Predigt von Bischof Manfred Scheuer beim Gottesdienst anlässlich der Bundes- und Festversammlung
der Tiroler Schützen im Gedenkjahr 2009 in der Dogana in Innsbruck
S
chützen, beschützen, zum Schutzengel beten,
Schutzmacht, Schutzbefohlene, Schutzman-
telmadonna, Unter deinen Schutz und Schirm,
Schutzbrille, Schutzbündnis, Schutzanzug, Schutzbrief,
Schutzweg, Schutzraum, Schutzpatron, Schutzimp-
fung, Schutzhütte, Schutzgeld, Schutzgelderpressung,
Schutzhaft, Schutzgebühr, Knieschützer, Schützenhil-
fe, Schutzherrschaft, Schützengraben, Schütze, Schie-
ßender, Schützling, Flurschütz, Schutzmann (Polizist),
Schützenbruder, Schützenfest, Schützenversammlung,
Schützenbund.
Das alles und noch mehr findet sich im Duden unter
dem Stichwort Schutz, Schütze, Schützen.
Zunächst bedeutete schützen im Mittelhochdeutschen
„aufdämmen, (Wasser) aufstauen, das entwickelte sich
dann zur Bedeutung: Schutz gewähren, beschirmen.
Und der „Schütze“ stand zunächst im Zusammenhang
mit „schießen“. Es meinte ursprünglich den Bogen-
schützen, später den Armbrust- und Gewehrschützen.
Unter dem Einfluss des Verbs „schützen“ war mit dem
Schützen auch der Feldhüter, d.h. der Flurschütz, ge-
meint.
nur noch die Steine hierzulande vom Christentum reden Freiheit und Würde des Menschen
würden. Ein Tirol ohne lebendigen christlichen Glau- Zur Treue zu Gott und zum Erbe der Väter und Müt-
ben wäre nicht mehr Tirol. ter gehört unweigerlich „Freiheit und Würde des Men-
Es geht nicht um irgendeinen Gott, sondern um den schen“. Freiheit braucht ein gutes Gedächtnis, ansons-
Gott, der am Sinai gesprochen hat; um den Gott, des- ten lässt sie sich leicht kolonisieren und besetzen. Das
sen Gesicht wir in der Liebe bis zum Ende (Joh 13, 1) Freiheitsbewusstsein erfuhr im Verlauf der Geschich-
- im gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus te Einfärbungen und auch Verdunkelungen. Es ist ein
erkennen. „Dazu kommt die Notwendigkeit, dass alle, Wert, sich für Freiheit und Unabhängigkeit zu entschei-
die an Gott glauben, miteinander den Frieden suchen, den. Freiheit heißt ja auch: Sich nicht besetzen lassen,
versuchen, einander näher zu werden, um so in der sich nicht vereinnahmen lassen. Das inkludiert eine Un-
Unterschiedenheit ihres Gottesbildes doch gemeinsam abhängigkeit von fremden Machthabern, aber auch eine
auf die Quelle des Lichts zuzugehen - der interreligiöse innere Freiheit von herrschenden Meinungen und von
Dialog.“ den Zwängen der Strukturen.
Diese Treue zu Gott verlangt persönlichen und ge- Freiheit, das heißt andere nicht als Mittel für eigene
meinschaftlichen Umgang mit Gott, ruft zur Feier und Interessen ge- oder missbrauchen. Freiheit, d.h. andere
Einhaltung des Sonntags. Der möglichst arbeitsfreie nicht hörig oder abhängig machen.
Sonntag als gemeinsamer Tag größerer Ruhe ist ein Freiheit ist gefährdet, wenn sie auf Egoismus redu-
hohes Gut, dessen Preisgabe der ganzen Gesellschaft ziert wird und von einem reinen Anspruchs- und Ver-
schweren Schaden zufügen würde. Uns Christen ist der sorgungsdenken geprägt wird.
Bischof Manfred Scheuer bei der Predigt in der Dogana. Sonntag heilig. Er ist ein Tag des Feierns vor Gott und
mit Gott, ein Tag des Dankes für Schöpfung und Erlö- (Fortsetzung siehe Rückseite Kalenderblatt Januar!)
sung und ein Tag der Familie.
Der Wesenskern einer Institution
besteht in ihrer geistigen Zielsetzung
Anknüpfend an die jahrhundertealte Tradition des
Schützenwesens in Tirol wurden die Grundsätze des
Bundes der Tiroler Schützenkompanien in Anlehnung
an die Präambel der Tiroler Landesverfassung einmütig
beschlossen. Sie lauten:
Die Treue zu Gott und zum Erbe der Väter.
Der Schutz von Heimat und Vaterland.
Die geistige und kulturelle Einheit des ganzen Landes.
Die Freiheit und Würde des Menschen.
Die Pflege des Tiroler Schützenbrauches.
Treue zu Gott
und zum Erbe der Väter und Mütter
In einer Zeit, in der Treue und Bindungsfestigkeit
auf vielen Ebenen zu zerrinnen drohen, ist die Rück-
besinnung auf das Bekenntnis unserer Väter und Müt-
ter umso dringlicher. In unserer Zeit, in der der Glaube
in weiten Teilen der Gesellschaft zu verlöschen droht
wie eine Flamme, die keine Nahrung mehr findet, ist
die allererste Priorität, Gott gegenwärtig zu machen in
dieser Welt und den Menschen den Zugang zu Gott zu
öffnen. In unserem Land sind viele Kirchen und Kapel-
len Zeugnisse für die Bindung der Tiroler an den leben-
digen Gott. Die Schützen haben sehr viel für die Erhal-
tung und Renovierung der Kirchen und Kapellen getan.
„Der Glaube hat den Charakter dieses Landes und seine
Menschen tief geprägt. Es muss daher ein Anliegen al-
ler sein, nicht zuzulassen, dass eines Tages womöglich Die Gemeinschaft der Schützen bemüht sich, zwischen den Generationen Brücken zu schlagen. (Fotos: M. Wedermann)
Herausgegeben vom Bund der Tiroler Schützenkompanien - Innsbruck. Redaktion: EMjr. Karl Pertl, Völs. Herstellung: dtp Tyrol, Klaus Leitner, Innsbruck.
Heimat gibt uns Halt - Teil 2
Von Manfred Scheuer
D
ie Freiheit in unserem Land lebt von vielen Eh- tastrophen und Gefahren auch unter schweren Opfern
renamtlichen, von den Netzwerken und von der den Mitmenschen zu helfen, dann verwirklicht ihr den
Freundschaft, von der Gratisgabe der Zeit und Grundauftrag Jesu.
von der Solidarität. Zur Freiheit im christlichen Sinn
gehört die soziale Dimension des christlichen Glau- Die geistige und kulturelle Einheit
bens. Ein großes Vergelt’s Gott den Schützen für die des ganzen Landes
Allianz mit Kirche, Land und Gemeinden im sozialen, Die Spannungen und Kriege vergangener Jahrzehn-
kulturellen und kirchlichen Bereich. te und Jahrhunderte sind Gott sei Dank einem freund-
Der umfassende Schutz des Lebens ist eine Grund- schaftlichen und bewussten Miteinander im Herzen
haltung der Bibel und damit der Christen. Die Fragen Europas gewichen. Es gibt keinen anderen Weg, das
am Lebensanfang und Lebensende wie Embryonenfor- Gemeinsame zu stärken und zu fördern, als Begeg-
schung, Abtreibung und Euthanasie stehen in intensiver nung, Dialog und Austausch auf allen Ebenen. Dass es
Wechselwirkung mit dem Problem des Umgangs mit- da und dort - auch heute noch - Spannungen gibt, ist
ten im Leben: Zugang zu medizinischer Behandlung Herausforderung, das Wesentliche zu gewinnen. Als
und Leistung, soziale Lebensbedingungen, Bildung als Schützen versteht ihr euch als Diener des Friedens, der
wichtige Grundlage für Lebenschancen, Vorsorge im von Freiheit und Gerechtigkeit geprägt ist. Die Einheit
Alter, Sicherheit, Frieden. Was um die Lebensränder des Landes ist auch eine soziale Frage, eine Frage der
gesellschaftlich besprochen wird, ist ein Signal für das, sozialen Gerechtigkeit. Die Tiroler Landesverfassung
was uns künftig auch in der Lebensmitte betreffen kann. hebt hervor, dass der innere und äußere Friede, die
Der menschlichen Person kommt eine unantastbare Freiheit, die Gerechtigkeit und der Wohlstand für alle
Würde zu, die in der Gottebenbildlichkeit eines jeden nur zu schaffen sind, wenn die Verantwortung vor Gott
Menschen und seiner Berufung zur Gotteskindschaft und den Menschen wahrgenommen wird. Und es ist ei-
begründet ist. „Da sprach der Herr zu Kain: Wo ist dein ne Frage der Gerechtigkeit kommenden Generationen
Bruder Abel? Kain entgegnete: Ich weiß es nicht. Bin gegenüber, wie wir mit der Umwelt, mit dem Lebens-
ich denn der Hüter meines Bruders? (Gen 4,9)“ - Die raum, mit der Schöpfung umgehen.
Botschaft der Heiligen Schrift mutet uns zu, dass wir Einheit, das stellt euch vor die Aufgabe, mit Unter- Urbitte: „Und gib uns unser täglich Brot“, heißt: Gib,
einander aufgetragen sind, einander Patron sind, für- schieden und Grenzen schöpferisch umzugehen. In je- was wir heute und jeden Tag zum Leben brauchen.
einander sorgen, der Schützenkompanie, in jeder Gruppe und in jedem Sicher: Bräuche sollen nicht zum bloßen Ritual er-
Verantwortung tragen, einander Hüter und Beschüt- Verein gibt es ganz unterschiedliche Menschen und starren, es geht auch nicht um reine Folklore, schon gar
zer sein. Das Evangelium traut euch, den Schützen, zu, Typen, unterschiedlich von der Art und vom Charakter nicht um die kommerziell orientierte Aufführung für
dass ihr Freunde und Anwälte des Lebens seid, dass ihr her, unterschiedlich vom beruflichen Werdegang, von Gäste. Es wäre aber fatal, wenn mit den Bräuchen und
Lebensräume schafft, in denen in die Enge getriebene irgendwelcher fachlichen Qualifikation und Ausbil- Trachten auch die Liebe zum Leben, der gute Stolz auf
Menschen Ja zum Leben sagen können. - Umso er- dung, unterschiedlich auch von Zielen, die angestrebt die Heimat, die Zusammengehörigkeit und die innere
freulicher ist eure Bereitschaft, liebe Schützen, diesen werden. Manchmal denke ich mir, was ist das für eine Verbundenheit sowie auch die Tradition des Glaubens
Grundwert menschlichen Lebens hineinzutragen in das Chance für eine Gesellschaft, wenn diese Unterschiede und des Betens weggeworfen werden würden. Es wäre
neue Jahrtausend unserer christlichen Geschichte. nicht vom Neid, nicht von der Konkurrenz und nicht ein großer Verlust an Menschlichkeit, eine Verarmung
von der Rivalität her geprägt sind. Die Schützen schla- in den Beziehungen und auch eine Ausdünnung des
Der Schutz von Heimat- und Vaterland gen Brücken. In der Schützenkompanie marschiert der christlichen Glaubens.
Heimat gibt uns Menschen Halt. Heimatlosigkeit be- Akademiker neben dem Hilfsarbeiter, der Beamte ne- Taten gelten mehr als Worte. Der deutsche Dichter
deutet Entwurzelung des Daseins und Entwurzelung ist ben der Sekretärin, der Bauer neben dem Geschäfts- Erich Kästner hat einmal in einem Gedicht geschrie-
eine Krankheit. Sie betrifft nicht nur jene, die flüchten mann, der 60-jährige neben der 16-jährigen. ben: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“ Und das
müssen oder aus anderen Gründen ihre Heimat verlas- ist wirklich wahr. Und wenn ihr jetzt fragt, was hat das
sen. Und gar nicht so wenige haben hier bei uns kein Die Pflege des Tiroler Schützenbrauches alles mit der Religion und dem Glauben zu tun, dann
seelisches Obdach, kein Zuhause mehr, weil sie keinen Mit Dankbarkeit und Sympathie nehme ich bei gro- möchte ich euch sagen: Die Mitmenschlichkeit hat sehr
Menschen haben, weil sie nirgends dazu gehören. ßen Festlichkeiten in den Dörfern und Städten Tirols viel mit dem Glauben und Gott zu schaffen. Denn wer
Die Treue zum Vater- bzw. Mutterland bedeutet, eure Ehrensalve, liebe Schützen, entgegen und freue sich im Gutsein, im Verstehen, im Abbauen von Vorur-
dessen Geschicke mitzutragen und mitzugestalten, mich über eure aktive Mitbeteiligung und Mitgestal- teilen, wer sich in Hilfsbereitschaft und Kameradschaft
dass dieses Land kostbare Heimat bleiben oder werden tung unserer kirchlichen Feste. Wir brauchen Bräuche! übt, wer das soziale, kulturelle und kirchliche Mit-
kann. Der Mensch braucht Bräuche wie das tägliche Brot. Es einander aufbaut, der ist nie weit von Gott entfernt,
Wenn ihr bereit seid, die Schöpfung als Lebens- klingt überraschend und ist es dann doch nicht, wenn selbst wenn er sich in Glauben schwer tut.
grundlage des Menschen - bis hin zu Fragen des Tran- im Lexikon als Sprachwurzel für „Brauch“ angegeben
sitverkehrs - zu bewahren, wenn ihr bereit seid, in Ka- wird: Nahrung aufnehmen, verwenden, genießen. Die Dr. Manfred Scheuer ist Bischof von Innsbruck.
Bräuche sollen nicht zum bloßen Ritual erstarren - es wäre aber fatal, wenn mit den Bräuchen und Trachten der Stolz auf die Heimat, sowie auch die Tradition des Glaubens und des Betens
weggeworfen würden. Im Bild die Fronleichnamsprozession 2008 in Axams. (Fotos: M. Wedermann)
Herausgegeben vom Bund der Tiroler Schützenkompanien - Innsbruck. Redaktion: EMjr. Karl Pertl, Völs. Herstellung: dtp Tyrol, Klaus Leitner, Innsbruck.
Das Ende des Oberkommandanten Andreas Hofer
von Meinrad Pizzinini
D
ie letzten Kämpfe in diesem so ereignisreichen nahme unterrichtet, hatte zunächst vor, Andreas Hofer
Jahr 1809 hatten noch am 6. Dezember im Ei- nach Vincennes in Frankreich, wo mehrere Prominen-
sacktal bei Brixen sowie an der Lienzer Klause te inhaftiert waren, bringen zu lassen, wies aber seinen
und am 8. Dezember bei Ainet im Iseltal stattgefunden. Adoptivsohn Eugène Napoleon (Beauharnais), Vizekö-
Diese letzte militärische Auseinandersetzung war für nig von Italien, an, nun in Mantua eine Militärkommis-
die Tiroler zwar gewonnen worden, änderte aber nichts sion einzuberufen, die ihn aburteilen und innerhalb von
mehr am Schicksal des Landes. Tirol wurde flächen- 24 Stunden erschießen lassen sollte. Unter diesen Um-
deckend von französischen und bayerischen Truppen ständen war der Prozess, der am 19. Februar stattfand
besetzt und es begann die Suche nach den Anführern und bei dem der Mantuaner Rechtsanwalt dott. Gio-
der Erhebung, von denen mehrere nach Österreich flie- acchino Basevi den Sandwirt gekonnt zu verteidigen
hen konnten. suchte, eine Farce! Schon Tage vorher hatte sich Hofer,
sein Schicksal ahnend, Cajetan Sweth gegenüber ge-
Andreas Hofers Versteck äußert, dass es besser sei, er opfere sich für das ganze
Der Oberkommandant, der Sandwirt Andreas Hofer, Land, als dass noch weitere Tiroler seinetwegen oder
war nicht dazu zu bewegen, das Land zu verlassen. Er für das Land sterben müssten.
hielt sich sogar in seiner engeren Heimat, im Passeier-
tal, versteckt, zunächst am Pfandlerhof und dann durch Hofers Tod
Wochen in einer Mähderhütte auf der Pfandleralm hoch Am Tag nach dem Prozess musste das Urteil, Hin-
über Prantach. richtung durch Erschießen, vollstreckt werden. Es
Nur der getreue Cajetan Sweth, einer seiner Schrei- zeugt von Hofers innerer Festigkeit, nur aus seinem
ber, begleitete ihn. Seine Lebensbeschreibung ist eine tiefen christlichen Glauben heraus erklärbar, wenn er
wichtige Quelle zur Kenntnis der letzten Wochen in einige Stunden vorher noch die Kraft hatte, einen Brief
Hofers Leben. Gegen Ende des Jahres 1809 kam auch mit letzten Anweisungen zu schreiben und darin auch
des Sandwirts Gattin, Anna, mit dem 15 Jahre alten seinen Freund Vinzenz von Pühler in Neumarkt bat,
Sohn Johann auf die Hütte, nachdem ihr Versteck am seiner Ehefrau Trost zuzusprechen. Er verabschiedete
Schneeberg bekannt geworden war. Der Alltag in der Franz Raffl verrät das Versteck des ehemaligen Ober- sich nicht nur von seinem Freund, sondern vom irdi-
winterlichen Bergeinsamkeit verlief einfach und wohl kommandanten Andreas Hofer; Ölgemälde von Leopold schen Leben überhaupt: „Vo[n] der welt lebet alle wohl,
Puellacher, 1820 (Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum)
auch nervlich zermürbend. Verlässliche Freunde wuss- wiß mir [= bis wir] in himel zam khomen vnd dortten
ten von Hofers Aufenthaltsort; sie versorgten ihn und „Schweigegeld“ gedachte Summe, worauf dieser ver- gott loben an ent … Ade mein schnede welt, so leicht
seine Leute mit Nahrungsmitteln, brachten Briefe bzw. sprach, sein Versteck nicht bekannt zu geben. Dennoch khombt mir das sterben vor, das mir nit die augen nasß
übernahmen solche zum Weiterleiten und sie berichte- scheint ihn das hohe „Kopfgeld“ von 1.500 Gulden, werden …“
ten ihm über die Lage im Tal und im Land. das auf den ehemaligen Oberkommandanten ausgesetzt
Einen Eindruck von Hofers geistiger Verfassung und war, gereizt zu haben. Nach einigen Wochen, am 27.
seinem Entrücktsein von jeder Realität gewinnt man Jänner, meldete er seine Entdeckung dem Richter von
aus seinem letzten Brief, datiert mit 26. Jänner 1810, St. Leonhard, der ein Protokoll aufnehmen musste und
gerichtet an den von ihm so verehrten Erzherzog Jo- daraufhin Raffl mit dem Akt zum kommandierenden
hann: Er, Hofer, habe den Tirolern immer die Hilfe französischen General Léonard Huard de Saint-Aubin
von österreichischer Seite in Aussicht gestellt, wenn nach Meran schickte. Um kein Risiko einzugehen, ent-
diese ausbleibe, stehe er als Lügner da. Aber selbst die sandte dieser sofort rund 600 Mann zur Festnahme Ho-
„Fluchreden“, er sei die Ursache großen Unglücks, die fers auf die Pfandleralm.
ihn bis in das Grab verfolgen würden, ertrage er ger-
ne; er fürchte nur das gestrenge Gericht Gottes. Hofer
fühlte sich immer noch für das Seelenheil der Bevöl-
kerung verantwortlich! Bei dieser „feindlichen Re-
gierung“ würden viele Tausende Seelen ein Opfer des
Teufels werden, daher müsse weiter gestritten werden.
Herausgegeben vom Bund der Tiroler Schützenkompanien - Innsbruck. Redaktion: EMjr. Karl Pertl, Völs. Herstellung: dtp Tyrol, Klaus Leitner, Innsbruck.
Die Bedeutung der Brennergrenze für die Entwicklung des Wipptales
Teil 1 - von Hugo Penz
F
rüher spielten Gebirgskämme eine untergeordnete Wipptal. Bis in die 1950er
Rolle. Für die Wirtschaft waren die Allmendever- Jahre löste der Großteil
bände und personenbezogenen Pfarrbezirke wich- der ländlichen Bevölke-
tiger. Diese Verbindungen führten zu den als „Talschaf- rung keinen Reisepass.
ten“ bezeichneten Einheiten, deren Bevölkerung ein Daher wurden Verwand-
starkes Gemeinschaftsgefühl entwickelt hat. te und Bekannte jenseits
der Grenze kaum besucht.
Eine Grenze zerschneidet ein Tal Diese Abschottung hat
Dafür ist das Wipptal ein eindrucksvolles Beispiel, sich auf das Wanderungs-
weil es seit dem Mittelalter die Landschaften verhalten stark aus-
nördlich und südlich des Brenners umfasst gewirkt, welches
hat. Der Name geht auf das römerzeitliche aus der Abnah-
Vipitenum zurück. Der gemeinsame Na- me der Heiraten
me weist auf die engen wirtschaftlichen über den Bren-
und gesellschaftlichen Beziehungen hin. ner abgeleitet
Dies gilt vor allem für die Haupttalge- werden kann.
meinden, in welchen der Brennerverkehr Vor dem Bahn-
eine große Rolle gespielt hat. bau (1864–1867)
Die in der Friedenkonferenz von Saint hatte der Fuhr- Der Gardelerhof in Obernberg
Germain (1919) beschlossene Brenner- werksverkehr zu
turerhebung 1999 über 75 % der Höfe des Nordtiroler
grenze entsprach dem machtpolitischen engen Beziehungen zwischen den Ortschaften
Wipptales auf diesen Betriebstyp. Dabei orientierten
und strategischen Anspruch Italiens. Die entlang der Straße geführt, weshalb viele ihren
sich die Bauern weiterhin an agrargesellschaftlichen
Tiroler Bevölkerung war über den Verlust Ehepartner jenseits des Alpenhauptkammes ge-
Wertvorstellungen und waren darauf bedacht, die Kul-
Südtirols hingegen sehr enttäuscht. Sie funden haben. Nachher nahmen die Nord-Süd-
turlandschaft zu pflegen. Im Anschluss an die Heuernte
kannte zwar den Londoner Geheimvertrag Kontakte bereits etwas ab, ehe die Wipptaler
im Tal werden vielfach auch heute noch die extensiven
vom 26. 4. 1915, in welchem die Alliier- Hochzeiten über den Alpenhauptkamm nach
Lärchenwiesen und Bergmähder gemäht, deren Gräser
ten dem Königreich Italien neben ande- dem Ersten Weltkrieg infolge der Teilung Ti-
auf Grund der Höhenlage später als im Tal reif werden.
ren Gebieten Südtirol bis zum Brenner rols sehr stark zurückgingen.
Im Südtiroler Wipptal, wo der Nebenerwerb wegen des
versprochen hatten, hoffte jedoch auf
Bergbaues früher eine größere Rolle gespielt hatte, wur-
den amerikanischen Präsidenten Wilson, Starke Zuwanderung
den im Jahre 2000 hingegen noch mehr als die Hälfte
der das Selbstbestimmungsrecht der Völker Wie die Ergebnisse der Volkszählung
der Bauernhöfe als Haupterwerbsbetriebe geführt, wel-
verkündet, den Londoner Vertrag nicht unter- des Jahres 1921 belegen, setzte im südlichen Wipptal
che die landwirtschaftliche Nutzung intensiviert haben.
schrieben und im Herbst 1917 eine Kommission von gleich nach dem Ersten Weltkrieg die erste Zuwande-
Fachwissenschaftlern eingesetzt hatte, die Vorschläge rungswelle von Italienern ein. Wichtige Zielorte waren
Vieh- oder Milchwirtschaft
für die politische Neuordnung Europas ausarbeiten soll- Franzensfeste, Sterzing und der Grenzort Brenner. Mit-
Nördlich des Brenners stand die Aufzucht von Jung-
te. Diese sah den Brenner zwar als strategisch optimal te der 1930er Jahre kam es erneut zu einer starken Zu-
vieh seit jeher im Vordergrund. Als ab Mitte der 1970er
an, schlug aus ethnischen Gründen jedoch die Grenze wanderung, weil Mussolini die Grenze verstärkte und
Jahre der Absatz stockte und die Preise verfielen, wären
südlich von Bozen vor. Bei den Verhandlungen spielte die deutschsprachigen Südtiroler aus dem vom Staat
viele Bauern gerne auf die Milchviehhaltung überge-
das Wissen der Experten keine Rolle mehr. Präsident kontrollierten Wirtschaftsleben verdrängt hatte. 1939
gangen. Dies war jedoch nur in einem geringen Um-
Wilson suchte vielmehr, zwischen den Siegermächten war bereits ein Fünftel der Bevölkerung des südlichen
fang möglich, weil sie nach der staatlichen Einschrän-
Serbien (Jugoslawien) und Italien zu vermitteln und war Wipptales der italienischen Volksgruppe zugehörig.
kung der Milchproduktion 1978 über kein oder nur ein
für Argumente, die für Österreich gesprochen hätten, Während des Zweiten Weltkrieges nahm deren Anteil
sehr geringes Milchkontingent verfügten. Im Südtiroler
nicht zugänglich. Die österreichische Delegation wurde zu, als diese die abgewanderten Südtiroler „Optanten“
Wipptal, wo die Milchviehhaltung bereits früher eine
nicht einmal gehört und war gespalten. Die deutschna- ersetzten. Im gesamten Südtiroler Wipptal nahm in den
größere Rolle gespielt hatte, spezialisierten sich die
tional eingestellten Mitglieder sahen in den Italienern letzten Jahrzehnten der italienisch sprechende Bevölke-
bäuerlichen Betriebe hingegen verstärkt auf das Milch-
Verbündete beim Wunsch für den Anschluss an das rungsanteil nach den Ergebnissen der Volkszählungen
vieh. Die Anlieferung an den Milchhof Sterzing ist
deutsche Reich und glaubten, für dieses Ziel müsse kontinuierlich ab.
dementsprechend von 1978 (6,6 Mio. t) bis 2007 (42,3
man bereit sein, Südtirol zu opfern. Nur die Christ-
Mio. t) angestiegen. Im Nordtiroler Wipptal (1978: 0,4
lichsozialen traten kompromisslos für dessen Verbleib Schwierige Witschaftsverhältnisse
Mio. t, 2007: 3,2 Mio. t) nahm er zwar auch zu, jedoch
bei Österreich ein. Im nördlichen Wipptal konnte sich die Wirtschaft
wird eine wesentlich geringere Milchmenge erzeugt.
nach dem Zerfall der Donaumonarchie zunächst nur
Verzögerter Strukturwandel langsam an die neuen Marktverhältnisse anpassen. Die
Die Grenzziehung zerschnitt die intensiven Bezie- hohen Arbeitslosenraten verhinderten das Abwandern
(Fortsetzung siehe Rückseite Kalenderblatt April!)
hungen zwischen dem nördlichen und dem südlichen der überschüssigen ländlichen Bevölkerung in andere
Berufe und begünstigten eine arbeitsintensive Land-
wirtschaft.
Die Verzögerung der gesamtgesellschaftlichen Ent-
wicklung kommt dadurch zum Ausdruck, dass 1951
noch rund 50 % der Erwerbstätigen in der Land- und
Forstwirtschaft ihren Arbeitsplatz fanden. Berücksich-
tigt man den Anteil der Italiener, so kommt man im Ge-
biet südlich des Brenners auf eine Agrarquote von rund
75 %. Weil italienische Zuwanderer die außeragrari-
schen Arbeitsplätze besetzt hielten, waren viele junge
Einheimische bis in die 1960er Jahre gezwungen, ins
Ausland zu gehen. Die Bauern hatten zu beiden Seiten
des Brenners 10 bis 15 Rinder im Stall, daher waren
die Höfe für eine stärkere Modernisierung zu klein und
hielten weiterhin an agrargesellschaftlichen Wertvor-
stellungen und an den traditionellen Wirtschaftsformen
ihrer Vorfahren fest. Erst als die nachfolgende Genera-
tion einen höheren Lebensstandard verlangte, kam es
zu tiefgreifenden Veränderungen in der bäuerlichen Le-
benswelt.
Herausgegeben vom Bund der Tiroler Schützenkompanien - Innsbruck. Redaktion: EMjr. Karl Pertl, Völs. Herstellung: dtp Tyrol, Klaus Leitner, Innsbruck.
Die Bedeutung der Brennergrenze für die Entwicklung des Wipptales
Teil 2 - von Hugo Penz
Kontaktpflege zwischen Nord und Süd
Während sich die Wirtschaft in den beiden Teilge-
bieten des Wipptales im Verlauf der letzten 40 Jahre
infolge der abweichenden Standortbedingungen sehr
unterschiedlich entwickelt hat, nahmen die gesell-
schaftlichen Kontakte zwischen Nord und Süd wieder
zu und die Bevölkerung identifiziert sich zunehmend
mit der alten Talschaft. Nach der Grenzziehung wurde
der Name „Wipptal“ auch im landeskundlichen Schrift-
tum zumeist nur für das Gebiet nördlich des Brenners
verwendet, den Südteil bezeichnete man hingegen in
Anlehnung an das italienische „Alto Isarco“ als oberes
Eisacktal.
Die einheimische Bevölkerung konnte sich damit
nicht anfreunden und bestand darauf, dass der 1972
geschaffene Talschaftsverband südlich des Brenners
ebenso den Namen Wipptal trägt wie die angrenzende
Nordtiroler Kleinregion, für welche die Tiroler Landes-
regierung 1988 ein regionales Entwicklungsprogramm
erlassen hat. Inzwischen arbeiten beide Gebiete in vie-
len Bereichen, wie die folgenden Beispiele zeigen, vor-
bildlich zusammen:
• Die Bürgermeister treffen jährlich zweimal zusam-
men und besprechen aktuelle Probleme der Raum-
ordnung.
Die Grenze der Katastralgemeinde Brenner vor der Teilung Tirols verlief nicht an der Wasserscheide, sondern reichte von • Im Rahmen von EU-Projekten (Intereg- und Leader-
dem durch die Sill entwässerten Venntal und dem Brennersee bis zur Fraktion Gigglberg oberhalb von Gossensass. Projekte) werden wichtige Maßnahmen gemeinsam
Nach der Landesteilung verblieben neben dem Venntal nur der Weiler Kerschbaumer und der Hof Griesberg bei Österreich. vorangetrieben.
• Die Gewerbebetriebe aus beiden Teilen beschickten
(Fortsetzung von Rückseite Kalenderblatt März!) der 1960er Jahre waren auch im Südtiroler Wipptal zu 2007 die Expo-Brenner.
wenige Arbeitsplätze vorhanden. Erst Ende der 1960er • Das Kapital für Designer-Outlet-Center am Brenner
Tourismus Jahre verbesserten sich die Aussichten. Noch bevor wurde von Unternehmern aus dem nördlichen und
Vor dem Ersten Weltkrieg hatten Orte (wie Gos- das Südtirol-Paket von den Außenministern Moro und dem südlichen Wipptal aufgebracht.
sensass, Brennerbad, Steinach) zu den bedeutendsten Waldheim (1969) verhandelt war, nahmen die italieni- • Die Musikkapellen des Blasmusikverbandes Wipp-
Touristenzentren Tirols gehört. In der Zwischenkriegs- schen Staatsbahnen 1966/67 die ersten deutschsprachi- und Stubaital (Nordtirol) und des Südtiroler Wipp-
zeit wurde der Fremdenverkehr südlich des Brenners gen Südtiroler auf, später folgten andere staatsnahe Un- tales pflegen enge Kontakte. Dasselbe gilt für die
durch die Auswirkungen der Grenze beeinträchtigt und ternehmen und auch die Industrie wurde im Südtiroler übrigen Traditionsvereine, vor allem für die Schüt-
im nördlichen Wipptal stagnierte er infolge der Wirt- Wipptal verstärkt ausgebaut. zenkompanien.
schaftskrisen. Erst nach 1945 stieg die Bedeutung des • Die Feuerwehren der Gemeinden Steinach, Gries und
Tourismus an, bis dieser um 1975 einen (bescheidenen) Nahversorger Brenner arbeiten eng zusammen.
Höhepunkt erreichte. Seither nahmen die Übernach- Bedingt durch die Lage an der Brennerlinie war das • Bereits seit Jahrzehnten werden gemeinsame Schul-
tungen laufend ab. Im Südtiroler Wipptal brachten die Wipptal in der Vergangenheit besser mit zentralörtli- projekte durchgeführt, bei welchen vor allem die
Anschläge zu Beginn der 1960er Jahre den Tourismus chen Einrichtungen ausgestattet als andere Tiroler Tä- Hauptschule Gries am Brenner und die Mittelschule
zwar nahezu zum Erliegen, seit der Mitte der 1970er ler. Im nördlichen Wipptal waren diese Dienste infolge in Gossensass eng kooperieren.
Jahre hat er hingegen wieder laufend zugenommen. der geschichtlichen Entwicklung auf den alten Marktort Durch diese vielfältigen Kontakte sind sich die Wipp-
Matrei und auf Steinach aufgeteilt. Allerdings muss- taler dies- und jenseits des Brenners nahe gekommen.
ten beide Orte einen Bedeutungsverlust hinnehmen, Diese von der Basis getragene Entwicklung kann als
seitdem die Bevölkerung ihren Bedarf zunehmend in Vorbild für ganz Tirol dienen und Wege aufzeigen, wie
der nahen Großstadt Innsbruck deckt. Im Südtiroler die Vorurteile zwischen den Ländern Alttirols nachhal-
Wipptal konnte Sterzing hingegen seine Position im tig abgebaut werden können.
Rahmen der zentralörtlichen Hierarchie behaupten. Das
kleine Krankenhaus wurde nach dem Bezug des Neu- Ao. Univ.-Prof. Dr. Hugo Penz, ist Ehrenvorsitzender
baues beträchtlich erweitert, daneben ist die Stadt Sitz der Innsbrucker Geographischen Gesellschaft.
des Talschaftsverbandes und Schulstandort. Nach dem Hugo Penz, ein gebürtiger Obernberger, ist ein über die
Fallen der Grenzkontrollen am 1.5. 1999 als Folge des Grenzen hinaus renommierter Agrargeograph und hat
Schengen-Vertrages und der Einführung des Euro am 1. die Zeit der großen Wende von einer seit Jahrhunderten
1. 2002 glichen sich die Preise an und der kleine Grenz- primär durch die Landwirtschaft geprägten alpinen Ge-
verkehr ging zurück. Diese Krise sucht die Gemeinde sellschaft hin zur modernen Dienstleistungsgesellschaft
Brenner u. a. durch privatwirtschaftliche Projekte wie miterlebt, wissenschaftlich analysiert und dokumen-
das von ihr ermöglichte, am 28. 11. 2007 eröffnete „De- tiert. Seine räumliche wissenschaftliche Spezialisierung
sign-Factory-Outletcenter Brenner (DOB)“ zu überwin- drückt die Verbundenheit mit der Region Tirol - Südtirol -
den. Trentino aus.
Der Straßenort Matrei a. Br, eine Marktgemeinde, ist wie
die anderen Orte Steinach und Sterzing durch den Verkehr
entstanden.
Berufspendler
Im Nordtiroler Wipptal hat die Pendelwanderung seit
dem Zweiten Weltkrieg kontinuierlich zugenommen.
Dabei handelt es sich größtenteils um autochthone Pend-
ler, die aus dem Wipptal stammen und ihren Wohnsitz
beibehalten haben. Sie sind voll in die Heimatgemeinde
integriert und tragen durch die Mitgliedschaft bei Ver-
einen wesentlich zum gesellschaftlichen Leben bei. Im
Südtiroler Wipptal arbeiten hingegen nur sehr wenige
Leute außerhalb der Talschaft. Die Pendlerproblematik
spielt daher dort keine nennenswerte Rolle.
Im Nordtiroler Wipptal weist die negative Pend-
lerbilanz auf die unzureichende Ausstattung mit Ar-
beitsplätzen hin, welche nach dem Zweiten Weltkrieg
zur Gründung des wichtigsten Industriebetriebes, der Neben dem Besuch des „Designer Outlet Brenner” erfreuen sich die „Brenner-Märkte“ jeweils am 5. und 20. eines jeden
Werksgenossenschaft Matrei, geführt hat. Zu Beginn Monats ungebrochener Beliebtheit.
Herausgegeben vom Bund der Tiroler Schützenkompanien - Innsbruck. Redaktion: BBO Mjr. Karl Pertl, Völs. Herstellung: dtp Tyrol, Klaus Leitner, Innsbruck.
Was bleibt vom Gedenkjahr 1809-2009?
Von Brigitte Mazohl und Ellinor Forster
N
ach einem ereignisreichen Gedenkjahr, das im ein neues Kaisertum Österreich (mit erheblichen Ge-
Vorfeld zu viel Forschung angeregt hat, stellt sich bietsgewinnen vor allem im Süden) aus den Trümmern
die Frage, was über dieses eine Jahr hinaus an des Alten Reichs hervorzauberte, mit dem er als Franz
Erkenntnis bestehen bleibt. Ertragreich erwies sich vor I. , Kaiser von Österreich, dem französischen Usurpa-
allem der umfassende Blick, der das Jahr 1809 sowohl tor Napoleon als machtvoller Widerpart entgegentreten
aus österreichischer als auch Tiroler Perspektive in ei- konnte. Der (neuerliche) Krieg von 1809, den Österreich
nen breiteren Rahmen stellte. in gefährlicher Selbstüberschätzung und in der (vergeb-
lichen) Hoffnung auf seine bisherigen Verbündeten in
Tirol 1809 im Kontext eines mehr als Süddeutschland, vom Zaun brach, war eine weitere, für
zwanzigjährigen europäischen Krieges Tirol fatale, Etappe in diesem Ringen - keineswegs die
Der sogenannte „Freiheitskampf“ von 1809 in Ti- letzte. Die Bereitschaft der Tiroler, diesen Krieg gegen
rol (der Begriff wurde erst viel später dafür erfunden, das mit Napoleon verbündete Bayern mitzutragen, ver-
die Zeitgenossen sprachen von „Landesverteidigung“) dankte sie zweierlei: zum einen dem Widerwillen gegen
muss zeitlich und räumlich in einen sehr viel größeren die „freiheitlichen“ Neuerungen, welche das frankreich-
Zusammenhang gestellt werden. Seit 1792, drei Jahre freundliche Bayern auch in Tirol durchzusetzen meinte
nach der großen französischen Revolution, gab es über- (Bayern verdankte Napoleon seine Königswürde und
all in Europa Krieg. Es war ein Krieg, der - unterbro- erhebliche Territorialgewinne), zum anderen der Lo-
chen von wenigen kurzen Friedensjahren - über mehr yalität gegenüber einem Landesfürsten, der unmissver-
als zwanzig Jahre währte und erst mit den Pariser Frie- ständlich zur militärischen Gefolgschaft aufgefordert
denschlüssen und dem anschließenden Wiener Kon- hatte.
gress 1814/1815 zu Ende kam.
Hinsichtlich seiner geographischen Reichweite er- Das Trauma von 1805
fasste dieser Krieg alle europäischen Länder, von Por- Tirol hatte durch einen neuerlichen Krieg jedoch noch
tugal bis Russland, von Schweden bis Nordafrika, der mehr zu gewinnen, nämlich wiederhergestelltes Anse-
Kampf um die britischen Kolonien führte sogar weit hen. Das Jahr 1805 wurde in Tirol nicht nur mit dem
über Europa hinaus. Mit Fug und Recht könnte man Frieden von Preßburg verbunden, der unter anderem
daher von einem ersten „Weltkrieg“ sprechen, der ins- das Land Tirol dem zukünftigen Königreich Bayern zu-
gesamt etwa 4,7 Millionen Kriegstote und mehr als sprach, sondern mit dem schnellen Verlust des Krieges,
eine Million zivile Tote forderte (in Tirol fielen - alle der zu dieser Vereinbarung geführt hatte. Der Krieg war
Kampfjahre zusammengenommen, nicht nur im Jahr auch auf Tiroler Boden ausgefochten worden. Diese Er-
Plakat zur Tiroler Anschlussabstimmung am 24. April 1921
1809 - etwa 1.800 bis 2.000 Mann). eignisse seien „so sonderbar und unvorhergesehen“ ge-
wesen, „dass Resultate entstanden, die niemand erwar- heit neu erfinden: Andreas Hofer und die „Helden von
tete“, urteilte ein anonym bleibender, „wohl unterrichte- 1809“ waren mittlerweile zu „deutschen Österreichern"
ter Österreicher“ 1808 in der Zeitschrift „Der Sammler geworden, konservativ, kirchenfreundlich und kaiser-
für Geschichte und Statistik von Tirol“ (4. Bd., S. 105). treu und, was die Gegner betrifft, sehr viel mehr itali-
Als Folge sank offensichtlich das Ansehen der Tiroler en-, als franzosenfeindlich, weil dies - angesichts der
Bevölkerung im Ausland. Beispielsweise schrieb im aufmüpfigen Trentiner - im Jahr 1909 sehr viel besser
Oktober 1805 die Voss’sche Monatsschrift „Die Zei- passte (der ursprüngliche Hauptgegner Bayern spielte
ten“ über Tirol: „Fast nie sind die streitbaren Tiroler so kaum noch eine Rolle). Wiederum „zeitgerecht“ wur-
schnell und so leicht überwunden und entwaffnet wor- den sie im Austrofaschismus zu klerikal-katholischen
den, als in diesem Kriege. (…) Man wird geneigt, an „Österreichern“ gemacht, im Nationalsozialismus um-
eine gänzliche Entartung, in Betreff ihres militärischen gekehrt zu aufrechten „Deutschen“, die von Habsburg
Characters, zu glauben.“ (zit. nach Sammler, 4. Bd., S. (Österreich) „verraten und verkauft“ worden waren.
106f.) Die Tiroler Identität, die sich - zumindest seit Unersetzlich wurden das Jahr 1809 und seine „Helden“
den Gefechten im Zuge des Spanischen Erbfolgekrie- dann 1959, als es darum ging, die Trennung des Lan-
ges 1703 - über die eigene „Wehrhaftigkeit“ definiert des nach 1919 zu betrauern, wo doch bereits 200 Jahre
hatte, schien in Gefahr, Risse zu bekommen. zuvor dank der „Freiheitskämpfer“ gegen eine solche
Dieses Bild wieder gerade zu rücken, trat der zitierte Trennung zu Felde gezogen worden war. Gegenwart
anonyme Schreiber an, indem er auf 50 Seiten akribisch und Vergangenheit misch(t)en sich seither zu einer von
genau die Vorgänge im Herbst 1805 schilderte. Nicht jeder Generation weitertradierten Gegenwartslegende,
überraschenderweise kam er zum Schluss, dass es nicht die mit der tragischen Geschichte von 1809 selbst nur
Tirols Schuld gewesen sein könne, die Gefechte auf noch wenig zu tun hat.
Tiroler Boden verloren zu haben. Die Intensität dieses Die Erforschung der Erinnerungskultur rund um
Wiederherstellungsversuches des Ansehens und das das zentrale Ereignis des Tiroler Aufstandes und seine
ausdrückliche Anschreiben gegen ausländische Urteile Bedeutung für die Tiroler Geschichtsschreibung wird
legen die Intensität des erlebten Traumas nahe. Wenn weiterhin einen wesentlichen Bestandteil des 2005 ge-
also die Geschehnisse rund um den Aufstand von 1809 gründeten „Zentrums für Erinnerungskultur und Ge-
- trotz der letztlichen Niederlage - als Erinnerungsort schichtsforschung“ (ZEG) bilden. Dort werden in einer
der eigenen Verteidigungsfähigkeit eine zentrale Rolle Reihe von Forschungsprojekten Schlüsselthemen des
Worum ging es in diesem Krieg? Überall - nicht nur in der Tiroler Identität einnahmen, dann sollte mitbe- Umgangs mit 1809 bearbeitet. Durch die Positionie-
in Tirol - war die bisherige hierarchisch (ständisch) ge- dacht werden, dass ein Grund für die Überstilisierung rung des ZEG als Nahtstelle zwischen Forschung und
gliederte Gesellschaftsordnung in die Krise geraten und dieser Ereignisse in der so willkommenen und offen- Öffentlichkeit bleibt der lebendige Austausch der Uni-
die modernen Kampfparolen von Freiheit und Gleich- sichtlich höchstnotwendigen Rehabilitierungsmöglich- versität mit der Bevölkerung gewährleistet. Die wach-
heit forderten eine neue - heute würden wir sagen: de- keit des Ansehens im Ausland und der Behebung der senden Bestände an Vor- und Nachlässen bieten zudem
mokratische - Gesellschaft ein, in der bisher benachtei- eigenen „Identitätskrise“ lag. die Möglichkeit, dort selbst Forschung zu betreiben.
ligte Schichten politische Mitspracherechte verlangten.
Die traditionellen Autoritäten - Adel und Kirche - wur- Erinnerungskultur Dr. Brigitte Mazohl-Wallnig ist Universitätsprofessorin
den in Frage gestellt, der Glaube selbst als Hindernis Daran knüpft sich die Frage, wie in Tirol mit der für Neuere Geschichte an der Universität Innsbruck.
auf dem Weg zum modernen säkularisierten Rechtsstaat Vergangenheit umgegangen wurde und wird. Bei der Dr. Ellinor Forster wissenschaftliche Mitarbeiterin an
gesehen. Das revolutionäre Frankreich trat - selbst noch Bewältigung der unmittelbaren Kriegsfolgen war für der Universität Innsbruck.
unter seinem Kaiser Napoleon, der sich ja als „Volks- Heroisierungen wenig Raum. Mitte der 1840er Jahre
kaiser“ verstand - als jene missionarische Macht auf, bedauerte der bayerische Reisende Ludwig Steub, wie
die das alte System beseitigen und die neue Freiheit wenig der „Heldentaten“ von 1809 in Tirol gedacht
überall in Europa, wenn nötig mit Gewalt, einführen wurde. Erst viel später begann das offizielle Gedenken
würde. Kein Wunder, dass zu Beginn halb Europa den an die „ruhmreiche“ Vergangenheit, als man der Gegen-
französischen „Befreiern“ zujubelte. wart - mit Hilfe der Geschichte - Werte wie Kaisertreue,
Dass es in diesem Krieg, je länger er dauerte, auch Loyalität zur (katholischen) Kirche, Vaterlandsliebe und
um den üblichen Machtkampf der beteiligten Mächte, „nationales“ Selbstbewusstsein vermitteln wollte. Als
um die Hegemonie in Europa ging, zeigte sich bald. So Kaiser Franz Joseph I. im Jahr 1909 Tirol besuchte und
nutzte beispielsweise Franz II., der bisherige Kaiser des das ganze offizielle Land feierte, waren die Zeitgenos-
Heiligen Römischen Reichs, seine militärische und po- sen von 1809 längst ausgestorben und die Nachgebo- Zentrum für Erinnerungskultur und Geschichtsforschung
litische Niederlage dahingehend aus, dass er 1804/1806 renen konnten sich ihre eigene glorifizierte Vergangen- (ZEG) www.zeg-ibk.at
Herausgegeben vom Bund der Tiroler Schützenkompanien - Innsbruck. Redaktion: EMjr. Karl Pertl, Völs. Herstellung: dtp Tyrol, Klaus Leitner, Innsbruck.
Andreas Speckbacher
Von Erika Felkel
D
as Bild „Josef Speckba- dienen. Nun lebe wohl. Meine Ge-
cher und sein Sohn An- schwisterte, Deine Schwester und
derl“, gemalt von Franz den Kuhn grüße ich herzlich und
von Defregger, macht Anderl verbleibe Dein dankbarer Sohn
als Sohn des Tiroler Freiheits- Andrä Speckbacher
kämpfers erst so richtig be-
kannt. Ende September 1816 kann An-
derl nach Hause zurückkehren.
Seine Jugend
Andreas ist am 26. Februar Studium
1798 in Judenstein bei Rinn Vom österreichischen Kaiser
geboren. Seinen Namen be- Franz bekommt Anderl ein Stipen-
kommt er nach dem legenden- dium für das Montanistik-Studium
umrankten „Anderl von Rinn“, in Chemnitz, das er 1820 mit aus-
der im 15. Jh. gelebt haben soll. gezeichnetem Erfolg abschließt.
Andreas ist das älteste von fünf Danach besucht er die Eisenwerke
Kindern der Familie Josef und in Niederungarn, Mariazell und
Maria Speckbacher. in Eisenerz in der Steiermark, wo
Sein Vater, Josef (1767– er sich Kenntnisse über Hochöfen
1820), stammt aus Gnadenwald und Hammerschmieden aneignet.
und ist seit 1794 mit Maria
Schmiderer (1763–1846), der In Jenbach
Besitzerin eines Bauerngutes in Das Geburtshaus von Andreas Speckbacher in Rinn Mit 24 Jahren (1822) wird An-
Rinn, verheiratet. derl Beamter (Amts- und Zeug-
Josef Speckbacher hat sich Kampf in Mellek schreiber) beim Berg- und Hütten-
1797 bei der Schlacht von Spinges als Scharfschütze Beim Kampf am 17. Oktober in Mellek (Lofer) ge- werk in Pillersee. Rasch wird er befördert und kommt
hervorgetan. 1805 kämpfte er auch in Scharnitz gegen gen die Bayern wird Josef Speckbacher ergriffen, doch anschließend zum Berg- und Hüttenamt nach Brixlegg.
Marschall Ney. gelingt ihm die Flucht. Ab 1824 wohnt und arbeitet er zehn Jahre in Jenbach.
Das Jahr 1809 übt auf den 11-jährigen Anderl einen Anderl wird auch von den Bayern gefangen genom- Im k.k. Eisenhüttenamt in Jenbach ist er zwei Jah-
großen Einfluss aus. Ständig hörte er von den Helden- men und mit allen anderen Gefangenen nach Ingolstadt re Kontrollorstellvertreter, danach Kontrollor und von
taten seines Vaters. So interessierte er sich sehr für die gebracht. Als er von seinen Landsleuten getrennt wer- 1828 bis 1832 provisorischer Verwalter. Schließlich
Schützen, die auf Vaters Hof ein- und ausgehen. Daher den soll, weigert er sich und sagt: „Ich bin nicht weni- wird er Verwalter der Berg-, Hütten- und Hammerwer-
möchte auch er beim „Boarnschießen“ dabei sein. ger schuldig als meine Landsleute und will mit ihnen ke in Jenbach. Sogleich führt er im Werk wesentliche
dulden und sterben.“ Verbesserungen ein, die den Kohlenverbrauch stark
Die Schlacht am Bergisel verringerten und die Qualität des Roheisens steigerten.
Die am 25. Mai begonnene Schlacht am Bergisel, In München 1828 heiratet Anderl Aloisia Mayr (1800–1855) und
wird am 29. Mai wieder aufgenommen. Die rechte Flan- Der bayrische König Max Josef interessierte wohnt mit ihr im Kontrollorhaus in der Achenseestraße
ke der Tiroler, die unter dem Kommando Josef Speck- sich für Anderl und ließ ihn nach München kom- in Jenbach. Drei Kinder werden ihnen geschenkt: Max
bachers stand, erstreckte sich am rechten men. Er fragte Anderl: „Was glaubst du, was nun Josef, Luise und Emilie. Das erste Kind nennt er nach
Innufer von Innsbruck bis Hall und Volders. mit dir geschehen wird?“ Anderl antwortet tapfer: dem bayrischen König (leider verstarb es bald nach sei-
Während des zweiten Angriffs sieht Jo- „Umbringen wird’s mi halt, wie mein’ Vater, aber i ner Geburt).
sef Speckbacher plötzlich seinen Sohn fürcht’ den Tod nit.“ (Anderl weiß noch nicht, dass Im März 1834 bekommt Anderl eine Lungenentzün-
Anderl neben sich. Vom Kampfgetö- sein Vater lebt). „Nein, so arg wollen wir’s mit dir dung, von der er sich nicht mehr erholt. So verstirbt er
se angelockt, hat es der Bub zu Hause nicht machen“, gibt der König zur Antwort und lässt am 25. März 1834 im Alter von 36 Jahren und wird am
nicht mehr ausgehalten und wollte am ihn auf seine privaten Kosten im Erziehungsinstitut Friedhof in Hall im Familiengrab beigesetzt. Ein einfa-
„Boarnschießen“ teilnehmen. „Holländisches Seminar“ in München ausbil- ches Monument, das in den Jenbacher Werken gestaltet
Sein Vater schickt ihn aber sofort den und stattet ihn mit allen notwendigen wurde, ist heute noch an der Südwand der Pfarrkirche
wieder heim. Anderl geht vorerst Kleidungsstücken und Gebrauchsgegen- in Hall zu sehen.
weg, sammelt dann aber Bleiku- ständen aus. Anderl gehörte zu den be-
geln in seinem Hut, die er aus sten Schülern und freundete sich auch Skulptur vor dem Jenbacher Museum
der Erde ausgegraben hatte und mit den Bayern an. Seit 25. April 2009 steht vor dem Jenbacher Museum
bringt sie dem Vater, weil er Wie gut es ihm dort er- eine Holzskulptur, die Andreas Speckbacher als Kind
wusste, dass die Schützen ging, zeigt folgender darstellt. Sie wurde von Bernhard Hell aus Schwaz an-
zu wenig Munition hatten. Brief, den er am 4. April gefertigt. Die Darstellung zeigt Anderl, der nach den
Stolz über die Kühnheit 1811 an seine Mutter Kampfplätzen Ausschau hält.
seines Sohnes schickt der schrieb:
Vater Anderl trotzdem zur Mut- „Liebste, theuerste Aus: Tiroler Heimatblätter, Jg.8/1930, Heft 2, S36/37
ter zurück und verbannt ihn auf Mutter! Du hast mich mit Ein Tiroler Bub, von Wladimir Kuk; St. Wolfgangsstimmen -
eine weit abgelegene Alm. Prof. Hans Tusch
Deinem Briefe ganz über-
Dort wird es Anderl bald Pfarrblatt von Jenbach, 13. Jg. Februar, März, Mai 1934
rascht. Es freut mich herz- Tiroler Anzeiger Nr. 23 vom Sa., 29. Jänner 1927, 20. Jg.
zu langweilig, er reißt aus und lich, dass ich nun weiß, dass
schließt sich einer Schützenkom- Du gesund bist und mein Va- Erika Felkel ist Vorstandsmitglied im Museumsverein
panie an, die auf dem Weg nach ter noch lebt. Herzlich gerne Jenbach.
St. Johann ist. wollte ich jetzt für ihn bitten,
aber ich glaube, dass es für
In St. Johann jetzt nicht thunlich ist. Was
Als am 22. September 1809 Josef mich betrifft, geht es mir gut,
Speckbacher im „Bärenwirtshaus“ in ich bin mit meinem Zustande
St. Johann gerade Kriegsrat hält, sieht sehr zufrieden und gesund. Der
er die Schützenkompanie mit seinem König hat sehr viel Gnade für
Sohn Anderl ankommen. Da gibt der Va- mich, was ich bedarf, schafft er
ter nach und Anderl darf an seiner Sei- mir bei. Er ließ mir heuer schon
te mitkämpfen. Der Bärenwirt schenkt so viele Kleider, Wäsche und ein
ihm ein altes Radschlossgewehr. Weil prächtiges Bett machen, was
Anderl den Hahn des Radschlosses aber Denkmal von Josef Speckbacher mit alles über 400 fl. kostet, auch
seinem Sohn Anderl in Hall i.T.
nicht spannen kann, erfindet er eine Vor- hätte ich das Glück, dass der
richtung, die das Spannen erleichtert.Diese Erfindung allergnädigste König mein Firmgöd geworden wäre,
wird dann auch von anderen Schützen nachgebaut. Bei wenn ich nicht schon gefirmt wäre. Ich bin nun im kö-
einem Besuch am Königssee verewigt er sich in einem niglichen Seminar, wo ich deutsch, lateinisch, Musik und
Fremdenbuch: „Andreas Speckbacher heiß ich, des Zeichnen lerne; auch bin ich heuer schon siebenmal der
Kommandanten Sohn, ein Knabe von 11 Jahren, schie- Erste geworden. Ich werde mir alle Mühe geben, durch Grabmal des Andrä Speckbacher an der südlichen Außen-
ßen kann ich, die Boarn haben's wohl erfahren.“ Fleiß und gutes Betragen die vielen Wohlthaten zu ver- wand der Pfarrkirche St. Nikolaus in Hall in Tirol.
Herausgegeben vom Bund der Tiroler Schützenkompanien - Innsbruck. Redaktion: EMjr. Karl Pertl, Völs. Herstellung: dtp Tyrol, Klaus Leitner, Innsbruck.
Die Tradition der Marketenderinnen in Tirol
Von Ellinor Forster und Astrid von Schlachta
Z
um heutigen Erscheinungsbild von Dokumente aus der betreffenden Zeit sind
Schützenkompanien gehören die kritisch auf ihren Zweck zu befragen. Ins-
Marketenderinnen offensichtlich un- besondere Briefe aus bayerischer und
abdingbar dazu. Im gleichen Maß wie sich französischer Hand griffen Gerüchte von
Schützen aufgrund ihrer Tradition definie- kämpfenden Tiroler Frauen, die vor Gräu-
ren, ist es auch legitim, nach der histori- eltaten nicht zurückschreckten, auf. Darin
schen Entwicklung der Marketenderinnen lag unterschwellige Rechtfertigung oder
in Tirol zu fragen. offene Propaganda: Wenn sich sogar die
Frauen in diesem Land im Kampf so stark
Frauen waren keine Seltenheit einsetzten, wie furchtbar müssten dann erst
Blickt man in die Epoche vor 1800, so die Männer sein - und daher könne man es
sind Frauen im Militär keine Seltenheit, niemandem übel nehmen, der gegen die
sondern normaler Bestandteil eines Heeres Bevölkerung dieses Landes verloren habe.
- die Forschung geht davon aus, dass auf Innerhalb Tirols dienten solche Geschich-
1.000 Soldaten in einem Heer 500 Frau- ten dazu, die männliche Bevölkerung zum
en und 300 Kinder kamen. Die Familie Weiterkämpfen zu motivieren: Wenn sogar
zog mit ihren Männern in den Krieg. Für Frauen sich so aktiv am Aufstand beteiligen
den Soldaten bedeutete die „Frau an sei- würden, dann müssten die Männer minde-
ner Seite“, dass sich sein Lebensstandard stens doppelt so tatkräftig mitkämpfen.
hob. Dies galt sowohl für Freundinnen als Je weniger spektakulär also die Teilnah-
auch für Ehefrauen, die, meist aus wirt- „Andreas Hofer erhält am 12. April 1809 die Nachricht, dass österreichische Truppen zu me von Frauen am Aufstand geschildert
schaftlichen Gründen, ebenfalls im Tross Hilfe eilen" von Ludwig Schnorr von Carolsfeld, 1830 (Original im Tiroler Landesmuseum wurde, desto mehr kann man den Beschrei-
mitzogen. Sie gingen wie die Männer auf Ferdinandeum Innsbruck). (Archiv Martin Reiter) bungen Glauben schenken. Demnach wa-
Beutezug - „Doppelverdiener“ hatten es ren Frauen selbstverständlich involviert in
eben besser. War der Mann verwundet, musste die Frau 1809, weil sie nur das propagierte Idealbild von Frauen das Aufstandsgeschehen, indem sie sich an Tumulten
die Versorgung der Familie völlig allein übernehmen widerspiegeln: Der wissenschaftlichen Theorie des 19. beteiligten oder in der Vorbereitung von Aktionen ak-
und plündern gehen. Die Tiroler Söldnerheere, wie bei- Jahrhunderts folgend seien Frauen aufgrund ihrer Na- tiv waren, aber weder kämpften sie an vorderster Front,
spielsweise das „Wolkenstein’sche Regiment“ bildeten tur insbesondere zum liebenden Umsorgen der Familie noch waren sie ausschließlich für die Versorgung der
hier keine Ausnahme. und des Haushalts geeignet, weshalb ihnen auch der Kämpfer oder die Pflege der Verwundeten zuständig.
Schnell erscheint im Zusammenhang mit dem Mili- ausschließliche Platz im Haus zugewiesen wurde. Eine Wie bei jedem Kriegsgeschehen musste die Verpfle-
tär das Bild der Frauen als Prostituierte - doch wie alle höhere Bildung sei nicht vonnöten, im Gegenteil - ei- gung von Kämpfenden behördlich organisiert werden,
Bilder, die es von Frauen im frühneuzeitlichen Militär ne solche würde das weibliche Naturell zurückdrängen um zu funktionieren.
gibt, entspringen diese häufig der Rollenzuschreibung und „höchst unangenehme Geschöpfe“ aus den Frauen
durch die männlichen Autoren oder Kupferstecher, die machen. Diese Idee stammte aus der Aufklärung, die Die ersten Marketenderinnen
ihre Vorstellungen verewigten. Zwar gab es „Lagerdir- gleiche Rechte für alle (männlichen) Staatsbürger ge- Im 19. Jahrhundert definierten sich die Schützen-
nen“ oder „Landsknechthuren“, die sich einem Tross fordert hatte. Wären diese gleichen Rechte auch auf die kompanien und Schützengesellschaften in erster Linie
militärischer Einheiten anschlossen und dort auch für Staatsbürgerinnen ausgedehnt worden, hätte man mit über ihre - im Zuge der österreichischen Heeresrefor-
die Verpflegung der Soldaten und die Zubereitung des der historisch entwickelten Ungleichheit bezüglich der men immer geringer werdende - militärische Funktion.
Essens verantwortlich waren, doch stellten diese eben Rechte aufräumen müssen. Daher bot es sich an, mittels Die Schießfähigkeit wurde während eines Jahres in
nur einen Bruchteil der Frauen dar, die mit in den Krieg vermeintlich wissenschaftlicher Fundierung den recht- einer Vielzahl von sportlichen Schießveranstaltungen
zogen. So treffen wir auch auf Frauen, die sich einem lichen Unterschied zwischen Frauen und Männern an geübt. Österreichische und deutsche Bundesschießen
Soldaten anschlossen, in der Hoffnung auf eine reiche deren jeweiligem Charakter festzumachen und somit an luden regelmäßig zu Wettbewerben ein. Frauen hatten
Beute, die den Verdienst als Magd oder Näherin über- der Ungleichberechtigung festhalten zu können. in dieser Tradition nur als Fahnenpatinnen Platz. Als ab
stieg. Die ökonomische Notwendigkeit ließ die Frauen Frühere Bilder des Aufstandes zeigen ein anderes den 1850er Jahren auch Frauen an den Schießbewer-
den Verlust der „Ehre“ vergessen, der mit diesem Schritt Geschehen. Beim Angriff in der Sachsenklemme wer- ben teilnehmen wollten, wurden sie stets kategorisch
verbunden war - Frauen im Umkreis des Militärs wur- den Frauen beispielsweise aktiv bei der Vorbereitung abgewiesen. Nur einzelne Schießstände ließen Frauen
den in der frühen Neuzeit nicht zu den „ehrbaren Frau- und dem Lostreten der Gerölllawinen dargestellt. Zieht zu. Passierten dort jedoch Schießunfälle, war ihnen der
en“ gerechnet. man nun die schriftlichen Quellen zum Nachweis der Hohn der übrigen Schützengesellschaften sicher.
Familien im Tross - da stellte sich auch die Frage tatsächlichen Beteiligung von Frauen am Aufstand Neben den Fahnenpatinnen gewannen in der zweiten
nach der Erziehung der Kinder. In frühneuzeitlichen heran, so ist gleichermaßen Vorsicht geboten. Viele Hälfte des 19. Jahrhunderts die Schießstandswirtinnen
Heeren waren es meist die Feldgeistlichen, die sich um Tagebücher wurden wie Erinnerungen erst viel später eine größere Bedeutung für die Schützen. Diese wur-
die Schulausbildung der Soldatenkinder kümmerten. abgefasst und spiegeln daher weniger das Geschehen den geehrt für die Versorgung, die sie ihnen angedeihen
Auch für Tirol ist überliefert, dass im 18. Jahrhundert selbst als vielmehr die gewünschte Erinnerung. Auch ließen - sei es in Form von Essen oder der Verzierung
die Soldatenkinder, deren Väter im „Tyroler Feld- und der Bestgaben. Wenn Umzüge veranstaltet wurden, gab
Land-Regiment“, kämpften, das als stehendes Heer von es zudem häufig eine Gruppe junger Mädchen, die in
Tirol aus in verschiedenen Kriegen eingesetzt wurde, schönen Kleidern mitmarschierten.
eine schulische Ausbildung erhielten. Ehefrauen von Als im Zuge der Großereignisse um die Jahrhun-
Angehörigen des „Feld- und Land-Regiments“ erhiel- dertwende - Einweihung des neuen Schießstandes und
ten spätestens ab 1770 eine Pension. Enthüllung des Andreas-Hofer-Denkmals am Bergisel
Auch kämpfende Frauen kennen wir aus der frühen 1893 oder die Jahrhundertfeier 1909 - die ersten Mar-
Neuzeit. Aus der Schweiz beispielsweise ist überliefert, ketenderinnen erwähnt werden, scheinen hier verschie-
dass Frauen in der Vorfront militärischer Einheiten mit- dene Traditionen zusammenzufallen: die Funktionen
marschierten. Sie wurden von Bannerträgerinnen ange- der Frauen im Tross der frühneuzeitlichen Heere und
führt - eine Figur, die auch in anderen Regionen des die versorgenden Schießstandswirtinnen der Schützen
alten Reichs nicht so selten vorkommt. mit der repräsentativen Aufgabe junger Mädchen in
Umzügen.
Frauen im Aufstand von 1809? Dass die Position der Marketenderinnen zu dieser
Fragt man nach der Beteiligung von Frauen am Tiro- Zeit nicht unumstritten und noch keineswegs fest ver-
ler Aufstand von 1809, bieten sich zwei Wege der Annä- ankert war, zeigen kritische Stimmen zum Umzug von
herung an - die Darstellung von Frauen auf Bildern und 1909: Wenn sich Marketenderinnen wirklich auf eine
die Erwähnung von Frauen in schriftlichen Quellen. historische Funktion beziehen würden, dann müssten
Das 1896 entstandene Riesenrundgemälde des dritten sie auf einem Marketenderwagen fahren und dürften
Gefechts am Bergisel zeigt beispielsweise eine Frau, nicht einzeln mit den verschiedenen Kompanien mitge-
wie sie einem Kämpfer einen Becher reicht. Dies ent- hen. Doch ungeachtet solcher Kritik wurde die Einrich-
spricht wiederum dem typischen Bild einer Frau im Mi- tung von Marketenderinnen bei den Schützenkompani-
litär, hier der Marketenderin, wie man sie zu dieser Zeit en auch in Tirol zu einer neuen Tradition, die seit dem
verstand. Auch andere Darstellungen, wie etwa jene von frühen 20. Jahrhundert fest besteht.
Ludwig Ferdinand Schnorr von Carolsfeld aus dem Jahr
1830, zeichnen Frauen im typischen Kontext der ihnen Dr. Ellinor Forster ist wissenschaftliche Mitarbeiterin
zugeschriebenen Tätigkeiten: pflegend und fürsorgend. an der Universität Innsbruck.
Solche Bilder verstellen jedoch den Blick auf die tat- Sachsenklemme, frühes 19. Jahrhundert Mag. Dr. Astrid von Schlachta ist wissenschaftliche
sächliche Beteiligung von Frauen am Aufstand von (Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum Innsbruck) Mitarbeiterin an der Universität Innsbruck.
Herausgegeben vom Bund der Tiroler Schützenkompanien - Innsbruck. Redaktion: EMjr. Karl Pertl, Völs. Herstellung: dtp Tyrol, Klaus Leitner, Innsbruck.
Kaiser Karl I. war ein Märtyrer des Friedens
Von Heinz Wieser
K
aiser Karl war ein äußerst verantwortungsvoller hatte ganz moderne Vorstellungen von einem Staats-
und sittlich sowie moralisch integerer Herrscher, wesen: Soziale Fürsorge, Volksgesundheit, Volkshy-
der leider für seine vielen Völker nicht mehr den giene, Jugendfürsorge, Sozialversicherung, Regelung
von ihm geplanten föderalistisch verankerten Staat ver- der Arbeitszeit für Frauen und Jugendliche usw. Prof.
wirklichen konnte, da der entbrannte Weltkrieg zu weit Dr. Ignaz Seipel, den späteren Bundeskanzler, ernannte
fortgeschritten war. Aus der Heimat verbannt und mit- Kaiser Karl zum ersten Sozialminister der Welt. Kaiser
tellos, musste Kaiser Karl in Funchal, auf der Atlantik- Karl bekannte sich zur Selbstbestimmung der Völker.
insel Madeira, im Alter von erst 35 Jahren aus dieser Am 1. April 1923 schrieb Dr. Wilhelm Miklas, damals
Welt scheiden. noch Staatssekretär für Kultusangelegenheiten und spä-
terer Bundespräsident, einen Brief an den damaligen
Die Familie Erzbischof von Wien, Friedrich Gustav Kardinal Piffl,
Erzherzog Karl Franz Josef wurde am 17. August mit der Bitte, alles in die Wege zu leiten, dass der Selig-
1887 in Persenbeug in Niederösterreich geboren. Nach sprechungsprozess für Kaiser Karl beginnen könne.
dem Tode seines Vaters, Erzherzog Otto, 1906, ein Nef-
fe von Kaiser Franz-Josef I., wurde sein Onkel Thron- Die Seligsprechung 2004
folger Erzherzog Franz Ferdinand, Mitvormund zur 1925 approbierte Weihbischof Sigismund Waitz die
Großjährigkeitserklärung im Jahre 1907. Die Mutter Gebetsliga kirchlich, die 1924 rein privat als Gebets-
war Maria Josepha von Sachsen. Am 21. Oktober 1911 gemeinschaft gegründet worden war. Von der Gebets-
vermählte sich Erzherzog Karl mit Prinzessin Zita, der liga angestrengt ist dann der Diözesanprozess für die
Tochter des Herzogs Robert von Bourbon-Parma. Kaiser Karl mit Kronprinz Otto Franz Josef Seligsprechung Kaiser Karls bei der Erzdiözese Wien
Aus der Ehe gingen acht Kinder hervor: eröffnet, durchgeführt und abgeschlossen worden. Am
Otto Franz Josef (* 1912) ∞ 1951 Regina Prinzessin Calliano im Etschtal den tapferen Landesschützen von 22. Mai 1954 kamen die Prozessakten zur Ritenkon-
von Sachsen-Meiningen (* 1925) Kaiser Karl der Ehrentitel „Kaiserschützen“ mit dem gregation in den Vatikan. Die Seligsprechung fand am
Adelheid (1914–1971) Wahlspruch „ Mir zur Ehr, dem Land zur Wehr“ ver- 3. Oktober 2004 in Rom durch Papst Johannes Paul II.
Robert Karl Ludwig (1915–1996) ∞ 1953 Margherita liehen. statt. Mehr als ein halbes Jahrzehnt nach der Seligspre-
von Savoyen (* 1930) Am 24. März 1917 empfingen Kaiser Karl I. und sei- chung ist eine Verehrung an vielen Orten - nicht nur auf
Felix Friedrich (* 1916) ∞ 1952 Anna Eugenie Herzo- ne Frau zu Laxenburg die Prinzen Sixtus und Xavier Madeira - spürbar, so vor allem in Mariazell, Budapest
gin von Arenberg (* 1925) von Bourbon-Parma zum Zweck, auf Umwegen Frie- und Agram. Auch literarisch bekommt die Verehrung
Carl Ludwig (1918–2007) ∞ 1950 Yolande von Ligné densgespräche mit Paris aufnehmen zu können, was des letzten regierenden Habsburger-Kaisers Zuwachs.
(* 1923) aber ein Fehlschlag war. Trotzdem ließ sich Kaiser Karl Wörtlich hatte Kaiser Karl in seinen letzten Lebens-
Rudolf Syringus (* 1919) 1. ∞ 1953 Xenia Tscher- von seinen Friedensbemühungen nicht abbringen. Am tagen gesagt: „Ich muss so viel leiden, damit meine
nyschew Besobrasow (1929–1968), 2. ∞ 1971 Anna 2. Februar 1918 wurde ein Sonderfriede mit der Ukrai- Völker wieder zusammenfinden.“ Der Salzburger Kir-
Gabriele Prinzessin von Wrede (* 1940) ne, am 4. März 1918 mit Russland und etwas später chenhistoriker Gerhard Winkler sieht in Karl - noch vor
Charlotte (1921–1989) ∞ 1956 Georg Herzog zu Meck- mit Rumänien geschlossen. Die Veröffentlichung der den Katholiken Robert Schuman und Konrad Adenauer
lenburg (1899–1963) sogenannten Sixtus-Briefe durch Frankreich brachte - deshalb einen der ersten Väter des vereinten Europas.
Elisabeth Charlotte (1922–1993) ∞ 1949 Heinrich, Kaiser Karl in größte Schwierigkeiten. Der Versuch des Karl sei ein Märtyrer des Friedens und auch ein wenig
Prinz von und zu Liechtenstein (1916–1991) Kaisers, durch Verkündigung eines Manifestes vom 16. ein Märtyrer seiner Minister geworden.
Oktober 1918 Österreich in einen Bundesstaat umzu- Nach den Worten des Kirchengeschichtlers Flori-
Otto von Habsburg gestalten, veranlasste Ungarn zur Kündigung des Dua- dus Röhrig war Kaiser Karl nicht nur ein Märtyrer des
Am 20. November 1912 erblickte der Stammhalter, lismus. Friedens, sondern auch ein Vater der Armen und der
Erzherzog Otto Franz Josef, das Licht der Welt. Otto Kleinen“. Auch der Priester Tadeusz Pyzdek und der
von Habsburg, der nach Karl einmal hätte Kaiser wer- Der Regierungsverzicht des Kaisers Schriftsteller Erich Feigl schilderten die sozialen Maß-
den sollen, ist als langjähriger Europaparlamentarier Am 11. November 1918 unterzeichnete Kaiser Karl nahmen Karls und dessen Orientierung in der christli-
und Historiker bekannt. Infolge der Ermordung von I. ein Dokument über seinen Verzicht der Ausübung der chen Soziallehre. „Karl war seiner Zeit weit voraus“, so
Franz Ferdinand am 28. Juni 1914 wurde er plötzlich Regierungsgeschäfte und übersiedelte mit seiner Fami- Pyzdek.
Thronfolger. Im Vorfrühling 1916 wurde Erzherzog lie nach Eckartsau, wo er am 13. November eine fast
Karl an die Spitze des 20. (Edelweiß-) Korps berufen, gleichlautende Urkunde für Ungarn unterfertigte. Die Reliquien in Stams beigesetzt
als man eine Gegenoffensive gegen Italien plante. Nach Erklärung vom 11. November nahm er in Feldkirch im Ende Oktober 2007 wurden Reliquien des seligge-
dem Tode Kaiser Franz Josefs am 21. November 1916 März 1919 zurück. Der erste Rückkehrversuch nach sprochenen Kaisers in der Stiftsbasilika Stams beige-
wurde Karl Kaiser von Österreich und König von Un- Ungarn zu Ostern 1921 scheiterte an der Weigerung des setzt. Dem Leichnam des in Madeira bestatteten Kaisers
garn. Schon bald nach der Thronbesteigung hatte Karl Reichsverwesers Nikolaus von Horthy, die Regierungs- waren zwei Rippen entnommen worden. Teile davon
unter dem Druck der Ungarn sich mit Zita am 30. De- gewalt zu übergeben. Eine zweite Rückkehr nach Un- finden an den verschiedensten Plätzen der untergegan-
zember 1916 durch den Primas von Ungarn, den Erzbi- garn am 20. Oktober 1921 scheiterte am Widerstand der genen Donaumonarchie und auch in anderen Ländern
schof von Gran, mit der Stephanskrone zum Herrscher Truppen Horthys. Kaiser Karl und seine Frau wurden Platz. In der Grablege von Stams sind neben zahlrei-
von Ungarn krönen lassen. Dabei erhielt er die Weihe gefangen genommen und auf britischen Kriegsschiffen chen Adeligen auch Tirols Landesfürsten „Friedl mit
zum Herrscheramt über die magyarische Nation und nach Madeira gebracht. Am 1. April 1922 um 12.23 der leeren Tasche“, „Sigismund der Münzreiche“ und
leistete den Krönungseid. In der ungarischen Zählung Uhr starb Kaiser Karl an einer Lungenentzündung. Er der Graf Meinhard II. begraben. Eine Reliquie wird
wird dieser König als Karl IV. geführt. wurde in der Wallfahrtskirche Nossa Senhora do Mon- auch in der Herz-Jesu-Basilika in Hall aufbewahrt. Im
te beigesetzt. Zurück blieb die Kaiserin Zita mit sieben Juni 2008 wurde am rechten Seitenaltar in einer Mons-
Der Kaiser und die Kaiserschützen Kindern im Alter von neun bis eineinhalb Jahren - zwei tranz eine wertvolle Reliquie „ex ossibus“ des seligge-
Im Jahre 2010 ist es 95 Jahre her, dass die Tiroler Monate später kam das achte Kind zur Welt. sprochenen Kaisers Karl sichtbar deponiert.
Kaiserschützen in der Schlacht östlich von Lemberg Karl war als Erzherzog Thronfolger 1916 an der Kaiser Karl hatte noch in seiner Zeit als Erzherzog
ihre Feuertaufe erhielten. Vor dem Ersten Weltkrieg Tiroler Front und besuchte als Kaiser im Jänner 1917 von Österreich eine enge Beziehung zur Herz-Jesu-
führten die drei Regimenter, die seinerzeit in Lemberg Innsbruck und im September 1917 Südtirol. Er war der Basilika in Hall. Den Abschluss bildete der Vortrag des
kämpften, die Bezeichnung k.k. Landesschützen und letzte Tiroler Landesfürst. Kaiser Karl I. hat trotz sei- Münchner Pfarrers Friedrich Oberkofler „Der selige
waren in Trient, Bozen und Innichen in Garnison. Sie ner kurzen Regierungszeit Format erkennen lassen. Er Kaiser Karl von Österreich - Diener des Willens Gottes
waren speziell für den Grenz- als Friedenskaiser, Visionär ei-
schutz und Gebirgsdienst nes neuen Europas und Anwalt
ausgebildet. Die Spielhahn- Gottes in der Welt“.
feder und das Edelweiß auf Durch seine Tapferkeit im
der Bergmütze waren ihre Leben und Sterben, durch sei-
äußeren Erkennungszeichen. ne christliche Friedfertigkeit,
Mitte 1915, nach der Kriegs- Standhaftigkeit und seinen
erklärung Italiens, standen die Mut gab er ein Beispiel für
drei Regimenter in den Tiroler Opferbereitschaft, aber auch
Grenzgebirgen. Bekannte Na- für die österreichische Kultur
men wie Monte Piano, Drei und Idee des friedlichen Aus-
Zinnen, Col di Lana, Lavaro- gleichs unter den Völkern.
ne-Folgeria und Tonale waren
die ersten Einsatzgebiete: Am Hofrat Dr. Heinz Wieser ist
16. Jänner 1917 wurde anläs- Aus der Ehe von Kaiser Karl und Prinzessin Zita gingen acht Kinder hervor. Das jüngste, Elisabeth Charlotte, kam langjähriger Mitarbeiter des
slich eines Truppenbesuches in zwei Monate nach dem Tode ihres Vaters auf die Welt. Tiroler Schützenkalenders.
Herausgegeben vom Bund der Tiroler Schützenkompanien - Innsbruck. Redaktion: EMjr. Karl Pertl, Völs. Herstellung: dtp Tyrol, Klaus Leitner, Innsbruck.
Schützenehre - Hauptmann Joseph Praxmarer
Von Paul Lampl
W
ir schreiben das Jahr 1809. In Tirol sind unru- Hand. Hptm. Praxmarer versammelte noch einmal seine
hige Zeiten angebrochen, weil die Bayern und Schützen in Rattenberg, um die Stadt vor dem Zugriff
Franzosen rundherum das Land bedrängen. In Lefebvres zu schützen.
diese Zeit fällt auch das Leben eines berühmten Alp- In einer Botschaft des Generals wurde Praxmarer auf-
bachtalers, Joseph Praxmarer, der in Reith Gastwirt und gefordert, Rattenberg kampflos zu übergeben, andern-
Bürgermeister war. Ihm fehlte es weder an Umsicht falls werde die Stadt beschossen und niedergebrannt.
noch an Weitblick. Als Hauptmann befehligte er die Nach kurzer Beratung trat Praxmarer vor seine Männer:
Schützen von Reith, Brixlegg und Rattenberg. „Ihr habt gehört, General Lefebvre verlangt die bedin-
gungslose Kapitulation. Was würdet ihr tun? - Ratten-
Die Zeiten werden unruhig berg zu übergeben ist keine Frage der Ehre, sondern
Joseph Praxmarer reiste mit einer Delegation nach eine Frage der Vernunft; oder soll Rattenberg dasselbe
Wien, da Erzherzog Johann zu einer Besprechung ge- Los ereilen wie Schwaz?“
laden hatte. Dabei ging es um die Unterstützung der Einige Heißsporne schüttelten den Kopf: „Kampflos
Länder im Kampf gegen Napoleon. Dieser traf mit den übergeben! Niemals werden wir das verstehen, nie-
Bayern Vorbereitungen, Tirol zu besetzen. mals!“ Punkt 12 Uhr gingen die Stadttore auf.
Rücktritt
Die Schützen kehrten heim. Die einen stolz, weil
Blutvergießen verhindert wurde, die anderen zornig,
weil sie sich wie Feiglinge vorkamen, die kampflos
Rattenberg aufgegeben hatten.
Bald danach flog ein umwickelter Stein mit einer
Botschaft in Praxmarers Gaststube in Reith. Auf dem
Zettel stand: „Verräter!“ Daraufhin rief er die Männer
zusammen und erklärte ihnen noch einmal sein Ver-
halten, dass ihm das Leben hunderter Schützen und
Zivilisten größeren Wert bedeutete, als Rattenberg Schützen der Kompanie Reith im Alpbachtal
dem Beschuss, dem Feuer und der Schande preiszuge- (Foto: M. Wedermann)
ben. Unbelehrbare beschimpften ihn als Feigling. Da hauptmann, wann wird unser heldenmütiger Vorfahr
nahm Hptm. Praxmarer seinen Säbel ab und legte ihn rehabilitiert? - Ich danke Ihnen, dass Sie mir zugehört
auf den Tisch, räusperte sich und sagte: „Wenn ich eu- haben.“ Zuerst betretenes Schweigen, dann Applaus.
er Vertrauen nicht mehr habe, dann wählt einen neuen
Hauptmann. Auch das Amt des Bürgermeisters lege ich Rehabilitiert
zurück, denn ohne euer Vertrauen kann ich dieses Amt Vierzehn Tage später schrieb LHptm. Tschiggfrey an
nicht mehr ausüben.“ die Familie Praxmarer in Absam: „Werter Herr Prax-
marer! Danken möchte ich Ihnen für Ihre mutige Rede,
Abschied die Sie am Bergisel gehalten haben. Ich habe mich dar-
Joseph Praxmarer zog von Reith weg und baute in aufhin mit den Schützenhauptmännern Nord-, Ost- und
Brixlegg sein Sägewerk aus, das ihm ein neues Stand- Südtirols zusammengesetzt. Wir sind der einhelligen
bein war. Nach zweimaliger Überschwemmung gab er Meinung, dass Ihr Vorfahr, der Schützenhauptmann Jo-
auch diesen Standort auf und ließ sich in Absam nieder. seph Praxmarer, nach heutigem Ermessen kein Verräter
Obwohl Joseph Praxmarer wegen seiner Degradierung an der Sache war. Ganz im Gegenteil, er hat weise und
in die Fremde zog, war es sein Wunsch, in Reith begra- mutig gehandelt und das alte Städtchen Rattenberg in
Hptm. Joseph Praxmarer ben zu werden. Dieser Wunsch wurde ihm erfüllt. seiner Schönheit erhalten.
Da ich weiß, dass Sie nicht mehr in Reith wohnhaft
Eine Frage der Ehre sind, habe ich mit gleicher Post den Schützenkomman-
Zutritt verwehrt 1959 wurden die Nachfahren zu einer Gedenkver- danten von Reith beauftragt, das Grabmal des Haupt-
General Lefebvre rückte mit seinen Soldaten von anstaltung auf den Bergisel eingeladen. Dabei wurde mannes Joseph Praxmarer zu pflegen und ihm die ge-
Kufstein kommend vor. Die Reither Schützen hatten der Ereignisse von 1809 gedacht. Rattenberg fand kei- bührende Ehre zu erweisen.
den Auftrag, die Bayern und Franzosen am Vordringen ne Erwähnung. Da meldete sich Ernst Praxmarer, ein Ich hoffe, Ihrem Wunsch damit gerecht zu werden
ins Zillertal zu hindern: „Herr Hauptmann, ich melde Nachfahre, zu Wort und sagte: „Ich bin mit meinem und verbleibe hochachtungsvoll Ihr Landeshauptmann
682 Schützen angetreten. Was sind Ihre Befehle?“, mit Bruder, dem Herrn Monsignore, Dekan von Hall, und Dr. Hans Tschiggfrey“
diesen Worten unterstellten sich auch die Zillertaler meinem Sohn (Ernst) der Einladung gefolgt. Wir sind
Schützen dem gemeinsamen Kommando. „Wir ver- direkte Nachkommen des erwähnten Hautmannes Jo- Dank
wehren dem Feind den Eintritt ins Zillertal“, antwortete seph Praxmarer. Doch warum wurde im Rückblick mit Dank und Anerkennung gebührt heute noch dem mu-
Praxmarer. keinem Wort Rattenberg erwähnt? Schwer muss es da- tigen Schützenhauptmann Joseph Praxmarer, der durch
mals unserem Vorfahr gefallen sein, Rattenberg kampf- seine Weitsicht, seinen gesunden Hausverstand und
Nahkampf sinnlos los in Feindeshand zu wissen, zumal ihm klar war, dass durch seine Charakterstärke das Städtchen Rattenberg,
„Wir lassen uns auf keinen Nahkampf ein! Wir ma- er deshalb zum Feigling und Verräter gestempelt würde. ein Kleinod Tirols, der Nachwelt erhalten hat.
chen einen Stellungskrieg!“, erklärte er seinen Schützen. Und so war es auch. Alle seine Ämter legte er nieder,
„Stellungskrieg“ murmelten einige, „noch nie gehört, starb entehrt und verbittert. Ich frage Sie, Herr Landes- Meine Infor-
das ist feige und unehrenhaft.“ Als ob Hptm. Praxmarer mationen und
die Gedanken seiner „Mander“ hätte lesen können, fuhr Zitate habe
er fort: „Manche von euch werden meinen, ich wäre ich aus dem
feig und meine Anordnungen wären unehrenhaft. Das lesenswerten
sind sie nicht. Es ist nur eine andere Art, einem über- Buch von Ernst
M. Praxmarer
mächtigen Feind entgegenzutreten.“ Schützengräben
„Eine Frage
wurden ausgehoben und Steinwälle errichtet.
der Ehre“ - Ein
Tatsachenbe-
Feindberührung richt aus dem
Lefebvre rückte mit seinem Heer an. Die Tiroler wa- Tiroler Frei-
ren fest entschlossen, ihr Land „für Gott, Kaiser und heitskrieg 1809
Vaterland“ zu verteidigen. Kaum ertönte das Signal - entnommen.
zum Angriff, schon eröffneten die Schützen aus zwei Berenkamp
Stellungen das Feuer. Ein Höllenlärm erfüllte das Tal. 2008, 159 S.,
Da die Franzosen und Bayern den Wall nicht überren- ISBN 978-3-
85093-233-2
nen konnten, zogen sie sich zurück. Schwaz, das sich
auch verteidigte, wurde hingegen niedergebrannt.
Kapitulation
Die Franzosen und Bayern waren bald Herren im Die Kompanie Reith bei einer Fronleichnamsprozession in OStR. Mag. Paul Lampl ist Prof. i. P. der ehemaligen
Land. Rattenberg war noch ein Bollwerk in Tiroler früherer Zeit. Pädagogischen Akademie des Bundes in Tirol.
Herausgegeben vom Bund der Tiroler Schützenkompanien - Innsbruck. Redaktion: EMjr. Karl Pertl, Völs. Herstellung: dtp Tyrol, Klaus Leitner, Innsbruck.
Das Wunder der Landschaftlichen Pfarrkirche Mariahilf in Innsbruck
Von Josef Wieser
J
edes menschliche Leben braucht den größeren Zu- Das Gebet wurde erhört, niemand kam zu Schaden,
sammenhang, damit es sinnvoll wird. Der Glaube weder die Feinde noch die Tiroler. Als Zeugnis dafür
an Gott entscheidet, ob wir imstande sind, Erfah- steht heute noch die Landschaftliche Kirche Mariahilf
rungen vom Wirken Gottes in der Geschichte und im in Innsbruck, die vor gut 200 Jahren zur Pfarrkirche er-
persönlichen Leben zu machen. Um die Gegenwart zu hoben wurde..
bewältigen, braucht es den Blick zurück in die Vergan- Solche Wunder haben Menschen immer erlebt, wenn
genheit und die Erinnerung, die „Memoria“. Wer sich sie sich in auswegloser Not Gott anvertrauten. Auch
nicht mit der Vergangenheit beschäftigt, ist auch nicht Mose hat das Volk Israel ermuntert, als der Pharao mit
berechtigt, über die Zukunft zu entscheiden. seinen Truppen hinterher stürmte und sie am Ufer des
Roten Meeres nicht mehr weiter kamen: „Habt keine
Wunder sind keine Sensationsereignisse Angst, steht fest. Ihr werdet sehen, was Gott heute für
Das Handeln Gottes in der Geschichte gibt uns die euch tun wird!“ (Ex.14,14)
Gewissheit, dass er auch heute unsere Zuversicht ist. „Wenn ihr glaubt“, sagt Jesus, „könnt ihr Berge ver-
Ohne Gott ist alles sinnlos. setzen.“ Zu den Kranken, die Jesus geheilt hat, sagte
Das Judentum kennt eine eigene Alltagskultur, um er nie: „Ich habe dich geheilt“, sondern immer: „Dein
die Aufmerksamkeit wach zu halten, den Blick und Glaube hat dir geholfen.“
das Herz für Gottes Wirken offen zu halten. Es sind die Schon der Prophet Jesaja, 700 Jahre vor Christus, sag-
„Barochot“ - die Lobpreisungen. Sie loben Gott jeden te den Leuten: „Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht!“
Tag für all sein Wirken, das sie erfahren haben. So blei-
ben ihnen alle Wunder gegenwärtig und begleiten ihr
tägliches Tun. Jede Baracha beginnt mit den Worten:
„Gepriesen seiest du Ewiger, der du die Welt regierst.“
David Ben Gurion, der erste Ministerpräsident Isra-
els, hat einmal gesagt: „Wunder erleben wir jeden Tag!
Nur ein Nichtrealist glaubt nicht an Wunder.“
Das Hochaltarblatt von Johann Paul Schor zeigt das Ge-
Wunder sind keine Sensationsereignisse. Wunder
löbnis der Tiroler Landstände 1646 mit der Kirche im
sind Zeichen, dass Gott uns nicht vergessen hat und Hintergrund. Im Zentrum des Hochaltars befindet sich seit
Zeichen seiner Sorge um uns Menschen. Jesus hat nie 1654 eine von Michael Waldmann geschaffene Kopie des
Wunder gewirkt, um zu imponieren oder Menschen zu Mariahilfbildes von Lucas Cranach d.Ä.
gewinnen. Er hat sogar den Geheilten verboten, davon
weiter zu erzählen. Wenn der Glaube an seine göttliche als Herzog Bernhard von Weimar zum zweiten Mal in
Sendung fehlte, konnte er auch keine Wunder wirken. Tirol eingefallen war und Reutte besetzt hatte, das Volk
Den Glauben kann man niemandem aufdrängen. Wo damals auch die Hilfe Mariens erfleht hatte und Hilfe
kein Glaube, da keine Wunder. bekam. Man hat ihr zu Ehren eine Kapelle gebaut.
So gelobten die Stände des Landes Tirol in höchster
Kerzen und Gebete Not und Bedrängnis, den Glauben zu erneuern, nach
Als vor 20 Jahren mitten in der Nacht die Berliner Art einer Volksmission, und eine Kirche jenseits des
Mauer lautlos einbrach, ohne dass ein Schuss fiel, und Höttinger Baches mit dem Namen Mariahilf zu bauen.
ohne dass ein Mensch nur einen Kratzer abbekam, da
hat ein hoher, atheistischer Offizier gesagt: „Wir haben Harte Arbeit macht ein Volk geistig stark
mit allem gerechnet, nur nicht mit Kerzen und Gebe- Tirol war damals ein verarmtes Land. Es war nie für
ten.“ Wochenlang sind gläubige Menschen Abend für Kriege gerüstet, die Menschen nahmen lieber Pflug und
Abend betend in einer Prozession um den Leipziger Werkzeuge anstatt Waffen zur Hand. Sie hatten aber ei-
Dom gezogen. Dieses Friedensgebet hat der Himmel ne innere Stärke: einen unerschütterlichen Glauben und
erhört. eine tiefe Liebe zur Heimat. Damit waren sie zu jeder
Ein solches Wunder erlebten die Tiroler Ende des Zeit bereit, jedem Feind, der das Land angriff, zu trot-
30-jährigen Krieges. Im Jahre 1646 war unser Land zen. Einen Glauben, wie Paulus sagte: „Feststehen in Strickner Josef: Blick vom Gasthof „Goldener Adler“ gegen
in großer Gefahr. Als im Jahre 1647 die vereinigten dem, was man erhofft, überzeugt sein von Dingen, die Innbrücke und Mariahilf um 1819.
schwedischen, französischen und hessischen Heere man nicht sieht.“ (Hbr.11,1) Die harte Arbeit auf den (Stadtarchiv / Stadtmuseum Innsbruck)
Süddeutschland grausam verwüsteten und nach der Er- Feldern und in den Bergen hat das Volk geistig stark
oberung von Bregenz und der Verheerung Bayerns im gemacht und gelehrt, Schwierigkeiten durchzustehen. Um der Schützenkompanie St. Nikolaus-Mariahilf
Winter 1647 / 48 auch Tirol überfallen wollten, versam- Und wo die eigene Kraft nicht mehr reichte, da haben für die Treue zum Glauben und zu unserem Heimatland
melten sich die Tiroler Landstände (Landschaft Tirol) sie sich an Gott gewandt. Tirol und der Verbundenheit mit unseren Pfarrgemein-
vom 29. Jänner bis zum 11. Februar 1647 in Innsbruck, Claudia von Medici war damals, nach dem Tod ihres den zu danken, hat der Pfarrer der Landschaftlichen
um über Abwehrmaßnahmen zu beraten. Tirol hatte Ehemannes, des Erzherzogs Leopold V., 14 Jahre Tiroler Pfarre Mariahilf, Monsignore Josef Wieser, bei seinem
kein Heer, um die Feinde aufzuhalten. Im Zuge dieser Landesfürstin. Sie verstarb 1646 mit 44 Jahren. Claudia Abschied eine Kopie der Sturmfahne von Spinges aus
Verhandlungen erinnerte man sich, dass bereits 1632, war die Tochter des Großherzogs der Toskana, Ferdi- den Befreiungskämpfen 1796/97 anfertigen lassen und
nand I. Erzherzog Leopold V. war Bischof von Passau, überreicht. Auf einer Bandschleife mit dem Herz Jesu
hatte aber keine höheren Weihen. 1626 verzichtete er zu stehen die Worte:
Gunsten seines Vetters auf das Bistum Passau, heiratete „In diesem Zeichen wirst du siegen!“
Claudia von Medici und widmete sich nur mehr seiner
Msgr. Josef Wieser war langjähriger Pfarrer der Land-
Aufgabe als Tiroler Landesherr. Er verstarb 1632.
schaftlichen Pfarre Mariahilf
Der Abt von Wilten, Andreas Mayr, war zunächst ge-
gen den Bau der Mariahilf Kirche, da dieses Gebiet ein
Teil der Kuratie des Stiftes war. Man schrieb ihm, er sol-
le nicht länger protestieren, sondern sich freuen, dass
man den teuren Schatz, das wundertätige Marienbild,
auf welches das ganze Vaterland stets seine Hoffnung
und Heil setzte, unserer Pfarre anvertraue.
Herausgegeben vom Bund der Tiroler Schützenkompanien, Redaktion: EMjr. Karl Pertl, Völs. Herstellung: dtp Tyrol, Klaus Leitner, Innsbruck.
Der Ritterorden vom Heiligen Grab zu Jerusalem
Von Engelbert Pfurtscheller
D
as „Jerusalemkreuz” (ein von vier griechischen Derzeit bestehen 52 Statthaltereien, die wieder in gehörige besuchen regelmäßig diese Familien und
Kreuzen umgebenes „verstärktes Kreuz”) ist das Komtureien gegliedert sind. In Österreich gibt es der- erfassen genauestens die Familiensituation.
Zeichen der Ordensgemeinschaft. Es symbo- zeit 401 Damen und Ritter. 2. Sozialfonds
lisiert die fünf Wundmale Christi und soll an die Ver- Dem Orden gehören bekannte Persönlichkeiten an: Notleidende christliche Personen und Gemeinschaf-
pflichtungen im Heiligen Land erinnern. Seine rote Far- Dr. Christoph Kardinal Schönborn, Erzbischof Dr. Alois ten im Heiligen Land werden vom Sozialfonds des
be gilt als Zeichen der Liebe und des Geistes Gottes. Kothgasser, Diözesanbischof Dr. Paul Iby, Altbischof Gesamtordens unterstützt.
In Österreich ist der Orden territorial in elf Komtureien Dr. Reinhold Stecher, Abt Dr. Kassian Lauterer und 3. Schulprogramm
gegliedert, die nach ihren Zentren benannt sind Wien, Landtagspräsident DDr. Herwig van Staa. Auch mit österreichischen Ordensmitteln wurden u.
Baden-Wiener Neustadt, Eisenstadt, St. Pölten, Graz, Am 4. Oktober 1954 erhob Kardinal-Großmeister a. die Schulen des Lateinischen Patriarchats in Gaza
Linz, Klagenfurt, Salzburg, Salzkammergut, Innsbruck Nicola Canali mit Dekret die „Regentschaft des Ritter- und Kerak gebaut. Beide Schulen bilden Mädchen
und Bregenz. ordens vom Heiligen Grab“ in Österreich zur Statthal- und Buben vom Kindergarten bis zur Matura (Tawji-
terei. Sie ist nach den Bestimmungen des Konkordates hi) aus.
Geschichte des Ritterordens von der Republik Österreich anerkannt. Derzeit steht 4. Kindergartenprogramm
Der Ritterorden vom Heiligen Grab zu Jerusalem hat HR DDr. Karl Lengheimer der österr. Statthalterei vor, Die Österreichische Ordensgemeinschaft stattet in
seinen Ursprung in dem seit 1333 bezeugten Brauch Großprior - der geistliche Leiter der Statthalterei Öster- Jordanien, in Gaza und im Westjordanland Pfarr-
adeliger Jerusalempilger, sich in der Grabeskirche in reich - ist Erzbischof Dr. Alois Kothgasser. kindergärten nach den neuesten pädagogischen
Jerusalem zum Ritter schlagen zu lassen. 1496 wurde Erkenntnissen aus. Kindergärtnerinnen der Patriar-
dem Franziskaner-Guardian in Jerusalem vom Papst das Ordensauftrag chatsschulen wurden in Österreich in Management
Privileg verliehen, dass er und nur er Ritter vom Hei- Die Aufgabe des Ordens besteht einerseits in der und Kindergartenpädagogik ausgebildet.
ligen Grab ernennen dürfe. Der Orden geht also nicht Stärkung des christlichen Lebens der Mitglieder und 5. Priesterseminar
auf die Kreuzzüge zurück. 1655 werden vom Papst Ale- andererseits in der Unterstützung der Christen im Heili- Vom Österreichischen Ritterorden werden seit mehr
xander VII. die bisherigen Privilegien der Franziskaner gen Land. Den österreichischen Rittern liegt besonders als 20 Jahren Priesterstudenten durch persönlichen
bestätigt. Papst Pius IX. erneuerte 1847 das Lateinische die katholische Pfarre von Gaza am Herzen, die im vo- und familiären Kontakt im Heiligen Land betreut.
Patriarchat und übertrug dem ersten Patriarchen der rigen Jahrhundert vom Tiroler Pfarrer Georg Gatt ge- Derzeit werden zehn Seminaristen in Beit Jala (Nä-
Neuzeit wieder das alleinige Recht der Ritterernen- gründet wurde. Ein weiteres großes Anliegen ist derzeit he Bethlehem) unterstützt und begleitet.
nung. Seit damals besteht der Ritterorden vom Heiligen auch die Unterstützung der Christen in Bethlehem weil Alle Unternehmungen des Ritterordens - in Öster-
Grab zu Jerusalem als eigenständige juristische Person viele dort außerordentlich bedürftig sind. reich und weltweit - sind vom Erfolg einzelner Spen-
des Kirchenrechts unter der Oberhoheit des Heiligen Politische Aufgaben nimmt der Ritterorden vom denaktionen und Jahresopfer der Mitglieder abhängig.
Stuhls. Heiligen Grab zu Jerusalem nicht wahr. Noch weniger Weitere Informationen unter www.oessh.at
Durch das Breve vom 24. Jänner 1868 „Cum multa“ strebt er nach wirtschaftlicher Macht. Vielmehr arbeitet
bestätigte Papst Pius IX. den Ritterorden vom Heiligen er engagiert auf unterschiedlichen Ebenen an der Ver-
Grab zu Jerusalem formell als päpstlichen Ritterorden. wirklichung christlicher Ziele und Aufgaben.
Eine neue Ära leitet das Statut von 1949 „Quam Roma- Traditionell unterstützt der Orden vom Hl. Grab zu
ni Pontifices“ ein, mit dem ein Kardinalgroßmagisteri- Jerusalem das Lateinische Patriarchat, um den „institu-
um mit Sitz in Rom geschaffen und dem Kardinalgroß- tionellen Aufwand“ und die Schulkosten für die christ-
meister die Leitung des Ordens übertragen wurde. lichen Schüler möglichst zu finanzieren.
Zurzeit existieren nur drei katholische Ritterorden,
die vom Heiligen Stuhl als Institutionen des internatio- Heilig-Land-Kommission
nalen Rechtes anerkannt sind, nämlich der Päpstliche Alle Aktivitäten der österreichischen Statthalterei im
Ritterorden vom Heiligen Grab zu Jerusalem, der Sou- Heiligen Land werden von der „Heilig-Land-Kommis-
veräne Malteser-Ritter-Orden und der Deutsche Orden. sion” koordiniert, die dem Statthalter für diese Aufgabe
Allerdings ist im deutschen Orden der ritterliche Zweig zur Verfügung steht. Durch Sammelaktionen inner– und
alten Stils durch eine Reform der Statuten erloschen. außerhalb des Ordens werden jene Mittel aufgebracht, Auszug der Ritter vom Heiligen Grabe zu Jerusalem nach
Der Ritterorden vom Heiligen Grab umfasst weltweit die für die Finanzierung der fünf Programme erforder- der Einweihung der renovierten Stiftskirche Wilten
derzeit etwa 22.000 Personen: Damen, Ritter, Kleriker lich sind: am 19. Oktober 2008.
und Laien. Er steht unter der Leitung eines Großmei- 1. Familienprogramm
sters S.E. John Patrick Kardinal Foley, der vom Heiligen Derzeit werden 40 christliche Familien - ca. 250 Per- Das Heiligen Land in Zahlen
Vater aus den Reihen der Kardinäle ernannt wird und in sonen - in Gaza, Bethlehem und im Westjordanland Einwohner: 6 Mio. Israel (5 Mio. Juden, 1 Mio. Palä-
Rom residiert. Der jeweilige Lateinische Patriarch von unterstützt. Die Familien erhalten finanzielle Zu- stinenser), 3 Mio. Palästinenser in den besetzten Gebie-
Jerusalem, derzeit S.S. Erzbischof Fouad Twal, ist in wendungen für den notwendigsten Lebensunterhalt ten, Jordanien 4 Mio.
bewusster Fortsetzung der Ursprungstradition Großpri- (Lebensmittel, Hygiene, Medikamente und ärztliche Christen: 400.000 insgesamt, davon 170.000 Katholi-
or des Ordens. Behandlung, aber auch Schulstipendien). Ordensan- ken (davon 70.000 Lateiner, 70.000 Griechisch-Katho-
lische, 5.000 Maroniten, Syrer und Armenier)
Katholische Kirche: 63 kath. Pfarrgemeinden, 81 Diö-
zesanpriester, 2.000 Mönche und Nonnen
Zahl der Pfarren: in Palästina 18, in Jordanien 33, in
Israel 14, für hebräische Katholiken 6
Bildungseinrichtungen des Lateinischen Patriar-
chats: Zahl der Schulen: in Palästina 14, in Jordanien
22, in Israel 5
Zahl der Schüler und Anteile der Christen:
insges. Christen d.s. in %
in Palästina 5.696 2.671 47 %
in Jordanien 10.838 7.693 71 %
in Israel 2.294 1.730 75 %
insgesamt: 18.828 12.094 64 %
Der Orden der Grabesritter deckt etwa 80 Prozent der
Ausgaben des Lateinischen Patriarchates (2008 waren
es ca. 6 Mio. Euro).
Herausgegeben vom Bund der Tiroler Schützenkompanien - Innsbruck. Redaktion: EMjr. Karl Pertl, Völs. Herstellung: dtp Tyrol, Klaus Leitner, Innsbruck.
Das naturhistorische Kabinett im Vinzentinum in Brixen
Von Verena Steinmair
E
ine Tür öffnet sich, den Besucher emp- Lama soll es sich um ein sterbenskrankes
fangen schummriges Licht und relativ Exemplar eines Zirkus handeln.
kühle Temperaturen, im Halbdunkel Beim genaueren Hinsehen erweist sich
eines langgestreckten Raumes sind zahllose die Herkunft aber meist viel weniger spek-
Holzschränke mit Gläsern zu erkennen, hin- takulär: Liest man in den jährlich erschie-
ter der Ecke lugt die Schnauze eines Kroko- nenen Vinzentiner Schulberichten der er-
dils hervor: Bei der ersten Begegnung mit sten 50 Jahre nach, so findet man dort Jahr
der naturkundlichen Sammlung des Vinzen- für Jahr alle Neuerwerbungen penibel auf-
tinums in Brixen empfindet so mancher eine gelistet.
gewisse Scheu. Sobald aber das Deckenlicht Die Sammlung wurde regelmäßig und
aufflammt und der Besucher erfährt, dass großzügig ergänzt, zu einem Großteil durch
die tiefen Temperaturen der Konservierung Schenkungen von Gönnerinnen und Gön-
dienen, kann sich kaum einer der Faszinati- nern, aktuellen und ehemaligen Schülern
on des Schauraumes entziehen. und vielen Geistlichen, die öfters ihren
Nachlass dem Vinzentinum vermachten.
Umfangreiche Tierpräparate Auffallend oft gelangten Spenden von
Die naturkundliche Sammlung des Vin- Missionaren aus Übersee ins Vinzentinum.
zentinums trägt den Namen „Naturhisto- Ein beträchtlicher Teil der Exponate wur-
risches Kabinett“. Als Kabinett wurde ur- de auch - vor allem in den Jahren bis zum
sprünglich ein kleines, einfenstriges Zimmer Ersten Weltkrieg - von Lehrmittelverlagen
bezeichnet, das oft als Abstellraum benutzt Zahlreiche Tierpräparate und eine umfangreiche Mineraliensammlung sind das Herzstück aus allen Teilen des Habsburgerreiches an-
wurde. Später wurde der Begriff deshalb des naturhi-storischen Kabinetts in Brixen. gekauft, so auch das genannte Menschens-
auch für einen Raum für Sammlungen ver- die er auf Veranlassung von Fürstbischof Vinzenz Gas- kelett, das 1904 durch Kauf von einem Pra-
wendet. Der Ausdruck „naturhistorisch“ erinnert daran, ser dem Vinzentinum vermachte und vor der Übergabe ger Lehrmittelverlag erworben wurde.
dass im Fach Naturkunde früher vor allem die Entste- noch genauestens ordnete. Manche besonders gut ausgestatteten Bereiche zeu-
hung der Erde und der Lebewesen gelehrt wurde. Das Herbar Rupert Huter ist für die wissenschaftli- gen heute noch von der wissenschaftlichen Leiden-
Die Sammlung setzt sich aus verschiedenen Teilen che Forschung äußerst bedeutsam. Es bildet eine der schaft einiger Professoren, die im Vinzentinum lebten
zusammen: Am umfangreichsten und damit am auf- zentralen Grundlagen für die Erforschung der mit- und ihre ganze Energie der Erforschung einer Tiergrup-
fälligsten sind die zahlreichen Tierpräparate, daneben teleuropäischen Flora sowie für die Flora Tirols. Die pe widmeten: Bekannt sind die Schmetterlingssamm-
gibt es eine große Sammlung an Mineralien, Gesteinen Pflanzensammlung Rupert Huters war nicht nur eine lung von Prof. Michael Hellweger (1865-1930) und
und Fossilien. In einem eigenen Raum befindet sich das der wichtigsten Grundlagen für das letzthin erschiene- die Schneckensammlungen von Leonhard Wiedemayr
„Herbar Rupert Huter“, eine Sammlung getrockneter ne fünfbändige Grundlagenwerk „Flora von Nordtirol, (1853-1912) und Florian Schrott (1884 - 1971).
und gepresster Pflanzen. Schließlich gibt es noch ei- Osttirol und Vorarlberg“ von Adolf Polatschek, sondern Mit Beginn des Ersten Weltkrieges brach der Neuer-
ne Reihe sogenannter Kuriositäten, die weniger einen wird zunehmend stärker auch von Universitäten und werb von Exponaten radikal ein: Zum einen waren die
wissenschaftlichen oder didaktischen Zweck haben, bei Museen genutzt, die einzelne Herbarbögen entlehnen. Geldmittel knapp, zum anderen waren die Schulklassen
den Besuchern aber einen besonderen Eindruck hinter- Seit 1996 wird das Herbar im Tiroler Landesmuseum bzw. die Professoren auf die nähere Umgebung Brixens
lassen. Ferdinandeum restauriert: Die Pflanzenbelege werden verstreut, weil im Vinzentinum ein Militärspital ein-
Die Tiersammlung umfasst vor allem Wirbeltiere: dabei auf neue Bögen gespannt, neu etikettiert, gegen gerichtet worden war. Aus diesem Grund musste man
Dabei überwiegen Vögel und Säugetiere, denn diese eventuellen Schadinsektenbefall schockgefroren, digi- - wie Direktor Alois Spielmann im Jahresbericht von
Gruppen lassen sich am leichtesten präparieren, weil tal erfasst und - sofern erforderlich - von anerkannten 1917 schrieb - „Neuanschaffungen auf bessere Zeiten
man sie ausstopfen kann. Von einigen Arten sind Felle Spezialisten nachbestimmt. Die erneuerten Belege wer- verschieben“.
bzw. Häute vorhanden, von anderen Skelette, sogar die den ins Vinzentinum zurückgebracht und dort in einem Diese erhofften besseren Zeiten stellten sich aller-
Stimmapparate vieler Singvögel finden sich in einem speziell eingerichteten und auch für die interessierte Öf- dings nicht ein. Im Gegenteil, das Vinzentinum musste
eigenen Schrank. Empfindlichere Arten wie Schlangen fentlichkeit zugänglichen Raum sachgerecht deponiert. eine folgenschwere Teilung hinnehmen: Das Einreise-
oder Fische sind in Alkohol eingelegt. verbot der Faschistischen Regierung für die Studenten
Die wirbellosen Tiere erspäht man erst auf den zwei- Kuriositäten aus Nord- und Osttirol sowie aus Vorarlberg zwang die
ten Blick: Sie sind entweder unscheinbar, wie etwa die Am längsten in Erinnerung bleibt vielen Besuchern Diözese Brixen, 1926 mit dem „Paulinum“ in Schwaz
Korallen, oder, wie die lichtempfindlichen Insekten, in aber eine Reihe von sogenannten "Kuriositäten": Das eine Parallelstruktur aufzubauen. So wie die Schüler,
Schubladen untergebracht. ausgestopfte Krokodil beeindruckt durch seine Größe die Professoren und der Hausrat zwischen dem Vinzen-
Zu sehen sind aber auch Seesterne und Seeigel und und die scharfen Zähne im weit geöffneten Maul. Das tinum und dem Paulinum „aufgeteilt“ wurden, so mus-
als besonderes Highlight in einer großen Vitrine in der Kalb mit zwei Köpfen zeigt, dass auch in der Natur im- ste das Vinzentinum auch große Teile seiner didakti-
Mitte des Raumes seltene und besonders schöne Mu- mer wieder etwas „schiefgehen“ kann. Das echte Men- schen Ausstattung und damit auch der naturkundlichen
scheln, Schnecken und Schmetterlinge. schenskelett stammt aus einer Zeit, als es noch unmög- Sammlung abtreten.
Die Sammlung von Mineralien, Gesteinen und Fos- lich war, ein Skelett aus Kunststoff herzustellen. Den Auch in den folgenden Jahren war an Neuankäufe
silien hat in Vinzentinum eine lange Tradition. Es gab Stoßzahn eines Elefanten dürfte man heute aufgrund nicht zu denken. Zudem wurden - bis auf einige wenige
dort immer wieder Professoren, die sich auf diesem der internationalen Artenschutzabkommen nicht mehr Jahrgänge in den Dreißigerjahren - bis zum Jahr 1973
Gebiet spezialisiert hatten. Zudem erwiesen sich die erwerben bzw. importieren. Wer ihn in der Vinzentiner keine Jahresberichte mehr gedruckt, sodass die weitere
umliegenden Gebirgszüge als wahre Fundgruben: die Sammlung sehen und in der Hand halten kann, ist be- Entwicklung der Sammlung heute im Dunkeln liegt.
Dolomiten als „locus classicus“ für viele Fossilien, der eindruckt von seiner Mächtigkeit und seinem Gewicht
Alpenhauptkamm als Schatzkammer für Mineralien- und unterstützt hoffentlich mit Nachdruck den Schutz Nutzung
sammler. der vom Aussterben bedrohten Elefanten. Die Unterweisung in den Fächern „Naturgeschich-
Sehr wertvoll, weil mit einem aufwändigen und in- te“ und „Naturlehre“ nahm im Vinzentinum seit jeher
Herbar Rupert Huter zwischen fast vergessenen Verfahren hergestellt, sind einen breiten Raum ein. Entsprechend wurde die na-
Im Besitz des Vinzentinums befindet sich eine der die Gipsabdrücke alter Apfel- und Birnensorten. turkundliche Sammlung in erster Linie für den Einsatz
bedeutendsten alten Pflanzensammlungen (Herbare) Bei so vielen unterschiedlichen Ausstellungsstücken im Unterricht angelegt und wird dort auch heute noch
über die Flora der Ost- und Südalpen. Sie umfasst ca. ist auch die Art der Präparation bzw. Konservierung intensiv genutzt: Die Schülerinnen und Schüler können
120.000 Pflanzenbelege und stammt vom berühmten Ti- entsprechend vielfältig: Neben den vielen ausgestopf- Vertreter der einheimischen Fauna hautnah betrachten,
roler Priester und Botaniker Rupert Huter (1834-1919). ten Schaustücken gibt es Tiere, die in getrockneter sie bekommen aber auch Einblick in die Vielfalt der
Rupert Huter hat zeit seines Lebens nicht nur an Form aufbewahrt werden, so zum Beispiel die Insekten Lebewesen anderer Kontinente und können bei Verglei-
den verschiedensten Orten in Tirol Pflanzenmaterial oder die Seeigel und Seesterne. Wenig haltbare Expo- chen zwischen einzelnen Tieren die oft beeindruckende
gesammelt, sondern zusammen mit den befreundeten nate wie die Schlangen sind in Alkohol eingelegt. Ein- Anpassung der Lebewesen an ihre Umwelt besonders
Botanikern Pietro Porta (1832-1923) und Giorgio Ri- zig die Schnecken und Muscheln, von denen nur die gut erfassen.
go auch mehrere Forschungsreisen unternommen, unter Schale erhalten bleibt, sind pflegeleicht und bedürfen Immer wieder werden auch Teile der Sammlung von
anderem nach Carnia/Friaul (1873), Unteritalien (1874, keiner Wartung. Wissenschaftlern für ihre Forschung genutzt. Die na-
1875, 1877), Spanien (1879) sowie auf die Balearen turkundliche Sammlung kann nach Voranmeldung im
(1885). Zudem erhielt er durch seine Kontakte mit vie- Geschichte Schulsekretariat auch von Interessierten jederzeit be-
len europäischen Botanikern umfangreiches Pflanzen- Immer wieder stellen Besucherinnen und Besucher sichtigt werden, wobei auch Führungen, z.B. für Schul-
material. die Frage, woher diese Fülle an Ausstellungsstücken klassen angeboten werden.
Die gesammelten Pflanzen wurden von Huter be- stammt. Um manches Exponat ranken sich die wildes-
stimmt, gepresst, getrocknet, auf Herbarbögen aufgezo- ten Geschichten: So hält sich in Brixen hartnäckig das Mag. Verena Steinmair ist Professorin für natur-
gen und in einem Katalog festgehalten. Auf diese Weise Gerücht, das Menschenskelett stamme vom letzten in wissenschaftliche Fächer am bischöflichen Seminar
entstand eine umfangreiche private Pflanzensammlung, der Stadt Brixen Gehenkten und beim ausgestopften Vinzentinum in Brixen.
Herausgegeben vom Bund der Tiroler Schützenkompanien - Innsbruck. Redaktion: EMjr. Karl Pertl, Völs. Herstellung: dtp Tyrol, Klaus Leitner, Innsbruck.