gebiet des heu- ist. Während des Kalten Krieges kamen
dem kleinen Holztisch spiegelte tigen Äthiopiens auch fliegen wollten.“ viele äthiopische Kinder nach Bulgarien
ein seltsam festliches Licht auf Fliegen sei ein uraltes Verlangen der zur „Assambleja na mira“, dem „Forum
den Gesichtern der kleinen Gesellschaft ganzen Menschheit gewesen, erklärte des Friedens“. Sie brachten Baumwoll-
von Äthiopiern, in der auch ich anwe- mir mein Fahrer, und lachend betonte tücher mit wunderschönen Mustern
send war. Im kleinen Restaurant, zu er, dass er Nachfahre sei von einem ur- mit nach Bulgarien.“
einer üppigen, traditionellen Mahlzeit uralten geistigen Führer, einem Scha- So endete meine Abschiedsfeier im Taxi
und anschließend grünem Kaffee mit mane eben dieses Stammes. Im kleinen vor meinem Gasthaus und mit einem
frischem Popcorn, sollte mein Abschied Taxi brach Gelächter aus, auch sein Sohn herzlichen Gruß aus Addis: Der Junge
gefeiert werden. lachte herzlich. Er war ein großer Junge schenkte mir ein bemustertes Baum-
Ein kleiner Junge kam am Tisch vorbei mit für sein Alter schönen Gesichtszü- wolltuch als Erinnerung an die seltsam
und bat mich, ich möge mit ihm kom- gen und sportlichem Körper. „Aus Äthio- schöne Blume Addis Abeba.
men. Er führte mich durch die ganze In- pien kommen die besten Wettläufer der
nenstadt von Addis Abeba. Dafür kaufte Welt!“, sagte der Junge.
ich ihm einige Süßigkeiten, und er holte Warum nicht auch die
danach das Taxi von seinem Vater, um besten Fußballspieler? Foto: Flickr, User 'Ferdinand Reus'
mich zurück in die Gastwohnung zu Ja, er wolle Fußball
bringen. Es war ein kleines, blau-weißes spielen, da könne man
Auto, worauf die Aufschrift „Taxi“ fehlte. berühmt werden, erwi-
Der Taxifahrer aber war sehr nett, und derte er auf meine ab-
irgendwie fühlte ich mich dabei wie im lehnende Reaktion hin.
märchenhaften Bagdad und nicht wie Aber zurück zu den
in Afrika. Der Vater sprach gut Englisch Schamanen oder Me-
und erzählte mir viel über sein Heimat- dizinmännern aus dem
dorf. In Äthiopien, sagte er, herrsche Ururstamm seines Va-
Vielsprachigkeit, fast jeder Volksstamm ters. Sie wünschten sich
habe auch seine eigene Sprache. Dass also von ihren Göttern,
es sich um Dialekte handele, könne die Begabung zum
man nicht sagen. Fliegen zu bekommen,
Wir fuhren an einer orthodoxen Kirche und schmückten sich
vorbei. Mein netter Taxifahrer mit seiner mit Vogelfedern – was
fast aneuropäisierten Art setzte eine la- für die heutigen Äthi-
chende Miene auf – seine Gesichtszüge opier äußerst selten ist.
aber waren fast europäisch, nur seine Mein Fahrer lachte, aber
Hautfarbe braun. „Wissen Sie“, sagte er, wollte mir den Rest der
„es gibt eine Sage von unserer Hautfar- Familienlegende nicht
be und der Vielsprachigkeit – wie die vorenthalten. „Damals
Christen mit ihrem sagenumwobenen waren in dieser kleinen
babylonischen Turm.“ Die Mehrspra- Gemeinde alle Leute
chigkeit sei Gottes Strafe für die uner- recht hellhäutig, so wie
sättliche Menschheit, die Gott in der die Europäer. Wir wa-
Himmelshöhe ihres Baus erreichen woll- ren Albinomenschen,
te. „Ich kenne eine Legende aus unserer und sogar Rothaarige
Stammesgeschichte, aus einer Zeit, als gab es. Wir waren“,
unsere Götter noch fliegen konnten. sagte er, „nicht wie
Damals lebten sie noch mit uns auf Er- die übrigen Afrikaner.

19
„Widerstand ist eine moralische
Weltweit

Verpflichtung!“
In unserer Nahostserie wollen wir unbefangen Opfer und Täter des Konflikts
zu Wort kommen lassen; Menschen, die vom Konflikt beeinflusst und jene,
die ihn beeinflusst haben; und Menschen, die jegliche Hoffnung längst ver-
loren haben. Für diese Ausgabe sprachen wir mit dem palästinensischen
Journalisten Khalid Amayreh über die Hamas und seine persönliche Sicht
auf den Nahostkonflikt.

UNIQUE: Soweit sie das einschätzen können, wo sieht die würde?


Hamas die Ursachen des Nahostkonflikts? Natürlich ist die Hamas viel zu schwach, um ein atomares Isra-
Khalid Amayreh Amayreh: Ich kann nicht in Anspruch neh- el, welches teilweise auch noch die amerikanische Regierung
men, die Hamas zu repräsentieren. Aber als normaler Paläs- kontrolliert, zu besiegen. Ich kann mit Sicherheit sagen, dass
tinenser glaube ich, dass die Kernursache für diesen Konflikt Juden ausgesprochen human behandelt werden würden. So
das Einpflanzen Israels in Palästina durch den Westen ist, ist der Islam. Hamas hat kein Problem mit Juden als Juden. Wir
einem seit dem 7. Jahrhundert arabischen Land. Der Westen Palästinenser sind gegen den Zionismus, nicht gegen Juden
hat einfach die Rechte eines Volkes über die eines anderen ge- oder das Judentum. Viele Juden unterstützen die palästinen-
setzt. Faktisch hat dies zur Zerstörung der palästinensischen sische Sache, und wir bewundern diese gewissenvollen Men-
Gemeinschaft geführt. Die europäischen Juden, die unter der schen für ihre moralische Standhaftigkeit.
Verfolgung europäischer Staaten litten, kamen nach Palästina,
um die indigene muslimische und christliche Bevölkerung zu Nun befürchten aber selbst viele Palästinenser, die Hamas
verdrängen und zu ersetzen. Sie wollten dem Zionismus, einer werde einen „Gottesstaat“ ausrufen, in dem eben nicht
rassistischen Bewegung im Stile der faschistischen Ideologien alle Konfessionen gleiche Rechte haben …
Europas nach dem 18. Jahrhundert, gerecht werden. Solche Ängste sind entweder das Ergebnis von Feindselig-
keit gegenüber der Hamas oder das Ergebnis von Ignoranz.
Können Sie uns konkret sagen, wie die Hamas den Kon- Im Allgemeinen erlaubt der Islam keine Diskriminierung von
flikt im Nahen Osten lösen möchte? Nicht-Muslimen. Wenn im Westen die einfache Mehrheit des
Der Staat Israel wurde auf Kosten des palästinensischen Parlaments z.B. dafür stimmt, ein bestimmtes Land anzu-
Volkes errichtet. Ohne die ethnischen Säuberungen, die Mas- greifen und zu zerstören, wird das so gemacht – ungeachtet
saker und die zügellosen Zerstörungen palästinensischer Be- menschlicher und moralischer Konsequenzen. Westliche De-
völkerungszentren seit 1948 hätte er nicht errichtet werden mokratien haben kaum eine moralische Decke, da das Volk
können. Der Zionismus muss abgelehnt werden, um Frieden der Souverän ist und Moralität eine Variable, keine Konstante
zu erreichen. Hamas kann einen Staat im ganzen Palästina-Is- ist. Ein islamischer Staat wäre hingegen ein bürgerlicher Staat
rael akzeptieren, wo alle Bürger ungeachtet ihrer Religion und mit moralischer Decke.
Rasse gleich behandelt werden. Bevor so ein Staat errichtet
werden kann, muss natürlich jedes gestohlene und beschlag- Die Verfasser der Hamas-Charta sahen dies anscheinend
nahmte Eigentum, jedes konfiszierte Land an seine rechtmä- etwas anders. Dort werden Juden für so ziemlich alle grö-
ßigen Besitzer zurückgegeben werden. Flüchtlinge müssen in ßeren Verbrechen in der jüngeren Geschichte verantwort-
ihre Heimat zurückkehren dürfen. lich gemacht.
Die Charta ist heute völlig anachronistisch. Die Hamas hat das
Was würde es für die Juden in Tel Aviv, Elat usw. bedeuten, begriffen und sich immer weiter von ihr abgewandt. Seit zehn
wenn die Hamas das ganze historische Palästina – also in- Jahren habe ich keinen Hamas-Führer auch nur zur Charta
klusive des Gebietes Israels – unter ihre Kontrolle bringen Bezug nehmen gehört. Meiner Meinung nach sollte sie als

Khalid Amayreh wurde 1957 in Hebron geboren. Weil israelische Truppen seine Familie 1948 enteignet und ihre
Wohnhäuser abgerissen hatten, lebte er mit ihr – wie viele andere Familien – jahrelang in Zelten und Höhlen in
den Hügeln südlich von Hebron. Mit 14 arbeitete er in Israel als Bauarbeiter und lernte dort Hebräisch. Nachdem er
1974 während einer Demonstration gegen die israelische Besatzung von Soldaten fast totgeschlagen worden wäre,
emigrierte er zwei Jahre später in die USA, studierte dort Journalismus und kehrte 1983 nach Palästina zurück. Dort
begann er seine journalistische Karriere. Als Korrespondent und freischaffender Journalist arbeitete er u.a. für die
staatliche iranische Nachrichtenagentur „IRNA“, die Kairoer Wochenzeitung „Al-Ahram“, die „Palestinian Times“ und
„Al-Jazeera“ und schreibt heute für das Hamas-nahe „Palestinian Information Center“. Aufgrund seiner offenen Kritik an der israeli-
schen Besatzungspolitik und der Politik der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) steht er seit den Anfangsjahren seiner Karriere
unter Beobachtung des israelischen Geheimdienstes, wurde mehrmals inhaftiert und stand jahrelang unter Hausarrest. Aufsehen
erregte zuletzt seine Verhaftung im Januar 2009, nachdem er der PA in einem Fernsehinterview vorgeworfen hatte, Demonstrationen
in der Westbank aus Verpflichtung gegenüber Israel zu verbieten und die PA als „Dienerin Israels“ bezeichnet hatte. Erst nach massiven
medialen Protesten wurde er wieder freigelassen. Amayreh lebt heute mit seiner Frau und seinen Kindern in Dura und schreibt an
20 seinem vierten Buch „Leben unter der israelischen Besatzung“.
20
historisches Dokument mit wenig Relevanz behandelt wer- Letztendlich bleiben es trotzdem die Raketenangriffe auf

Weltweit
den. Andererseits … wenn Hamas konstant für seine Charta israelische Zivilisten, mit den die Hamas von sich reden
verdammt wird, könnten Hamas und andere Muslime sich macht – ohne, dass die „palästinensische Sache“ irgendei-
auch einfach auf jüdische Dokumente wie „Chresronot Shas“, nen Vorteil daraus zieht. Bietet man der israelischen Seite
„ha’Tanya“ und die Ideologien jüdischer Parteien, die offen so nicht erst recht einen Vorwand, sich Verhandlungen zu
zur Vertreibung, Versklavung oder Vernichtung von Nicht-Ju- verwehren und militärische Aktionen zu legitimieren?

Dez. 08/Jan. 09; 7) Eine der letzten legalen Hamas-Demos in der Westbank im Frühjahr 2007; 8) tote palästinensische Polizisten nach israelischen Angriffen am 27. Dez. 2008
Wohnhaus in Gaza-Stadt; 5) Israelis demonstrieren am Grenzübergang Erez gegen die israelische Belagerung des Gazastreifens; 6) Palästinensischer Junge während des Gazakrieges im
Führer Sheikh Yassin und Abdal Rantissi; 3) Kämpfer des Islamischen Jihad posieren mit selbstgebauten Qassam-Raketen; 4) Durch die israelische Luftwaffe im Januar 2009 zerstörtes
Die Bilder von S. 21 links bis S. 22 rechts: 1) palästinensicher Bauer im Gazastreifen; 2) Hamas-Märtyrer-Plakat. Im Zentrum die beiden von der israelischen Armee getöteten Hamas-
den in Israel-Palästina aufrufen, beschweren. Die Hamas auf eine Stufe mit der israelischen Armee zu stellen,
ist ungefähr so, als setzte man jüdische Widerstandskämpfer
Können Sie trotzdem verstehen, warum die Hamas be- mit der deutschen Wehrmacht, der SS und der Gestapo im
sonders in Deutschland nicht gerade das beste Image hat, Dritten Reich gleich. Die wahllosen Raketenangriffe sollten
wenn Leute solche Dinge lesen? als verzweifelte Antwort auf die nazihafte Blockade, welche
Deutschland taumelt unter dem schweren Erbe des Holo- Israel über Gaza verhängt hat, verstanden werden. Die Situ-
causts. Seine Einstellung gegenüber der Hamas ergibt sich v.a. ation kann wirklich mit der Nazi-Belagerung des Warschauer
aus dieser Bürde und nicht aus einer objektiven Beurteilung Ghettos verglichen werden. Letztendlich sprechen wir über
der Lage in Palästina. Deutschland bevorzugt es, Israel und eine Bevölkerung aus Gefangenen, denen Israel versucht, die
den Juden in der Welt Gefallen zu tun und zu beschwichtigen, Luft abzuschneiden und zu demoralisieren, bis sie sich gegen
anstatt den moralischen Standards der Deutschen zu folgen ihre demokratisch gewählte Regierung erheben. Nebenbei,
– welche auch immer das sein mögen. Deshalb kann die deut- diese angeblichen Raketen sind überwiegend hausgemach-
sche Nahostpolitik als fast völlig unmoralisch und unethisch te Projektile mit geringer Wirkung. 8.000 dieser sogenannten
beschrieben werden. Als Nachfolger des Dritten Reiches muss Raketen töteten zwölf Israelis. Vergleichen Sie dies mit einem
Deutschland Israel unterstützen – egal, ob richtig oder falsch! F16-Bomber-Angriff auf eine Schule in Gaza im Januar, wel-
cher Dutzende unschuldiger Menschen umbrachte – und Sie
Neben der Regierung Deutschlands betrachten auch die werden die enorme Asymmetrie verstehen. Außerdem hat
EU und die USA die Hamas als Terrororganisation … die Hamas wiederholt gefordert, dass beide Seiten davon ab-
Wenn die Hamas aus Terroristen besteht, weil sie israelische sehen, Zivilisten anzugreifen. Doch Israel, welches Tausende
Zivilisten töten, dann muss das für Israel, welches wissend palästinensische Zivilisten tötete, hat sich dem beständig ver-
und vorsätzlich weit mehr palästinensische Zivilisten tötet, weigert.
tausendmal mehr gelten. Israel an sich ist ein Verbrechen ge-
gen die Menschlichkeit. Somit ist Widerstand gegen dieses 1987 löste der Tod von vier Palästinensern jahrelange Un-
kolossale Verbrechen eine moralische Verpflichtung für alle ruhen, die erste Intifada, aus. Vor drei Monaten tötete die
gewissenvollen Menschen. Aber ja, die Hamas hat Dinge israelische Armee in wenigen Wochen über 1.400 Palästi-
gemacht, die nicht hätten geschehen dürfen. Ich bin völlig nenser, doch die palästinensische Bevölkerung blieb still.
dagegen, unschuldige Menschen zu töten. Trotzdem bin ich Ist die palästinensische Gesellschaft nicht generell wider-
vollkommen davon überzeugt, dass Israel letztendlich verant- standsmüde geworden, müde für ein Ziel zu töten und zu
wortlich für alle Opfer dieses Konfliktes ist – palästinensische sterben, das immer unerreichbarer wird?
wie israelische. In der Westbank haben Israel und die Vereinigten Staaten ei-
nen palästinensischen Polizeistaat ohne Staat errichtet. Die
Die Menschen in Sderot sehen das wahrscheinlich anders Sicherheitskräfte der Palästinensischen Autonomiebehörde
Ein anglo-amerikanischer Poet [W.H. Auden; Anm. d. Red.] (PA) setzen maßlose Gewalt ein, um Pro-Hamas-Demonstrati-
sagte: „I and the public know; what all school children learn, onen zu verhindern oder zu kontrollieren. Menschen werden
those to whom evil is done, do evil in return.” Also ja, manch- verhaftet und misshandelt, weil sie ihre Unterstützung für die
mal sind die Opfer gezwungen, sich falsch zu verhalten. Es ist Hamas kundtun. Ich selbst wurde für einige Tage verhaftet,
die schändliche Militärbesatzung, die den Widerstand hervor- lediglich weil ich im Fernsehen sagte, die PA erlaube, um Is-
bringt. Und es ist sehr, sehr schwer, die Wirkung zu entfernen, rael zu beruhigen, keine Proteste in der Westbank. Tatsächlich
während die Ursache intakt bleibt. stieg Hamas’ Beliebtheit in der Westbank nach dem israeli-
schen Krieg in Gaza dramatisch an.
Auf der anderen Seite warfen viele Palästinenser der Ha-
mas während des jüngsten Gazakriegs Tatenlosigkeit vor. Manchmal scheint es, als sei nicht Israel, sondern die Fa-
Sie schütze die eigene Bevölkerung nicht ausreichend. tah der größte Feind der Hamas. Es gibt regelmäßig Mas-
Auch in der Westbank ging seit 2003 kaum eine bewaff- senverhaftungen, Abbas’ Sicherheitskräfte gehen massiv
nete Aktion von der Hamas aus. Wo bleibt der viel geprie- gegen Hamas-nahe Wohlfahrtseinrichtungen vor. Was
sene Widerstand der Hamas gegen die Besatzung? denken Sie über Palästinenser, die sagen, die nächste In-
Diese Propaganda wird häufig von Fatah verbreitet – mit dem tifada müsste sich zuerst gegen Fatah und die PA richten?
Ziel, Hamas zu diskreditieren und herabzuwürdigen. Nichts- Die Fatah ist nicht monolithisch. Ich denke, bis zu 80 Prozent
destoweniger wird Hamas dem wütenden israelischen Bullen der Fatah-Anhänger sind patriotische Palästinenser, die mehr
nicht allein mit physischer Kraft entgegentreten können. Die oder weniger derselben politischen Einstellung wie die Ha-
Hamas würde zerschmettert werden. Gäbe es eine Konfronta- mas folgen. Trotz allem haben diese Menschen recht wenig
tion zwischen einer Atommacht wie Israel und einer kleinen, zu sagen, und Fatah ist nicht demokratisch. Das wirkliche Pro-
leicht bewaffneten Miliz – die würde Miliz am Ende des Tages blem besteht aber nicht zwischen Fatah und Hamas, sondern
erfolgreich sein, wenn sie es schafft zu überleben. Und das hat eher zwischen den von Amerika unterstützten und von Israel
Hamas geschafft. beschützten Quislingen [Der Name des norwegischen Faschis-

21
Foto: ISM Palestine Foto: Zoriah Foto: ISM Palestine
Das Spiel mit der Verharmlosung - Ein Kommentar von fabik
Weltweit

N azivergleiche gehören seit jeher zu den Unarten politischer Rhetorik: Bundestagspräsident Wolfgang Thierse wurde durch Helmut Kohl zum neu-
en Hermann Göring, George W. Bush zum "Adolf-Nazi" (Zitat von Herta Däubler-Gmelin) und Massentierhaltung zum "Holocaust auf dem Teller"
(Peta-Slogan). Nazivergleiche vermögen es, den politischen Gegner ultimativ zu stigmatisieren. Sie garantieren Provokation und verleihen dem rheto-
risch unfähigsten und bedeutungslosesten Politiker endlich Aufmerksamkeit. Doch bei aller historischer Unkenntnis, bei aller geschichtsverklärender
Leichtfüßigkeit, die sich hinter der fehlenden Sensibilität verbirgt, steckt oft mehr, als reine Geschmacklosigkeit dahinter: Der gläubige Christ, der nach
seinem Werteverständnis deutsche Abtreibungsgesetzgebung als "Babycaust" begreift; der Friedensaktivist, der den Kosovokrieg in die historische
Kontinuität 100 Jahre deutscher Balkanpolitik stellt; der ukrainische Nachkomme eines "Hunger-Holocaust"-Opfers ... Ungeachtet dessen, ob man ihre
Meinung teilt, steht bei ihnen allen mehr dahinter, als die bloße Lust am Provozieren.
Sicher kann man sich, moralisch zurücklehnend, darauf beschränken, seinem Gegenüber vorzuwerfen, das Schicksal von Millionen für die eigenen
politischen Ziele zu missbrauchen. Doch wird man so der Angst und Hoffnunglosigkeit, der Ohmacht und Verzweiflung, die ihn - warum auch immer
- antreibt gerecht? Keine Frage: Nazivergleiche relativieren Opferleid. Doch die Positionen des Gegenübers mittels bloßen Verweises auf seine Rhetorik
zu deligitimieren, tut dies oft ebenso.

ten Vidkun Quislings wurde aufgrund dessen Anbiederungsver- Nazis. Und meiner Meinung nach haben Nazis kein Existenz-
suchen den Nazis gegenüber zur Metapher für Kollaborateure recht.
und Verräter; Anm. d. Red.] – den palästinensischen Judenräten
einerseits und dem Rest des palästinensischen Volkes ande- Andererseits erkannte die Hamas 2008 „Israels Recht, in
rerseits. Frieden zu leben“ an. Auch beteuern hohe Hamas-Funkti-
onäre seit Jahren ihre Bereitschaft zu einem dauerhaften
In letzter Zeit scheint die Hamas im Westen und in Israel Waffenstillstand. Hat die Hamas sich insgeheim nicht
verstärkt nach Gesprächspartnern zu suchen, um sich so längst mit der Existenz Israels abgefunden?
als legitimer Verhandlungspartner zu profilieren. Ander- Die Hamas – so wie der Rest der Welt auch – erkennt die phy-
seits lehnte sie bisher den gesamten israelisch-palästi- sische Präsenz Israels an. Trotzdem glaubt sie nicht, Israel
nensischen Verhandlungsprozess ab. Macht sie das nicht habe irgendeine moralische Legitimität. Israel ist eine Verge-
unglaubwürdig? waltigung seit seinem ersten Tag, ist immer noch eine Verge-
OK, den Dialog und gegenseitiges Verständnis mit anderen waltigung, und wird dies auch immer sein. Nichtsdestotrotz
anzustreben, ist zuerst eine Verteidigung, nicht eine Anklage ist die Hamas bereit, mit Israel einen zeitlich unbegrenzten
der Hamas. Die Hamas kümmert sich sehr um die palästinen- Frieden zu schließen, wenn es sich zu 100 Prozent aus den
sische Einheit, meint die Versöhnungsbemühungen mit der 1967 besetzten Gebieten inklusive Ostjerusalem zurückzieht
Fatah ehrlich und nimmt sie sehr ernst. Trotzdem wird und und zustimmt, das Flüchtlingsproblem im Sinne der UN-Reso-
kann die Hamas nicht den bankrotten Weg des Oslo-Prozesses lution 194 zu lösen.
einschlagen. Die PA ging diesen Weg seit 1993. Die Ergebnisse
sind mehr jüdische Siedlungen, ein judaisiertes Ostjerusalem, Mit Benjamin Netanjahu und Avigdor Lieberman stel-
mehr Apartheid und mehr nazihafte Massaker an palästinen- len seit Kurzem zwei Politiker die israelische Regierung,
sischen Zivilisten, wie wir es erst kürzlich in Gaza mit ansehen welche die Schaffung eines palästinensischen Staates ka-
mussten. tegorisch ausschließen. Wie schätzen Sie persönlich die
Chancen auf einen Frieden im Nahen Osten ein?
Trotz aller Bemühungen weigern sich Israel und das so- Die Netanjahu-Regierung ist zweifellos die rechteste in der
genannte Nahost-Quartett aber bis heute, Gespräche mit Geschichte Israels. Es ist eine Regierung aus verbrieften
der Hamas zu führen, u.a., weil diese das Existenzrecht Is- Kriegsverbrechern, rassistischen Rowdys und religiösen Fana-
raels nicht anerkennt. Was hält die Hamas davon ab? tikern. Somit ist es recht unwahrscheinlich, dass es mit die-
Das Konzept eines staatlichen Existenzrechts besteht im Völ- ser Regierung irgendwelche Fortschritte in dieser Richtung
kerrecht nicht. Staaten existieren – das ist alles! Darüber hin- gegen wird. Ich denke, die Zwei-Staaten-Lösung ist tot. Die
aus, warum sollte die Hamas Israel anerkennen, wenn Israel Chancen für die Errichtung eines lebensfähigen palästinen-
nicht das Recht eines palästinensischen Staates anerkennt? sischen Staates sind nahe null, v.a. aufgrund des krebsartigen
Würde Deutschland einen Staat anerkennen, der Deutsch- Wachsens rein jüdischer Siedlungen. Es gibt in dieser Hinsicht
land nicht anerkennt? Abgesehen davon, welches Israel wür- somit nur zwei Alternativen: Entweder einen einheitlichen
de die Hamas anerkennen? Israel mit der Westbank, mit Ost- Staat für alle, in welchem Araber und Juden mit gleichen
jerusalem, mit den Schebaa-Farmen im Südlibanon, mit den Rechten leben – oder der offene Konflikt.
Siedlungen? Es gibt eine Menge rabbinischer Autoritäten, die
lehren, dass Großisrael laut der Bibel von der Südtürkei bis Vielen Dank für das Gespräch!
Zentralägypten und von der Insel Kreta bis zum südlichen Iran
reiche. Ein anderer Punkt ist, dass die Hamas kein Staat ist und Das vollständige, ungekürzte Interview mit Khalid Amayreh fin-
nur Staaten einander anerkennen können. Letztendlich bleibt det ihr auf www.unique-online.de
Israel ein offenkundig verbrecherischer Staat. Haben verbre-
cherische Regime ein Existenzrecht? Dächten und handelten Das Gespräch führte fabik.
Juden oder irgendjemand sonst wie Nazis, würden sie auch

22
Foto: Jennifer Lisa Foto: ISM Palestine Foto: Amir Farshad Ebrahimi
Zuhause
Alle Jahre wieder …
Immer wieder erschüttern Amokläufe an Schulen die Republik. Doch anstatt
sich der Täter und ihrer Gedanken anzunehmen, werden Scheindebatten
geführt, um von den wirklichen Problemen abzulenken.

von Robert Jabs Scheinlösung, bedenkt man, dass auch Vorstellung vom Leben oder sehen sich
Kleinkaliber ausreichen, um eine sol- mit einer düsteren Hartz-IV-Realität

A
m 11. März diesen Jahres war es che Tat zu verüben. Ohne sich damit konfrontiert. Er und die anderen Mör-
wieder so weit: Ein Schüler, aus- für schärfere Gesetze aussprechen zu der haben ihre Wut und ihr Leid an den
gerüstet mit legalen Waffen, mar- wollen, soll doch darauf hingewiesen Ort getragen, der in ihren Augen die
schierte in eine Schule und begann, Mit- werden, welcher sinnlose Aktionismus Ursache für ihr Leiden darstellte: die
schüler und Lehrer zu erschießen. Kein hier an den Tag gelegt wird. Die Mas- Schule. Kaum einer will darüber reden,
Einzelfall, denn seit dem Jahr 1996 zähl- senmedien sprangen auf den Zug auf dass es vielen Schülern schlecht geht
te man weltweit 58 solcher Taten. Mit und versuchten mit Schlagzeilen wie und ihnen keine Perspektiven geboten
den Medien kamen auch die sogenann- "Mord im Kinderzimmer“ Auflage und werden können. Die Volksparteien und
ten Experten auf die Bühne gekrochen. Quote zu machen. Sogar renommierte großen Medien bleiben ihnen eine De-
Ob im Namen einer Partei oder der Magazine wie "Frontal 21“ schreckten batte über eine neue Bildungspolitik
vereinigten Lehrerschaft – jeder hatte vor undifferenzierter Berichterstattung und den gegenseitigen Umgang jeden-
auf einem Silbertablett die Lösung des nicht zurück und untergruben so ihre falls schuldig.
Problems dabei. Glaubwürdigkeit. "Ihr habt diese Schlacht begonnen,
Mit allen verfügbaren Fingern wurde Dabei machte der Amokläufer aus Ems- nicht ich. Meine Handlungen sind ein
auf Dinge gezeigt, die vorher hübsch detten allen, die es wollten, das einma- Resultat eurer Welt – eine Welt, die mich
zusammenorakelt wurden. Was die Tä- lige Angebot, in seine Gedankenwelt nicht sein lassen will, wie ich bin. Ihr
ter aber wirklich unzensiert zu ihrer Tat einzusteigen und seine Motive nach- habt euch über mich lustig gemacht,
zu sagen hatten, wurde fast vollständig zuvollziehen. Unter dem Titel "Ich will dasselbe habe ich nun mit euch getan.
ignoriert. Lieber wurden PC-Games, die R.A.C.H.E“ veröffentlichte das Onlinema- Ich hatte nur einen ganz anderen Hu-
modernen Räuber-und-Gendarm-Vari- gazin "Telepolis“ seinen Abschiedsbrief. mor!“, schreibt Sebastian B.
anten der Kinder- und Jugendbeschäf- Es wurde versucht, diesen Brief von der
tigung, als "Killerspiele“ oder "Tötungs- Öffentlichkeit fernzuhalten, indem z.B. Der ungekürzte Abschiedsbrief von Sebas-
trainingssoftwares” gebrandmarkt und die Webseite des Amokläufers auf Bitte tian B., dem Amokläufer von Emsdetten:
der Polizei hin gesperrt wurde. Die Ver- h t t p : / / w w w. h e i s e . d e / t p / r 4 / a r t i -
"Killerspiel" sionen auf Bild.de und RTL Online fielen kel/24/24032/1.html
Counterstrike der Zensur zum Opfer. Die persönlichen
Motive und gesellschaftskritischen Pas-
sagen des Amokläufers wurden gestri-
chen und der Öffentlichkeit einzig die
des Hasses präsentiert, der Täter so zum
Monster stilisiert. Veranstaltungshinweis
Sebastian B. prangert Konsumwahn
und die Bigotterie unseres Staates an. Er "Gerade nach den Ereignissen von
erklärt sich nicht einverstanden mit der Winnenden möchten wir nicht die Augen
Art des Zusammenlebens in Deutsch- verschließen sondern mit Ihnen gemein-
land, dem Schwimmen mit der Masse, sam überlegen, was ein jeder von uns tun
um nicht mit Hass und Ausgrenzung kann.“ Mit diesen Worten lädt die Jenaer
Robert Jabs ist Schüler an einem Gymna- konfrontiert zu werden. Und er be- Bürgerstiftung Zwischenraum zu einem
sium in Jena-Göschwitz. Fasziniert von schreibt das Leben ohne Perspektive, Vortrag des Talkshow-Kriminologen Prof.
Gewaltdarstellungen in Computerspie- für das er sogar einen eigenen Begriff Christian Pfeiffer ein. Thema wird eine
len, spielte er jahrelang mehrere Stunden entwickelt hat: "S.A.A.R.T. – Schule. Aus- Befragung von mehr als 20.000 Schülern
täglich den Ego-Shooter "Counter-Strike“. bildung. Arbeit. Rente. Tod.“ Er erklärt, über den Zusammenhang von schu-
Amok lief er nie. dieses Spiel nicht mitspielen zu wollen lischen Leistung und Medienkonsum sein.
und freiwillig aus dem Leben zu schei- Das Ergebnis: Je mehr Zeit Schüler mit
von ihrer angeblichen Schadenswir- den, um das nicht erleben zu müssen. Medienkonsum verbringen und je bru-
kung her auf eine Ebene mit der Kin- Vorher aber wolle er es denen heimzah- taler dessen Inhalte sind, desto schlechter
derpornographie gestellt. Solche Spiele len, die ihm das Leben zur Hölle mach- fallen die Schulnoten aus. Wer mehr über
widersprächen dem "friedlichen Werte- ten: den Mitschülern, die ihn auf Grund die Studie und das Thema wissen will oder
konsens“ unserer Gesellschaft. seiner Andersartigkeit gemobbt und sich fragt, was der Amoklauf in Win-
Auch die Waffengesetze sind ein be- den Lehrern, die ihn gezwungen hätten, nenden damit zu tun hat, ist zu folgenden
liebtes Thema, um sich nicht mit den in die Schule zu gehen – um ihn dort mit Vorträgen mit Diskussion eingeladen:
Tätern selbst auseinandersetzen zu Stoff zu quälen, der ihn nicht interessiert
müssen. Nach dem Amoklauf in Erfurt habe. Er wolle seinen Teil zur "Revoluti- 04. Mai 2009 um 18.30 Uhr im UHG, HS24
wurde die Abgabe von großkalibrigen on der Ausgestoßenen“ beitragen. 05. Mai 2009 um 08.00 Uhr im CineStar
Waffen an Jugendliche unter 21 Jah- Sebastian ist nicht allein. Viele Jugendli- (nur für Schüler und Lehrer)
ren fast vollständig verhindert. Eine che in Deutschland haben eine ähnliche 05. Mai 2009 um 10.30 Uhr im CineStar
(offen für alle)
23
Zuhause

Portrait

"Wir können Gutes zusammen genießen."


Die Haut so weiß und zart wie frisch gefallener Schnee, die Lippen so rot und
weich wie eine duftende Rose und die Haare so schwarz und glatt wie ein
Opal. Was wie ein abgewandeltes Zitat aus Schneewittchen klingt, ist eine
Beschreibung, die wie geschaffen ist für die grazile, 25 Jahre junge DaF-Stu-
dentin Shengnan Zhang.

von cede Verglichen mit ihrer Geburtsstadt ist sie auch andere Hobbys teilt. Oft sitzen
ihre momentane Wahlheimat ein win- sie zusammen, schauen fern oder hören

O
b ihr Interesse für andere Spra- ziges, ödes Nest, deren Langeweile Musik. Manchmal plagt sie das Fernweh
chen und Kulturen durch die Nanan (ihr zweiter Spitzname) anfangs und so reisen sie gemeinsam in andere
europäisch anmutende Ma- bedrückte. Doch sie gewöhnte sich an Länder. Auf diese Weise hat Nan schon
gistrale Harbin (Provinz Heilongjiang), Jenas speziellen Charakter, und so ge- Japan – das ihr wegen der höflichen
Shengnans Geburts- und Heimatstadt, nießt sie seither die ruhige, entspannte Art der Menschen besonders gut gefiel
oder durch ihre Tante, die schon seit ei- Kleinstadtatmosphäre. Ebenso belas- – sowie verschiedene Städte in China
nigen Jahren in Tokyo lebt und arbeitet, tend war zu Beginn des Deutschland- und Deutschland besucht. Auf ihrer
geweckt wurde, kann sie heute nicht aufenthalts das Heimweh, denn Nan, Wunschliste stehen außerdem Italien,
mehr sagen. Mit Sicherheit weiß sie nur, die in Harbin eine Wohnung mit ihren Holland und die Schweiz.
dass sie sich aufgrund der Sissi-Trilogie Eltern und ihrer Großmutter teilte, liebt In ihrer Freizeit spielte sie früher auch
für die deutsche Lebensart begeisterte. und vermisst ihre Familie sehr. Davon gern Klavier, doch das änderte sich mit
Die hübsche Kaiserin Elisabeth ließ sie zeugen die vielen Fotos, welche sie Beginn der Mittelschule. Seither dient
von einem Land mit verspielten, fürst- auf ihrem PC wie einen Schatz hütet. das Klavier, das noch immer in ihrem
lichen Bauten träumen, in dem Frauen Immer wieder lächelt die stets adrett Zimmer steht, als Tisch und Blumen-
von Männern auf Händen getragen gekleidete Chinesin auf diesen Bildern ständer. Zu ihren neuesten Hobbys ge-
und wie Königinnen behandelt werden. in die Kamera. Sie zeigen, wie sehr Nan hört das Kochen, welches ihr der Vater
Auch nachdem Nan (so ihr Spitzname) es liebt, fotografiert zu werden, obwohl beibrachte. Seitdem duftet es aus ihrer
festgestellt hatte, dass dieses Bild nicht sie selbst nur ungern eine Kamera in der Küche nach den exotischsten Gewür-
der Wirklichkeit entsprach, ließ ihr In- Hand hält. zen, wenn sie für sich und ihre Freunde
teresse an Deutschland nicht nach. So Heute kann sie nur selten mit ihren weit ein neues Gericht zubereitet. Schließlich
entschied sie sich im Jahre 2003 für ein entfernten Verwandten posieren. Statt- kann man Gutes nur zusammen genie-
Studium der Auslandsgermanistik, wel- dessen modelt sie nun mit ihren Freun- ßen …
ches sie seit 2007 in Jena fortsetzt. dInnen und KomilitonInnen, mit denen

24
Sozial Aktiv:
refugio thüringen e.V.
von Stefanie Ullrich mals einen Antrag, der auch bewilligt
wurde. Für die Dauer von drei Jahren

„S
tellen Sie sich folgendes Szenario sind gegenwärtig Weiterbildungen und
vor: Sie sind im Urlaub in einem Qualifizierungen für Migranten geplant,
fremden Land und plötzlich gefördert durch die Europäische Union
werden sie krank. Sie müssen zum Arzt, bzw. den Europäischen Flüchtlingsfond,
ins Krankenhaus, im schlimmsten Falle das Thüringer Innenministerium und

Kontaktion
müssen sie sogar operiert werden. Aber das Thüringer Ministerium für Soziales,
sie sprechen nicht die Landessprache. Familie und Gesundheit.
Die Ärzte und Schwestern sprechen auch
kein Deutsch. Mit Englisch oder Franzö- Ziel des Projektes „Sprach- und Kultur-
sisch kommen sie nicht weiter, besonders mittlung im Gesundheitsbereich“ ist der
in Anbetracht der vielen Fachbegriffe und Aufbau eines Pools von qualifizierten
medizinischen Diagnosen. Dieses Szenario
gleicht einem Albtraum.“
(Slapp, Ashley Marc. Community Interpre-
ting in Deutschland. Gegenwärtige Situ-
ation und Perspektiven für die Zukunft,
München 2004)

Ähnliche Situationen erleben Flücht-


linge und Migranten im deutschen
Gesundheitssystem täglich – auch im
Freistaat Thüringen. Vielen der hier
lebenden Flüchtlinge und Migranten
fehlen ausreichende Deutschkennt-
nisse, um ein Gespräch mit einem
ung
ewohner T Arzt führen zu können. Es mangelt
Tills Mitb
an Worten und Gesten, Schmerz und
Körpergefühl ausdrücken zu können.
von ture
Kulturelle Unterschiede bei der Be-

E
schreibung und Lokalisierung von körper-
s war Sympathie auf den ersten
lichen Problemen führen immer wieder
Blick. Der angehende Mathema-
zu Missverständnissen zwischen Patienten Sprach-
tikdoktor Tung hat sich gut in un-
und Ärzten. Anamnese, Diagnose und Be- und Kulturmittlern.
sere Dreier-WG integriert. So genießen
handlung beruhen daher oft auf sehr un-
wir zum gemeinsamen Abendbrot re-
genauen Angaben. Einige behelfen sich in Dazu schult REFUGIO in Thüringen le-
gelmäßig ein gutes deutsches Bier und
ihrer Not mit Freunden, die eventuell ein bende Flüchtlinge und Migranten. Für
manchmal treffen wir uns auch zum
paar Vokabeln mehr verstehen, mit zufällig die Weiterbildung suchen wir noch Mig-
Frühstück. Das sind oft Situationen, in
anwesenden Reinigungskräften im Kran- ranten, die über gute Kenntnisse der
denen ich mit den Kopfschmerzen ei-
kenhaus oder gar den eigenen Kindern, die deutschen Sprache verfügen und Er-
ner durchzechten Nacht in die Küche
in der Schule Deutsch lernen. Doch auch fahrungen im Dolmetschen haben. Ge-
taumele und halbblind nach dem si-
die Hilfe zur Selbsthilfe erweist sich in der sucht werden vorrangig Muttersprach-
cheren Halt des Waschbeckens suche.
Praxis als „äußerst problematisch“, berich- ler in den Fremdsprachen Arabisch,
In solchen Momenten freue ich mich,
ten Patienten und Ärzte gegenüber dem Russisch und Türkisch. Die kostenlose
Tung zu sehen, wie er auf dem Fußbo-
Psychosozialen Zentrum REFUGIO Thürin- Weiterbildung findet ab Juni 2009 in
den neben dem Kühlschrank hockt, um
gen in Jena. Erfurt statt. Solltet ihr Interesse haben,
mit einem Messer gefrorene Hühnchen
meldet euch!
in Teile zu zerhacken. Welch ein harmo-
Unter den Titeln „Gemeindedolmetscher“,
nisches Beisammensein!
„Sprach- und Kulturmittler“, „Integrations- Kontakt
assistent“ und „Integrationslotse“ sind bun-
desweit in den vergangenen Jahren unter- refugio thüringen e.V.
schiedliche Projekte gestartet worden, um Sprach- und Kulturmittlung
die Versorgung von Flüchtlingen und Mig- Johannesstraße 112
ranten im Gesundheits- und Sozialwesen zu 99084 Erfurt
verbessern. In Thüringen wurde der Bereich Tel.: 0361/51150013
der Integrationshilfe für Flüchtlinge im Ge- Fax: 0361/51150029
sundheitsbereich bisher unzureichend spuku@refugio-thueringen.de
fokussiert. REFUGIO Thüringen stellte erst- www.refugio-thueringen.de/spuku.php
Zuhause

Büttenreden,
braune Linke

Normannia Flyer wie diesen für einen Euro.


Alles deutsch, außer der Preis: Zur Eigenfinanzierung verkauft die
Bier und

Bier saufende Män-


ner, die Lobeshym-
nen aufs "Heilige
Deutsche Reich“ sin-
gen. Mit Säbeln und
Federn beschmückte
von fabik sem Jahr den Weg in den Festsaal des
Narbengesichter, die "Schwarzen Bären“ gefunden haben.

D
ie deutsche Souveränität müs- Kindergeburtstage, der weite Anfahrts-
antiquierten Ritualen se wiederhergestellt werden weg – zu kurzfristig sei es gewesen. Nur
– sowohl territorial als auch po- ein paar Vertreter der vom Verfassungs-
frönen und über die litisch. So stößt es aus einem extra aus schutz beobachteten „Teutonia Prag zu
der Lüneburger Heide angereisten und Regensburg“ und "Frankonia Erlangen“
entscheidende Fra- etwas eingeschüchterten Jungbur- sowie die "Germania Hamburg“, die einst
schenschaftler (Fux) heraus. Der Über- den britischen Holocaustleugner David
ge debattieren: Kai- fremdung des deutschen Volkes könne Irving als Redner eingeladen hatte, sind
man eben nur nationalsozial entgegen- mit wenigen Vertretern angereist und
serreich oder Natio- wirken, sagt er und nippt hektisch an teilen bereitwillig das gemeinsame Iso-
seinem Glas. Und nein, den Holocaust lationsschicksal. Der Kampf gegen die
nalsozialismus. Jenas leugne er keinesfalls, er habe einfach eigene Ausgrenzung und die Zurschau-
nur etwas dagegen, wenn Geschichte stellung der elitären Bollwerkhaftig-
umstrittenste Bur- als unwiderlegbar gelte. Es ist das zehn- keit, die beharrlich dem Zeitgeist trot-
jährige Jubiläum der Burschenschaft zen möchte und es doch nicht einmal
schenschaft feierte Ge- „Normannia zu Jena“, und wäre sie eine schafft, die eigene Bedeutungslosigkeit
politische Partei, würde man den jun- zu kaschieren, werden zu den Mantras
burtstag und ließ da- gen Fux wahrscheinlich zum linkspro- des Abends, werden zum K(r)ampf um
gressiven Flügel zählen. Einer der Alten die Bewahrung des eigenen Opfermy-
bei kaum ein Klischee Herren wird später am Abend sagen, thos’. „Trotz ihrer 160-jährigen Tradition
als Nationalsozialist gehöre er zum „lin- sind die anderen nichts“, bringt einer
aus. ken Pack“ der Burschenschaft. Aber die der angereisten Bundesbrüder das
Normannia sei eben ein Hort der po- Selbstverständnis der ausgegrenzten
litischen Freiheit, deshalb müsse man und verstoßenen Elite auf den Punkt. So
auch solche Leute dulden. ausgegrenzt, dass in diesem Jahr nicht
einmal die sonst üblichen Demonstran-
Kindergeburtstage statt Volksk(r)ampf ten auf dem Hotelvorplatz erschienen.
Knapp 40 Bundesbrüder und drei Bun-
desschwestern fanden sich am 28. Feb- "Heil dem deutschen Reich!“ ersetzt
ruar zusammen, um deutsche Volks- und
das obligatorische "Helau!“
Studentenlieder zu singen, Männer-
freundschaften mit dem Durchstoßen "Weil wir aufstehen fürs Vaterland“,
von Mützen zu festigen, NS-Kriegsver- ereifert sich einer der Redner, „ernten
brechern zu gedenken und den Frust wir Ablehnungen, werden als Ewigges-
über den Zusammenbruch des Deut- trige, Revanchisten und Rechtsextre-
schen Reiches in Unmengen Bier zu er- misten beschimpft!“ Mit seinem Ein-
tränken. Nicht viele sind es, die in die- stecktuch wischt er sich den Schweiß

26
Impressum
von der Stirn. "Trotzdem“, so fügt ein verblichenen Glanz und einstige Siege,
Bundesbruder mit Heinrich-Himmler- die Tugenden des Heiligen Deutschen Die UNIQUE ist eine unabhängige Hochschulzeitung, die sich
Frisur hinzu, "werden wir mit deutscher Reichs, über Treue bis zum Grab. Dar- mit inter- und subkulturellen Fragen auseinandersetzt. Sie
Standhaftigkeit gegen alle Widerstände über, dass man nicht als "Knecht“ in wird von der Redaktion vier
bestehen.“ Zwischen all den kunstvoll "Gram und Schmach“ sterben, nicht "im
Mal im Semester veröffent-
dekorierten Säbeln, bunten Schärpen Bußgewand“ betteln werde fürs Heilige
licht. Die UNIQUE wird von
und mit Federn geschmückten Hüten Deutsche Vaterland – selbst wenn der
erinnert die Atmosphäre eher an eine eine oder andere aufgrund des geho- den Studentenräten der FSU
dörfliche Karnevalsveranstaltung als an benen Alkoholspiegels kaum noch den und FH, dem Rektor, dem
das Jubiläum einer Verbindung, deren Text erkennen oder sich der passenden Studentenwerk, dem Aka-
Selbstverständnis trotz zelebrierten Kla- Melodie erinnern kann. demischen Auslandsamt der
mauks doch ein politisches ist und die FSU sowie über Anzeigen
sich in einer Tradition mit den Wegbe- Kriegsverbrecher-Gedenken und Pin- getragen. Öffentliche Redak-
reitern der deutschen Demokratie sieht.
kelverbot tionssitzungen finden jeden
Ja, Burschenschaft, das bedeute eben
Donnerstag um 18 Uhr im
auch, die eigene Lebensfreude und Le- Nach knapp drei Stunden bierseliger
Haus auf der Mauer, statt.
benseinstellung zu feiern, bekräftigt Heiterkeit, die verbissen gegen das
einer der Alten Herren vehement. Nur geschichtsverklärende Selbstmitleid
die Inhalte der Büttenreden unterschei- ankämpft, ist das Gesangsbuch fast Herausgeber:
den sich dann doch etwas. Es geht um ausgesungen. Redner Nummer fünf UNIQUE-Redaktion/ Int.Ro
die Einheit des deutschen Vaterlandes. wird völlig besoffen nach zwei Sätzen Johannisplatz 26, 07743 Jena
Darum, dass man aufstehen müsse, um zum Abbruch seiner Rede aufgefordert Tel.: 03641/930996 Fax: 03641/930995
für Pommern und Mähren zu kämpfen. und macht Platz für eine der wenigen E-mail: uniqueredaktion@gmx.de
Es gehe um den Erhalt deutscher Kultur Bundesschwestern, die sich ein letztes Webseite: www.unique-online.de
in Böhmen und Schlesien und immer Mal an die aufgrund des Pinkelverbotes
wieder darum, dass die anderen Bur- langsam auf ihren Stühlen unruhig hin-
Chefredakteure:
schenschaften eben kein Wort über die und herrutschenden Zuhörer wendet
"deutschen Gebiete“ östlich der Oder- und zur Unterzeichnung eines Solida- Fabian Köhler (fabik) - V.i.S.d.P.
Neiße-Linie verlören, bis abschließend ritätsbriefes an "unseren letzten poli- Lutz Thormann (Luth)
sogar das "Heil dem deutschen Reich! tischen Gefangenen“ aufruft. Gemeint
Heil Normannia!“ das obligatorische ist Erich Priebke, "ein Mann mit Tatkraft, Redaktion:
"Helau!“ ersetzt. "3,5 Millionen Deut- an dem wir uns ein Beispiel nehmen Anna Etienne, Carola Wlodarski (Caro), Christoph Matiss
sche“, so setzt der Hauptredner an, "wur- müssen“, fügt der Pianist und Modera- (Chrime), Claudia Dahl (cede), Frank Kaltofen, Heike Fröhlich,
den in einen fremden Staat gezwungen, tor hinzu. Ob er mit dieser Tatkraft die Jenny Jecke (Yeke), Jura Hölzel (Jura), Lutz Granert (LuGr), Lutz
als das tschechische Militär ins Sudeten- Mitwirkung an der Erschießung von 335
Thormann (Luth), Tilmann Fruntke (ture), Ralf Rohmann (gon-
land einmarschierte und auf deutsche Italienern durch das SS- und Gestapo-
zo), Sebastian Schieweck (Seba), Stefan Berke (bergi), Steven
Demonstranten, die friedlich ihren Pro- mitglied meint, lässt er freilich offen.
test äußerten, schoss“ – so fasst er die Mit allen drei Strophen des Deutsch- Hopp (FrancoFon), Thibaut Boeder (ThiBo), Turian da Silva
Geschichte des Sudetenlandes unter landliedes und einem letzten „Heil (Tsil), Zwetelina Vassileva-Nickl (Zweta)
Auslassung einiger Jahre und Millionen Deutschland! Heil Normannia!“ endet
Toter zusammen. Welcher deutsche schließlich das Stiftungsfest. Die Wür- Lektorat: Lutz Thormann, Lutz Granert
"Friedensstifter“ mit seiner "humani- denträger marschieren betont stolz aus Satz & Layout: Fabian Köhler, Stefan Berke, Claudia Dahl
tären Intervention“ dem Morden ein dem Saal, scheitern aber mit ihren er- Bilder: Redaktion, sofern nicht im Einzelnen anders angege-
Ende setzte, ergibt sich dann schon fast hobenen Säbeln am zu niedrig bemes- ben
von allein. senen Türrahmen. Und auch die Alten
Onlinebetreuung: Tilmann Fruntke, Jenny Jecke
Herren scheinen froh, die Beschwörung
Druck: Schöpfel, Weimar
Aus Treue zum Deutschen Reich und zu des kollektiven deutschen Volkswillens
durch einen kollektiven Besuch der To- Auflage: 4.000 Exemplare
deutscher Braukunst
ilette ersetzen zu können. So leert sich
Nein, die Normannia sei kein Verein der kaum gefüllte Festsaal des "Schwar- Die UNIQUE und all ihre Inhalte stehen, sofern nicht anders
von Säufern, die Ausländer diskrimi- zen Bären“ in Windeseile und man ver- gekennzeichnet, unter einer Crea-
nieren, bekräftigt der nächste Redner. abredet sich dazu, auch im nächsten tive Commons-Lizenz. Alle Inhalte
Stattdessen stünden Burschenschaften Jahr wieder bei Bier und Büttenreden dürfen weiterverbreitet werden,
für Meinungs- und Pressefreiheit, und fürs Deutsche Reich zu kämpfen. insofern der Autor genannt wird und die Texte bzw. Bilder
deshalb sei man auch gern bereit, „ir-
nicht kommerziell genutzt werden. Näheres findet ihr unter:
gendwen von der PDS“ hier reden zu
creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/legalcode
lassen, rechtfertig sich einer anderer.
Gesprochen habe freilich noch kein
Linker, dafür fehle einfach die Zeit. Bei Wir freuen uns jederzeit über eingereichte Leserbriefe, Artikel
anderen Burschenschaften habe es so und Fotos von außerhalb. Es besteht jedoch keine Veröffentli-
etwas aber wohl schon gegeben, sagt chungspflicht. Anonym eingesandte Manuskripte finden leider
er und stimmt ein in „Wenn alle untreu keine Beachtung. Namentlich gekennzeichnete Artikel müssen
werden, so bleiben wir doch treu …“ nicht der Meinung der Redaktion entsprechen. Die Redaktion
– auch bekannt als "Treuelied“ der SS. behält sich die Kürzung von Leserbriefen vor. Für den Inhalt
Gesungen wird viel an diesem Abend:
von Anzeigen ist die Redaktion nicht verantwortlich.
über die Schmach des Vaterlandes, über

27
Zuhause

SEK schlägt zu … und raus bist du!


Es ist der 16. April 2009, sechs Uhr am Morgen. Räumpanzer rollen heran, aus
Hubschraubern seilen sich, meist von spektakulären Geiselnahmen bekann-
te, Spezialeinheiten ab. Tränengasgranaten sausen durch die Luft. Wenig
später machen Polizeieinheiten aus vier Bundesländern ein Haus platt und
seine Bewohner damit obdachlos. Was klingt wie eine Filmszene fand mitten
in Thüringen statt. Der Unterschied zum Kino: Es fehlte das Happy End!

von Katja Barthold aufgefordert mich abzuholen und dafür zu sorgen, dass ich
Erfurt für mehrere Tage nicht mehr betrete. und ich mich von

D
er Plot beginnt im Jahre 2001, als das ehemalige Fa- weitere Protestveranstaltungen fern halte.“
brikgelände der Ofenfirma "Topf & Söhne“ von Men- Während die Hausbesetzer unter Einsatz massiver Gewalt
schen mit Visionen in ein Wohn- und Kulturzentrum aus friedlichen Sitzblockaden gezerrt wurden, beteten die
umfunktioniert wurde. Visionen abseits von vorgegebenen Massenmedien eilfertig und fleißig die Klischees zerstörungs-
Lebensläufen, die über ein Leben vor dem Fernseher hinaus- wütiger, linker Chaoten herunter – Chaoten, die ruhiggestellt
gehen. In Erfurt entstand vor acht Jahren nicht nur einfach werden müssten. "Schließlich sei die Besetzung illegal", er-
eine Wohnstätte, sondern ein Ort für Konzerte, Infoveranstal- wähnt wird nicht, dass eben legale Möglichkeiten fehlen. Die
tungen und ein Lesecafé, ein Raum für freies Denken und po- Ablehnung ungeeigneter Ausweichobjekte nahm die Stadt
litisches Engagement. Erfurt zum Anlass, den "Radikalen“ Dialogunwillen vorwerfen
Es war eine Besetzung nicht nur für eine alternative Lebens- zu können. Der Empörung mit den Hausbesetzern sympa-
form, sondern auch gegen das Vergessen. Die Firma "Topf & thisierender Demonstranten aus der Bevölkerung wurde mit
Söhne“ belieferte im Dritten Reich die Konzentrations- und militaristischen Polizeiauftritten aggresiv begegnet. Selbst
Vernichtungslager mit Verbrennungsöfen. Das "Besetzte Bundeswehreinheiten sollten den Ruf nach mehr Freiraum
Haus“ stand aber auch für die Kritik an der derzeitigen Ge- zum Verstummen bringen. Dabei lehren Krisenherde welt-
sellschaft und ihren Umgang mit immer noch vorhandenen, weit, dass sich Konflikte selten mit offenen Konfrontationen
menschenverachtenden Einstellungen – Kritik, mit welcher entschärfen lassen. Was schon im Ausland nicht funktioniert,
der Erfurter Stadtrat scheinbar nicht umzugehen wusste. soll nun im Inland für Frieden sorgen.
Aus vielen Betroffenenberichten wird deutlich, dass Grund- Was bleibt, ist nicht nur die Frage, wie dieser Einsatz zu recht-
rechte für Hausbesetzer nicht zu gelten scheinen. "Nachdem fertigen war, sondern auch, welche Visionen abseits markt-
wir in Gewahrsam genommen worden waren, mussten wir wirtschaftlicher Regeln überhaupt noch gelebt werden dür-
uns komplett ausziehen und in die Hocke gehen. So über- fen. Derartige Geschichten spielen sich nicht nur in Erfurt ab.
zeugten sich die Polizisten davon, dass wir unbewaffnet Auch in zahlreichen anderen Städten verschwanden Offene
waren. Stundenlang waren wir in Gefängnistransportern ein- Projekte bereits oder sie stehen zumindest vor dem Aus – so
gesperrt, unsere Bedürfnisse nach Frischluft, Nahrung und beispielsweise das "Caleidospheres" in Jena oder die Gerber
Toilettengängen wurden arrogant ignoriert, einigen Verhaf- in Weimar.
teten sogar notwendige Medikamente verwehrt“, berichtete Das Ergebnis werden äußerlich glatt gebügelte Städte sein,
ein Mittzwanziger. "Im anschließenden Verhör wurde ich per- deren Bewohner sich wundern, dass ihre Kinder in Lethargie
sönlich beleidigt. Nachdem meine Daten inklusive Foto und verfallen oder sich zusehends radikalisieren. Eine alternative
Fingerabdrücken aufgenommen worden waren, entließen Jugendkultur und die damit verbundene Lebensvielfalt einer
mich die Beamten erst gegen 22 Uhr. Meine Eltern wurden Stadt entstehen eben nicht per Stadtratsbeschluss.

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28
Foto: Bündnis 90/ Die Grünen
Zuhause
Die andere Meinung ...
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er saure Apfel in Form von Studiengebühren
wird kommen und viele Studenten wer-
Studiengebühren sind toll! den hineinbeißen müssen. War es jenen
Glücklichen, die den Abschluss Magister Artium
von LuGr anstreb(t)en, auch angesichts eines nicht niedrigen
Semesterbeitrages wenigstens noch vergönnt,
sich kostenlos an der FSU immatrikulieren zu kön-
nen, scheinen für alle Bachelorstudenten die Tage
der gebührenfreien Bildung demnächst gezählt.
Bereits der Versuch eines Verwaltungsgebühren-
boykotts durch Jenaer (und andere Thüringer) Stu-
denten scheiterte 2007 mangels Beteiligung – was
aus Sicht der zahlreichen Nicht-Boykotteure nichts
anderes bedeutet, als dass sie sich im Stillen damit
zufriedengeben und bereit sind, für eine bessere
Lehre und bessere Studienbedingungen auch ei-
Zei

nen dreistelligen Betrag pro Semester springen zu


chn

lassen. Mithilfe unverzinster Ausbildungskredite


ung

sollte die Studienfinanzierung auch kein Problem


: be

sein. Zudem motiviert es, für sein Studium auch et-


rgi

was zu tun – schließlich bezahlt man ja bald dafür.


Ein Zurück zur elitären Bildung, zu den Zeiten ohne
ein Bundesausbildungsförderungsgesetz, als einzig
Unternehmersöhnen und Stipendiaten der Zugang zur Hochschule freistand, wird es zum Glück nicht mehr geben – das ist
obsolet. Obsolet ist auch die militante Protestkultur von damals, die in ihrer heutigen Variante ja noch nicht einmal einen Boy-
kott (der schließlich die Exmatrikulierung hätte bedeuten können) zustande bringt. Genauso der Vergangenheit an gehört die
Vorstellung, Bildung sei ein Gut, das kostenlos für jedermann bereitgestellt werden müsse. Die Frage nach der Finanzierung
einer allgemeinen Gebührenfreiheit wird nämlich selten gestellt. Irgendwoher muss das Geld aber kommen. Und so sollte man
nicht den vermeintlichen Abbau des Sozialstaates bejammern, sondern nach vorn schauen und sich auf bessere, gebührenfi-
nanzierte Studienbedingungen freuen.

Warum hört man eigentlich …


… nichts über Ronald Schill?

Foto: Flickr, User 'm for matthijs'

von Frank dem politischen Leben an und setzte sich nach Südamerika
ab. In Brasilien wurde er 2006 von Paparazzi aufgespürt und

A
ls "Richter Gnadenlos“ hatte er mit seinen Vorstellun- später sogar vom deutschen Fernsehen interviewt, wobei er
gen von wirkungsvoller Justiz gegenüber jugendlichen seinen Rückzug an den Zuckerhut rechtfertigte: da er an den
Straftätern erstmals für Furore gesorgt, später seine katastrophalen Zuständen in Deutschland nichts ändern kön-
"Schill-Partei“ (eigentlich: „Partei Rechtsstaatliche Offensive“) ne, musste er so konsequent sein, das Land zu verlassen. Im
in die Hamburger Bürgerschaft und die dortige Regierung Jahr darauf drohte die Hamburger Bürgerschaft, Schill sein
geführt: Ronald Schill war sowohl als Richter wie auch als In- Ruhegeld zu kürzen, wenn er nicht vor einem parlamenta-
nensenator in der Hansestadt und über ihre Grenzen hinaus rischen Untersuchungsausschuss aussagen würde. Daraufhin
berühmt-berüchtigt. tauchte Schill im Oktober 2007 überraschend in Hamburg
Mit seiner Politik der harten Hand hatte er sich wohl die Be- auf und machte seine Aussage. Danach reiste er zurück nach
wunderung einschlägiger Springer-Presseerzeugnisse gesi- Südamerika, wo er vermutlich bis heute lebt. Einzig im Inter-
chert, musste sich aber auch immer wieder wegen Eskapaden net war er seither nochmals zu sehen, als im Jahre 2008 ein
und zahlreichen Vorwürfen, u.a. angeblichen Kokain-Kon- Filmchen kursierte, das Schill angeblich beim Schnupfen von
sums sowie vermeintlicher Nötigung des Ersten Bürgermeis- Kokain zeigt.
ters der Hansestadt, Ole von Beust, vor seinen ehemaligen
Juristenkollegen verantworten und wurde schließlich nicht
nur aus der Hamburger Politik, sondern auch aus seiner Par-
tei ausgeschlossen. Derart von aller Welt missverstanden und Anspieltipp: Beginner – Chili-Chili Bäng Bäng
ungerecht behandelt, kündigte Schill seinen Rückzug aus (die vertonte Biographie von Ronald Schill und Oskar Schily)

29
Foto: Flickr, User '96dpi'
GLOSSE

Wohnen in der Platte

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von LuGr von Seba

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as Image von der Platte und dem Wohnen in selbiger ist im- s ist nicht vielen Menschen vergönnt, ein trautes Heim mit
mer noch ein schlechtes – das jedoch völlig zu Unrecht! Jeder ruhigem Garten und Stadtrandlage oder ein saniertes Grün-
Eingang mit den acht oder mehr Mietparteien bildet einen derzeithaus ihr Eigen nennen zu können. Aus den unterschied-
Querschnitt durch alle Bevölkerungsschichten. Neben Studenten, lichsten Gründen müssen sich nicht wenige mit den Betonschlaf-
die wohl insbesondere die für Jenaer Verhältnisse erschwinglichen burgen in Trabantenstädten arrangieren.
Mietpreise ansprechen, und Rentnern, die aufgrund mangelnder Doch für längst vergangene, städtebauplanerische Sünden kann
Flexibilität oder dem fortbestehenden Glauben an die Uniformität niemand etwas. Die Absicht, preisgünstigen Wohnraum für jeder-
sozialistischen Wohnraumes in den äußerst soliden Betonkonstruk- mann zu schaffen, war sicher gut. In den Neuen Bundesländern
tionen wohnen bleiben, finden sich in der Platte auch Immigranten, können die architektonischen Visionen des einst real existierenden
die klein anfangen müssen. Multikulturalität wird im Mikrokosmos Sozialismus’ mit der heutigen, real existierenden Marktwirtschaft
Plattenbau also großgeschrieben – genau wie Nachbarschaftshilfe, kaum in Einklang gebracht werden. Was gut gemeint war, entwi-
wenn dem Sonntagsessen noch etwas Salz oder andere Zutaten feh- ckelt sich bis heute in eine andere Richtung. Die uniformen Neubau-
len. siedlungen sind nicht gerade Meisterwerke der abendländischen
Freilich muss man sich von versnobten Altbaubewohnern des Da- Baukunst, weder fügen sie sich in die Landschaft ein, noch ist ihre
menviertels oder anderer, „stylischerer“ Wohngegenden in Jena im- bauliche Qualität hervorragend.
mer wieder die gängigen Vorwürfe anhören. Ganz vorn dabei: Die Mehrere Dutzend Mietparteien allein in einem Hauseingang erwe-
Aussicht sei trostlos! Das kann ich angesichts meines mustergülti- cken die unschöne Assoziation überdimensionaler Karnickelställe.
gen, riesigen 5-Quadratmeter-Balkons jedoch nicht bestätigen. Von Es ist kaum gelungen, dieser Architektur so etwas wie Flair oder
dort genieße ich – über einige Grünanlagen, Bäume (und ja, andere etwas Einzigartiges zu geben. Unbestritten ist, dass immer mehr
Wohnblöcke) hinweg – eine wunderbare Aussicht bis zur Innenstadt gesellschaftlich-sozial benachteiligte und von Schicksalsschlägen
und den Jenzig. Und dass es angeblich Raubüberfälle und Vergewal- gebeutelte Menschen in diesen Betonklötzen leben. Wer möchte
tigungen an jeder Ecke gäbe, entspringt wohl auch nur dem nihilis- und es sich leisten kann, zieht früher oder später weg. Diejenigen
tischen Wunschdenken jener Stadtplaner, die mit den Plattenbauten aber, die sich nichts Besseres leisten können oder die Hoffnung auf
in Winzerla und Lobeda ein Stück DDR-Architekturgeschichte und eine Perspektive aufgegeben haben, bergen ein gewisses Konflikt-
somit ein Kulturgut zerstören wollen. potential.
Unter Denkmalschutz stellen muss man die funktionalistischen Über die sozialen Brennpunkte geistern teils völlig überzogene, aber
Wohnblöcke freilich nicht. Ihre extrem solide Bausubstanz hat der- leider nicht aus den Fingern gesogene Klischees durch die Medien.
art „wohlmeinende“ Maßnahmen im Gegensatz zu den betagten Daran sind aber weder die Bewohner, noch die ehemaligen Stadt-
Altbauten der Innenstadt nicht nötig. Doch natürlich ist der kos- planer oder Architekten schuld. Die Ursache für die ausgrenzende
tengünstige Wohnraum in den Trabantenstädten insbesondere Ver- und gettoisierende Wirkung der DDR-Betonburgen ist eine nur
mietern ein Dorn im Auge. Optisch mögen sie nicht in das sonst so zwischen Gewinnern und Verlierern unterscheidende Gesellschaft.
schmucke und moderne Bild Jenas passen – ökonomisch erst recht Sie ermöglicht Gescheiterten selten eine zweite Chance und räumt
nicht. Da werden neben ästhetischen Bedenken eine Reihe von Kli- auch deren Kindern kaum Perspektiven ein. Die Resignation über-
schees angeführt, die argumentativ nur bedingt funktionieren. Ne- trägt sich also auch auf jene, die in diesen sozialen Missstand hinein-
ben dem Totschlagargument, das Leben in der Platte sei anonym geboren wurden – wobei sich die Problematik sozialer Ausgrenzung
und hellhörig (nun gut, das ist wirklich keine neue Erkenntnis), wird natürlich nicht allein auf Plattenbausiedlungen beschränkt. Die Sa-
häufig auch der mangelnde Komfort kritisiert. Das trifft jedoch ein- nierungs- und Modernisierungsmaßnahmen in Neubaugebieten
zig auf jene Wohnungen zu, in denen das ungeflieste Bad oder die der letzten zwei Dekaden waren notwendig, nichtsdestotrotz waren
klapprige Wohnungstür noch nicht saniert wurden. sie nur temporäre Kosmetik auf dem Gesicht eines wesentlich tiefer
Mit jedem Tag, den die Blöcke mit ihrem unverwüstlichen Stahlbe- liegenden Problems. Probleme lassen sich bekanntermaßen nicht
ton hartnäckig dem Verfall trotzen, nimmt die Zahl der Kritiker ab, sie wegretuschieren. Das trifft allerdings auch auf die frisch renovierte
werden buchstäblich von der Zeit überholt. Fassade einer Jugendstilvilla zu …

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Der Int.Ro präsentiert den interkulturellen

Glanzlichter
Veranstaltungskalender für April 2009
Den aktuellen Kalender findet ihr unter www.introseite.de!

Do, 16.04. 21.00 Uhr, Kassablanca: „Das Wilhelm I. Europa im Zeitalter der Di, 28.02.
19.00 Uhr, Rosensäle: „In der Piano“ Aufklärung“ 18.00 Uhr, Café Ok: Salsa con
Provinz bin ich der Prinz – DDR- 19.30 Uhr, Planetarium: „Bauhaus Corazon
Jugendszene und Subkultur im Mi, 22.04. Revisited – Warum das Bauhaus
Thüringer Wald“ 9.00 Uhr, Lutherhaus: "Schwie- nie aufgehört hat“ Mi, 29.04.
19.30 Uhr, Ernst-Abbe-Bücherei: rige Ökumene. Warum Katholiken 22.00 Uhr, F-Haus: FSU-Semes- 17.00 Uhr, Planetarium: „Evoluti-
„Sachsens Glanz unter August dem und Protestanten (noch) keine teranfangsparty onsbiologie. Vortrag im Gedenk-
Starken. Europa im Zeitalter der volle Gemeinschaft finden" 22.00 Uhr, Rosenkeller: Medizi- jahr zu Charles Darwin und Ernst
Aufklärung“ 18.15 Uhr, Rosensäle: "Jorge nerparty Haeckel“
19.30 Uhr Volkshaus: Physikerball Semprún und sein Jahrhundert". 19.30 Uhr, Ernst-Abbe-Bücherei:
Buchvorstellung Fr, 24.04. „Mich wundert, dass ich fröhlich
Sa, 18.04. 19.00 Uhr, Theatercafé: Feierliche 9.00 Uhr, Rosensäle: „Aktueller bin. Eine Deutschlandreise“.
20.00 Uhr, Volksbad: Ana Moura- Eröffnung des 10. Jenaer Kurzfilm- Antisemitismus in Deutschland Lesung von Christoph Dieckmann
Konzert festivals cellu l'art – ein Phänomen der Mitte!?“. (ZEIT)
22.00 Uhr Café Ok: Salsa-Party 21.00 Uhr, Café Wagner: "Time Symposium 20.00 Uhr, Glashaus: „Canto y
of Dissent" Danza“. Filmreise durch Lateina-
So, 19.04. 21.00 Uhr, Rosenkeller: Bio-Party Sa, 25.04. merika
15.00 Uhr, Kulturbahnhof: „Emil 22.00 Uhr, F-Haus: FSU-Semes- 11-17.00 Uhr, Optisches Muse- 20.00 Uhr, FH, HS 5 (3. Etage):
und die Detektive“ teranfangsparty um: Studententag. Freier Eintritt „Der Mann, der niemals lebte“
22.00 Uhr, Theatercafé:Jubiläum- für alle Studenten Thüringer Uni- 21.00 Uhr, F-Haus: Party der
sparty des Jenaer Kurzfilmfestivals versitäten und Fachhochschulen Erziehungswissenschaftler
Di, 21.04.
cellu l'art 21.00 Uhr, Ricarda-Huch-Haus:
18.00 Uhr, CZ 3, HS 6: "Viva Ve-
So, 26.04. Tangotreff
nezuela! Land der Bolivarianischen
Revolution". Vortrag & Diskussion Do, 23.04. 20.00 Uhr, Kulturbahnhof: „Der 21.00 Uhr, Café Wagner: "La
mit der venezuelanischen Bot- 9.00 Uhr, Rosensäle: „Aktueller Name der Rose“ Antenna"
schafterin in Deutschland Antisemitismus in Deutschland 21.00 Uhr, Rosenkeller: Semes-
19.00 Uhr, CZ 3, HS 5: Infoabend – ein Phänomen der Mitte!?“. Mo, 27.04. teranfangsparty DAF
Symposium
von AIESEC 20.00 Uhr, CZ 3, HS 3: „Das weiße
19.30 Uhr, Melanchthonhaus: 19.00 & 21.00 Uhr, Goethe-Ga- Rauschen“ Do, 30.04.
lerie: Open-Air-Kinofest des cellu 19.30 Uhr, Ernst-Abbe-Bücherei:
"Erfahrungen der Wende - Lehren 21.00 Uhr, Cinestar: Cinebeats.
aus der friedlichen Revolution" l'art-Kurzfilmfestivals „Das Frankreich Ludwig XV. Europa
Semesteranfangsparty des FSU-
20.00 Uhr, CZ 3, HS 3: „Mamma 19.30 Uhr, Ernst-Abbe-Bücherei: Stura im Zeitalter der Aufklärung“
Mia!“ „Preußens Gloria unter Friedrich

Melton Internationaler Tag gegen Homophobie


Open Air Movie
15. bis 17. Mai 2009
Festival
Caleidospheres e.V., Otto-
Wer trotz cellu l’art immer noch
nicht genug von bewegten Bil- Schott-Str. 1c, 07745 Jena
dern hat, kann dieses Defizit beim
Besuch des Melton Open Air
16. Mai 2009:
Movie Festivals ausgleichen. Zu
Die Theatergruppe "tHeater ZINK" wird mit einer Matineé aus meh-
folgenden Terminen werden im
reren Ausschnitten von Theater-Musicalstücken den Auftakt des
UHG-Innenhof diverse Filme aus
Abends bilden. Danach wird die Sängerin Karo eine gute Portion
den unterschiedlichsten Ländern
Indie-Alternative-Pop bieten. Im Anschluß werden die Woog Riots
gezeigt, mit denen ihr Euch sogar
live Indie-Electro-Postpunk zum Besten geben. Zum Abschluss
weiterbilden könnt. Beginn ist je-
führen die beiden Vinyl-Akrobaten claire (M.T.S.B.) & esquirrel alle
weils 19.30 Uhr.
Nachtschwärmer in den IDAHO.

17. Mai 2009:


15.05.09: Beijing Bicycle
Ab 13 Uhr werdet ihr an einem Infostand am Johannistor be-
18.05.09: Tare Zameen Par
raten. Gegen 16 Uhr wird die Veranstaltung in das Caleidospheres
22.05.09: Überraschung
verlegt, wo Prof. Melanie Steffens (Uni Jena) einen Vortrag über
25.05.09: Malcom X
Vorurteile gegenüber Homosexuellen halten wird. 18 Uhr läuft im
Caleidospheres der Film "Fremde Haut".

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