DIPLOMARBEIT
ZUR ERLANGUNG DES MAGISTERGRADES
AN DER FAKULTÄT FÜR HUMAN- UND SOZIALWISSENSCHAFTEN
DER UNIVERSITÄT WIEN
VORWORT
Im Gedenken an:
meinen Vater FRANZ, der mich das Denken lehrte
meine Urgroßmutter PHILOMENA KLINC und meine Tante STEFANIE REGORSCHEK,
die mich von klein auf in die Welt der selbstständigen Frauen führten
meine starken und eigensinnigen Großmütter CHARLOTTE-ELISABETH und
GISELA, die immer zu mir standen.
-I-
INHALTSVERZEICHNIS
2. THEMENSTELLUNG
2.1. EINLEITEND 9
2.1.1. ETHNOHISTORISCHE ARBEITSWEISE 9
2.1.2. DER INTUITION FOLGEN 10
2.1.3. BEGRIFFSBESTIMMUNGEN 11
2.1.4. DER STAND DER FORSCHUNG 12
5.1. VORBEMERKUNGEN 91
5.1.1. VOM SOZIOKULTURELLEN UND ÖKONOMISCHEN RAUM 91
5.1.2. ZUM ZENTRUM 92
9. SCHLUSSFOLGERUNGEN
ich damals über Favelas wusste, war minimal - und von den gängigen
Vorurteilen geprägt: Armenviertel ohne Infrastruktur, schreckliche
Verhältnisse, es wird von Gewalt, Drogen und Prostitution gesprochen -
vorwiegend dunkelhäutige Bevölkerung. Für mich war die Gefahr aber
nicht so real, ich dachte, wenn wir jemanden besuchen, ist das schon in
Ordnung. Ich überredete Célia und sie willigte nur unter der Bedingung
ein, dass uns Januário - gemeinsamer lieber Freund von uns und Dona
Ivete - hinauf begleitete.
Wir machten uns einen Termin aus und nahmen mit ihm die Metro
Richtung Zona Norte, nach Tijuca.
Rio de Janeiro ist in zwei Gebiete geteilt - die Zona Sul, wo die
weltberühmten Strände von Ipanema und Copacabana liegen, wo der
Lebensstandard mit einem mittel-europäischen zu vergleichen ist, wo in
den Geschäften vorwiegend hellhäutige BrasilianerInnen arbeiten und die
Mehrheit der Bevölkerung aus Mailand stammen könnte. Und Zona Norte,
wo kaum Touristen hinkommen, keine Sehenswürdigkeiten und keine
verlockenden Boutiquen zu finden sind, wo die Metro nicht in Marmor
sondern in einfachen Fliesen gehalten ist - und die Mehrheit der
Bevölkerung «echt» brasilianisch aussieht - gemischt.
Endstation Zona Norte. Von dort ging es dann weiter zu Fuß, vom
belebten Hauptplatz weg eine lange Straße entlang, den Berg hinauf.
Immer weniger Leute waren zu sehen, die Häuser wirkten schmutziger,
es wurde immer einsamer. Irgendwann stieg die Straße besonders steil
an und machte eine - uneinsichtige - Kurve. Darüber lag der Morro - ein
grüner Hügel. Ein hellrotes Kreuz leuchtete auf seinem Gipfel - es
erinnerte mich an die glitzernden Heiligenschreine, die in Neapel an jeder
Häuserecke zu finden sind. Später erfuhr ich die Bedeutung: das rote
Kreuz ist das eindeutige Zeichen, unter wessen Schutz die Favela steht -
in einem ganz irdischen Sinne. Denn der Morro do Salgueiro ist, wie
angeblich alle Favelas, ein Ort der Drogenkriminalität - so die
herrschende Meinung - und steht unter der Kontrolle einer bestimmten
Drogenbande. Wir gingen die Straße weiter, an einer fast leeren Bar
vorbei. Ein Mann sah uns vorbeigehen, kam heraus, hastete zu einer
-3-
”Ich bin jetzt siebenundzwanzig - und habe schon viele Hürden überwunden. Die
erste habe ich mit drei Monaten übersprungen, da bin ich nicht an einer der
ersten Kinderkrankheit gestorben. Die nächste war mit sechs Jahren überwunden:
ich war nicht an Unterernährung zugrunde gegangen. Ich habe die Hürde des
Analphabetismus überwunden und mir einen Schulplatz erkämpft, trotz der Armut
meiner Familie. Ich habe lesen und schreiben gelernt und zu Hause die normalen
Aufgaben eines schwarzen Mädchens erfüllt: kochen, putzen, auf die Geschwister
aufpassen… Mit vierzehn konnte ich schon stolz sein: ich war nicht
drogenabhängig, noch prostituierte ich mich, und vor allem: ich war noch am
Leben. Mit neunzehn habe ich die Schule abgeschlossen - allen Hindernissen zum
-5-
Trotz - und mir sogar ein Stipendium für die Universität erkämpft. Im
Studentenheim musste ich um Anerkennung kämpfen… und so ging es weiter bis
heute. Mein Kampf ist der der schwarzen Brasilianerin" (Vilma Reis, Salvador -
FTB 1999).
„Wir haben dieses Projekt gesehen - und da mussten wir einfach was tun" sagt sie bis
heute.
Wenige Tage nach unserer Rückkehr nach Österreich bekommen wir ein
Päckchen vom ORF: der Live-Mitschnitt von Célia Maras Konzert im Radio
Kulturhaus - anlässlich der Benefizgala Jazz for Kosovo. Célia hatte
speziell für diesen Abend ein Programm der «Menschenrechte»
zusammengestellt, politische Lieder aus dem Brasilien der Militärdiktatur.
Was lag also näher, als von diesem Live-Mitschnitt eine CD zu
produzieren, den Reinerlös dem Projekt zu widmen und gleichzeitig das
Projekt der Dona Ivete einem breiteren Publikum näher zu bringen.
Die Idee war gut - die Umsetzung wesentlich komplexer, als geplant. Eine
Low-Budget CD-Produktion verlangt viel Improvisationsfreude, den
Gutwill aller Beteiligter und viel Bewegung. Wir produzierten die CD,
nannten sie «necessário» - notwendig - und bereiteten die Vermarktung
vor. Die CD-Präsentation sollte gleichzeitig die öffentlichen Vorstellung
des Projektes von Dona Ivete in Österreich sein.
Dann galt es die Spendenaktion zu organisieren. Als Partner sprachen wir
die Caritas Auslandshilfe an - sie würden die Spendengelder verwalten
und über die Caritas in Rio an das Projekt weiterleiten. Auch wollten wir
ihre Öffentlichkeitskanäle nützen, um so eine größtmögliche Wirkung für
unsere Arbeit zu erzielen.
Es gelang uns auch, Christine Hochsteiner einzubinden. Sie stand ja seit
Jahren in Kontakt mit Dona Ivete, hielt ethnologische Vorträge über das
Leben der Frauen in der Favela und sammelte auch immer wieder
Spenden für das Projekt. Außerdem verfügte sie über Fotos aus der
Favela, die sie gerne ausstellen wollte. Den Herbst 1999 verbrachten wir
mit der Produktion der CD und der Vorbereitung der Präsentation, die im
Dezember stattfinden sollte.
Wir hatten das ORF-Radiokulturhaus als Veranstaltungsort gewählt; dort
war die CD aufgenommen worden. Die Verbindung zwischen einer CD-
Präsentation und einem Sozialprojekt herzustellen, ist nicht ganz einfach.
Aber - es gelang gut. Mit Projektionen schufen wir ein «Favela-Gefühl»-
Christine Hochsteiners Dias und Fotos waren unsere Bildkulisse. Der
-7-
1.4. ERWACHEN
Die Pressearbeit für das Projekt Nika Jaina zwang mich zu einer
tiefergehenden Auseinandersetzung mit Brasilien. Die Favela-Problematik,
Fragen zur Diskriminierung der schwarzen Bevölkerung, der in Brasilien
offensichtliche Rassismus, der überall anzutreffende Sexismus, die
ungerechte Ökonomie, die Kultur - all das beschäftigte mich - und ich
vertiefte mich immer mehr in die Thematik.
Arbeit hatte ich in dieser Zeit mehr als genug, an Beschäftigung fehlte es
mir nie. Beruflich war ich ausgelastet - und eigentlich zufrieden.
Aber da gab es noch etwas - mein Ethnologinnenherz. Und das füllte sich
von Tag zu Tag mehr mit Brasilien, Rio, dem Morro do Salgueiro, Dona
Ivete und Nika Jaina.
Im Mai 2000 schrieb ich mein erstes, vorläufiges Konzept zu meiner
Diplomarbeit, damals mit dem Thema «Ethnologie und
Öffentlichkeitsarbeit - am Beispiel Nika Jaina». Ich wollte mich mit
effektiven Kommunikationsmöglichkeiten für entwicklungspolitische Arbeit
auseinandersetzen - aber das Konzept blieb viele Monate unbeachtet im
Kasten liegen.
Im Dezember 2000 reiste ich wieder nach Rio - mit dem Ziel, das
Ausbildungsprojekt Nika Jaina filmisch zu dokumentieren. In der
Zwischenzeit hatte ich mich in die brasilianische Ideen- und
Wissenschaftsgeschichte eingelesen, Rassismus kristallisierte sich als
essentielles Thema für Brasilien und das Verständnis der afro-
brasilianischen Bevölkerung heraus. Damals sah ich das noch in Hinblick
-8-
2.THEMENSTELLUNG
2.1. EINLEITEND
Diese Diplomarbeit entstand aus dem Bedürfnis, Brasilien und seine
Menschen zu verstehen. Sie ist daher sehr persönlich gehalten. Sie ist
untrennbar mit der Geschichte der Dona Ivete, die durch ihren persönlichen
Einsatz, ihren Glauben und ihre Kraft das Leben vieler Menschen zum
Positiven verbessert hat, verbunden.
Die Hoffnung auf Veränderung, die ich in einem Selbsthilfeprojekt in einer
Favela von Rio entdeckt habe, möchte ich meinen LeserInnen begreifbar
machen.
„To me, what ethnohistory is all about, is the crossing of boundaries, of time
and space, of discipline and department, and of perspective, whether ethnic,
cultural, social or gender based“ (Brown 1991:115f. in Wernhart, Zips
1998:19).
Dadurch lässt sich eine Analyse der aktuellen brasilianischen Sozialstruktur
ebenso wie jene der «afro-brasilianischen» Kultur ableiten.
„Es geht um die Untersuchung historischer Prozesse, die durch die Dialektik
von Handlungsbedingungen [Strukturen] und Praktiken der Akteure ihre
jeweilige Ausprägung in einer konkreten zeitlichen und räumlichen Dimension
erfahren“ (Wernhart, Zips 1998:22).
Zum besseren Verständnis der komplexen Zusammenhänge werde ich die
Mechanismen von Ausgrenzung sowie Missstände und Denk-Fehlverhalten,
die nicht nur Brasilien betreffen, sondern auch hier in Europa traurige
Aktualität haben, immer wieder in Erinnerung rufen.
Da Rassismus ein endloses Feld der Forschung ist - ob in Brasilien oder
anderswo - werde ich mich nur kurz mit jenen allgemeinen Theorien hiezu
- 10 -
sozialer Arbeit anzunähern und meinen Platz als Ethnologin und als
projektunterstützende Öffentlichkeitsberaterin - im konkreten Fall als
Filmemacherin - zu definieren. Ich setze ein Puzzle aus den vorgefunden
Elementen zusammen, reihe meine Erfahrungen aneinander (Kapitel 5).
Das Kapitel «Nika Jaina - die Göttin im Friseur-Salon?» versucht die
Zusammenhänge zwischen einem konkreten Ausbildungsprojekt und seiner
Einbettung in das religiös bestimmte Weltbild der Dona Ivete aufzuzeigen
(Kapitel 6).
Anhand der Lebensgeschichte der Dona Ivete, ihrer Taten, Zeichen und
Anspielungen werde ich versuchen, ein lebendes Bild einer Mãe-de-Santo
des Umbanda in einer Favela aufs Papier zu bringen und mich mit Umbanda
im sozialen Kontext der Armut auseinandersetzen (Kapitel 7).
Dem Auftrag der Dona Ivete - ihrem spirituellen und sozialen Zugang -
werde ich besondere Aufmerksamkeit widmen. Als Mãe-de-Santo in einer
Favela in Rio lebt sie in der Welt der Ausgegrenzten, verkörpert die Kultur
der Ver- und Missachteten. Sie verändert jedoch durch ihr religiöses und
soziales Handeln nicht nur ihre Mitmenschen, sondern ist darüber hinaus
anerkanntes Symbol für die Kraft afro-brasilianischer Kultur. In diesem Licht
will ich ihre Arbeit beleuchten und sie in den Kontext der brasilianischen
Gesellschaft stellen. Wichtig erscheint in diesem Zusammenhang ein Blick
auf die Sozialpolitik Brasiliens (Kapitel 8).
Im Kapitel 9 stelle ich meine Schlussfolgerungen dar. Ich versuche meinen
LeserInnen, im Rahmen von 450 Jahren komprimierter, afro-brasilianischer
Geschichte, die Bedeutung des Selbsthilfeprojektes Nika Jaina - Ausbildung
zur Afro-Friseurin zu vermitteln.
2.1.3. BEGRIFFSBESTIMMUNGEN
In der Auseinandersetzung mit Brasilien bin ich, wie die meisten sich mit
Brasilien auseinandersetzenden WissenschafterInnen, auf mehrere
terminologische Schwierigkeiten gestoßen.
Zentrales Thema in der Analyse von Sozialstruktur ist der Begriff raça,
Rasse, der in der brasilianischen Diskussion unhinterfragt bleibt. Da ich sehr
viel mit brasilianischen Quellen arbeite, mich auch mit historisch
- 12 -
1.
1
1. Albert Memmi «le racisme» erschien erstmalig 1982 bei Gallimard, Paris.
- 15 -
„Der Rassismus ist ein pervertiertes Gefühl, er ist das Resultat, der Ausdruck
und die Stütze einer tatsächlichen Situation, die geändert werden muss,
wenn man den Rassismus zurückdrängen will” (Memmi 1992:207).
Dieses «totale» Phänomen des Rassismus in Zusammenhang mit
Unterdrückungsmechanismen wird, im konkreten Beispiel Brasilien, immer
wieder in meine Arbeit einfließen und der Analyse von bestehenden
Mechanismen dienen. Auch werde ich immer wieder auf den von Memmi
bereits angedachten Ansatz des institutionellen Rassismus zurückkommen,
den er wie folgt beschreibt:
„Die rassistische Ideologie hat eine Reihe zusätzlicher Merkmale. Weil sie
einen Prozess der Rassenkonstruktion voraussetzt, hat sie, erstens, einen
dialektischen Charakter: In der Repräsentation des Anderen spiegelt sich
zugleich das Bild des Selbst. Der Rassismus ist eine Repräsentationsform, die
Gruppen von Menschen gegeneinander abgrenzt und zwangsläufig als eine
Ideologie der Ein- und Ausschließung funktioniert. Aber anders als im Prozess
der Rassenkonstruktion, wo Personen etwa durch die Bedeutung der
Hautfarbe zugleich ein- und ausgeschlossen werden, funktioniert der
Rassismus als ein Spiegel, in dem die negativen Merkmale des Anderen als
positive Merkmale des Selbst zurückgeworfen werden. Rassismus setzt also
Rassenkonstruktion voraus, geht jedoch darüber hinaus, indem er explizit
negativ bewertete Elemente benutzt” (Miles 1989:359).
- 18 -
Weiter schreibt Miles, dass Rassismus einen Anspruch als Theorie und Lehre
erhebt - Rassismus erklärt mehr oder weniger kohärent und logisch, ein
Weltbild. Als «praktisch adäquat» -
„[...] der Begriff «institutioneller Rassismus» bezieht sich also nicht auf
Ausschließungspraxen per se, sondern nur auf solche, die durch einen nun
abwesenden rassistischen Diskurs gerechtfertigt oder in Gang gesetzt wurden,
der mithin durch diese Praxen institutionalisiert worden ist” (Miles 1989:362).
Im nächsten Kapitel, unter 3.2 bis 3.4, werde ich mich auf Miles Spuren
begeben und den abwesenden, ja sogar durch die brasilianische
Gesetzgebung verbotenen rassistischen Diskursen, die Ausgrenzungspraxen
gegenüber der dunkelhäutigen Bevölkerung rechtfertigen, nachspüren.
„[...] weil der Kolonialismus eine systematische Negation des anderen ist,
eine blindwütige Entschlossenheit, dem anderen jedes menschliche Attribut
abzustreiten, treibt er das beherrschte Volk dazu, sich ständig die Frage zu
stellen: «Wer bin ich eigentlich?»”(Fanon 1981:210).
Frantz Fanon hat mit den «Verdammten dieser Erde», die 1961 erstmals in
Paris veröffentlicht wurden, einen revolutionären Ansatz in der Betrachtung
der eindeutig rassistischen Kolonialbeziehungen geliefert. Aus der Sicht
eines «Kolonialisierten» analysiert er die Auswirkungen der Kolonialpolitik
auf die Nationsbildung. Sein Ansatz ist für die brasilianische Diskussion ein
1.
3
1. race relations - ethnische Beziehungen innerhalb einer Gesellschaft - prägt die englische
Diskussion.
- 20 -
„Ich entwickle meine Analyse mit dem Schwerpunkt auf Rassismus, aber ich
untersuche auch das Verhältnis zwischen Rassismus und anderen Formen der
Differenzierung. Ich gehe dabei davon aus, das Rassismus, Ethnizität,
Nationalismus und Klasse geschlechtsspezifisch konstruierte Phänomena sind“
(Brah 1996:26)
Gemäß diesem Ansatz von Avtah Brah(1996) ist die komplexe Realität
Brasiliens zu analysieren - die Formen der Differenzierung sind vielfältig,
der Gender-Aspekt ist jedoch allen inhärent.
In diesem Sinne wird mich mein feministisches Selbstverständnis durch
meine Recherchen begleiten.
„Eine der Arten, wie sich der Feminismus selbst als Politik des täglichen
Lebens definiert und dabei die trennende Barriere zwischen der öffentlichen
und der privaten Sphäre niederreißt, besteht genau darin, das Wesen und die
Grenzen des Politischen im Verhältnis zum Persönlichen fortwährend neu zu
bestimmen“ (Minh-Ha 1996:148).
Und nicht zuletzt obliegt es mir, als weiße, europäische Frau, mich mit der
Herausforderung des Antirassismus auseinander zu setzen, meine eigenen
Rassenprivilegien kritisch zu hinterfragen. Erst dann kann ich rassistische
Strukturen wirklich erkennen und in ihrer Bedeutungsschwere begreifen.
Noch in den 60er Jahren wurde Brasilien von der UNESCO als das positive
Beispiel für einen multi-ethnischen Staat hervorgehoben - das
«Rassensystem» Brasiliens sollte als Beispiel für das harmonische
Zusammenleben von verschiedenen «Rassen» universelle Geltung erlangen.
Diese Aussage wurde liebend gerne von Brasiliens PolitikerInnen und
ForscherInnen aufgenommen und Slogan-artig wiederholt. Der Begriff der
«Rassen - Demokratie» sollte das brasilianische System kennzeichnen (vgl.
Borges Pereira 1995).
Wie es zu diesem Mythos gekommen ist, und inwieweit er die heutige
Situation der dunkelhäutigen Bevölkerung Brasiliens betrifft, möchte ich
anhand eines historischen und theoriengeschichtlichen Exkurses ins 19. und
beginnende 20. Jahrhundert darstellen. Dem Begründer des Begriffes -
Gilberto Freyre (1965[1933]) werde ich die ihm gebührende
Aufmerksamkeit widmen.
„Wir, die wir die Indios in unseren Wäldern, die Weißen in unseren Salons und
die Neger in unseren Küchen haben, müssen wissen, dass sie, ungeachtet
ihrer Ignoranz, unsere Forschungsobjekte sind” (Romero 1957:125).
Er spezialisierte sich immer mehr auf die Frage der Mestizen, um zu dem
Schluss zu kommen,
„Mit dem Beginn der Ära formaler Gleichheit der Individuen nach dem Ende
der Sklaverei und der Etablierung der republikanischen Ideen von Freiheit
und Gleichheit tauchen neue Konzeptionen der Aus- und Einschließung und
neue Stereotypen auf. Es war notwendig geworden, soziale Mechanismen zu
schaffen, die im Namen einer natürlichen Ungleichheit die Unterbringung der
Schwarzen in einem assymetrischen System von Positionen und Privilegien
erlaubten" (Schwarcz 1987:40 in Minihuber 1997:33).
Wir können daher in Brasilien die Ausbildung des Rassismus sehr gut in
Anlehnung an Memmis Theorie (1982) verfolgen. Das Ziel ist soziale,
- 29 -
„ Eine solche Konzeption, die sich von der Annahme starrer Rassengrenzen
löste, deren mögliche Überwindung ja den Kern der Branqueamento-Ideologie
ausmachte, erschütterte die theoretischen Grundfesten des Rassismus. Mehr
unabsichtlich als wissentlich die wissenschaftliche Basis rassen-hierarchischer
Konzeptionen zerstörend, übernahmen die brasilianischen Intellektuellen
dennoch die Schlussfolgerungen des wissenschaftlichen Rassismus, indem sie
die fixe Idee von der Superiorität der weißen Rassen beibehielten“ (Minihuber
1997:65).
Die Evolution vom Primitiven zum Höherentwickelten durch eine natürliche
Auslese ist die Basis des Branqueamento. Die brasilianische Gesellschaft
würde sich somit «aufweißen» und gleichzeitig «rassisch» aufwerten. Eine
Auslöschung der «negroiden» Züge, eine Aufhellung der Haut, eine
Glattwerdung des Haares wurden angenommen und angestrebt. Im
biologistischen Sinne steht das Branqueamento für die Aufhellung der Haut
aufgrund von Vermischung mit den «besseren, stärkeren, weißen»
Elementen. Im Jahr 1911, anlässlich des ersten Rassenkongresses in Rio de
Janeiro, vertrat João Batista Lacerda die These, dass Brasilien innerhalb
eines Jahrhunderts weiß sein werde (Lacerda 1911 in: Schwarcz 1996:178).
Diese Aussage wurde, lt. herrschender Meinung, als ein zu großzügig
bemessener Zeitraum angesehen (vgl. Schwarcz 1996:178).
Die Mestizierung wurde als Übergangsstadium verstanden, als letzte,
anstrebenswerte Konsequenz wurde das Verschwinden der schwarzen Rasse
propagiert. Aufgrund der angenommenen Überlegenheit der weißen Rasse
wurde eine Dunklerwerdung ausgeschlossen. Lacerda (1911) und Oliveira
Viana (in: Schwarcz 1996:178) propagierten diese These, verstärkt und
popularisiert wurde sie von Freyres «starken Genen der Portugiesen» (vgl.
Freyre 1965). Die Idee der Modernisierung Brasiliens über einen Prozess der
Aufweißung war schon bei dem Führer der Abolitionistenbewegung Joaquim
Nabuco (1849-1910) zu finden – der die Sklaverei als rückständige
- 31 -
„Brasilien, so kann man sagen, ist von den Schwarzen zivilisiert worden. Als
begabte Ackerbauern und Schmiede verwandelten sie den reichen Boden
Brasiliens, der bis dahin nur primitiv bearbeitet worden war. Bei seiner
Ankunft bereits Sklave, lebte der Neger ohne Namen, getrennt von seiner
Familie und von den Genossen seines Stammes, in der Anonymität der
Knechtschaft. Es gab keine sozialen Beziehungen mehr. Die Frauen, die wie
in Afrika auf den Plantagen und im Haus arbeiteten, erfüllten zusätzlich zu
ihrer wirtschaftlichen Rolle eine biologische, soziale und kulturelle Aufgabe
erster Ordnung“ (Ki-Zerbo 1981:233).
Brasilien war zu Ende des 19. Jahrhunderts immer noch eine patriarchale
Sklavenhaltergesellschaft. Hierarchien waren klar festgelegt, Macht, ob sie
nun göttlich, wirtschaftlich, politisch oder sozial war, hatte eine definierte
Hautfarbe: weiß - und ein Geschlecht: männlich. In seinem Roman Viva o
Povo Brasileiro beleuchtet João Ubaldo Ribeiro (1984) den sozialen Auf- und
Abstieg verschiedener Familien im Lichte der Hautfarben. Sehr eindrucksvoll
erzählt er vom Weg der Nachkommen der SklavInnen und jenem der
Sklavenhalter-Familien. Von den Anfängen Brasiliens bis ins 20. Jahrhundert
zeigt er Machterhalt bzw. Machtverschiebungen innerhalb einer «weißen»
Elite (den Nachkommen der Sklavenhalter-Familien) auf; er skizziert den
sozialen und ökonomischen Aufstieg der immer «weißer» werdenden
Mestizen und ihrer damit verbundenen Identitätsfrage und zeigt die
lebenslange Ausgrenzung und Diskriminierung der dunkelhäutigen
Nachfahren der SklavInnen auf (vgl. Ribeiro J.U. 1984).
Was Ribeiro in literarischer Form schildert ist der Prozess des
B r a n q u e a m e n t o s der Eliten – dem er die «Schwärze» der Armut
entgegenstellt. Diese geistige Verbindung zwischen Hautfarbe und sozialem
Status lässt sich bis heute in Brasilien finden und ist gerade hinsichtlich der
Frage der Selbstachtung der schwarzen Bevölkerung besonders zu
beachten.
- 33 -
„Über Jahrhunderte prägte die Sklaverei in den Köpfen der freien Brasilianer
das Bild, dass Menschen einer anderen Hautfarbe [schwarz] einfache Arbeits-
instrumente waren, zu vergleichen mit einem Lasttier, dass, sobald es
abgenützt war, ersetzt werden musste… und sobald es nur die geringsten
Zeichen von Müdigkeit gab und nicht arbeitete, als einzige Antwort die
Peitsche erhielt. Alles war sehr einfach für die Freien".
Ich möchte in diesem Rahmen noch einmal auf Joseph Ki-Zerbo(1981)
zurückkommen, der besonders auf die Vereinnahmung der schwarzen Frau
als Amme, manchmal als Ehefrau und oft auch als Mutter hinweist, die so in
das Herrschaftshaus, Casa-Grande einzieht - dies trotz zahlreicher
Endogamieverordnungen und sozialer Regeln, die die Schwarzen zwar
prinzipiell ausschließen, jedoch irgendwie versuchen, den Mangel an weißen
Frauen wett zu machen. Er sieht darin die
„Eine dieser, die Pionierleistung, wurde durch einen der alten Senatoren des
Imperiums, Vergueiro, einem der Begleiter der Unabhängigkeit, vollbracht.
Um 1850 erhielt er von der Regierung Unterstützung für die Immigration von
Fremden - vorwiegend Deutschen - für seine Plantage in Limeira, São Paulo.
Diese ersten Immigranten, die später als Colons bekannt wurden, arbeiteten
in einem lohnarbeitsähnlichen System - dem Pachtwesen. Aber angesichts der
Bedingungen, unter denen sie arbeiten mussten, den Schwierigkeiten mit
dem Klima, kam es schon 1857 zu einer blutigen Revolte. Des Experiment von
Vergueiro endete so, aber die Methode war gelernt. Die Plantagenbesitzer
der Region São Paulo, die die Sklaven schnell ersetzen wollten, übernahmen
den Methode”.
Die brasilianische Regierung, und im besonderen jene der Kaffee-Regionen,
begann verstärkt, deutsche und schweizer PlantagenarbeiterInnen ins Land
zu holen. Sie alle arbeiteten als parceiros - in Lehen- und Pachtsystemen,
die einen Übergang zur freien Lohnarbeit darstellen sollten.
Die soziale Hierarchie in Brasilien beruhte aber nicht nur auf der Hautfarbe,
sondern auch auf der ausgeübten Tätigkeit. Das Sklavensystem hatte die
Arbeitswelt ideologisch geprägt und körperliche Tätigkeit wurde automatisch
dem Sklavendasein zugeordnet. Die europäischen MigrantInnen sahen sich
daher, in der Plantagenwirtschaft, den selben Vorurteilen und v.a. der
selben Behandlung wie die Sklaven ausgesetzt. So war eines der großen
Probleme Brasiliens im Anheuern europäischer MigrantInnen, die
Gleichsetzung von Landarbeit mit Sklavenarbeit. Das Heydtsche Reskript,
vom 3.11.1859, welches die Auswanderung von Preußen nach Brasilien
- 38 -
aussterben wird - sich eben in der weißen Rasse auflösen wird. Andererseits
stellt das Branqueamento die Absolutheit von Rassenschranken in Frage.
Das Branqueamento setzt auf einem Prozess der Rassenkonstruktion nach
Miles (1989) auf, wo, Menschen aufgrund von bestimmten biologischen
Merkmalen sozialen Gruppen innerhalb der gesellschaftlichen Hierarchie
zugeordnet werden.
Gleichzeitig geht es aber über die Rassenkonstruktion hinaus, da das
Branqueamento mit Bedeutungskonstitutionen arbeitet, die das eine im
Spiegel des anderen zeigen. Das Branqueamento ermöglicht die explizite
Belegung des Schwarzen mit negativen Merkmalen und spiegelt sich in einer
positiven Darstellung alles Weißen.
Das Branqueamento ist nicht auf eine biologistische Ebene begrenzt, es
geht darüber hinaus und wirkt auch auf der Ebene der Kultur. Es ist daher,
nach Balibar (1989) als «totales soziales Phänomen» zu bezeichnen,
welches eine Vielzahl von Praxisformen umfasst, deren Ziel die Segregation
und Hierarchisierung ist.
Branqueamento steht für eine Übernahme weißer - europäischer - Werte
und die Verdrängung schwarzer - afrikanischer - Werte. Zwecks
Hierarchisierung der kulturellen Ausdrucksformen wurden diese mit
Bedeutungskonstitutionen belegt: primitiv versus zivilisiert, manuelle versus
intellektuell, heidnisch versus christlich, sexuell versus familiär, hässlich
versus schön, gewalttätig versus erfolgreich, faul versus dynamisch etc...
Die afrikanische Kultur, die den SklavInnen bereits mit der Peitsche
ausgetrieben wurde und deren Ausdrucksformen nur als folkloristische
Unterhaltung geduldet wurden, musste im Brasilien des Branqueamentos
verdrängt werden, um das angestrebte Ideal der Europäisierung der
brasilianischen Gesellschaft zu erreichen. Hier möchte ich nochmals den
eingangs zitierten Frantz Fanon (1981) in Erinnerung rufen, der einen
Prozess des kulturellen Branqueamentos in den afrikanischen Nationen
beobachtet hatte: er stellte die Übernahme der europäischen «weißen»
Werte durch die Eliten fest, erkannte die Überstülpung einer
eurozentristischen Kultur verbunden mit einer «Vertierung» -
Entmenschlichung der lokalen Kultur, Religion und Mythen.
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„In den 1920er Jahren begannen sich in Brasilien zunehmend soziale Gruppen
zu artikulieren, die am Pacto oligárquico der Ersten Republik nicht beteiligt
waren: Intellektuelle, Vertreter der Mittelschichten, Arbeiter, ja städtische
Randgruppen. Über synkretistische religiöse Kulte, Sambaschulen oder
Fußballvereine entstanden in den großen Städten neue Ansätze sozialer
Organisation, von Gemeinschaftsgefühl und von Identität" (Carvalho 1991:41
In: Zoller 2000:236).
Die junge Republik stand mit der Weltwirtschaftskrise von 1929 und dem
Zusammenbruch des Kaffeeweltmarktes vor einer großen, strukturellen
- 41 -
Krise - die Ökonomie des Landes brach zusammen. Dies und die
Unvereinbarkeit der realen politischen Verhältnisse mit den
demokratiepolitischen Idealen führte 1930 zur Revolution der Militärs,
welche Getúlio Vargas an die Macht bringen sollte und den Grundstein für
die Ausbildung eines aktiven, brasilianischen Patriotismus bildete. Eine
rassistisch gespaltenen Gesellschaft kann jedoch kein gemeinsames,
nationales Bewusstsein entwickeln. Es galt daher, Rassenschranken zu
relativieren und die Widersprüche innerhalb der Gesellschaft vordergründig
aufzulösen.
Teil dieser Strategie war das Branqueamento, welches die schwarze und
gemischte Bevölkerung Brasiliens ideologisch-wissenschaftlich auflöste.
Gleichzeitig kam es zur Entwicklung des Konzeptes der Rassendemokratie,
welches durch Gilberto Freyres Casa-Grande & Senzala (1965[1933])
propagiert wurde.
„Ich lernte, den Unterschied zwischen Rasse und Kultur als grundlegend zu
betrachten und zwischen den Wirkungen rein genetischer Beziehungen und
denen der sozialen Einflüsse, des Kulturerbes und des Milieus zu
unterscheiden. Auf diesem Kriterium grundsätzlicher Unterscheidung
zwischen Rasse und Kultur sowie zwischen Rassenerbe und Familienerbe
beruht der ganze Plan dieses Buches” (Freyre 1965:545).
Freyre (1965) wandte sich gegen die vorherrschende Meinung der
natürlichen Minderwertigkeit der schwarzen Rasse und schuf seine eigene
Vision der interkulturellen Beziehungen Brasiliens, welche die Grundlage des
Mythos der Rassendemokratie bilden.
zwischen Europäern, Indigenen und Schwarzen hätte unter dem Einfluß luso-
brasilianischer kultureller Faktoren die Rassendifferenzen ausgelöscht und
einer egalitären, rassisch gemischten Gesellschaft den Weg geebnet“
(Minihuber 1997:96).
Der Begriff der Rassendemokratie ist auch im Kontext der realen politischen
Verhältnisse zu verstehen. Er stellt eine geistige, symbolische Verbindung
zum allgemeinen Demokratiebegriff dar und spiegelte den Geist seiner Zeit
- Demokratie als Deckmantel für oligarchische (1. Republik) bzw. als
Deckmantel für militärisch-bürokratische Interessen (Vargas).
„Portugal ist, par excellence, das Land der vorübergehend Blonden oder
Halbblonden. In diesen Gebieten, welche tief von nordischem Blut durchsetzt
sind, gibt es viele Kinder, die blond und rosig wie flämische Jesuskinder
geboren werden, um später braunhäutig und dunkelhaarig zu werden.[…]
Diese zweifarbenen Mischlinge waren es meiner Meinung auch, welche im 16.
und 17. Jahrhundert die Mehrzahl der portugiesischen Kolonisatoren
Brasiliens stellten; nicht etwa eine reinrassige blonde oder nordische Elite
oder nur Braunhäutige oder Dunkelhaarige” (Freyre 1965:232).
Als echtem brasilianischen Patrioten gelingt es ihm, für die Entstehung der
brasilianischen Gesellschaft, im besonderen für jene der Sklavenhalter-
Familien, eine entsprechende aristokratisierte Ahnentafel aufzustellen:
Wichtig ist Freyre, in seinem ganzen Werk, auf die soziale, kulturelle,
klimatische und ethnische Flexibilität der Portugiesen hinzuweisen. Portugal
trage bereits den Keim der brasilianischen Gesellschaft in sich, die
Rassenvermischung in Portugal sei Basis der Brasilianischen.
Zwischen 1930 und 1933, also knapp fünfundvierzig Jahre nach der
offiziellen Abschaffung der Sklaverei und zur Zeit des ökonomischen
Zusammenbruchs der auf Export orientierten latifundaren Gesellschaft, ging
es Freyre um eine Rechtfertigung der Sklavenhaltergesellschaft und die
Aufrechterhaltung der dadurch begründeten oligarchischen Herrschafts-
verhältnisse. Mit großer Klarheit führt er aus:
„Ich sage es noch einmal, der Portugiese brauchte keine Aufmunterung für
die Errichtung des Sklavenregimes. Er war wie kein anderer Europäer für die
Sklavenhalterei geradezu prädisponiert. Im Falle Brasiliens jedoch erscheint
es mir ungerecht, seine hohen Verdienste um die Kolonisation tropischer
Gebiete mit dem Makel dieser uns heute verabscheuungswürdig
vorkommenden Einrichtung zu beflecken. Milieu und Umstände machten
Sklaven erforderlich. Anfangs mußte der Indianer herhalten. Als dieser dann
wegen Untauglichkeit und Nachlässigkeit den Anforderungen der tropischen
Landwirtschaft nicht mehr genügte, wurde er durch den Neger ersetzt. Mit
viel kolonisatorischem Spürsinn begabt, erkannte der Portugiese, daß nur der
Neger dem Aufbau einer tropischen Agrikultur gewachsen war. Um den Neger
zum afrikanischen Arbeiter zu qualifizieren, mußte man nur seine
ungebundenen Energien durch die Disziplin der Sklavenarbeit eine
einheitliche Richtung geben. […] Geben wir doch ehrlich zu, daß nur
latifundäre Bewirtschaftung und Sklaverei imstande waren, die enormen
Hindernisse, welche der europäischen Zivilisierung im Wege standen, zu
überwinden. Die Kolonisation war nur möglich mit Herrenhaus und
Sklavenhütten, mit reichen Plantagenbesitzern und schwersten
landwirtschaflichem Frondienst überstehenden Negersklaven” (Freyre
1965:286f.).
Freyre, dem immer zu Gute gehalten wird, den Beitrag von Indigenen und
AfrikanerInnen im brasilianischen Kulturwandel erstmals wirklich gewürdigt
zu haben, betrachtet die brasilianische Geschichte von einem sehr
funktionalistisch-kolonial-patriarchalem Gesichtspunkt aus:
”Was auch die neue brasilianische Sozialordnung von ihr verlangte - ihren
Körper [sie bot ihn selbst dem weißen Mann an], ihre Arbeitskraft in Haus
und Feld, ihre Stetigkeit [sie sehnte sich danach, denn zurückgelassen von
den Männern, die sich noch mit den Invasoren herumschlugen, zog sie ziellos
umher mit einer Last auf dem Kopf und einem Kind an der Brust oder auf der
Hüfte] -, was man auch verlangte, die Cunhã gab es willig” (Freyre
1965:143).
Nachdem er in akribischer Forschung die noch im brasilianischen Alltag
vorhandenen Überreste indigener Kulturen untersucht hat, ihre Heilkünste,
Hygiene und Kochkünste gelobt und selbst die Tapferkeit der Männer
hervorgehoben hat, meint er jedoch zusammenfassend zum kulturellen
Beitrag der Indigenen:
„Lassen wir einmal die lyrischen Lobeshymnen auf den Indianer, geben wir es
doch auf, ihn auf die gleiche Stufe mit dem Portugiesen zu stellen. Ich
betone es noch einmal: Daß sein Platz [Anm.: als Sklave] von den Negern
eingenommen wurde, ist nicht jenen moralischen Motiven zu verdanken,
welche seine begeisterten Bewunderer zu entdecken pflegen, seiner stolzen
und überlegenen Haltung im Gegensatz zu der Passivität des Negers dem
Europäer gegenüber. Der wahre Grund war die niedrige Kulturstufe des
Indianers, eine Nomadenkultur, die kaum die ersten unsicheren Schritte in
Richtung einer landwirtschaftlichen Bodenständigkeit zu tun im Begriffe
war[…] Die unanfechtbare Überlegenheit des Afrikaners gegenüber dem
Indianer hat ihren Hauptgrund darin, daß er einem höheren kulturellen
Niveau mit einem Leben entschieden landwirtschaftlichen Charakters
entstammte” (Freyre 1965:286).
Wie wir hier gesehen haben, ist bei Freyre die (kulturelle) Hierarchie der
Rassen eindeutig festgelegt: an unterster Stufe sind die Indigenen zu
finden, ihnen übergeordnet sind die ackerbautreibenden AfrikanerInnen in
ihrer Funktion als SklavInnen.
Und hier kommen wir zum Kern seiner Forschung - die anthropologisch-
biologistische Sichtweise wird auf eine soziokulturelle Ebene verschoben.
Der soziale Faktor wird vor den Ethnischen gestellt, das Sklavendasein
alleine bestimmt Leben, Meinungen und Kultur der Schwarzen.
Das Sklavendasein ist für ihn ausschlaggebend für die Bildung jener
brasilianischen Kultur, die er zu analysieren trachtet. Die von ihm
- 47 -
„Lowie formuliert die Frage richtig. Wie Franz Boas sieht er das Phänomen
der Geistesdifferenzen mehr vom kulturhistorischen Standpunkt und vom
Milieu jeder Gruppe her” (Freyre 1965:338).
Freyre untersucht die Abstammung und das Kulturniveau der
AfrikanerInnen, die nach Brasilien kamen. Wichtig ist ihm dabei eine
hierarchische Reihung der AfrikanerInnen, um ihren biologisch-genetischen
und kulturellen Beitrag an der brasilianischen Bevölkerung entsprechend
positiv werten zu können. Sein Patriotismus ist ihm dabei unersetzlicher
Begleiter. Denn die brasilianische Gesellschaft konnte
„[…] vom Besten, was afrikanische Kulturen zu bieten hatten, profitieren, sie
nahm jene Eliteelemente auf, die so möchte man sagen, den Südstaaten der
USA fehlen”( Freyre 1965:340).
Er berücksichtigt in seiner Analyse anthropologische Elemente (wie Grad der
Kraushaarigkeit, Farbnuancen, Nasenbiegung u.s.w.…), die er zwar nicht
explizit wertend einsetzt, sondern v.a. zur Erklärung des jeweiligen
Sklavenstatus in Brasilien heranzieht. So sind z.B. "die extrem häßlichen
Bantuneger mit dem Kraushaar nur für Feldarbeit einsetzbar und brauchen viele
Peitschenhiebe" (Freyre1965:352). Er zeigt er sich als Anhänger der Sudanesen,
die sich durch viele "nicht negroide" Elemente auszeichnen und die, ob ihrer
Schönheit, einen wichtigen Beitrag zur brasilianischen Rassenvermischung
geleistet haben. Er würdigt auch die kulturelle Überlegenheit der
Islamischen AfrikanerInnen, die sowohl Schrift als auch Religion mit nach
Brasilien brachten.
„[…] überall sangen die Neger bei der Arbeit, und ihre Arbeitsgesänge,
Hymnen beim Xangô-Kult, Feiertagsmelodien und Wiegenlieder erfüllen das
brasilianische Leben mit afrikanischer Fröhlichkeit” (Freyre 1965:538).
Mit dem verklärt romantisierenden, patriarchalen Zugang des Herren
erarbeitet er den Beitrag der dienenden SklavInnen an der Geschichte
Brasiliens.
„Jeder Brasilianer, auch der hellhäutige und blondhaarige, trägt auf seiner
Seele und oft auch auf seinem Körper das Mischlingsmal des sogenannten
Mongolenflecks [jenipapo] als Schatten oder Kennmarke seiner Abstammung
vom Indianer oder Neger. Wenigstens an der Küste von Maranhão bis Rio
Grande do Sul und in Minas Gerais ist es das Mal des Negers, der direkte,
unbestimmte oder weit zurückliegende Einfluß des Afrikaners”(Freyre
1965:317).
Damit thematisiert er das Dilemma der brasilianischen Rassenvermischung
und der kulturellen Beeinflussung durch die Schwarzen. Für das Brasilien
der 30er Jahre war diese Aussage wahrhaft revolutionär. Doch Freyre
erläutert seinen aufmerksamen LeserInnen genauer, woher dieser schwarze
Einfluss kommt. Er erwähnt die Ammen, die ihm die Brust gaben, die
Mulattinnen, die ihn die Liebe lehrten, die ersten Spielkameraden; er spricht
von den „Neger- und Mulattenmädchen, die leicht zu haben waren", von „das nach
dem «Budum» , der typischen Körperausdünstung, riechende, verschwitze Nachthemd
- 49 -
„Aber das Leben der Negersklaven war nicht nur eitel Freude. Manche
begingen Selbstmord, indem sie Erde aßen, sich erhängten, sich mit Tränken
und Kräutern von Hexenmeistern vergifteten. Das Banzo brache sie um, die
Schwermut des Heimwehs nach Afrika” (Freyre 1965:539).
Freyre verallgemeinert das Zusammenleben von Herren mit ihren
SklavInnen auf die Geschichte eines Landes. Seine persönliche Distanz ist
immer spürbar, die Neger sind das Fremde in seinem Leben, das er
wissenschaftlich erfassen möchte, ohne es jedoch von Grund auf kennen zu
lernen. Freyre positioniert sich selbst eindeutig auf der Seite der Herren, ist
subjektiv in seine Forschungen involviert. Aus seinem Rechtfertigungs-
denken heraus, weist er immer wieder auf das friedliche, wohlwollende
Zusammenleben zwischen Herren und SklavInnen hervor. Darin den Beitrag
zu einer angeblichen «Rassendemokratie» - welche friedliches
Zusammenleben und Chancengleichheit, unabhängig von Hautfarbe bieten
soll, zu entdecken, erscheint mir schwierig:
„Das Bild der rassischen Degeneriertheit übt seine Effizienz nicht mehr im
Expliziten aus, sondern erlangt die Qualität des Impliziten, wird Teil des
Konsenses, des Verschweigens“(Schwarcz 1987:255f In Minihuber 1997: 87).
Freyre stellt sich nicht explizit gegen eine Vermischung der Kulturen, wie sie
in Europa gerne im Zuge der Immigrationsdiskussionen vertreten wird, im
Gegenteil, er gilt als der große Anerkenner der Kulturvermischung
Brasiliens.
Aber: der kulturelle Beitrag der AfrikanerInnen an der brasilianischen Kultur
wird als Beitrag der SklavInnen dargestellt. Auf afrikanischer Deszendenz
beruhende kulturelle Beiträge werden von Freyre somit auf folkloristische
Beiträge (Negerbräuche, Negerglauben) innerhalb der sozialen Hierarchie
einer Klassengesellschaft reduziert, die sich auf afrikanische Wurzeln
berufende Kultur wird mit negativen Bedeutungskonstitutionen belegt:
- 51 -
”Entretanto, devemos verificar que os vadios são gerados por esta mesma
sociedade. No Brasil, isto se torna mais evidente , por exemplo, com relação
aos despossuídos, que estavam fora da relação senhor-escravo e depois com
relação aos libertos.Os interesses de uma indústria capitalista emergente no
Brasil , ao lado da decadência da agricultura cafeeira, conduziram à abolição
da escravatura e a conseqüente libertação de um número enorme de
escravos, que não receberiam nem pão e água de seus senhores – pois que já
não tinham mais senhores – para a sua sobrevivência. A elite industrial, que
controlava o governo, preferiu a mão de obra imigrante à da classe de
vadios, de perigosos, ou seja, à mão de obra nacional, assim é que aumentou
em muito o contingente de vadios. […] Os imigrantes estrangeiros que
vinham para trabalhar no Brasil no final do século passado, ocupavam o lugar
dos escravos recém libertos na lavoura. […] Assim é que a vadiagem era o
ilícito típico dos ex-escravos que vageavam pelas ruas, pois que não tinha
terra, teto, trabalho, nem posses" (Pereira Ribeiro 2000“www“).
später in Bezug auf die Libertos, die befreiten Sklaven. Die Interessen einer
aufstrebenden kapitalistischen Industrie in Brasilien, gemeinsam mit der
zusammenbrechenden Kaffeewirtschaft, führten zur Abschaffung der
Sklaverei und zur darauffolgenden Befreiung einer riesigen Zahl von Sklaven,
die für ihr Überleben weder Brot noch Wasser von ihren Herren bekamen - da
sie ja keine Herren mehr hatten. Die industrielle Elite, welche die Regierung
kontrollierte, zog der Klasse der «Landstreicher», dieser als gefährlich
bezeichneten Klasse - bzw. dieser nationalen Arbeitskraft - Einwanderer als
Arbeitskräfte vor. Und so erhöhte sich die Zahl der Landstreicher enorm. Die
ausländischen Arbeiter, die Ende des vorigen Jahrhunderts nach Brasilien
kamen, übernahmen die Arbeitsplätze der erst kürzlich befreiten Sklaven. So
wurde die Landstreicherei zum typischen Verbrechen der Ex-Sklaven, die sich
in den Straßen herumtrieben und weder Land, Dach, Arbeit noch Besitz
hatten".
Auffallend ist, dass die vadios als classe perigosa, als gefährliche Klasse,
bezeichnet werden. In der Literatur (Pinheiro 1994, Guimarães 1981) wird
auf diese Darstellung als bis heute gültige Repräsentationsform der von
Armut betroffenen, schwarzen und an der Peripherie lebenden Bevölkerung
hingewiesen. Es handelt sich um eine Bedeutungskonstitution, die durch die
Eliten, die herrschenden Klassen am Leben erhalten wird.
Es fand ein Verdrängungsprozess der afro-brasilianischen Bevölkerung am
Arbeitsmarkt statt - und dieser war unter anderem durch die Projektion von
Bedeutungskonstitutionen geprägt. Schwarze und Mischlinge wurden als
faul und eben als Classe perigosa - als gefährlich stigmatisiert. Auf den
Kaffeeplantagen wurden bevorzugt europäische Arbeitskräfte eingestellt,
meist in einem Pacht- bzw. Lehensystem. Für die Schwarzen blieben die
untergeordneten und prekären Tätigkeiten – alles im Kontext des
wissenschaftlichen Rassismus, des Fortschrittsglaubens und
Modernisierungstrends. Die Libertos wurden immer mehr von den
prosperierenden Regionen an die Randgebiete gedrängt bzw. ihnen wurden
die schlechtesten Jobs zugewiesen wurden - und dies zugunsten der
europäischen, angeblich intelligenteren Arbeiter. Es entsteht ein
„ Die Ideologia de vadiagem stellte daher eine Vorurteilsstruktur dar, die sich
weniger auf ethnische oder rassische Differenzen stützt, sondern sich
vielmehr auf Klassendifferenzen bezieht“ (Minihuber 1997:41).
Allerdings standen Europäer weniger im Verdacht der Vadiagem, da sie
«einer höheren Rasse angehörten» und es noch kaum Erfahrungen
bezüglich ihrer Arbeitsmoral gab. Auch waren sie von Arbeitslosigkeit nicht
so betroffen. Hier ist daher auch deutlich, anders als Minihuber (1997)
vertritt, eine rassistische Ideologie zu erkennen. Denn, aufbauend auf dem
Prozess der Rassenkonstruktion, weist sie einen dialektischen Charakter auf
- Miles ist hier 1:1 anzuwenden.
„In der Repräsentation des Anderen spiegelt sich zugleich das Bild des Selbst.
Der Rassismus ist eine Repräsentationsform, die Gruppen von Menschen
gegeneinander abgrenzt und zwangsläufig als eine Ideologie der Ein- und
Ausschließung funktioniert. Aber anders als im Prozess der
Rassenkonstruktion, wo Personen etwa durch die Bedeutung der Hautfarbe
zugleich ein- und ausgeschlossen werden, funktioniert der Rassismus als ein
Spiegel, in dem die negativen Merkmale des Anderen als positive Merkmale
des Selbst zurückgeworfen werden. Rassismus setzt also Rassenkonstruktion
voraus, geht jedoch darüber hinaus, indem er explizit negativ bewertete
Elemente benutzt” (Miles 1989:359).
Dieses Gesetz der V a d i a g e m war schon unter der portugiesischen
Herrschaft eingeführt worden, in der Gesetzgebung des Kaiserreichs 1830
wurde es noch tiefer verankert. Es waren schwere Strafen (wie
Zwangsarbeit und Gefängnis) für Menschen vorgesehen, die keiner
geregelten Beschäftigung nachgingen bzw. kein Einkommen nachweisen
konnten. In der frisch gegründeten Republik, die der Abschaffung der
Sklaverei folgte, wurde diese Gesetzgebung noch weiter vertieft (vgl.
Pereira Ribeiro 2000 <www>).
"Die Gaunerei war daher immer eher ideologisch denn real. Es gibt in
Brasilien eine "Ideologie der Landstreicherei", die von oben nach unten
konstruiert wurde und eine totale Intoleranz und Unfähigkeit, das
brasilianische Volk zu verstehen, beinhaltet. Sei es durch die Ablehnung der
Mestizierung, alternativer Arbeitsformen, sei es durch die Ablehnung
jeglicher von der europäischen Norm abweichender Kultur, alles wurde in die
Tasche «Vadiagem» gesteckt".
Die Ideologia de vadiagem und das entsprechende Gesetz stehen für
institutionalisierten Rassismus, dessen Zweck die Unterdrückung und
Entrechtung einer sozialen Klasse, die vorwiegend anhand somatischer
Merkmale definiert wurde, ist. Unter dem Vorwand der Vadiagem, der
Landstreicherei, wurde alles, was nicht der europäischen Norm entsprach,
- 58 -
O branco inventou que o negro Der Weiße erfand, dass der Schwarze,
Quando não suja na entrada Wenn er nicht den Eingang beschmutzt,
Suja na saída beim Hinausgehen Schmutz hinterlässt.
É, imagina só Und, stell dir vor,
Que mentira danada, ê ... was das für eine verdammte Lüge ist…
Na verdade a mão escrava In Wirklichkeit hat die Sklavenhand
Passava a vida limpando Ihr Leben putzend verbracht
O que o branco sujava das, was der Weiße beschmutzt hat.
É, imagina só Und, stell dir vor,
O que o branco sujava was der Weiße beschmutzt hat
É, imagina só Und, Stell dir vor,
O que o negro penava was der Schwarze gelitten hat
Mesmo depois de abolida a escravidão Selbst nach dem Ende der Sklaverei
Negro é a sua mão de quem faz a limpeza Schwarz ist die Hand, die putzt
Lavando a mão encardida, Sie verschmutzt, während sie putzt
esfregando o chão den Boden scheuert
Negra é a mão, é a mão da pureza Schwarz ist die Hand, die Hand der Reinheit
Negra é a vida consumida ao pé do fogão Schwarz ist das Leben, verbraucht am Fuße des
Ofens
Negra é a mão nos preparando a mesa Schwarz ist die Hand, die den Tisch bereitet
Limpando as manchas do mundo com die Ärmel der Welt mit Wasser und Seife
água e sabão reinigend
Negra é a mão de imaculada nobreza Schwarz ist die Hand des unbefleckten Adels
Na verdade a mão escrava In Wirklichkeit ist es die Sklavenhand
Passava a vida limpando die ihr Leben putzend verbrachte
O que o branco sujava Das, was der Weiße beschmutzte
É, imagina só Und, Stell dir vor,
Esta branco sujão es ist der Weiße der schmutzig ist…
- 60 -
„O senhor não pode me prender não, porque eu posso ser preto na cor, mas
sou branco na ação“(Reis V. 2002:7).
„Der Herr kann mich nicht mitnehmen, nein, denn ich bin wohl schwarz von
der Hautfarbe, aber meine Handlungen sind weiß”.
Branqueamento als rassistische Ideologie und Praxis, mit dem daraus
resultierenden Hautfarbekontinuum, ebenso wie das Konzept der
Rassendemokratie, stehen für die Verschleierung von Unterdrückung und
Ausschließungsmechanismen.
Als politische Konsequenz wird in der schwarzen Bewegung der Begriff des
ser negro forciert, eine schwarze, positive Identität wird aufgebaut. Als eine
realpolitische Forderung folgt daraus, für den Zensus einfach zwei
Kategorien einzuführen: weiß und nicht-weiß (vgl. Int. Garcia 2001). Viele
schwarze WissenschafterInnen arbeiten bereits in diesem Sinne:
ich alle, unterstützt durch verschiedenste Theorien und Arbeiten, als schwarz
- negras bezeichnet.“
Die Eigenbezeichnung als schwarz - negro und die Propagierung einer
schwarzen Kultur sind aktuelle politische Antworten auf die Ideologie des
Branqueamentos, auf die Weiß-Waschung von schwarzer Hautfarbe und
afro-brasilianischer Kultur.
- 63 -
4. FAVELAS-MORROS-ARMENVIERTEL-
PERIPHERIE...
„Die geteilte Stadt des Titels dieses Buches ist Rio de Janeiro, Szenarium
eines wahrhaftigen Krieges: die Gesellschaft gegen die Banditen”.
Zuenir Venturas (1994) Buchtitel zeigt die erlebte Problematik der Stadt Rio
de Janeiro auf. Wie es zu dieser Zweiteilung der Bevölkerung gekommen ist,
werde ich jetzt im Detail aufzeigen.
Hafen, als Walfischer und als Arbeiter in der Stadt eingesetzt. (Bernecker
2000; Reis 2000).
Die Einwohnerzahlen von Rio de Janeiro stiegen kontinuierlich an - von den
geschätzten 50.000 Ende des 18. Jahrhunderts wurden es, lt. Zensus von
1920 eine Million! Alleine die Übersiedlung des portugiesischen Königshofes
brachte 1808 10.000 Portugiesen nach Rio und schuf einen enormen Bedarf
an Sklaven. (vgl. Bernecker u.a. 2000; RioInfo 2000 <www>)
Auch Indigene der verschiedensten Ethnien kamen zu Tausenden als
Gelegenheitsarbeiter in die neue Hauptstadt. Sie waren ohne fixen Wohnort,
ohne fixe Beschäftigung und bildeten eine sogenannte «urbane Tribu». Es
ist bekannt, dass sie in ständigem Konflikt mit der Polizei waren. Sie hielten
sich in den Vierteln von Candelária, Santa Rita und São José auf (Bessa u.a.
1997). 1864 lebten bereits 47.000 Sklaven am Königshof in Rio und weitere
300.000 in der Provinz - in den Zucker- und Kaffeeplantagen(Reis 2000).
Die sozialen, politischen und ökonomischen Umwälzungen des 19.
Jahrhunderts (vor allem die Abschaffung der Sklaverei, die einsetzende
Industrialisierung sowie die Urbanisierung nach europäischem Modell)
waren in der Hauptstadt Rio de Janeiro besonders stark zu spüren - den Ex-
SklavInnen fiel dabei eine wichtige Rolle zu.
Denn der freie Arbeitsmarkt, der durch die Abschaffung der Sklaverei
entstanden war, benötigt, im aufstrebenden Kapitalismus, eine Reserve-
Armee an Arbeitskräften, um die Lohnkosten niedrig halten zu können. Im
Fall von Brasilien, und im speziellen von Rio de Janeiro, war diese
vorwiegend aus Indios, Mestizen, Schwarzen und Besitzlosen
zusammengesetzt. Es galt daher, diese Klasse (neuer) Freier und
Besitzloser in die einsetzende Urbanisierung und Kapitalisierung einzubinden
- was sich jedoch, auch in Folge der erlebten Ausbeutung unter der
Sklaverei, als schwierig erwies (vgl. Pereira Ribeiro 2000 <www>). Es
wurden also Gesetze geschaffen bzw. bestehende erweitert, welche die
Vormachtstellung der herrschenden Eliten festigen sollten, die Bürgerrechte
der Unterdrückten aufheben und die ökonomische Dominanz weiterhin
aufrechterhalten mussten. Und so ist Miles (1989) institutioneller Rassismus
eindeutig nachgewiesen:
- 66 -
„Als die Sklaverei hier in Brasilien abgeschafft wurde, kamen die Schwarzen
aus dem Landesinneren in die Hauptstadt - Rio de Janeiro war damals
Hauptstadt. Die Aussicht auf Arbeit hier war die große Perspektive. Die
Mehrheit der Schwarzen migrierte nach Rio. Sie kamen mit solch einer
Intensität, dass ein Gesetz, das Gesetz gegen die Landstreicherei, 1889 oder
1890 erlassen wurde:
«jedes Individuum, das mit der Polizei in Kontakt kommt und nicht beweisen
kann, dass es arbeitet und einen fixen Wohnsitz hat, wird verhaftet.»
Die Schwarzen haben daher jegliche Arbeit angenommen und sich
irgendwelche Wohnorte organisiert, um zu beweisen, dass sie arbeiten und
eine Wohnung haben. Und von da kommen wir zur Frage der Favelas”.
Ob nun die Ex-SklavInnen, wie Pereira Ribeiro (2000 <www>) meint,
Lohnarbeit aus ideologischen Motiven verweigert hatten und eine
selbstgewählte Form der Marginalisierung wählten, oder ob es, wie es
Garcia zusammenfasst, zu sehr prekären und ausbeuterischen
Arbeitsverhältnissen kam - die Überlebensfrage der Ex-SklavInnen ist eng
mit der Frage ihrer Wohnverhältnisse verbunden. Dass es daher zu Formen
der Subsistenzwirtschaft - eben auch im urbanen Raum von Rio - kam, ist
historisch nachgewiesen (Tauney 1939).
Schon ab der Mitte des 19. Jahrhunderts hatten sich wahrscheinlich
entlaufene Sklaven und Indigene bzw. weiße Besitzlose - Menschen, die in
Konflikt mit Polizei und Gesellschaft standen - vereinzelt auf den Hügeln in
und um Rio angesiedelt. So zitiert Hochsteiner (1992) Tauney (1939), wo
ein Reisender sich auf die entlaufenen Sklaven, die Quilombolas, auf Rios
Hügeln bezieht:
”Isso quando não havia sinal dos quilombolas, os escravos fugitivos ocultos
nas matas do Corcovado e da serra do Andaraí. negros que, a noite
saqueavam chácaras e assaltavam viajantes incautos” (Jaquemont In: Tauney
1939 In: Hochsteiner 1992:36).
„Dies wenn es kein Zeichen der Quilombolas gab, der geflüchteten Sklaven,
die sich in den Wäldern des Corcovado und im Gebirge des Andaraí
versteckten. Neger, die in der Nacht Landhäuser plünderten und
unvorsichtige Reisende überfielen"(Übers. Hochsteiner).
Dank der Geographie von Rio, mit seinen unwegsamen Hügeln, die direkt
an das damalige Stadtzentrum angrenzten, erklärt sich die Bildung von
- 68 -
„Ich stellte fest, dass die Gesamtheit an Stereotypen, die ich als «Mythen der
Marginalität» bezeichne, so verallgemeinert und verwurzelt sind, daß sie eine
Ideologie bilden - tatsächlich ein politisches Instrument sind - um die Politik
der herrschenden Klassen zu rechtfertigen, von der das Leben der Migranten
und «favelados» abhängig ist” (Übers. Hochsteiner).
Weiters ist die Frage von Gewalt eine essentielle, wie ich weiter unten
aufzeigen werde.
- 69 -
„In Rio de Janeiro kann man die Entwicklung von 2 Arten von Favelas
verfolgen. Die Favelas, die «strukturell» genannt werden - das waren die
Ersten, die die Schwarzen gebaut haben. Dort findet man die ganze
Genealogie vom Ur-Urgroßvater bis zu den Kindern. Die Perspektive ist, wer
einmal dort ist, bleibt auch dort, weil seine Wurzeln dort sind.
Dann gibt es die Favelas, die «Konjunkturell» genannt werden. In den 60er,
70er, 80er Jahren kamen Immigranten hierher, nach Rio. Es war die typische
Migration in die Großstädte, wie überall auf der Welt. Nur gab es keine
Politik, die Arbeitsplätze für diese vielen Migranten schafft. So haben sie sich
zusammengefunden und gemeinsam angesiedelt, und bald waren es neue
Favelas, die so entstanden sind. Diese Favelas sind durch die Konjunktur
entstanden - im Zuge der Globalisierung".
Aus dem von Garcia Gesagtem ist abzuleiten, dass diese ersten Favelas,
jene von ihm als strukturell definierte, die Eigenschaften einer
Dorfgemeinde bzw. eines Stadtviertels haben - sie bauen auf dem Prinzip
der Ethnizität und der Genealogie auf, bilden Gemeinschaften mit einem
starken Wir-Gefühl - sind Heimat im wahrsten Sinn des Wortes.
In den vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurde, von einer staatlichen
Kommission unter der Leitung von Victor Tavares de Moura, im Rahmen
einer Untersuchung über die sozialen Strukturen in 14 Favelas in Rio, die
Existenz von sozialer Organisation und eines starken «Wir-Gefühls»
aufgezeigt (Leeds 1977:193f in Hochsteiner 1991:33).
Die BewohnerInnen identifizieren sich in positivem Sinne mit ihrer
Gemeinde, sehen sie nicht als Übergangslösung an und sehen ihre
Lebenspläne in Bezug mit ihrer Favela - von der Geburt bis zum Tod (vgl.
FTB 2001).
„Und zuletzt sind es die sozialen Kontakte, die viele davon abhalten, das
Viertel zu verlassen. Obwohl man sich mitten in einer Großstadt befindet,
haben die Beziehungsstrukturen eher dörflichen als städtischen Charakter
(Hochsteiner 1992:68).
Die Besiedlung ist historisch nach zu verfolgen, die soziale Struktur
innerhalb dieser Favelas baut auf dem Prinzip der Genealogie auf. Diese
strukturellen Favelas in Rio sind auch jene, die schon am ehesten von der
Urbanisierungspolitik der Stadt eingeschlossen werden, wo der rechtliche
- 73 -
Status der BewohnerInnen mehr oder weniger legalisiert wurde, die vom
Programm Favela Bairro bedient werden.
„Rocinha heisst eine der ältesten und grössten Favelas der Stadt - die grösste
des Landes, ja ganz Lateinamerikas, wie die «Cariocas», die Bewohner Rios,
sogleich in ihrer bekannten Renommierfreudigkeit behaupten. In Rocinha
leben auf einer Fläche von 722 000 Quadratmetern dicht gedrängt über 100
000 Einwohner, wie viele, wird man so genau wohl nie wissen. Rocinha wurde
in den zwanziger Jahren gegründet als das sprichwörtliche Provisorium, das
blieb. Die Holzhütten haben sich längst in Stein- und Backsteinhäuser
verwandelt; es wird dazu-, nebeneinander und übereinander gebaut -
chaotisch, ohne Gesetze und Regeln. Rocinha entspricht keineswegs der
vorgefassten Vorstellung von einer Favela mit aus Sperrholz gezimmerten
Hütten am Steilhang, vor denen sich der Abfall türmt. Vielmehr glaubt man
sich in einer kalabrischen Kleinstadt, durchaus idyllisch, wenn auch irgendwie
unfertig mit ihren rohen Backsteinwänden und dem allgegenwärtigen
Kabelgewirr. Verwinkelte Gässchen, oft so schmal, dass keine zwei Personen
aneinander vorbeikommen, treppauf und treppab. Es gibt kleine
Imbissstuben, Geschäfte aller Art, Marktstände, ja sogar eine echte, winzige
McDonalds-Filiale. Statt Taxis warten hier Motorräder darauf, die Bewohner
gegen eine bescheidene Gebühr in die Stadt hinunterzubefördern. […] Dieser
Alltag entspricht so ganz und gar nicht den vorgefassten Vorstellungen von
Schmutz, Elend und ständig lauernder Gefahr. Zumindest nicht in Rocinha
und ähnlichen Siedlungen, die als Programm der Stadtverwaltung unter dem
Titel «Favela-Bairro» immer mehr zu regulären Stadtvierteln aufgewertet
werden: angeschlossen an das Stromnetz, die Abfallentsorgung, die Buslinien.
Der in Jahrzehnten, nach anfänglicher Besitznahme im Handstreich,
ersessene Grundbesitz wird registriert und damit Verantwortlichkeit
geschaffen. Und, nicht zuletzt, Entstigmatisierung. Denn wer als
Wohnadresse eine Favela angibt, hat kaum Chancen, eine anständige Arbeit
zu ergattern. Die Bewohner von Rocinha wollen nicht weniger stolz sein auf
ihr Stadtviertel als jemand, der unten in den Vierteln der Reichen wohnt.
Eines haben sie jenen allerdings voraus: Sie können auf sie hinunterblicken.
Die atemberaubende Aussicht auf die schönste Stadt der Welt aus ihren
Fenstern und von ihren Flachdächern ist, so will es scheinen, der kostbarste
Besitz der Favelabewohner" (Ritterbrand 2000 <www>).
Die strukturellen Favelas sind jene, die vom Programm Favela Bairro
(Favela - Nachbarschaftsviertel) bedient werden - dies wird auch als eine
Art Belohnung für die Eigeninitiative der BewohnerInnen verstanden. Seit
1994 wird in Rio das Programm Favela Bairro aktiv betrieben. Favela Bairro
wird heute zum Teil durch den Action Plan der Weltbank Cities Without
Slums (1999) finanziert, hat jedoch auch ein von der Stadt zur Verfügung
gestelltes eigenes Budget. Ziel ist die Urbanisierung der Favelas und es soll
ca. 80 Prozent der ca. 1 Million Favela-BewohnerInnen von Rio (wieder die
- 74 -
man auf die grösste Konzentration von Leprakranken der ganzen Welt. Man
schätzt, dass hier auf relativ engem Raum 44 000 Lepröse vor sich
hinvegetieren" (Ritterband 2001 <www>).
Diese konjunkturbedingten Favelas, die zwar zum Teil eine ethnisch
homogene Bevölkerung aufweisen (MigrantInnen aus Dorfgemeinschaften
aus dem Nord-Osten), charakterisieren sich jedoch eher durch ihre
ethnische In-Homogenität. Sie weisen keine historische Kontinuität auf,
werden dort errichtet, wo sie gerade benötigt sind (in der Nähe von neu
entstehenden Industrie-Standplätzen) bzw. wo es möglich ist.
4.3.1. FREMDBESTIMMUNG
Favelas - M o r r os - Armenviertel - Quilombos urbanos - Peripherie... die
Frage der Begriffsbestimmung stellt sich unweigerlich. Hinsichtlich der
Analyse von positiven Identitätsbildungsstrategien ist es unumgänglich, den
untersuchten Raum strukturell, funktional und historisch einzugrenzen.
”Der Morro da Favela ist direkt hinter dem Hafen von Rio gelegen. Er ist das
erste, was man sieht, wenn man vom Meer nach Rio kommt. Er heißt so, weil
dort die Fava in großer Menge wächst, eine sich unkrautartig vermehrende,
- 77 -
wilde Bohnenart - die sich umso stärker vermehrt, je mehr sie geerntet wird.
So kannst du dir vorstellen, woher der Begriff Favela kommt." (Jeannette
2001 Int., vergl. auch Souto de Oliveira 1983:8 in Hochsteiner 1992:28 )
Bohnen, wie z.B. die berühmte Feijoada, der Bohneneintopf, sind in
Brasilien das den SklavInnen zugeordnete Essen. Dies ist auf die Ernährung
in den Senzalas zurückzuführen. Der Begriff Favela ist daher schon per se
eine Bedeutungskonstitution, da er einer Gruppe von freien BrasilianerInnen
das Stigma der Sklaverei zuordnet, mit allen damit verbundenen
Assoziationen, die ich im vorangestellten Teil meiner Arbeit aufgezeigt habe.
Favela ist daher als Bezeichnung eines Wohnortes für nach rassistischen
Kriterien und entlang von Klassenhierarchien Ausgegrenzte entstanden und
trägt bis heute diese Bedeutung.
Wie im vorangestellten Teil dieser Arbeit aufgezeigt, sind die als Favelas
bezeichneten Siedlungen und ihre BewohnerInnen mit einer Sammlung von
vorwiegend negativen Bedeutungskonstitutionen belegt, welche vorwiegend
in den Konzepten der Vadiagem und des Nicht erfolgten Branqueamentos
wurzeln.
Die durch die Eliten und ihre Institutionen geprägten negativen
Bedeutungskonstitutionen, die Favelas als soziale Krankheit - mit allen
negativen Attributen - definieren (Perlman 1981:125, Leeds 1971:255 In
Hochsteiner 1992:32), und jene, das patrimoniale Denken reproduzierenden
Definitionen, welche als Charakteristikum nicht die schlechte Infrastruktur
sondern die Illegalität, das Faktum der Landbesetzung (Leeds 1977:151f. In
Hochsteiner 1992:28) und der Nichtanerkennung des Privateigentums
(Hochsteiner 1992:28) sehen, sind als weitere externe Stigmatisierungs-
faktoren zu berücksichtigen.
Die Konsequenzen dieser fremdbestimmten Definitionen sind die
Rechtfertigung von institutioneller Gewalt gegen die Favela-BewohnerInnen
und die Zerstörung ihres Lebensraumes.
Auch eine ethnische Herangehensweise wird in der Literatur angewandt
(Hochsteiner 1992:34f.), diese ist jedoch schwierig, da wir uns im urbanen
Raum befinden und die heutigen F a v e l as Resultat verschiedenster
Migrationswellen sind.
- 78 -
Meines Erachtens sind in der Begriffsdefinition auch die Fragen nach der
sozialen Stratifizierung, des Rassismus innerhalb der Favelas sowie der
Geschlechterverhältnisse entscheidende Momente.
„Mas também há uma divisão social na favela - essa questão de classe vai
permiando toda sociedade brasileira. Tem pessoas que confundem o racismo,
que é uma ideologia de dominação com a questão de classe. Acha que no
Brasil, não tem racismo. Acha que tem so preconceito de classe. Não è
verdade. Existe o preconceito de classe e existe o racismo. O racismo é
presente em tudos os nivéis da sociedade brasileira. As favelas se tornaram
efetivamente um reduto de moradia de negros. Com o passar do tempo e a
conjuntura da sociedade brasileira e mundial, um grande processo de fome
na sociedade do mundo em geral, aconteceo que brancos em função dessa
conjuntura tambem furom morar nas favelas tambem. As favelas do Rio de
Janeiro de hoje são ocupadas por brancos e por negros. Mas isso nao significa
que a questão do racismo foi superada. Ainda existe o estado de morar na
favela e o ser branco”(Garcia 2001 Int.).
”Aber es gibt auch eine soziale Teilung in der Favela - die Klassenteilung geht
durch die ganze brasilianische Gesellschaft. Es gibt Menschen, die den
Rassismus - der eine Ideologie der Domination ist - mit der Klassenfrage
verwechseln. Sie glauben, dass es in Brasilien keinen Rassismus gibt. Sie
glauben an Klassenunterschiede. Das ist nicht wahr. Es gibt Klassenvorurteile
und es gibt Rassismus. Der Rassismus ist auf allen Ebenen der brasilianischen
Gesellschaft präsent. Die Favelas wurden eine Konzentration der
Behausungen der Schwarzen. Mit der Zeit und der brasilianischen und
weltweiten Konjunktur folgend, breitete sich die Armut weiter aus. Hunger
wurde zu einem allgemeinen Phänomen, und so kam es, dass auch Weiße -
infolge der Konjunktur - in den Favelas landeten. Die Favelas von Rio werden
heute von Weißen und von Schwarzen bewohnt. Aber das heißt nicht, dass
der Rassismus überwunden ist. Es gibt noch das «in der Favela wohnen und
Weiß sein»".
Eine schwarze Bewohnerin des Salgueiros erzählte mir ihre
Lebensgeschichte, die von erlebtem Rassismus geprägt ist. Sie ist die
Tochter einer am Salgueiro lebenden Mestizenfamilie (Indigene, Schwarze
und Portugiesische Vorfahren), hat 3 Geschwister, die alle heller waren als
sie. Ihre Mutter hat sie - als sie ihre Hautfarbe sah, verstoßen und so
musste sie bei einer entfernten Tante aufwachsen, wo sie als
Dienstmädchen arbeiten musste. Die anderen Geschwister durften zur
Schule gehen und mit der Familie leben(FTB 2001).
Queiroz (1968:71-93) untersuchte die sozialen Strukturen der Armenviertel
in Rio und kam zu dem Schluss, dass matrifokale Familienstrukturen zu
- 79 -
„Eine gewisse Tendenz zur Matrifokalität, wenn man die Definition von
Gonzales heranzieht, ist festzustellen“(Hochsteiner 1992:266).
Sie begründet dies mit der Einbindung der Frauen in die Lohnarbeit, der
Verweigerung der Institution Ehe und den Zugang zu spiritueller Macht
(Hochsteiner 1992:266).
4.3.2. EIGENBESTIMMUNG
Ein wichtiger Aspekt ist die Frage der Eigendefinition der F a v e l a-
BewohnerInnen. Hochsteiner (1992) hat diesbezüglich die Terminologie der
BewohnerInnen des Salgueiros analysiert. Nachdem auch mein
Forschungsgebiet der Morro do Salgueiro ist, stütze ich mich zum Teil auf
ihre Untersuchungen.
Hochsteiner (1992) stellt die Begriffe Favela und Morro gegenüber und hebt
die positive Eigendefinition als Morro-BewohnerInnen hervor. Da sie ihre
Arbeit auf ihren Forschungsergebnissen am Morro do Salgueiro aufbaut
(strukturelle Favela auf einem Hügel [Morro] im Zentrum der Stadt),
verwendet sie daher durchgehend den Begriff M o r r o (Hochsteiner
1992:61f).
Auch ich wurde, im Rahmen meiner Forschungen am Salgueiro, meistens
mit dem Begriff M o r r o konfrontiert, konnte jedoch eine Nuancierung
feststellen, welche die Identitätsfrage unterstreicht.
Morro wird meist als räumliche Definition genutzt und bezieht auch
begrifflich die anderen M o r r o s - die unter 4.2.3.1. beschriebenen
strukturellen Favelas in Rio, welche auf Hügeln liegen - ein. Es ist ein
positiver, auf das eigene, geschätzte Territorium bezogener Begriff und
signalisiert die räumliche Einheit (vgl. Hochsteiner 1992:61f, Ivete Int.
2001, FTB).
Als Gegensatz dazu wird der Begriff Rua - Straße - Asphalt verwendet, der
die unterschiedlichen urbanen Strukturen beinhaltet (vgl. Da Matta 1991,
Hochsteiner 1992:62f.).
- 80 -
Mir fiel auch noch der häufig benutzte Begriff periferia - Peripherie - auf,
der sich auf alle Stadtteile bezieht, die an Morros angrenzen und am Fuße
von Hügeln liegen - also die Stadt Rio de Janeiro. Es wird auf eine räumliche
Trennung zwischen der Stadt und dem eigenen Lebensraum hingewiesen,
wobei, anders als von Vilma Reis (2002) definiert, die Peripherie als das
Gebiet außerhalb des eigenen Lebensraumes, als das Brasilien des
Branqueamentos und der Eliten definiert wird. Es erfolgt eine
Umkehranalyse - das Zentrum ist der Morro. Auch hier zeigt sich eine
Identifikation aufgrund der Wohnlage mit anderen Vierteln in ähnlicher
geografischer Lage und v.a. wird das Zentrum des Interesses klar definiert:
das eigene Gebiet, das als Einheit außerhalb des öffentlichen Raums
verstanden wird.
Geht es jedoch um eine Eigendefinition hinsichtlich vorhandener sozialer
Probleme (fehlende Infrastruktur etc…), wird der Begriff Favelado/Favelada
verwendet. Die von außen gegebenen Bezeichnung wird so internisiert und
angewandt, um auf die bewusst wahrgenommene Ausschließung
hinzuweisen. Favelada drückt daher - auch für die BewohnerInnen selbst,
den sozialen Status der Ausschließung aus.
”Sou favelada, moro no morro, não tenho nada, ganho um salário mínimo.
Como poderia fazer alguma coísa?”(Ivete Int.2001).
„Ich bin eine Favelada, ich wohne am Morro, ich habe nichts, verdiene ein
Minimumgehalt. Wie könnte ich da was tun?”
Geht es jedoch um positive soziale Arbeit, um gemeinsame Aktivitäten, die
der Verbesserung der Favela zu Gute kommen, wird fast einheitlich der
Begriff comunidade verwendet - die Gemeinschaft, die Gemeinde. Hier geht
es um ein konkretes, positives Wir-Gefühl.
”Der Salgueiro ist ein starkes Land, Teil eines Quilombos - und wir werden es
für uns nehmen”.
Für Hochsteiner ist der Begriff des Quilombo Urbanos ein zentraler in ihrer
Definitionsfrage:
„Es ist in diesem Spiel der Spiegelung, dass die Gesellschaft ständig neue
Identitäten erfindet und wiedererfindet und dass die Rassenfrage, die sich in
eine ethnische Frage gewandelt hatte, heute v.a. eine politische Frage ist,
eine Frage der Affirmation der Rechte jener, auf denen eine Gesellschaft wie
diese, 400 Jahre Patrimonalismus und mindestens 300 Jahre Sklaverei, tiefe
Zeichen hinterlassen hat”.
Aus dem angeführten Prozess der Identitätsbildung, sieht Montes die
aktuelle, moderne Identitätsfindung der brasilianischen Schwarzen in den
Rap- und Funkbewegungen der Großstädte - eine neue Identität, aufgebaut
auf dem universellen Konzept der black is beautiful Bewegung, als «jung,
arm, ausgegrenzt und schwarz». Das sind für Montes(1996) die Quilombos
modernos/contemporaneos. Diese Gruppen von Jugendlichen wollen als
Identität wahrgenommen werden, sie wollen ihre BürgerInnenrechte
- 85 -
„Weil die Kultur - vor allem - eine Waffe für die Befreiung ist. Die Kultur
formt die Lebenseinstellung, sie gibt dem Menschen die Möglichkeit, sich zu
reflektieren; sie ermöglicht das Wiedererlangen der Würde. Durch die Kultur
wird die Entwicklung der Selbstachtung gefördert. Durch die Kultur können
die eigenen Bürgerrechte gebildet werden. Jede Gemeinde (Favela) braucht
diese 2 verschiedenen Vereine bzw. Vereinigungen. [Bewohnervereinigung
und Kulturvereine, Anm. SSJ] Über die Kulturvereine kann man
Berufsausbildungen organisieren. Man kann öffentliche Diskussionen und
Seminare anbieten, die die Bewusstmachung von Problemen fördern, die den
Alltag betreffen, nicht nur in der eigenen Gemeinde handelnd, aber von
einem globalen Blickwinkel betrachtet werden“.
Innerhalb der verschiedenen schwarzen Bewegungen Brasiliens gibt es die
unterschiedlichsten Konzepte zur Selbstfindung und Identitätsbildung. Die
Berufung auf Kultur erscheint mir jedoch essentiell. Wie diese Kultur
definiert wird, wie sie sich bildet ist jeweils im Detail zu analysieren.
Hofbauer ortet eine Gefahr in einer Verallgemeinerung der Idee einer
schwarzen Kultur, die untrennbar mit dem schwarzen Volk verbunden sei.
Diese Idee hänge mit einer biologistisch-orientierten Konzeption zusammen.
Er weist auch besonders auf A. Nascimento (1980) hin, der
- 88 -
„[...] den schwarzen Widerstand als eine Art psychologisches Phänomen, das
allen afro-brasilianischen kulturellen, religiösen und politischen
Manifestationen inhärent sei“ (Hofbauer 1995:207).
bezeichnet und auf einer politisch beabsichtigten Vereinfachung beruht. Das
von Nascimento geprägte Konzept des Quilombismo sei ein ideologisches
Werkzeug zur Schaffung einer einheitlichen «kämpferischen schwarzen
Identität» (vgl. Hofbauer 1995:207f). Hofbauer verweist auch auf die
Sozialwissenschaftlerin Souza (1983) mit ihrer Arbeit «Tornar-se negro»,
die das bewusste Schwarz-Werden propagiert. Die Bewusstmachung der
Unterdrückungsmechanismen sei der erste Schritt dazu, der
gesellschaftliche Rahmen sei aber, lt. Hofbauer (1995:210) das größte
Hindernis dabei.
Nachdem es den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, die verschiedenen
schwarzen Bewegungen Brasiliens und ihr ideologisches und politisches
Rüstzeug zu analysieren, beschränke ich mich, auf das hier angeführte.
Der Aspekt der positiven Instrumentalisierung der Kultur - sei sie nun eine
historisch gewachsene oder eine gegenwartsbezogene, erscheint mir in
meinen Untersuchen elementar. Die Frage der Identitätsbildung in den
Favelas - und im besonderen der dunkelhäutigen Bevölkerung der Favelas -
hängt eng damit zusammen.
Jedoch ist der Prozess der Identitätsbildung bei den so bezeichneten
Favelados kein einheitlicher, da er von weiteren Faktoren abhängt.
So ist das Verbindende in den konjunkturbedingten F a v e l as die
ökonomische und soziale Ausschließung, während in den strukturellen
Favelas eben auch die kulturellen bzw. ethnischen Elemente hinzukommen.
Die Frage der institutionalisierten, historischen rassistischen
Ausschließungspraxen als Grundlage betrifft die dunkelhäutige Bevölkerung
direkt, während die in Favelas lebenden «Weißen» auf andere Erfahrungen
zurückgreifen können, da sie von der Stigmatisierung als Vadios weniger
betroffen sind.
- 89 -
1.
1
1. Bei Hochsteiner (1992:46) handelt es sich bei Sr. Domingos und Sr. Salgueiro um eine
Person - Domingos Alves Salgueiro, was jedoch von Jeannette nicht bestätigt wurde.
- 90 -
5.1. VORBEMERKUNGEN
„Meine Mutter hatte meine Geburt nicht angezeigt - ich besitze keine
Papiere. Und falls ich jetzt eine Identitätskarte möchte, muss ich sofort zum
Militär. Und als Schwarzer ist das nicht lustig. Mein Bruder hat den Fehler
gemacht - er ist sofort ins Militärgefängnis gekommen - wegen
- 92 -
mich das Schicksal von Frauen besonders interessiert und v.a. direkt
betrifft, erscheint mir selbstverständlich. Die Überwindung der Trennung
von öffentlichem und privatem Raum begleitet - auch aufgrund meines
sozialem Forschungsraumes - meine Untersuchungen.
Gleich am nächsten Tag trafen wir uns mit Dona Ivete, der Projektleiterin
von Nika Jaina. Nicht am M o r r o do Salgueiro, sondern bei einem
Frauenkongress im Stadtzentrum. «Frau und Arbeit» war das Thema,
organisiert von Rio Mulheres - der offiziellen Frauenbewegung in Rio. Es
fand in einem Regierungsgebäude, unter strengen Sicherheitsvorkehrungen
statt. Edles Ambiente, viele gut gekleidete, augenscheinlich erfolgreiche
Frauen.
Als wir ankamen, hatte die Konferenz bereits begonnen. Am Podium saßen
fünf Frauen - eine Richterin, drei Professorinnen und eine Politikerin. Alle
fünf weiß, zum Teil fast europäisch wirkend. Es ging um neue
Arbeitsmodelle, die rechtliche Verankerung von Arbeitsverträgen,
Verfassungsfragen. Ich fühlte mich wie zu Hause - wie auf einer
europäischen Frauenkonferenz.
Im Auditorium sah ich hauptsächlich dunkelhäutige Frauen - Gesichter von
der Straße. Sie stellten kaum Fragen. Erst als die Podiumsdiskussion
beendet war und sie direkt aufgefordert wurden, ihre Anliegen vorzutragen,
kam es zu großer Bewegung. Die Themen waren klar: „Bekommen wir
Unterstützung in der Bezirksarbeit, wir brauchen Informationsmaterial, stellt ihr uns
medizinische Beraterinnen zur Verfügung, wir wollen Zugang zu Transport und Telefon,
gibt es Geld, um Ausbildungen zu finanzieren, wir brauchen Lehrerinnen für die
Alphabetisierung"(FTB 2000).
Die Themen in der brasilianischen Frauenbewegung sind unterschiedlich -
eine Spaltung nach Klasse und Rasse offensichtlich. Mein Rassenprivileg
(Frankenberg 1996:55) wurde mir wieder einmal sehr bewusst.
Dona Ivete war etwas später als wir gekommen. Sie hatte sich ins
Auditorium gesetzt, uns zugewinkt. Es war schön, sie wieder zu sehen. Sie
wirkte sehr elegant, beeindruckte als Frau mit Erfahrung. Ihr weißer Turban
leuchtete - wie ihre Augen, ihr Lächeln.
In der Pause steckten wir die Köpfe zusammen und erzählten uns das
vergangene Jahr. Es hatte uns einander nähergebracht, sie war mittlerweile
schon eine alte Bekannte geworden, schien mir. Sie hatte einen Platz in
unseren Herzen eingenommen - ohne real präsent gewesen zu sein. Sie
erzählte uns natürlich sofort, was sich alles seit dem Vorjahr verändert
hatte. Der Salon Nika Jaina war ausgebaut, ein weiterer Afro-
- 96 -
FriseurInnenkurs war bewilligt worden, der Erlös der CD und die Spenden,
die wir in Österreich gesammelt hatten, waren gut angekommen – und
wurden gut verwendet. Es gab Pläne für das nächste Projekt, eine
Computer- und Englischausbildung. Ein anderer Kurs war abgebrochen
worden, weil der Morro von der Polizei überfallen worden war. Und dann
gab es Bandenkriege, und im Moment war überhaupt die Hölle los und wir
könnten unmöglich auf den Morro hinaufkommen. Ich sah meine
Filmdokumentationspläne gefährdet.
Dona Ivete kannte einige der anwesenden Frauenpolitikerinnen. Auch
schloss sie schnell mit anderen Bekanntschaft, bewegte sich absolut sicher
in dieser ihr fremden Umgebung. Sie war keiner der Gruppen zuzuordnen.
Wir verbrachten einen wunderbaren Tag miteinander, gingen Mittags
gemeinsam essen, redeten und redeten über alles Mögliche. Sie kannte die
Gegend im Centro Administrativo nicht, wir auch nicht. Und so landeten wir
in einer Imbisstube. Ich war erstaunt, als sie die bettelnden Straßenkinder
verscheuchte. „Geht arbeiten“, sagte sie ihnen. „Zeigt Würde”.
Auf der Straße nahm sie uns beiseite, Célia Mara und mich. Sie habe einen
Pai de Santo gebeten, für uns eine Fürbitte zu machen. Wir sollten uns am
13. Dezember gut reinigen, mit Salz waschen und an sie, Nika Jaina und
den Morro denken.
Am Abend begleiteten wir sie zum Bus - sie fährt lieber mit dem Bus als mit
der Metro, wo ihr Invalidenausweis ihr keine Freifahrt ermöglicht.
In den folgenden Tagen telefonierten wir mehrmals täglich, versuchten uns
zu treffen, aber es gelang nicht. Auf den Morro konnten wir nicht fahren, es
war zu gefährlich. Und Dona Ivete kam auch nicht mehr hinunter.
Wir verließen Rio für einige Wochen und reisten nach Espirito Santo, Minas
Gerais und Bahia. Am 13. Dezember waren wir am Meer, in Süd Bahia -
badeten in einem Süßwasserfluss, der sich am Strand verlief. Wir dachten
an Dona Ivete (und wuschen unsere Körper am Abend mit Salz.)
Interessanterweise trafen wir am nächsten Tag zufällig unseren Freund
Robson, einen schwarzen Straßenjungen, den wir 1999 in Rio kennen
gelernt hatten. Er war zu Fuß von Rio de Janeiro nach Bahia gegangen, drei
- 97 -
Monate lang, um in Arraial d'Ajuda für die dortige Kapelle eine Krippe zu
bauen - aus zementiertem Sand. Er war gemeinsam mit einem Chilenen,
der ihn zum Sandburgkünstler ausgebildet hatte und zwei anderen
Straßenkindern unterwegs. Ich führte ein Interview mit ihm. Er erzählte mir
stundenlang über die Gewalt, die an ihm Zeit seines Lebens ausgeübt
worden war. Besonders schlimm war die Episode, die er in einem
Jugendgefängnis verbracht hatte - als anlässlich des Papstbesuchs die
Straßen «sauber» gehalten werden mussten. Die Burschen waren in Zellen
zusammengepfercht gewesen, geschlagen und unterernährt, in ihrem
eigenen Kot sitzend (denn es war zu eng gewesen, um zu liegen).
Unsere, sich selbst als links-alternative bezeichnende Gastgeberin
veranstaltete an diesem Tag ein Fest in ihrem Garten - wozu wir herzlichst
eingeladen waren. Wir gingen mit Robson hin. Sie nahm uns zur Seite, um
uns zu sagen, dass sie «solche Typen» nicht in ihrem Haus wolle.
Anfang Jänner 2001 waren wir wieder in Rio. Mit Dona Ivete ging alles klar,
sie hatte für den Film alles vorbereitet, wir konnten problemlos auf den
Morro fahren und vereinbarten gleich für den nächsten Tag ein Treffen - es
sollte unser erster Drehtag sein.
denn, je weiter unten man lebt, desto einfacher ist das Leben - das
Wasserholen, das Einkaufen, das Arbeiten gehen, die Distanzen zur Stadt
sind kürzer. Es gibt in den Favelas eine soziale Hierarchie, die mit dem
Wohnort zusammenhängt - wer weiter unten lebt, hat einen höheren Status
- es bedeutet, dass die Person sich früher angesiedelt hat, daher auf
«Altersvorrechte» pochen kann.
Wir wurden von den Kindern beim Favela-Eingang erwartet, an der
Straßensperre. Sie begleiteten uns hinauf. Der Pfad - besser gesagt die
Stiegen - die zum Salon führen, sind nach Ivetes Großmutter benannt: Rua
Euzébia.
Marilda, eine der Töchter Ivetes, empfing uns, führte uns ein bisschen im
Haus herum, ließ uns warten. Wir filmten ein wenig Panorama, Details vom
Haus - und warteten auf der oberen, recht baufälligen Terrasse, über dem
Salon.
Dann kam Dona Ivete, begrüßte uns kurz und herzlich und führt uns sofort
in ihre Casa de Angola - ihren Kultplatz. Sie erzählt mir kurz von einem
Dokumentarfilm, der anlässlich der 100 Jahr Feier des Salgueiros gedreht
worden war, und begann, mir Geschichten von Caboclos, Heiligen und
Orixás zu erzählen. Und dann meinte sie:
„Na fita ele da a messagem. Ele falou que essa fita iria correr o mundo, não
iria ficar no Rio de Janeiro, iria longe para que as pessoas de outros paises
conhecam a realidade da nossa umbanda, aqui no Rio de Janeiro, no Brasil e
saber que a umbanda não tem fronteiras, todos estam juntos - e ele falou
que naquele ano, não iria ter resultado, iria demorar muito, iria demorar
anos, mas irá chegar. O resultado viria, e nao viria daqui, viria de
fora”(Ivete Int. 2001).
„In dem Film gibt er uns eine Nachricht: Er sagte, dass dieser Film um die
Welt gehen wird, er würde nicht in Rio de Janeiro bleiben, sondern weit weg
gehen, damit die Menschen etwas über die Wirklichkeit unserer Umbanda
erfahren, hier in Rio und in Brasilien. Und dass sie erfahren, dass Umbanda
keine Grenzen kennt, dass wir alle vereint sind. Er sagte auch, dass es nicht
im selben Jahr Resultate geben würde, sondern lange dauern würde, viele
Jahre, aber das Resultat wird kommen, und nicht von hier, sondern von
draußen".
Ivete erklärt ein bisschen mehr: er, das ist der Caboclo Jurema, der in ihrer
Casa de Angola wacht. Er ist jener, der gefragt werden muss, ob gewisse
Dinge gemacht werden dürfen oder nicht. Er hat erlaubt, dass wir hier sind
- 99 -
und diesen Film drehen dürfen. Caboclo Jurema trägt die Unschuld des
Kindes. Er lebt im Wald, kennt alle Pflanzen und hat das Wissen über sie.
Alle Caboclos müssen ihn um Rat fragen. Auch er ist, wie alle Menschen und
Espiritós, über Bahia nach Rio gekommen - sein Lieblingsgetränk ist
Kokosmilch mit Honig und Cachaça, mit viel Sonnenenergie aufgeschüttelt,
die er aus Bahia kennt. Caboclo Jurema hatte schon 1988 erlaubt, dass die
TV-Educativa eine Dokumentation über 100 Jahre Salgueiro gedreht hat -
und auch in die Casa de Angola von Dona Ivete kam (Ivete Int. 2001).
Ich fühle mich leicht überfordert. Mein Ziel war nicht, eine ethnografische
oder religiöse Forschung am Salgueiro durchzuführen. Ich wollte einfach
eine Dokumentation über ein Selbsthilfeprojekt erstellen, welches von
offiziellen Stellen - wie auch der Caritas - finanziert wird. Der religiöse
Aspekt war für mich darin nicht so präsent, ich hatte Ivetes Umbanda oder
Macumba mehr als eine «Privatangelegenheit» von ihr verstanden. Auch
hatte Kollegin Christine Hochsteiner, die sich mit dem Leben am Morro in
ihrer Dissertation (1992) auseinandergesetzt hatte, immer ein großes
Geheimnis um die rituellen Tätigkeiten der Ivete gemacht, es als etwas
Intimes und nicht zu Zeigendes dargestellt.
Und dann beginnt Dona Ivete vor laufender Kamera, als Einleitung des
Films über das Selbsthilfeprojekt Nika Jaina, von Caboclos zu sprechen.
der Gottheiten im Alltag hatte mich sehr beeindruckt, die Statuen, die
großen Feste zu ihren Ehren. Besonders erstaunt war ich von meinen
politischen FreundInnen, die sich öffentlich als dem Candômblé zugehörig
bekannten und dies auch mit ihrer politischen Einstellung in Verbindung
brachten. Der C a n d ô m b l é wurde mir als etwas, das zur schwarzen
Bewegung Brasiliens gehört, vorgestellt. Eine Philosophie, die sich krass von
der europäischen, westlichen, hierarchischen unterscheidet, die Männer und
Frauen und Transsexuelle auf die gleiche Stufe stellt, wo es keinen Grenzen
zwischen den Gottheiten und den Menschen gibt - die Orixás kommen zu
dir, feiern mit dir, tanzen mit dir.
Direkt betroffen hatte ich mich nicht gefühlt, es war mehr die Faszination
des Fremden - und dass ich die Grundgedanken sehr sympathisch fand.
Etwas über Umbanda zu erfahren, erwies sich noch als viel schwieriger. Ich
konnte gerade herausfinden, dass sich Umbanda aus dem Candômblé
entwickelt hat, dass es auch dort die Orixás gibt, aber auch Caboclos und
Preto Velhos, dass es sich um Synkretismus handelte - mit katholischen
Heiligen. Aber viel weiter reichte mein Wissen nicht.
Zum besseren Verständnis werde ich daher Umbanda an dieser Stelle kurz
erläutern, werde jedoch, im Zuge meiner Arbeit und gemeinsam mit Dona
Ivete die für diese Arbeit relevanten Aspekte näher beleuchten und meinen
eigenen Zugang aufzeigen. Mir erscheint es wichtig, die von mir
vorgefunden Fäden des Umbanda von Anfang an aufzugreifen und ihnen -
intuitiv und emotional - zu folgen und nicht, wie ich es hinsichtlich des
Branqueamentos und der Vadiagem gemacht habe, einen theoretisch-
historischen Zugang zu wählen. Auch stütze ich mich auf viele Quellen, die
ich im Internet gefunden habe, im Cyberspace, das zu einem neuen Ort der
Oraltraditionen geworden ist.
- 101 -
„Die sieben Linhas, die großen Heeren von Geistern entsprechen, werden also
im afrobrasilianischen Modellfall von den Orixás angeführt. „Orientalische“
Linien, die auf ostasiatische Vorbilder zurückgehen, werden ebenfalls
gehandelt; sie gehen jedoch auf die bekannten Ausuferungen der
eklektizistischen Umbandisten zurück. Zumeist handelt es sich bei den
Anführern um die folgenden Orixás (auch hier kann es von Terreiro zu
Terreiro zu Abweichungen kommen): Linha 1: Oxalá; 2: Yemanjá; 3: Ogum; 4:
Oxossí; 5: Xangó; 6: Oxum; 7: Omolu“ (Fohr 1997:164).
Die Orixás - die afrikanischen Gottheiten - sind mit purer Energie bzw.
Vibrationen gleichzusetzen. Sie sind Wesen auf der höchsten
Entwicklungsstufe, sie sind das Licht. Anders als im Candômblé werden die
Orixás aber nicht von den Menschen inkorporiert. Die Menschen können sich
mit der göttlichen Energie, dem Axé, verbinden, indem sie von den
TrägerInnen der Energie, den Espirítos besessen werden. Gleichzeitig sind
die Espirítos auch BeraterInnen im Alltag, helfen bei Problemlösungen.
Das Umbanda beherbergt eine große Schar von Geistern, Espíritos -
Ahnengeistern. Die Phalanx - die Glieder der Umbanda - sind jene Espíritos,
- 104 -
die inkorporiert werden und die Energie der Orixás übertragen können. Hier
sind Caboclos - die Geister der Indigenen, Preto Velhos - die «alten
Schwarzen», C r i a n ç a s - Kindergeister, E x ú s und Pomba-giras zu
unterscheiden (N.N.2 2002 <www>).
Diese Espíritos sind Nationen zugeordnet, welche Menschen und Wesen, die
durch die gleichen Wertegefüge, Sprachen, Ursprung verbunden sind,
zusammenfassen. Wieder hat die Zahl sieben große Bedeutung - sieben
Nationen werden unterschieden: Kêto, Gêge, Nagô, Angola, Almas,
Omolocô, Oriente. Die Nationen Kêto, Gêge und N a g ô gelten als dem
Candômblé zugehörig - dort wird nicht mit den Eguns, den Geistern der
Verstorbenen gearbeitet. Aber auch hier gilt - Ausnahmen bestätigen die
Regel: die Eguns und Espirítos können angerufen werden - dann wird von
einem Toque de Umbanda - einem Touch von Umbanda gesprochen. Die
Nationen Angola und Almas arbeiten mit Geistern, Eguns und Espirítos,
obwohl sie auch dem Candômblé sehr nahe stehen.
Dieter Fohr (1997) weist auf einen engen Zusammenhang zwischen den
afrikanischen Umbanda-Linien und Candômblé hin:
„Es gibt in der Umbanda aber auch die andere Seite, die afrikanische
Betonung, bei der sich in letzter Zeit eine immer stärkere Reafrikanisierung
gerade in den großen Städten des Landes zeigt. […] Insofern kann man zu
Recht davon sprechen, dass diese Form der praktizierten Umbanda einen
reduzierten, einen "herabgemilderten" Candômblé darstellt” (Fohr
1997:161).
Die Nation Omolocô ist eklektisch, sie baut auf der Vermischung der
anderen Nationen auf. Manchmal wird sie auch Umbanda Branca (weiße
Umbanda) oder Umbanda von Jurema genannt. Die Nation Oriente ist ein
Spezialfall, der sich vom Candômblé abgrenzt und wo es keine direkte
Inkorporation gibt (vgl. N.N.1 2002 <www>).
Umbanda ist ein hierarchisches und wohlstrukturiertes Gefüge - in jeder der
sieben Nationen sind die sieben Linien zu unterscheiden, die wiederum über
je sieben Glieder verfügen, die in sieben Legionen unterteilt werden u.s.w.…
Trotzdem ist es sehr schwierig, genaue Klassifikationen zu treffen, da die
Grenzen fließend sind.
- 105 -
Auf der Spur der Göttin Nika Jaina, mit Dona Ivete als spirituellem Leitbild,
bin ich jenen Umbanda-Spuren gefolgt, die mir eine Erklärung für das von
mir untersuchte Sozialprojekt Nika Jaina geben könnten.
Die absolute Nähe zum Afrikanischem - Nika Jaina, die Göttin, die aus
Mosambik kommt, Dona Ivetes Kultplatz, die Casa de Angola, die immer
wiederkehrende Berufung und Hervorhebung der Deszendenz von
afrikanischen SklavInnen, all dies führte mich unweigerlich in Richtung
afrikanischer Wurzeln.
Was mir im Zuge meiner Recherchen aufgefallen ist, ist eine große
Flexibilität in den Definitionen und Interpretationen des Umbanda und
seiner verschiedenen Espiritos.
Ein weiterer wesentlicher Aspekt ist jener Kultleitung - die
Vermittlerfunktion der Priesterinnen und Priester. Sie werden Mãe de Santo
bzw. Pai de Santo genannt, Mütter oder Väter der Heiligen, sie geben
Rituale und Wissen weiter, stehen zwischen den Menschen und den Göttern.
Und jedem Pai und jeder Mãe de Santo steht es frei, sein/ihr terreiro so zu
führen, wie er/sie es für richtig hält (Luiz 2001 <www>).
„Vor allem ist es wichtig zu verstehen, dass die Mães de Santo ihr Leben lang
absolute Herrscherinnen ihres Terreiros sind. Sie führen mit eiserner Hand
das spirituelle Leben ihrer Söhne und Töchter und verwalten das Haus des
Heiligen, als wäre es ihr eigenes. Es gibt keine Autorität, die über ihnen
steht”.
Dona Ivete strahlt die hier zitierte Autorität aus, sie verkörpert sie in ihrem
ganzen Sein. Wo immer sie hinkommt, sie steht im Zentrum der
- 106 -
ist sehr dunkel, vieles kann man auf den ersten Blick nicht erkennen. Hinter
einem der Altartische liegt ein politisches T-Shirt: Wählt César Maia -
Bürgermeister. Ich entdecke auch eine kleine bunte Porzellanstatue, die
einen Indianer und ein Kind darstellt.
„Wir müssen den Caboclo ehren. Er ist ehrlich. Was er sagt, passiert. 1988
gab es hier nur mein Haus, ich hab mein Macumba hier gemacht. Es gab
nichts, ich war nicht im Kulturverein, hier war nicht der Sitz des Vereins, es
war nur mein spirituelles Zentrum, mein Auftrag. Ich hab meine Aufgaben
erfüllt, meine Feste gemacht, meine Sachen- mehr von der spirituellen
Seite”.
Ivete zeigt auf den Caboclo, die kleine Indianerstatue. Für sie ist die soziale
Arbeit, die sie jetzt macht, das Afro-Friseur-Projekt, die Fortführung ihrer
spirituellen Aufgabe. Oder die Umsetzung? Für sie gibt es eine klare
Trennung in ein «davor» und ein «danach».
Das «davor» ist die Zeit, wo sie einfach «nur» Mãe de Santo war, «nur»
spirituelle Arbeiten - was immer das auch genau heißen mag - geleistet hat.
Ein Macumba machen, das heißt eine rituelle Handlung durchführen, das
wird von manchen auch mit Magie in Zusammenhang gebracht. Weiße oder
schwarze Magie? Aber soweit denke ich gar nicht, während sie mir das alles
erzählt - ich versuche nur, halbwegs den Sinn ihrer Aussagen zu verstehen.
Das «davor», denke ich, betrifft mich ja gar nicht so direkt. Aber dass das
«danach» das «davor» beinhaltet, dass das soziale Projekt mit Hilfe des
spirituellen Wissens, mit Hilfe der Götter und Espirítos zustande kam und
kommt, diesen Zusammenhang beginne ich erst langsam zu erahnen.
zu verkaufen und so das nötige Geld für ihre Durchführung zu finden. Wir
hatten mehrmals besprochen, was wir in dem Film gerne zeigen würden –
die Arbeit im Salon, die jugendlichen Kursteilnehmerinnen, die Lehrerinnen,
ein wenig Hintergrundinformationen zum Leben am Salgueiro. Ich vertraute
ihr, dass sie all das so organisieren würde. Und ließ - dank kostengünstiger
(und wiederbeschreibbarer) DV-Cam Technik - die ganze Zeit mitfilmen.
Dona Ivete hatte nicht die geringste Scheu vor der Kamera, ganz im
Gegenteil, es war ihr wichtig, das, was sie uns sagt, festgehalten zu wissen.
Sie hält mich immer an ihrer Seite, spricht zu mir, erklärt mir, worum es ihr
geht. Ich bin ihre Dialogpartnerin, gleichzeitig achtet sie darauf, dass alle
aus dem Team immer um sie sind.
An dieser Stelle muss ich auf ihr Outfit hinweisen, das mich faszinierte und
gleichzeitig beim Filmschnitt unglaubliche Probleme machte. Denn Dona
Ivete zog sich - zu jedem Anlass passend - um. Mehrmals täglich. Für die
Einleitung, die Vorstellung in der Casa de Angola, hatte sie ein strahlend
weißes T-Shirt mit roter Aufschrift «Associação Cultural Terra forte - Pedaço
de Quilombo chamado Salgueiro» gewählt. Darauf war auch das stilisierte
Portrait ihrer Großmutter, Dona Euzébia abgebildet. In Dona Ivetes Haaren
steckte grüner Farn. Erst viel später begriff ich die Bedeutung ihrer
Kleidung, manchmal erklärte sie sie auf meine Frage hin gleich, manchmal
lachte sie nur.
und Cachaça, herrichten, wir lachen mit ihr über seinen ausgezeichneten
Geschmack.
Nachdem Marilda Dona Ivete die zubereitete Kokosnuss, die mit einem
Bastband zugestoppelt worden war, übergeben hat, geht Ivete nach
draußen, vor die Türe. Sie stellt sich in die pralle Sonne (es hatte sicher
über 40 Grad an diesem Tag, und jeder Sonnenstrahl war eine Qual, wir
waren alle, von der geringsten Bewegung, schweißgebadet.) Sie hält die
Kokosnuss über ihren Kopf, in die Sonne, ruft uns alle zu sich.
„[…]mostrar o sol. Ele é um caboclo do sol - foi a palavra dele - essa foi a
messagem do caboclo que comanda a casa - e tudo que esta acontecendo é
grande parte ele, foi a palavra dele, falou que deixa fazer a filmagem -
deixa para ficar uma coisa mais moderna tambem, essa fita tem que correr o
mundo e passar nos outros paises fora - para que eles vissem que a umbanda
não tem fronteira, somos todos irmãos - um dia viria uma ajuda prá essa
comunidade, não pra minha pessoa, prá essa comunidade em nome da
cultura afro-brasileira - não viria daqui mas de fora. Tempo va passar - tem
que agradecer ele que essa ajuda va passar – tem 1000 pessoas que precisam
tambem de ajuda”(Ivete Int.2001).
”… in die Sonne halten - er ist ein Caboclo der Sonne - das war das Wort des
Caboclos, der über das Haus herrscht - seine Nachricht. Alles was hier
passiert, das kommt zum Großteil von ihm; er sagte, ich soll den Film
machen lassen, auch was moderneres. Dieser Film muss um die Welt gehen
und in den anderen Ländern gesehen werden; damit sie sehen, dass Umbanda
keine Grenzen kennt, dass wir alle Geschwister sind. Eines Tages wird eine
Hilfe für diese Gemeinschaft hier kommen, nicht für mich persönlich, für
diese Gemeinde im Namen der Afro-brasilianischen Kultur - und sie wird nicht
von hier kommen, sondern von draußen. Zeit wird vergehen - wir müssen ihm
danken (ihn loben), damit diese Hilfe passiert - und es gibt 1000 Personen,
die auch Hilfe brauchen”.
Caboclo Jurema ist anscheinend der Herrscher dieses Hauses - er hat keine
Scheu vor Fremden. Moderne Medien stehen in keinem Widerspruch zu
alten Überlieferungen, jede Zeit hat ihre Werkzeuge. Der Film, den wir
drehen wollen, hat eine Aufgabe zu erfüllen - eine Aufgabe, die spirituelle
Unterstützung braucht. Denn es geht um das Wohl einer ganzen Gemeinde,
einer Gruppe von Menschen, die in einem Zustand der sozialen und
ökonomischen Ausgrenzung leben.
Nachdem Caboclo Jurema in Ivetes Erzählungen sehr präsent ist, habe ich
einige Informationen über ihn - oder sie - zusammengetragen. Viele
bezeichnen ihn in der männlichen Form, aber immer wieder wird auch die
- 110 -
weibliche Form angewandt. Der Name Jurema kommt aus dem Tupi-
Guarani. Ju bedeutet Dorn, Remá schlechter Geruch. Die Jurema ist ein
Bohnengewächs, welches eine wichtige, rituelle Bedeutung hat. Das lässt
sich erklären: die Tupi-Guarani bestatten ihre Toten gemeinsam mit einem
Wurzelstück der Jurema - die spirituelle Evolution der Toten war somit mit
dem Wachstum der Pflanzen verbunden - so konnten die Grundbedürfnisse
und das Wohlergehen der Lebenden befriedigt und unterstützt werden (vgl.
N.N.3 2001 <www>).
„Ele permetiu que se fizesse. Ele sabia que amanha, só com ajuda poderia
fazer isso. Sou pobre, moro no morro, sou aposentada, ganho um salário
minímo. Como ajudar as pessoas, de que forma? Eu não tenho instrução, só
fiz o primário. Como poderia? Mas imaginavo que um dia iria conseguir a
inserir nesse mundo, nessa midia! Meu modo é isso, sou pessoa do povo, sou
simples e sou bem vista pela minha simplicidade, sou bem recebida, graças a
Deus,em todos os lugares. Esses anos todos, tudo isso que a gente fez, è pra
o que? Pra o bem da comunidade Está favorizando a comunidade"(Ivete
Int.2001).
„Er [caboclo jurema] hat erlaubt, dass wir hier den Film machen. Er hat
gewusst, dass ich eines Tages, all das nur mit einer Hilfe machen könnte. Ich
bin arm, ich wohne am Morro, ich bin Pensionistin, verdiene nur einen
Grundgehalt. Wie soll ich Menschen helfen, wie nur? Ich hab keine
Ausbildung, hab nur die Grundschule besucht. Wie könnte ich? Nie habe ich
geglaubt, dass ich mich eines Tages in diese Welt integrieren könnte, in diese
Medienwelt! Meine Art ist so- ich bin eine Frau aus dem Volk, ich bin einfach
und auch in meiner Einfachheit akzeptiert, überall gern gesehen, Gott sei
Dank! In all diesen Jahren, alles was ich gemacht habe- wofür ist das? Das ist
für das Wohl der Gemeinde”.
Dona Ivete ist eine Mãe de Santo. Sie verfügt über uneingeschränkte
Autorität und Macht - innerhalb ihres Gebietes, des Morro do Salgueiro. Es
werden ihr sogar magische Kräfte zugeordnet - sie herrscht über Espirítos
und Eguns, ist Ansprechpartnerin der Orixás. Ihr Wissen ist göttlich.
Aber sie lebt in einer F a v e l a, in bitterster Armut. Ihr monatliches
Einkommen beträgt nicht einmal 180 Real (ca. 60 - 70 USD) - und davon
kann man kaum selber leben - kaum überleben. Sie hat in ihrem Leben
keinen Komfort gekannt, außer den, der anderen, ihrer Dienstgeber in den
großen Villen, der Politiker in den luxuriösen Büros. Im Supermarkt wird sie,
wie fast alle Schwarzen aus der Favela, von den Sicherheitskräften verfolgt
- 111 -
und überwacht. Sie kontrollieren ihre Taschen, sie haben sie sogar schon
geschlagen, hat mir ihre Tochter Marisa erzählt.
Aber Dona Ivete hat die Macht, das Leben zu verändern. Sie hat die Götter
und Espirítos auf ihrer Seite.
Würde man den herrschenden Vorurteilen Glauben schenken, so wäre Dona
Ivete eine Macumbeira, eine, die trabalhos - magische Arbeiten macht. Als
Favelada stigmatisiert, trifft die Verallgemeinerung Fohrs (1997) auf sie zu,
der meint:
„Macumba, das ist nicht nur für das - [sie schüttelt sich wie in Trance -
Anm.SSJ] - Macumba hat Kultur, ist soziale Aktion - im Zentrum machst du
einfach die Tür zu und Ciao, Ciao - Nein! Es gibt diese soziale Arbeit in den
afro-brasilianischen Kulten, und wenigstens am Salgueiro wird sich das gut
entwickeln, es wird helfen, sich zu entwickeln. Diese soziale Arbeit, Gott sei
Dank , entwickelt sich wirklich".
Der Film musste in der Casa de Angola beginnen - denn er soll hier, in
Österreich, in Europa, den Leuten zeigen, worum es bei Nika Jaina geht.
Sicher, es ist ein Sozialprojekt, nach strengen Kriterien ausgewählt und
gefördert. Aber vor allem geht es dabei um ein kulturelles Konzept - es geht
um positive Veränderung für die Menschen, die es bitter nötig haben. Nika
Jaina ist ein Weg, der Berufsausbildung mit der Aufarbeitung kultureller
Wurzeln verbindet - und als erklärte Zielsetzung die Bildung von positiven
Selbstbewusstsein hat.
Dona Ivete hat sich nicht selbst als Projektleiterin vorgestellt - sie hat sich,
bescheiden, in die Rolle einer Vermittlerin gestellt. Einer einfachen Frau,
die, mit der Hilfe der Götter, um es allgemein zu sagen, irdische Hilfe
herbeiholt. Denn das liegt auf der Hand: um ein Sozialprojekt durchführen
zu können, bedarf es, neben Engagement und Klarheit vor allem an Geld.
Und das ist weder am Salgueiro noch in einer Casa de Angola zu finden.
Dona Ivete, die Mãe de Santo mit dem göttlichen Wissen, hat eine
praktische Lösung für ihre Aufgabe gefunden. Sie hat uns, das Filmteam,
eingebunden. Caboclo Jurema hat eine Aufgabe in unsere Hände gelegt -
die Aufgabe der medialen Verbreitung eines Hilferufes.
- 113 -
6.1.1. NIKA JAINA - DIE GÖTTIN, DIE FÜR DIE FRAUEN KÄMPFT
Das erste Mal sah ich den Namen 1999, im Afro-Schönheitssalon, einfach an
die Wand gemalen: Salão cabeleireiro afro Nika Jaina. Und er hatte mich
sofort in seinen Bann gezogen - wobei ich die Gelegenheit, nach seiner
Bedeutung zu fragen, bei diesem ersten Besuch nicht genützt hatte.
In Österreich quälte mich die Ungewissheit - ich nahm an, dass es sich um
einen rituellen, afro-brasilianischen Namen handeln würde - wahrscheinlich
etwas, das sich auf Haare oder Jugend bezieht. Aber ich konnte nirgends
Hinweise darauf finden. Ich rief daher Dona Ivete an und fragte sie - sie
erklärte mir kurz, dass Nika Jaina eine Göttin aus Mosambik sei, die für die
Frauen kämpft. Sie wisse das von ihrer Großmutter.
Mich ließ der Name aber nicht los - und so war eine meiner ersten Fragen
an Dona Ivete, als wir 2001 am Salgueiro drehten, sie solle mir doch
nochmals die Geschichte von Nika Jaina erzählen. Aber die Auskunft war
auch diesmal nicht wirklich befriedigend.
„Nika Jaina war eine Kriegerin, mächtiger und mutiger als alle anderen. Sie
hat für das Wohl der Frauen und der Kinder gekämpft. Sie wurde wie eine
Göttin verehrt. Sie kommt aus Mosambik” (Int. Ivete 2001).
- 114 -
Im Umbanda zählt Nika Jaina nicht zu den als Donos da Coroa verehrten
Orixás (siehe Kapitel 5), auch im brasilianischen Candômblé ist ihr Name
nicht geläufig.
Unweigerlich stellt sich die Definitionsfrage: was ist ein/eine Orixá?
„The orixa are, in principle, deified ancestors who established, when alive,
control over certain forces of nature - thunder, the wind, fresh or salt waters
- and over specific activities such as hunting or metalworking, and over the
knowledge and uses of plants” (Clarke 1999:68).
Fohr (1997) definiert die Orixás wie folgt:
„Die orixá werden allgemein als die Ahnen der Menschheit bezeichnet, die
sich nach ihrem Tod in Götter verwandelten.“
Laut Verger (1997) gab es in Afrika ein schier unendliches Pantheon an
Gottheiten mit den unterschiedlichsten Ursprungsmythen, die, je nach
ethnischer Zugehörigkeit, variierten. Aus den in Afrika verehrten ca. 300
Orixás wurden in Brasilien 12 bis 16, die verschiedene Eigenschaften in sich
vereinten (Verger 1997). Die am meist verehrten sind: Oxalá, Iemanjá,
Ogum, Xangô, Oxóssi, Yánsàn, Oxum, Oxumaré, Obaluaê, Nana Burukê,
Ossaín, Obá und Exú.
Die Orixás gelten als sehr menschliche Gottheiten - mit ganz „banalen“
Charaktereigenschaften. Oxúm z.B., Orixá der Flüsse, ist eine Eifersüchtige
und Eitle, Xangô, Orixá des Donners, Blitzes und der Justiz, gilt als
aufbrausend und jähzornig, Ogum, Orixá des Eisens und des Krieges als
gewalttätig. Die Mythen der Orixás sind facettenreiche Geschichten, welche
im Candômblé immer wieder durch Besessenheitsrituale wiederholt und am
Leben gehalten werden (vgl. Verger 1997).
„[…] the orisha, the yoruba-god and goddesses are responsible for the
components and dynamics of natural and human reality. They are
personifications of forces of nature […] However, the common understanding
among Yoruba people is that the social domain (human beings), the natural
world, and the supernatural world are mutually dependent. These gods and
goddesses are remembered through myths, songs, prayer, sacrifice,
possession states, and other ritual activities. The orishas have preferences
and aversions regarding colors and food. They are powerful and authorative
within certain spheres of influence and they can be either life affirming or
life diminishing” (Akinade 1999:177).
Ein Charakteristikum afrikanischer Ahnenverehrung ist die immanente
Verbindung zwischen den Welten. Lt. Verger (1997) und Garcia (Int. 2001),
leben die Gottheiten - die verstorbenen AhnInnen - durch die Menschen. Je
größer und stärker die Anhängerschaft ist, desto stärker wirkt auch die
Gottheit. Es besteht eine enge Beziehung zwischen Gott und Mensch, die
Götter erscheinen, wenn sie gefeiert werden: ihre AnhängerInnen bringen
ihnen ihr Lieblingsspeisen, ihre Getränke, erscheinen in ihren Kleidern,
rufen sie mit ihren Trommeln, ihren Gesängen. Und diese Beziehung ist eine
wechselseitige - die AnhängerInnen übernehmen die Kraft , das Wissen und
die Eigenschaften ihrer Gottheiten, werden von ihnen besessen, sind ihre
- 116 -
dass die Bezeichnung Nika Jaina ziemlich einzigartig ist, da ich diese
Wortkombination bis dato nur in Zusammenhang mit Dona Ivete gefunden
habe.
Auf der Suche nach der Bedeutung von Jaina bin ich hauptsächlich auf einen
buddhistischen Ursprung gestoßen (die Jaina Ethik) - ob dieser relevant ist
(es wird von buddhistische Einflüssen im Umbanda gesprochen), bedarf es
tiefgehender Recherchen. Auch der Hinweis auf The statuettes of Jaina an
der Fundstelle vieler Maya-Gräber auf der Insel Jaina, an der Küste von
Campeche, Mexico ist ein sehr oberflächlicher.
„In keeping with Maya tradition, the dead were buried with various utensils,
ceremonial objects and, above all, small clay statuettes ” (N.N.6 2002
<www>).
Ob sich auf diese Weise ein Zusammenhang mit indigenen Überlieferungen
herstellen lassen kann, bedarf tiefgehender Recherchen, die den Umfang
dieser Arbeit sprengen würden.
Eine andere Möglichkeit der Interpretation bietet sich aufgrund der oralen
Überlieferung des Namens Nika Jaina an. Dona Ivete erzählte, dass Nika
- 118 -
Jaina eine Kriegerin gewesen war. Dies lässt jedenfalls auf nicht strikt
patriarchale Strukturen in der Ursprungsregion zurückschließen.
Wie wir aus verschiedenen Quellen wissen, gab es im Bantusprachigen
Afrika kriegerische Königinnen. Interessant in diesem Zusammenhang
erscheint mir die von Hofbauer (1995) angeführte ethnische Gruppe der
Imbangala aus dem Angola- bzw. Kongo-Raum (wobei es nicht feststeht,
woher sie genau kamen), die Kimbundu sprachen. Ihre Quilombos, ihre
Siedlungen von Strohhütten, wurden zur allgemeinen Bezeichnung der
brasilianischen Quilombos, den Ansiedlungen entlaufener Sklaven.
Mit einigem Erfolg wurden meine Recherchen durch die Nyika Vanhu
Foundation in Zimbabwe gekrönt. Dabei handelt es sich um eine NGO,
welche folgende Zielsetzung hat:
die für die Frauen kämpft, wie Dona Ivete sie bezeichnet, als möglich
erscheinen zu lassen.
„The name nyika vanhu is a shona language expression which means that for
a country to be of any worth it must recognise chiefly the ultimate presence,
interests and importance of the human citizens in it. This is to mean that all
interests both by public and private people and organisations must put value
in the lives, rights, health, social satisfaction, economics and general welfare
of citizens” (Shumba, Thu, 31 Jan 2002 02:02:28 -0800).
Nicht die Göttin - aber die Menschenrechte stehen im Mittelpunkt. Und eine
Verbindung zu den großen Shona-Reichen des Südlichen Afrikas hat sich
aufgetan. Will ich Nika Jaina wirklich finden, steht mir noch eine lange
Suche bevor.
„Die Mythen sind keine Erzählungen von einzelnen Ereignissen, und sie
spiegeln auch nicht einfach eine gelebte oder idealisierte Wirklichkeit
wieder, sondern sie totalisieren die im alltäglichen Leben aufbrechenden
Problemstellungen, um sie aus der Gesamtdeutung der Welt verstehbar und
regelbar zu machen.[...] So fragen sie nach den Gesetzen, die für Mensch und
Natur gleichermassen gelten und nach der Herkunft der Ordnungen, die
speziell das kulturelle Leben bestimmen, nach dem Ursprung kultureller
Regelungen sowie nach den Folgen, die sich aus ihrer Übertretung ergeben“
(Schmied-Kowarzik 1993:288).
Nika Jainas Andenken wurde nach Brasilien mitgenommen - und von Mutter
zu Tochter überliefert.
- 120 -
„When that person was shipped as a slave to Brazil and was separated from
family, the relationship with one’s orixa became much more individualistic
and personal. […] In Brazil each individual became personally responsible for
the cult of his/her orixa” (Clarke 1999:68).
Dona Ivete hat die Geschichte von Nika Jaina nur bruchstückhaft von ihrer
Großmutter erfahren. Warum sich diese mächtige Bantu-Gottheit in
Brasilien nur schlecht durchsetzen konnte, ihr Mythos nur «auf kleiner
Flamme» am Leben erhalten wurde, kann ich aufgrund von Rückschlüssen
vermuten.
In Brasilien wurde diese Bantu-Gottheit, die ich als Frauengöttin bezeichnen
würde, in das herrschend Weltbild integriert. Wir wissen, dass die
brasilianische Gesellschaft eine patriarchal - christlich geprägte ist, dass
Zwangschristianisierungen zum Alltag der afrikanischen SklavInnen
gehörten. Auch wissen wir von der Dominanz der Yoruba-Vorstellungen und
starken islamischen Einflüssen innerhalb der schwarzen Bevölkerung
Brasiliens. Wir können daher von einem patriarchal-geprägten Weltbild auch
innerhalb der afro-brasilianischen Bevölkerung ausgehen. Die Vorstellung
einer weiblichen Kriegerin mit Göttermacht ist schlecht in das patriarchale
Weltbild integrierbar - Ogun, im Candômblé und Umbanda der Gott des
Eisens und des Krieges, ist mit allen männlichen Machtattributen
ausgestattet.
Wenn ich nun alle mir bekannten Informationen über Nika Jaina aneinander
füge, mich auf die allgemein anerkannten Definition von Orixás stütze (vgl.
Fohr 1997 u.a.), weiters berücksichtige, dass das afrikanische Pantheon
über 300 Orixás kennt, kann ich Nika Jaina jedenfalls als deifizierte Ahnin
werten. Stütze ich mich weiters auf Hohenstein (1991:160), so ist Orixá wer
auf drei Realitätsebenen erscheint:
1.) auf der kosmischen Ebene als ein Teilaspekt der Natur - das wäre für
Nika Jaina als Kriegerin das Eisen - was wiederum als Manifestation
von Kultur verstanden wird
2.) die Erfüllung einer spezifischen Funktion auf der sozialen Ebene:
Nika Jaina schützt die Frauen und die Kinder
3.) die Verkörperung von menschlichen Charaktereigenschaften auf der
psychologischen Ebene: Nika Jaina steht für Mut und Kraft.
Ich kann Nika Jaina daher als Orixá verstehen und sie auch so bezeichnen.
- 121 -
6.2.1. AFRO-HAARE
An dieser Stelle ist es wohl nicht mehr nötig, den Stellenwert von Afro-
Haaren in der brasilianischen Gesellschaft speziell herauszuarbeiten. Afro-
Haare, auch abschätzig als Kraus-Haare bezeichnet, sind eine
physionomische, auf den ersten Blick erkennbare Charakteristik für
Menschen afrikanischen Ursprungs. Was das innerhalb Brasiliens und seiner
rassistischen Vision bedeutet, ist einleuchtend: Menschen mit «natürlichen»
Afro-Haaren, die soziokulturelles Branqueamento anstreben, werden diese
glätten, färben - mit dem Ziel, sich selbst zu entafrikanisieren.
„No tom certo. In diesem Artikel geht es um Kosmetika für Schwarze. Lange
Zeit hat die Kosmetikindustrie die Tatsache ignoriert, dass ein Großteil der
Bevölkerung Brasiliens dunkelhäutig ist. Doch seit zwei Jahren sind die ersten
Produkte für Schwarze Haut am Markt, die schon 20 % des Anteils ausmachen.
Die Führung am Markt hat die Firma Embeleza übernommen, die gerade ein
Produkt für krause Haare herausgebracht hat: damit wird krauses Haare
verlängert und geglättet" ( Bá 1998 in: Berger 2000:78).
Afrolook für Haare ist in Brasilien - aus Gründen des Branqueamentos -
noch nicht die große Mode geworden. Aber Ivete gründet einen Afro-
Friseursalon, bietet Ausbildungen zur Afro-Friseurin an.
„O projeito do cabelo tem muito haver com nossa cultura negra, com a nossa
raíz. O cabelo è uma verdade, é beleza mesmo, tambem a pessoa tem auto-
estima. Se você não cuida do cabelo, você é feia, é relaxamento. Se você
cuida de seu cabelo, levanta a sua auto-estima, você se levanta. A pessoa
passa a se gostar. E uma pessoa que não se cuida, não se gosta.Començei a
perceber tudo isso, achei que nessa comunidade, as meninas estavam sugias,
levantando de manhã. Podia fazer alguma coisa - mas como? Tinha essa
ideia - se eu conseguir... Pedi ao santo… alguém que me ajudasse, no
caminho, que me inserisse nesse meio, me passar o caminho, alguém que me
indicasse uma coisa - eu iria mexer com cabelo - se você mexe com cabelo,
você mexe com a roupa, com a postura, com educação, com a sensibilidade.
A partir do cabelo, a pessoa se olha no espelho” (Ivete Int. 2001).
„Das Friseur-Projekt hat viel mit unserer schwarzen Kultur zu tun, mit
unserer Wurzel. Haare sind eine Wahrheit, sind Schönheit… auch bringen sie
Selbstbewusstsein. Wenn du dich nicht um deine Haare kümmerst, bist du
hässlich oder wirkst vernachlässigt. Wenn du dich aber darum kümmerst,
steigt dein Selbstwertgefühl, und so steigst du auch als Person höher auf, du
gefällst dir. Und ein Mensch, der sich nicht pflegt, gefällt sich nicht. Ich habe
- 122 -
das alles bemerkt, und dachte, dass die Mädchen in dieser Gemeinschaft
schmutzig sind, schon schmutzig in der Früh aufstanden… Ich muss was
machen, dachte ich mir, aber wie? Ich hatte die Idee mit dem Haarsalon, ich
habe den Heiligen um Hilfe gebeten, einen Menschen, der mir hilft, mich auf
den Weg bringt… Damit ich mich ein bisschen auskenne, den Weg finde. Ich
würde mit Haaren arbeiten, und wer mit Haaren arbeitet, arbeitet auch mit
Kleidung, Haltung, Bildung… mit der Sensibilität. Vom Haar geht die Freude
aus, sich im Spiegel zu sehen”.
Ivete hat sich von ihren Göttern und Heiligen auf den Weg bringen lassen,
sie nimmt die Haare als Symbol der schwarzen Kultur, um damit eine
effektive Verbesserung der Lebensbedingungen am Morro zu erzielen. Und
zeigt gleichzeitig, in wenigen Worten, eines der Hauptprobleme der
brasilianischen Bevölkerung afrikanischen Ursprungs auf - die fehlende
Freude, sich im Spiegel zu betrachten.
Dazu möchte ich eine gängige brasilianische Redewendung in Erinnerung
rufen: ter cabelo bom o cabelo ruim - gute oder schlechte Haare haben. Wir
in Europa verstehen unter gutem Haar kräftiges, volles, gesundes Haar. In
Brasilien wird damit weiches, glattes Haar bezeichnet - im Gegensatz zu
«hartem Kraushaar - Negerhaar», eben schlechtem Haar. Diese
Bedeutungskonstitutionen werden ebenso auf die Hautfarbe angewandt und
gipfeln in der - durch das Verbot von rassistisch ausgrenzenden
Stellenausschreibungen ausgedrückten Formulierung: de bõa aparência -
von gutem Aussehen, mit guter äußerer Erscheinung - was bedeutet von
nicht schwarzer Hautfarbe zu sein. Die Branqueamento-Haltung der
brasilianischen Gesellschaft hat diese Auswüchse geschaffen - sie wurden
von allen verinnerlicht. Diesbezüglich möchte ich Memmi (1992) nochmals
in Erinnerung rufen:
In einer Aufwertung der «schlechten» Haare - der Afro-Haare sieht sie die
Möglichkeit, das fehlende Selbstwertgefühl der Favela-Mädchen
auszugleichen. Die Haare sind für sie der Weg zur Anerkennung der eigenen
Kultur, des afrikanischen Ursprungs, des Wiedererlangens der Würde. Sie
stellt sich damit - ohne es jemals konkret auszusprechen - gegen die
Branqueamento-Haltung der brasilianischen Gesellschaft und sucht eine
mögliche Gegenstrategie.
„No morro não tem nada, a realidade é essa. Eu saí daqui, larghei minha
casa. Sô tem quadra, quadra di esporte, sem cobertura, não tem um local
onde você pode butar um curso fechado, não tem. Não tem. Então foi onde
me decidí ao pitar, para poder trabalhar, fazer alguma coisa. Falaí: Sô tem
esse meu espaço. Não tem otra solução" (Int. Ivete 2001).
„In der Favela gibt es nichts, das ist die Realität. Ich bin von hier
ausgezogen, habe mein Haus verlassen. Es gibt nur einen Sportplatz, ohne
Dach, es gibt kein Lokal, wo du einen geschlossenen Kurs machen kannst. Es
gibt nichts. Deswegen hab ich mich entschlossen hier auszumalen, um hier zu
arbeiten, etwas zu machen - in meinem Haus - es ist die einzige Möglichkeit".
Sie ist den Geboten der Umbanda gefolgt - Wohltätigkeit leben. Ihre
materiellen Möglichkeiten, anderen zu helfen, sind damit ausgeschöpft.
Als ergiebigere Quelle der Wohltätigkeit hat sie ihre spirituellen Fähigkeiten
- und bittet ihre Heiligen um Hilfe. Einem Impuls und ihrer Intuition folgend,
setzt sie «Gott und die Welt» in Bewegung, um von staatlicher Seite
Unterstützung für ihr Projekt zu erhalten: Nika Jaina - Berufsausbildung für
jugendliche, armutgefährdete Mädchen mit Zielsetzung einer Eingliederung
in den formalen Arbeitsmarkt. Sie vertraut auf die ihr überlieferten Werte
und Erfahrungen, und schafft damit ein Ausbildungsprojekt in einem
Rahmen, den sie überschauen und führen kann. Denn, würde sie sich
innerhalb der vom Branqueamento geprägten Ideologie bewegen, nämlich
- 124 -
Garcia (2001 Int.) macht verständlich, dass es sich bei Dona Ivetes Afro-
Friseursalon nicht um einen Friseur-Salon gemäß europäischem, westlichen
Denken handelt; nicht eine vordergründige Ästhetik ist der Inhalt der
Arbeit, ganzheitliches Denken steht im Vordergrund. Die Zusammenhänge,
gleichgültig ob Umbanda oder Candômblé, sind die selben - es geht um ein
in sich geschlossenes System, in dem sich der Mensch mit seinen Gottheiten
verbindet und sich ihnen, auf verschiedensten Ebenen, annähert. Wenn sich
ein Orixá oder im Umbanda, ein Espírito manifestiert, übernimmt das ihn
empfangende Medium seine Eigenschaften - seine Haltung, seine
Bewegungen, seine Sprache, sein Wissen - sogar sein Aussehen. Mensch
wird zu Gott, in diesem Moment. Bei der Inkorporation wird das Axé - die
Lebensenergie übergeben.
Dona Ivete ist eine Mãe de Santo - sie weiß, wie sie die Verbindung zu der
spirituellen Welt herstellen kann - für sich und für andere.
„Das ist eine soziale Arbeit, die von der Kultur kommt. Sie hat einen Ursprung
- unsere Ahnen. Ich hab's von meiner Großmutter übernommen - sie hat es
mir gegeben”.
Auch in Brasilien, in den Favelas, die oft und gerne als ethnologische Inseln
dargestellt werden, ist die westliche, säkularisierte Urbangesellschaft
prägend. Es gibt ein großes Vakuum im Leben der Menschen in den Favelas
- und v.a. in jenem der Schwarzen. Ihnen wurde Rassismus gepredigt und
eingeimpft, sie müssen ihre Wurzeln verleugnen, um nur irgendwie in der
Gesellschaft «draußen» durchzukommen. Das Branqueamento und die
Ideologia de Vadiagem haben emotionale und kulturelle Krüppel geschaffen,
Menschen, die keinen Platz mehr haben.
Und daher ist eine neue Sinnfindung - genau wie Kremser (2002) schreibt -
nötig. Dona Ivete arbeitet an dieser Sinnfindung. Sie verbindet das
Praktische, das zum Überleben nötige - das Geldverdienen - mit jener höher
geordneten Kraft.
Den jugendlichen Kursteilnehmerinnen wird die Möglichkeit geboten, über
den Umweg ihrer Haare und ihrer Kunst, ihre innere Schönheit zu finden,
ihre eigene Göttlichkeit zu entdecken. Dadurch werden sie nicht nur im
alltäglichen Leben aufgewertet, sondern sie können auch noch eine
zusätzliche, spirituelle Ebene erfahren, die ihnen die Kraft gibt, den
rassistischen, ausgrenzenden Alltag mit gestärktem Selbstwertgefühl zu
überwinden.
Dass Dona Ivete, als Mãe de Santo, daher ein Projekt erfindet, dass sie mit
Hilfe ihrer Heiligen - ganz im Sinne der Umbanda Philosophie von Liebe -
Frieden - Wohltätigkeit - führt, ist naheliegend. Auf diesem Wege gelingt es
ihr auch, eine verwahrloste und oft haltlose Jugend in eine strenges
Kultursystem einzubinden und es vor der vernichtenden Wirkung der
herrschenden Unterdrückungsdoktrinen zu schützen.
die ich in den folgenden Kapiteln immer wieder zurückkommen werde. Der
Salon ist daher räumlich und physisch in einen rituellen Ort eingebunden.
Der Salon trägt den Namen Nika Jaina, und somit die Kraft dieser Göttin des
Kampfes und des Mutes, die sich für das Wohl der Mädchen und der Frauen
einsetzt.
Im Sinne der Ganzheitlichkeit der Kultur nach afro-brasilianischer Matrix,
wo Schönheit, Haare, Kleidung, Essen als göttliche Elemente verstanden
werden, symbolisiert der Salon diese Verbindung mit der Göttlichkeit.
„Wenn man so einen Salon sieht, wo die Leute arbeiten, und Dona Ivete, die
eine IYA-L-ORIXÁ ist, versteht man, was die Funktion, was die Schönheit
dieser Arbeit ist, was die Schönheit dieses Salons ausmacht, welcher
Schönheit man hier begegnet”.
Der Afro-Friseursalon ist, im herkömmlichen Sinn, kein ritueller Ort. Es
finden dort keine «Zeremonien» statt, keine rituellen «Kulthandlungen», die
einer vordergründigen Begegnung mit dem «Göttlichen» dienen.
Und doch, meines Erachtens ist der Salon als ein «heiliger Ort», einer, wo
die Verbindung mit dem Göttlichen stattfindet, zu definieren. Im Kontext
des ganzheitlichen Denkens ist diese Bedeutung selbstverständlich, für uns,
mit unserem profanen, westlichen Zugang jedoch erklärungsbedürftig.
„Die Ialorixá (Mãe de Santo) ist für alle sakralen und profanen Bereiche in
einer Kultstätte zuständig: im profanen Bereich für die soziopolitischen
Verhältnisse in der Kultstätte und den Zusammenhalt der
Religionsgemeinschaft und im sakralen Bereich für die magisch rituellen
Praktiken und den Erhalt und die Perpetuierung der magischen, heiligen Kraft
- 128 -
axé, ohne die die Menschen und die Dinge nicht existieren können“
(Hohenstein 1991:376).
So herrschen strikte Kleidungsvorschriften - die Schülerinnen müssen, wenn
sie zur Arbeit kommen, weiße Schürzen tragen, dürfen nicht im Bikini oder
in Shorts kommen. (Für die Dreharbeiten, anlässlich des
Präsentationstages, hatten die Mädchen ihre Schürzen nicht dabei - was
Dona Ivete große Sorgen bereitet hatte). Auch müssen sie «ordentlich»
sprechen, keine Schimpfwörter verwenden, Autoritäten Respekt erweisen,
sich bescheiden und fleißig verhalten. Sie müssen gerne lernen und dies
auch offenkundig zeigen. All das mag vielleicht selbstverständlich und
oberflächlich klingen. Die Befolgung dieser Regeln weist jedoch auf die
Führungsqualitäten der Mãe de Santo hin, sind Zeugnis ihrer spirituellen
Kraft und bestimmen ihr Prestige innerhalb der Gläubigengemeinde (vgl.
auch Hochsteiner 1992).
Der «weltliche» Erfolg des Projektes zeigt die Effizienz dieser Führung. Im
Abschlußbericht der Capacitação Solidaria, der finanzierenden Organisation,
wird ausdrücklich darauf hingewiesen:
„Die Zahl der Interessenten an der Kursteilnahme war wesentlich größer als
die vorgesehen Plätze, Kursabbrüche in der Einstiegszeit, welche in
Zusammenhang mit der Gewaltfrage innerhalb der Gemeinde zu sehen sind ,
wurden wegen dem religiösen Charakter der Organisation, sofort gelöst; es
kam zu einem einzigen Abbruch am Ende des Kurses, welcher durch eine
Beteiligung am Drogenhandel begründet war”.
Was in dem Bericht anklingt, nämlich die Gewalt- und die Drogenfrage,
gehört zum Alltag der Jugendlichen am Salgueiro - der Jugendlichen in den
meisten Favelas. Aber bei Dona Ivete erfahren die Kursteilnehmerinnen eine
andere Realität.
- 129 -
„Das Symbol des Essens ist auch im Candomblé von zentraler Bedeutung, wo
die Kultstätten, die den Besuchern reichhaltige Speisen anbieten, hoch
angesehen sind und dem Orixá zu essen geben, ein essentieller Teil aller
Riten ist" (Hohenstein 1991:276).
In der Ausbildungszeit, die sechs Monate dauert, nehmen die
Kursteilnehmerinnen - wie auch viele andere Mädchen aus der
Nachbarschaft - täglich an einem gemeinsamen Mittagessen teil. Jeden Tag
wird etwas anderes gekocht - ich habe den Speiseplan nicht gesehen,
nehme aber an, dass er mit den Lieblingsspeisen der Orixás und Espíritos
abgestimmt ist. Schon alleine die Gemeinsamkeit hat rituellen Charakter
und unterscheidet sich damit vom täglich zu Hause erlebten. Denn in den
Haushalten ist es üblich, sich selbstständig einen Teller Essen vom Ofen zu
nehmen und unabhängig voneinander zu essen (vgl. Hochsteiner 1992:42).
Alle befragten Schülerinnen lobten das Essen in hohen Tönen, auch die
Capacitação Solidaria hebt es im Abschlußbericht besonders hervor:
An diesem Tag war auch der Geburtstag von Daiana, einer der
Kursteilnehmerinnen und Enkelin von Dona Ivete. Sie trägt Caboclo Jurema,
hat mir Dona Ivete gesagt. Caboclo Jurema, der über das Haus herrscht. Es
war also ein ganz besonderer Tag.
Schon in der Früh glänzte der Salon in voller Pracht. Der neugelegte
Fliesenboden war glattpoliert, alles blitzte vor Sauberkeit, frische Pflanzen
und Blumen schufen ein festliches Ambiente. Mir fielen die am Boden und
im ganzen Raum verstreuten Blätter auf - Mangobaumblätter für Oxossí,
den Orixá, der die Kräuterheilkunde beherrscht und allen Caboclos vorsteht.
Ein Korb mit frischem Obst stand am Boden, liebevollst dekoriert. Dona
Ivete hatte eigens für den Tag einen Kuchen aus weißem Maniokmehl
gebacken, es gab Popcorn in Hülle und Fülle. Das Essen war auf einem
(herbeigezauberten) Tisch abgestellt. Während die Kinder arbeiteten, stand
es die ganze Zeit bereit - aber niemand naschte, obwohl die Versuchung
groß war.
Erst als die Arbeit beendet war, hielt Dona Ivete eine Rede zu den
Jugendlichen - und zu uns. Sie erzählte vom Englisch- und Informatikkurs,
die bald stattfinden würden und eine große Chance für die Jugendlichen
sind. Und dass alles besser werden würde, dass mit dem Geld aus
Österreich ein erster Schritt gemacht worden war und damit der Salon so
schön hergerichtet werden konnte - und alle davon profitieren. Sie alle
werden in der Gemeinde arbeiten können, nicht von hier weggehen müssen,
sie werden sich einen neuen Raum erobern. Sie dankt uns für unsere Hilfe,
freut sich, dass wir alle gemeinsam diesen Tag feiern können - den Festtag
von Daiana und von uns allen. Und abschließend meint sie, mit einem
großen Lachen:
„Vocês jovens vão pedir ainda maís! Porque o Salgueiro é uma terra forte, é
um pedaço de um quilombo, e nós vamos pedir pra nós… e pra eles, quem
nos estam ajudando!”( Ivete Int. 2001).
„Ihr Jungen werdet noch mehr haben! Der Salgueiro ist ein starkes Land, ein
Stück von einem Quilombo - und wir werden es für uns nehmen, und für sie,
die uns geholfen haben”.
Damit das immer weitergeht. Sie schneidet den Kuchen an, reicht ihn mir,
damit ich ihn an die Jugendlichen austeile.
- 131 -
„Minha avó, Dona Euzébia - por quem estou fazendo esse trabalho, vem da
Bahia - passou por Petropolis para chegar aqui, ela estava com 13 anos.
Quando ela veia, aqui não tinha quase ninguem, tinha só os escravos que
trabalhavam na fazenda” (Ivete Int. 2001).
„Dona Euzébia, meine Großmutter, für die ich das alles mache, sie kam aus
Bahia, über Petropolis um hierher zu kommen. Damals war sie 13 Jahre alt.
Als sie hier ankam, gab es fast niemanden hier, nur die Sklaven, die auf der
Plantage gearbeitet haben”.
Dona Euzébia ist in Ivetes Erzählungen immer präsent. Vor allem weist
Ivete immer wieder auf den Auftrag, den sie von ihrer Großmutter
übernommen hat, hin. Dieser wiederum ist eng mit dem Salgueiro
verbunden - nicht umsonst gilt Euzébia als eine der ersten BewohnerInnen
und wurde zum Symbol für über hundert Jahre schwarzer Kultur am Morro
do Salgueiro.
„Der 100 jährige Geburtstag von Mutter Euzébia verdiente ein Fest, welches
von der Stadtverwaltung von Rio organisiert wurde und zu dem fast alle
Familien des Salgueiros kamen. Sie wartete darauf, ihre 100 Jahre zu
erreichen, dann schloß sie die Augen. Sie war, zu jener Zeit, die älteste
Bewohnerin des Salgueiros”.
Euzébia hinterließ ein Zeitzeuginnen-Dokument des Lebens zu Beginn des
vorigen Jahrhunderts am Salgueiro, welches von verschiedensten Stellen
der Stadt Rio aufgezeichnet und archiviert wurde. Sie spricht darin von der
rudimentären Bauweise, dem ländlichen Subsistenzcharakter der
Gemeinschaft. Und erzählt von Sr. Domingo, der Plantagenherr war und
seinen Besitz dem Sr. Salgueiro hinterließ, dessen Haus das größte und
schönste am ganzen Salgueiro war (Euzébia 1985).
Interessanterweise lernte ich eine Großnichte des Sr. Salgueiro kennen - in
der Caritas Rio. Jeanette Salgueiro ist Sozialarbeiterin, war aber noch nie
am Salgueiro, obwohl sie Ivete bereits kennt und die beiden Frauen schon
viele Geschichten ausgetauscht haben. In ihren Erzählungen überschneiden
sich die handelnden Personen - Ivete spricht aus der Sicht der SklavInnen-
Nachfahrin, Jeanette kennt die Perspektive der Herren. Beide waren
begeistert, mehr über ihre Familiengeschichten zu erfahren. Jeanette
erzählte mir, dass der Kontakt zu ihrem Großonkel von Seiten der
portugiesischen Familie abgebrochen worden war - er habe eine
Lebensgemeinschaft mit einer schwarzen Frau geführt. Auch lebte er mit
seinen Sklaven in einem sehr «offenen Verhältnis». Er war angeblich ein
sehr strenger (und gut bewaffneter) Herr, der niemanden, den er nicht
mochte, in seiner Nähe, geschweige denn auf seinem Land duldete. Er hatte
ein Gesundheitsproblem - sein Bein war unheilbar krank. Er brauchte
dauernde Pflege, die ihm seine Lebensgefährtin gab (vgl. Jeanette Int.
2001).
Sein Haus war angeblich «ein offenes». Es fanden viele Feste gemeinsam
mit den schwarzen BewohnerInnen des Hügels statt. Wer seine
Lebensgefährtin war, konnte ich nicht in Erfahrung bringen, seine
Großnichte Jeanette sieht aber eine mögliche Beziehung zur Urgroßmutter
- 133 -
von Ivete. Auch Ivete lacht zu diesem Thema und meint, dass ihre
Urgroßmutter von sehr vielen Festen im Hause des Sr. Salgueiro erzählt
hatte und v.a. die Art ihrer Erzählungen ein Naheverhältnis signalisierte -
sie sei in seinem Haus ein und ausgegangen, wie es ihr beliebte. Auch
Euzébia erwähnt in ihrer Niederschrift die Feste, die Hochzeiten im Hause
Salgueiro, fast schwärmerisch. Sie erinnert sich an das gemeinsame Tanzen
- und auch sie erwähnt ihr immer schmerzendes Bein. Euzébia war mit
einem stattlichen, schwarzen Mann verheiratet - um negro mesmo - der für
die Stadt Rio als Kammerjäger arbeitete - und somit über ein regelmäßiges
und relativ gutes Einkommen verfügte. Er galt als ein «Kulturträger»,
organisierte Feste wie jenes der Pastorinhas (die heiligen drei Könige) und
vermittelte auch die Kunst des Caxambu - eines semi-sakralen Tanzes
afrikanischen Ursprungs, der am Salgueiro bis heute überlebt. Er liebte die
afro-brasilianische Folklore (vgl. Ivete, Jeanette Int. 2001, Euzébia 1985).
Dona Euzébia war eine Mae de Santo, sie selbst erwähnt es in ihren
Aufzeichnungen nicht, auch Ivete stellte es nie in den Vordergrund, erwähnt
es jedoch, als sie über ihre eigene Geschichte spricht (Ivete Int. 2001).
Nun, Euzébia hatte ein großes Vorhaben am Salgueiro - sie wollte der
Jugend und den Frauen etwas Gutes tun. So bot sie die erste
Kinderbetreuungsstelle am Salgueiro an - in ihrem Haus nahm sie die
Kinder der arbeitenden und arbeitsuchenden Frauen auf, betreute und
ernährte sie tagsüber. Sie führte ein strenges Regime, sagt Ivete heute
dazu: „damals war das alles noch viel strenger, die Alten verlangten absoluten
Respekt”.
Dona Euzébia finanzierte ihre «Kindergruppe» mit dem schlechten Gewissen
ihres Mannes - der „viele Frauen hatte, das war damals so üblich" und deswegen
täglich Essen in großen Säcken für die hungrigen Kinder brachte. Dona
Euzébia hatte sozusagen den ersten Kindergarten am Salgueiro eingerichtet
und wollte ihn durch ihre Enkelin weiterführen lassen. Ihre Tätigkeit war
unentgeltlich (vgl. Euzébia 1985).
Ivete wuchs bei ihrer Großmutter Euzébia auf, da ihre Mutter kurz nach der
Geburt gestorben war. Euzébia war «katholisch, apostolisch, römisch» und
kannte gleichzeitig die Welt der Espirítos sehr gut - sie führte Ivete in die
- 134 -
”Ela sempre me tratou como Mãe de Santo, um valor que nasceu comigo”
(Ivete In Gilberto 2000:63).
„Sie behandelte mich immer wie eine Mãe de Santo, ein Wert, mit dem ich
aufgewachsen bin.”
Sie ließ sich auch oft von Ivete segnen und hob dabei ihre Qualitäten als
Mãe de Santo hervor. Und, kurz vor ihrem 100 jährigen Geburtstag, der mit
dem 100 jährigen Bestehen des Salgueiro gefeiert wurde, übergab sie Ivete
die Fortführung ihrer Aufgaben. Aber darauf komme ich später noch zurück
(siehe Kapitel 8).
„Ich bin mit meinen zwei - schwarzen - Großmüttern sehr verbunden. Sie
haben mir die spiritistische Verbindung gelassen. Genetische Erbschaft ist
nicht das, was man bräuchte, aber du wirst mit dieser Sensibilität im
Fingerspitzengefühl geboren, deswegen muss ich meinem Schicksal folgen”.
Dona Ivetes familiärer Hintergrund und der damit entstandene, fast
obligatorische Zugang in die Welt des Umbanda und ihre Vorbestimmung
- 135 -
zur Mãe de Santo sind nicht Vorraussetzung zur Berufung, finden sich aber
im Leben vieler Mães de Santo:
„Die mãe-de-santo stammen meist aus Familien, die schon über Generationen
hinweg den Candomblé-Kult praktizieren. Kindheit und Jugendzeit werden
von den Ideologien und dem Weltbild der afro-brasilianischen Religion
tiefgehend beeinflußt. Mythen, Riten und Glaubensbekenntnisse sind
integrale Bestandteile der kindlichen und erwachsenen Erfahrungen und eine
Erklärung für das Sein in der Welt.[…] Religiöses Weltbild und alltägliche
Lebenserfahrung sind tief miteinander verwoben und bilden eine Einheit, in
die die künftige mãe-de-santo «naturwüchsig» hineinwächst"(Hohenstein
1991:380).
„Der Caboclo der 7 Kreuzwege, in der Nation, kommt wie der Schwarze, der
das Signal im Wald gibt. Das ist der Teil, der mich betrifft, weil meine
Großmutter väterlicherseits, die aus Mozambique gekommen ist, war Sklavin
und Mãe de Santo.”
Ich muss an dieser Stelle zuerst auf die Bedeutung des Caboclos das 7
Encruzilhadas im Umbanda eingehen, um dann die Verbindung zur Frage
des Stellenwerts der SklavInnen herzustellen - und unweigerlich beim
Thema Exú, und damit bei weißer und schwarzer Magie zu landen. Erst
dann kann Ivetes Berufung annähernd verstanden werden.
Wie in Kapitel 5 bereits ausgeführt, entwickelte sich Umbanda in Rio de
Janeiro aus einer Annäherung zwischen Spiritismus und Macumba. Den
Ursprungsmythos des Umbanda möchte ich jetzt gerne näher ausführen.
- 136 -
Nach diesem Ereignis verbreitete sich Umbanda schnell und fand viele
AnhängerInnen. 2001 gibt es mehr als 30 Millionen bekennende
Umbandistas und mehr als 150.000 Terreiros (N.N.2 2002 <www>).
Der Caboclo das 7 Encruzilhadas erschien immer wieder und ließ zehn Jahre
später sieben Tempel, die den einzelnen Linien (die von den sieben Orixás,
den Donos da Corõa bestimmt werden) zugeordnet waren, errichten.
Umbanda wurde institutionalisiert, ein Dachverband gegründet, an der
Doktrin wird gearbeitet - Umbanda versteht sich als junge Religion, die noch
im Entstehen ist, als eine echt Brasilianische. Als oberstes Gebot steht die
Nächstenliebe/ Wohltätigkeit: Caridade.
„In Umbanda a power from outside society becomes present within it in order
to operate effectively. The Umbandist entities extract a power in the world
from which they are excluded, from this very exclusion. In effect, and
confirming once again the theories of M.Douglas, it is the marginality of
these spirits (which can have no other aspect than that of their inferiority in
terms of the values of the social system) which determines their strenght"
(Giobellina u.a. 1989:52).
Wie aus dem Zitat ersichtlich, kann Umbanda als eine politisch-kulturell-
religiöse Antwort auf die herrschenden Ausgrenzungspraxen verstanden
werden, als eine Machtverschiebung zu Gunsten der Ausgegrenzten - der
Indigenen und Schwarzen.
Die Espirítos stellen für mich das Verbindende im Umbanda dar. Sie sind die
Geister der alten SklavInnen, der Indigenen, der Kinder (der Nicht-
geborenen?), die vom Status als ausgegrenzte, verachtete Lebende zu
wertvollen BeraterInnen, allwissenden, götternahen Inkarnationen wurden.
Sie könnten als das typisch brasilianische Element des Umbandas
verstanden werden, als die - auf geistiger Ebene herbeigeführte
harmonische Verbindung aller im Land lebenden Ethnien - als ein spirituelles
Ideal einer wirklichen Rassendemokratie.
Im populären Glauben gilt der Caboclo das 7 Encruzilhadas als der
Begründer des Umbanda - aber ganz so einfach ist es nicht.
Denn, fragt man Nichteingeweihte BrasilianerInnen nach der Bedeutung des
Caboclos das 7 Encruzilhadas, ist die erste Antwort: das ist doch Exú - das
ist der Teufel.
- 138 -
„Er ist das Prinzip der Dynamik und symbolisiert die heilige Kraft des Axé.
Exú öffnet die Wege für die Menschen und verbindet alle Teile des
Universums. Er repräsentiert, transformiert und restauriert die heilige Kraft
des Axé, die die dynamische Existenz ermöglicht, das Geschehen und die
Entwicklung auf Erden und im Universum” (Hohenstein 1991:162).
Der Exú im Umbanda ist noch vielgesichtiger, er wird gefürchtet, verehrt
und geachtet und manifestiert sich in verschiedensten Formen. So schreibt
Inger Sjørslev (1999), eine dänische Ethnologin, die sich langsam und
intuitiv dem Umbanda und dem Candômblé angenähert hat:
„Wenn ich fragte, erhielt ich die Antwort: «Das ist der Sklave». Ich musste
mich zufrieden geben mit meiner eigenen Auslegung dieses Satzes. Ein Sklave
ist einer, der arbeitet. Exú ist auch einer, der arbeitet, und dies nicht zuletzt
in der Bedeutung >Magie betreiben<. Wie ein Sklave ist auch Exú derjenige,
der sich für die Götter schindet. Ohne Exú könnten sie sich überhaupt nicht
zeigen.[…] Alle Menschen in Marias Haus waren selbst Nachfahren von
Sklaven. Die Sklaven waren ihre Vorfahren. Vielleicht war «der Sklave» in
jener etwas unpräzisen Bedeutung, mit der man Exú bezeichnete, ein Symbol
ihrer selbst. Der Sklave war der Schwarze, der den Weißen gegenüberstand“
(Sjørslev 1999:191f.).
Obwohl die erwähnte Maria eine Mãe de Santo des Candômblé ist, möchte
ich an diese Überlegung Sjørslevs anschließen und unter 7.2.3. die
Entwicklung von Umbanda und Quimbanda aufzeigen. Besonders die
Gegenüberstellung von Schwarzen und Weißen, von unterdrückter und
dominanter Kultur möchte ich aufzeigen.
gefürchtet) und deshalb strikt vom Umbanda, welches mit «weißer Magie»
verbunden wird, unterschieden.
„Das Volk der Quimbanda bedient sich der selben Praktiken wie wir
[Umbanda], will jedoch nur Böses anrichten.[…] Die Priester des Quimbanda
arbeiten mit der linken Hand. Für Geld erlauben sie alle möglichen
Verbrechen. Es ist unsere Aufgabe, sie zu bekämpfen. […] Ich bekämpfe die
Quimbanda mit ihren eigenen Waffen. Exú ist auch mein Verbündeter. Ich
bitte ihn oft, das Böse, das er selbst mit hervorgerufen hat, wieder zu
zerstören. […] Er [Exú] ist kein Gott wie die anderen. Er trägt das Gesicht,
das man an ihm sehen möchte. Gestern abend hast du ihn mit den Zügen des
Teufels gesehen; er kann jedoch auch der beste aller unserer Götter sein…
Außerdem gibt es hunderte von Exús…Und jeder Gott trägt auch einen oder
mehrere Züge Exús in sich. Dank dieser Exús in sich kann der Gott seine
Kräfte materialisieren" (Umbanda-Priesterin Maria-José in Bramly 1978:151-
159).
Osvaldo do Exú Rei (Babalorixá Osvaldo Omotobàtálá), ein Quimbanda-
Priester, sieht den Ursprung von Umbanda und Quimbanda im Macumba -
welches vom ma-kiumba kommt (Espíritos der Nacht). Macumba gilt als der
älteste synkretistische Kult in Süd-Brasilien, sein Ursprung liegt in der
Bantu-Kultur. Der Macumba-Kult wird in der Nacht praktiziert - es werden
die Espirítos der Nacht angerufen. Diese sind die Seelen von Priestern des
Kultes, Eguns oder Ahnen. Bei den Macumba-Ritualen werden Alkohol und
Rauchwaren eingesetzt, die ekstatischen Tänze wurden als «orgiastisch»
bezeichnet - und schon alleine deswegen von der Kirche verteufelt. Aus dem
Macumba entwickelten sich, lt. Osvaldo (2002 <www>), die Candômblês
der Nationen Angola und C o n g o , die Candômblês der Caboclos, der
E n c a n t a d o s und Catimbó; und auch, aus der urbanen Macumba
hervorgehend, die vorwiegend in Rio de Janeiro praktiziert wurde, Umbanda
und Quimbanda.
Im Umbanda manifestieren sich, lt. Osvaldo (2002 <www>), die Espirítos
von Schwarzen und C a b o c l o s , welche evangelisiert waren. Die
AnhängerInnen sind weiß gekleidet, bescheiden, glauben an Orixás und
katholische Heilige; sie bringen keine Tieropfer – und sie tun nichts Böses.
Im Quimbanda hingegen manifestieren sich die Espirítos der «rebellischen»
Schwarzen und Caboclos. Sie arbeiten für das Gute wie für das Böse, sie
setzen Tieropfer ein, zeigen Luxus, Stolz, Revolution - und v.a. glauben sie
- 140 -
nicht an die Heiligen der Kirche und sind Verteidiger des Afrikanismus (vgl.
Osvaldo 2002 <www>).
Ich habe hier Osvaldo zitiert, um die am meisten gefürchtetste Seite von
Exú vorzustellen - jene, die magische Arbeiten und Schadenszauber macht.
Aber auch hier gibt es keine Gleichsetzung von Exú mit dem christlichen
Teufel, ganz im Gegenteil - der christliche Glauben wird abgelehnt und
damit auch seine Vorstellung vom Bösen, das durch den Teufel repräsentiert
wird.
Exú wird im Quimbanda, welches sich auf den rebellischen Schwarzen
beruft, den befreiten Sklaven, als König (in sieben verschiedenen
Ausformungen, wovon die siebente weiblich ist) verehrt. In der Quimbanda
Geschichte wird öfters darauf hingewiesen, dass im Quimbanda Rituale und
trabalhos - magische Arbeiten - geleistet wurden, um sich von grausamen
Herren zu befreien. Die sogenannte schwarze Magie wurde eingesetzt, um
der weltlichen Unterdrückung zu entkommen. Ich erinnere an Dona Ivetes
Aussage „O Caboclo das 7 Encruzilhadas, na Nação, vem como o negro que dá o sinal na
mata“- Der Caboclo der 7 Kreuzwege gibt das Signal zur Befreiung - in der
Nation, im Volk, das zusammengehört.
Wie im Quimbanda wird auch im Umbanda Exú die Rolle eines Königs nicht
abgesprochen. Seine sexuelle Energie wird immer wieder in den
Vordergrund gestellt, seine Darstellungen ist phallisch und er gilt als der
exzessive, unberechenbare Lustgott. Die Pomba-Gira, der siebente Exú in
seiner weiblichen Darstellung, wird als eiskalte, berechnende,
verführerische Frau, die die Männer in ihre Gewalt bringt und sie zu ihren
Sklaven macht, dargestellt - ein Auflehnen gegen ein machistisches,
patriarchales Weltbild?
Exú und Pomba-Gira brechen alle Tabus, sie sind unberechenbar und
ekstatisch. Sie sind die SklavInnen, die von den Herren nicht unterdrückt
werden konnten, die als Symbol für Auflehnung und Freiheit stehen.
Im Umbanda und Quimbanda werden Exú und/oder Pomba-Gira in allen
Ritualen angerufen.
- 141 -
„Gut und Böse, das sind menschliche Begriffe. Werte, die der Mensch
geschaffen hat, die aber die Götter nicht beachten. Wir bitten die Götter,
uns bei etwas Gutem oder Bösem zu helfen, das heißt zu unserem besten
oder unserem Schaden. Die Götter selbst stehen darüber. Unsere Moral
- 142 -
„Der Caboclo der sieben Kreuzwege, in der Nation, kommt wie der Schwarze,
der das Signal im Wald gibt. Das ist der Teil, der mich betrifft, weil meine
Großmutter väterlicherseits, die aus Mozambique gekommen ist, war Sklavin
und Mãe de Santo”.
U m b a n d a - mit der Stimme des Caboclos der sieben Kreuzwege, ihres
Begründers - hat Ivete gerufen. Sie vergleicht ihn mit dem Rebellen - dem
Schwarzen, der das Signal im Wald gibt. Dieser wird im Capoeira besungen.
Es ist der Sklave, der sich schon befreit hat, der im Quilombo lebt. Das
Signal wird im Capoeira mit einem Wespenstich verglichen, es ist gefährlich.
Es ist das Signal zum Angriff - für die Befreiung der anderen - zur
Veränderung (vgl. N.N.8 2002 <www>).
Die Nation steht für das vereinte Volk, für Menschen, die durch einen
gemeinsamen Ursprung, einen gemeinsamen Glauben verbunden sind. Für
Dona Ivete ist das ihr Volk, das Volk des Salgueiros.
Dona Ivete hat den Ruf zur Befreiung gehört und ist ihm gefolgt.
- 145 -
„Eu não quero discriminação. Acho que temos que ser respeitados. Cada um
tem que ser respeitado nas suas opinões"(Ivete Int.2001).
„Ich will keine Diskriminierung. Ich finde, wir müssen respektiert werden.
Jeder muss in seiner Haltung respektiert werden”.
„Sou Mãe de Santo de berço - dos lados materno e paterno - portanto não
precisei raspar a cabeça"(Ivete In Gilberto 2000).
„Ich bin «geborene» Mãe de Santo - von der mütterlichen und der väterlichen
Linie - deswegen musste ich meinen Kopf nicht rasieren".
Mein Wissen um die Initiationsriten im Umbanda ist zu gering, um die
Bedeutung dieses Satzes wirklich klären zu können. Auch in der von mir
bearbeiteten Literatur fand ich keine wirklich profunden Hinweise, sondern
vielmehr immer den Hinweis auf die Geheimhaltung des sakralen Wissens,
- 147 -
das bei der Einweihung übertragen wird. Hohenstein (1991) beschreibt wohl
Initiationsrituale - doch eine Erklärung für das „Nicht-rasieren“ aufgrund
von familiärer Abstammung konnte ich auch dort nicht finden.
Es gibt verschiedene Stufen der Initiation, die im Candômblé wesentlich
strenger als im Umbanda gehalten werden. So gilt im Candômblé z.B. eine
Initiationsphase von sechs Monaten als normal, während im Umbanda eine
sechswöchige Abgeschiedenheitsphase genügt (Fichte 1984, FTB 2000)
Verger (1997) schreibt allerdings von einer siebzehntägigen
Abgeschiedenheitsphase im Candômblé, Hohenstein(1991:492) von 16-21
Tagen.
Das «Kopf rasieren» ist Teil der Initiationsrituale. Ivete hat diesen Vorgang
nicht durchgemacht - wie ihre Initiation abgelaufen ist, weiß ich jedoch
nicht. Ich hatte mich in meinen Recherchen v.a. auf den sozialen Aspekt
ihrer Tätigkeit konzentriert und bin daher nicht tiefer in die sakrale Ebene
vorgedrungen.
„Die Initiation wird nicht auf einer intellektuellen, bewussten und erlernten
Ebene durchgeführt, sondern auf einem versteckteren Niveau, das von einem
schlafenden Erbe, dem Unbewusstem, dem nicht Ausgesprochenen kommt”.
Verger (1997) schreibt weiter, dass in der Initiationsphase die Erinnerung
an das vorige Leben gelöscht wird, bestimmte mit Pflanzen zubereitete
Getränke ermöglichen einen «leeren» Geisteszustand, ein Vakuum, das mit
dem Wissen, den Verhaltensmustern des verehrten Orixás gefüllt wird.
Teil dieser Initiationsphase ist auch das Rasieren des Kopfes - das in Afrika
meistens schon im Alter von sieben Jahren durchgeführt wird, wo der/die
NovizIn dann zu einem Pai/Mãe de Santo kommt, um dort in das mystische
Leben eingeführt zu werden (vgl. Verger 1997:42-46).
Auf jeden Fall - Ivete wurde Mãe de Santo - von Geburt an dazu
vorbestimmt. Dadurch hat sie nicht nur das rituelle Wissen, sondern auch
die Verpflichtungen und vor allem die Verantwortung einer Mãe de Santo
von klein auf miterlebt. Der Auftrag, der damit verbunden ist, schreckte sie.
- 148 -
So ließ sie sich, viele Jahre lang, nicht wirklich darauf ein und versuchte,
ihrer Berufung auszuweichen.
„No meu casamento, o caboclo Mirim falou para ele: você está tirando uma
rosa do meu jardim. Se você souber cuidar dessa rosa, você tem vida para
muito tempo. Se não cuidar, você me devolve a rosa!”(Ivete In Gilberto
2000:67).
„Bei meiner Hochzeit sagte Caboclo Mirim zu ihm: du nimmst eine Rose aus
meinem Garten. Wenn du sie gut pflegen kannst, wirst du ein langes Leben
haben. Wenn du sie nicht pflegst, wirst du sie mir zurück geben”.
Die Warnung, die ihm Caboclo Mirim überbracht hatte, wollte Jorge José
nicht wahrnehmen - Mirim ist der Caboclo von Ivetes Großmutter Alcina.
Er war Ivete untreu, hatte viele Freundinnen und stritt viel mit ihr.
Gemeinsam hatten sie vier Kinder. Nach sieben Jahren Ehe bekam er,
siebenundzwanzigjährig, eine Gehirnblutung und verstarb unerwartet.
Für Ivete war das zuviel. Sie wollte ihren Zugang zur Welt der Geister
abbrechen, nicht mehr in Zentren gehen, nichts mit Umbanda und anderen
spiritistischen Kulten zu tun haben. Sie wollte keine Mãe de Santo sein - sie
war noch so jung, damals gerade sechsundzwanzig Jahre alt.
Als junge Witwe mit vier Kindern musste sie sich um das Überleben der
Familie kümmern. Sie musste in der Stadt als Hausangestellte und
Wäscherin in mehreren Haushalten arbeiten. Ihre älteste Tochter, Marisa -
- 149 -
sie war fünf - kümmerte sich um die kleineren Geschwister, die Nachbarn
halfen ihr dabei.
„Essa crianca não tem doença. A doença de essa criança é você! Se você
aceitar a missão de que foi incumbida, sua filha vai ficar boa” (Ivete In
Gilberto 2000:69).
„Dieses Kind hat keine Krankheit. Ihre Krankheit bist du! Wenn du den
Auftrag annimmst, der dir aufgetragen wurde, wird es deinem Kind
gutgehen”.
Ivete folgte ihm. Sie machte ihre Gaben an die Orixás und empfing wieder
ihren Heiligen. Ihre Tochter wurde gesund, ist heute vierzig Jahre alt und
Mutter eines zwölfjährigen und eines neugeborenen Sohnes.
Aber Ivete hatte noch eine weitere Aufgabe zu erfüllen. Sie sollte die
Aufgaben ihrer Großmutter übernehmen. Sie hatte auch die entsprechende
Vision - sie solle Jugendarbeit machen, etwas soziokulturelles.
Es vergingen einige Jahre, in denen sie spiritistische Zentren frequentierte,
ihren Verpflichtungen mehr oder weniger nachkam - aber kein eigenes
Zentrum leitete und auch sonst nichts Großes für die Gemeinde tat.
- 150 -
„Ich besuchte immer wieder das spiritistische Zentrum, aber ich ging so [sie
zeigt auf ihre Alltagskleidung - Anm. SSJ], ich wollte keine Verpflichtung
haben. An jenem Tag kaufte ich einen hübschen Rock und ging hin. Als ich
dort ankam, nahm mich der Caboclo von der Kokosnuss, Caboclo Jurema… er
hat es mir hart gegeben… ich fiel auf den Boden, hab mir alles aufgeschürft…
ein Stress!”
Caboclo Jurema überbrachte ihr über die Leiterin des Zentrums eine
Nachricht – wenn sie nicht das, was ihre Ahnen ihr übergeben hatten,
weiterführen würde, würde sie ihr Bein verlieren.
Drei Tage später, am 23. Jänner, ging Ivete normal zur Arbeit, hinunter in
die Stadt. Sie war, im Gegensatz zu sonst, pünktlich außer Haus gegangen,
hatte sogar den Kindern Frühstück gemacht und war ohne Stress, ohne zu
laufen, wie sie es sonst immer musste, den Hügel hinunter.
Als sie bei der Kreuzung weiter unten angekommen war, packte es sie, es
wirbelte sie durch die Luft, es drehte sie. Sie war nicht ausgerutscht, nicht
gestolpert - «es» hatte sie gepackt und den ganzen Hügel
hinuntergewirbelt. Die Leute auf der Straße wollten ihr helfen, aber niemand
konnte sie halten. Sie landete unten, auf der Straße, am Boden. Und ihr
Bein schmerzte wie die Hölle. Sie ging aber trotzdem in die Arbeit, sie
musste; erst am Abend kam sie ins Spital. Dort nähten sie das aufgeplatzte
Bein mit sechzehn Stichen zu und ließen sie nach Hause gehen.
„The diagnosis can also point in two directions: either it is a spirit's warning
that the person must develop his mediumism, or else a punishment for the
non-fulfilment of the purification rituals, for failure to make sacrifices, et.,
or else it is a disturbance provoked by spirits whom the individual is "loading"
so that they are - almost always voluntarily - harming him. […]In the first
case the solution prescribed is common to all the sectors of Umbanda: the
entrance into the religion [to dress in white clothes] or to restore the
relation with the offended spirits" (Giobellina u.a. 1989: 37).
- 151 -
„Die Vorsehung für den Posten einer mãe-de-santo geschieht auf allmähliche,
graduelle Weise, ein Schicksalschlag, dem keine entgehen kann, unter
anderem, da der gruppale Druck es erzwingt. Der kollektive Glaube an die
Vorhersehung und göttliche Bestimmung für den sakralen Posten
unterstreicht und erhöht die Macht der mãe-de-santo. Nicht triviale
alltägliche Umstände bestimmen ihr priesterliches Sein, sondern ein
göttliches Schicksal” (Hohenstein 1991:381f.).
In ihrem durchwegs interessanten Buch "Das Reich der magischen Mütter"
(1991) versucht Jane de Hohenstein, eine Matriarchatsthese im Candômblé
als Gegenwelt zur brasilianischen Gesellschaft herauszuarbeiten. Sie belegt
die matrifokal-zentripetale Organisation der Familien in den schwarzen
Gemeinden (Smith 1979, Herskovits 1948, Ortiz 1979, González 1970) und
weist auf die historischen und sozialen Rahmenbedingungen, welche in der
Sklaverei und der aktuellen Marginalisierung wurzeln, hin. Zentral ist für sie
jedoch die Trennung zwischen öffentlichem und privatem Raum, eingebettet
in die „ Machismo-Marianismo-Ideologie, ein geschlechtsspezifischer Leitfaden für
Verhaltensnormen, Denkweisen, Selbst- und Fremdbilder“ (Hohenstein 1991:290) - die
Machtsphäre der Frau bleibt für sie in der Familie bzw. in der Welt des
Candômblés,den sie als „ ein Raum für die Bildung eines >organischen Frauenbildes<
[...] Ein Reich der magischen Frauen und Mütter“(Hohenstein 1991:622) definiert. Sie
berücksichtigt zu wenig den stattfindenden Wandel der Gesellschaft:
„[...] dass die Erwerbstätigkeit und das eigene Einkommen, und sei es noch
so gering, der Frau erlauben, ihr Selbstwertgefühl und ihr Gefühl der
Selbstständigkeit zu entwickeln. Neue Erfahrungen, neue, außerfamiliäre
Kontakte und erweiterte Kommunikation eröffnen neue Aktionsräume,
beispielsweise des Engagements in berufsständischen oder politischen
Organisationen“(Ströbele-Gregor 2001:162).
Der brasilianische Soziologe und Anthropologe Renato Ortiz (1978)
analysiert die Dominanz der Frauen in den Kulten als Ausdruck von der
Dynamik gesellschaftlicher Strukturen und ihrer sozialen Organisationen.
Das Fehlen der Männer sei nicht afrikanisches Erbe, sondern Ausdruck der
- 152 -
Abwesenheit der arbeitenden Männer. Die Rolle der Frau in dem Kult wird in
einen gesamtgesellschaftlichen und kulturellen Kontext gestellt (vgl. Ortiz
1978 In Hohenstein 1991:342ff.)
Dazu möchte ich anmerken, dass die Abwesenheit der Männer in den
Familien in Brasilien ein gesellschaftliches Phänomen ist, jedenfalls stark die
ärmeren Bevölkerungsschichten betrifft. Das Adjektiv «arbeitend» kann
dabei leicht irreführend wirken, da viele Männer nicht aus Arbeitsgründen
abwesend sind, sondern aus verschiedensten Gründen keine Verantwortung
für die von ihnen gezeugten Kinder übernehmen.
Ortiz (1978) meint weiter, dass die gleichen Verhältnisse, die in der
matrifokalen Familie und innerhalb der sozialen Klasse herrschen, auch in
den matrifokalen Kulten reproduziert werden. Sowohl in der schwarzen
Familie als auch im Kult besitzen die Frauen gegenüber dem Manne eine
privilegierte Position. Dieses Privileg sei ein Ergebnis der Umstrukturierung
der familiären Verhältnisse in der neuen Welt, vor allem ist dies ein
Spezifikum der Unterschicht. Ökonomische Faktoren spielen eine
entscheidende Rolle in der Hervorhebung der mütterlichen Gestalt. Sowohl
in den Slumvierteln von Rio existieren matrifokale Familienstrukturen
(Queiroz 1968:71-93 In: Hohenstein 1991:342ff.) als auch in den populären
Stadtvierteln von Mexiko (Lewis 1963 In: Hohenstein 1991:342ff.). Oscar
Lewis prägte dafür die Bezeichnung «Kultur der Armen».
„Ortiz erweitert den matrifokalen Begriff auf die kultische Organisation und
rückt die Frauen und ihre sakralen Rollen in eine strukturelle,
organisatorische Zentralität, die über eine Konstatierung der hohen Präsenz
von Frauen und ihrer Raumzuweisung hinausreicht. Matrifokalität bedeutet
die Vermittlung und Definition von kulturellen, symbolischen und sozialen
Werten durch Frauen, die somit aktiv und dynamisch in die sozialen und
sakralen Gelegenheiten eingreifen" (Hohenstein 1991:347).
Diese Definition von Matrifokalität trifft auch auf die Position Ivetes am
Salgueiro zu. Dona Ivete do Salgueiro, Mãe de Santo, hat ihr Leben ihrer
sakralen Funktion gewidmet: die Vermittlung einer afro-brasilianischen
Kultur, der Afro-Friseursalon Nika Jaina steht symbolhaft dafür. Sie greift
aktiv in das soziale Leben am Salgueiro ein, setzt sich für die Anerkennung
ihrer Kultur, ihrer Religion ein. Damit erfüllt sie die Aufgaben einer Mãe de
- 153 -
Santo der modernen, urbanen Marginalisierten - Religion ist ein Weg zur
Befreiung:
„Esendo a Dona Ivete uma Mãe de Santo, a gente sabe ela detém todo
conhecimento e todo poder. Basta dizer figurativamente, a mãe de santo é
tão fort, tão poderosa que na casa dela, ela tem um porção de filhos sem
precisar de ter homem. Portanto é uma sociedade eminentimente matriarcal
e quem tem o conhecimento tem o poder” (Garcia Int.2001).
„Nachdem Dona Ivete eine Mãe de Santo ist , wissen die Menschen, dass sie
alles Wissen und alle Macht besitzt. Es reicht, es bildlich zu sagen - die Mãe
de Santo ist so stark, so mächtig, dass sie in ihrem Haus einen ganzen Schübel
Kinder hat, ohne einen Mann zu brauchen. Es ist daher eine vorwiegend
matriachale Gesellschaft - und wer das Wissen hat, hat die Macht.”
Auch er weist auf eine matriachale Kultur hin - die auch als matrifokal
bezeichnet werden könnte. Und wirklich, Ivetes Haus ist ein Haus der
Frauen. Sie regiert es mit der Macht und Autorität einer Mãe de Santo, ihre
Töchter dienen ihr und ihrem Auftrag. Marilda, eine der Töchter, hatte ihr
- 154 -
Abfindung in den Bau des Hauses investiert, das jetzt zum Schönheitssalon
wurde. Zwei Männer leben im Familienverband - der eine, Ivetes
Lebensgefährte, ist ein unscheinbarer, alter Mann, der sich stets im
Hintergrund hält. Ich hatte lange gebraucht, um ihn überhaupt der Familie
zuzuordnen, er wurde mir niemals vorgestellt - im Gegensatz zu allen
weiblichen Mitgliedern des Haushalts. Auch Ivetes Sohn hält sich im
Hintergrund, auch er dient den Idealen seiner Mutter und steht für alle
Hilfsdienste, die Männer verrichten können, zur Verfügung. Seine Frau
Marlene hingegen wird wie eine Tochter Ivetes wahrgenommen, das
Verhältnis zu ihrer Schwiegermutter ist innig; und auch sie dient mit ihrem
ganzen Sein dem Auftrag der Ivete. Alle Enkelkinder wachsen gemeinsam,
um die Großmutter herum auf. Und jedes Neue ist eine große Freude. So
hat Marisa vor kurzem (im Winter 2002) einen Sohn geboren. Der Vater,
den sie zwar liebevoll gatinho nannte (Kätzchen), aber deswegen noch
lange nicht über seine Macho-Allüren hinwegsah, ist mit einer anderen
verheiratet. Aber wen kümmert das schon. Hauptsache, das Kind ist da,
gesund.
Was mir besonders in Ivetes Haus - aber auch, wenn wir am Salgueiro mit
ihr unterwegs waren, aufgefallen ist, war die Aufmerksamkeit, die ihr alle
entgegenbrachten. Wo immer sie ist - wenn sie spricht, schweigen alle -
und hören ihr zu.
„Aqui a Cabocla Jurema, como criança - ela e criança, que governa a mata.
Sabe tudo das dias e das plantas, tudo tem que passar por ela - todos
caboclos tem que passar por ela. É caboclo que vive no mato, mas é criança…
há inocência. Quem esta caricando ele é Daiana” (Ivete Int.2001).
„Das ist der Caboclo Jurema, noch als Kind - aber er ist Kind. Er regiert den
Wald. Er weiß alles über die Tage und die Pflanzen, alle Caboclos müssen zu
ihm kommen, er lebt im Wald, ist aber Kind. Es hat die Unschuld. Wer ihn
trägt ist Daiana”.
- 155 -
Daiana ist fünfzehn, eine Tochter Marildas. Sie ist fast immer in der Nähe
Ivetes, sie hilft in der Casa de Angola mit, hilft in der Vorbereitung der
Opferspeisen für die Orixás, hilft genauso bei allen Tätigkeiten im
Schönheitssalon. Daiana hatte die ehrenvolle Aufgabe, die an die Wand
gemalene Schrift Nika Jaina im neu renovierten Salon nachzuziehen. Dieser
Schriftzug steht symbolisch für die Kraft der Göttin.
Und Daiana ist auch Fahnenträgerin in der lokalen Karnevalsgruppe, was
ihre Großmutter mit Stolz erfüllt.
Die Weitergabe ihres rituellen Wissens ist Ivete sehr wichtig. Ihre Töchter
sind bei allen rituelle Tätigkeiten, die ich sehen konnte, bei jeder
Zubereitung der Opferspeisen präsent und helfen mit. Ivete hat ihnen von
klein auf die Geschichten der Orixás erzählt, sie (in mir selbstverständlich
verborgen gebliebene Dinge) eingeweiht.
Über Marisa, die Ältere sagt sie:
„A minha filha raspou a cabeça, aos 7 anos. Ela nasceu á meia noite do dia
12 de junho, a véspera de Santo Antônio” (Ivete In Gilberto 2000).
„.Meine Tochter rasierte den Kopf mit 7 Jahren. Sie wurde am 12.Juni um
Mitternacht, in der Nacht des heiligen Antonius geboren.”
Dies frühe Kopfrasieren würde dem afrikanischen Muster, das Verger (1997)
beschrieben hat, entsprechen. Die frühe Initiation erfolgt, sobald das Orakel
(Ifa genannt, es handelt sich um geworfene Kaurimuscheln) den Orixá
bestimmt hat, dem das Kind in Zukunft als Tochter/Sohn dienen soll, den es
empfangen wird und dessen Charaktereigenschaften es trägt. Oft ist es
auch schon von Geburt an klar, wem das Kind angehört.
Ivetes Töchter sind keine «geborenen» Mães de Santo - sie müssen den
Weg der Initiation gehen, die verschiedenen Stufen durchlaufen.
Mir fiel auf, dass Marilda Ivete vorwiegend im Inneren des Hauses zur Seite
stand. Im öffentlichen Leben sah ich Ivete öfters mit Marisa. Marisa ist eine
Tochter Xangôs, sagt Ivete. Durch ihr Verhalten - ihren ausgeprägten Sinn
für Gerechtigkeit, ihr machtvolles, dynamisches Auftreten entspricht sie -
nachvollziehbar - dem Archetypus von Xangô, dem Gott der Gerechtigkeit,
des Donners und des Blitzes.
Ivete selbst ist eine Tochter Yánsàns. Yánsàn gilt als die Göttin des Windes,
des Wirbelsturms. Sie hat nicht die sanften Charakteristiken anderer
- 156 -
weiblicher Orixás, wie der Urmutter Jemanjá - Göttin des Meeres - oder der
eitlen Oxúm der Flüsse. Yánsàn ist eine, die gute Beziehungen zu den Toten
pflegt, die die Eguns, die Totengeister, mit ihrem Sturm aufwirbelt und
dominieren kann. Sie hütet den Übergang ins Reich der Toten. Yánsàn ist
die erste Frau Xangôs gewesen - und vorher war sie die Frau Ogums, des
Gottes des Krieges und des Eisens - was zu vielen Eifersuchtsgeschichten
geführt hat. Die Legenden um die Orixás sind ein endloses Kapitel, Kremser
(2001) hat das Phänomen Xangô ausführlichst analysiert, Verger (1985) hat
die Yoruba-Legenden gesammelt .
Aber ich möchte auf die Geburt Marisas zurückkommen, die in der Nacht
des Heiligen Antonius, um Mitternacht auf die Welt kam. Der heilige
Antonius wird mit Xangô synkretisiert, der 13. Juni ist daher auch der
Feiertag Xangôs - und wird auch als Tag von Exú gefeiert. Mitternacht ist
die Stunde Exús.
Erst beim recherchieren ist mir dieser Zusammenhang aufgefallen. Ich frage
mich - welche Beziehung hat Marisa zu Exú? Welche Beziehung hat Ivete zu
den Geistern der Toten, deren Vermittler ja auch Exú ist?
Fragen über Fragen, die ich in diesem Rahmen nicht lösen kann. Um das
Bild meiner LeserInnen zu vervollständigen (und die Fragen an sie
weiterzugeben) möchte ich noch eine kleine Geschichte erzählen.
Es war während der Dreharbeiten, wir gingen mit Ivete und Marisa zur
Karnevalsausscheidung auf den Hügel hinauf. Es war schon Nacht. Gleich
hinter Ivetes Haus gibt es ein unbebautes Grundstück, ein paar
Quadratmeter mató - «Wildnis». Eine große Tabakpflanze wuchs dort (ich
erkannte sie an der charakteristischen Form der großen Blätter). Ivete blieb
stehen, zeigte mir die Pflanze, riss vorsichtig einen Teil ab. „Das ist die Natur,
das wächst von allein. Jeder der will, kann es pflücken, man muss es nur wissen. Aber es
wächst von allein.” Ich fragte sie nach dem Namen der Pflanze - „é a planta do
fumo" - es ist die Pflanze des Rauchs, antwortete sie, sehr mysteriös. Wofür
sie denn gut sei, fragte ich weiter. „Oh, da kannst du viel damit machen, mit Honig
einreiben und schon kannst du sie rauchen… und viele andere Sachen auch…" „Was für
Sachen?” „Viele Sachen im Spiritismus.” Und als ich sie fragte, von wem denn die
Pflanze sei, antwortete sie mit einem Hauch „von Exú" - und Marisa wischte
- 157 -
ihr genau in diesem Moment den Schweiß mit einem weißen Schweißtuch
von der Stirn.
Am nächsten Tag sah ich die Pflanze zum Trocknen aufgehängt, auf der
Terrasse ihres Hauses.
- 158 -
„ Ich habe meine weiße Fahne gehisst - die Friedensfahne - und wende mich
den Wegen des Lebens zu. An dem Tag, als ich die Fahne aufgehängt habe,
gab es einen Tumult am Hügel, aber schließlich ließen sie sogar Feuerwerke
steigen. Sie riefen von oben: Es ist die Friedensfahne! Die Fahne des
Friedens!”
Die weiße Fahne ist nicht nur Friedenssymbol, sondern gleichzeitig
unverwechselbares Zeichen für eine Casa de Angola (vgl. Luiz 2002
<www>). Und hier stellt sich unweigerlich die Frage – was ist eine Casa de
Angola? Ist es nur die allgemein gültige Bezeichnung für eine Kultstätte der
Nation Angola oder ein Hinweis auf eine eigene Kultform und bestimmte,
rituelle Vorgaben? Fohr (1997:185) definiert z.B. Casa de Minas als afro-
brasilianische Religion in Maranhão, die auf Jeje - Elemente zurückgehe und
Ähnlichkeiten zum haitianischen Voodoo aufweise. Gehört eine Casa de
Angola zum Umbanda?
- 159 -
„Nação passou a ser, desse modo, o padrão ideológico e ritual dos terreiros
de candomblé da Bahia, estes sim, fundados por africanos angolas, congos,
jejes, nagôs, – sacerdotes e iniciados de seus antigos cultos, que souberam
dar aos grupos que formaram a norma dos ritos e o corpo doutrinário que se
vem transmitindo através os tempos e a mudança nos tempos” (Da Costa
Lima 1977 <www>).
„Nation wurde so der ideologische und rituelle Faden der Terreiros des
Candomblés in Bahia, welche wohl von Angola-, Congo-, Jeje-, Nagô-
AfrikanerInnen gegründet worden waren - von PriesterInnen, die in den alten
Kulten initiert waren, die wussten, wie sie den Gruppen, die sie bildeten, die
Normen der Rituale und die Doktrin weitergeben konnten, wie sie über Jahre
weitergegeben und die Veränderungen der Zeiten erfahren haben”.
Zu Casa de Angola meint Prof. da Costa Lima, dass deren Existenz auf eine
Bantu-Tradition hinweist, welche durch die Nationen Congo und Angola
vertreten ist. Aber selbst die Eigenbezeichnung der KultleiterInnen als der
Congo- oder Angola-Nation zugehörig ist flexibel und fließend. In den 146
Interviews, die er für die Erstellung seines Buches geführt habe, habe er
jeweils nur eine der als Casa de Angola, de Congo, de Caboclo oder de
Congo-Caboclo bezeichneten C a s a s gefunden. Er konnte aber, in der
Analyse der Interviews, keine charakteristischen Elemente der Congo-
Nation in diesen Terreiros finden (vgl. Da Costa 1977 <www>).
Ivete und ihr Terreiro gehören offensichtlich der Nation Angola an - für mich
stellt dies eine klare Berufung auf die afrikanischen Wurzeln dar - im
speziellen eben auf ihre VorfahrInnen aus Mosambik (es gibt z.B. im
Umbanda auch die Nation des Oriente, der EuropäerInnen und AsiatInnen
zugeordnet werden). Ivete weist in ihren Gesprächen auch immer auf die
Bedeutung ihrer VorfahrInnen, auf ihren Ursprung in Mosambik, auf die
afrikanische Vergangenheit hin.
„Sou uma pessõa que dá muíto valor aos antepassados e passo para meus
filhos toda essa magia que trago comigo” (Ivete Int. 2001).
„Ich bin eine Person, die auf ihre VorfahrInnen großen Wert legt und ich gab
meinen Kindern all die Magie weiter, die ich mit mir trage”.
In Ivetes Wertesystem haben die Magie, Macumba-machen (was bedeutet,
eine magische Arbeit durchzuführen) und die verstorbenen VorfahrInnen
einen großen Stellenwert. Die Welt der Geister ist in ihren Erzählungen
ebenso präsent wie jene der Orixás und der Caboclos.
Die Grenzen zwischen Candômblé und U m b a n d a sind, wie wir schon
gesehen haben, fließend. Und dies gilt besonders für die Nation Angola. Im
Zuge meiner Recherchen habe ich mich an verschiedene Internetsites des
Umbandas, die Beratung anbieten, gewandt, um zu weiteren Informationen
zu kommen. Einer dieser Teleconsultadores des Umbanda, Tata Ojeruele,
hat mir dankenswerter Weise seine Definition der Casa de Angola
zugesandt:
„Casa de Angola ist das Haus für den Kult an die Inkisis [die angolanischen
VorfahrInnen]. Auf diese Weise vermischen sie Orixás [Nigeria] mit Caboclos
[Brasil]. Eine Casa de Angola führen darf, wer in der Nation Angola vor mehr
als 7 Jahren initiert wurde und alle seine rituellen Verpflichtungen erfüllt
hat. Eine gute Casa de Angola soll eine Casa de caboclo, eine Casa do tempo
[Zeit] und eine Casa der im Haus verehrten Orixás haben. Umbanda und Casa
de Angola sind verschieden, aber beide kommen aus Regionen, die heute als
Angola bekannt sind”.
- 162 -
Gemäß der Definition Ojerueles, die keine wissenschaftlich exakte ist, aber
das Eigenverständnis von Umbanda - PriesterInnen und Praktizierenden
widerspiegelt, bestätigen sich meine Vermutungen.
Dona Ivete führt eine Casa de Angola, einen Kultplatz, der eindeutig auf
angolanische Deszendenz schließen lässt und auf fließende Übergänge
zwischen Candômblé und Umbanda hinweist. Ivetes Casa de Angola hebt
die enge Verbindung zu den afrikanischen Wurzeln hervor und unterstreicht
deren Wichtigkeit. Die permanente Präsenz ihrer Großmutter, Dona Euzébia
und die Berufung auf das SklavInsein - auf die versklavten VorfahrInnen
würde auf die Tatsache der Ahnenverehrung hinweisen.
In Ivetes Casa de Angola werden einerseits die Yoruba-Orixás Xangô und
Oxossí sowie der Jeje-Orixá Obáluê verehrt. Eine Sonderstellung hat
Caboclo Jurema, der als Herrscher des Hauses gilt. Dona Ivete handelt
nicht, ohne Caboclo Jurema um Rat zu fragen. Caboclo Jurema ist ein
Indigener, ein Kind, das, laut Auskunft von Dona Ivete, auch den Weg der
SklavInnen gegangen ist - von Bahia kommend nach Rio de Janeiro, und im
speziellen Fall, zum Morro do Salgueiro. Interessant hervorzuheben erschien
mir, dass Caboclo Jurema, der im Umbanda eine zentrale Rolle spielt, Dona
Ivete persönlicher Berater ist. Caboclo Jurema ist jener Espírito, der Dona
Ivete erlaubte, ein Filmteam auf den Morro do Salgueiro einzuladen und in
die Hintergründe einzuführen - und dies bereits anlässlich der 100 Jahr
Feier des Salgueiros und im konkreten Fall, mit mir. Caboclo Jurema - der
Indigene, der, wie alle Caboclos im Umbanda, mit pflanzlicher Heilkunst in
Verbindung gebracht wird, gibt Dona Ivete den Auftrag und die Erlaubnis,
Presse- bzw. Medienarbeit zu machen und einen globalen Hilfeappell an die
Welt zu schicken. Caboclo Jurema beauftragt Dona Ivete mit der
Durchführung des Kurses Nika Jaina, mit einer Berufsausbildung für die
verwahrlosten Jugendlichen der Favela. Und er zwang Dona Ivete, durch
gewaltvolle Inbesitznahme ihres Körpers, zur Ausübung ihrer Pflichten als
Mãe de Santo.
In diesem Kontext findet auch Nika Jaina, die deifizierte Ahnin aus
Mosambik, die Göttin, die für die Frauen kämpft und als Orixá des Mutes
- 163 -
bezeichnet werden könnte, ihren Platz. Nika Jaina passt in die Traditionen
von Angola und Congo.
Dass Umbanda und Casa de Angola eigentlich auf zwei unterschiedliche
praktizierte Religionen hinweisen, deutet auf einen durch Ivete praktizierten
Synkretismus hin, der sich aus ihrer spirituellen und weltlichen Geschichte
erklären lässt.
Friedens am Salgueiro geschaffen - ein Haus der Vermischung, ein Haus der
Aufwertung der brasilianischen Kultur afrikanischen Ursprungs.
Aber das ist ihr nicht genug. Und es ist auch noch nicht die Erfüllung ihres
Auftrages, die Arbeit ihrer Großmutter weiter zu führen.
Hier kommen wir wieder zum Beginn meines Dokumentarfilms in der Casa
de Angola - in Ivetes Aufteilung in «davor» und «danach», wo sie erzählt,
dass sie «davor» nur ihre spirituellen Aufgaben erfüllt habe (vg. Kapitel 5).
Das «danach» begann mit dem Wunsch, der Überzeugung und der
Annahme des spirituellen Auftrags, auch soziale und kulturelle Arbeit zu
leisten.
„Ich möchte ein Kulturzentrum am Salgueiro gründen, damit die Jugend und
die Kinder von heute besser die Geschichte eines Volkes erfahren, das einen
Wert hat. Ich habe viel gekämpft, selbst um jemanden hier oben zu halten,
der nicht erwünscht war. Der Morro do Salgueiro war ein Ort der Sklaven; bis
vor kurzem wurden hier noch die Ketten hingeworfen, die die Qual vieler
Schwarzen waren, in der Vergangenheit”.
Die Vergangenheit, das ist die Sklaverei, das ist das Leid, das die
Schwarzen erfahren mussten, die zugefügten Erniedrigungen und gelebten
Entbehrungen. Die Gegenwart ist die Weiterführung der Erniedrigung der
Kultur, ihre Negierung - die Sklaverei in einem modernen Gesicht.
Vadiagem und Branqueamento prägen dieses Bild. Und, genau wie Da Costa
Lima (1977 <www>) meinte, erfüllt Ivetes Terreiro - ihre Casa de Angola -
eine sozialpolitische Aufgabe. Das Haus ist ein Zentrum für geistigen
Widerstand und kulturelle Verteidigung. Und genau um ihre Casa de Angola
herum, im Bereich des Hauses, an dem die weiße Fahne angebracht ist, hat
Ivete den Sitz ihres Vereins und ihren Afro-Friseursalon untergebracht.
- 165 -
„Cê vai seguir todo o meu trabalho - e o que eu não consegui construir na
comunidade - você vai construir. E você vai sofrer muito” (Ivete Int.2001).
”Du wirst all meine Arbeit fortführen und all das aufbauen, was mir in dieser
Gemeinde nicht gelungen ist. Und du wirst viel leiden".
Die Großmutter sagte ihr auch, dass eine blonde Frau ihr den Weg zeigen
würde, um Großes für die Gemeinde zu leisten - aber dass sie dabei «Blut
schwitzen würde».
Und wirklich, kurz nach dem Tod der Großmutter wurde eine Volkszählung
und Bestandsaufnahme am Salgueiro durchgeführt - und eine blonde
Betreuerin kam zu Dona Ivete. Die beiden Frauen verstanden sich gut,
Dona Ivete erwies sich als ausgiebige Informantin zum Leben am Salgueiro,
zeigte die herrschenden Missstände auf und schlug gleichzeitig
Verbesserungen vor. Die Betreuerin kam immer wieder zu Dona Ivete
zurück, leitete ihre Informationen an die Bezirkspolitiker (außerhalb der
Gemeinde) weiter. Und schließlich wurde Dona Ivete als Kulturdirektorin in
der BewohnerInnenvertretung eingesetzt.
„Fui diretora de cultura - esse trabalho meu consegui colocar nos estatutos
da Associaçao dos Moradores - uma coisa que nunca tivi - um departamento
cultural. Então, eu estando ou não estando, outros diretores culturais vão
mexer com esse trabalho. Porque sem a cultura você não faz nada - a cultura
è o tudo. A cultura, você entra em saude, entra tudo. Falou cultura, falou
educação, falou saúde - falou em aparencia. Eu falo na cultura orixá, porque
venho dessa origem. Mais ela envolve tudo, não tem nada ver. Ela é um
quadra social. Muito mais dentro da comunidade" (Ivete Int.2001).
„Ich war Kultur-Direktorin - und es ist mir gelungen, die Kulturarbeit in den
Statuten der BewohnerInnenvertretung unterzubringen. Das hat es bis jetzt
noch nie gegeben, eine Kulturabteilung! So - egal ob es mich gibt oder nicht -
werden andere Kulturdirektoren diese Arbeit machen. Weil ohne Kultur
- 166 -
machst du nichts - die Kultur ist alles. Mit der Kultur kommst du zu
Gesundheit, überallhin. Sprich Kultur - und es geht um Ausbildung,
Gesundheit, Aussehen. Ich spreche in der Kultur der Orixás, weil das mein
Ursprung ist. Sie beinhaltet alles - sie ist ein sozialer Rahmen. Und noch viel
mehr innerhalb der Gemeinde".
Für eine Legislaturperiode hat Dona Ivete eine explizit politische Aufgabe
übernommen, was innerhalb eines mafiaartig organisierten Sozialsystems
eine schwierige Herausforderung ist. Sie wurde in der nächsten Periode
auch nicht mehr gewählt bzw. eingesetzt. Aber es ist ihr gelungen,
Kulturarbeit als Aufgabe der Lokalpolitik zu verankern und somit einen Teil
ihres Auftrages zu erfüllen - die Anerkennung der brasilianischen Kultur
afrikanischen Ursprungs - zumindestens am Morro do Salgueiro.
Die blonde Betreuerin empfahl Dona Ivete auch die Gründung eines
gemeinnützigen Vereins, um damit effektive - und geförderte Ausbildungs-
und Kulturarbeit leisten zu können.
„Mosambik, die Tradition von Mosambik- es gibt viele Sache, die ich alle hier
gespeichert habe - ich würde hier etwas machen, auf diesem Hügel , ich
möchte nicht weggehen. Die Leute wollten mich auf die Straße bringen, in
die Peripherie, um dort meine Arbeit zu machen. Meine Arbeit dorthin geben
- das will ich nicht. Meine Intelligenz - die will ich hier ausleben - ich will,
dass die Leute ihre eigene Identität finden, wie ich meine gefunden habe, ich
bin hier geboren”.
- 167 -
Für Dona Ivete verläuft die Teilung der Welt klar entlang der Grenzen des
M o r r o s . Die Straße, die Peripherie - Rio de Janeiro - sind nicht ihr
Wirkungsbereich. Sie beschränkt sich auf lokales Handeln - innerhalb ihres
Volkes.
In den Statuten ihres Vereins verweist sie auf den globalen Kontext:
„Es ist ein gemeinnütziger Verein, der zum Ziel hat, die soziokulturelle
Entwicklung der Gemeinde des Morro do Salgueiro umzusetzen, zu fördern
und zu begünstigen. Er kämpft für die Gleichheit der Rechte unter den
Menschen, unabhängig von ihrer Hautfarbe, Ethnie, Klasse, Geschlecht,
Religion oder Glauben”.
Dona Ivetes Geschichte ist mit dem Salgueiro verbunden - ihr Auftrag
bezieht sich auf den Salgueiro. Die Überlieferung afrikanischer Werte, im
besonderen jener aus Mosambik, ist für sie der Leitfaden ihrer Arbeit. Die
Aufarbeitung der historischen Wurzeln, das Identität-Finden und Identität-
Bilden anhand der Aufwertung der afro-brasilianischen Geschichte sind ihre
Zielsetzung. Von ihrer Person, ihren Erfahrungen ausgehend, die
Lebensbedingungen der dunkelhäutigen BewohnerInnen des Salgueiros
kennend, weiß sie, dass es für sie - wie auch für all die anderen
Dunkelhäutigen - nur eine Möglichkeit gibt, im Brasilien des
Branqueamentos positiv zu überleben: Selbstwert anhand der eigenen
Kultur aufbauen.
„Die Kultur - ist vor allem - eine Waffe für die Befreiung. Die Kultur formt die
Lebenseinstellung, sie gibt dem Menschen die Möglichkeit, sich zu
reflektieren; sie ermöglicht das Wiedererlangen der Würde. Durch die Kultur
wird die Entwicklung der Selbstachtung gefördert. Durch die Kultur können
auch die eigenen Bürgerrechte gebildet werden".
Januário Garcia, der in der Rio de Janeiro Stadtsekretär für afro-
brasilianische Kultur war und 2001 das Zentrum José Bonifacio leitet,
- 168 -
„O salao é afro-brasileiro, mas a gente envolve tudo - por que a gente não
vai cuidar só do negro. Somos todas uma mexigenação. Não tem que ter essa
discriminação de preto, branco, cabelo duro, cabelo bom - somos todos
juntos, todos igüais, filhos do mesmo pai. Acho que o salão tem que
abranger tudo”(Ivete Int. 2001).
„Der Salon ist afro-brasilianisch. Aber wir beziehen alles ein. Wir werden uns
nicht nur um die Schwarzen kümmern. Wir sind eine riesen Vermischung -
- 169 -
„Man soll auch auf die Teilnahme an einem anderen Projekt der PCS, die im
Laufe des Projektes [Nika Jaina] realisiert wurde, hinweisen. Dadurch wurde
das Erlebte, in einer Mischung aus Berufserfahrung und Erweiterung des
kulturellen Universums umgesetzt. Die Mädchen von Nika Jaina frisierten in
den Garderoben, vor allen Aufführungen, die Tänzerinnen und Professorinnen
des Projektes «Tocando o Rio»; sie wurden dort auch als Gäste einbezogen”.
Der Salon - und die Betreuung durch Dona Ivete - haben Symbolcharakter.
Januario Garcia (Int. 2001) hebt mehrere Punkte hervor, beginnend mit der
Selbstlosigkeit von Dona Ivete, auf ihren persönlichen Komfort zu
verzichten. Dona Ivete ist aus ihrem geräumigen, unter großen Opfern
- 170 -
„Im Rahmen der Gemeinde sehe ich dieses Projekt als ausgesprochen wichtig
an. Wir gehen von folgendem Prinzip aus – Die Fähigkeit, die Dona Ivete hat,
auf ihren persönlichen Komfort zu verzichten und ihn mit den Bedürftigeren
zu teilen. Wenn sie so eine Entscheidung trifft, aus ihrem Haus auszuziehen,
um es anderen Menschen zur Verfügung zu stellen, damit die sich ausbilden
lassen können, um sich in den formalen Arbeitsmarkt zu integrieren, ist das
schon etwas sehr Wichtiges. Dieses Projekt hat in der Gemeinde eine sehr
große Bedeutung; die Jugendlichen sehen darin eine Hoffnung auf die
Verbesserung der Lebensqualität. Dieser Raum ist eigentlich ein
Hoffnungsträger, ein Raum, der Erwartungen und Wünsche in den Personen
weckt, die versuchen ihre Lebensqualität zu verbessern. So sehe ich diesen
Raum hier. Dieser Raum ist eigentlich ein Hoffnungsraum der Jugend die sich
ausbilden und in den formalen Arbeitsmarkt eingliedern möchte".
- 171 -
arbeiteten, Haare nur für die Bekannten, Nachbarn und Familie machten.
Ich fragte sie, warum sie denn nicht versuchten, in Haarsalons in Rio
unterzukommen (aus heutiger Sicht eine naive Frage, die den rassitischen
Kontext der brasilianischen Klassengesellschaft nicht berücksichtig). Ein mir
sehr logisch erscheinendes Argument war die dargestellte Notwendigkeit, zu
Hause zu bleiben und dort informell zu arbeiten, um die eigenen Kinder und
die kleinen Geschwister versorgen zu können. Von vielen der Mädchen kam
die Antwort, dass sie noch zu wenig gelernt hätten, das Gelernte noch
vertiefen müssten, weitere Ausbildungen besuchen müssten (vgl.
Kursteilnehmerinnen Int. 2001). Sie meinten zwar, dass sie als Maniküren
und Pediküren unterkommen könnten, wozu die Maniküre-Lehrerin treffend
meint:
„Maniküre ist für alle gleich - für Weiße, Schwarze, Rote, Gelbe, Russen - für
alle ist es das Gleiche”( Georgette Int.2001).
Was wiederum auf verinnerlichten Rassismus zurück schließen lässt, dass
mit einer Spezialisierung in Afro-Haare im Brasilien des Branqueamentos
keine wirklichen Berufsperspektiven entstehen können.
Es wurde der Wunsch nach anderen Ausbildungsmöglichkeiten geäußert,
einer - der einzige Bursche - würde so gerne Krankenpfleger werden, eine
Ausbildung, die in Brasilien nur an der Universität angeboten wird.
Mich hat die Analyse der Mädchen sehr beeindruckt. Sie suchten - gemäß
den Kriterien eines nicht rassistisch geprägten Arbeitsmarktes - nach
objektiven Gründen für die noch nicht gelungene Integration in den
formalen Arbeitsmarkt. Aber v.a. forderten sie - ziemlich vehement und
entschlossen - weitere Ausbildungsmöglichkeiten, die die Grundlage für die
Integration in den Arbeitsmarkt darstellen sollten.
„Ich glaube, in der Gemeinde sollte es mehr Kurse geben, nicht nur diesen,
sondern verschiedene. Damit die Leute hier mehr lernen können. Hier, in der
Gemeinde ist es schwierig, es gibt nur diesen einen Kurs und sonst gar nichts.
Wir müssten diesen vertiefen und auch andere machen, wie z.B.
Informatik”(Roselea Int. 2001).
Das Bewusstsein, an einem Ort der Ausgrenzungen zu leben, beginnt sich
zu formieren. Der Anspruch, gleichen Zugang zu Ausbildung zu haben,
kristallisiert sich heraus. Es wird nach objektiven Gründen gesucht, warum
- 173 -
Diese Information bekam ich, als ich Dona Ivete nach der Finanzierung des
Projektes Nika Jaina befragte. Als ich nachfragte, ob das denn ein
staatliches Programm sei, meinte sie: „Wenn es von Dona Ruth kommt, ist es
sicher staatlich.”
Dona Ivete erklärte mir den gesamten Ablauf der Finanzierung, die
begleitende Kontrolle durch die Organisation und sprach viel über die
Schwierigkeiten, ein Projekt bewilligt zu bekommen. Denn für die
Bewilligung müssen bestimmte Grundvoraussetzungen vorhanden sein: der
zur Verfügung gestellte Ausbildungsraum muss adäquat sein, für die Kosten
von Arbeitsmaterialien muss selbst aufgekommen werden, die Konzeption,
Organisation und Projektplanung müssen selbstständig durchgeführt
werden.
Dona Ivete zählt zu den erfolgreichen ProjektorganisatorInnen - die von ihr
angebotene Ausbildung zur Afro-FriseurIn wurde schon dreimal - jeweils für
sechs Monate gefördert. Jedesmal konnte sie 35 Mädchen ausbilden. Auch
andere Kurse waren ihr schon finanziert worden. Ob sie das nächste Mal
auch gefördert werden würde, wusste sie nicht, sie würde jedenfalls weiter
um Förderung ansuchen - und die Heiligen um Hilfe bitten.
Mich machte diese Auskunft stutzig. Auch konnte ich das hinter der
Förderung stehende System nicht begreifen.
Dona Ivete zeigte mir die Unterlagen, die sie eingereicht hatte, zeigte mir
die diesbezügliche Korrespondenz. Alles wirkte sehr komplex - und ich
erinnerte mich an Dona Ivetes Aussage, dass sie nur die Grundschule
besucht hatte. Die Hürde der Projekteinreichung (in São Paulo) und der
nachfolgenden Korrespondenz hatte sie mit Hilfe guter Geister (und zu
diesen zählt auch Januário Garcia) überwunden. Aber der Knoten in meinem
Kopf ließ sich durch die erfolgreiche Improvisationsfähigkeit und Allianzen-
bildung der Dona Ivete nicht lösen. Ich informierte mich daher über das
Programm Capacitação Solidaria.
„Um minuto por dia. É tudo que você vai gastar para dar uma oportunidade
aos jovens do Brasil” (AAPCS 2002 <www>).
„Die Partizipation der Zivilgesellschaft soll durch die Einbindung von NGO's
gewährleistet werden, die starren bürokratischen Regelungen werden durch
eine dezentralere, flexiblere und an den Ergebnissen orientierte
Vorgangsweise ersetzt. […] Die Sozialorganisationen sind eine
Organisationsform, die von der Regierung als nicht-staatlich, aber öffentlich
bezeichnet wird, als Mischform zwischen Staat und Gesellschaft. Die konkrete
Ausgestaltung bestimmt aber ihre Wirksamkeit. Es handelt sich nämlich durch
die Zusammensetzung des Verwaltungsrats, die Normsetzungsmacht und das
Ressourcenmonopol um eine Verstaatlichung der Gesellschaft. […] Diese
fördert letztendlich die gleichzeitige Ökonomisierung von Staat und
Gesellschaft. Staatliche und zivilgesellschaftliche Organisationen werden wie
Unternehmen behandelt. Es kommt zu einer konsequenten Ausweitung der
ökonomischen Form auf das Soziale. Die Differenz zwischen Ökonomie und
Sozialem wird eliminiert”(Novy 2001:280f).
Die Zielsetzung, gesellschaftliche Solidarität mit einem Minimalaufwand von
einem Mouse-Click einzufordern, passt in unsere schöne, neue Welt - passt
in das moderne Brasilien, das so sehr dem vorbildhaften Europa gleicht. Der
wirtschaftliche Liberalismus, der die brasilianische Geschichte prägt und
geprägt hat, zeigt sich, wie auch Novy (2001) meint, explizit im Sozialen.
Ich denke an Dona Ivete, die nur die Grundschule besucht hat. In meinem
Kopf flimmern die Zahlen der AnalphabetInnen, der Millionen jugendlicher
Arbeitsloser.
„In den letzten 10 Jahren, wurde der Anstieg der Arbeitslosigkeit in Brasilien
durch die Expansion des informellen Sektors gemildert, aber die Statistiken
weisen auf eine spürbare Verringerung der Arbeitsmöglichkeiten für die
Bevölkerung bis 24 Jahre hin. In dieser Altersgruppe konzentriert sich mehr
als die Hälfte der gesamten Arbeitslosen. Bei Jugendlichen zwischen 14 und
19 Jahren wuchs die Arbeitslosigkeit von 25 % auf 29 %. Bei Jungen zwischen
20 und 24 Jahren wurde eine Steigerung von 14 % auf 17 % festgestellt. Diese
Jugendlichen ohne Einkommen, welche in prekären familiären Verhältnissen
oder durch die Arbeitslosigkeit der Eltern geschaffenen Prekarität leben,
fühlen sich ausgeschlossen und werden leichtes Opfer der Aufrufe zu Gewalt
und Marginalisierung”.
Das Programm Capacitação Solidaria thematisiert die Problematik der
einkommensschwachen und arbeitslosen Jugendlichen. Es stellt einen
Zusammenhang zwischen Selbstwertgefühl, Bürgerrechten und Arbeit her.
In seinen Berichten würdigt es kulturelle Aktivitäten, die zur Bildung einer
positiven Identität führen, weist auf den Zusammenhang von Armut und
Gewalt hin: im speziellen wird der Drogenhandel, mit seinen Verlockungen
des schnellen Geldes, angesprochen.
Der Abschlussbericht der Capacitação Solidaria zum Projekt Nika Jaina ist
durchgehend positiv, die vorhandenen infrastrukturellen Mankos werden
aufgezeigt, die Lösung bleibt jedoch in der Verantwortung von Dona Ivete.
Die Prekarität der Gemeinde wird angesprochen, gesamtgesellschaftliche
Zusammenhänge jedoch ausgelassen (vgl. AAPCS 2002 <www>).
Die Capacitação Solidaria versucht, unter Einbeziehung der in den
Armenvierteln aktiven Vereine, kurzfristige - und, wie wir im Falle von Dona
Ivete gesehen haben - prekäre Übergangslösungen anzubieten.
Mit einer Minute täglich ist das Problem für die brasilianische Mittelklasse
gelöst. Angeblich.
Und die brasilianische Regierung? Sie kann als Sponsor auftreten -
gleichwertig mit privaten, nationalen und internationalen Unternehmen.
Das Programm Capacitação Solidaria kann als Privatisierung der Sozial- und
Arbeitsmarktpolitik des Staates verstanden werden.
- 178 -
„Der harte - oder, wie es heißt: strategische - Kern des Staates wird
weiterhin, nach teilweise archaischen, teilweise modernen autoritären
Formen gelenkt. (…) Der hohen, nun als Management geführten Bürokratie
kommt die Aufgabe des Steuerns des Staatsschiffes zu. Die Ausführung - das
Rudern - wird in halbstaatlichen oder halbgesellschaftlichen Sozialorgani-
sationen ausgelagert, in denen die gleichen prekären Bedingungen
vorherrschen wie auf dem sonstigen - privaten - Arbeitsmarkt” (Novy
2001:279).
Dona Ivetes Sozialprojekt - die Berufsausbildung Nika Jaina - ist nicht als
isoliertes Projekt zu werten. Von Seiten Ivetes ist es in einen größeren,
vorwiegend soziokulturellen Rahmen gebettet. Mit ihrem persönlichen,
selbstlosen Engagement versucht sie, effektiv gegen Ausgrenzungspraxen
vorzugehen, positive Bewusstseinsbildung als Weg zum Erlangen der
Bürgerrechte zu schaffen.
Von Seiten der Finanzierungsgeber - und das ist im konkreten Fall die
Capacitação Solidaria, ist es Teil der brasilianischen Sozialpolitik - es soll
eine Lösung für die im Land herrschenden Missstände bieten. Die
Verantwortung wird in die Hände der Schwächsten gelegt.
„Brasilien hat eine Bevölkerung von ca. 150 Millionen Menschen. Laut
offiziellen Statistiken sind wir Schwarzen 45% von dieser Bevölkerung. Das
heißt, dass wir 67 Millionen Schwarze in diesem Land sind. Sagen wir, dass
50% dieser Schwarzen keine Konsumenten sind - über 30 Millionen… absurd!”
Was er als «wir Schwarzen Brasiliens» bezeichnet, ist die Summe der sich
als Nicht-Weiß bezeichnenden, eine politische Aussage. Für ihn ist die
- 179 -
„Porque a partir desses dados, e que a gente pode interferir nos programas
sociais do governo, interferir nos emprestos que são inviados por essas
organizações do banco mundial, do banco interamericano para a gente saber
que parte desse dinheiro tem que ser aplicado nessa forma - porque X% da
populaçao esta escluida - e x% dessa populaçao è a maioria" (Garcia Int.
2001).
„Weil über diese Daten könnte man in die Sozialprogramme der Regierung
eingreifen, die Kredite, die von Weltbank und Banco Interamericano
kommen, umleiten - damit die Leute wissen, dass ein Teil des Geldes so
verwendet werden muss - Denn x % der Bevölkerung sind ausgeschlossen - und
x % sind die Mehrheit.”
Die Ausschließungspraxen, die der schwarzen Bevölkerung, im speziellen
den Armen Brasiliens, den Zugang zum Arbeitsmarkt verweigern, die ihnen
somit auch die Partizipation am gesellschaftlichen Wohlstand
verunmöglichen, sind Teil der Branqueamento-Ideologie und weisen auf
institutionalisierten Rassismus hin.
„[…]Märkte können nicht «frei» von ihrem gesellschaftlichen Umfeld und dem
Staat sein und sind deshalb nur eine Form von Regulation neben anderen. Für
den wichtigsten Markt, den Arbeitsmarkt, gilt darüber hinaus, dass er ein
Autoritätsverhältnis begründet, das dem Reich der Freiheit und dem
bürgerlichen Ideal der Gleichheit eine Grenze setzt [Bowles, Gintis 1986:72].
Arbeitskraft muss verkauft werden, damit ArbeiterInnen konsumieren
können. Konsumnormen wiederum bilden die Grundlage von Lebenschancen
und Lebensstilen" (Novy 2001:276).
Die Überlegung, soziale Missstände durch Einbeziehung der Zivilgesellschaft
zu überwinden, kann ich nicht als grundlegend falsch qualifizieren.
Allerdings ist die Privatisierung der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik in einem
von Ausschließungspraxen gekennzeichneten Land nicht als Lösung zu
werten. Denn:
negro é muito dificil. Tem esse suporte financeiro para formar e capacitar
essas pessoas em uma mão-de-obra especializada - e depois? E não bastasse
tem que abrir o mercado e incentivar as pessoas a abrir o mercado pra
elas"(Garcia Int. 2001)
”Die Berufsausbildung der Leute: das ist ein anderes NEIN - die Lüge, die
sagt, den Leuten den Eintritt ins Berufsleben zu ermöglichen. Da muss man
sich die Öffnung des Arbeitsmarktes ansehen. Den brasilianischen Arbeits-
markt zu öffnen, ist für jeden Schwarzen sehr schwer. Es gibt diese
finanzielle Hilfe, um spezialisierte Arbeitskräfte auszubilden. Aber nachher?
Man muss den Markt aufmachen und die Leute animieren, den Markt für diese
Arbeitskräfte zu öffnen.”
Hier komme ich wieder auf den vielsagenden Slogan der Capacitação
Solidaria zurück:
que a gente estaria melhor. Mas pelo menos aqui, no nosso Salgueiro, graças
a Deus…”(Ivete Int. 2001).
„Das, was es in der Gemeinde nicht gegeben hat… das war diese soziale
Arbeit. Das ist eine soziale Arbeit, in der Kultur, aber es ist soziale Arbeit.
Die Menschen müssen verstehen dass Macumba - und Macumba gibt dir immer
bestimmte Regeln vor - nicht nur für das… ist, um gesegnet zu werden.
Macumba hat Kultur. Alle unsere Handlungen haben ihre spirituelle Funktion.
Aber diese spirituelle Funktion, das müsst ihr verstehen, im Zentrum wirst du
gesegnet, fertig, du machst einfach die Tür zu und Ciao, Ciao, gehst… Nein,
so nicht! Gemeinsam mit diesem spirituellen Zugang kannst du die Dinge
aktivieren, und wirklich in der Entwicklung helfen. Ich glaube, es sollte
innerhalb aller afro-brasilianischen Kulte - und die sind die Mehrheit, hier in
Brasilien - diese soziale Arbeit gehen… dann würde es uns allen besser gehen.
Aber wenigstens hier, auf unserem Salgueiro, Gott sei Dank!"
In Ivetes Welt gibt es keine Trennung von Religion, Kultur, Sozialem,
Arbeit. Alles hängt zusammen. Die Verbindung zum Übernatürlichen, zum
Wissen der VorfahrInnen, zur göttlichen Kraft und Energie, die direkte
Verbindung zum Licht ermöglichen eine Einflussnahme in das weltliche
Geschehen. Diese Einflussnahme ist mit magischen Praktiken verbunden.
Ob diese in die, nach europäisch-westlichem Denken geschaffenen,
Kategorien «weiße» oder «schwarze» Magie fallen, ist für mich unerheblich.
Dona Ivetes Handlungen, wenn sie ihr Macumba macht und die Inkisis, die
Nachtgeister ihrer VorfahrInnen beschwört, wenn sie Exú und die Pomba-
Gira Maria Mulambo um Hilfe bittet, wenn Sie Feste zu Ehren von Xangô,
Obaluê oder Oxossí veranstaltet - Ivetes Handlungen wissenschaftlich zu
kategorisieren, erscheint mir nebensächlich. Wichtiger ist der Ausdruck
ihres Bewusstseins, Religion und Ritual in ihrem ursprünglichen Sinne
anzuwenden - in der Funktion des «Re-legare» des Wiederverbindens mit
der großen, göttlichen Energie (vgl. Kremser 2002 <www>). Denn, wie ich
anhand meiner «weltlichen» sozialpolitisch argumentierenden Reflexion des
gesellschaftlichen Rahmens aufgezeigt habe, ist eine Veränderung des
Systems - und damit der Lebensbedingungen der als Favelados
Bezeichneten nur möglich, wenn das gesamte System verändert wird.
Dona Ivete, selbst Favelada und Ausgegrenzte, keine ökonomische Macht in
Anspruch nehmend könnend, keinen Einfluss auf das System der
massenmedialen Kommunikation habend, agiert mit religiöser und sozialer
Einflussnahme. Die Wahl, im System des Umbanda zu wirken, welches
- 182 -
explizit die gesamte brasilianische Gesellschaft einschließt und sich nicht auf
eine rein afrikanische bzw. afro-brasilianische Zielgruppe beschränkt,
ermöglicht die breitgestreute Weitergabe und Verbreitung ihrer religiösen,
sozialen und kulturellen Botschaften.
Die aktive Nutzung von semi-staatlichen Förderungsmöglichkeiten, die
Integration ihrer Aktionen in staatliche Sozialprogramme schaffen ihren
Projekten Aufmerksamkeit auf Regierungsebene.
„Nika Jaina hat in uns den Wunsch nach Veränderung geweckt, und dabei ist
es (Nika Jaina) klein im Verhältnis zur Größe unserer Wünsche”
- 183 -
„Esse curso, me fez ver que sou uma pessoa bonita e importante e que ainda
posso ser muito feliz” Renata Monteiro In:AAPCS 2002:7 <www>).
„Dieser Kurs hat mir gezeigt, dass ich eine schöne und wichtige Person bin
und daher glücklich sein kann.”
Ivete hat Rituale und ihr magisches Wissen eingesetzt, um die verloren
gegangene Verbindung zum eigenen Ich wieder herzustellen. Sie hat eine
Pflanze gesät, die Pflanze der positiven Veränderung und der Anerkennung
der grundlegenden Menschenrechte.
„Um dia, quando iria completar tudo isso, quem vai ter a cura dessa planta?
Vocês tão fazendo parte da minha história, da história do salgueiro"(Ivete
Int. 2001)
„Eines Tages, wenn ich das alles fertiggemacht habe, wer wird diese Pflanze
pflegen? Ihr seid Teil meiner Geschichte, der Geschichte des Salgueiros”.
Mit Nika Jaina hat sie Regierungsstellen und NRO's in die Geschichte des
Salgueiros eingebunden. Für die mediale Verbreitung ihrer Philosophie,
ihres Wissens, ihrer Kultur, hat sie, auf Empfehlung von Caboclo Jurema,
eine weitere (schon Christine Hochsteiner[1992] sollte den Kulturauftrag
der Ivete verbreiten und ihr helfen, ein Kulturzentrum aufzubauen),
allerdings in Öffentlichkeitsarbeit spezialisierte Ethnologin, eine Sängerin
und ein Filmteam eingebunden.
Bevor wir wegfuhren, sagte sie mir: „Célia Mara hat die Kraft, mit ihrer Stimme
die Massen zu rufen und zu bewegen. Deine Aufgabe ist es, im Hintergrund die Fäden zu
ziehen und die Dinge aufzuzeigen.”
Und schließlich erklärte sie mir, dass wir ja am 23. Jänner von Rio de
Janeiro wegfliegen würden - dem Jahrestag ihres Sturzes, ihrer
Beinverletzung, ihrer Berufung. Und deswegen sei unsere Geschichte mit
ihrer untrennbar verbunden.
- 184 -
9. SCHLUSSFOLGERUNGEN
Meine ursprüngliche Intention, eine Diplomarbeit zum Thema «Ethnologie
und Öffentlichkeitsarbeit am Beispiel Nika Jaina» zu verfassen, hatte ich
bald fallengelassen. Als Kommunikationsberaterin war mir das Thema zu
nahe, zu vertraut - die Spannung des Unbekannten fehlte. Mein
Hauptinteresse galt Nika Jaina - dem Sozialprojekt am Morro do Salgueiro.
Ich suchte mir meinen persönlichen Zugang zu dem unendlichen Feld
Brasilien - Rassismus - schwarze Bevölkerung in einer Favela in Rio - afro-
brasilianische Kultur - Selbsthilfe bzw. positive Identitätsbildung - und stand
vor sehr vielen Problemen. Das wohl schwerwiegendste war, dass ich «nur»
eine Diplomarbeit schreibe, dass mein Thema daher viel zu umfassend war.
Andererseits war es mir nicht möglich, mich einer Analyse des
Berufsausbildungsprojektes Nika Jaina und einer Biographie seiner Leiterin,
der Umbanda - Priesterin Dona Ivete do Salgueiro zu widmen, ohne den
gesamtgesellschaftlichen, insbesondere den ideologischen, den sozio-
ökonomischen und kulturellen Rahmen näher zu betrachten. Als Kultur- und
Sozialanthropologin, mit einem ethnohistorischen Ansatz arbeitend, ist dies
jedoch integrativer Teil meiner Aufgabe. Trotzdem musste ich mich auf die
allgemeinen Kernaspekte konzentrieren und konnte nicht in die Tiefen der
aufgeworfenen Problemstellungen gehen.
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Tonband- und Videoaufzeichnungen der Interviews, weitere, hier nicht angeführte Interviews
mit Dona Ivete, den BewohnerInnen des Salgueiros, Videoaufzeichnungen,
Privatkorrespondenz, Projektunterlagen sowie Feldtagebücher befinden sich im Privatarchiv
der Verfasserin.
Die Videodokumentation «Die Königinnen vom Salgueiro haben relative Bürgerrechte» ist im
gut sortierten Fachhandel erhältlich.
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ANHANG 1
GLOSSAR: PORTUGIESISCH-DEUTSCH
Associação dos Moradores BewohnerInnen-Vertretung der Favelas
Branqueamento somatische und kulturelle Weißwerdung
Caboclo / cabocla # ethnisch: Indigen- Schwarze oder Indigen-Weiße
Mestizen
# sozial: Bezeichnung von bescheiden lebenden Bauern
im Landesinneren
#religiös: Geister der Indigenen
Caboclo das sete encruzilhadas mytholog. Begründer des Umbandas
Cachaça Zuckerrohrschnaps
Capacitação Solidaria brasil. NRO - fördert Berufsausbildungsprogramme für
armutgefährdete Jugendliche
Capoeira afro-brasil. Tanz- und Kampfsport, wurzelt in der
Rebellion gegen die Sklavenhaltergesellschaft
Carioca Bezeichnung für BewohnerInnen / Sprache /
Eigenschaften von Rio de Janeiro
Casa de Angola Kultplatz im Candômblé und Umbanda
Casa Grande Herrenhaus auf den Zucker- und Kaffeeplantagen
Espirítos Geister
Exú Orixá im Candômblé, König im Umbanda -
Tricksterfigur, Vermittler zwischen den Welten, vom
Christentum als Teufel bezeichnet
Favela Bairro Favela-Nachbarschaft : Urbanisierungsprogramm in Rio
Favela Negativ belegte Bezeichnung für Armenviertel
Favelado - Favelada Negativ belegte Bezeichnung für die BewohnerInnen der
Armenviertel
Feijoada Bohneneintopf - Nahrung der Sklaven, heute
Nationalgericht
Ifa Orakel in Candômblé & Umbanda
Ile Ayé Die Welt der Menschen im ganzheitlichen Weltbild des
Candômblés
IYA-L-ORIXÁ Mutter, Hüterin der Orixás
Kimbanda Kultpraxis, die die Verehrung von Exú beinhaltet
Praktiken anwendet
Mãe-de-Santo Priesterin, Heiligenmutter, Heiligen-Hüterin. Ist die bras.
Übersetzung der IYA-L-ORIXÁ
Maria Mulambo „Fetzen Maria“: weiblicher Exú
Rainha Königin