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© 2008
Vorwort.

Der Tiroler Freiheitskampf im Jahre Beeindruckend sind die Taten unserer Eine schmerzhafte Wunde in der Tiroler
1809 – unser Heimatland Tirol musste Urahnen als Schützen im Jahre Geschichte ist die Teilung Tirols. Gegen
seither schwierige Jahre überstehen. 1809, sowie die Kämpfe unserer den Willen der Tiroler Bevölkerung
Die Teilung unseres Landes sowie Urgroßväter als Standschützen in den wurde ein Teil unseres Landes von
die Unterdrückung des südlichen Jahren 1915–1918. Tausende Tiroler Österreich gerissen, darum ist und bleibt
Landesteiles durch Italien gingen nicht mussten an der Südfront ihr Leben Italien für uns ein fremder Staat.
spurlos an Tirol vorbei. Heute wird lassen, trotzdem konnte man die
von verschiedenen Seiten versucht, Annexion Südtirols durch Italien nicht Wer das Buch liest, die Texte der Lieder
im historischen Gedenkjahr 2009 verhindern. Vorbildhaft haben unsere aufmerksam hört, wird spüren, was
die Heldentaten unserer Ahnen Großväter dem Faschismus getrotzt. das Vermächtnis unserer Helden an
auszuklammern, gar unwichtig Verpflichtender Dank geht an unsere uns Nachkommen bedeutet. Niemals
erscheinen zu lassen. Die Kämpfer Väter, die unser Land in den 60-er aufgeben, aufrecht durchs Leben gehen
von anno neun waren den folgenden Jahren tapfer verteidigt haben. Die und auch Unannehmlichkeiten in Kauf
Generationen stets ein Vorbild. Ihnen Freiheitskämpfe im Tiroler Land haben nehmen, wenn es um das Wohl unserer
haben wir es zu verdanken, dass die unzählige Opfer gefordert, Väter und Heimat geht. Auch dann weitermachen
deutsche und ladinische Volksgruppe in Söhne wurden gefoltert, sind gefallen und das Erbe unserer Vorfahren weiter
Südtirol trotz Jahre der Unterdrückung oder wurden kaltblutig umgebracht. tragen, wenn der Kampf verloren
noch heute besteht. Aus diesem Grund Dies alles nur, weil sich das Tiroler scheint. Eines Tages wird der Tag der
haben sich junge Patrioten aus ganz Volk den Besatzern und Eindringlingen Freiheit und Gerechtigkeit auch für uns
Tirol entschlossen, der Jugend die entgegengestellt und jederzeit aufrecht Tiroler kommen.
glorreichen und zugleich opfervollen seine angestammte Heimat verteidigt
Zeiten des Tiroler Volkes näher zu hat. Für unsere Heimat, für unser Volk, für
bringen. unser Tirol! Lassen wir die Fahne wieder
wehen!

Innsbruck, Bozen; Weihnachten 2008

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Andreas Hofer und das Jahr 1809.

Seine äußere Gestalt gewann ihm den Hemdkragen, ein schwarzer sich wohl in seiner Nähe. Auf ihren
das Herz der Menschen, und eine breitkrempiger Hut auf der Seite Reisen nach Innsbruck ließen sie
gewisse Treuherzigkeit öffnete aufgestülpt, mit dem Bildnisse sein Wirtshaus nie unbesucht, wo
ihm die Gedanken selbst solcher, der Mutter Gottes, Blumen und arme auch umsonst Erquickung
die sich auf ihre Gewandtheit und Wildfedern geziert, blaue Strümpfe, fanden. Er wurde ebenfalls zu ihnen
Verschlossenheit viel zu gute taten. und weit ausgeschnittene Schuhe hingezogen, und warf fahrenden
Er war ein schöner Mann, nur wenig waren im späten Alter seine Studenten auf seinen Ritten durchs
über die gewöhnliche mittlere Kleidungsstücke. Tal oft einen Thaler zur Wegzehrung
Länge hinaus, im besten Ebenmaße zu. Wie die Passeirer überhaupt,
zu seinen Formen, die breiter Trotz dem tüchtigen Korne in seiner legte er kein Gewicht auf leibliche
ausgingen, als es sonst in Passeier männlichen Gestalt, hatte sein Bequemlichkeit in Lager und Hausrat,
der Fall ist, mit mächtigen Schultern Charakter doch eine ungemeine, selbst wo er es besser haben konnte.
auf festen Knochen. Er hatte ein den Passeirern eigene Weichheit und Als er einst auf einer Marktreise in
volles rundes Gesicht, breite Nase, Zartheit, die sich in den kleinsten ein vollgefülltes Wirtshaus kam,
lebhafte braune Augen, schwärzliche Zügen seines Tuns und Lassens wollte man ihm vor Anderen ein
Haare, und trug in Folge einer Wette offenbarte. Er ritt gewöhnlich Bett geben, aber er schlug es aus mit
seit dem Eintritte der baierischen Tal aus und ein. Als er einst mit den Worten: „Die Betten könnt’s
Herrschaft im Jahre 1806 einen mehreren Genossen von Meran nach für Andere brauchen, an mir ist
langen schwarzen Bart, der ihm viel Hause ritt, dauerte ihn der Knabe, nichts gelegen!“ und legte sich im
Ehrwürdigkeit verlieh. Sein Gang welchen er aus bloßer Vorliebe für Stalle auf das Stroh. In jüngeren
war gemessen und würdevoll, seine die Jugend hatte mitlaufen lassen. Jahren machte er nicht ungern den
Stimme weich und hell, sein Auge Er hob ihn zu sich auf den Sattel, Robler, besonders auf den Märkten
voll Friede und Heiterkeit, sein und betete mit den Andern den zu Latsch, um seine Körperkraft
ganzes äußeres Wesen harmonisch Rosenkranz. Aber zu dem Knaben zu zeigen, und seine gedrungene
und einnehmend. Er kleidete sich sagte er: „Mitbeten darfst du nicht, Leibesgestalt trug über die größten
nach der Tracht seines Heimattales. aber schlafen auch nicht, sonst fällst Bauern den Sieg davon. Er zeigte in
Eine grüne Jacke, ein roter Brust- du mir vom Pferde.“ Die Studenten solchen Fällen eine bemerkenswerte
Fleck, ein schwarzer Ledergurt in Meran kannten ihn alle gut, und Bescheidenheit. Auf sich bezog er
mit den Anfangsbuchstaben seines hatten ihre herzliche Freude am nichts, meinte aber, für Passeier
Namens, schaftlederne schwarze schönen leutseligen Sandwirt. Sie müsse man’s wagen und aufnehmen.
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Hosen, ein schwarzer Seidenflor um sammelten sich um ihn, und fühlten Der Besiegte musste mit ihm essen
und trinken. Bei sehr geringer Bildung tätig waren, standen bei ihm in Beda Weber, Andreas Hofer und das Jahr
zeigte er doch überall Verstand und hohen Ehren. Einmischung in 1809, mit besonderer Rücksicht auf Passeiers
Urteil, eine Art Bauerninstinkt, wie weltliche Angelegenheiten fand er Teilnahme am Kampfe, Wagner, Innsbruck,
er in Passeier und im Burggrafenamt an ihnen tadelnswert, aber selbst 1852, S. 6 ff. Beda Weber war mehrere Jahre
von Tirol häufig zu Tage tritt, und im sein Tadel war stets von seinem Seelsorger in St. Martin in Passeier und
ersten Angriffe die Dinge richtiger Hauche tiefer Ehrfurcht fürs verwertete mündliche Informationen noch
auffasst, als der langüberlegende Priestertum durchdrungen. Seine lebender Augenzeugen.
Grübler. Sein Mutterwitz ließ bei Stimmung zu den Verhältnissen
keiner Gelegenheit lange auf sich einer außerordentlichen Zeit, die Abgeschrieben aus: Tirol im Jahr
warten, und war eben so treffend als reich war an Erschütterungen aller 1809 Seite 140
gutmütig. Er liebte in freien Stunden Art, war durch seine religiösen
das Giltspiel mit gewöhnlichen Überzeugungen bedingt. Foto: 01 Egger Lienz - Andreas
Spielkarten, welches in seiner Heimat Hofer.jpg
sehr in Schwunge ist, und spielte es
meisterhaft. Da dasselbe überhaupt
sehr geeignet ist, die angebornen
Charakterzüge eines Menschen sehr
ins Licht zu stellen, so traten auch
bei ihm während desselben einerseits
aufmerksame Maßhaltungen,
andererseits eine gutartige Schlauheit
entschieden zu Tage.

In kirchlichen Dingen hielt er sich


gern nach St. Martin, obgleich
er nach St. Leonhard eingepfarrt
war. Seine Frömmigkeit wurzelte
in einem gläubigen Gemüte, das
alle Grübeleien ausschloß, und das
Gefühl des allgegenwärtigen Gottes
begleitete ihn überall. Es machte
ihn froh, duldsam, mitleidig gegen
alle Menschen. Kopfhängerei und
Bekrittelung der Sitten Anderer
verachtete er. Der Kirche als solcher
anzuhängen war ihm Bedürfnis.
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Geistliche, die in ihrem Berufe
Erste Bergiselschlacht.

Die anbrechende Nacht und ein Gewitterregen verhinderten eine Entscheidung


– die Bayern behaupteten die Talebene, die Tiroler die Berghänge.

Die erste Bergiselschlacht fand am 12. April 1809 statt. An diesem Tag befreite
der Schützenhauptmann Martin Teimer die Landeshauptstadt Innsbruck.
Die bayrischen Truppen unter General Kinkel müssen sich den Tirolern
ergeben. Die Kämpfe vom 25. und 29. Mai 1809 werden zusammen als die
zweite Bergiselschlacht gezählt. Am 25. Mai gelang den Tirolern nicht der
Durchbruch. Die Schützenführer Hofer, Haspinger und Speckbacher hatten
Schwierigkeiten, die Schützen auf dem Bergisel zu halten. Die Bauern wollten
schnell siegen und heim aufs Feld. Doch dann traf in Tirol die Nachricht
ein, dass Napoleon in der Schlacht bei Aspern bei Wien besiegt worden war.
Dies war der Grund, warum die Schützen voller Zuversicht und siegreich am
Morgen des 29. Mai erneut angriffen. Am 30. Mai zog Andreas Hofer in das
befreite Innsbruck ein. Dazu gibt es noch eine alte Erzählung:

Am Abend des 25. Mai 1809 saß der Sandwirt Andreas Hofer im Gasthof
Schupfen, in seinem Hauptquartier, mit seinen Getreuen zusammen. Plötzlich
kam ein alter Mann und verlangte zum Sandwirt vorgelassen zu werden. Als er
endlich vor dem Tisch stand, an dem Hofer saß, sagte er zu ihm: „Hofer Ander,
am Morgen des 29. Mai musst Du angreifen, dann siegen die Tiroler!“ Der Alte
verschwand, trotz befragen und umhören konnte nie ermittelt werden, wer
dieser Mann war. So bildete sich die Meinung, dass ein Engel in Verkleidung
des Alten erschienen sei, der dem Sandwirt den Termin für den Angriff
mitgeteilt hat. Soweit die Sage.

Foto: 04 Defregger - Erstürmung des roten Turms.jpg

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Er hatte diesem Vertrauten seine ganze Unterredung mit
dem Kaiser wiederholt, und endete jetzt seine Erzählung
mit dem Seufzer: der Kaiser wird schweigen, bis der
Kaiser Erzherzog Johann. günstige Moment vorüber ist!

Graf Nugent blickte mit einem Ausdruck inniger


Das Jahr 1809 war gekommen und noch immer war Teilnahme auf das traurige schmerzzuckende Angesicht
der von ganz Österreich so sehr ersehnte Krieg mit des Erzherzogs hin, er sah die Tränen, die in Johann’s
Frankreich nicht ausgebrochen, noch immer wartete großen blauen Augen standen, er sah, wie er die Lippen
das Volk, wartete die Armee vergeblich auf den Ruf fest zusammenpreßte, als wolle er einen Aufruf des
seines Kriegsherrn, des Kaisers Franz des Ersten. Schmerzes oder des Zorns zurückdrängen, wie er die
Wohl war Vieles und Großes geschehen im Lauf des Hände zur Faust zusammenballte in dem Krampf seiner
verflossenen Jahres, wohl hatte Österreich gerüstet, Verzweiflung. Voll innigen Mitgefühls näherte sich
hatte die Landwehr gebildet, seine Festungen verstärkt, der General dem Erzherzog, der in seinen Lehnstuhl
seine Magazine gefüllt, aber der Kaiser zögerte noch niedergesunken war, und legte sanft seine Hand auf
immer, den letzten entscheidenden Schritt zu tun, und dessen Schulter.
nachdem er das Wort: Rüstung! ausgesprochen, auch
das Wort Krieg! folgen zu lassen. Niemand erwartete Mut, Mut, flüsterte er, noch ist nichts verloren, und Ew.
dieses heiß ersehnte Wort mit größerer Ungeduld, als Kaiserliche Hoheit – Ach, weshalb nennen Sie mich
des Kaisers zweiter Bruder, als der junge kaum sieben Kaiserliche Hoheit, rief der Erzherzog fast unwillig, sehen
und zwanzigjährige Erzherzog Johann. Er war die Seele, Sie denn nicht, Nugent, daß dies ein armer elender Titel
die Triebfeder aller der Rüstung gewesen, die seit dem ist, mit dem das Schicksal mich zu verhöhnen scheint,
Sommer des Jahres 1808 in ganz Österreich geschehen, den es mir gleichsam zum Spott immer in die Ohren
er hatte den Plan zu der Landwehr und den Reserven dröhnt, um mich immer und immer wieder zu mahnen
ersonnen, von ihm war der Aufruf vom zwölften Mai an meine Ohnmacht, an meine Kleinheit. Ich habe von
1808, der alle streitbaren Männer Österreichs zu den dem „Kaiserlich“ nichts als das Joch der Abhängigkeit,
Waffen rief. Aber damit endete auch seine Macht, und meine „Hoheit“ darf sich doch nur dem Brosamen
er konnte wohl das Heer organisieren, aber er durfte des Lazarus vergleichen, der von des reichen Mannes
nicht zurufen: „auf zum Kampf gegen den Feind!“ Nur Tische fiel! Und es gibt Leute, Nugent, welche mich noch
der Kaiser durfte dieses Wort sprechen, und der Kaiser um diesen Brosamen beneiden, Leute welche vermeinen,
schwieg noch immer! es wäre ein herrliches und glänzendes Glück, eine
Kaiserliche Hoheit, der Bruder eines regierenden Kaisers
Und er wird schweigen, bis der günstige Moment vorüber zu sein.
ist, seufzte Erzherzog Johann ganz leise, als er, von einer
langen Unterredung mit dem Kaiser heimkehrend, sich Louise Mühlbach, Andreas Hofer,
mit seinem Freunde, dem General Nugent, wieder allein 2 Bde., Otto Janke, Berlin, 1859, S. 3 ff.
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in seinem Kabinett befand.
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Abgeschrieben aus „Tirol 1809 in der Literatur“ Seite 342

Foto: 05 Erzherzog Johann.jpg


Sachsenklemme.

Die alte Hutterin hat in der Maischlacht 1809 ihren Mann und den Geht zu den anderen.
älteren Sohn verloren, dennoch folgt der Jüngste dem Aufgebot in die „Oes geats af Klausen! Habbs die Leichtesten.“
Sachsenklemme. Er ist beauftragt, auf ein Zeichen die Steinlawinen an Ein Wagen nach dem anderen fährt fort.
den Hängen zu lösen; verzweifelt erklimmt die Hutterin den Hang, um
ihren Sohn zu sehen: In dem Augenblick wird das Zeichen gegeben, die Die Sieger sind still. Sie schauen, denn der Mond zeigt
Steinmassen, die der eigene Sohn gelöst hat, begraben die Frau. die Entsetzlichkeit des verrauschten Tages.
„Simmele!“ Der Mahrer weckt seine Leute.
Sie sind still, die Sieger. Die Nacht ist dunkel. Der Eisack „Schauggs decht a bißl, daß sie ins nöt unt’r die Händ
tost über die blutigen Felsen. Über Leichen und Säbel sterben!“
und Stutzen. Blöcke rollt er mit sich. Zweige; saftgrüne,
rauschende, redende Zweige. Einen Menschen rollt er Der Pater gesellt sich zu ihm. Der rote Bart fliegt nicht.
mit sich. Den Kopf voran, die Arme voran. Bleibt liegen, Aber im Mondlicht glänzen diese feurigen Augen.
ist bleich. Bleich starrt das Gesicht in die Nacht. Kommt „Tiat m’r in Lantschner und in Gruab’r holn. Wenn ös
eine neue Welle. Die Füße voran. in Wassermann söggs, sollt’r aa kemmen. Morgen isch
Portschungula Samsti, möchte nöt, daß die Lait koan
Rollt der Eisack die Toten gen Süden. Herrgott nöt kriagn!“
Sie sind still, die Sieger. Auf der Straße ist gut liegen. Auf Stehen alle drei beisammen. Aus der Nacht kommen die
den schmalen Wiesenflecken ist gut liegen. Überall liegt Führer, stellen sich rund herum. So wird der Platz von
es sich gut. Die Sieger hören das Jammern nicht, nicht das Menschen voll.
Stöhnen der Verwundeten. Sie sind selber wie tot.
„Jatz, Pat’r Joachim, ball alls uhng’ordnt isch, i gea! Ich
Die Mauern der drei Häuser in Oberau dampfen vom muaß auf, möchts in And’r sagn, wias gangen isch – –.“ Er
Blut; die Steine vom Blei. Vom Tirolerblut rot ist die Erde. blickt auf die Straße gegen Mittewald, von der schnelle
Rot ist sie vom Sachsenblut. Karren fahren langsam über Schritte tönen.
die Straße. Da stehen die Sieger auf. Kommen hervor aus „Oes kempps morgen woll bis af Mauls außi, ha?“
der Nacht und schauen und schweigen. Ein Wagen nach Zwei im Volke reden leise miteinander.
dem andern fährt mit strohleisen Rädern davon. „Spöck“, sagt der Pater, „vergelt’s Gott, – vergelt’s Gott
tausendmal –!“
In den Karren ist Stöhnen und Tod. Lacht der Speckbacher. „Wer i woll Ihmenen danken
Kommt der Speckbacher hinter den Wagen her. miaßn, Paterle?“
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„Tiats den Zöttl da ahgöbn in Neustift!“ „Guat isch gangn, heint“, lacht der Mahrer.
„Gfacht habm’r sie!“ Gasse. Haspinger ist fahl um den Bart.
Entsteht eine Gasse im Volke der Sieger. „D’r Hörwarter isch es!“
Schreit einer: „In Pat’r! in Pat’r!“ Er keucht wie ein gehetztes Roß, stiert mit traurigem Blick
Kommt einer wie ein schreiender Pfeil gelaufen. auf die, die warten.
„Wo isch d’r Pat’r?“ „Happs in Luisl nicht gsöchn?“
Kommt einer atemlos, wahnwitzig in die Sieger Da sieht er ihn selbst.
hineingefahren. „Laßt’n verschnaufn!“
Haspinger springt auf: „Was isch? Isch der Feind –?“ „Pat’r – i han mei Muatt’r d’rschlagn!“
Kommen alle herbei. Haspinger ringt mit dem Verzweifelten.
Der Luisl bleibt im tollen Anprall an der Brust des alten „Der da hats gsöchn!“
Maulser Jägers hängen. Reißt sich frei. Der Hörwarter stiert entsetzt.
„Pater Joachim!“ „Weil er’s ihr gsagg hat, heit in d’r Nacht, daß i soll d’r
Er hebt die Hand. Ist groß wie eine sich reckende Tanne, nassen Wand oarlassn –“
hat ein weißes Gesicht. „Wear hat’s ihr gsagg?“
„Biabl was isch?“ Der Haspinger erschrickt. „Göpps ihm a Wassr!“
„Biabl was isch?“ – Der Hörwarter redet mit trockener Zunge: „I han’s ihr
„Pat’r i han mei Muatt’r d’rschlagen!“ gsagg, daß sie nöt za verzagg isch.“
Sie heben ihn. Halten ihn. Immer mehr Männer kommen. „Kemmen isch sie za miar – Pat’r –!“ Diese Stimme
Drüben fahren die Wagen ab. Voll Stöhnen sind sie. zerschneidet jede lauschende Seele.
Einer sagt: „Der Hutter Luisl!“ „Göpps ihm an Wein! Ear d’rschwacht ja ganz!“
Sie stützen ihn. Er ist groß wie eine wilde Tanne, und sein „Kemmen isch sie za mir, weil sie die Angst getrieben hat.
weißes Gesicht sinkt nicht. Za miar isch sie kemmen, za miar af d’r nassen Wand!“
„Luisl!“ Der Haspinger ruft auf.
Sie sind alle um ihn. Haspinger und der Mahrer werden wie aufschießendes
Eisen. Über die Schultern schauen ihnen die Sieger.
Er reißt sich das Hemd auf der Brust auf. „Han gebettelt „Un ball i sie gsöchn han“ –
va neine in d’r Fruah bis af iatz in d’r Nacht, daß mi oanr „I han sie aa gsöchn, wia sie in Berg einikrochen isch!“
drschiaßt. Bin umadumm grennt va neine bis iatz, daß „Höpps’n; laaft oanr um öppes zu össen!“
mi oanr d’rschlagg“, – macht sich frei von den Haltenden Lauft keiner. Kann keiner fort.
– „bin untn und obn gwödn, daß i sie find –; untr die „Ball i sie gsöchn han, han i gschriedn. Griaft han i, griaft!“
Stoan, dö i oarglaßn han, muaßt sie liegn!“ Grausam „Ja, i han’s gheart.“ Den Hörwarter rüttelt das Entsetzen.
aufschreiend: „Pat’r i han mei Muatt’r d’rschlagn!“ „Biabl, Biabl!“ sagt der Haspinger still.
Noch versteht ihn keiner. Noch sind sie um ihn herum, „Nöt derzöhln, Luisl!“ bittet ihn der Kooperator.
leichenblaß wie er, und keiner gibt ihm ein Wort. Nur „Laßtn lei rödn, isch bössr.“ Der Mahrer steht dicht bei
hinten, wo die vielen stehen, geht Vermuten und Erraten ihm.
herum. „Biabl, Biabl!“ Joachim hat den feurigen Kopf müd
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Kommt ein zweiter gelaufen. Entsteht von neuem die gesenkt.
„Pat’r –“ der Luisl ist groß wie eine sich reckende Tanne
–„Pat’r, i han mei Muattr d’rschlagen! I hann gmiaßt!
Pat’r, gmiaßt han i!“
Wie Mauern stehen die Sieger.

Aber einem nach dem anderen sinkt langsam der Kopf


nieder.
„Pat’r“ – er tritt dem Rotbart dicht und eng vors Gesicht,
und seine Augen sind blinkende Kohlen, – „Pat’r kennt
Oes miar sagn, brum i gmiaßt han, kennt Oes mir sagn,
brum i gmiaßt han mei Muatt’r d’rschlagn?“
Kopf an Kopf stehen die beiden.
Wie Mauern die andern.
Und Haspinger schweigt.
„Pat’r, ob Oes mir sagn kennts, brum i mei Muatt’r
d’rschlagn han gmiaßt?“
Kopf an Kopf stehen die beiden.
Wie Säulen die andern.
Und Haspinger schweigt.
„Pat’r, i frag!“
Da hebt Haspinger das Gesicht und schüttelt die
Schwere von sich. Und legt dem wahnsinnigen Frager die
Hand auf dem Kopf und seine Stimme ist voll Tränen.
„Ja, Luisele“, – es zittert die Hand auf dem armen Kopf,
–„ja, Luisele, i woaß es, warum“, – es ist die raue Stimme
von Tränen weich: „Weil du fir’n Landl a Held gwordn
bisch!“

Albert von Trentini (1878-1933), geschrieben anläßlich der


Jahrhundertwende der Befreiung Tirols anno 1809.

Abgeschrieben aus dem Buch Tirol 1809 in der Literatur,


Seite 289 - 292

Foto: 06 Buschen mit Steinen.jpg

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Schwaz in Flammen.

Die Flammen von Schwaz röteten Wie erst in Tirol selbst! Weit
weithin den Nachthimmel. Selbst ins Inntal hinauf leuchteten der
auf solche, welche dem furchtbaren Feuerschein und erfüllte das Volk
Schauspiel weit entrückt und mit Schrecken, noch mehr mit
mit den Unglücklichen nicht rasendem Zorn. Aber auch dort, wo
landsmannschaftlich verbunden man nur mehr gehörsweise von dem
waren, machte der Brand tiefen noch nicht dagewesenem Ereignis
Eindruck. Vorgestern, so machte vernahm, frischte es die Erinnerung
Bettina v. Arnim ihren Gefühlen vor an alles, was die Bayern getan oder
Goethe Luft, glüht der Himmel über getan haben sollen, von neuem auf.
jenen Alpen nicht vom Feuer der Alle ihre Taten gruppierten sich
untergehenden Sonne, sondern vom um das brennende Schwaz und
Mordbrande. einigten alles zu dem einen Schwur:
Nieder mit den mordbrennerischen
„Da kamen sie um – die Mütter Tyrannen! Die glühendsten
und die Kinder, die wehrlosen in Proklamen und die bündigsten
den Flammen. Hier (in München) Befehle übten keine solche
lag alles im schweigenden Frieden, Wirkung auf den Volksgeist wie die
der Tau tränkte die Kräuter und Flammenschrift von Schwaz. Von
dort verkohlte die Flamme den nun an war der Namen Schwaz bei
mit Heldenblut getränkten Boden. den Tirolern der wirksamste Weckruf
Ich stand die halbe Nacht auf dem zur Fortsetzung oder Erneuerung des
Turm im Englischen Garten und Widerstandes.
betrachtete den roten Schein. Das
Schloss der blinden Tannenberge Josef Hirn, Tirols Erhebung im Jahre
haben sie verräterisch verbrannt, 1809, Heinrich Schwick, kais. und
Heiligtümer zerstört, Greise und kön. Hofbuchhändler, Verlag der
Kinder getötet, und die Bayern Vereinsbuchhandlung und Buchdruckerei,
haben sich dessen jubelnd gerühmt.“ Innsbruck, 1909, Nachdruck Athesia-Buch,
(Datiert an Goethe am 18. Mai 1809) Bozen, 1983, S. 417 ff.
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Foto: 07 91 Schwaz in Flammen -
Sonnwendzauber.jpg
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Unter Napoleons Fremdherrschaft.

Sturmwolken jagen über die schneebedeckten Tiroler So dachten die bayrischen Soldaten und Offiziere selbst,
Berge. Noch will der Winter seine Herrschaft über die die auf Befehl Napoleons das Land Tirol für die bayrische
gewaltigen Feldmassive und Hochtäler nicht aufgeben. Krone besetzen mußten.
Zäh und erbittert verteidigt er seine Eisfelder und
Schneewälle gegen den stürmischen daherbrausenden Blutsverwandte der Bauern Tirols waren sie, die Söhne
Frühling. des Allgäus, des Chiemgaues, des bayrischen Waldes.
Deutsche waren sie allesamt. Doch durften sie ihre
April ist’s in Tirol! April 1809! Gedanken nicht laut werden lassen.

Und wie die Natur draußen immer nachdrücklicher Deshalb mied das Bergvolk die bayrischen Soldaten,
Befreiung von der harten Zwingherrschaft des eisigen grüßte die Offiziere und Beamten nur, weil es mußte.
Gesellen verlangt, so stürmt es und begehrt es auch in den Und immer wieder brachen der Trotz und der Zorn
Herzen der Menschen auf, die in den schlichten Häusern der eingesessenen Bevölkerung los, noch schlimmer
der Gebirgsdörfer wohnen. Die Bauern Tirols warten auf wurde die Stimmung in Tirol, besonders, als die
das Signal zu einem noch größeren, gewaltigeren Kampf. bayrischen Behörden anfingen, die jungen Burschen
Sie wollen für die Freiheit des Landes kämpfen. zum Militär auszuheben. Ganze Dörfer erschienen da
Seit vier Jahren, seit dem unglücklichem Ausgang des wie ausgestorben. Die jungen Männer flüchteten in die
Krieges im Jahre 1805, den Österreicher und Russen Berge oder gingen über die Grenze nach Kärnten und ins
gegen Napoleon verloren haben, liegt die harte Faust des Salzburgische.
Korsen auf dem Lande am Inn und an der Etsch. Es ist
kein Trost, daß auch ganz Deutschland von französischen Da begann man, die Väter einzusperren, um die Söhne
Truppen besetzt ist. Die Gesandten Napoleons regieren in zu zwingen, sich bei den Behörden zu melden. Die
Wien und Berlin. Söhne meldeten sich nicht. Und weil man die alten,
grauhaarigen Bauern nicht ewig in den Gefängnissen
Deutsche Fürsten, die Mitglieder des Rheinbundes, sitzen lassen konnte, drohte man mit strengeren Strafen.
haben Deutschland verraten. Kein deutscher Mann, kein Immer drohender wird die Stimmung in Tirol. Immer
deutsches Herz kann es verstehen, daß die Soldaten mehr zieht sich das Volk in seine Berghöfe und
dieser deutschen Fürsten nun Bütteldienste für Napoleon Unterkünfte im Hochgebirge zurück. Es liegt in der Luft,
leisten müssen. das fühlen auch die Besatzungstruppen. Sie verstärken
die Posten der Grenzpässe gegen Österreich hin, die
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Reisenden werden streng kontrolliert.
Doch was nützt alle Wachsamkeit? Niemand kann dem
Tiroler die Wege versperren, wenn er sie über Felsen
und Grate sucht, die als unsteigbar gelten. Schon seit
der Herbstmonate 1808 haben die Tiroler geheime
Verbindungen mit Wien angeknüpft. Immer wieder sind
Boten mit geheimen Nachrichten unterwegs. Ihre Wege
führen sie stets aus dem Pustertal oder dem unteren Inntal
über den Jaufenpaß nach dem Dörfchen Sankt Leonhard
in Südtirol.

Dort im Passeiertale, nur eine Wegstunde von Meran


entfernt, liegen die Schildhöfe, die ältesten Bauernhöfe
Tirols.

Die Sage erzählt, daß schon die Ostgoten diese Höfe


errichtet hätten, als Wohnsitze ihrer Freien, die die
Nordgrenze des Ostgotenreiches zu schützen hatten.
Nun sind seit Jahrhunderten die Schildhöfe die
ehrwürdigen Stätten Tiroler Volkstums. Die Bauern, die
auf ihnen wohnen, haben das Recht, die Wache vor der
Hofburg des Kaisers von Österreich in Innsbruck zu
stellen, wenn ihr Kaiser Franz nach Tirol kommt. Nun
aber, da die Frühlingsstürme über die Berge brausen und
den Willen zur Freiheit auch in den Herzen der Tiroler
wecken, da sind die Schildhofbauern und die Leute von
Sankt Leonhard die Seele des trotzigen Aufbegehrens
gegen die Franzosenherrschaft.

Anton Bossi-Fedrigotti in den Göttinger-Jugend-Büchern.

Nicht im Buch: Abgeschrieben aus: Tirol 1809 in der


Literatur Seite 433

Foto: 08 9_019 Postkarte alter Schütze Kopie.jpg

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Wunderbare Lebensrettung.

Gegen Ende September 1809 stellt sich zur Deckung du noch eins?“ – Die Schmerzen des Unglücklichen waren
von Welschtirol ein Haufe tirolischer Landesverteidiger so groß, daß er im Begriff war, zu antworten, um durch
bei Lavis am rechten Ufer des gleichnamigen Flusses einen zweiten Schuß von seiner Marter befreit zu werden.
auf einer Anhöhe auf. Unter ihnen befand sich ein Indes bezwang er sich, und die Soldaten, nachdem
gewisser Christian Mitterberger von Folgareit (Folgaria) sie nichts mehr zu morden und zu plündern fanden,
welcher mit mehreren Schützen die Brücke über diesen zogen fort. Die Nacht brach an; da wagte es Christian
Strom besetzen mußte. Die Feinde, ermutigt durch Mitterberger, zuerst sich unter den Leichen seiner
die von der großen Armee in Deutschland errungenen Kameraden empor zu heben, und herum zu schauen,
Vorteile, rückten vor, umringten den Posten bei Lavis ob keine Feinde mehr in der Nähe waren. Die Gegend
auf mehreren Seiten, und zwangen nach einem tapferen war von ihnen verlassen, er richtete sich mühsam auf,
Widerstande die Tiroler, sich aus der Gegend von Lavis wankte hundert Schritte vorwärts, und erwartete dort den
zurückzuziehen. Mitterberger, und 4 seiner Weggefährten Anbruch des Tages. Seine Wunde brannte fürchterlich: er
hatten das Unglück, den feindlichen Truppen in die verlor noch immer viel Blut. Er erstieg mit unglaublicher
Hände zu fallen, sie wurden dem französischen General Anstrengung einen Hügel, von wo aus er die feindlichen
vorgeführt, der sie verurteilte, auf der Stelle erschossen Pikete erblickte; eines derselben marschierte gerade auf
zu werden. Wirklich führte man die fünf Gefangenen an die Gegend los, wo er sich befand. Verzweiflung gab ihm
das Gestade des Stroms, und begann mit der Hinrichtung. Kräfte; er kletterte auf den steilen Felsen an dem Rande
Vier derselben lagen schon tot in ihrem Blute zu Boden, schauerlicher Abgründe herum, und fand endlich mehr
als die Reihe, erschossen zu werden, den Christian auf Pfaden der Gemse als der Menschen, eine Höhle,
Mitterberger traf. Mit frommer Erhebung erwartete die ihn jedem spähenden Blicke verbarg. Zwei Tage und
er den tödlichen Schuß. Ein feindlicher Soldat gab zwei Nächte durchlebte er in Angst und Schmerzen
ihm denselben mit Mitterbergers eigenem Gewehre. in diesem öden Zufluchtsorte, und nährte sich mit
Mitterberger sank zu Boden: die Kugel war ihm durch einem Stücke steinharten Brotes, das er am Tage seines
die rechte Schulter in die Brusthöhle gedrungen, und Gefechtes in seiner Tasche gehabt hatte. Schon neigte
bei den rechten Rippen wieder herausgefahren; er sich der dritte Tag zum Abend, als Flintenschüsse und
vergoß Ströme von Blut, aber er lebte noch. Er hatte die andere Zeichen ihm verkündeten, daß seine Landesleute
Geistesgegenwart, sich wie tot unter seine wirklich toten die verlassene Stellung nach Vertreibung der Feinde
Landsleute hinzustrecken. Die Mörder beraubten nun die wieder eingenommen hatten. Jetzt erst wagte er sich
Gemordeten; auch Mitterberger wurde durchsucht und aus seinem Felsengrabe, und stieß nach kurzem Wege
geplündert. Mit Mühe hielt er den Atem an sich. „Bist du auf österreichische Jäger und mehrere Schützenpikets,
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tot Schurke“, sagte ein italienischer Soldat, „oder brauchst worunter sich etliche seiner Waffengefährten befanden,
Franz Defregger: Im Tiroler Freiheitskampf (Ausschnitt)

die ihren totgeglaubten Landsmann mit Frohlocken Ein Jäger-Offizier ließ den Verwundeten nach Bozen ins
empfingen. Mit Staunen vernahmen sie aus seinem Munde Lazarett führen, und gegen Ende des Jahres 1809 kehrte
die Geschichte seiner Leiden und seiner wunderbaren er wieder hergestellt in seine Heimat zu seiner trostlosen
Errettung. Familie zurück. Jetzt lebt er, von seiner Blessur nur dann
und wann belästigt, übrigens gesund und zufrieden, als
Einige Militär-Ärzte und Ortschirurgen untersuchten nun Landmann in Noriglio, oberhalb von Rovereto, und dankt
seine Wunde, aber jeder hielt sie für zu sehr verwahrlost Gott für die wunderbare Erhaltung seines Lebens. Er
und unheilbar, keiner wollte an dem unsicheren segnet seinen Kaiser, der ihm durch eine gnädigst erteilte
Heilungsgeschäfte Hand anlegen. Endlich übernahm Pension auch ein sorgenfreies Leben schuf.
der biedere und geschickte Arzt und Chirurg L.B. die
Besorgung der schwierigen Kur, und wirklich gelang Anonymer anekdotischer Beitrag, Allgemeiner Nationalkalender,
es ihm, die Schmerzen des Patienten zu lindern, und Jahrgang 1825, S. 88.
19
Hoffnung zu seiner Genesung zu geben.
Foto: 10 15 Defregger - Im Tiroler Freiheitskampf Ausschnitt
1.jpg
Blutzeugen von 1809.

Während Nordtirol nach der endgültigen Unterjochung des Landes durch


die Feinde von Hinrichtungen verschont blieb, war der deutsche Landesteil
südlich vom Brenner ungleich schlimmer dran, denn dort gab es in Mengen
Strafurteile mit tödlichem Ausgange. Bei Bozen, Brixen und besonders im
Pustertale, wo der französische General Broussier aufs Grausamste wütete,
wurde eine beträchtliche Anzahl der besten und unbescholtensten Männer,
geistliche wie weltliche, wie man sie gerade erwischte, kurzerhand verurteilt
und erschossen (im Dezember und Jänner). Folgende Tiroler wurden wegen
Teilnahme am November- und Dezember-Aufstand in Tirol 1809 von den
Franzosen kriegsrechtlich abgeurteilt und erschossen:

Johann Damascen Sigmund, Pfarrer zu Virgen, Pustertal und

Martin Unterkircher, Kooperator zu Virgen, beide erschossen zu Lienz am


2. Februar 1810, dort begraben.

Franz Frandl, Bauer zu Mitteldorf, erschossen auf dem Platze vor der
Pfarrkirche zu Virgen am 28. Dezember 1809 und dort begraben. Frandl
wurde an einen Wagen angebunden, von den Franzosen von Windisch-Matrei
nach Virgen transportiert.

Johann Oblaßer, Wirt und Schützenhauptmann, erschossen vor seinem


Wirtshause in Ainet, Pustertal, am 29. Dezember 1809 und dann durch 48
Stunden aufgehenkt. Begraben zu Ainet. Am Wirtshause wurde eine Tafel
angebracht, die Exekution darstellend.

Stephan Groder, Wirtssohn und Sturmanführer der Kalser, erschossen vor


seinem Vaterhause in Kals am 30. Dezember 1809 und dann an demselben
gehenkt. Begraben zu Kals.
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Franz Vinzenz Obersamer, Siebmacher in Windisch-Matrei, und Johann
Andreas Weber, Schafwollweber, beide erschossen am 28. Dezember
1809 am Nordwest-Ende des Marktes Windisch-Matrei und dann an ihren
Wohnhäusern gehenkt durch 48 Stunden. Beide begraben zu Windisch-
Matrei. Ein Bildstöckl – die Exekution darstellend – wurde an dieser Stelle
angebracht.

Josef Daxer, Dienstknecht und Hauptmann der Defregger, erschossen zu


Hopfgarten in Defreggen am 30. Dezember 1809, begraben zu St. Veit.

Josef Bachmann, Sagmeister und Sturmanführer von Innichen, Georg


Bachmann, Leinweber in Innichen, und Josef Mehlhofer, Metzger in Innichen,
Jakob Schmadl, Schneider in Innichen, wurden am 4. Jänner 1810 außerhalb
des Marktes Innichen an der Straße, die nach Toblach führt, erschossen. Die
Leichen wurden an vier Ecken des Marktes Innichen an Galgen durch 48
Stunden aufgehenkt und am 6. Jänner zu Innichen begraben. Im Jahre 1896
wurde von der Gemeinde Innichen eine Gedenktafel errichtet.

Nikolaus Amhof, Wirt zu Keil in Durnholz zu Pichl, Gemeinde Gsies,


erschossen zu Niederdorf und dort begraben.

Johann Jäger, Taggerbauer und Schützenhauptmann, erschossen in Niederdorf


am 5. Jänner 1810. Im Jahre 1897 wurde zu Niederdorf eine Gedenktafel von
seinem Enkel errichtet.

Josef Achammer, Färbermeister und Schützenhauptmann, erschossen am


4. Jänner 1810 in Sillian, vor seinem Wohnhause, und durch 48 Stunden am
Galgen aufgehenkt. Begraben zu Sillian.

Bartlmä Durnwalder, Bauer und Schützenhauptmann, erschossen am 5. Jänner


1810 in Toblach vor seinem Wohnhause und sein Leichnam an der Straße
am Eingang nach Toblach 48 Stunden am Galgen aufgehenkt. Begraben zu
Toblach.

Josef Leitgeb, Pfaffingerbauer zu Antholz, erschossen am 8. Jänner 1810 an der


Windschnur auf der Pustertaler Straße bei Olang. Begraben in Antholz.
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Johann Kircher, Bauer am Kircherhof in St. Leonhard in Brixen, Bartlmä
Pichler, Ratzeggerbauer in Milland bei Brixen und Johann Haller,
Müller in Neustift bei Brixen, erschossen zu Brixen am 23. Dezember
1809 am Domplatz an der Ecke, welche das einstmalige Gebäude der
k. k. Bezirkshauptmannschaft mit der niederen Mauer des sogenannten
Krankenhauses bildete und auch an dieser Stelle begraben.

Das Kriegsurteil der Franzosen lautete im Allgemeinen: Erschießen mittels


Pulver und Blei; der Leichnam ist von den Verwandten des Delinquenten,
und wenn keine vorhanden, von den Einwohnern des Exekutionsortes an
dessen eigenem Hause aufzuhenken und von diesen durch 49 Stunden zu
bewachen. Die betreffende Gemeinde mußte für jeden kriegsrechtlich zum
Tode verurteilten Tiroler dem französischem Exekutionskommando 17 Gulden
und einige Kreuzer als Schußgeld unmittelbar nach der Vollstreckung des
Urteils bar auszahlen. Die Franzosen verfolgten dabei nicht den Zweck,
diese Männer nach Schuld und Gebühr zu bestrafen, sie wollten vielmehr
durch die öffentliche Hinrichtung derselben das Volk von weiteren
Widerstandsversuchungen abschrecken und „den Tirolern das Kriegführen auf
hundert Jahre hinaus verleiden“, wie Broussier sich ausdrückte.

Unter den Opfern der französischen Grausamkeit war auch der junge
Tharerwirt, Schützenhauptmann Peter Sigmayr von Olang. Er hatte sich auf
eine Alm bei Geiselsberg geflüchtet und konnte vom Feinde nicht gefunden
werden. Da ließ der General Broussier den alten blinden Vater gefangen
nehmen und verurteilte ihn zum Tode durch Pulver und Blei, wenn sich sein
Sohn nicht innerhalb 3 Tagen vor ihm stelle. Auf diese Schreckensnachricht
hin stellte sich Peter Sigmayr sofort den Franzosen und er musste sein Leben
lassen. Vor seinem Hause wurde er erschossen – er fiel als erstes Opfer heiliger
Kindesliebe.

Weit menschlicher zeigte sich General Baraguay gegen den Anführer Peter
Mayr, Wirt an der Mahr bei Brixen, der am 8. Februar von den französischen
Häschern in seinem Versteck bei Feldthurns gefangen und nach Bozen
abgeführt worden war. Alles bat um Gnade für den hoch angesehenen
Mann, schließlich auch die Frau des Generals selbst. Da ließ dieser das erste
Todesurteil gegen Mahr unter dem Vorwand eines Formfehlers aufheben; eine
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neue Untersuchung wurde angeordnet und ein wackerer Verteidiger für ihn
aufgestellt. Nun wäre er gerettet worden, wenn er nur erklärt hätte, daß er das
entscheidende Dekret des Vizekönigs vom 12. November (worin die Tiroler
zum letzten Mal zur Niederlegung der Waffen aufgefordert worden waren)
nicht gekannt habe.

Mochte ihn seine trostlose Gattin mit den weinenden Kindern noch so
bestürmen, er blieb unbeugsam. Sein Wort lautete: „Ich will mein Leben nicht
durch eine Lüge erkaufen.“ Er wurde also ein zweites Mal zum Tode verurteilt
und beschloß sein Leben am 20. Februar 1810 auf dem Richtplatze vor Bozen
als ein Märtyrer christlicher Wahrheitsliebe.

Dr. Bernhard Wurzer, Tirols Heldenzeit, Druck und Verlag Athesia, Bozen, 1959.

Foto: 02 Rabensteiner - Peter Siegmair.jpg

23
Peter Sigmayr
Der letzte Brief Andreas Hofers.

Geschrieben einige Stunden vor Die Seelengottesdienste soll die


seinem Tode, ein ergreifendes Liebste mein zu St. Martin halten
Dokument. Der Held richtete ihn an lassen. Den Verwandten soll beim
seinen Freund Pühler in Neumarkt: Unterwirt Suppe und Fleisch gegeben
werden samt einer Halben Wein. Das
„Liebster Herr Bruder! Geld, so bei mir gehabt, habe ich
den Armen ausgeteilt. Die Wirtin soll
Der göttliche Wille ist es gewesen, mit den Leuten abrechnen so redlich
daß ich habe müssen hier in Mantua als sie kann, damit ich nichts zu
mein Zeitliches mit dem Ewigen büßen habe. Lebt alle wohl, bis wir
verwechseln. Aber Gott sei Dank für im Himmel zusammenkommen und
seine göttliche Gnade. Mir kommt dort leben ohne Ende. Alle Passeirer
vor, wie wenn ich zu etwas anderem und Bekannten sollen mir im Gebete
hinausgeführt würde. Gott wird eingedenk sein, und die Wirtin soll
mir auch die Gnade verleihen bis nicht gar zu viel Kummer haben, ich
zum letzten Augenblick, damit ich werde für alle bei Gott bitten.
hinkommen kann, wo sich meine
Seele mit allen Auserwählten ewig Ade, du schnöde Welt, so leicht
freuen wird und wo ich für alle bei kommt mir das Sterben vor, daß mir
Gott bitten werde, besonders für die nicht einmal die Augen naß werden.
ich am meisten zu beten schuldig bin, Geschrieben um 5 Uhr früh, um
auch für Sie und Ihre liebe Frau. Alle 9 Uhr reise ich mit Hilfe aller
guten Freunde sollen für mich beten Heiligen zu Gott.
und mir aus den heißen Flammen
helfen, wenn ich noch im Fegfeuer Mantua, 20. Februar 1810.
büßen muß.
Dein im Leben geliebter Andre
Hofer von Sand in Passeier. Im
Namen des Herrn will ich die Reise
unternehmen.“ Foto: 11 03 Andreas Hofer abge
24
eführt.jpg
25
Die Adlerwirtin, ein Vaterunser.

In Not und Leid war das blutigste Jahr 1809 zu Ende „Gar so schlecht ischt er nit, der Napoleon!“ meinte einer,
gegangen. Es waren nicht die Schlechtesten, die sagten, der Schgraffl, und strich seine roten Haare aus der Stirne.
nun müsse man sich nach der Decke strecken und „I sag halt, Kaiser ischt Kaiser! Ob er in Wien hockt oder
schauen, wie man am besten miteinander auskommen in Paris, das ischt mir gleich. Ischt vielleicht sogar besser,
könne. Die Übereifrigen unter ihnen, freilich, machten wenn er weiter weg ischt!“
sich rasch an die neuen Herren heran. Nachdem man nun
einmal nichts mehr ändern konnte, war es am besten, sich Noch vor einigen Wochen hätten sie einen, der so sprach,
rechtzeitig um den eigenen Vorteil zu kümmern und, weil mit den Fäusten niedergeschlagen. Jetzt aber schwiegen
der eine dabei das Gefühl hatte, er käme schon später als die Männer.
der andere und könnte vielleicht den Wettlauf verlieren,
so tat er umso wichtiger, beschwor mit lauten Worten Der Schgraffl schaute herausfordernd rings um den Tisch.
seine Anhänglichkeit, nannte den und den, der noch nicht Weil er nicht wußte, wie er das Schweigen auslegen
zum neuen Landesherren bekehrt sei, gab geheime Plätze sollte, schüttelte er bloß die Fäuste und schrie: „Oder
an, wo noch Waffen verborgen wären, und sparte nicht sollen wir etwa no amol aufm Bergisel gehen?“
mit klugen Ratschlägen, was man noch alles tun müsse, „Nit so laut, Schgraffl“, trat der Wirt dazwischen, „vom
um das Land völlig botmäßig zu machen. Keiner traute Bergisel darfst nimmer so laut schreien!“
mehr dem anderen. Jeder dachte nur an sich allein. Und
damit war die Sache des Landes erst richtig verloren. „Und grad schrei i’s. Und dreimal schrei i’s: Isel! Isel! Isel!
Selten kamen jetzt die Bauern zusammen. Und wir sein die Esel! Esel! Esel! Nit auen gehn hätten wir
sollen, daheim bleiben hätten wir sollen, daheim bleiben
Nur wenige waren es, die in der Stube beim Adlerwirt in hätten wir sollen…“
Fulpmes beisammensaßen, kaum ein Tisch voll. Sie waren
eigentlich gar nicht zusammengekommen, sie saßen nur, „Du bischt eh net auengangen aufn Bergisel“, meint der
jeder für sich allein, beim Tisch, um sich zu überzeugen, alte Bauer Wast bedächtig. Schneeweiß war ihm das Haar
daß nun wirklich alles zu Ende wäre. Und sie hatten sich geworden in diesem bitteren Jahre, und der Kummer
nicht getäuscht. Sogar der Wein war nicht mehr wie stand tief in seinem zerfurchten Antlitz.
früher. Sündteures Geld kostete das schlechte Gesöff.
Drum, wenn einer sein Glas füllen ließ, dann nur bis Der Schgraffl überhörte dieses Wort. „Nit auengehen
zur Hälfte, und dreimal fasste er es an, ehe er zu trinken hätten wir sollen“, rief er laut über den Tisch hin, „und
begann, und zog sein Gesicht dabei, bitterer, als es schon warten, warten!“
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bitter war.
„Warten, auf was?“ fragte der alte Wast. „Wo geht’s denn ös hin, Liesele?“ fragte der alte Wast.
Der Schgraffl zuckte die Achseln. „Halt warten!“ meint „Stricken gehen wir, zur Wirtin!“
er, und weil er im Augenblick nichts Besseres zu sagen Sie verschwanden im Nebenzimmer.
wußte, faßte er die Weinflasche – er war der einzige, der Der Wirt stand auf und trat ans Fenster. Er schaute über
eine Weinflasche vor sich stehen hatte – und schenkte die Gassen hinüber zum Platz.
sein Glas wieder voll.
„Der Nebel ziacht auf!“ sagte er zum Tisch gewendet,
„Die Gescheitern sollen leben!“ rief er und trank das Glas „es wird besser Wetter. I glaub, wir können heut no den
mit einem Zug leer und schlug es lachend auf den Tisch, Acker bauen!“
„und die Dümmern daneben!“
Da richtete sich der alte Bauer Wast ganz erschrocken auf
Dann war es eine Weile still. und starrte den Wirt fassungslos an: „Adlerwirt… du baust
Die Türe ging auf, es kamen Kinder herein, Mädchen, die no dein Acker? Für was… für was denn no den Acker
kleine Körbe und Beutel in den Händen trugen. Ohne auf bauen? Das Korn wachst ja eh lei… für die andern.“
die Männer zu achten, gingen sie quer durch die Stube Er reckte sich hoch auf, der alte Bauer, so sehr ihn auch
hinüber in das Zimmer nebenan. die Wunden schmerzten, schaute rundum in die ernsten,
verschlossenen Gesichter der anderen. Dann schüttelte
„Warten!“ fing der Schgraffl wieder an und schüttelte er heftig den Kopf. „I nit“, rief er zornig, „i nit!“ und fiel
heftig den Kopf. „Tirol ischt hin. Das ischt gwiß. Zu wieder ganz in sich zusammen. „Mein Acker…“, murmelte
warten gibt’s da nix mehr. Oder wartet etwa wer no auf er, „mei gueter alter Acker… er ischt ja gradso arm und
was?“ elend wia das Tiroler Land selber! Na, Wirt, i nit, i bau
mein Acker nimmer um! Soll das Unkraut aufschießen
Die Männer in der Runde schwiegen. Der überall… isch mir ganz recht. Wir gehen z’grund
Brückenschmied, dem der linke Rockärmel leer hing, mitnand, mein Acker und i…“
schüttelte bedächtig den Kopf: „Na, hiez warten wir auf
nix mehr!“ sagte er dumpf, „lei aufs Sterben. Je eher es Wieder ging die Türe. Es kamen Buben hereingestürmt,
kimmt, je lieber ischt es uns!“ ein ganzer Haufen.

Der Schgraffl lachte heiser auf und tat wieder einen „Geht ös ah strickn zur Wirtin?“ fragte der Schgraffl
kräftigen Schluck. Dann wischte er durch seinen mißtrauisch.
fuchsroten Bart und meinte: „Sterben ischt nit guet, leben
ischt besser. Mir ischt dös gleich, tirolisch oder napolisch! „Zur Wirtin woll!“ riefen die Buben.
G’lebt ischt so oder so! Oder denkt ihr etwa anders?“ Sie hatten es eilig. Als sie die Tür des Nebenzimmers
Er unterbrach sich. Draußen klopfte jemand den Schnee aufrissen, wandten sich die Bauern herum und schauten
von den Schuhen. Wieder kamen Mädchen herein, eine ihnen nach. Da sahen sie drinnen Kinder sitzen, eng
ganze Schar. beisammen, Kopf an Kopf, die Kinder der ganzen
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Gemeinde.
Der Schgraffl stieß mit dem Fuß unwillig die Türe zu Ganz still wurde es jetzt. Eine Stimme war in der Stille,
und fing wieder zu sprechen an. „Mander“, sagte er klar und fest, die Stimme der Adlerwirtin: „…aufrecht
mit wichtiger Miene, „der neue Kommandant sucht ischt er g’standen und grad, wia a richtiger Tiroler, der
Vertrauensleute in der Gemeinde. Sechs möchte er gerne niemand Rechenschaft gibt, als lei dem Herrgott selber.
ham. So ischt es im neuen G’setz. I wär ihm schon recht, Nachher hat der Offizier den Sabel zochen und dreizehn
hat er g’sagt, und wegen der anderen fünfe soll i halt Kugeln sein auf ihn zueg’flogen. Aber troffen ham lei
Umschau halten!“ wenige. „Franzosen schießt’s besser!“ Das ischt das Letzte
g’wesen, was er g’sagt hat.“
„Hiez tuen sie singen…“, sagt der alte Wast und horchte
gespannt hinüber zu den Kindern, „stad hiez, Schgraffl! Es war jetzt so still in der Stube, daß man den alten Wast
I hab schon lang nimmer singen ghört!“ atmen hörte, schwer, stoßweise. Er keuchte, als trage er an
einer unsichtbaren Last.
Doch der Schgraffl ließ sich nicht unterbrechen.
„Vertrauensleut“, sagte er, „die müeßn den Kommandanten „Hölltuifl!“ fluchte der Schgraffl dazwischen, „da wird ja
in allem zur Seiten sein und ihm regieren helfen und halt was Schöns g’strickt, in der Strickerschuel!“
so. Es ischt ganz a feiner Mann, der neue Kommandant. Aber niemand hörte ihn. Nur der Wirt schaute ihn
Für das, dass er napolisch ischt, da kann er nix!“ eine Weile lang von der Seite an, als wolle er seine
Zuverlässigkeit prüfen. Dann erklang die Stimme der
„Stad…“ rief der Bauer Wast dazwischen, „stad, hiez redet Wirtin.
die Wirtin!“ und eine seltsame Erregung zuckte über sein
leidverzerrtes Gesicht. „Tuet hiez nit rehrn, Madelen, und tuet die Faust
aufmachen, Bueben, und die Händ falten alle. Wir wöllen
Die Bauern beim Tisch drehten sich herum und horchten hiez beten. Das Gebet müeßt ös guet lernen. Draimal im
hinüber. Der Schgraffl aber fuhr zu sprechen fort, und je Tag tuet ihr es beten – „Vater unser… der du bischt im
weniger sie auf ihn achteten, desto lauter wurde er, und Himmel… gib mir G’sundheit und Kraft… nit für mi, lei
am Schluß schrie er stierwütig über den Tisch hin: „Wer für mei Land… dass i net leben mueß in Knechtschaft
hiez nit mittuet, der kimmt nimmer dazu. Das sag i enk. und Schand. Führ mi nit in Versuechung… dass i a rechter
Es sein grad gnua, die Vertrauensleut werden wöllen, an Tiroler bleib… aufrecht und grad… nach Dein Wort und
jedem Finger zehne. I frag das letztemal: Wer von euch…“ Rat… streiten kann und sterben, wia der Andrä Hofer
„Halt’s Maul, du!“ riß sich der alte Wast herum, die g’strittn hat und g’storbn ischt, und alle seine Kameraden
Zornader stand ihm auf der Stirne, „siechst woll, wir und tapfern Soldaten… und daß unser Land wieder frei
möchten losen!“, und heimlich, zu den Bauern rundum: wird und erlöst wird von dem Übel… Amen.“
„Habt ihr g’hört? Sie erzählt vom Andrä Hofer.“ Die hellen Kinderstimmen sprachen das Gebet der
Der Schgraffl wollte aufspringen, doch als er sah, daß Adlerwirtin nach, Wort für Wort, und die Bauern, wie
niemand auf ihn achtgab, faßte er sein Weinglas und soff sie da in der Stube beisammensaßen, pressten die Hände
schweigend seinen Zorn hinunter. ineinander, bewegten die Lippen und beteten mit.
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Das Gesicht des alten Wast strahlte seltsam verklärt.
„So ischt es!“ sprach er mit gefalteten Händen, „unser Dann stand er auf.
Herrgott lebt no und tuet seine Wunder. Durch ein Weib
lernt er uns wieder beten. Wir ham den Glauben verloren „Adlerwirt“, sagte er und Freude zitterte in seiner Stimme,
g’habt an ihn und an sein Land. Hiez aber wird alles „schön Wetter isch worden. I mueß mein Acker bauen.“
wieder guet!“
Karl Springenschmid, Helden in Tirol, Geschichten vom Kampf und
Tod in den Bergen, Franksche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart, 1934,
S. 59 ff.

Foto: 03 Defregger - Das Tischgebet.jpg

29
Felsen der göttlichen Hilfe.

Als nach der Niederlage Napoleons im Jahre 1813 die französische


Armee Tirol im Oktober wieder verlassen musste, kam es vielerorts zu
Gefechten zwischen den abziehenden französischen Soldaten und den
einrückenden österreichischen Soldaten und Tiroler Schützen. So auch
bei Nasen im Pustertal und um Bruneck.

Da sich zahlreiche Enneberger Schützen an diesem letzten Gefechte


beteiligten, befahl der Kommandant der um Bruneck lagernden
französischen Truppen einer starken Kompanie, einen eventuellen
Rückzugsweg über das Gadertal nach Süden zu erkunden und dabei die
Enneberger wegen ihres frechen Aufbegehrens zu züchtigen.

Als man in Enneberg und im Gadertal von diesen Plänen erfuhr, war die
Aufregung und Angst groß, denn die meisten Männer des Tales waren
bereits aufgeboten worden und kämpften irgendwo gegen die überall
abrückenden Franzosen.

Doch bald ergriffen die wenigen noch verbliebenen Männer in


Enneberg ihre Stutzen und riefen alle Frauen und Jugendlichen auf,
ihnen zu folgen. Am Eingang des Gadertales, in der Nähe von Palfrad
bereiteten nun diese Frauen, Kinder und wenige Männer am Hang
oberhalb des Weges zahlreiche Steinlawinen vor und erwarteten die
anrückenden Soldaten. Die Franzosen gaben ihr Vorhaben sofort auf,
als sie den Mut und die Entschlossenheit der Enneberger, ihre Heimat Foto: 12 10 Ausrückende Tiroler Ca
zu verteidigen, sahen. Seither nennt man die Felsen, auf denen die
Steinlawinen errichtet wurden: „Felsen der göttlichen Hilfe oder
Crep de S. Grazia.“

Mündlich überliefert – Archiv Waldgänger.

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arl Rieder 1915.jpg

Karl Rieder: Ausrückende Tiroler


31
Auf Patrouille.

Von einem Standschützen des k.k. Während die Patrouille mit der Abführung der
Standschützenbataillons Enneberg. Gefangenen beschäftigt war, ging der Standschütze
Quellacasa allein ein Stück vor, um sich zu überzeugen,
Die Italiener hatten in der Stärke von einem Bataillon in ob nicht noch mehr Italiener in der Nähe versteckt seien.
der Nacht unsere Feldwache auf einem exponierten Felsen Vorsichtig schlich er sich an einen großen Felsblock heran
sechsmal angegriffen, wurden aber trotz ihres heftigen und bemerkte unterhalb einen italienischen Hauptmann
Artilleriefeuers jedesmal blutig zurückgeschlagen. mit 30 Mann. Die Mannschaft lag gedeckt um den Stein
Bei Tagesanbruch bemerkten wir, daß sich ein Teil der herum, der Hauptmann saß etwas abseits und hatte ein
Truppe vorsichtig hinter die Felsen zurückzuziehen Gewehr quer über die Beine gelegt.
versuchte.
Langsam schlich der Standschütze weiter, das Gewehr
Eine Umgehung durch unsere Standschützen, welche schußbereit in der Hand, und näherte sich so dem
jeden Weg und Steg in der Umgebung kannten, Offizier. Mit dem Rufe „Waffen nieder“ stürzte er sich
brachte jene in ein mörderisches Kreuzfeuer, so daß ein auf ihn, entriß ihm mit einem Griff das Gewehr und
großer Teil von ihnen verwundet oder tot am Platze schleuderte es über den Hang hinaub. Rasch entschlossen
liegen blieb. Unter den letzteren befand sich auch der rief er dann mit lauter Stimme seine Kameraden herbei,
Bataillonskommandant. Der restliche Teil hielt sich im welche sich mit den Gefangenen bereits auf dem
ausgedehnten Geröllfelde hinter Steinen versteckt. Rückwege befanden.
Es handelte sich darum, diese aus ihrer Stellung zu
vertreiben. Durch das plötzliche Erscheinen und das energische
Auftreten des an Gestalt keineswegs imponierenden
Sofort meldeten sich freiwillig 4 Standschützen und 6 Standschützen gerieten die Italiener derart in Verwirrung,
Jäger zu diesem Unternehmen. daß sich keiner von ihnen zu rühren getraute. Inzwischen
waren seine Kameraden herbeigekommen. Die Welschen
Die kleine Patrouille ging in zwei Teilen rechts und links wurden entwaffnet und stolz kehrte die kleine aber mutige
über die Felsen in das Steingeröll hinab. Kaum waren Patrouille mit ihrer Beute in die Stellung zurück.
die Leute ungefähr 100 Meter vorangegangen, sahen sie
hinter den Steinen liegend die Italiener und nahmen sie Dolomitenwacht 1915–1916, Innsbruck, 1916, S. 94 f.
ins Kreuzfeuer. Ohne besonderen Widerstand zu leisten,
gaben sich diese gefangen. Foto: 14 20 Standschützen - Scharfe Wacht.jpg
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Der Harnisch Tirols.

Am 23. Mai 1915 erklärte das bis vor kurzem mit Dieser Standschützenausmarsch von 1915 war das größte
Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reiche Blutopfer, das ein Volk jemals seinem Herrscher gebracht
verbündet gewesene Königreich Italien den ehemaligen hat. In der ganzen Weltgeschichte ist kein Fall bekannt,
Bundesgenossen den Krieg. Major Pfersmann von daß ein Volk sich so zum Kampf gestellt hat bis zum
Eichthal urteilt im Rückblick: Weißbluten, bis zum letzten, allerletzten Mann!

„Der Harnisch, den Tirol sich mit so großen Opfern Unvergeßlich wird jedem der Eindruck sein, den in den
im Laufe von neun Sorgenmonaten aus eigener Kraft folgenden Wochen die verödeten Tiroler Dörfer machten.
geschmiedet, bestand seine Feuerprobe in den folgenden Generalleutnant Krafft von Dellmensingen äußerte
Wochen glänzend. Während das Deutsche Alpenkorps damals, gelegentlich einer Frontfahrt einen Mitteltiroler
und die übrigen Verstärkungen noch aus der Ferne Ort passierend, zum Verfasser: „Ich sehe im ganzen Dorfe
heranrollten, hielten die Tiroler und Vorarlberger keinen einzigen Mann. Nur Weiber, alte Greise und kleine
Standschützen in den vom Stilfserjoch bis an die Kärntner Kinder. Wo sind denn eigentlich alle Tiroler?“
Grenze reichenden Fels- und Schneegräben treue Wacht.
Wo die ersten Alpinipatrouillen in den Tagen nach dem 23. „Ihre Blüte liegt in Ostgalizien begraben. Was davon noch
Mai über die Grenze vorfühlten, stießen sie auf hechtgraue lebt ist eben hinter den Russen her. Und die ganz Jungen
Gestalten, pfiff ihnen todsicheres Tirolerblei entgegen. und die ganz Alten stehen dort, wo wir eben hinfahren,
Wo es – ausnahmsweise einmal – zum Handgemenge den Welschen gegenüber.“
kam, wehrten sich die Großväter samt den Enkeln wie
die Rasenden… aus war es mit dem „Spaziergang nach Generalleutnant von Krafft schwieg und wir fuhren
Wien“, den man dem königlichen Heere dreiviertel Jahre weiter, zwei Stunden lang durch viele Tiroler Orte.
lang weisgemacht hatte, aus mit dem „Einmarsch“ in das Plötzlich sagte er, der sonst so herrische deutsche General
heißbegehrte Trentino. Fast zwei ganze königliche Armeen mit weicher Stimme, indem er an den Helm griff: „Ich
wurden nunmehr langsam, vorsichtig, systematisch, rings neige mich vor dem Opfermut des Tiroler Volkes. Etwas
um Tirol bereitgestellt und nicht früher losgelassen, bis Größeres gibt es nicht auf Erden!““
das letzte Geschütz und der letzte Mann zur Stelle waren.
Als es aber dann endlich so weit gediehen war, war es zu Oberstleutnant Rudolf Pfersmann von Echental, Vom stillen
spät. Zum Angriff übergehend, stießen die königlichen Heldentum eines Volkes, in: Generalmajor Hugo Kerchnawe:
Truppen überall bereits auf deutsche Helme und sonstige Im Feld unbesiegt, 3. Bd., München, 1923, S. 184 f. seine Helden, Or
frisch herangefahrene k. u. k. Truppen und bissen damit auf Südtirol“, Deutsc
34
Granit.“ Abgeschrieben aus: Der König der deutschen Alpen und
Foto: 15 04 Sepp
Sepp Innerkofler

rtlerkämpfe 1915 – 1918, Hrsg. Verlag „Buchdienst


chland 2005, Seite 531-533
35
p Innerkofler.jpg
Erschlagen von den weißen Würgern.

Walter Schmidkunz berichtet über den Kampf auf den Nur dann und wann gelang es, den einen oder anderen
Gipfeln im ersten Weltkrieg: der Verschütteten in rascher Hilfe zu retten, und mancher
stand einen fürchterlichen Tag lang mit beiden Füßen im
„Unzählige Opfer forderte der weiße Tod in den Bergen Grab. Doch das sind seltene Fälle.
und pfuscht grausam-gierig dem eisernen ins Handwerk.
Baracken voll froher Männer, schneidige Patrouillen, Die schneeigen Ströme sind wie das tiefe Meer, sie geben
schleppende Kolonnen begruben die im Föhnsturm zu ihre Opfer nimmer heraus. Die Bravsten der Braven deckt
Tal rasenden Lawinen. Nach Hunderten, nein, nach das schwere Leichentuch der Lawinen. Es ist kein schöner
Tausenden zählen die Männer, die von den „weißen Tod vorm Feind! Ich hab’ die Toten gesehen, hab’ sie mit
Würgern“ erschlagen wurden. aus dem Schneegrab geschaufelt. Es ist ein jämmerliches
Zugrundegehen, ein wehrloses Erwürgtwerden, ein
Ein einziger Tag an der Front, der 13. Dezember 1916, erbarmungsloses Ersticken im tückischen Element, ein
der „schwarze Donnerstag“, kostete mehr Lawinentote ruhmloses Sterben fürs Vaterland.
als die große, mit Einsatz aller Mittel und Kräfte
durchgeführte Frühjahrsoffensive gekostet hatte. Verweht und zerschellt sind Name und Gebein.“
An achttausend Männer, die der weiße Tod erwürgt
hat, liegen in den Massengräbern der Bergfriedhöfe der Der König der deutschen Alpen und seine Helden,
Alpenfront. Ortlerkämpfe 1915 – 1918, Hrsg. Verlag „Buchdienst Südtirol“,
Deutschland, 2005, S. 431 f.
Schlafend überfiel die Lawine sie in ihren Baracken, die
mit Dämmen und Lawinenspornen gesichert waren, und 16 09 der weisse Tod im ersten Weltkrieg.jpg
erwürgte sie im Traum. Drüben, am Tonale wollte man
versuchen, die 150 Menschen, die in den Unterständen
am Hang verschüttet waren, zu retten, da erschlug die
neue Lawine auch noch die hundert Retter. Es war der
grausame Tod, gegen den es keine Hilfe gab, keine
Bauten, keine Klugheit der Fachmänner, nicht Mut, nicht
Vorsicht. Dort, wo die Höhenstellungen eben gleichstark
wie im Sommer besetzt bleiben mussten, war und blieb
der weiße Tod der schlimmste Feind.
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37
Feuertaufe des Standschützenbataillons Enneberg.

Es war am 15. Juni 1915. Die dem Tagebuche eines gefallenen vielleicht 15fachen Übermacht
Standschützen der 2. Kompagnie des italienischen Hauptmanns bestätigte. keineswegs verzagt oder
Bataillons Enneberg wurden in aller Zu allen Unglück legte sich dichter mutlos. Unter ihnen befanden
Frühe zur Ablösung einer Truppe Nebel über das Gelände und benahm sich verwegene, entschlossene
alarmiert und mußten die Stellungen jede Aussicht. Unter dem Schutze Gemsenjäger und ausgezeichnete
am Kleinen Lagazuoi beziehen. Nach desselben konnte der Feind sich Schützen, welche vor Begierde
dreitägiger Artillerievorbereitung immer näher an unsere Stellungen brannten, dem verhaßten welschen
versuchte nämlich der Feind heranarbeiten, ohne durch unser Verräter einen Denkzettel zu
einen Angriff auf unsere schwach Feuer belästigt zu werden. Etwas geben. Freilich gab es manche,
ausgebauten und zum Teil wieder Gutes hatte der dichte Nebel welche sich schon für verloren
zerstörten Stellungen. Die gesamte dennoch: die feindliche Artillerie hielten. Hatten sie doch keine
Besatzung derselben bestand aus 150 hörte mit der Beschießung auf. Artillerie zur Unterstützung, kein
Mann des Standschützenbataillons Schon war der Feind in unserer Maschinengewehr befand sich
Silz als Verstärkung. unmittelbaren Nähe und feuerte trotz in Stellung, und vor sich eine
des Nebels ohne Unterlaß. Man so gewaltige Übermacht. Doch
Kaum in die Stellungen gekommen, vernahm laute Rufe: „Ihr seid nur ein diesen wurde mit dem Hinweise
sahen schon die Schützen, wie ganze paar alte Tiroler und etliche Kinder! darauf Mut gemacht, daß man sich
Scharen feindlicher Infanterie unter Evviva Savoja! Abbasso Austria! Wir unbedingt wehren müsse und ein
dem Schutze der Artillerie zum werden mit Euch Bauern schon fertig Zurückweichen ausgeschlossen sei.
Angriff vorrückten. Es geschah dies werden.“ Vom Sasso di Stria, der zufällig an
hauptsächlich von der Front, während jenem Tage vom Feinde besetzt war,
ein Teil die Höhen am linken Flügel Unsere Leute hatten den Befehl, mit schoß der Feind in unsere rechte
erklomm, um unsere Schützen in der der Munition möglichst zu sparen, Flanke, während der Hauptstoß von
Flanke zu lassen. Hinter den Felsen und der Kompagniekommandant der Front und der linken Flanke aus
Deckung suchend, rückte der Feind hatte allen untersagt, früher zu erfolgte. Schon waren die Ersten auf
langsam vor. Auf eine Entfernung schießen, als bis er das Zeichen dazu dreißig Schritte herangekommen;
von ungefähr 1000 Meter fing er geben würde. Die Standschützen sie riefen in einem fort: „Ich treffe
wie verrückt zu schießen an. Ganze waren, obgleich sie niemals eine drei solche alte Tiroler. Ich vier. Ich
Salven wurden abgegeben. Die militärische Ausbildung genossen alle“ und dergleichen mehr. Ruhig
Stärke des Feindes wurde auf drei hatten und noch niemals im Feuer stand unser Hauptmann da und
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Bataillone geschätzt, was sich aus gestanden waren, ungeachtet der ermunterte seine Leute. Noch war
kein Schuß gefallen. Da auf einmal stürzen betroffen zu Boden. Auf Unsere eigenen Verluste beliefen
hebt sich der Nebel, die Aussicht ist einen solchen Empfang waren die sich auf einen Schwer- und fünf
frei. Tausende von Italienern sieht „Katzelmacher“ freilich nicht gefaßt. Leichtverwundete.
man heraufkrabbeln, einige sind Es ist ein Schreien und Jammern, das
schon beim Drahtverhau. Da ergeht Mark und Bein durchdringt. Bald Das war die Feuertaufe des
der Befehl: „Feuer!“ Die Schüsse sieht man die Feinde in hellen Haufen Standschützenbataillons Enneberg,
krachen. Als erster fällt, von vier den Berg hinunterlaufen, während welches sich auch noch später in
Kugeln getroffen, jener, welcher die Schützen ihnen nachknallen. den schweren Kämpfen am Col di
unter dem Rufe „Ich treffe vier“ mit Der Angriff ist abgeschlagen. An Lana und Sief-Sattel neue Lorbeeren
seinem Gewehr den Stacheldraht zu 300 schätzen wir die Anzahl der geholt hat.
durchschlagen versuchte. Bald wälzen Toten, zahllos sind die Verwundeten,
sich Hunderte in ihrem Blute. Die welche unter dem Schutze der Als Zeichen der Anerkennung
ersten Reihen sind niedergemäht, die einbrechenden Dunkelheit vom für diese Waffentat erhielten drei
Nachrückenden werden wie Hasen Feinde größtenteils geborgen werden. Offiziere das „Signum laudis“ und
niedergeknallt, denn auf die geringe Gegen dreißig Leichen werden von zwei Unteroffiziere die silberne
Entfernung ist jeder Schuß ein den Unserigen begraben. Der Feind Tapferkeitsmedaille 2. Klasse.
Treffer und ruhig, als wären sie auf wird sich eine andere Meinung von
dem Schießstande, schießen unsere unseren Standschützen gebildet Major Kostner, Dolomitenwacht
Schützen. Alle, welche hinter den haben. 1915–1916, Innsbruck, 1916, S. 25 f.
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schützenden Felsen hervorbrechen,
Foto: 17 46 Das Ende der Verräter.jpg
Den Vorfahren von 1809 nicht nachgestanden.

Der Landesverteidigungskommandant von Tirol, General Die Standschützen sind ihren großen Vorfahren von 1809
von Können-Horak berichtet: in keiner Weise nachgestanden, sie haben sie erreicht,
eine unparteiische Geschichtsschreibung wird vielleicht
„Der Geist und der gute Wille war überall ganz dereinst sagen: „übertroffen“.
ausgezeichnet. Bei der Musterung spielten sich rührende
Szenen ab. So zum Beispiel bat der 72-jährige Senn aus Zahlreiche Kreuze entlang unserer ehemaligen Grenze
Meran, mit Tränen in den Augen, um Einteilung in die künden von den Heldentaten und dem Heldentode
Feldformation. Glaublich hat er den ersten Schuß auf der Standschützen, die für Gott, Kaiser und Vaterland
Lavarone abgegeben… Die ganze Improvisation hat in Erfüllung der freiwillig übernommenen Pflicht ihr
meines Wissens in der Geschichte kein Beispiel. Freudig Leben opferten. Ehre ihrem Andenken immerdar! Möge
eilten Greise und Jünglinge, kaum dem Knabenalter die Jugend sich an den Taten ihrer Väter ein Beispiel
entwachsen, an die Front und in den Kampf. Was an nehmen.“
Ausbildung fehlte, ersetzte der eiserne Wille, für Tirol zu
kämpfen. Festschrift der Nordtiroler Landesregierung: „k.k. Standschützenkorps
1915-1918“, Innsbruck, 1935, S. 7 f.
Ein Großteil der Standschützenbataillone unterstand
mir auch im Kriege. Die Bataillone auf Lavarone und Abgeschrieben aus: Der König der deutschen Alpen und
Folgaria, in der Val Sugana und im Etschtal, in Riva und seine Helden, Ortlerkämpfe 1915 – 1918, Hrsg. Verlag
in den Judikarien, am Ortler, am Tonale, im Fleimstal und „Buchdienst Südtirol“, Deutschland 2005, Seite 520-521
in den Dolomiten waren von demselben Heldengeiste
beseelt, der einst ihre Vorfahren unter Andreas Hofer Foto: 19 04 Postkarte - Andreas Hofer mit ihm das Land
zum Siege führte. Alle standen ebenbürtig, als vollwertige Tirol.jpg
Kämpfer, dreieinhalb Jahre an der Seite unserer braven
Truppen. Jedes Bataillon erkämpfte Lorbeeren zu dem
Ruhmeskranze, den sich die Standschützen errungen
hatten.

Alle Kommanden, inklusive höchster Stellen, waren


voll des Lobes über diese zirka 40.000 Mann starke
Milizimprovisation; ohne sie wäre, wenigstens anfänglich,
40
eine Verteidigung Tirols unmöglich gewesen.
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Tiroler Bauern Anno 1915.

Die Helden von anno neun stehen wieder auf. Lang „Wir wöll’n sie schon derpacken!“, sagen die Tiroler.
moderte im Schoß der Heimat ihr Gebein, sie gürten „Maronibrater!“, höhnt das Schimmele.
sich das Schwert um, das lange gerastet, und ziehen aus.
Ihre Augen blitzen wieder, sie stehen hinter Enkel und Geduckt in der niederen Felsenspalte, die die Natur
Urenkel, sie gießen mit zitternden Händen Blei und als sicheren Schützengraben gebildet hat, kauern die
machen die Felsen lebendig. Sie entzünden wie ehemals Standschützen, drüben auf dem Saumpfad schleicht der
auf den Höhen die nächtlichen Kreidenfeuer, sie läuten Feind, die ersten Kugeln pfeifen.
die Glocken.
Schimmele, gib acht, dein blonder Schopf leuchtet wie
Auch heute werden die Felsen wieder lebendig. Die Gold. Aber das Schimmele lacht, hat lauernd gezielt und
Standschützen kennen die Schluchten und Steige der einen der Welschen getroffen, mit goldenen Borten und
Berge wie die Taschen ihrer Joppen, sind wie Füchse, Tressen, darunter tut es des Zirnerbauern Jüngster nicht!
die man ausgraben muß aus ihrem Bau, starkknochig
halten sie das Gewehr im Anschlag. Nicht die Nacht, die Schimmele, gib acht, die Felsen gellen und heulen vom
lauernde, kann sie überraschen, hoch horsten sie wie die Anprall der Kugeln, die der Feind herüberschickt.
Adler, der Feind soll kommen, das heiße Blei erwartet ihn
und die mitleidlosen Felsen. Der Schnee leuchtet, bald färbt ihn rotes Blut. „Herrgott
im Himmel, Bua!“, ruft der Alte. Das Schimmele fällt
Im Tal blüht der Sommer, murmeln geschäftige Bäche vornüber, gurgelnd ringt sich ein Schrei aus seiner Kehle,
durch grünen Wiesengrund, rot breitet sich der Teppich sein junges Herz flattert wie ein scheuer Vogel, da es der
des Heidekrauts, die Grillen zirpen. Hoch droben Tod in die Hand genommen.
liegt ewiger Schnee, hoch droben liegen die Tiroler
Scharfschützen auf der Wacht. Dann ist es wieder still, so still, daß der erste
Hoch droben lauert auch der Zirnerbauer auf den Tod Büchsenschuß, der wieder fällt, wie eine Erlösung klingt.
und Verderben, er ist nicht allein wie die Mutter, die in Heut wehen keine Schützenfahnen, kein Glockengeläute
einsamer Stube bangt. Das Schimmele ist stolz, es hat tönt durch das Tal, der rote Wein liegt noch in der Haft
gar bald das Schießen gelernt, das Ziel waren Geier und der Beeren. Weiß blinkt der Schnee, darauf glüht rotes
flüchtige Gemsen, es gibt dem Alten nichts mehr nach. Blut. Rot-weiß: Tiroler Landesfarben!
Die Sonne brennt heiß auf dem Schnee, auf
Schleichwegen und auf Schmugglerpfaden rückt der Feind Hermann Greinz, Tiroler Bauern anno 1915, Adolf Bonz & Co.,
42
seine Patrouillen langsam näher. Stuttgart, 1916, darin: Blutige Pfingsten, Textprobe S. 159.
Abgeschrieben aus: Tirol 1809 in der Literatur Seite 316-
317

Foto: 20 11 Standschützen Vater im Himmel.jpg

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Der rettende Handstreich.

Schilderung durch den damals 20 niedere Temperaturen, tagelang Zugsführer Rainer in den oberen
Jahre alten Fähnrich und Leutnant des ohne Tageslicht zwangen zur Stollen, um zu horchen, ob die
Kaiserschützenregiments Nr. III, Josef Ablösung schon nach sechs Tagen, Bohrungsarbeiten in unserem Tunnel
Sailer aus Kramsach in Tirol, über die die Stellungskommandanten blieben hörbar seien. Am Ende des Tunnels
Eroberung der Hohen Schneid: zehn Tage. Ende Februar war der erblickte er auf einmal von vorne
erste Stollen bis zum Hauptgipfel Tageslicht, und vor ihm standen die
„Ein Angriff auf die Hohe Schneid fertig gestellt, und man ging daran, Italiener. Unbewaffnet, blieb ihm
war unter normalen Verhältnissen einen zweiten Stollen etwa 100 Meter nichts anderes übrig, als die Flucht zu
wegen des Hängegletschers am tiefer an die unterdessen vom Feinde ergreifen und uns zu alarmieren.
Nordhange der Hohen Schneid besetzte zweite Kuppe anzugraben. Wir hielten gerade Mittagspause,
ganz unmöglich, der Südhang zeigte Doch mußte der Feind unsere waren fröhlich, da wir für die
apere, aber sehr steile Abstürze mit Tunnelierungsarbeiten in letzter Zeit kommende Nacht Ablösung
zahlreichen Querschluchten, der Grat beobachtet haben, möglicherweise erwarteten (ich war schon den 21.
war stets verwechtet. Es blieb nichts durch unvorsichtiges Auswerfen des Tag im Eise und sehnte mich nach
anderes übrig, als im Winter hindurch Ausbruchmaterials u. dgl., denn wie Luft), als Rainer uns die Nachricht
einen Angriffstunnel im Gletschereis sich später zeigte, hatten Alpini einen brachte, dass „oben“ die Italiener
bis zur feindlichen Stellung zu Steig am Südhange zum Hauptgipfel uns empfangen wollen. Für einen
bohren. Kaiserschützenhauptmann der Hohen Schneid ausgegraben solchen Besuch waren wir noch
Kálal begann Mitte Oktober und teilweise in der gewaltigen nicht vorbereitet, es fehlte uns an
1916 mit der Ausführung dieses Gratwechte geschützte Stollen Handgranaten und die Munition
Werkes, Oberleutnant Mayböck angelegt. reichte nur für kurze Zeit.
des Kaiserschützenregiments
Nr. III, Kommandant des Bei diesen Arbeiten stießen sie auf Rasches Handeln konnte uns noch
Alpinen Detachements und unseren ersten Stollen, der von uns am ehesten retten. Ich stürmte
Landsturmleutnant Liendl leiteten in seinem letzten Abschnitte für mit fünf Mann durch den Stollen
die Tunnelierungsarbeiten, die an einen späteren Angriff nur mäßig nach oben, vier Mann mußten den
unserer Mannschaft (Kaiserschützen, ausgebaut, aber noch im Eise Tunneleingang bewachen und die
Landstürmer, Standschützen und verborgen lag. Bohrmannschaft herbeirufen, die
Infanteristen des Infanterieregiments restlichen fünf Mann kamen nach.
Nr. 29) die härtesten Anforderungen Am Nachmittage des 17. März Die Situation war bald erfaßt:
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stellten. Schlechte, verdorbene Luft, 1917 ging nun zufällig Bergführer Alpini waren in unseren Stollen
eingedrungen, hatten sich gegen Unterdessen fanden wir zwölf Mann die beiden Vortruppen
Sicht bereits geschützt, und in diesem auf Veranlassung des angreifen, doch wurde das
Augenblicke begann der Kampf im Artilleriebeobachters Leutnant Vorrücken wegen unüberwindlicher
engen Tunnel, in dem einer knapp Georg Simon – der spätere Held Geländeschwierigkeiten aufgehalten
hinter dem anderen stehen mußte. von Carzano – Unterstützung durch und wir mußten uns vorerst mit
Schritt für Schritt rückten wir vor. unsere Artillerie vom Nagler, doch der Gipfelstellung zufriedengeben.
Der vorderste Italiener wurde bald am mußten wir vom Grate weichen, Für diese Tat wurde ich mit der
Arm verwundet und zog sich zurück; sobald uns der Feind von seiner goldenen Tapferkeitsmedaille
diesen günstigen Augenblick nützte Stellung auf der Vorderkuppe ausgezeichnet, außerdem erhielten
ich, um in eine von uns seinerzeit entdeckt hatte. drei der Tapfersten die Silberne
vorbereitete Nische einzudringen. Tapferkeitsmedaille 2. Klasse und vier
Mit den Händen grub ich den Kaiserschütze Hamm lag neben mir die Bronzene Tapferkeitsmedaille.
Ausgang auf den Nordhang frei in verwundet und ich mußte trachten, Mein Kommandant Oberleutnant
der Absicht, von außen auf den Grat ihn noch rechtzeitig in Sicherheit Mayböck wurde mit dem
zu kommen und den Feind von dort zu bringen; beim Einstieg durch das Militärsverdienstkreuz, Leutnant
anzugreifen. Zwei brave Männer enge Schneeloch erhielt derselbe Simon mit dem Signum laudis und
folgten mir auf diesem gefährlichen noch einen Schuß durch beide Hauptmann Kálal mit dem Leopolds-
Wege. Tatsächlich hatten die Oberschenkel. Wieder im Stollen Orden ausgezeichnet.
Italiener unseren Stollen stark besetzt bei den Unseren angekommen,
und ihre Reserven waren schon konnte ich erst sehen, wie vorzüglich Für den geplanten Angriff war als
nachgekommen. ausgerüstet und vorbereitet der Kommandant Leutnant Liendl
Feind war: Säcke mit Handgranaten bestimmt. Heute bin ich stolz
Die Lage wurde sehr kritisch, unsere und Munition lagen dort, und es darauf, daß ich die – durch einen
ganze Stellung und mit ihr ein großer wunderte mich, dass die Italiener Zufall plötzlich ausgelöste – Aktion
Teil des Kampfabschnittes waren in die Handgranaten nicht verwendet glücklich durchgeführt habe, denn
Gefahr. Ich wußte, daß im Tunnel nur hatten, wo sie doch mit einer schon damals habe ich es noch gar nicht
mehr fünf Mann waren, die Italiener uns große Verluste hätten bringen so recht verstanden, ich war erst 20 Verlag „Buchdienst S
waren in einer Stärke von 20 Mann können. Jahre alt.“ Deutschland 2005, S
vor dem nach Süden offenen Stollen.
Bald nach Abwehr des Angriffs Lt. Josef Sailer, Die Eroberung der Foto: 21 104 Postkar
Durch den Angriff vom Grat trat eröffnete die feindliche Batterie Hohen Schneid am 17. März 1917, in: schaaren sich die Alt
beim Feinde Verwirrung ein, ein vom Monte Forcellino her ihr „Kaiserschützen, Tiroler-Vorarlberger
Alpino blieb tot liegen, einige Feuer auf den von uns besetzten Landsturm und Standschützen“, Hrsg.:
stürzten ab und viele flüchteten sich Gipfel und der kurz darauf erfolgte Kaiserschützenbund für Österreich, Wien
hinter eine gewaltige vorstehende Gegenangriff wurde von uns gleich 1933, S. 128.
Wächte. abgewiesen. In der heranbrechenden
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Dunkelheit sollte ich noch mit Abgeschrieben aus: Der König der
deutschen Alpen und seine Helden,
Ortlerkämpfe 1915 – 1918, Hrsg.
Wir gehen nicht.

Am 3. November 1918 wird der Waffenstillstand


zwischen Österreich-Ungarn und der Entente/Italien
geschlossen. Auch im Ortlergebiet erfahren die Soldaten
davon und es ertönen erlösende Rufe der Soldaten:
Waffenstillstand!

Nur der Kommandant vom Ortler, Oberjäger Kollars,


fragt zögernd an: „Waffenstillstand? Das heißt gehen!
Nein, wir gehen nicht, wir bleiben! Wir haben
zwölftausend Schuß, haben Handgranaten, Geschütze
und Maschinengewehre. Haben für acht Tage zu essen
und zu heizen. Wir gehen nicht!“
Oben auf dem Ortler eilt ein Teil der Besatzung zum
vereisten Flaggenmast auf dem Gipfel. Auf 3.902 Meter
Höhe wollen sie die schwarz-gelbe Fahne hissen. Aber
der Gegner – schießt. Verjagt die Gruppe, die sich mit der
Flagge und einer Ziehharmonika gegen die Spitze mühte.
Sie rangen Stufen dem knirschenden Eis ab, es rann ihnen
der Schweiß vom Körper und der Sturm peitschte ihnen
ins Gesicht. Die Fahne wollten sie hissen und dazu die
Hymne spielen, die jedes Kind im Lande kennt. Nun
aber müssen sie laufen, um nicht unter den Kugeln des
Gegners liegen zu bleiben.
Die Flagge bleibt auf Halbmast stecken … Welches
Omen um dieses kleine Ereignis am Vormittag des
3. November 1918 auf dem Ortler!

Der König der deutschen Alpen und seine Helden,


Ortlerkämpfe 1915 – 1918, Hrsg. Verlag „Buchdienst
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Südtirol“, Deutschland, 2005, S. 565.

Foto: 23 2000 Postkarte Freiheitskämpfer mit Gewehr und


Fahne.jpg
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Entschließung bei der Kundgebung.

9. Mai 1920 vor dem Andreas-Hofer- Wir sind Deutsche und Tiroler und
Denkmal in Meran. 10 000 Männer wollen es bleiben.
aus dem ganzen Burggrafenamt waren
erschienen. Darum fordern wir von der
Regierung die Gewährung der vollen
„Die heutige, von Tausenden von Selbstverwaltung Südtirols.“
Südtirolern aus dem Burggrafenamte,
Passeier, Ulten und Vinschgau Am Kassianisonntag hatte auch
besuchte Volksversammlung spricht Brixen seine Kundgebung, wo hoch
dem Deutschen Verbande für seine über der Versammlung, bei welcher
bisherigen Tätigkeiten innigen Dank „Autonomie für Südtirol!“ gefordert
und volles Vertrauen aus. wurde, auf einer riesigen Tafel zu
lesen war:
Wir weisen jede Einmischung der
Trentiner in unsere Angelegenheiten Tiroler sind wir, frei seit tausend
zurück und lehnen jede Gemeinschaft Jahren;
mit Trient ab. Wir bekämpfen mit Wir lassen nicht mehr ab von
allen Mitteln den Plan, Südtirol in unserem Recht.
eine Provinz mit dem Trentino zu Wir wollen stolze deutsche Art
zwängen und verbitten uns ebenso bewahren!
entschieden die Anmaßungen der
Trentiner, eine Oberaufsicht über Eduard Reut-Nicolussi, Tirol unterm Beil,
Südtirol üben zu wollen. C.H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung,
München, 1928, S. 42 f.
Wir wenden uns entschieden gegen
alle Verwelschungsbestrebungen Foto: 24 110 Postkarte Adler rot -
gegen die willkürliche und schwarz.jpg
eigenmächtige Beamtenentlassungen
und sonstigen Eingriffe in unsere
alten Tiroler Rechte.
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Herz-Jesu-Sonntag 1920.

Juninacht. Wie einen goldübersäten blausamtenen Mantel In der Gesellschaft, die mit mir auf den Ritten
breitet sie das funkelnde Firmament über Tirol. Auch die gefahren ist, um dieses gewaltige Feuermeer tirolischer
Erde glimmt und leuchtet mit Tausenden von Flammen. Begeisterung zu bewundern, befindet sich auch die Witwe
Ist ein Sternregen auf die Tiroler Berge niedergegangen? eines österreichischen Offiziers, der auf dem Hochlande
Sind ungezählte Brände über Berg und Tal entzündet? der sieben Gemeinden sein Grab hat. Sie gibt sich der
Ich stehe mit einer Gesellschaft auf dem Höhenwege von Größe dieser sang- und feuererfüllten Juninacht hin. Nach
Lengmoos am Ritten. Wir schauen über das Land. Da einer Weile übermannt sie die Ergriffenheit und unter
ist keine Spitze, auf der nicht ein heller Schein aufblitzt, Tränen sagt sie mir: „Nun weiß ich wenigstens, wofür
kein Hang, über den es nicht feurig aufsprüht. Ist es ein mein Mann sein Leben gelassen hat…“
Gaukelspiel, eine Sinnestäuschung? Nein, es ist eine Feier
Tirols, Herz-Jesu-Sonntag, aus schwerer Kriegszeit her Anders sahen die Italiener vom Tal hinauf. Sie hatten
durch fromme Angelobung der Tiroler Stände geheiligt schon vorher davon erfahren. Ein Rundschreiben der
und alljährlich durch Feuer auf allen Höhen begangen. Tiroler Volkspartei war ihnen in die Hände gefallen,
Der Weltkrieg hatte den Brauch unterbrochen, das worin zur Wiederaufnahme des alten Brauches
Militärregiment im Jahre 1919 nicht gestattet. Nun im aufgefordert wurde. Der letzte Satz, der als poetischer
Jahr 1920 lebt er wieder auf. Im alten Glanze flammt Schluß gedacht war, lautete: „Von Kufstein bis Salurn
die Glut, auf Zinnen und Graten brennen Lichterreihen mögen die Flammenzeichen lodern, die Nacht unserer
über Hänge und Felsabstürze. Und wo es lodert, da Knechtschaft erhellend.“ Der Sekretär der Partei, ein
wird gesungen, vaterländische Soldatenlieder, „Auf zum jugendlicher, warm empfindender Mensch, hatte es
Schwur Tiroler-Land“ und was sonst das Gemüt des Volkes geschrieben. Den Italienern flößten diese Worte große
in Luft und Schmerz zerwühlt. Dazwischen hinein klingen Besorgnisse ein: hier war etwas im Zuge, wahrscheinlich
Hörner und dröhnen von Nord und Süd die mächtigen die Erhebung Tirols. Alle Karabinieristationen erhielten
Schläge der Böllersalven. Die Nacht ist lebendig. Vor genaue Weisungen, dem Militär wurde Bereitschaft
den Häusern auf den Lichtungen und Kuppen drängt sich anbefohlen, und als der Herz-Jesu-Sonntag anbrach,
Volksgewühl, tauscht Erinnerungen aus und schwelgt in standen vor der Bozner Pfarrkirche, im Hofe des
der hohen Empfindung einer Gemeinschaft ganz Tirols, Postgebäudes Maschinengewehre. Sie brauchten
nicht nur von den Pfeilern der Salurner Klause bis zum nicht in Verwendung treten, denn kein Mensch hatte
Kamm der Ötztaler und Zillertaler Ferner, sondern an einen Putsch gedacht. Ich selbst, den die Italiener
darüber hinaus bis an die bayerische Grenze. nachträglich als den Hauptschuldigen an den Ereignissen
bezeichneten, befand mich den ganzen Tag über auf dem
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Ritten.
Die Ordre de bataille tat ihre Wirkung. An zahlreichen
Orten griffen die Karabinieri mit Beschränkungen
und Verboten schon in die kirchlichen Morgenfeiern,
Hochamt und Prozession ein. In Passeier verlangte man
die Ablieferung der in der Prozession mitgetragenen
Schlachtenfahne Andreas Hofers. Als dies auf
leidenschaftlichen Widerstand stieß, begnügten sich die
Karabinieri mit der Forderung, von der Fahne müßten die
Ehrenbänder und Gedenkmünzen abgenommen werden.
Zur Vermeidung eines blutigen Zusammenstoßes gab die
Führung der Passeirer dieser Forderung nach. Aber die
Erbitterung war übergroß.

Am Abend, als allenthalben die Feuer aufflammten und


die Böllersalven wie Geschützdonner von den Bergen
schlugen, erreichte die Aufregung auf italienischer Seite
ihren Höhepunkt. Die Bergbeleuchtung irgendwie zu
verhindern oder auch nur zu stören, überstieg die Kräfte
aller im Lande befindlichen Truppen. So begnügte man
sich mit Eingriffen in den geschlossenen Ortschaften. In
Bozen zog Militär auf, besetzte die Talferbrücke, vertrieb
mit gefälltem Bajonett die Volksmenge, die sich dort in
andächtiger Bewunderung des Schauspiels gesammelt
hatte, und richtete die Maschinengewehrmündungen
auf sie. Ein halb Dutzend Männer wurden verhaftet und
nach Trient abgeführt. Auch in anderen Gemeinden
wurden ausgiebig und ohne jeden vernünftigen Grund
zahlreiche Verhaftungen vorgenommen. So in St. Ulrich,
in Stilfes, in Auer. Hier wurde sogar der hochangesehene
Altbürgermeister Gallmetzer hinter Schloß und
Riegel gesetzt. In Branzoll schoß ein Offizier ohne
Notwendigkeit in einen Restaurationsgarten. Die Menge
fiel über ihn her, entwaffnete und verprügelte ihn. Sechzig
Personen wurden daraufhin festgenommen und nach
51
Trient verschleppt.
Den heftigsten Konflikt erlebte Tramin. Dort hatten die Der Bürgermeister von Bozen setzte sich für die
Karabinieri zwei junge Leute, angeblich weil sie ohne grundlos Verhafteten seiner Stadt ein und durch weitere
behördliche Erlaubnis Böller abfeuern wollten, in Haft Interventionen versuchte man die eheste Freilassung der
genommen. Diese Schärfe erregte die Bevölkerung, eine Betroffenen zu erwirken.
große Menge Volkes sammelte sich vor der Kaserne
und verlangte die Freigabe der Eingekerkerten. Eine
Karabinieripatrouille trat nun vor die Türe und nahm Eduard Reut-Nicolussi, Tirol unterm Beil, C.H. Beck’sche
die Gewehre schußfertig. Die Antwort darauf war ein Verlagsbuchhandlung, München, 1928, S. 55 ff.
Steinhagel. Die Karabinieri zogen es vor, ohne Schuß
ins Haus zurückzukehren. Die Belagerung der Kaserne Foto: 25 93 Sonnwendfeier Kopie.jpg
dauerte noch ziemlich lange, bis der Bürgermeister das
Volk beschwichtigte und zum Heimgehen bewog.

Am nächsten Tage wurden 31 Traminer in Ketten


geschlossen nach Neumarkt abgeführt. Diese Gemeinde
war kurz vorher durch Credaro der gewählten
Gemeindevertretung beraubt und mit einem Kommissär
ausgestattet worden. Dieser nahm zu allem Überfluß
im Arreste des Gerichts, wo er nichts zu tun hatte, eine
„Besichtigung“ der Verhafteten vor. Darauf wurden sie,
die von Tramin und jene von Branzoll, nach italienischer
Gepflogenheit nicht nur jeder für sich gefesselt,
sondern überdies in Gruppen zu sechs oder acht an eine
gemeinsame Kette gehängt und nach Trient befördert.

Als in der Folge die Einzelheiten der italienischen


Zwangsmaßnahmen am Landesfeiertage bekannt
wurden, riefen sie im ganzen Volke Empörung
hervor. Die Südtiroler Presse beschuldigte die
Behörden eines herausfordernden Übereifers gegen
eine nicht existierende Gefahr, stellte eine Fülle von
Gesetzesverletzungen fest, die von den beteiligten
italienischen Gesetzesorganen begangen worden
waren, und beschwerte sich ernstlich, daß man einen so
ehrwürdigen Brauch wie die Feier des Herz-Jesu-Sonntags
in so roher Weise gestört habe.
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53
Nach Ende des Ersten Weltkriegs in Südtirol.

Das Volk wurde wehrlos gemacht. Die Waffenfreiheit, nach einigen Wochen eingefangen wurde. Er wurde
Tirols uraltes, in ruhmreichen Kämpfen bewährtes Erbgut freigesprochen. Zur Rache fielen italienische Soldaten
des Volkes, wurde aufgehoben und die Ablieferung aller über den allgemein verehrten Bürgermeister Gallmetzer
Waffen angeordnet. Als Waffen wurden in der Folgezeit her, schossen ihn durch beide Wangen und bearbeiteten
selbst Taschenmesser behandelt, deren Klingen die Länge ihn, als er am Boden lag, auch noch mit Dolchen. Mit
von 4 cm überschritten. Die Italiener dachten gar nicht Mühe konnte ihm das Leben gerettet werden. Ein anderer
daran, welche Kränkung sie den Tirolern damit antaten; Bürger, der um dieselbe Zeit zum Fenster hinaussah,
oder war ihre Ängstlichkeit so groß, daß sie es auf diese Vater von vier Kindern, wurde tödlich durch den Kopf
Beleidigung ankommen lassen wollten? Mit unnötiger geschossen.
Härte wurde der Befehl der Waffenablieferung schon
damals durchgeführt. Mehrjährige Kerkerstrafen regneten Eduard Reut-Nicolussi, Tirol unterm Beil, C.H. Beck’sche
auf Männer, die säumig waren. Verlagsbuchhandlung, München, 1928, S. 25 f.

In schwer erklärlicher Nervosität ließen sich die Foto: 26 14 Postkarte - Geknechtet von Th. Walch.jpg
Besatzungstruppen zu zwecklosen Schikanen hinreißen.
An der Gerlosbrücke in Passeier wurde eines Tages ein
italienischer Posten erschossen aufgefunden. Offenkundig
hatte er sich selbst das Leben genommen. Eine Fülle von
Hausdurchsuchungen, Verhaftungen und abermaligen
Verhaftungen erfolgte. Sie hatten kein Ergebnis. In
Klausen brachen drei italienische Soldaten zur Nachtzeit,
um zu stehlen, beim „Stampflwirt“ ein. Dieser setzte
sich zur Wehr, schoß einem Soldaten durchs Herz,
verwundete den zweiten schwer an der Hüfte und jagte
den dritten in die Flucht. Noch in der Nacht mußte
der Wirt ins Gebirge fliehen, wo er von den Italienern

54
Th. Walch: Geknechtet

55
Der Blutsonntag.

Am 24. April 1921 kamen hunderte die Feier zu stören drohe. Credaro Knaben in Sicherheit bringen wollte,
Faschisten aus dem norditalienischen selbst war in Bozen, um auch durch wurde von einem Faschisten bis
Raum mit Zügen nach Bozen, um den das Gewicht seiner Anwesenheit in den Ansitz „Stillendorf“ in der
Trachtenumzug zur Eröffnung der beruhigend zu wirken. Rauschertorgasse verfolgt, von hinten
Bozner Messe zu stören. Die Hauptstrecke wurde vom angeschossen und starb nach wenigen
Trachtenumzug ohne Zwischenfall Minuten.
Eduard Reut-Nicolussi berichtete: zurückgelegt, als er aber zum Das Fest war aus. Die Faschisten
Obstmarkt gelangte, standen die zogen nach weiteren Gewalttaten
„Die Banden marschierten in Faschisten zusammengeballt. Durch johlend in geschlossenen Abteilungen
Dreierreihen, schrille Lieder gellten höhnische Rufe trachteten sie die unter Führung und Schutz des
durch die Straßen. Bürger und Bauern Teilnehmer herauszufordern. Als dies Militärs zur Bahn und fuhren nach
wurden belästigt, auch Mädchen nicht gelang, reizten sie sie, indem dem Süden.
konnten nicht unbehelligt ihres sie ihre Knüppel schwangen und Der Eindruck dieser ersten schweren,
Weges ziehen. Ein eiserner Adler, den erbeuteten eisernen Adler an von der Regierung in keiner Weise
der Schild eines Gasthauses am einer Stange über den Köpfen der behinderten Bluttat auf unser Volk
Obstmarkt, wurde heruntergerissen Festzugsteilnehmer schwenkten. Als war niederschmetternd. Zum ersten
und als Trophäe umhergetragen, es dadurch keine Verwirrung entstand, Mal sahen wir unserer völligen
sollte das Sinnbild Österreichs sein, fielen Faschistenbomben in den Rechtlosigkeit in das Medusenantlitz.
dem die Faschisten in Südtirol den Zug. Die Explosionen riefen eine Es wurde mit einem Schlage klar, was
Garaus gemacht hatten. schreckliche Panik hervor, in welche aus uns werden mußte: eine wehrlose
Nachmittags um 2 Uhr setzte sich die Faschisten auch noch mit Pistolen Beute der schlimmsten Instinkte.
der Trachtenumzug in Bewegung. schossen. Als nun das Militär eingriff, Am nächsten Morgen blieben
Meraner und Überetscher, Grödner um die Faschisten zu schützen, alle Geschäfte geschlossen. Die
und Pustertaler zogen in leuchtenden bedeckten 48 Verwundete, Männer Bevölkerung wurde auf dem großen
Farben durch die Stadt. Das freudige und Frauen, den Boden, darunter kein Marktplatz am Eisack zu einer
Bild erweckte in den dichtgedrängten einziger Italiener. Unsere Leute waren Versammlung gerufen, in welcher
Straßen helle Begeisterung. Für den völlig unbewaffnet gekommen und die Vertreter aller drei deutschen
ruhigen Verlauf schien vorgesorgt. hatten weder Zeit noch Gelegenheit Parteien das Wort ergriffen. Ich selbst
In den Seitenstraßen standen zur Gegenwehr gehabt. sprach für die Volkspartei so scharf,
Militärabteilungen bereit, sofort Der Schulleiter von Marling, Franz wie es die Schwere der Ereignisse
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einzugreifen, wenn irgend jemand Innerhofer, der zwei Burggräfler verlangte: „Der Tote liegt da drüben
erschlagen. Aber wenn die Faschisten Der Zorn des Volkes wurde durch Eduard Reut-Nicolussi, Tirol unterm Beil,
geglaubt haben, daß mit dem Franz ein starkes Militäraufgebot in C.H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung,
Innerhofer unsere deutsche Treue Schranken gehalten, aber die Bozener München, 1928, S. 81 ff.
erschlagen sei, dann haben sie sich, Faschisten mußten am Montag die
bei Gott, getäuscht! Erschlagen Stadt fluchtartig verlassen, und auch Foto: 27 Blutsonntag Innerhofer 02
haben sie gestern den letzten Rest der die Offiziere der Armee konnten Kopie.jpg
Sympathie, der vielleicht in diesem sich ohne starke Bedeckung nirgends
Lande für Italien vorhanden war.“ blicken lassen.“

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Interview mit einer Katakombenschülerin.

Maturantin:
Was fällt Ihnen ein, wenn Sie an die Zeit des Faschismus in Wie waren die Lehrer in der italienischen Schule?
Südtirol zurückdenken? Die Lehrer zu dieser Zeit waren sehr brutal. Die haben
die Kinder aus purem Privatvergnügen geschlagen.
Eva Willeit: Auch ich hatte eine Lehrerin, die am Morgen immer
Unterdrückung. Das ist das Erste, was mir zu dieser etwas auf Italienisch sagte, was wir zwangsläufig nicht
Zeit einfällt. Dazu weiß ich ein schönes Beispiel. Ein verstehen konnten, und wenn niemand geantwortet
Cousin von mir hatte in der „pagella“ 3 Jahre lang hat, was sie von vornherein schon wusste, hat sie
Fünfer, weil mein Onkel nicht bereit war, die 5 Lire willkürlich einen Schüler bei den Haaren zur Tafel
für die „tessera“ der Balilla zu bezahlen. Nach einiger geschleift und ihn dort dann verprügelt. Wir waren
Zeit hat dann die Tante die fünf Lire eingezahlt und alle eingeschüchtert bis aufs Letzte und sind auch
von einem Tag auf den anderen hatte er in allen nicht mehr gerne zur Schule gegangen. Man konnte
Fächern „lodevole“, was zu Deutsch lobenswert sich auch nicht richtig verständigen. Ich weiß einmal,
heißt. da musste ich dringend auf die Toilette, aber ich
wusste nicht, wie ich es auf Italienisch sagen sollte,
Wie ging es Ihnen in der italienischen Schule? so habe ich in die Hose gemacht und anschließend
Das erste Jahr in der italienischen Schule war sehr hat sie mich dann verprügelt.
schlimm. In einer Klasse waren an die 40 Kinder. Man Die Lehrer, die uns unterrichtet haben, konnten alle
muss sich vorstellen, ein Erstklässler, der zu Hause gebrochen Deutsch und sie haben uns dann immer
alles nur deutsch gehört hat, und der auf einmal in ausgehorcht, was wir zu Hause machen. Immer
die „walische“ Schule gehen muss, wir haben ja alle wieder ist es dann vorgekommen, dass sich einige
nichts verstanden. Aber da wir eine brave Lehrerin Kinder verraten haben und dann die „fasci“ zu ihnen
hatten, die immer Wörter suchte, die dem Deutschen nach Hause gekommen sind.
sehr ähnlich waren, und sie immer, wenn sie ein
italienisches Wort gesagt hat, mit ihrem Stock auf Mussten Sie von der Schule aus an irgendwelchen faschistischen
den Gegenstand gezeigt hat, den sie meinte, fiel es Feiern teilnehmen?
uns etwas leichter. Man hat nach und nach gelernt, Ja, da gab es den sogenannten „Sabato fascista“. Am
aber nicht gern, denn, wenn man nach Hause kam, Samstag Nachmittag um 14:00 Uhr mussten sich die
wurde wieder deutsch geredet und die Eltern haben Kinder in der faschistischen Uniform treffen und
über die „Walschen“ geschimpft und sind über sie dort „faschistische“ Lieder lernen.
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hergezogen.
Gab es ein einschneidendes Erlebnis in der Schule, welches Sie nie gegangen. In den Sprachkursen durfte man nur lesen
vergessen werden? und schreiben, gerechnet durfte nicht werden, das
Ja, das gab es. Neben mir ist ein Mädchen gesessen, war verboten. Die werden sich schon gedacht haben,
das sich sehr schwer tat und das einen Sprachfehler man könnte zuviel wissen und zu viel können. Der
hatte. Am ersten Schultag musste die Lehrerin Direktor ist den ganzen Tag nur von Klassentür zu
begrüßt werden und eben wegen diesem Sprachfehler Klassentür gegangen, um zu lauschen, ob wohl keiner
sagte sie anstatt „maestra“, „minestra“. Daraufhin fing der Lehrer Rechnen unterrichtet.
die Lehrerin an zu schreien und das Mädchen zu
beschimpfen. Dann habe ich ihr eingesagt und ihr Setzten sich Ihre Eltern dafür ein, dass Sie deutsch lernen?
erklärt, dass sie „maestra“ sagen muss. Das hat die Meine Mutter ist eine Innsbruckerin und die hat
Lehrerin gehört, sie ist auf mich zugegangen und natürlich auf Biegen und Brechen gewollt, dass ihre
hat auf Italienisch zu mir gesagt, dass ich meine drei Kinder Deutsch lernen. Sie hatte eine Freundin,
Pause herausnehmen solle. Dann hat sie mir mein welche Lehrerin war, beauftragt, zu uns nach Hause zu
Pausenbrot genommen, weil ich diesem Mädchen auf kommen und uns Deutsch zu unterrichten. Da waren
Deutsch eingesagt habe. Bei der Pause haben wir kein wir drei Mädchen und noch einige Nachbarskinder.
Wort Deutsch reden dürfen. Wir sind herumgesessen Dann ist sie einmal Vormittag, einmal Nachmittag,
und die Lehrer sind zu zweit oder zu dritt im einmal am Abend, zu uns gekommen, damit ja
Pausenhof herauf- und heruntergegangen und haben niemand Verdacht schöpfen könnte, dass hier
kontrolliert, ob wohl niemand Deutsch redet. geheimer Unterricht abgehalten wird. Dann wurden
sogar am helllichten Tag die Jalousien und die Türe
Können Sie behaupten, dass Sie damals gut Italienisch verschlossen, damit von außen kein Mensch sehen
gelernt haben? konnte, was bei uns in der Stube gemacht wurde. Zur
Nein, mitnichten. Denn zu dieser Zeit konnten die Tarnung hat sie einmal die Milchkanne mitgehabt,
Kinder weder anständig Deutsch noch Italienisch. einmal eine Einkaufstasche. Wir sind alle um den
Nach einigen Jahren wurden dann die deutschen Tisch herumgesessen und haben dort gelesen und
Sprachkurse eingeführt, dann wurde die deutsche geschrieben. Zum Schreiben haben wir eine kleine
Sprache wieder gepflegt. Kanonikus Gamper musste Schiefertafel verwendet und die Lehrerin hat dann
die Lehrpersonen aus dem Boden stampfen, und so angesagt, wie zu schreiben ist. Sobald wir etwas
wurde alles genommen, was nur irgendetwas mit geschrieben hatten, wurde das Schwämmchen,
Kindern zu tun hatte. Es gab sehr viele Kinder, welches an einem Faden an der Schiefertafel hing,
die nicht Deutsch konnten, und wie schon gesagt, in eine Schüssel mit Wasser eingetaucht und das
Italienisch auch nicht und so wären alle in der Geschriebene sofort wieder ausgelöscht. Denn falls
Unterstufe gewesen. In der Mittelstufe ein paar und jemand gekommen wäre, wären wir zumindest nicht
in der Oberstufe niemand. So wurden Tests gemacht, beim Schreiben erwischt worden.
und wer ein bisschen was konnte, ist gleich in die
Mittelstufe gekommen, damit in der Unterstufe so
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wenig Kinder wie möglich sind. So ist es mir auch
Sind Sie einmal erwischt worden? mehr weiße Socken und Lederhosen anziehen, aber
Nein, erwischt wurden wir nie, aber meine Mutter ist das wurde dann häufig absichtlich gemacht, denn die
immer an der Haustür gestanden, und hat aufgepasst, jungen Leute haben vielfach die „Walschen“ auch
weil ständig „Spitzel“ unterwegs waren. nur provoziert, um zu sehen, wo die Grenzen liegen.
Aber man musste immer mit Strafen rechnen, die
Wissen Sie, ob es auch unter den Südtirolern Verräter gab? man letztendlich auch immer bekam.
Ja, die gab es wohl. Das weiß ich noch. In einem
anderen Haus wurde auch Geheimunterricht Glauben Sie, dass Ihre politische Einstellung in irgendeiner Weise
abgehalten. Einige Nachbarn haben dann die durch den Faschismus beeinflusst wurde?
Katakombenlehrerin verraten und angezeigt. Einige Meiner Meinung nach waren die Südtiroler nie so
Tage später haben die Faschisten dieser Lehrerin deutsch wie damals. Damals hatte das deutsche
aufgelauert und sie beim geheimen Unterricht Wort, das deutsche Lied, das deutsche Brauchtum so
erwischt. Denn sie mussten sie ja auf frischer Tat viel Wert wie sonst niemals zuvor. Die Lieder waren
ertappen, sonst hätten sie ihr nichts anhaben können. verboten, auf den Berg gehen war verboten, Herz-
Diese Lehrerin wurde dann eingesperrt und für 3 Jesu-Feiern waren verboten. Natürlich hat man es
Jahre strafweise nach Gaeta versetzt. Man kann sich trotzdem gemacht, weil man genau wusste, bis da
vorstellen, wie sie sich dort gefühlt haben mag. einer nachkommt zu schauen, sind wir lange schon
weg. Außer es gab im Dorf Verräter und die gab es
Wie dachten Ihre Eltern über die Italianisierung Südtirols? überall. Aber grad weil es verboten wurde, haben es
Mein Vater war immer ganz vorsichtig, weil er gesagt die Südtiroler gemacht. Auch der Muttertag wurde
hat, dass man jetzt mal ein bisschen zurückstecken verboten. Für mich ist der Muttertag nicht nur die
müsse und nicht zuviel riskieren solle. Meine Mutter Ehrung der Mutter, sondern auch das Angedenken
war da die etwas Radikalere, wahrscheinlich, weil sie daran, dass mir jemand das Sprechen beigebracht
eine Innsbruckerin war. hat. An einem Muttertag organisierten die
Bei uns zu Hause waren zwei Familien und beide Katakombenlehrerinnen eine Muttertagsfeier. Wir
waren sehr antifaschistisch eingestellt. Das ist ja lernten Gedichte und bastelten kleine Geschenke.
irgendwie verständlich, denn was die sich zu dieser Als dann Muttertag war, gingen wir auf den Brunecker
Zeit geleistet haben, war schon extrem. Schlossberg, wo im Schloss die Muttertagsfeier
stattfinden sollte. Als Tarnung kamen alle getrennt
Hatte man eigentlich noch seine Freiheiten und konnte man das und von einer anderen Richtung herauf. Als alle
tun, was einem gefällt? oben waren, wurde die Tür zugesperrt. Damals hatte
Nein, bei allem, was man tat, musste man Angst meine Mutter für uns Dirndln, welche wir bei der
haben, beobachtet zu werden. Einmal hatten ein Feier anziehen sollten, schon ein paar Tage früher,
paar Nachbarsmädchen auf einem Feld Kornblumen heimlich ins Schloss getragen und dort versteckt.
gepflückt, dann wurden sie erwischt und für drei Tage Als wir Kinder dann unsere Gedichte aufsagten und
eingesperrt. Denn die Kornblume ist die blaue Blume unsere Lieder sangen, fingen viele Mütter zu weinen
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der deutschen Romantik. Die Buben durften nicht an. Ich habe mich damals gewundert, wieso die alle
weinen, aber heute kann ich mich gut in ihre Lage und mit ihr sprach, war ihr bewusst, dass sie hier
versetzen. Die Mütter sitzen unten und sehen ihre bleiben musste, denn die Dorfbewohner, die sich fürs
Kinder und wissen, mit ihnen steht und fällt die Dableiben entschieden, brauchten Lebensmittel. So
deutsche Kultur. kam es dann, dass mein Onkel und die zwei Kinder
deutsch wählten und die Tante sich fürs Dableiben
Wie dachten Sie über die Italiener, die damals von Mussolini entscheiden musste.
nach Südtirol „übersiedelt“ wurden?
Die „Walschen“, die zu uns heraufgekommen sind, Wie entschied sich Ihre Familie bei der Option?
dachten, hier sei Honigschlecken, aber bei uns in Ich weiß noch sehr genau, wie sich meine Eltern in
den Bergen, da ist zu arbeiten. Viele haben einfach der Zeit, als zu wählen war, gestritten haben: Meine
Holzzäune abgebaut, weil sie nicht fähig waren, Holz Mutter war, wie schon gesagt eine Innsbruckerin
zu machen. Eigentlich waren sie ja zu bemitleiden, und sie wollte, dass sich mein Vater für Deutschland
aber man hat sie einfach nur gehasst. entscheidet. Mein Vater hingegen wusste nicht,
Auf der Straße sah ich einmal drei Bauern, die wofür er sich entscheiden sollte. Er hatte sich in
sich unterhielten. Auf einmal kam ein „fascio“, so Südtirol schließlich mit seinen eigenen Händen ein
wurden die Faschisten genannt, in der schwarzen Haus aufgebaut und dies sollte er jetzt alles verlassen
„Fasciomontur“ daher, zog einfach den Gummiknüppel und ins Ungewisse gehen, mit drei kleinen Kindern?
heraus und verdrosch alle drei, weil sie miteinander Meine Mutter drängte so lange, bis mein Vater auch
deutsch geredet haben. Solche Sachen waren es, deutsch wählte.
die Hass und Verbitterung verursachten. Aber man
war nicht in der Lage, sich zu wehren. Vor allem die Interview einer Maturantin mit der
Familienväter mussten Acht geben, dass sie nicht Katakombenschülerin Eva Willeit,
wegen irgendeinem „Blödsinn“ ihre Arbeit verlieren Oberes Pustertal, im Herbst 1999.
und ihre Familie nicht mehr versorgen können. So
schwiegen viele einfach. Auch mein Vater war 18 Foto: 28 21 Rudolf Stolz -
Jahre in einem Geschäft als Buchhalter tätig. Als er Muttersprache Mutterlaut
sich bei der Option dann für Deutschland entschieden Katakombenunterricht.jpg
hatte, hat ihn der Chef sofort entlassen, weil dieser
sich für Italien entschieden hat. Auch die Option
spaltete die Bevölkerung, weil man nicht wusste,
für was man sich entscheiden sollte, sollte man hier
alles im Stich lassen und ins Ungewisse gehen, oder
hier unter dem Druck der „fasci“ weiterleben? Auch
meine Tante wusste nicht, was sie machen sollte. Sie
besaß ein Geschäft, das einzige Geschäft in ihrem
Heimatdorf und wollte eigentlich für Deutschland
61
optieren, doch als der Kanonikus Gamper zu ihr kam
Die Unterdrückung in vollem Gange.

Die Zügel wurden immer schärfer angezogen. Anfang technischen Vorbereitungen, indem ihm die Gemeinden
1926 prasselten folgenschwere Gesetze auf das namenlose sämtliche deutschen Familiennamen bekannt geben
Land herein. Eines davon verfügte, daß jenen neuen mußten. Dann forderten alle Behörden die Beamten auf,
Staatsbürgern, welche auf Grund des Friedensvertrages „freiwillig“ um die Italianisierung der Namen anzusuchen
von St. Germain zu Italien gekommen waren, die und „dadurch einen Beweis ihrer Ergebenheit gegenüber
Staatsbürgerschaft abgesprochen werden konnte, den politischen Richtlinien der Regierung zu erbringen“.
wenn sie sich derselben durch ihr politisches Verhalten Das war ein tückisches Druckmittel. Kurz vorher
unwürdig erwiesen hatten. Unliebsame Leute mußten nun hatte die faschistische Regierung ein Gesetz erlassen,
damit rechnen, von heute auf morgen in ihrer eigenen wonach jene Beamten, die sich zu den politischen
Heimat entwurzelt und um ihre Existenz gebracht zu Richtlinien der Regierung im Widerspruche befanden,
werden. Der Arzt Dr. Haslinger von Oberau und der ihres Dienstes enthoben werden sollten. Trotzdem
Turnlehrer Zössinger von Bozen wurden auf diese Weise hatte die Aufforderung zur Namensänderung so gut wie
aus dem Lande vertrieben, Zössinger deshalb, weil er keinen Erfolg. Seither werden einzelne Staatsbürger
das Turnerfest in München besucht hatte. Das Gesetz vorgenommen und ihnen das Messer auf die Brust
diente den Italienern auch als dauerndes politisches gesetzt. Von Zeit zu Zeit ist nun in der Amtszeitung zu
Erpressungsmittel. lesen, daß der und jener „freiwillig“ die „Rückführung“
seines Familiennamens auf die italienische Form
Ein weiteres Gesetz verfügte die Verwelschung der bewilligt erhalten habe. Namen wie „Rainer“ werden
Familiennamen. Sie sollten, so hieß es heuchlerisch, auf so in die italienische Form „Raineri“ zurückgeführt,
ihre ursprüngliche italienische oder lateinische Form und die Faschisten erbringen nach ihrer Meinung mit
zurückgeführt werden. In Wirklichkeit handelte es diesen niederträchtigen Erpressungen den Beweis der
sich auch hier um die Zertrümmerung alten deutschen fortschreitenden „Anpassung“ deutscher Staatsbürger
Kulturgutes, um einen barbarischen Raub an der an die italienische Herrennation. Gegenwärtig hat auch
Überlieferung eines Volkes, in der sich das Ende schon die zwangsweise Verwelschung der Familiennamen,
menschlicher Rücksicht und wissenschaftlicher Scheu also ohne Gesuch der Familien, begonnen.
ausdrückte. Die Südtiroler sollten äußerlich nichts mehr
behalten, was sie an ihre ehrwürdige Vergangenheit Eduard Reut-Nicolussi, Tirol unterm Beil, C.H. Beck’sche
erinnerte, nicht einmal die Namen ihrer Väter. Verlagsbuchhandlung, München, 1928, S. 142 f.
Dieser unerhörte Anschlag erreichte derart Aufsehen
und Entrüstung in der Welt, daß man das Gesetz nicht Foto: 29 15 Postkarte Ausgewiesen von Th. Walch.jpg
62
unmittelbar durchführte. Vorerst traf Tolomei die
Th. Walch: Ausgewiesen

63
Der Tiroler Pfarrer.

Am Heiligen Abend 1927 war Gottesdienst durch Verhaftungen. Zähne aufeinander. Die Faschisten
von unbekannten Tätern an einem Propst Fellner und der siebzigjährige hatten es fertig gebracht, die höchste
Pfeiler des Domes von Innichen Mesner Alois Baumgartner, dessen Feierstunde eines katholischen Volkes
ein Aufruf der Jungmannschaft Magd und der Obmann der zu einer Stunde des Schmerzes und
von Köln angeschlagen worden, Raiffeisenkasse von Innichen, Lorenz der Erbitterung zu machen.
der die deutschen Südtiroler Bergmann, wurden eingezogen und Die herzhafte Festigkeit, womit der
aufforderte, in ihrem Leiden eine Reihe von Häusern, darunter Tiroler Pfarrer in diesem schweren
tapfer auszuhalten. Während das des Altbürgermeisters Michael Kampfe an der Seite seines Volkes
der Mitternachtsmette drangen Wachtler und das Franziskanerkloster, stand, hob die Ziele dieses Kampfes
Karabinieri und Milizsoldaten mit um zwei Uhr nachts durchsucht. über den politischen Tagesstreit und
aufgepflanztem Bajonett in die Wenige Leute fanden in dieser Nacht kleine Parteifehden in die Sphäre
Kirche ein, durchsuchten sie bis zum in Innichen ihren Schlaf. Viele ewiger Rechte, um welche seit je
letzten Winkel und sprengten den ballten die Fäuste und bissen die zwischen den Mächten des Lichtes
und jenen der Finsternis gerungen
wird.

Eduard Reut-Nicolussi, Tirol unterm Beil,


C.H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung,
München, 1928, S. 162.

Foto: 30 Schützenscheibe SK Auer.


jpg

64
Die Verwüstung in der Jungsaat.

Die italienischen Schulen waren dumme Verachtung jeder anderen versuchte man das Kind auf die Beine
Stätten der Verbildung. Ihre freien nationalen Größe sind in einer zu stellen, aber die Beine sanken
Hauptaufgabe bestand scheinbar Nation das sichere Zeichen des kraftlos zusammen und der Kopf hing
darin, unseren Kindern eine Niedergangs und der Unfähigkeit mit offenem Munde auf die Brust
wahnwitzig übersteigerte Vorstellung zum Erziehen.“ herab. So erst ließen die italienischen
von Italien und italienischem Wesen Die Lehrer und Lehrerinnen, welche Lehrer das Mädchen heimschaffen,
beizubringen. Mussolinis eigenes Italien nach Südtirol schickte, wo es noch drei Stunden bewußtlos
Blatt, der „Popolo d’Italia“, gab als bestätigten die Wahrheit dieses liegen blieb.
Richtlinie folgende „Unbestreitbare Urteils. Es schien manchmal, In Eppan schlug der italienische
Leitsätze“ zum besten: als habe das italienische Volk Lehrer Cirilli einen Schüler ebenfalls
seinen Abschaum nach Südtirol in der rohesten Weise auf dem
1. Italien ist das Land, das heraufgespieen, um unsere Gange des Schulhauses. Als der
verdient, das größte und Jugend ja gewiß geistig und zufällig dazugekommene deutsche
stärkste der Welt zu sein. sittlich zu verderben. Mancher Religionslehrer beschwichtigend
2. Italien wird das größte von ihnen hatte überhaupt keine einwirken wollte, brüllte Cirilli, er
und stärkste Land der Welt Lehrerausbildung erhalten, sondern werde diesen deutschen Hunden die
werden. kam aus irgendeinem Gewerbe- oder Italianität schon einprügeln.
3. Die italienischen Gesetze Handelsfach. Dementsprechend war Zuweilen führten solche
sind die vollkommensten der dann auch die Methode. In Tramin Mißhandlungen zu heftigem
Welt. strafte ein Lehrer die Kinder, indem Widerspruche von Seiten der Eltern.
4. Die Staatsmänner Italiens er ihnen einen Zettel um den Hals So im Herbste 1927 in Tschengls
sind die besten, deshalb ist hing, worauf das Wort „Porco“ im Vinschgau. Dann griffen die
man ihnen Achtung und (Schwein) geschrieben stand. In Karabinieri ein und die Eltern mußten
Gehorsam schuldig. Sterzing schlug der italienische hinter Schloß und Riegel dafür
Lehrer die Schülerin Maria March so büßen, daß sie an der Gerechtigkeit
Man kann den Aberwitz solcher erbarmungslos, daß sie ohnmächtig der italienischen Erzieher gezweifelt
Thesen nicht besser brandmarken, umsank. Dazu lachte er, und eine hatten.
als dies Lombardo-Radice italienische Lehrerin, die auf das
(allerdings gegen das deutsche Volk Geschrei der übrigen Schüler Eduard Reut-Nicolussi, Tirol unterm Beil,
gerichtet) getan hat: „Aufgeblasener herbeieilte, riß an dem armen Kinde C.H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung,
65
Nationalstolz, Selbstüberhebung, und schrie „alza la testa!“ Dann München, 1928, S. 190 f.
Ermordete Tiroler.

Auch Morde ereigneten sich. Mancher blieb unaufgeklärt, In Sand in Taufers maßten sich die Finanzer eines
so jener am Bozner Boden, wo sich die Behörde bemühte, Abends das Recht an, in einem Gasthause „Polizeistunde“
alle Spuren zu verwischen, aber beim Volke nur den durchzuführen; dabei verhafteten sie willkürlich einen
Verdacht verstärkte, daß es sich um eine nationale Tat Mann namens Vinzenz Fohrer. Er bat sie flehentlich,
handelte. ihn doch nicht zu fesseln, wurde aber doch in Eisen
geschlossen und weggeschleppt. Nach wenigen Minuten
In einzelnen Fällen konnten die Tatsachen nicht tönten mehrere Schüsse durch die Nacht, und die
verheimlicht werden. Miliz und Finanzwache feuerten Finanzer liefen eilends ohne Häftling in die Kaserne. Am
ihre Gewehre gegen die Deutschen ohne Bedenken ab. nächsten Morgen wurde Fohrer in einer Blutlache tot
Die Finanzsoldaten fanden dazu wiederholt Gelegenheit. aufgefunden.
Hier soll nur von jenen Fällen die Rede sein, welche mit Konnten die Behörden in diesen Fällen noch Ausflüchte
Amtsausübung und Notwehr der Soldaten nichts zu tun finden, so gab es keine Beschönigung für den ebenfalls
haben. im Dezember 1927 von den Finanzsoldaten in Passeier
am Bergknappen Karl Platter verübten scheußlichen
Im Dezember 1927 wurde Josef Gutgsell aus Stilfs mit Mord. Platter feierte am 4. Dezember im Gasthaus
seinem Bruder Daniel von den Finanzern aufgegriffen, als zu Rabenstein mit anderen Knappen den Barbaratag.
sie von der Schweiz mit Ware nach Hause zurückkamen. Die Gesellschaft befand sich in mehr als gehobener
Was mögen sie bei sich gehabt haben? Etwas Kaffee Stimmung, als Finanzsoldaten das Wirtshaus betraten.
und etwas Zucker für die Familie, vielleicht auch noch Zwischen den beiden Gruppen kam es zu Neckereien, in
einige Zigaretten für die Kameraden. Als die Rucksäcke deren Verlauf Karl Platter sich unehrerbietig über das an
durchsucht waren, befahlen ihnen die Finanzsoldaten, der Wand hängende Königsbild aussprach. Die Finanzer
die Ware aufzunehmen und in die Kaserne zu bringen. schritten nun zu seiner Verhaftung, aber Platter entsprang
Josef Gutgsell lehnte das ab. Er wurde daraufhin auf vier durch das Fenster und nächtigte in einem fremden Hause.
Schritte Entfernung durch einen Schuß in den Unterleib Die Finanzsoldaten erfuhren das Versteck und lauerten
getötet. Die Finanzer behaupteten, er sei geflohen dem Knappen am nächsten Morgen auf. Als Platter
und deshalb angeschossen worden, aber das war eine ahnungslos aus dem Hause trat, fielen die Soldaten mit
Lüge, denn der Schuß hatte den Ermordeten von vorne geschwungenen Gewehrkolben über ihn her und schlugen
getroffen und der Bruder konnte bestätigen, daß auch ihn zu Boden. Dann rissen sie ihn auf und wollten ihn
nicht der geringste Anlaß zur Tötung vorlag. Der Täter mit sich in die Kaserne marschieren lassen. Doch Platter
blieb straflos. war bewußtlos und so mußten ihn die Soldaten unter
66
den Armen fassen und weiterschleppen. Als ihnen dies
zu mühsam wurde, gingen sie in ein Bauernhaus und
liehen einen Strick. Damit banden sie Platter die Füße
zusammen und schleiften ihn so dem winterlichen Wege
einen Kilometer weit durchs Tal hinaus, bis sie zu einem
Wagen kamen. Auf diesem wurde Karl Platter nach Meran
ins Krankenhaus gebracht, wo er am nächsten Tage
starb, ohne das Bewußtsein wiedererlangt zu haben. Eine
Witwe und zwei Waislein schrieen vergeblich um Sühne
für diese Scheußlichkeit. Den Mördern wurde kein Haar
gekrümmt.
Deutsches Leben war in Südtirol billig geworden.

Eduard Reut-Nicolussi, Tirol unterm Beil, C.H. Beck’sche


Verlagsbuchhandlung, München, 1928, S. 183 f.

Foto: 32 99 Vergeßt es nicht.jpg

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Der Schrecken der Dörfer.

Furchtbar ist, was die Frauen von den Karabinieri leiden


müssen. In der Nähe von Kiens steht an der Pustertaler
Straße das Gisserwirtshaus des Georg Weissteiner. Auf die
Kellnerin Anna Trippacher, ein bildhübsches Mädchen,
hatte der Karabinieri-Brigadier Giovanni Pipa sein Auge
geworfen. Eines Tages näherte er sich ihr in unanständiger
Weise. Die Kellnerin schlägt ihm ins Gesicht. Wütend
haut der Karabiniere das Mädchen mit Fausthieben
zu Boden und ruft den Wirt: die Kellnerin habe sich
frech gegen ihn benommen, wenn sie nicht sofort vor
ihm niederkniee und um Verzeihung bitte, werde das
Wirtshaus unverzüglich gesperrt. Der Wirt weiß nicht
recht, was geschehen ist und zaudert. Der Brigadier
schreit und droht noch schärfer. Der Wirt denkt: wir sind
schutzlos gegen diese Bestien und bittet die Kellnerin,
sich zu entschuldigen, um die Existenz aller zu retten. Das
Mädchen sinkt vor dem Brigadier in die Kniee….

Eduard Reut-Nicolussi, Tirol unterm Beil, C.H. Beck’sche


Verlagsbuchhandlung, München, 1928, S. 182.

Foto: 33 15 Verlorene Heimat Süd-Tirol von Th. Walch.


jpg

68
Th. Walch: Verlorene Heimat Süd-Tirol

69
1
Das Gespenst im Gerichtssaal.

Unter dem Titel „Ein mildes Urteil Die Richter verurteilten ihn zu die Rechtswohltat der bedingten
beim Appellationsgericht bestätigt“, zehn Tagen Gefängnis (bedingt!) Verurteilung vom Angeklagten nach
brachte der „Alto Adige“ in seiner und billigten ihm alle mildernden dem Urteil in erster Instanz nicht
gestrigen Ausgabe folgenden Bericht Umstände zu. genossen worden war.“
aus Trient:
Die Angelegenheit wurde Das Blatt der Democrazia Cristiana
„Der 45-jährige Kaufmann Josef gestern vor den Richtern des „L’Adige“ betitelte den Bericht über
Kerschbaumer aus Eppan hatte am Appellationsgerichtshofes wieder das Berufungsverfahren mit folgender
20. Februar des vergangenen Jahres überprüft, da Kerschbaumer, Überschrift: „ . . . Bitte, meine Herren
beschlossen, die Wiederkehr des vom Rechtsanwalt Dr. Vinatzer Richter, gewährt mir nicht eine
Todestages des Tiroler Patrioten unterstützt, gegen das erste bedingte Bestrafung . . .“ Das Blatt
Andreas Hofer, welcher am 10. (sic!) Urteil Berufung eingelegt hatte. schreibt dann, dieser Titel solle den
Februar 1810 in Mantua starb, in Bevor sich der Gerichtshof in Leser nicht irre führen, denn der
würdiger Weise zu feiern. Nachdem das Beratungszimmer zurückzog, 45 Jahre alte Josef Kerschbaumer
er in aller früh aufgestanden war, ersuchte der Angeklagte den von Frangart bei Eppan, der
hat er zwischen den Bäumen des Präsidenten, man möge ihm nicht „wegen einer aufwieglerischen
Friedhofes von Frangart, einer kleinen den mildernden Umstand einer (lies: antiitalienischen) Handlung
Ortschaft in der Gemeinde Eppan, bedingten Bestrafung zuerkennen, da angeklagt war, wollte mit dieser
zwei Tiroler Fahnen gehißt, die später er die zehn Tage bereits abgesessen Erklärung keineswegs das Patent
von den Carabinieri eingezogen und habe. „Da die bedingte Verurteilung eines Märtyrers erwerben: er
beschlagnahmt worden sind. nur ein einzigesmal zuerkannt wird – wollte lediglich etwaigen späteren
erklärte Kerschbaumer – und ich aus Unannehmlichkeiten mit der Justiz
Die Carabinieri hatten den Täter bald beruflichen Gründen gezwungen bin, einen Riegel vorschieben.“
festgestellt und der Gerichtsbehörde mit dem Auto zu fahren, könnte ich
wegen „aufwieglerischer Tätigkeit“ sie später noch einmal brauchen. Man Nach dieser Einleitung berichtet
angezeigt. Vor den Richtern weiß nie!“ das DC-Blatt über den Tatbestand
rechtfertigte sich der Kaufmann mit und über den Verlauf des Prozesses
der Erklärung, er habe nicht geglaubt, Der Südtiroler Kaufmann wurde in erster Instanz und fährt dann
durch das Hissen von Tiroler Fahnen zufriedengestellt. Tatsächlich fort: „Und nun kommt das
am Todestage von Andreas Hofer bestätigte der Gerichtshof das Kuriosum. Unter dem Beistand des
70
irgendein Verbrechen zu begehen. erste Urteil und anerkannte, daß Rechtsanwaltes Dr. Vinatzer hat der
Angeklagte Berufung eingelegt und noch einmal vor den Richtern Kerschbaumer eines schönen Tages
ist gestern beim Appellationsgericht erscheinen zu müssen . . .“ auf seinem Auto – von dem er vor
in Trient (Präsident: Comm. den Trientner Richtern gesprochen
Assante, Staatsanwalt: Dr. Agostini) Man muß es den beiden Zeitungen haben soll – leibhaftig über den
erschienen. Und hier die Erklärung lassen: Sie haben für ihre Leser einen, Köpfen durch die Luft flitzen sehen.
des Angeklagten: „Bitte, meine besonders für einen politischen
Herren Richter, gewährt mir nicht Prozeß, höchst spannenden Phantasie ist für Zeitungsleute
die bedingte Bestrafung . . .“ Im Bericht aus dem Gerichtssaal gewiß eine Tugend, ja sogar eine
wesentlichen hat Kerschbaumer, der verfaßt. Dagegen wäre nun nichts Notwendigkeit. Aber wenn sie ihre
von seinem Anwalt entsprechend einzuwenden, wenn . . . ja wenn sie Träger so zum Narren hält, daß sie
unterrichtet worden war, gesagt, er den ganzen Sachverhalt nicht von A Gespenster sehen und sprechen
habe sich über das Urteil (in erster bis Z frei erfunden hätten. hören, wird sie zum Übel. Denn
Instanz) in keiner Weise zu beklagen, die von der eigenen Phantasie
da er die Tat begangen habe. Nur Der Kaufmann Sepp Kerschbaumer Geprellten, müssen sich zumindest
bitte er, auf die Rechtswohltat der war nämlich am Tag, an welchem gefallen lassen, daß sie ausgelacht
bedingten Verurteilung verzichten die Verhandlung vor dem werden.
zu können, weil er die zehn Tage Appellationsgericht in Trient wegen
Gefängnis, zu denen er vom seiner Fahnenhissung stattfand, Tageszeitung „Dolomiten“ am Samstag,
Landesgericht in Bozen verurteilt nicht in Trient, geschweige denn im den 18. Jänner 1958 – Nr. 14, S. 4.
worden war, schon abgesessen Gerichtssaal, sondern viele Kilometer
habe. Und da man nicht recht weg. Foto: 36 Foto -
verstehen konnte, wo Kerschbaumer Hoffentlich bekommen die Reporter Fahne
hinaus wollte, erklärte er auch des „Alto Adige“ und „L’Adige“, wenn auf Kirchturm
den Grund seiner Bitte. Seht – sie diese Zeilen lesen, nicht eine Frangart.jpg
sagte der Angeklagte – es könnte heillose Angst vor dem Phantom
vorkommen, daß ich morgen mit „Kerschbaumer“, das plötzlich
der Justiz in Konflikt komme. Etwa in einem Trientner Gerichtssaal
ein Straßenunfall, oder, ich weiß auftaucht und anhebt zu sprechen,
selber nicht, kurzum ein Malheur. während der leibliche Sepp vielleicht
Und da bekanntlich die Justiz daheim in seinem Laden hantiert oder
die Rechtswohltat der bedingten in Bozen mit seinen Freunden oder
Bestrafung einem Menschen nur Bekannten an einem Glas Fruchtsaft
einmal im Leben zubilligen kann, nippt. Wenn sich die anscheinend
hätte ich lieber, wenn mir diese ohnedies schon so lebhafte Phantasie
Rechtswohltat bei einer anderen obzitierter Zeitungsreporter noch
Gelegenheit gewährt würde, wenn weiter entwickelt, könnte es ihnen
71
ich schon das Pech haben sollte, wohl passieren, daß sie unseren Sepp
Luis Amplatz zwei Wochen im Arrest.

In den Jugendjahren trägt Luis gerne die Lederhose mit weißen


Stutzen, was den Faschisten sehr ins Auge sticht. Bei einem
Herbstfest, in unmittelbarer Nähe des Heimes von Luis Amplatz,
gesellen sich zwei Italiener zu diesem Fest. Einige dumme
Bemerkungen der beiden über die Südtiroler genügen, um Luis
schon in die Luft gehen zu lassen. Zu den Lederhosen gehört
der Dolch oder das Stilett in der Seitentasche. Luis zieht das
Stilett, das übrigens verboten war. Nach einem Wortwechsel
fragt er einen der beiden, ob er ihm den Bauch aufschlitzen
solle; eine Drohung, die Luis niemals wahr gemacht hätte. Die
beiden verschwinden und es dauert keine halbe Stunde bis sie in
Begleitung einiger Polizisten zurückkehren. Luis und sein Bruder
Franz besteigen ihre Fahrräder und verschwinden. Die Italiener
verfolgen beide. Die Nacht kommt ihnen zur Hilfe, sie nehmen
Deckung in der Straßenböschung hinter dem Strauch, während
Polizisten sie vergeblich suchen. Nur durch Verrat kommt später
der Name von Luis heraus.
Es vergehen fast zwei Monate nach diesem Vorfall und die Polizei
kommt auf das Feld, wo Luis und sein Bruder Franz als Taglöhner
arbeiten. Luis wird ohne Umschweife verhaftet und wie ein
Schwerverbrecher in Ketten abgeführt. Dieser Spaß, so kann
man es ruhig nennen, kostete Luis zwei Monate Arrest. Wegen
guter Führung kommt er nach sechs Wochen wieder in Freiheit.
Umgekehrt können die Besatzer sogar Pistolen ziehen, ohne dass
ihnen ein Haar gekrümmt wird.

Günther Obwegs, „Freund, der du die Sonne noch schaust … Luis Amplatz, ein
Leben für Tirol“, Verlagsanstalt Athesia, Bozen, 2004, S. 18.

Foto: 42 927 Bozen Gries F Lenhart deutsch Kopie.jpg


72
73
Festzug in Innsbruck.

In Anwesenheit des österreichischen Bundespräsidenten, Wehrhaftigkeit stellt eine geistige Kraft dar, die im
des Regierenden Fürsten von Liechtenstein, der Hinblick auf die der Heimat drohenden inneren und
Bundesregierung, der Landesregierung von Nord- und äußeren Gefahren von großer Bedeutung ist.“
Südtirol und der gewählten Volksvertretungen fand in An der Spitze des gewaltigen Zuges trugen Schützen
Innsbruck der größte Festzug in der Geschichte des aus dem Burggrafenamt – unter ihnen der später an
Landes statt. 25.000 Schützen und Musikanten aus allen den Folgen der Karabinieri-Folter verstorbene Franz
Landesteilen zogen vor fast 300.000 Zuschauern durch Höfler – einen mächtigen Tiroler Adler als Zeichen der
die Straßen der Landeshauptstadt. Ein Tag grenzenloser Einheit des Landes. Es waren alle Patrioten aus Südtirol
Begeisterung und ein unübertreffliches Bekenntnis zur nach Innsbruck gekommen. 2.000 Südtiroler Schützen
Landeseinheit war dieser Gedenktag „150 Jahre Tiroler zogen im Festzug mit. Sie waren von den Nordtiroler
Freiheitskampf!“ In dem Buch „Gedenkjahr 1959“ Kameraden durch das Fehlen der Gewehre bei der
schrieb Benedikt Posch: „Marschierende Schützen und Mannschaft und der Säbel bei den Offizieren deutlich zu
Musikanten, wehende Fahnen und bunte Trachten, unterscheiden. Das Fehlen dieser äußeren Zeichen der
fröhliches Winken und begeisterter Beifall – war das Tiroler Wehrhaftigkeit und Freiheit machte das Fehlen der
der alleinige Sinn des Festzuges? Was ist dies alles wert Freiheit im südlichen Landesteil deutlich. Gar mancher
in einer Welt, in der nur gilt, was Geld und Macht schämte sich nicht seiner Tränen, die ihm beim Anblick
bedeutet? Wer im Tiroler Festzug 1959 nicht nur gesehen der waffenlos, mit ernstem Blick vorbeimarschierenden
hat, was sichtbar in Erscheinung getreten ist, weiß, Südtiroler Schützen in den Augen standen. Eine massiv
daß dieses Äußere der Ausdruck einer inneren Haltung geschmiedete Dornenkrone wurde im Zug als Zeichen
und Gesinnung ist, die auch eine Macht, eine geistige der Trauer und des Schmerzes über die Zerreißung des
Macht darstellen. Was hatte uns der Festzug also zu Landes Tirol mitgetragen. Der spätere Freiheitskämpfer
sagen? Er hat uns gezeigt, was Tirol ist, was es war Georg Klotz erstattete, hoch zu Roß, im Namen der
und – mit Gottes Hilfe – bleiben wird… Der Festzug Südtiroler Schützen Meldung vor dem österreichischen
hat uns das freiheitsliebende Tirol gezeigt. Tirol besitzt Bundespräsidenten. Rufe wie „Es lebe Südtirol“, „Freiheit
eine der ältesten freiheitlichen Verfassungen Europas… für Südtirol“, und „Tirol ist eins“ brausten aus der Menge
die in Tirol lebendig gebliebene Tiroler Gesinnung der auf.

Südtirol Chronik, L. Stocker Verlag, S. 131 f.

74
75
Knüppelsonntag 1960.

Wie in allen Orten Tirols fand auch Bildzeugnisse von diesem Gummi- Die empörenden Vorkommnisse
in Bozen am Sonntag ein festlicher knüppelangriff auf Kirchenbesucher bei der Kranzniederlegung vor dem
Gottesdienst zum Abschluß des Ge- gemacht werden könnten. Trotzdem Peter-Mayr-Denkmal veranlaßten den
denkjahres statt. Außerdem wurde konnte ein Kirchgänger Dokumen- Bozner Rechtsanwalt
hier die Wiederaufstellung des Peter- tarbilder schießen. Abgeordneter Dr. Rudolf Straudi, das ihm verlie-
Mayr-Denkmals begangen, wobei die Dr. Toni Ebner, der Direktor der hene „Ritterkreuz des Verdienstor-
Feier, die vor dem Denkmal stattfin- „Dolomiten“, protestierte gegen diese dens der Italienischen Republik“ an
den sollte, wegen des Versammlungs- Gummiknüppelaktion auf der Quä- den Staatspräsidenten Gronchi zu-
verbots abgesagt und verschoben stur und nahm in den „Dolomiten“ rückzusenden.
worden war. Nach dem Gottesdienst in einem Leitartikel unter dem Titel
strömten die etwa zweitausend Kirch- „Eine Schande“ gegen diesen Polizei- Südtirol Chronik, L. Stocker Verlag, S. 147.
gänger aus der Bozner Pfarrkirche. exzeß Stellung.
In Stille wurde ein Kranz am Peter- Foto: 038 Knüppelsonntag 05.jpg
Mayr-Denkmal niedergelegt. Und es
erklang das Lied „Zu Mantua in Ban-
den…“ Als die Kirchgänger sich über
den Kirchplatz heimbegeben wollten,
traf plötzlich mit Sirenengeheul die
„Celere“, die schnelle Alarmabteilung
der Polizei, ein und ging brutal mit
geschwungenen Gummiknüppeln auf
die Kinder und Greise, die Männer
und Frauen, die vom Gottesdienst
kamen, los. Kein Wunder, daß ein
Pfeifkonzert und Pfui-Geschrei ge-
gen die Attacke erscholl und es zu
Zusammenstößen kam. Die Polizei
verhaftete vier Südtiroler und einen
Innsbrucker Studenten und beschlag-
nahmte Photoapparate, damit keine
76
Beleidigung der italienischen Streitkräfte.

Im Mai 1960 wartete der Knecht Josef Taibon aus dem


Gadertal am Brunecker Busbahnhof auf den nächsten
Bus in Richtung seines Dorfes. Er hatte seinen freien
Tag in Bruneck verbracht. Während des Wartens wurde
Josef Taibon von Magenkrämpfen geplagt. Gedankenlos
versuchte er mit dem Ablassen seiner Magenwinde die
Krämpfe zu lindern. Und dies geschah in einer recht
lauten Form. Zwei Alpini-Unteroffiziere, welche nicht
weit von Taibon standen, sahen durch diese Tat ihre
Ehre und die des italienischen Heeres schwer beleidigt.
Sie riefen eine vorbeikommende Karabinieri-Streife zu
sich und meldeten das Vorgefallene. Josef Taibon wurde
verhaftet und abgeführt. Er wurde wegen „Beleidigung der
italienischen Streitkräfte“ angezeigt und zu 2 Monaten
Haftstrafe auf Bewährung verurteilt.

Es ging um Südtirol – Nicht veröffentlichte Sammlung von


Zeitzeugenberichten – Archiv Waldgänger.

Foto 40 1914 Verlorenes Land Süd-Tirol von A.Rothaug.


jpg
Aufruf zur Feuernacht.
Herz-Jesu-Nacht, 12. Juni 1961.

Foto: 39 Postkarte - Brief von Zernez.jpg

78
79
Wörtliche Wiedergabe des Originalbriefes. SVP-Archivalien, Südtiroler Landesarchiv Bozen.

80
Ich hab niemand gesehen.

In den sechziger Jahren verbrachte hoch gewachsener junger Mann in die Hüttentüre wieder auf und
ich meine Sommerferien immer als der Hüttentür und begrüßte uns. vier junge Männer mit Rucksäcken
Hüterbub auf einer Alm, die mein Er hatte eine wildgraue Windjacke, schwer bepackt traten in die Hütte.
Onkel als Senner bewirtschaftete. eine Kniebundhose und schwere Wie gelähmt saßen wir am Tisch
Mein Onkel war ein uriger Bergschuhe an und am Kopf trug er und betrachteten die vier Männer.
Junggeselle, der als Senner im eine eigenartige Militärmütze. Alle hatten die gleiche Mütze. Mein
Sommer und als Holzarbeiter im Irgendwie erschrocken hieß unser Onkel forderte mich auf, ihnen zu
Winter ein ruhiges Leben führte. Für Onkel den fremden jungen Mann helfen. Und bald war der Tisch in
mich und meinen Kusin war er das gleich in die Hütte eintreten, warf der Hütte für ein recht üppiges Mal
lebendige Beispiel eines guten Riesen. einen scharfen Blick vor die Tür, gedeckt. Der Onkel brachte frische
bevor er diese zumachte. Butter, Käse, Milch, Brot und Speck.
Die Zeit auf der Alm war trotz
der Arbeit für uns schön und Nun setzte sich der junge Mann Die Männer hatten großen Hunger
unvergesslich. zu Tische und zwischen ihm und und langten fest zu. Wir aßen auch
meinem Onkel entwickelte sich ein mit, doch war es für mich im Moment
Aber besonders unvergesslich blieb für uns unverständliches Gespräch. viel interessanter, die Männer, ihre
mir in diesem Sommer ein Erlebnis: Und bald darauf stand der junge großen Rucksäcke und besonders
Besuch gab es auf der Alm selten. Mann wieder auf und verließ die ihre Waffen zu betrachten. Schön
Die Bauern kamen regelmäßig, um Hütte. Als ich den Onkel fragte, wer aufgereiht lehnten gleich neben der
nach ihrem Vieh zu schauen, meine denn der Fremde sei, antwortete er Hüttentür zwei Maschinenpistolen
Eltern besuchten mich einige Male, lachend: und zwei große Gewehre. Und
wenige Touristen verirrten sich hier „Welchen Mann meinst du denn? Ich alle vier trugen eine umgeschnallte
her oder manchmal kehrten Jäger ein. hab niemanden gesehen!“ Pistolentasche samt Pistole. Zwischen
Jeder Besuch war etwas Besonderes. meinem Onkel und den jungen
Und ein Besuch wurde für mich ein Ich verstand nicht. Was wollte mein Männern entwickelte sich ein reges
besonderes Erlebnis. Onkel damit sagen? Da zog mich Gespräch. Aber bald ordnete uns
mein Kusin auf die Seite und flüsterte der Onkel an, schlafen zu gehen.
Eines Tages – wir hatten am Abend mir ins Ohr: „Hast du gesehen? Ohne Zögern gingen wir in das
die Kühe im Stall bereits versorgt Der Mann hatte eine Pistole! Das anliegende Schlafzimmer der Hütte
und bereiteten unser bescheidenes ist sicher ein Verbrecher!“ Kaum und legten uns in unsere Betten.
81
Abendessen – stand plötzlich ein hatte mein Kusin das gesagt, ging Lange versuchten wir noch die
Gespräche zu belauschen, aber wir und eindeutigen Ton: „Gestern Heinrich Oberlechner, Siegfried
konnten nichts verstehen. Als dann ist niemand hier gewesen!“ Und Steger und Heinrich Oberleiter bei
die ersten Lieder erklangen, schliefen für uns war klar, wir sollten und uns einen Unterschlupf gesucht
wir seelenruhig ein. durften nichts wissen. Wir hielten hatten.
uns daran, obwohl die vier jungen
Am nächsten Morgen war der Burschen auf uns einen gewaltigen Es ging um Südtirol – Nicht veröffentlichte
Besuch verschwunden. Und unser Eindruck gemacht hatten. Für mich Zeitzeugenberichte – Archiv Waldgänger.
Onkel bestritt, dass am Tag vorher blieben sie lange wie die Ritter aus
jemand da gewesen sei. Als wir nicht einer Geschichte. Erst später wurde Foto: 43 16 Defregger -
aufhörten zu fragen und zu betteln, mir klar, dass an jenem Abend auf Almlandschaft des Ederplan.jpg
sagte er mit einem für uns klaren der abgelegenen Alm Sepp Forer,

82
Jörg Klotz.

„Jörg, heint sterb‘ mer!“ – Luis gefürchtet, wohl die am aufwändigsten Mahder mitgegeben wird, um die
Amplatz, als ihm und Jörg Klotz die Gejagten. Sie hatten das Heer bis auf beiden niederzustrecken, während
Kugeln der italienischen Finanzer um die Knochen blamiert, die Soldaten sie schlafen. Doch Kerbler weiß,
die Ohren pfiffen! Sie waren in die getrauten sich nicht mehr, Wache wie hellhörig die sind, dass sie auch
Falle getappt, welche im hintersten zu schieben, verkrochen sich in nachts auf jedes Geräusch reagieren,
Passeiertal vorbereitet worden war. den Laufgräben. Die Kasernen im unglaublich reaktionsschnell sind,
Die italienische Streitmacht wusste, Passeiertal und im Bozner Raum waren die Waffen jederzeit griffbereit!
dass die beiden über den Rotmoos- in Aufruhr, wenn sich die Verräter- Also muss er am Abend, bevor sie
Ferner, vom Ötztal herüber kommen Kunde verbreitete, dass Klotz oder gemeinsam zum Heugaden gehen,
würden. Um zur Faltmar-Alm zu Amplatz, oder noch gefährlicher, in dem sie übernachten wollen, ein
gelangen, mussten sie das Hochtal beide gemeinsam, auf heimlichen Schlafmittel ins Getränk mischen. Er
queren, nicht weit von Lazins, dem Pfaden nach Hause, in ihre Heimat muss sichergehen, dass der Auftrag
hintersten ganzjährig bewohnten unterwegs sind. Szenen wie jene, wo gelingt, überleben darf keiner, es
Hof am Fuße von Seelenkogel und ein ganzer Spähtrupp von Finanzern in darf nie herauskommen, dass es kein
Hochwilde. Panik das Weite suchte, als die beiden Feuergefecht gegeben hat, sondern
bloß die Gewehrläufe aus den Ritzen dass es Meuchelmord war!
Dies war nicht die einzige eines alten Gadens herausstreckten,
lebensbedrohliche Situation, in welche durften sich nicht wiederholen! Es war Es ist gegen zwei Uhr morgens,
Jörg Klotz und Luis Amplatz in den kein Schuss gefallen, der Schrecken Montag, der 7. September 1964. Jörg
Jahren des Südtiroler Freiheitskampfes hatte genügt! Angst steckt an! wacht auf, durch Schüsse. Er ist noch
geraten waren. Sie hatten jeder für ganz benommen, aber es ist ihm,
sich, dann gemeinsam, unglaubliche Trotz des Großaufgebots von als höre er Stimmen. Seine eigene
Situationen heil oder fast heil Celere, Carabinieri und Finanzern, Schilderung: „Ich wach‘ auf, durch
überstanden, auch den Feuerüberfall Hubschraubern und Verrätern Schüsse, und denk’ mir, Herrschaft,
bei Lazins! war es nicht gelungen, die beiden wo kommen denn diese Walschen
lebend zu fassen! Dann also tot, die her? Wohl bin ich der Annahme
Doch die Order im September 1964 beiden mussten eliminiert werden! gewesen, die Walschen schießen von
lautete: Wenn nicht lebend, dann Der Mordplan steht, der Killer ist außen, vom Dach herein. Ich fahr’ auf,
tot! Klotz und Amplatz waren für gefunden: Christian Kerbler aus Hall sitzt der Kerbler vor mir und leuchtet
die italienische Staatsmacht ein in Tirol hat insgesamt 7 Schuss in mir mit der Taschenlampe ins Gesicht.
83
großes Problem geworden. Sie waren der Beretta, die ihm auf die Brunner Und ich denk’ mir noch, beim Elend!
Und ich hab’ natürlich auch mehrere hätte können, wär’s wohl aus gewesen der Heuschupfen war am Rande einer
Schuß, das heißt, zwei Streifschüsse, für mich, endgültig! Das muß für Schlucht, da waren so Laubbäume,
ein Streifschuß da an der Oberlippe, ihn jetzt ein Gefühl gewesen sein, und auch der Luis hat gesagt, Jörg, da
ein Streifschuß an der Brust, und er ist ausg’schossen und ich hab’ die kann eine ganze Division kommen, da
einen Einschuß da und durch die Brust vollgeladene Nullacht! Und er war kommen s’ uns gar nie heran! Gut, und
durch, die hat die Brustmuskulatur wahrscheinlich der Meinung, ich ich schrei’ zurück, mir nach! Ich spring’
durchschossen … da ist die Kugel durchschaue ihn, aber ich hab’ ihn dann in der Schlucht obi, überquer’s
gesteckt. Und ich denk mir, Herrgott, bei Gott nicht durchschaut, weil sonst und wart’ an der gegenüberliegenden
der leuchtet da, und da draußen hätte es bei mir natürlich geknallt, Seite eine ganze Stunde. Hör’ nichts,
schießen s’ herein, und der Trottel klar. Ich hab’ dann noch den Luis seh’ nichts und denk’ mir, da sind sie
leuchtet! Ich sag’ ihm, Mensch mach ’s angerufen, aber der Luis hat sich sicher, die passen jetzt halt die ganze
Licht aus! Er löscht ’s Licht aus, und nicht mehr bemerkbar gemacht, ich Weil, aber da werden sie schon sein,
ich hab’s dann im Heu noch rascheln hab’ ihn angerufen, Luis, auf! Nichts, du mußt jetzt sichern! Und ich denk’
gehört, von mir weg. Jetzt, mein erster und dann hab’ ich mir denkt, der ist mir, wie ist das jetzt zugegangen: der
Griff, die rechte Hand war flügellahm, tot! Dann bin ich durch die Luke Luis tot, ich hab’ drei Schuß, und dem
und mein erster Griff war mit der hinaus gesprungen, habe geschaut, Kerbler ist nichts passiert! Hab’ ich
linken Hand nach der Nullacht. Wir sehe nichts, da ist’s dunkel gewesen, mir gedenkt, ja bitte, das wär’ durchaus
haben ja die Taschen offen gehabt aber so Silhouetten sieht man auch möglich. Da ist oben der First und da
und gezogen, jederzeit aktionsbereit, im Dunkeln, wenn man nach oben sind Rofen, Sparren sagt ihr, und das
zieh’s heraus und sitz’ da im Heu, und schauen kann. Und ich hab’ mich sind Ganzlinge bei uns, das sind ja
hör’ von draußen nichts. Der muß ein draußen niedergekniet, damit ich Mordstrümmer, weil viel Schnee ist im
Gefühl gehabt haben, der Kerbler! Er tief bin, und schau und sehe nichts! Winter! Wenn sie da obi schießen, und
leuchtet mir, ich hab’ von ihm nichts Nullacht in der Hand, Sturmgewehr er erratet’s, genau unter so einem Rofen
gesehen, so a bissl verschwommen nicht mitgenommen, weil der rechte zu liegen, dann tut’s ihm nichts, durch
die Augen … weil wenn man in die Arm nicht mehr funktioniert hat die Rofen kommen die Kugeln nicht
Taschenlampe hineinschauen muß, – barfuß …! Immer der Meinung, durch. Aber uns trifft’s, die Schindeln
sieht man nichts, was dahinter steckt. die Italiener sind da irgendwo, sind schießen s’ durch! Ich hab’ dann
Ja, und wirklich, ich hab’ seine Hände oben vorgegangen, haben einfach gewartet, bis es angefangen hat, leicht
nicht gesehen und auch keine Pistole blindwütig durchs Dach geschossen! grau zu werden und hab’ mir gedacht,
in seiner Hand … Aber er hat auf den Das haben sie öfter getan, bei einer so, jetzt mußt weg … aber weit
Luis drei Schuß geschossen und mir Streife blind wo hineingeschossen, kommst nit! Hab in einem Schuppen,
drei, hat anscheinend – die Beretta in einen Schupfen oder so, und sind in einem Stall, da waren Kälber drin,
faßt nur sechs Schuß im Magazin und wieder zurückgetreten. Da werden da bin ich hineingegangen, und habe
einen im Lauf – aber wahrscheinlich sie schon sein! Und ich hab’ noch mir eine Zigarette angezündet. Ich
hat er nur das Magazin voll gehabt. einmal zurückgerufen, mir nach, in hatte ein Jagerhemd an mit Tasche,
Jetzt war der ausg’schossen, denn wenn die Schlucht. Ich hab’ das Gelände da hab’ ich Feuerzeug und Zigaretten
84
er mir in die Brust hineinschießen gut gekannt und hab’ es ausgesucht, drin gehabt … Hab dann extra
inhaliert und die Luft angehalten und
hab’ mir gedacht, wenn die Lunge
durchgeschossen ist, dann muß der
Rauch beim Loch herausgehen. Es hat
aber überhaupt nicht, und ich hab’
gedacht, Herrgott, noch einmal, es
muß aber. Ich war ja fünf Jahre bei den
Sturmpionieren … Hab’ mir gedacht,
so jetzt mußt abhauen, die Walschen
dürfen dich nicht kriegen, weder
lebend, noch tot! Wenn es sonst nicht
geht, dann verschliefen (verkriechen),
irgendwo! So bin ich dann getippelt
so langsam, schön in aller Ruhe
gegangen, es war kein Vergnügen,
quer bergein zu hatschen, barfuß.
Und unten sind sie dann wirklich
aufgefahren, aufgefahren, aufgefahren,
kolonnenweise, nur so zu dreißig,
vierzig LKW, Panzerspähwagen,
Hubschrauber. Ich hab’ sie schön
beobachtet …“

Jörg Klotz hatte den Mordanschlag


überlebt, in einem Gewaltmarsch von
42 Stunden konnte er sich über die
Gletscher auf Nordtiroler Seite retten,
mit der Kugel als Beweisstück in
seinem Körper! Diese Leistung bleibt
ein Vermächtnis.

Eva Klotz, „Georg Klotz, Freiheitskämpfer


für die Einheit Tirols“, Molden Verlag, Wien,
2002, S. 210 ff.

Foto: 44 Bild - Jörg Klotz.JPG


85
Heldenzeit.

Andreas Hofer, Sandwirt in Passeier, Josef Speckbacher, der Taktiker im Kampf,


Er ist ein Vorbild für unser Land. Als „Mann von Rinn“ hat man ihn gekannt.
Als Oberkommandant galt sein Einsatz, In der Sachsenklemme hat er den Feind,
Für Gott, Kaiser und Vaterland. Mit voller Kraft in den Eisack gerammt.

Joachim Haspinger, Feldpater im Kampf, Peter Mayr, der Wirt an der Mahr,
Ein wahrhaftig glorreicher Held. Bekannt für Wahrheit und für Recht.
Am linken Flügel des Bergisels, An der Spitze des Tiroler Landsturms,
Führte er die Schützen ins Feld. Stand er furchtlos mitten im Gefecht.

Ihr Söhne der Freiheit von Anno Neun, Tiroler Schützen, mutig, stolz und frei,
In die Schlacht gezogen für Volk und Land. Ihr Schlachtruf war „Tirol AUF!“
Freiheitskämpfer in dieser Heldenzeit, Siegeswillig standen sie bereit,
Euer Geist lebt weiter in alle Ewigkeit. Nahmen den Tod für die Freiheit in Kauf.

Rupert Wintersteller, aus dem Leukental, Ihr Sohne der Freiheit,


Sein Dorf abgebrannt durch den Franzos. von 1809.
Den Volksaufstand hat er tapfer angeführt, Freiheitskämpfer,
Für sein Tal stand er treu und beispiellos. In die Schlacht gezogen für Volk und Land.

Leopold Wieser

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51 Defregger - Der Kriegsrat Andreas Hofer.jpg
Die Schützenfahne.

Weiß und grüne Schützenfahne


Mit dem Adler purpurrot,
Der den stärksten seiner Brüder
Trotzig seine Stirne bot,
Flattre mit der weißen Seide
Schützen lockend durch das Thal,
Und mit Deiner goldnen Lanze
Fang’ den ersten Sonnenstrahl.

Schwing’ die Fahne, Fahnenträger,


Mit der sehnenstarken Hand;
Wer nicht folgt dem heil’gen Banner,
Hat kein Herz für dieses Land.

Zieh’ voran bei unsern Festen,


Froh ist der Tiroler Sinn,
Knüpf’ die Herzen fest zusammen,
Jeden Streits Vermittlerin!
Ruft Tirol, zeig’ dem Feinde
Deine Farben hell und rein –
Denn du kannst zerrissen werden,
Doch beschmutzt kannst du nicht sein.

Hermann von Gilm zu Rosenegg,


geb. 1812 in Innsbruck, gest. 1864 in Linz.

Foto: 47 28 Fahne SK Taufers Thomas Walch.jpg

89
Südtirol in Ketten.

Das Unrecht wird besiegelt, Der Umzug am Blutsonntag,


Im Londoner Geheimvertrag. Geht in die leidvolle Geschichte ein.
Italien bekommt sein Beutegut, Faschisten werfen Handgranaten,
Nach heimtückischem Verrat. In die hilflose Menschenmenge rein.
Südtirol wird von Österreich gerissen, Beim Versuch, ein Kind zu retten,
Was folgt ist die Besatzungszeit. Wird ein Lehrer erschossen.
Die Selbstbestimmung wird verweigert, Der Marlinger Franz Innerhofer,
Und das Land, es bleibt geteilt. Muss als erster sein Leben lassen.

Noch immer liegt Südtirol in Ketten, Mussolini übernimmt die Macht,


Vom Besatzer in die Knie gezwungen. Es folgt Unterdrückung und Tyrannei.
Man kann nicht ewig trennen, was zusammengehört. Die deutsche Schule wird verboten,
Volk von Südtirol, nimm deine Zukunft in die Hand. Für uns Tiroler eine schwere Zeit.
Im Widerstand wird Josef Noldin
Ins ferne Italien verbannt.
An den Folgen stirbt er später,
In Salurn, im deutschen Unterland.

Georg Nössig

Foto: 55 Postkarte - 1000 zerrissene Tiroler


Fahne .jpg

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Faschistendenkmal.

In Bozen steht es hässlich, Einzigartig in Europa,


Ist Italiens ganzer Stolz. Siegesdenkmal genannt.
Uns Tiroler schmerzt es sehr, Für die Verherrlichung des Faschismus,
Trifft uns im Herz. Weltbekannt.
Von der Inschrift schwer beleidigt, In Deutschland wurden Nazidenkmäler
Zur Schmach des Volks gebaut. Nach dem Krieg entfernt.
Steht es hier und zeigt noch immer, Italien hat aus der Geschichte
Dass sie uns das Land geraubt. Wieder mal nichts gelernt!

Gefördert von Italien, Relikte des Faschismus,


Mit Steuergeldern renoviert, Sind in ganz Südtirol zu sehn.
Glaubt man, dass der Duce hier regiert. Am Gerichtsplatz winkt der Duce,
Wir werden dafür stehn, Hoch zu Ross.
Der Tempel, der soll untergehn. Hunderttausende Abessinier,
Wurden mit Giftgas ausgelöscht.
Gefördert von Italien, Der Kapuziner Wastl in Bruneck,
Mit Steuergeldern renoviert, Steht für kolonialen Völkermord.
Glaubt man, dass der Duce hier regiert.
Kein Stein soll bleiben, Julius Weyprecht / Georg Nössig
Der unsere geliebte Heimat teilt.
Foto: 48 siegesdenkmal_bozen Kopie 02.jpg

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52 1899 Der Rosengarten.jpg

94
Mein Vaterland.

Der Wiesen Grün, der Gletscher Eis,


Das dir entgegenschaut,
Der kahle Felsen himmelhoch,
Auf dem der Adler baut;

Der Wälder stille Dämmerung,


Der Seen tiefes Blau,
Die Flur, im Morgensonnenschein
Gelabt vom frischen Thau.

Und ruft das liebe Vaterland


In Tagen der Gefahr,
Da spannt er seine Schwingen aus
Des Berglands kühner Aar:

Fragst du mich um mein Vaterland?


Es sei dir kundgemacht:
Es ist das schöne Land Tirol
In seiner Berge Pracht.

Wenn alles dies dein Auge sah,


Dann nenne mir ein Land,
Wo sich so edler Blumen Zier
Zum Ehrenkranze wand.

Auf stolzer Höh und tief im Grund


Ein Volk auch heute lebt,
Das, treu der Ahnen biedrer Art,
Nach Heldentugend strebt.

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Josef Maschler, geb. 1861 zu Glurns.
Für Großvater.

Mein Großvater, in Ehrfurcht denke ich an dich,


Deine Taten für unser Land prägten mich.
Trotz Unterdrückung standest du deinen Mann,
Deinen Willen trage ich voran.

Oh Land Tirol, Land meiner Väter,


Durch die Unrechtsgrenze in zwei geteilt.
Von Kufstein bis Salurn, lasst die Fahne wehn,
In Einheit will ich meine Heimat sehn.

In Erinnerung steh ich heut vor deinem Grab,


Bestimmt siehst du auf dein Vaterhaus herab.
Auch wenn die Heimat unter fremder Herrschaft steht,
Ich kämpfe für die Freiheit, folge deinem Weg.

Mein Großvater, ich weiß, wir müssen es schaffen,


Die Farben weiß und rot dürfen niemals verblassen.
Zuversichtlich sehe ich nach vorn und bleib dabei,
Die Gerechtigkeit wird siegen, Süd-Tirol wird frei.

Georg Nössig

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Foto: 49 42 Postkarte Gott schütze
unser Alpenland Kopie.jpg

97
Sepp Kerschbaumer.

Im Herzen von Europa im Tirolerland,


Hatte ein junger Bursche keinen guten Stand.
Gegen Faschismus erhob er seine Hand,
Und wurde dafür nach Potenza verbannt.

Nach Kriegsende formierte er den Widerstand.


Allen Tirolern war der gläubige Kaufmann bekannt.
Ihm und seinen Kameraden gehörte die Nacht,
Handelte im Freiheitskampf stets bedacht.

Sepp Kerschbaumer, Kämpfer für sein Recht,


Er wollte nicht mehr leben wie ein Knecht.
Aufrecht führte er seine Männer gekonnt,
Im Befreiungsausschuß an vorderster Front.

Fürs Los von Italien hat er Masten gesprengt,


Wurde vom Feind gefoltert, in den Knast gesperrt.
Vor Gericht übernahm er die ganze Schuld,
Der Familienvater trug diese Last mit Geduld.

Hinter Kerkermauern ging seine Kraft zu Ende,


Legte sein tapfres Leben in Gottes Hände.
In Frangart wurde er zu Grab getragen,
Tausende Tiroler hörte man weinen und klagen.

In Frieden und Freiheit wollte er in Österreich leben,


Für ein vereinigtes Tirol! Dafür galt sein Streben.

Leopold Wieser

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Foto: 54 256 Postkarte Kerschbaumer.JPG
99
100
Der rothe Tiroler Adler.

Adler! Tiroler Adler!


Warum bist du so roth?
Ei nun, das macht, ich sitze
Am First der Ortlerspitze,
Da ist‘s so sonnenroth,
Darum bin ich so roth.

Adler! Tiroler Adler!


Warum bist du so roth?
Vom rothen Sonnenscheine,
Vom rothen Feuerweine,
Vom Feindesblute roth –
Davon bin ich so roth!

Adler! Tiroler Adler!


Warum bist du so roth?
Ei nun, das macht, ich koste
Von Etschlands Rebenmoste,
Der ist so feuerroth,
Darum bin ich so roth. Foto: 46 9_011 Postkarte Warum bist
du so roth.jpg
Adler! Tiroler Adler!
Warum bist du so roth?
Ei nun, das macht, mich dünket,
Weil Feindesblut mich schminket,
Das ist so purpurroth,
Darum bin ich so roth.

Johann Senn,
geb. 1792 in Pfunds im Oberinnthal, gest. 1837 in Innsbruck.
101
Heimat.

Heimat, das sind die Flüsse, die man kennt,


die man Inn und Eisack nennt.
Heimat sind der Ortler, der Schlern und die Königspitze.

Heimat, das sind Innsbruck, Bozen, Lienz,


das ist Bruneck an der Rienz.
Heimat, das sind Ambras, die Franzensfeste und Schloss Sigmundskron.

Heimat ist die Sprache, die man bei uns spricht,


die man in Nord, Süd, Ost versteht wie ein Gedicht.
Heimat, das ist unser Dorf, es habn unsre Vorfahren erbaut,
das sind unser Glaube, unsre Traditionen, dies ist uns vertraut.

Heimat, so wird alles Schöne von uns genannt,


sie ist unser Stolz für die Ewigkeit.
Heimat, das sind Seen, die Wiesen und die steilen Hänge.

Leopold Wieser

Foto: 50 15 Königsspitze Edward Theodore Compton.jpg

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Edward Theodore Compton: Königspitze
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Aufruf.

Einst strahlte auf den Gipfeln, Tiroler Volk erwache aus dem Schlaf,
Der Freiheit Sonne Glanz. Der dir nur Albträume gebracht.
Ein Land geeint in Freiheit, Dann wird schon bald unsre Heimat wieder frei.
Voller Kultur und Toleranz.
Los von dem uns fremden Staat,
Doch dann zog ein Sturm, Klang der Ruf aus Stadt und Tal.
Vom Süden her ins Land. Der Wille war die Freiheit,
Und hat der Freiheit Sonne, Doch der Welt war dies egal.
Durch schwarze Nacht verbannt.
Uns Tiroler zu vertreiben,
Was folgte war die Teilung, Dem Feinde nicht gelang.
Unterdrückung und Gewalt. Hoffnungsvoll ging’s in die Zukunft,
Doch das Volk ließ sich nicht beugen, Für die Heimat Hand in Hand.
Fand in der Heimat Halt.
Als das alles nichts half,
Tiroler Volk erwache aus dem Schlaf, Schläferten sie uns mit Wohlstand ein.
Der dir nur Albträume gebracht. Fast wäre es gelungen,
Damit schon bald auf unsern Gipfeln, Doch nicht alle schliefen ein.
Die Sonne wieder lacht.

Frei nach Julius Weyprecht.


Foto: 45 Vorentwurf Tirolia_und_Austria.jpg

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Patriot.

Schon früh erkannte ich in meinem Leben,


Dass ich andre Werte vertrete.
Liebe zu meiner Heimat,
Und nicht zu diesem Staat.
Der uns früher schon enttäuschte,
Es auch jetzt nicht lassen kann.
Da bin ich doch zehnmal lieber, der Mann,
Auf den man mit dem Finger zeigen kann.

Das ist mein Leben,


Nicht so zu sein wie ihr.
Ich bin stolz auf meine Heimat,
Auf das ganze Land Tirol.
Das ist mein Leben,
Nehmt mich wie ich bin.
Ich werd mich niemals ändern, Foto: 53 1921 Zur Erinnerung an die erste Wahl nach de
Geb meinem Leben einen Sinn, Annexion ausgeschnitten.jpg
Meinem Leben einen Sinn.
56 Schlußwort
Stolz und frei geh ich meinen Weg, 57 Inhaltsverzeichnis
Lasst uns alle singen.
Stolz und frei ist unser Land,
Von Kufstein bis Salurn.
Was unsre Väter schufen,
Ist noch lang nicht tot.
Ich bin und bleib mein Leben lang,
Patriot!

Anton Stockner

106
er

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Schlusswort.

Das vorliegende Sammelwerk enthält zum Teil literarische Texte,


zum Teil authentische Zeitzeugenberichte. Sowohl die geschliffene
Sprache der Literatur mit ihren heute manchmal antiquiert klingenden
Formulierungen als auch die oft etwas unbeholfene, holprige Sprache
der Zeitzeugen sprechen uns unmittelbar an und versetzen uns
in die jeweilige Zeit. Es wird greifbar, wie das Jahr 1809 von den
nachfolgenden Generationen aufgefasst und verarbeitet wurde; wir leben
und bangen mit unseren Landesverteidigern im Ersten Weltkrieg; die
folgenden bitteren Jahre der faschistischen Unterdrückung, der Option
und der unvermindert anhaltenden Diskriminierung nach dem Zweiten
Weltkrieg sind wieder da, als wäre es gestern gewesen; wir leiden mit den
Gefolterten und Ermordeten der 60er-Jahre.
Dieses Sammelwerk spricht aber nicht nur Emotionen an, sondern
es ist auch ein geschichtliches Lehrwerk. Das Buch verschafft uns
einen direkten, unmittelbaren Zugang zu unserer Geschichte, es lässt
wesentliche, für das Schicksal unseres Landes besonders wichtige
Ereignisse wieder aufleben.

Geschichte sollte man aber nicht nur kennen, sondern man sollte aus
ihr auch etwas lernen. Wer die Texte dieses Buches mit offenem Herzen
liest, wird erschüttert sein über das viele Leid, über Blut und Tod, Folter
und Ungerechtigkeiten, das durch Machtgier und Überheblichkeit,
durch skrupellose Eroberer und menschenverachtende Ideologien in
den letzten 200 Jahren über unser Land gebracht wurde. Wir sollten
daraus lernen, dass wir uns nicht mit einem vielleicht vorübergehenden
Wohlstand abfinden, sondern aktiv gegen Ungerechtigkeit und
Präpotenz und für eine bessere Zukunft kämpfen sollten, und zwar
kämpfen mit Zivilcourage und Einsatz, nicht mit Gewalt, sondern mit
Herz und Verstand.

Nikolaus Mayr 109


Inhalt

Vorwort . 3 Die Unterdrückung in vollem Gange. 62


Der Tiroler Pfarrer. 64
Freiheitskampf 1809 Die Verwüstung in der Jungsaat. 65
Andreas Hofer und das Jahr 1809. 4 Ermordete Tiroler. 66
Erste Bergiselschlacht. 6 Der Schrecken der Dörfer. 68
Kaiser Erzherzog Johann. 8
Sachsenklemme. 10 Freiheitskampf 1961
Schwaz in Flammen. 14 Das Gespenst im Gerichtssaal. 70
Unter Napoleons Fremdherrschaft. 16 Luis Amplatz zwei Wochen im Arrest. 72
Wunderbare Lebensrettung. 18 Festzug in Innsbruck. 74
Blutzeugen von 1809. 20 Knüppelsonntag 1960. 76
Der letzte Brief Andreas Hofers. 24 Beleidigung der italienischen Streitkräfte. 77
Die Adlerwirtin, ein Vaterunser. 26 Aufruf zur Feuernacht. 78
Felsen der göttlichen Hilfe. 30 Ich war kein Mensch mehr. 79
Ich hab niemand gesehen. 81
Die Tiroler Front 1915-1918 Jörg Klotz. 83
Auf Patrouille. 32
Der Harnisch Tirols. 34 Patriotische Gedichte
Erschlagen von den weißen Würgern. 36 Heldenzeit. 86
Feuertaufe des Standschützenbataillons Enneberg. 38 Die Schützenfahne. 89
Den Vorfahren von 1809 nicht nachgestanden. 40 Südtirol in Ketten. 90
Tiroler Bauern Anno 1915. 42 Faschistendenkmal. 92
Der rettende Handstreich. 44 Mein Vaterland. 95
Wir gehen nicht. 46 Für Großvater. 96
Sepp Kerschbaumer. 98
Tirol unterm Beil Der rothe Tiroler Adler. 101
Entschließung bei der Kundgebung. 48 Heimat. 102
Herz-Jesu-Sonntag 1920. 50 Aufruf. 105
Nach Ende des Ersten Weltkriegs in Südtirol. 54 Patriot. 106
Der Blutsonntag. 56
111
Interview mit einer Katakombenschülerin. 58 Schlusswort. 109

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