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Ich denke, daß im letzten Punkt zwar die Paßfähigkeit der Mathematik auf
naturwisssenschaftliche Fragestellungen auf für die moderne mathematische
Naturwissenschaft verblüffende Art und Weise nachzuweisen gelungen ist,
die Mathematik dabei aber wie bei Kant gegenüber der Theoriebildung und
deren logisch-semantischen Leitfaden zur Hilfswissenschaft herabsinkt. Das
bedeutet aber, daß der Fragekreis des dynamischen Momentums anders als
mittels analoger (ethymematische) Schlußfolgerungen mit dem skizzierten
Problem der Mathematik des Unendlichkleinen nichts zu tun hat.
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Mit der Übersetzung Euklids durch Commandinus im 16. Jhdt. wird ein Feld
der Geometrie aufbereitet, das zuerst die Bewegung aus der reinen Geometrie
ausschließt, aber anhand der Kegelschnitte als Konstruktionsprinzip gelten
läßt. Diese Bewegung ist deskriptiv und konstruierend zu verstehen, nicht
mechanisch oder dynamisch als physikalische Bewegung von Körpern. Sie ist
die Fortführung der Hilfs- und Konstruktionslinien, die schon mit der
Visierlinie in der Geradendefinition des Euklids von Beginn an in der
Geometrie zwischen Konstruktion und Figur unterschieden worden ist.
Das System von Proportionen ist ein weiteres Hilfsmittel der Euklid’schen
Geometrie und setzt auf Geraden die Längen entlang derjenigen Strahlen ins
Verhältnis, von welchen sie auf den Geraden ausgeschnitten worden sind.
Proportionen sollen nach dieser Vorstellung auch zwischen verschiedenen
Größenordnungen von klein, mittel, groß (Mikro-, Meso- und Makrowelt)
erhalten bleiben. Von da weiter gehend, findet der Vorstellungskreis der
Proportion auch Eingang in den Überlegungen der mathematisch-
philosophischen Spekulation zwischen dem sehr Kleinen, dem
Unendlichkleinen und dem beinahe Nichtsseienden. Das Kontinuum der
kontinuierlich kleiner werdenden Größen soll zwischen semantisch
inkomensurablen Größenbegriffe zumindest die Errichtung analoger
Verhältnisse erlauben, so wie es schien, daß es zwischen Mikro-, Meso- und
Makrobereich möglich ist, analoge Proportionen zu finden, ohne daß alle
Größenordnungen durchlaufen werden müßten.
Die Besonderheit dieser Überlegung liegt für uns darin, daß die Kontinuität
der verschiedenen Bereiche der Größenordnungen in der Physik für die
Quantenphysik wie für die Relativitätstheorie bereits widerlegt, oder stark
eingeschränkt ist. Die Errichtung von Proportionen, von denen mindestens ein
Glied bei logischer Identifikation einen Widerspruch erzeugt, ist auch in der
Mathematik nicht üblich. Neue Arten von Zahlen verletzen nicht das
principium contradictionis, sie sind vielmehr das Ergebnis von Gleichungen,
die als Definition genommen werden. Das infinitesimale Delta ist hingegen
nur die Zusammennehmung eines endlosen kontinuierlichen
Teilungsprozesses, nicht dessen explizites Auseinandergelegtsein. Unter der
Voraussetzung einer gleichbleibenden Regel der Teilung kann die
Zusammennehmung ohne deren expliziten und ostensiven
Auseinandergelegtsein gedacht werden. Es kann mit der ostensiven
Auslegung jederzeit begonnen, diese aber kann nie beendet werden. Die
Verbindung mit der Intensität wird erst durch die Frage nach Existenz der
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Größen hergestellt. Damit muß aber wieder explizit und ostensiv gedacht
werden.
Das Momentum der Naturphilosophie behält also auch bei der Einbeziehung
der Geometrie ein unabhängiges Verhältnis zur Mathematik des in sich logisch
widersprüchlichen Unendlichkleinen; und ebenso behält es die Beziehung zur
Intensität, obwohl die Identifikation der Bewegung mit der Kraft offenbar
schon seit der Erörterung des Impulses zwischen Descartes, Newton, Leibniz
und Kant anhand der gleichförmigen Bewegung eine eindeutig negative
Beantwortung gefunden hat.