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INTERNATIONALE ZEITSCHRIFT FÜR HISTORISCHE GEOGRAPHIE DER ALTEN
WELT
REVUE D'HISTOIRE GÉOGRAPHIQUE DU MONDE ANCIEN
JOURNAL OF HISTORICAL GEOGRAPHY OF THE ANCIENT WORLD
RIVISTA DI STORIA GEOGRAFICA DEL MONDO ANTICO
2/1996
FRANZ STEINER VERLAG STUTTGART
1996
Inhaltsverzeichnis
Christa Benedum Der frühe Asklepios...................................................................................................9
Eberhard Kaiser Römische Gartengestaltung — Der distanzierte Blick in die Außenwelt............41
Serena Bianchetti Plinio e la descrizione dell'Oceano settentrionale in Pitea di Marsiglia............73
Simon C. Bakhuizen Neleia, a contribution to a debate......................................................................85
Oleg L. Gabeiko Zur Lokalisierung und Chronologie der asiatischen Besitzungen von Byzanz....121
Giacomo Manganaro Alla ricerca di poleis mikrai della Sicilia centroorientale....................... .........129
Karl Strobel Mithradates VI. Eupator von Pontos.................................................................................145
Giorgi L. Kavtaradze Probleme der historischen Geographie Anatoliens und Transkaukasiens im
ersten Jahrtausend v. Chr..........................................................................................191
Eckart Olshausen Die KonradMillerStiftung in der ErnstKirstenGesellschaft............................217
Mareile SchütteHakkert Adolf M. Hakkert — Anstelle eines Nachrufs...........................................221
Literaturbericht .....................................................................................................................................235
„Was ich schon immer einmal sagen wollte ..." ................................................................................... 289
Tafeln ......................................................................................................................291
Orbis Terrarum 2/1996. © 1996 Franz Steiner Verlag Stuttgart [S. 191]
Giorgi Leon Kavtaradze, Tiflis
Probleme der historischen Geographie Anatoliens und
Transkaukasiens im ersten Jahrtausend v. Chr.*
Alten georgischen Chroniken gemäß ist der wichtigste Schutzpatron der Georgier der
heilige Georg (Zminda Giorgi), während ihnen der heilige Nino das Christentum
brachte. Beide waren kappadokischen Ursprungs. In der byzantinischen
Historiographie wird als Tatsache erwähnt, daß die Kappadoker identisch mit den
Meschern bzw. den Moschern sind, einem Stamm kartwelischen Ursprungs.
Georgischen Chroniken zufolge lautet der Name des Vaters von Haos und Kartlos, den
Vorfahren der Armenier und Georgier, „Targamos". Dieser Name ist vom biblischen
„Togarma" abgeleitet. Es wird angenommen, daß er in Beziehung zur Bezeichnung für
die kappadokische Stadt TilGarimu steht, die aus assyrischen Inschriften bekannt ist
und ihrerseits vom Namen der früheren hethitischen Region Tegarama stammt.
Bereits im 18. Jahrhundert versuchte der georgische Historiker und Geograph
wachuschti batonischwili den Ursprung der Meschs mit dem Namen der früheren
ostgeorgischen (iberischen) Hauptstadt Mzcheta zu verknüpfen. Jedenfalls besteht
kein Zweifel, daß die Bevölkerung, die in Mzcheta lebte, Träger der hethitisch
anatolischen kulturellen Tradition war. Nach Aussage der Wissenschaftler entsprechen
die alten georgischen Gottheiten von Mzcheta, Armazi, Zadeni, Gaci und Ga (Gaim)
den anatolischen Göttern Arma, Santa, Atis und Kybele [1].
Es ist erwähnenswert, daß schon der jüdischrömische Historiker Flavius Josephus
(Ant. Jud. 1,124.125) einen anatolischen Ursprung der Iberer sowie der Moscher
annahm.
Einigen georgischen Archäologen zufolge begann die aktive Besiedlung durch eine
neue Bevölkerung, vermutlich die Mescher/Moscher, Träger der hethitisch
kleinasiatischen kulturellen Tradition, im Norden, in Mzcheta. Diese Besiedlung
vollzog sich bereits in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts v. Chr. Dadurch
verbreitete sich eine neue kulturelle Erscheinung in
___________________________
* Aus dem Englischen übersetzt von Dr. GISELA BURGER.
l TSERETELI, M.: The Asianic (Asia Minor) elements in national Georgian
paganism, Georgica 1,1, London 1935, 4550. [S. 192]
Ostgeorgien, die sich völlig von den örtlichen spätbronzefrüheisenzeitlichen
Traditionen unterschied [2].
Die territoriale Nähe Anatoliens und Transkaukasiens scheint ebenfalls eine
Voraussetzung für die ethnische Ähnlichkeit der Bevölkerung beider Gebiete gewesen
zu sein. Dieser Umstand zeugt zweifellos von der großen Bedeutung des Studiums
Anatoliens für das Verständnis der alten Geschichte Transkaukasiens und vice versa.
Die früheste Besiedlung durch kartwelische Stämme in Anatolien kann laut den
Annalen des Tiglatpileser I. von Assyrien (11141076 v. Chr.) den Muški
zugeschrieben werden. In einer Inschrift aus dem Jahr seiner Thronbesteigung (ca.
1114 v. Chr. ) heißt es: „Zwanzigtausend Männer aus dem Gebiet der Muški und ihre
fünf Könige, die fünfzig Jahre lang über die Länder der Alzi und Purulumzi
herrschten, die in früheren Zeiten Assur Tribut und Steuern zahlten, [...] kamen von
den Bergen hinunter und besetzten das Land Kadmuĥi [...]. Ich zog meine Streitwagen
und Truppen zusammen [...], überquerte den Berg Kašijari, eine unwegsame Region.
Mit ihren zwanzigtausend Kriegern und ihren fünf Königen kämpfte ich im Land der
Kadmuĥi und besiegte sie" [3].
Aus dieser Nachricht geht klar hervor, daß die Muški bereits um 1164 v. Chr. das Land
Alzi, resp. Enzi oder Enzite (die klassische Anzitene), am Unterlauf des Stromes
Murat (des östlichen Euphrats), besetzten. Das Land Kadmuĥi befand sich im Tal des
Oberlaufes des Tigris. Mit dem Berg Kašijari ist Tur'Abdin (Mardin) gemeint.
Während des nächsten Feldzuges in derselben Richtung besiegte Tiglatpileser I. 4000
Kaškäer (nach manchen Inschriften Apišlaer) und Urumäer, die Bevölkerung des
Landes der Hethiter („unbotmäßige Hethiter"), und drang in das Land Subartu, das
von den Assyrern unterworfen war, ein [4]. Es wird angenommen, daß die Kaškäer
und Urumäer, zusammen mit den Muški, Ostanatolien besetzten [5].
Der Ursprung und das Besiedlungsgebiet der Muški bilden ein schwieriges Problem.
Die Annahme, daß die Muški den biblischen Meschech, die unter den Söhnen
Japhetus, zusammen mit Gomer, Magog, Madai, Jawan, Tubal und Tiras, „Vorfahren"
der Kimmerer, Skythen, Meder, Griechen, Iberer und Etrusker, erwähnt werden,
entsprechen (Gen. 10,2.23.24; l Chr. 1,5; Isa. 66,19; Ezek. 27,13; 32,26; 38,2.3; 39,1
usw.), ist weit verbreitet. Es ist erwähnenswert, daß im ersten Jahrhundert v. Chr., als
die Erinnerung an die Muški, die zur Zeit der Assyrer lebten, verblaßt war, Flavius
Josephus in ___________________________
2 LORDKIPANIDZE, O.: Naßledie drewnei Grusii. Tbilissi 1989, 312 (Russisch). 3
Vgl. BUDGE, E.A.W.: KING L.M: Annals of the kings of Assyria l, London 1902, 35.
4 Ibid., 62ff. 5 DJAKONOW, I.M.: Predißtoria armjanßkogo naroda, Erewan 1968,
123 (Russisch). [S. 193]
seinem Kommentar zu den biblischen Meschech schrieb, daß die Mosochenen von
den Meschech abstammten und daß sie später den Namen „Kappadoker" erhielten,
obwohl es aus der Bezeichnung für die Hauptstadt der Kappadoker, „Masaca",
ersichtlich ist, daß der Name für den ganzen Stamm der gleiche war (Jos. ant. Jud.
1,124.125). Im Werk des Eustathios, des Erzbischofs von Antiochien, der in der ersten
Hälfte des 4. Jahrhunderts n. Chr. lebte, sowie in der „Chronographie" des
byzantinischen Autors des 12. Jahrhunderts, Leon Grammatikus, ist der Name dieses
Stammes Μεσχινοί. Der georgische Stamm der Meschs lebte in der Zeit der Antike
und des Mittelalters in den Bergen von Moschenen — zwischen Erzurum, Kars und
Artvin.
Nach Aussage des Philologen des 17. Jahrhunderts, leo allazius, die im Kommentar zu
Flavius Josephus' obigem Fragment erscheint, waren die Meschians ein Volk, das den
Autoren des Altertums als Moscher oder Mosynoiker bekannt war und das zuerst an
der Schwarzmeerkόste und dann in Kappadokien lebte, jedoch spδter gezwungen war,
in den Norden zurόckzukehren. Bekanntlich befaίte sich leo allazius mit vielen
Bόchern, die aber spδter verlorengegangen waren. Im Zusammenhang mit seiner
Information ist es vielleicht sinnvoll, sich die mittelassyrische Inschrift von
Tiglatpileser I. ins Gedδchtnis zurückzurufen.
Den assyrischen Inschriften zufolge werden die Muški, im Gegensatz zu ihren
vermutlichen Gefδhrten, den Kaškδern und Urumδern, mit denen sie nach Meinung
einiger Gelehrter Alzi eroberten, nicht als Volk des Landes der Hethiter angesehen.
Die Existenz ihres eigenen Landes, auίerhalb des Landes der Hethiter, kann als Indiz
dafόr dienen, daί sie das Gebiet abseits des mittelanatolischen Mutterlandes der
Hethiter bewohnten. Gleichzeitig besteht die Mφglichkeit, daί sie, falls eine
Verbindung mit den Kaškδern bestand, pontischen Ursprungs waren. In diesem Fall
kamen sie mφglicherweise auch vom rechten Ufer des Euphrats nach Ostanatolien.
Es gibt verschiedene Theorien über die kulturelle Zugehφrigkeit der Muški. Der
allgemeinen Ansicht nach besteht die Mφglichkeit, sie im Zusammenhang mit dem
besonderen Stil der bemalten Keramik und anderen, fόr die phrygische Kultur
charakteristischen Elementen zu sehen. Wir sollten jedoch Ch. Burneys Meinung
teilen, derzufolge, (sogar wenn die Muški in Verbindung mit den Phrygern gebracht
werden), es nicht immer der Fall gewesen sein kann, daί die letzteren, die sich um das
Tal des Sangarios (heute Sakarya) in Nordwestanatolien konzentrierten, die Muški aus
den assyrischen und urartäischen Quellen gewesen sind. [6]
Ihre Verbindung mit den Phrygern beruht lediglich auf der weitverbreiteten Annahme
der Identifizierung des Königs Mita von Muški aus den Annalen des assyrischen
Königs Sargon II. (721705 v. Chr.) mit dem legendären Midas
___________________________
6 BURNEY, CH./LANG, D.M.: The peoples of the hills, London 1961, 161. [S. 194]
von Phrygien (738695 v. Chr.) [7]. Wir müssen jedoch berücksichtigen, daß es in
Ostanatolien, im Gebiet von Paĥĥuwa, schon in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts
v. Chr. einen König mit dem gleichen Namen gab. Der Name steht im Zusammenhang
mit der hieroglyphischen luwischen Bezeichnung für „Diener" — mìta4/ta5(i) —
und war vermutlich eher ein anatolischer als phrygischer Name [8]. Der Name
„Maitta" war bereits im Mittanischen bekannt. [9] Dasselbe können wir hinsichtlich
des Ethnonyms „Muški" feststellen, das in der hieroglyphischluwischen Inschrift in
der Nähe von Konya, im südlichen Mittelanatolien, entdeckt wurde, und zwar vor dem
Untergang des hethitischen Reiches — viel früher als vor dem Auftauchen der Phryger
in Kleinasien [10]. Nach I. Diakonoff sind die Ethnonyme „Musa" — der Name der
Phryger — und „Muški" bereits in der Inschrift A7 von Karkemis voneinander zu
unterscheiden [11].
Beim gegenwärtigen Stand der Forschung sind die archäologischen Daten im
Zusammenhang mit dem Gebiet von Elâzığ für das Problem der Herkunft der Muški
besonders wichtig. ch. burney setzt die Muški in Beziehung zur rot und gelbbraun
polierten, groben und mit Stroh gemagerten Keramik der frühen Eisenzeit der Ebene
von Elâzığ. Seiner Meinung nach besaßen sie das Land von der ersten Hälfte des
zwölften Jahrhunderts bis zur Gründung des Königreiches von Urartu im 9.
Jahrhundert v. Chr. Er verbindet ebenfalls die Keramik der vorausgehenden späten
Bronzezeit dieses Gebietes mit Mittelanatolien [12].
Kürzlich sprach sich V. sevin dafür aus, daß die neue KeramikTradition, die im
Gebiet von Elâzığ weit verbreitet war, überhaupt keine Verbindung mit Westanatolien
habe, weshalb über die gängige Theorie, wonach die Muški, zusammen mit anderen
thrakischen Stämmen, über den Hellespont kamen und somit über ihre Gleichsetzung
mit den Phrygern diskutiert werden müsse. Seiner Ansicht nach ähnelt die Keramik
der Ebene von Elâzığ der frühen Eisenzeit den präurartäischen Funden von Karmir
blur, der Nekropole von Scheitendag und den ostgeorgischen Orten aus dem 2. und
Anfang des l. Jahrtausends sowie denjenigen von Güselova und Pulur aus dem Gebiet
um
___________________________
7 WINCKLER, H.: Die Reiche von Kilikien und Phrygien im Lichte der
altorientalischen Inschriften, in: Altorientalische Forschungen 1,2. Leipzig 1898, S.
131137.
8 HAWKING, J.D., Reallexikon der Assyriologie und Vorderasiatische Archäologie 8
(1994) S. 273, s. v. Mita.
9 WILHELM, G.: Grundzüge der Geschichte und Kultur der Hurriter, Darmstadt
1982, 34.
10 DJAKONOW, I.M.: Malaja Asija i Armenija okolu 600 g. do n. ä. i ßewernie
pochodi wawilonßkich zarei, in: Westnik drewnei ißtorii 2, 1981, S. 57, Anm. 106
(Russisch).
11 DJAKONOW, J.M.: Op. cit. (Anm. 10), 1981, S. 57, Anm. 106.
12 BURNEY, C./LANG, D.M.: Op. cit. (Anm. 6), 98. [S. 195]
Erzurum, wie auch den Funden von Geoy Tepe im nordwestlichen Iran. Diese
Keramik der Ebene von Elâzığ, des Gebiets um Erzurum und des nordwestlichen
Irans, stammt, seiner Ansicht nach, aus Transkaukasien, wo es in Ostgeorgien
beheimatet zu sein scheint. [13] Aus diesem Grunde nimmt V. Sevin an, daß die
Muški, die während des 12. Jahrhunderts in der Ebene von Elâzığ und im 9.
Jahrhundert am Oberlauf des Beckens des Tigris lebten, völlig verschieden von der
phrygischen Bevölkerung Mittelanatoliens waren [14].
Vom Gesichtspunkt einer möglichen georgischen Verbindung mit den Muški ist es
interessant, daß die ostgeorgischen Gebirgsbewohner ihren dagestanischawarischen
Nachbarn als Mosoks/Maseks/Mosochs bekannt waren [15]. Aber meiner Meinung
nach stammt die gerillte Keramik nicht aus Ostgeorgien. In meinem vor ungefähr zehn
Jahren in Tiflis erschienenen Buch über das Problem der Geschichte Anatoliens
vertrat ich die Ansicht, daß die Keramik in der Schicht der frühen Eisenzeit der
ElâzığEbene einige Ähnlichkeiten mit den Ornamenten der Keramik des Gebietes des
Schwarzen Meeres aufweise und daß archäologische Untersuchungen an der Küste des
südöstlichen Gebietes des Schwarzen Meeres vielleicht Licht auf den Ursprung der
ostanatolischen Muški werfen konnen. [16]
Während der mehr als fünfhundert Jahre, die zwischen dem Untergang des
Hethiterreiches und der Eroberung Anatoliens durch die Achämeniden lagen, spielten
die am Küstengebiet des Schwarzen Meeres siedelnden Stämme eine bedeutende
Rolle im politischen Geschehen Mittelanatoliens. Es ist möglich, daß die Muški
gerade aus diesem Gebiet ins Innere Anatoliens auswanderten. Auch ist es durchaus
wahrscheinlich, daß sich später mit der Migration einzeiner Bevolkerungsgruppen von
Inneranatolien nach Norden ein gegenteiliger Prozeß abspielte.
Somit kann die Information liber die Siedlungsgebiete der Moscher im 1. Jahrtausend
v. Chr. eine gewisse Hilfe bei der Lösung des Problems bezuglich des Ursprungs der
Muški darstellen. Das Ethnonym „Moschi" in den griechischen schriftlichen Quellen
(z. B. Hekat. Fr. 188.189; Hdt. 1,72; 7,72; vgl. Mela 1,2,13) entspricht in phonetischer
Hinsicht dem assyrischurartäischen „Muški" [17]. Aufierdem stellt für die Linguisten
die westgeorgische (sanische/
___________________________
13 SEVIN, V.: The early iron age in the Elâzığ region and the problem of the
Mushkians, in: Anatolian Studies 41, 1991, 96.
14 SEVIN, V.: Op. cit. (Anm. 13), 1991, 97.
15 USLAR, P.: Ätnografija Kawkasa. Jasikosnanie, 3, Awarskii Jasik. Tiflis 1889, 22
(Russisch); Schwarz, F.: Sintflut und Völkerwanderungen, Stuttgart 1894.
16 KAVTARADZE, G.L.: Anatoliaši kartvelur tomta gansaxlebis sakitxisatvis,
Tbilissi 1985, 137f., (Georgisch).
17 Vgl. DJAKONOW, I. M.: Malaja Asija, 15; TSERETELI, K.: Kartuli etnikuri
terminis „mesxis"is istoriisatvis, in: Sakartvelos mecnierebata akademiis moambe,
15, 1954, 111118 (Georgisch). [S. 196]
kolchische oder megrelischelasische) Form „Mosch Musch" eine Entsprechung des
ostgeorgischen Ethnonyms „Meschi" dar [18].
Was die ethnische Identifizierung der Moscher betrifft, so ist Hekataios von Milet, der
im 6. Jahrhundert v. Chr. lebte und dessen „Beschreibung der Erde" in der „Ethnica"
von Stephanos von Byzanz, enthalten ist, von besonderer Bedeutung. Diesem Bericht
nach waren die Moscher ein kolchischer Stamm, der in der Nähe der Matiener siedelte
(Fr. 188). Die Bezeichnung der Moscher als kolchischer Stamm ist sehr wichtig, da sie
nur zur Zeit des Hekataios, zusammen mit anderen pontischen Stämmen, zur gleichen
achämenidischen Satrapie gehörten, während die Kolcher in Wirklichkeit von den
Iranern unabhängig waren (vgl. Hdt. 3,94.97). Andererseits macht die Information des
Hekataios, im Zusammenhang mit einem seiner Fragmente über die Lokalisierung der
Stadt der Matiener, Hiope, in der Nachbarschaft der Gordier, und über die
paphlagonische Art der Kleidung der Bevölkerung dieser Stadt (Fr. 189) deutlich, daß
die obigen Matiener zu den westlichen Matienern gehörten, die in der Nähe der
Phryger der Stadt Gordion und der Paphlagoner lebten [19]. Deswegen ist es möglich,
die Moscher im nördlichen Kappadokien zu lokalisieren. Was die Information des
Hekataios über den kolchischen Ursprung der Moscher betrifft, so gibt es außer der
georgischen Tradition, die den Namen „Kolchis" mit dem westgeorgischen Stamm der
MegreliLasi (den sog. Sani) verbindet, eine Angabe von Agathias (Scholastikos) aus
Myrina, einem byzantinischen Autor aus dem 6. Jahrhundert n. Chr. Danach
betrachten die Lasi sich selbst als Nachkommen der Kolcher, worauf sie stolz waren
(Just. 3,5). Auch Prokopios aus Kaisareia berichtet über „Kolchis, das jetzt Lasika
heißt" (Prok. Pers. 1,11).
Beim Vergleich antiker und mittelalterlicher Quellen haben wir den Eindruck, daß die
Moscher auch im Gebiet des nördlichen Kolchis in Abchasien (im nordwestlichen Teil
Georgiens) siedelten. Diese Tatsache wird in der Literatur durch Migrationen von
Stämmen im ersten Viertel des ersten Jahrhunderts v. Chr. erklärt. [20] Eine solche
Lokalisierung der Moscher geht hauptsächlich auf eine Information Strabons zurück,
wonach ihr Wohnsitz an der nordöstlichen Schwarzmeerküste zwischen den Kerketen
und den Kolchern war. Dabei beruft er sich auf Historiker der MithridatesKriege
(Strab. 11,2,14). Andererseits lebten nach der im „Periplus" gegebenen Information
von PseudoSkylax (4. Jahrhundert v. Chr.) folgende Stämme (von Nordwest nach
Südost): Kerketen, Toreter, Achäer, Heniocher, Koraxer, Melanchlainen, Gelonen und
Kolcher im gleichen Gebiet der Schwarzmeerküste (7381).
___________________________
18 TOPURIA, G.: Kartulkartveluri etnonimikis lingvisturi sakitxebi, I. Mesx
etnonimis istorusatwis, Iberiulkavkasiuri enatmecniereba 17, 1970, 118122
(Georgisch).
19 Vgl. BUNBURY, E. H.: A history of ancient geography 1,2, 1959, 141.
20 MELIKISCHWILI, G.A.: K istorii drewnei Grusii, Tbilissi 1959, 87f. (Russisch).
[S. 197]
Es kann ohne weiteres festgestellt werden, daß statt der von Strabon genannten
Moscher im „Periplus" des PseudoSkylax mehrere Stämme genannt werden: die
Toreter, Achaer, Heniocher, Koraxer, Melanchlainen und Gelonen. Einer dieser
Stämme konnen die von Strabon erwähnten Moscher gewesen sein. Im gleichen
Fragment Strabons (11,2,14) erfahren wir auch, daß die Phtheirophagen (d.h. die
„Läuseesser") und Soanen über den Kerketen, Moschern und Kolchern lebten.
Außerdem berichtet Flavius Arrianus im „Periplus", daß der skythische Stamm der
„Läuseesser" früher westlich vom Pityus siedelte und daß dieser Stamm von Herodot
in seiner Beschreibung „Das Land der Skythen" erwähnt wurde (PPE 18). Er,
Herodot, sieht im Stamm der „Läuseesser" die Budini, die, seiner Meinung nach, von
den Griechen für Gelonen gehalten wurden (4,109).
Herodot und Arrianus zufolge ist es augenscheinlich, daß die von PseudoSkylax als
Nachbarn der Melanchlaienen erwähnten Gelonen (79) Strabons Phtheirophagen
(„Läuseesser") entsprechen, die oberhalb der Kerketen, Moscher und Kolcher (d.h. in
den Bergen) lebten (11,2,14). Die Koinzidenz dieser Tatsachen ermöglicht es, die
Melanchlainen mit den Moschern zu identifizieren.
Es ist erwähnenswert, daß die Gelonen Nachbarn der Melanchlainen nicht nur im
Norden von Kolchis, sondern auch nördlich vom Azowschen Meer in den pontischen
Steppen waren (Hdt. 4,102; Dion. 309.310; Ps.Scyl. 80; Amm. 22,8,31). Somit besteht
eine Diskrepanz in der Lokalisierung der Melanchlainen: PseudoSkylax (80.81),
Pomponius Mela (1,19,110), Plinius Secundus (nat. 6,15) und der anonyme „Periplus"
vom 5. Jahrhundert n. Chr. (42,3,18) suchten sie im nordöstlichen Gebiet des
Schwarzen Meeres, während Herodot (4,20), Dionysios der Perieget (309), Claudius
Ptolemaios (3,5,10) und andere ein nördlicheres Gebiet in den südrussischen Steppen
als ihren Siedlungsraum betrachteten. Einem anderen Fragment des Ptolemaios
zufolge lebten sie im Nordkaukasus (5,8,21). Hekataios sah sie als Skythen an (Fr.
154), aber nach Herodot waren sie ihren Sitten nach Skythen, ihrer Rasse nach jedoch
völlig von diesen verschieden (4,20.108).
Aufgrund eines Textes von Sidonius können wir eine Verbindung der Moscher aus
Strabons „Geographie" mit den nördlichen Stämmen vermuten. Darin werden die
Moscher, zusammen mit den Sarmaten und den Geten, als Volk, das blutige Milch
trinkt und Becher mit Adern schmückt, bezeichnet (Carm. 7, 83.84). In
augenscheinlichem Zusammenhang mit dieser Beschreibung steht die Bemerkung
Vergils, daß die Gelonen, die nach Rodope und den Wüsten von Geten flüchteten,
Milch mit Pferdeblut vermischt getrunken hätten (Georg. 3,461463). Durch diese
Aussage haben wir einen weiteren Beweis für die Identifizierung der Moscher mit den
Melanchlainen, weil die Geloner die nächsten Nachbarn der Melanchlainen waren,
wie wir bereits durch PseudoSkylax wissen (Fr. 79). [S. 198]
Im anonymen „Periplus" aus dem 5. Jahrhundert n. Chr. werden anstelle der Gelonen
neben den Melanchlainen und Kolchern Macheloner erwähnt (42,18). Es ist
anzunehmen, daß dieses Ethnonym aus dem Ethnonym „Geloni" gebildet wurde unter
Hinzufügung des Präfixes „m", was charakteristisch ist für die Zeit der Entstehung der
kartwelischen Ethnonyme (z. B. Egrisi/Toponyme/ > Megreli/Ethnonym/, Argweti
> Margweli, Tbeti > Mtbevari, usw.). Weiterhin ist es wahrscheinlich, daß der
griechische Name Μελάνχλαινοι vom lokalen Ausdruck, der mit dem letzteren
vergleichbar ist, abgeleitet worden war. Im φstlichen Schwarzmeergebiet finden wir
φfter δhnliche Beispiele (z. B. Boas > Kvirila, Rodopolis > Warziche).
Den Berichten des Hekataios (Fr. 154), Herodots (4,107) und anderer antiker Autoren
zufolge wurden die Melanchlainen wegen ihrer schwarzen Mäntel so genannt. Im
griechischen bedeutet μέλας, μέλαινα, μέλαν „schwarz", „von schwarzer Farbe".
Die gleiche Bedeutung hat das Wort „meschche" im Swanetischen [21], das zur
kartwelischen Sprachfamilie gehört. Der Zischlaut sch wird im Griechischen durch
den Sybilanten s ersetzt. Folglich ist es unbegründet, das Siedlungsgebiet der
Moscher/Mescher in Abchasien suchen zu wollen. Das von Strabon, der auf den
Historikern der MithridatesKriege fußt, gebrauchte Ethnonym „Moschi" (11,2,14),
ermöglicht es uns, das Siedlungsgebiet der swanetisch sprechenden Stämme in der
Nachbarschaft der Melanchlainen zu suchen, deren Name sicherlich in Strabons
„Geographie" in der swanetischen Form erhalten war. Solch eine Annahme scheint
plausibler zu sein, da im obigen Fragment aus Strabons „Geographie" die Soanen
(d.h. die Swanen) zusammen mit den Phtheirophagen und anderen kleinen Völkern als
ein Stamm erwähnt werden, die am Kaukasus über den Kerketen, Moschern und
Kolchern lebten.
Folgende Fragestellung wäre logisch: Wo befand sich der Kern des Siedlungsgebiets
der Moscher, die zur neunzehnten Satrapie des achämenidischen Reiches gehörten
(Hdt. 3,94)?
Meiner Meinung nach gibt es nicht genügend Gründe für die Annahme, daß die
Moscher zu jener Zeit in den Moschischen Bergen im nordwestlichen Anatolien
lebten, andernfalls wären sie den antiken Schriftstellern unter einem anderen Namen
bekannt gewesen.
Abgesehen von der obigen Vermutung, daß die Moscher im nördlichen Teil
Anatoliens siedelten, wird eine solche Annahme durch die „Liste der Satrapien oder
der Stämme, die Dareios Tribut zahlten" und die „Liste der Armee und Flotte des
Xerxes" bestärkt, die in Herodots „Historien" enthalten sind und die uns über die
Zusammensetzung und Verteilung der dreizehnten Satrapie der Achämeniden
informieren. Sie setzte sich aus dem westlichen Armeni
___________________________
21 BENSELERS GriechischDeutsches Wörterbuch, bearbeitet von A. KAEGI.
Leipzig 1981, 501f.; KLIMOW, G.A.: Ätimologitscheßki ßlowar kartwelßkich jasikow.
Moskau 1964, 231 (Russisch). [S. 199]
en, der Paktyïka und den Stämmen, die in der Nachbarschaft Armeniens im bis zum
Pontos Euxeinos reichenden Siedlungsgebiet lebten, zusammen (Hdt. 3,93). Daraus
geht hervor, daß nördlich der dreizehnten Satrapie kein Raum für die neunzehnte war,
die aus Moschern, Tibarenern, Mosynoikern, Marern und Makronen bestand (Hdt.
3,94). Nach in der „Anabasis" Xenophons enthaltenen Angaben waren die zur
dreizehnten Satrapie gehörenden Stämme, die nördlich von Armenien lebten, von den
Achämeniden vor Anfang des 4. Jahrhunderts v. Chr. unterworfen worden (Xen. an.
5,5,17; 7,8,25). Sie bildeten vermutlich eine Stammeseinheit mit den Chalybern (vgl.
4,4,18; 4,5,34; 5,6,5; 4,7,1.1518; 7,8,25).
Daß die Chalyber und Taocher nicht Untertanen des persischen Satrapen
Westarmeniens waren, entnehmen wir der „Anabasis", wo sie als „Händler" der
Armee des Tiribazos, des Satrapen Westarmeniens, erwähnt werden. Demzufolge
unterschieden sie sich von seinen eigenen Soldaten (4,4,18). Das „Land Chalyben"
und Armenien standen augenscheinlich, dem Dorfältesten eines der westarmenischen
Dörfer zufolge, im Gegensatz zueinander. Er berichtete Xenophon, daß das an
Armenien angrenzende Land, das am nächsten zum „griechischen Weg" lag, den
Chalybern gehörte (4,5,34).
Folglich scheint die weit verbreitete Annahme einer Zugehörigkeit des Gebiets von
Speri (İspir), das sich am Unterlauf des Djorochi (Çoruh) befand, zum
achämenidischen Reich nicht überzeugend zu sein. Eine solche Folgerung ist das
Resultat der Gleichsetzung der Ausdrucke „Speri", „Saspeirern" und „Hesperiten". Es
wurde angenommen, daß die „Hesperiten" und „Saspeirern", die mit den Alarodiern
und Matienern in der achtzehnten Satrapie des Dareios I. zusammengeschlossen
waren (Hdt. 3,94), später unter dem Namen „Hesperiten" bekannt wurden und zur
dreizehnten Satrapie Westarmeniens gehörten, da Tiribazos, der Satrap
Westarmeniens, den Angaben des letzten Teils der „Anabasis" zufolge, Herrscher über
die „Phasianer" und „Hesperiten" war (Xen. an. 7,8,25). [22]
Es besteht auch die Annahme, daß die „Hesperiten" südlich von den Phasianern in der
Nähe der Quelle des Tigris lebten, wo sich nach Strabon „Syspiritis" befand (11,4,8;
11,14,12) [23]. Jedoch steht die Lokalisierung der „Hesperiten" im Gebiet, welches
Xenophon und seine Krieger nicht durchquerten, im Widerspruch zum ersten Teil des
letzten Paragraphen der „Anabasis", in dem
___________________________
22 Z.B. ADONTZ, N.: Armenija w äpochu Jufitiniana. St. Petersburg 1908, 83
(Russisch); LEHMANNHAUPT, C.F.: Armenien einst und jetzt, 2,2, Berlin/ Leipzig
1931, 790; SALIA, К.: Histoire de la nation Gйorgienne, Paris 1983, 15, Taf. 1;
BENSELER, (Anm. 21), 1981, 311; MELIKISCHWILI, G.A.: Op. cit. (Anm. 20),
1959, 117.118.232.233.267.268.
23 MIKELADZE, Т.: Ksenopontis „anabazizљi" daculi erti cnobis љesaxeb,
Sakartvelos mecnierebata akademiis moambe 21, 1958, 145f., Anm. 75 (Georgisch);
KAUXČIŠWILI, Т.: Sakartvelos istoriis dzveli cqaroebi. Tbilissi 1976, 59
(Georgisch). [S. 200]
sich gerade der Ausdruck „Hesperiten" befindet: „Vizeregenten der Könige der
Länder, durch die wir zogen, waren [...]" (7,8,25). Im letzten Teil des Buches werden
nur solche Stämme aufgezählt, die, in Übereinstimmung mit dem ursprünglichen Text,
„am Weg der Griechen" lagen. Folglich ist es klar, daß sie auch durch das Land der
„Hesperiten" zogen.
Vor allem muß die Tatsache berücksichtigt werden, daß zur Zeit der Identifizierung
der Hesperiten und der Feststellung ihres Siedlungsgebiets Tiribazos, der im letzten
Teil der „Anabasis" als Herrscher über die Phasianer und Hesperiten genannt wird,
dem ursprünglichen Text zufolge als Satrap von Westarmenien erwähnt worden war
(7,8,25; 4,4,4). Somit wurde im letzten Teil der „Anabasis" die im ursprünglichen Text
genannte Hauptfunktion des Tiribazos — die eines Herrsches über Westarmenien —
in die Aufgabe eines Herrschers über die Phasianer und Hesperiten abgeändert, und
die Armenier, die Tiribazos unterworfen waren (und deren Land sich am „Weg der
Griechen" befand), wurden stattdessen „Hesperiten" genannt. Folglich drängt sich die
Frage auf: War die im ursprünglichen Text der „Anabasis" erwähnte Bevölkerung
Westarmeniens dem letzten Teil desselben zufolge unter dem Namen „Hesperiten"
bekannt?
Die Glaubwürdigkeit einer solchen Annahme kann durch die Tatsache erhärtet
werden, daß im Griechischen έσπέρα „Westen" und έσπέριος/έσπέρος
„westlich" bedeutet [24]. Es ist wichtig festzustellen, daß Strabon den Ausdruck „die
Hesperiten von Libyen" für das westliche Libyen benutzte (Strab. 14,1,39). Deshalb ist
es durchaus möglich, daß der Ausdruck „Hesperiten" oder „Bewohner des Westens"
auf die Westarmenier bezogen sein könnte, eine Möglichkeit, die wohl dem Wunsch
entsprang, sie von den Armeniern zu unterscheiden, die in der Satrapie Ostarmeniens
und im Gebiet, durch das die Griechen zogen, bis sie das Land der westarmenischen
Satrapie erreichten, lebten (vgl. Xen. an. 4,3,1.3.4.20; 4,4,14).
Es ist augenfällig, daß der im letzten Paragraph der „Anabasis" gebrauchte Ausdruck
„Hesperiten" für die Unterscheidung der westlichen Armenier von den östlichen,
deren Satrap, im Unterschied zu den westlichen Armeniern, Orontas und nicht
Tiribazos war, wie auch für die Unterscheidung der an der Schwarzmeerküste
lebenden Chalyber von den Chalybern der ostanatolischen Hochländer, das Ethnonym
„Koiter" benutzt wurde (vgl. Xen. an. 3,5,17; 4,3,3; 4,4,4). Somit können wir
feststellen, daß der letzte Teil der „Anabasis" vom Gesichtspunkt seines Inhalts aus
keineswegs dem ursprünglichen Text widerspricht und daß darüber hinaus der
Gebrauch verschiedener Namen für die gleichen Stämme („Koiter" und „Chalyber",
„Hesperiten" und „Armenier") sogar durch den Wunsch diktiert zu sein scheint, eine
Verwechslung im letzten Teil des Textes zu vermeiden. Der Autor gibt genau an,
welche Stämme, bzw. Teile der Stämme er meint. Deshalb besteht, sogar, wenn wir
annehmen, daß
___________________________
24 BENSELER: Op. cit. (Anm. 21), 311f. [S. 201]
der Schlußteil von „Anabasis" nicht von Xenophon selbst geschrieben worden war,
kein inhaltlicher Unterschied zum Hauptteil des Textes.
Insofern sollten wir jede Möglichkeit ausschließen, die westarmenischen Hesperiten
Xenophons „Anabasis" zufolge als kartwelischen Stamm oder als Bevölkerung von
Speri, am Oberlauf des Djorochi, zu betrachten [25]. Gleichzeitig müssen wir
hinsichtlich des Problems der Verbreitung der kartwelischen Bevölkerung im
Territorium des westlichen Armeniens die Aussage eines anderen Werkes Xenophons,
namlich der „Kyrupaedia", heranziehen, demzufolge die Chalder, denen die Armenier
augenscheinlich fruchtbares Land entrissen haben, in den Bergen, in der
Nachbarschaft des westlichen Armeniens, lebten (Xen. Kyr. 3,13). Nach Strabon sind
die Chalder mit den Chalybern identisch (12,3,19). Strabon informiert uns außerdem,
daß Karenitis, das Gebiet am Unterlauf des Karasu (des westlichen Euphrats), durch
die Armenier von den Chalybern erobert wurde (11,14,5). Dieses Geschehen fällt in
die erste Hälfte des 2. Jahrhunderts v. Chr., d.h. nach Xenophons Expedition. Deshalb
ist die Annahme möglich, daß die in der „Kyrupaedia" erwähnten Chalder der
südliche Teil der in der „Anabasis" erwähnten Chalyber waren und daß ihr Gebiet von
den Armeniern vor der Zeit Xenophons erobert worden ist. Folglich scheint es
möglich zu sein, die in der „Anabasis" genannten Chalyber als nördlichen Teil
desselben anatolischchalybischchaldischen Gebiets anzusehen, das, wie bereits
festgestellt wurde, später, in der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts v. Chr., durch die
Armenier erobert wurde.
Gleichzeitig ist eine Ableitung des Ethnonyms „Haik", wie die Armenier sich selbst
nannten, von der Bezeichnung für die Chalder/Chalyber, die die Wurzel „Chal"
enthielt und möglicherweise das Resultat eines Austausches der Laute l und i ist,
wahrscheinlich. Der Unterschied zwischen den Lauten der ersten Phoneme h und ch
ist nicht von großer Bedeutung, denn bekanntlich wird in der Literatur der Terminus
„Haik" als Ableitung vom Namen der Länder „Ĥajaša" und „Ĥate" angesehen[26].
Der gleiche Austausch der Phoneme l und i ermöglicht eine Verbindung der
Bezeichnung fur die Chalyber mit dem Namen des Landes „ Ĥajaša". Andererseits
könnte das als Bezeichnung für die Chalyber der Schwarzmeerkuste benutzte
Ethnonym „Koiter" mit dem Namen der Hethiter „Ĥate" in Beziehung gebracht
werden. Dennoch gibt es genügend Gründe zur Feststellung der ethnischen
Identifizierung der Chalyber oder Chalder.
Die im östlichen Teil Nordanatoliens (d.h. an der Südostküste des Schwarzen Meeres)
lebenden Stamme — die Mosynoiker, Makronen, Tibarener und
___________________________
25 MELIKISCHWILI, G.A.: Op. cit. (Anm. 20), 1959, 50,291,299.
26 Z.B. KAPANZJAN, G.: Chaiaßa — kolibel armjan, Erewan 1947, 918,39
(Russisch); MELIKISCHWILI, G.A.: NairiUrartu. Tbilissi 1954, 85 (Russisch);
DJAKONOW, I.M.: Op. cit., (Anm. 5), 1968, 236f., Anm. 119; DJAKONOW, I.M.:
Op. cit. (Anm. 10), 1981, 55. [S. 202]
Leukosyrer, wie auch die Chalyber oder Chalder — werden von Gelehrten oft als
Urbevölkerung Anatoliens, wo sie von der prähistorischen Zeit an lebten, angesehen.
Dem Werk „Geographie Armeniens", das von einem anonymen Autor aus dem 7.
Jahrhundert n. Chr. (das von einigen Gelehrten Ananias Sirakac'i zugeschrieben wird),
stammt (5,19), und dem armenischen Historiker Movses Chorenac'i (5. Jahrhundert)
zufolge scheint „Djanik" gleichbedeutend mit „Chaltik" (Djanik/Djaneti) zu sein
(2,76). „Djanik/Djaneti" ist ein alter Name des Landes der Lasen (Lasica oder
Lasistan). Nach der obigen Feststellung Strabons waren die Chalyber zu seiner Zeit
unter dem Namen „Chalder" bekannt (12,3,19).
In wissenschaftlichen Kreisen wird über das Problem diskutiert, ob die von Herodot
erwähnten Chalyber zu den Stämmen gehörten, die westlich des Flusses Halys (heute
Kızılırmak) lebten. In seinen „Historien" gibt es zwei solcher Paragraphen, 1,28 und
7,76. Im ersten Fall wird angenommen, daß der Teil, in dem solche Stämme genannt
werden, später eingeschoben wurde. Im zweiten Fall wird für die Erneuerung des
Namens „Pisidien" plädiert [27]. Offensichtlich hat Herodot bei der Aufzählung der
neben den Chalybern im südlichen Teil des Schwarzmeergebietes lebenden Stämme,
wie den Tibarenern, Makronen, Mosynoikern, Moschern etc., die obigen nicht
erwähnt. Gleichzeitig ist es sehr schwer sich vorzustellen, daß Herodot keine
Information über die Chalyber hatte. Schon Hekataios und Aischylos berichteten über
sie, und, wie Strabon betont, erwähnte sogar Homer die Chalyber unter dem Namen
„Halizonen" oder „Alyber" und hielt sie für Bewohner des Landes „Alybe" (Il.
2,856f.; Strab. 12,3,20).
Anscheinend zitierte Herodot die Chalyber bei der Aufzählung der benachbarten
Stämme nicht, weil die Fragmente, in denen von diesen Stämmen die Rede ist (3,94;
7,78), aus zwei besonderen Teilen seiner „Historien" hervorgingen: der „Liste der
Satrapien oder der Stämme, die Dareios Tribut zahlten" und der „Liste der Armee und
Flotte des Xerxes". Diese stammten wohl aus offiziellen persischen Dokumenten [28].
Es ist durchaus möglich, daß die Chalyber in diesen Fragmenten mit anderen
Stämmen verbunden waren, weshalb sie nicht gesondert genannt oder aber unter
einem anderen Namen erscheinen. Sonst hätte Herodot, falls diese Information von
ihm selbst stammte, auch die Chalyber erwähnt.
Nach Pomponius Mela, der sich in Kleinasien ausgezeichnet auskannte, gehörten die
Städte Amisos und Sinope sowie die Flüsse Halys und Thermodon den Chalybern, die
in der Nähe von Paphlagonien lebten (Mela 1,19.104.
___________________________
27 STEIN, HEINRICH: (Hrsg.) Herodotus Bd. 1,1, Berlin 1962, 33f.; Bd. 4,7, Berlin
1963, 84; vgl. LOMOURI, N.: K ißtorii pontißkogo zarßtwa. Tbilissi 1979, 121
(Russisch).
28 Vgl. LEHMANNHAUPT, C.F.: On the origins of the Georgians, Georgica 45,
1937, 6365. [S. 203]
105). Dieser Bericht Melas ist ebenfalls ein Beweis für die Existenz der Chalyber, die
in einiger Entfernung von Paphlagonien siedelten. Die weitere Verbreitung der
Chalyber in früheren Zeiten wird augenscheinlich durch Apollonios von Rhodos
bestätigt, nämlich, daß es das Schicksal Polyphems war, in den weiten Ländern der
Chalyber zu sterben (Apoll. Rhod. 1,1323).
Es muß berücksichtigt werden, daß nach Pomponius Mela die Chalyber im Gebiet zu
suchen sind, in dem, anderen antiken Autoren zufolge, die Leukosyrer (Syrer oder
Assyrer) lebten. Wenn wir die Tatsache in Betracht ziehen, daß Mela die Leukosyrer
nicht nannte, ist die Annahme möglich, daß er unter dem Namen der Chalyber die
Leukosyrer verstand. Pomponius Mela, ein Kompilator, gab in seinem Werk nicht
zeitgenössisches Geschehen wieder, sondern fußte hauptsächlich auf alten Quellen. Es
ist von Bedeutung, daß die völlig unkritische Auseinandersetzung mit früheren
Tatsachen und die haüfige Entlehnung von alten Autoren gewöhnlich als seine
Unzulänglichkeit angesehen wird [29]. Doch gleichzeitig scheint die höchst
bemerkenswerte Wirksamkeit seiner Texte gerade darin zu liegen, daß sie Berichte aus
verlorenen oder fragmentarisch erhaltenen alten Quellen enthalten. In Melas Schriften
können wir auf eine große Anzahl von Informationen stoßen, die ältere Perioden
widerspiegeln.
Meiner Meinung nach sind die Nachrichten Pomponius Melas und diejenigen des
Ephoros, jenes Historikers aus der ersten Halfte des 4. Jahrhunderts v. Chr., die in der
„Geographie" Strabons (14,5,24) enthalten sind, hinsichtlich des Problems des
früheren Siedlungsgebiets der Chalyber von gewisser Bedeutung. Ephoros lokalisierte
die Chalyber im Innern Kleinasiens, westlich von der Verbindungslinie zwischen
Sinope und Issos (an der nordöstlichen Küste des heutigen Golfes von Iskanderun),
wobei wir den sudöstlichsten Punkt des Golfes von Sinope und den nordöstlichsten
Punkt des Golfes Issos ins Auge fassen müssen (vgl. Plin. nat. 6,7). Es gab noch eine
andere Möglichkeit, die Grenzen der kleinasiatischen Halbinsel abzustecken, was nach
Strabon richtiger wäre, nämlich durch die Landenge zwischen Amisos und Issos
(14,5,22.23). Aufgrund der Feststellung Strabons nimmt niemand an, daß die
Landenge der Halbinsel das Gebiet der Chalyber durchquert, weil dann die Linie
keine gerade, sondern eine gekrümmte wäre, die durch Kleinarmenien, den Euphrat,
ganz Kappadokien, Kommagene wie auch das Gebirge von Amanos führen und auch
den Golf von Issos einschließen würde. Falls wir das Land der Chalyber als Teil der
Halbinsel ansehen würden, gäbe es mehr Chancen, Kataonien, beide Teile
Kappadokiens und Lykaonien dazuzuzahlen (14,5,24). Anscheinend betrachtete
Ephoros, im Gegensatz zu Strabon, die Chalyber als Bewohner der Halbinsel und sah
die obigen Länder nicht als die ihrigen an,
___________________________
29 THOMSON, J.O.: History of ancient geography, Cambridge 1948, 226; vgl.
LOMOURI, N.: Op. cit. (Anm. 27), 1979, 124f. [S. 204]
weil er das Siedlungsgebiet der Chalyber, im Vergleich zu den obigen Ländern, in den
westlicheren Teilen suchte.
Der Hauptgrund, weshalb Strabon' Ephoros Meinung nicht teilte, war nicht die
Vertreibung der Chalyber von der Küste und ihre Ansiedlung im Innern des Landes,
wie manche Wissenschaftler zu glauben pflegen, sondern ihre Lokalisierung westlich
der Linie, die den Issos mit dem Pontos Euxeinos verbindet. Strabon schloß das
Siedlungsgebiet der Chalyber im Innern des Landes nicht aus, denn es geht ganz
offensichtlich aus seiner Aussage hervor, daß es richtiger gewesen wäre, wenn
Ephoros das Siedlungsgebiet eines Teils der Chalyber an der Küste und eines anderen
im Innern des Landes gesucht hätte (14,5,24).
Es ist erwähnenswert, daß der aus der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts v. Chr.
stammenden Information im „Perieges" des PseudoSkymnos zufolge die Chalyber
auch auf der Halbinsel, westlich von der schmalsten Stelle der Landenge Asiens
(Kleinasiens), zwischen dem Golf von Amisos und Issos, im Innern des Landes, nicht
weit von Kappadokien, siedelten (921939). Diese Information ist von besonderer
Bedeutung für die Feststellung der Lokalisierung der von Ephoros erwähnten
Chalyber, da eine der Hauptquellen des „Perieges" gerade Ephoros war. Diese
Tatsache hebt PseudoSkymnos bei der Aufzählung der für seine Schriften
herangezogenen Autoren selbst hervor (109127).
Wenn wir somit die Chalyber als Vorfahren der Djanen (der Lasen), die später an der
Südostküste des Schwarzen Meeres lebten, betrachten und dabei die Informationen
der „Geographie Armeniens" aus dem 7. Jahrhundert n. Chr., daß „Eger (Kolchis) aus
vier kleinen Gebieten: Marniwliw, Egrewikiw, Chaziw und Djaniw, das
gleichbedeutend mit Chaltik ist, bestand" (5,19) und Movses Chorenac'i zufolge, daß
„Tacitus von seinen eigenen Truppen in Djanink im Pontos, nämlich Chaltik, getötet
wurde" (2,76), berücksichtigen, scheint die Annahme einer weiten Verbreitung der
Bevölkerung kartwelischen Ursprungs in Anatolien berechtigt zu sein.
Bekanntlich ist die Bevölkerung, die kartwelischen Ursprungs oder genetisch mit ihr
verwandt war, in Anatolien beheimatet. Es besteht die Möglichkeit, daß der als
DjorochiRionisch bezeichnete anthropologische Typus, der heute nur in den
angrenzenden Regionen dieser Flüsse (Djorochi und Rioni) erhalten ist, früher in
weiteren Gebieten verbreitet war. Nach Meinung der Anthropologen kann die
Kombination mancher für diesen Typus charakteristischen Züge noch heute fast auf
dem ganzen Territorium der heutigen Türkei festgestellt werden [30].
Aufgrund der Nähe der anatolischen und transkaukasischen Bevölkerung ist es
möglich, der Information alter Chroniken zufolge die Entstehung des ersten
___________________________
30 EREMEEW, D.E.: Ätnogenes turok, Moskau 1971, 224 (Russisch). [S. 205]
Staates im mittleren Transkaukasien durch äußere Impulse als Ergebnis der
Verbindung dieser zwei Regionen anzusehen.
Die Tatsache, daß gerade die anatolische Bevölkerung eine wichtige Rolle bei der
Gründung des ostgeorgischen Staates spielte, wird durch die Erwähnung des
anatolischen Charakters der Gottheiten des iberischen Hofes bestätigt.
Laut den georgischen Annalen aus dem 9. Jahrhundert n. Chr., „Die Bekehrung
Kartlis" (Kartli ist der georgische Name für Ostgeorgien, nämlich Iberien), setzte
Alexander der Große von Makedonien bei seiner Ankunft in Kartli Aso, seinen
engsten Vertrauten, als König in Mzcheta ein. Die Annalen aus dem 11. Jahrhundert n.
Chr. „Das Leben der georgischen Könige" von Leonti Mroweli berichten, daß der
Name dieses Vertrauten „Ason" war und daß er von Alexander dem Großen als
„Patrik" eingesetzt wurde. Der „Bekehrung Kartlis" zufolge ist Aso ein Königssohn
des Landes „ArianKartli". Aso zog mit seinen Landsleuten und den Göttern Gaci und
Ga aus seinem Heimatland nach Mzcheta. Laut der zweiten Hälfte der Chronik „Die
Bekehrung Kartlis" — „Das Leben des heiligen Nino" — waren die Idole Gaci und
Ga Götter der Vorfahren der Georgier in ArianKartli.
Arseni Beri (Ikaltoeli), Verfasser des metaphrastischen Textes „Das Leben des
heiligen Nino" und Lehrer des berühmten georgischen Königs aus dem späten 11. bis
frühen 12. Jahrhundert n. Chr., David IV., der Erneuer, erklärte diesen Sachverhalt
folgendermaßen: „Wir Georgier sind Nachkommen der aus ArianKartli neu
eingewanderten Bevölkerung, wir sprechen ihre Sprache, und alle Könige von Kartli
stammen von ihren Königen ab".
Nach der allgemein verbreiteten Meinung muß sich ArianKartIi südwestlich von
Ostgeorgien, d.h. im nordöstlichen Teil der heutigen Türkei, befinden. Diese Tatsache
kann durch „Das Leben der georgischen Könige" bewiesen werden, wonach nämlich
nach der Niederlage Asons (laut den Annalen „Die Bekehrung Kartlis" Aso, der
Königsohn von ArianKartli), ein neuer Herrscher über Kartli, der Konig Pharnawas,
in das Grenzland der Griechen, Andsiadsora, einfiel, durch Ekleci zurückkehrte,
Klardžeti eroberte und in seine Hauptstadt Mzcheta „voll großer Freude" heimkehrte,
wie es in den Annalen heißt.
Im „Leben des Wachtang Gorgasali", das dem georgischen König aus dem 4.
Jahrhundert n. Chr., dem Gründer von Tbilissi (Tiflis), gewidmet war, berichtet uns
sein Verfasser Džuanšeri aus dem 11. Jahrhundert n. Chr., daß der König Wachtang,
auf dem Weg zum Pontos, drei Städte — Andsoreti, Ekleci und Steri — zerstörte.
Wahrend einerseits Leonti Mroweli im „Leben der georgischen Könige" neben Ekleci
Andsiadsora nennt, erwähnt Džuanšeri andererseits außer Ekleci Andsoreti. Daß
Andsoreti gleichbedeutend mit Andsiadsora ist, geht aus der Information Džuanšeris
im Zusammenhang mit dem König Wachtang hervor. Dieser Information zufolge
behauptete Wachtang Gorgasali, daß sich die ge [S. 206]
orgischen Gebiete früher bis zum Süden des Schwarzen Meeres erstreckten, während
die heutige Grenze zehn Tagesmärsche von der früheren entfernt verläuft, und daß die
frühere Grenze in Andsoreti war, wo sich ein Grab des großen Predigers Grigoli (d.h.
des heiligen Gregors, der Armenien christianisierte), befand (die griechische
Grenzprovinz war Leonti Mroweli zufolge Andsiadsora). Augenscheinlich nahm
Džuanšeri an, daß die Heimat Asos (nach den Annalen „Die Bekehrung Kartlis"),
„ArianKartli", gerade in diesem Gebiet, d.h. dort, wo, nach Leonti Mroweli,
Pharnawas nach dem Sieg über Ason Krieg führte, gesucht werden mußte.
Da Pharnawas, laut Leonti Mroweli, nach seinem Einfall in Andsiadsora nach
Klardžeti zurückkehrte, wobei er durch das Gebiet von Ekleci zog, müßte sich
Andsiadsora westlich oder südlich von Ekleci befinden. Auch Džuanšeri erwähnt
Andsoreti, Ekleci und Steri in seiner Beschreibung der Route des Feldzuges
Wachtangs in Richtung zum Pontos. Meiner Meinung nach ist Steri gleichbedeutend
mit Satala; Ekleci, nämlich Akilisena, das sich am westlichen Euphrat (Karasu)
befand, lag westlich von Derdžan (in den griechischen Quellen als Xerxene oder
Derxene bekannt). Die Lokalisierung Derdžans kann leicht durch den Namen der
türkischen Stadt Tercan, die am Karasu, an der Stelle, an der der Fluß zum ersten Mal
nach Süden abbiegt, festgestellt werden. Am anderen, dem westlichen Ufer des
Flusses, befinden sich nach der armenischen geographischen Terminologie die Berge
von SurbGrigor. Im westlichen Teil von Ekleci, im Gebiet von Daranali, westlich von
Erzincan (des früheren Eriza, Erzinka) war das Kloster des heiligen Gregor — des
sogenannten SurbLusaworič. Bereits Movses Chorenac'i berichtet in der „Geschichte
Armeniens", daß das Grab des heiligen Gregor in Tordan, im Gebiet von Daranali, sei
(2,71). Somit kann dem von Džuanšeri zitierten Bericht Wachtang Gorgasalis zufolge,
daß das Grab des großen Predigers Grigoli sich in Andsoreti befindet, letzteres
westlich von Erzincan, in der alten Provinz von Daranali, lokalisiert werden.
In den Toponymen „Andsoreti/Andsiadsora" ist die Komponente dsor offensichtlich
ein armenisches Wort, das soviel wie „Schlucht" bedeutet. Vermutlich enthält dieser
Ausdruck die Wurzel an, während die Endung eti das georgische Suffix in der Bildung
geographischer Namen ist. Gleichzeitig kann das Suffix dsia, das für georgische und
hurrische Toponymen charakteristisch ist, im Terminus „Andsiadsora" festgestellt
werden, falls wir die Form „Andsoreti" heranziehen. Die Wurzel an in
Andsoreti/Andsiandsora ist von besonderer Bedeutung, da das Gebiet von Daranali
auch als „Analiba", deren wichtigste Stadt „Ani" (heute Kamah, am Karasu) war,
bezeichnet wurde [31]. Dem armenischen Historiker N. adontz zufolge enthält der
Name „Analiba" die georgische Pluralendung eb und bedeutet „Bewohner von Ani".
Andererseits
___________________________
31 Vgl. ADONTZ, N.: Op. cit., (Anm. 22), 1908, 48; MELIKISCHWILI, G.A.: Op.
dt. (Anm. 20), 1959, 325,410. [S.207]
betrachtete N. adontz die Endung ali des Toponyms „Daranali" als identisch mit den
georgischen eli und den grabararmenischen eğ Suffixen [32]. Die Abtrennung des
Suffixes ali in „Daranali" ist auch deshalb möglich, weil bei Ptolemaios derselbe
Name in der Form „Daranissa" erscheint.
Es muß in Betracht gezogen werden, daß AniKemach am linken, südlichen Ufer des
Karasu, d.h. in der Provinz Chorzene, liegt [33]. Wie wir durch Strabon wissen,
gehörte Chorzene zu den Provinzen, die die Armenier von den Iberern eroberten
(11,14,5). Gleichzeitig ist die Lokalisierung von „Andsoreti/Andsiadsora" im Gebiet
von Daranali vom Gesichtspunkt einer möglichen Verbindung der Wurzel „Daran" mit
dem ersten Teil des Terminus „ArianKartii" — „Arian" oder „Aran" möglich, aber
nur, falls wir einen Schwund des Anfangskonsonanten d im Namen
„Daranali/Daranissa" annehmen. In diesem Zusammenhang müssen die Ethno
Toponyme der Antike im Schwarzmeergebiet und Kaukasus, für die ein solcher
Schwund der dentalen Konsonanten d, t oder ţ: Ţoţene=Oţene, Tuni=Uni,
Ţapiri=Apiri, Dwali=Wali, Toreti=Oreti, charakteristisch ist, berücksichtigt werden.
Sogar im „Leben der georgischen Könige" erscheint manchmal das Toponym
„Durdsuketi" in der Form „Urdsuketi" und das Ethnonym „Durdsukni" als
„Urdsukni".
Die Tatsache, daß Leonti Mroweli Ekleci und Andsiadsora als Grenzregionen Kartlis
erwähnt, kann als Beweis dafür dienen, daß sich das Gebiet der Iberer im 3.
Jahrhundert v. Chr. weit nach Südosten erstreckte. Nach Aussage des georgischen
Historikers G. melikiŠwili ist dieser Umstand für die aktive Rolle bezeichnend, die das
Königreich Pharnawas' (Iberien) laut Leonti Mroweli in der Beziehung zwischen
Griechenland und Assyrien, d.h. zwischen den pontischen und seleukidischen
Königreichen, spielte. Außerdem neigt der gleiche Autor, der den Ursprung des
iberischen Königreiches behandelte, dazu, es mit der Expansion der hellenistischen
Staaten in Kleinasien oder Sudgeorgiens Stammesgemeinschaften in Verbindung zu
bringen [34]. Diese Ansicht beruht größtenteils auf der „Geschichte Armeniens" von
Movses Chorenac'i, obwohl ArianKartli aus den georgischen Annalen darin nicht
erwähnt wird.
Movses Chorenac'i zufolge nahm Alexander der Groß Mihrdat (Mihrdates), einen der
Satrapen des Dareios, mit und setzte ihn als Herrn über die Gefangenen unter den
iberischen Völkern ein, die Nebukadnezar bei einem Angriff auf das Land der Libyer
und Iberer gefangengenommen und am rechten Ufer des Pontischen Meeres
angesiedelt hatte. Der Nachkomme des Mihrdates sowie des Mihrdates wurde den
Informationen des Movses Chorenac'i zufolge vom armenischen König Artašes
(Artaxias nach griechischen Quellen) mit der Regierung im Gebiet der nördlichen
Berge und des Pontischen Meeres (2,8.11.14) betraut. Es besteht kein Zweifel, daß in
der Tat dieser Mihrdates
___________________________
32 ADONTZ, N.: Op. cit., (Anm. 22), 1908, 55,57.
33 SPRUNER, К. V. /MENKE, TH.: Atlas antiquus, Gothae 1865, Nr. XXVII.
34 MELIKISCHWILI, G.A.: Op. cit. (Anm. 20), 1959, 4750.233,282f.,291. [S. 208]
der mächtige pontische König Mithridates VI. Eupator, Schwiegervater des
armenischen Königs Tigranes II., ist [35]. Der Bericht über die Wiederansiedlung der
Bevölkerung Afrikas (Libyens) und der Iberischen Halbinsel (Westiberien) durch den
babylonischen König Nebukadnezar II. im frühen 4. Jahrhundert v. Chr. wird bereits
in der Antike dem Historiker Megasthenes zugeschrieben (Eus. praep. ev. 9,41,1). Der
Beweis, daß Movses Chorenac'i, der diesen Bericht der Chronik des Eusebios
entnahm, die armenische Version benutzte, ist die mißverstandene Übersetzung des
Namens „Megasthenes" als Adjektiv („mächtig") zur Charakterisierung
Nebukadnezars. Die Tatsache, daß Megasthenes im 4./3. Jahrhundert v. Chr. lebte, ist
von Bedeutung. Somit kann die Nachricht von der Migration der Georgier (d.h. der
Iberer) in den Kaukasus früher als in die Zeit der Regentschaft Alexanders des Großen
datiert werden, wie es der Autor der Annalen „Die Bekehrung Kartlis" vorgeschlagen
hatte.
Dennoch schreibt Movses Chorenac' i, ähnlich wie die georgischen Annalen, die
Gründung des iberischen Königreiches Alexander dem Großen zu. Obwohl Plinius
(nat. 4,39) und Solinus (9,19) die Übermacht Makedoniens in Iberien erwähnen, zog
Alexander bekanntlich nie in die Richtung des Kaukasus. In Verbindung damit ist die
von Strabon erwähnte Tatsache, daß Alexander Menon mit einer Armee nach
Syspiritis schickte (11,14,9), das vermutlich, mit dem Gebiet von Speri (heute Ispir)
identisch ist [36], von Interesse.
Die Aussagen in „Die Bekehrung Kartlis" und „Das Leben der georgischen Könige"
über Alexanders Feldzug zum Kaukasus sind vermutlich mit der weit verbreiteten
Ansicht verbunden, die ihm die Befestigung des Kaukasischen Tores bzw. Dariali,
oder des Ossetischen, Sarmatischen, Iberischen, Kaspischen und Aragwischen Tores,
zuschreiben. Der mittlere kaukasische Durchgang wurde von antiken Autoren häufig
als „Säulen" oder „Festung" Alexanders bezeichnet (Ptol. 5,8,16; Hier. chron. a. Abr.
77,8). Bei den fortschrittlichen Gesellschaften des Nahen Ostens zur Zeit des
Niedergangs des Römischen Reiches wuchs die Angst vor der Invasion der Nomaden
aus dem Norden — „sündige Stämme der Gog und Magog" — wie auch die
Aufmerksamkeit, die sie den Aktivitäten der nördlichen Nomaden schenkten, vor
allem der Hunnen. In diesem Zusammenhang wurde der Name Alexanders des
Großen als Kämpfer gegen sie sehr berühmt [37]. Besonders drastisch wird diese
Tatsache im früheren Mittelalter im populären 'Alexanderroman' des Pseudo
Kallisthenes
___________________________
35 MELIKISCHWILI, G.: Dzveli kartuli, somxuri da berdznuli saistorio tradicia da
kartlis (iberiis) carmokmnis sakitxi, Sakartvelos mecmerebata akademüs moambe 2,
1962, 226 (Georgisch).
36 Z. B. LASSERRE, FR.: Lexique des noms de Lieux, Strabon. Geographie, tome
VIII. Paris 1975, 175.
37 ALLEN, W.E.D./MURATOFF, P.: Caucasian battlefields. Cambridge 1953, 6;
SINOR, D.: The concept of Inner Asia, in: Sinor, D. (Hrsg.). The Cambridge History
of Inner Asia, Cambridge 1987, 4, 17f. [S. 209]
wiedergegeben, der, wie allgemein bekannt, die wichtigste Informationsquelle der
georgischen Annalen für Alexanders Kampf gegen die nordlichen barbarischen
Stämme war. Es ist von Bedeutung, daß der Bericht über seinen Feldzug zum
Kaukasus vermutlich andeutet, daß unter den „BunTurken", auf die er georgischen
Annalen nach stieß, eine nördliche Bevölkerung, möglicherweise die Hunnen, die
nach Iberien über den kaukasischen Gebirgskamm einbrachen, zu verstehen ist. Diese
Tatsache wird außer anderen Angaben durch diejenige im „Leben der georgischen
Könige" bestätigt, wonach die von Alexanders Truppen in der Stadt Sarkine
umzingelten „BunTürken" durch das „Schlupfloch" im Felsen entkamen und in den
kaukasischen Bergen Schutz suchten.
Das iberische Königreich war außer in der Verteidigung des „Kaukasischen Tores" in
der Benutzung dieses „Tores" für strategische Zwecke erfolgreich: im Notfall durch
Zusammenziehung militärischer Kräfte zum Zweck des Angriffes feindlicher
Grenzen. Da das „Kaukasische Tor" in iberischer Hand war, wird der Bericht des
Movses Chorenac'i, daß der armenische König die Kontrolle über diese Berge dem
Nachkommen des Favoriten Alexanders des Großen „anvertraute" (2,8.11),
verständlich. Gleichzeitig beweist diese Tatsache den deutlichen Zusammenhang
zwischen der Entstehung der königlichen Macht in Iberien und der dringenden
Notwendigkeit einer Verteidigung des „Kaukasischen Tores" gegen die Eindringlinge
aus dem Norden. Obwohl wir keinen Beweis für den Einfall der Makedonen in den
mittleren Kaukasus haben, hat das Interesse der hellenistischen Staaten des Nahen
Ostens an Iberien zweifellos bestanden. Wegen der Notwendigkeit einer wirksamen
Kontrolle über das „Kaukasische Tor", das den Nomaden den Weg versperrte, war für
die Herrscher dieser Staaten das Vorhandensein einer starken politischen Organisation
in Kartli, im mittleren Transkaukasien, die eine solche Funktion — die der Kontrolle
über den kaukasischen Hauptdurchgang — ausüben konnte, wichtig.
Plinius gebrauchte den Ausdruck „Kaukasisches Tor" im übertragenen Sinn, wenn er
behauptet, daß es die Welt in zwei Hälften teile (nat. 6,30). Es ist ersichtlich, daß die
obigen Faktoren entscheidend zur Entwicklung des mittleren Transkaukasiens in
früheren wie auch späteren Zeiten beigetragen haben.
Es ist von symbolischer Bedeutung, daß die laut den Annalen „Das Leben der
georgischen Könige" auf Alexander den Großen zurückgehende Darstellung von
Sonne, Mond und fünf Sternen auf der Fahne der Georgischen Republik erscheint.
Auf dem gleichen Emblem sind anstelle des Drachens auf der Ikone, unter den Hufen
des Pferdes des „Weißen Giorgis", der georgischen Symbolgestalt, die kaukasischen
Berge abgebildet.
Der Wunsch der lokalen kaukasischen Herrscher, ihre eigenen Ziele mit den
Interessen Alexanders des Großen zu verknüpfen und ihre Macht zu deren
Verwirklichung zu benutzen, geht aus „Der Feldzug Alexanders" von Flavius [S. 210]
Arrianus hervor. Meiner Meinung nach entspricht diese Feststellung völlig den
armenischen und georgischen Annalen, was die Abhängigkeit des iberischen
Herrschers von Alexander dem Großen betrifft.
Nach Flavius Arrianus erschien 329328 v. Chr. Pharasmanes, der König von
Chorasmier, in Zentralasien in Begleitung von 1500 Reitern vor Alexander, der sich zu
jener Zeit am Ufer des zentralasiatischen Flusses Oxus (heute AmuDarja) aufhielt. Er
berichtete Alexander, daß er in der Nachbarschaft der Kolcher und Amazonen lebe,
und bot ihm an, ihn zu begleiten und für Verstärkung für seinen Feldzug zu sorgen,
falls Alexander die Stämme zu besiegen wünsche, die im Gebiet bis zum Pontos
Euxeinos (d.h. bis zum Schwarzen Meer) lebten. Alexander entgegnete dem König der
Chorasmier, daß er jetzt keine Zeit für einen Feldzug zum Pontos habe, aber nach der
Eroberung Asiens und seiner Rückkehr nach Griechenland durch Uberquerung des
Hellesponts und des Propontis sowohl mit seinen Land als auch Seekräften tief in den
Pontos eindringen und dann erst Pharasmanes' Hilfe annehmen würde (15,4,14.15).
Die historiographische Literatur enthält eine völlig zutreffende Bemerkung, nämlich,
daß es unglaubwürdig sei, daß Flavius Arrianus, der Autor des „Periplus" vom
Schwarzen Meer, das Siedlungsgebiet der Kolcher in Zentralasien, in der
Nachbarschaft der Chorasmier und nicht in der Umgebung von Trapezunt am
Schwarzen Meer suchte. Dieser Irrtum geht vermutlich auf die griechischen
Manuskripte zurück; die Vorstellung, daß der König der zentralasiatischen
Chorasmier im Originaltext in Verbindung mit den Kolchern erwähnt wurde, ist nicht
wahrscheinlich [38].
Die Tatsache, daß Arrianus' Text „Der Feldzug Alexanders" sich nicht auf
Zentralasien bezieht, sondern auf die Kolcher und Amazonen, wird bis zu einem
gewissen Grade durch die Mitteilung Alexanders des Großen selbst bestätigt, nämlich,
daß er nach seiner Rückkehr nach Griechenland über den Hellespont und Propontis
(d.h. nach seiner Rückkehr aus Zentralasien), unterstützt durch seine Land wie auch
Seekräfte, zum Pontos ziehen würde. Aus der letzten Bemerkung geht deutlich hervor,
daß er nicht im Begriff war, nach Zentralasien zurückzukehren [39].
Wenn somit einerseits der von Flavius Arrianus erwähnte Pharasmanes, König der
Chorasmier, Alexanders Hilfe gegen die benachbarten Kolcher und Amazonen
erwartete, so setzte andererseits Alexander der Große georgischen und armenischen
Annalen zufolge nach seiner Ankunft in Kartli (Iberien) seinen Nachfolger als
Herrscher ein. Wie bekannt, war Aso, der „Bekehrung Kartlis" gemäß, der Sohn des
Königs von ArianKartli; dem Bericht im „Leben der georgischen Könige" zufolge
beendete Pharnawas, der neue König
___________________________
38 KAUXČIŠWILI, T.: Op. cit. (Anm. 23, 1976.)
39 SPRUNER, K. V./MENKE, TH.: Op. cit. (Anm. 33), 1865, Nr. VIII. [S. 211]
Kartlis, nach dem Sieg über Ason seinen Einfall in südwestlicher Richtung
Ostanatoliens mit dem Ziel, die Grenzgebiete des Pontos zu zerstören und Klardžeti
zu erobern. Gleichzeitig muß der in der „Geschichte Armeniens" von Movses
Chorenac'i erwähnte Mihrdates, der von Alexander dem Großen als Herrscher über
die Iberer eingesetzt worden war, der König von Pontos, Mithridates VI. Eupator,
gewesen sein.
Meiner Meinung nach muß gerade in diesen Gebieten — in den nordöstlichen Teilen
Anatoliens — nicht nur das in der georgischen Chronik genannte „Arian Kartli",
sondern auch das Land des Pharasmanes, des Feindes der Kolcher und Amazonen,
gesucht werden. Der Name dieses Landes ging vermutlich eine Verbindung mit der
Bezeichnung „Chorasmi", dem Land in Zentralasien, ein.
Im Zusammenhang mit dem betreffenden Problem müssen wir Strabons Aussage
berücksichtigen, daß Artaxias (der armenische König Artašes I.) und Zariadris (der
armenische Heerführer Zareh) die armenischen Länder vergrößerten, indem sie den
Iberern außer Gogarene das Gebirge von Paryadres und Chorzene abnahmen (11,14,5).
Dieses Ereignis kann in das 2. Jahrhundert v. Chr. datiert werden. Es besteht in der
Literatur die Annahme, daß das Wort „Chorzene" durch Kürzung von „Cholarzene"
(d.h. Klardžeti) entstanden ist [40]. Gleichzeitig laßt Strabons Lokalisierung des
Landes „Chorzene" in der Nähe Iberiens und Kolchis eine Identifizierung mit dem
armenischen Kanton nördlich des Gebietes von Hašteank am Gaylget (heute
Kelchas), dem Nebenfluß des Murat (des Osteuphrats), und südlich des Karasu, d.h.
südwestlich von Karenitis und Xerxene, Gebiete, die die Armenier von den Chalybern
und Mosynoikern eroberten (Strab. 11,14,5), nicht zu. Diese Tatsachen schließen die
Möglichkeit ihrer Eroberung von den Iberern aus. Aber es ist durchaus denkbar, daß
Leonti Mroweli, der Autor des „Leben der georgischen Könige", eine ähnliche
Information wie Flavius Arrianus über die Verbindung des Günstlings Alexanders des
Großen mit dem Land, das so ähnlich wie „Chorzene" lautete, hatte, weswegen er
Andsiadsora, das dem armenischen Kanton benachbarte Chorzene oder eines Teiles
davon, als Gebiet betrachtete, das nach Besiegung Asos durch Pharnawas, des neuen
König Kartlis, überfallen werden mußte.
Die Möglichkeit einer Lokalisierung von „Chorzene" in der Nähe oder im Innern
Iberiens ist auch durch andere Quellen angezeigt. In den Kommentaren zum „Buch
der Schöpfung", das im 3./4. Jahrhundert n. Chr. erschien, können wir vermutlich die
ähnlichen Ethnonyme und Toponyme: Korsini oder Korseni (Euseb. Chron. 1,6),
Korseini (LG 6), Kordsenoi (Κορζηνοί Epith. Agk. 113) finden. Die Lokalisierung
der Siedlungsgebiete dieser Stδmme ist nicht ganz gesichert. Da sie gewφhnlich in
der Liste der Stδmme nach den Kolloi oder Cholli genannt werden, ist es mφglich, sie
für Koraxer oder Kol ___________________________
40 Z.B. TOUMANOFF, C.: Studies in Christian Caucasian history, Georgetown 1963.
[S. 212]
ler zu halten, die im nordöstlichen Teil des Schwarzen Meeres lebten. Aber in
Anbetracht des Vorhandenseins der alten georgischen Provinz Kola (im Gebiet des
heutigen türkischen Göle), in der die Kura entspringt, und bei einer Gegenüberstellung
dieser Tatsache der Information des Plinius über die Lokalisierung der Quelle der
Kura in den Heniocher Bergen, die ihm zufolge auch Koraxer genannt werden (nat.
6,26,39; vgl. 5,99), wäre es logisch, sie als die Berge von Kola anzusehen. Wir
müssen auch die Feststellung des Pomponius Mela, daß die Kura im Gebiet
entspringt, das den Koraxer Bergen benachbart ist (3,5,41), in Betracht ziehen.
Aufgrund dieser Tatsachen muß die Übereinstimmung der obigen Ethnonyme (Korsini
oder Korseni, Korseini und Kordsenoi) mit dem Gebiet in der Nähe der Berge, in
denen die Kura entspringt, stimmen. Gleichzeitig sollte die Tatsache berücksichtigt
werden, daß die Kolloi/Cholli und Korseni/Kordsenoi in den Kommentaren zum
„Buch der Schöpfung" unter den Stämmen des östlichen und mittleren
Transkaukasiens wie auch Nordanatoliens genannt werden (LG 6; Euseb. Chron. 1,6;
Epith. Agk. 113). Somit haben wir genügend Beweise, diese Stämme im südwestlichen
Teil des historischen Georgiens zu suchen.
Wir müssen unter dem Gesichtspunkt eines Zusammenhangs der Ausdrücke „Koraxi"
und „Chorzene" mit dem Quellgebiet der Kura (Kyros) eines der Manuskripte des
„Geographischen Führers" von Claudius Ptolemaios heranziehen, in dem wir im
ursprünglichen Text das Toponym „Korazene" statt „Katarzene" (5,12,9) — des
Terminus zur Bezeichnung des zwischen den Quellen der Kura und Karasu (der
westliche Euphrat) liegenden Gebiets — finden können.
Das Toponym „Korazene" wie auch Strabons „Chorzene" sind voraussichtlich vom
alten Namen des Flusses Kura — Koros (Κόρος) — abgeleitet, einem in Strabons
„Geographie" erhaltenen Namen, der seinerzeit noch nicht gebräuchlich war (11,3,2).
Die Lokalisierung von „Korazene/Chorzene" im Ursprungsgebiet der Kura wird
vermutlich durch Strabon bestätigt, nämlich, daß entgegen Apollodoros' Aussage, daß
der Fluß Araxes die Grenze zwischen Armenien und Iberien bildet, sie in Wirklichkeit
längs der Kura und den Bergen von Moscher verläuft (1,3,21). Falls wir in diesem
Zusammenhang den Oberlauf des Araxes und seine Abzweigung von der Kura, d.h.
von den Moschischen Bergen, in Betracht ziehen, wird es verständlich, daß auch der
Ausdruck „Kura" den Oberlauf dieses Flusses bezeichnet. Die gleiche
Schlußfolgerung können wir auch aus Strabons Aussage, daß die Kura trotz ih
res Ursprungs in Armenien nur durch Iberien und Albanien fließt (11,1,5; 11.3,2),
ziehen. Falls wir die Ansicht des Apollodoros teilen, daß die Grenze zwischen den
Territorien der Iberer und Armenier durch den Araxes verlief, die Situation früherer
Zeiten, bevor Artaxias und Zariadris iberische Gebiete eroberten (vgl. Strab. 1,3,21;
11,14,5), widerspiegelt, d.h., vor der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts [S. 213]
v. Chr., [41] ist die Annahme einer Ausbreitung armenischen Territoriums bis zur Zeit
des Artaxias und Zariadris durch Aneignung der iberischen Provinz Chorzene, die
vermutlich an der Quelle der Kura lag, berechtigt.
Andererseits muß bei einer Auffassung der Kura als Grenze zwischen Iberien und
Armenien, Chorzene südlich des betreffenden Flusses gelegen sein. Es muß
hervorgehoben werden, daß nach Plutarch die Kura ihren Ursprung in den iberischen
Bergen hatte und den aus Armenien herunterkommenden Araxes aufnahm (Pomp. 34).
Gleichzeitig besteht die Möglichkeit, eine Ausbreitung der Chorzene in einem
größeren Gebiet anzunehmen. Dem byzantinischen Kaiser Konstantinos VII.
Porphyrogennetos (905959 n. Chr.) zufolge ist das „Land Artanudži" (d.h. die
georgische Provinz Klardžeti) mit Arsene gleichbedeutend, und es wird berichtet, daß
dieses Land groß sei und eine Schlüsselstellung innerhalb Iberiens, Abchasiens (d.h.
Westgeorgien) und des Landes der Moscher habe. Arsene, ähnlich wie Chorzene,
enthielt vermutlich alte georgische Provinzen wie TaoKlardžeti und KolaArtaani und
befand sich im Gebiet, dessen mittlerer Teil der Bergrücken von Arsiani (dem
heutigen Yalnizçam Dağları) ist, der als Berg Chordsiani in der georgischen
hagiographischen Schrift von Giorgi Mercule aus dem 10. Jahrhundert n. Chr., „Das
Leben des heiligen Grigoli von Chandstha", erscheint [42].
Die Erwähnung der Amazonen im Auszug des bereits genannten Textes des Flavius
Arrianus widerspricht auch nicht den Berichten anderer antiker Autoren über ihr
mögliches Siedlungsgebiet in Kaukasien oder nicht weit davon. Strabons
„Geographie" enthält eine halb legendäre Geschichte über die Migration von
Bevölkerungen Kleinasiens nach Kaukasien, wonach die mythischen Amazonen nach
ihrer Ausweisung aus dem Flachland von Themiskyra und den darüber liegenden
Bergen sich in Kaukasien, in den KeraunienBergen oberhalb Albaniens, in der
Nachbarschaft der Gargarier, ansiedelten. Zusammen mit ihnen wanderten Amazonen
aus Themiskyra aus (11,5,14).
Falls Strabons Bericht über die Migration der Amazonen und Gargarier von Anatolien
nach Kaukasien isoliert dastünde, könnte er als unwichtig angesehen werden, aber die
griechischen und römischen Autoren erwähnen sehr häufig die Migration von Völkern
aus südwestlicher Richtung nach Kaukasien. Möglicherweise besteht eine Verbindung
zwischen der Bezeichnung „Amazonen" und den Ethnonymen „Mosynoiki" oder
„Moschi".
Somit ist anzunehmen, daß in Arrianus' „Feldzug Alexanders" sich unter dem Namen
Pharasmanes, des Königs der Chorasmier, der Herrscher über
___________________________
41 JANAŠIA, S.: Šromebi, Bd. 2. Tbilissi 1952, 252255 (Georgisch);
MELIKISCHWILI, G.A.: Op. cit. (Anm. 20), 1959, 291; treidler, H., RE 18,2 (1967)
Sp. 2095, s. v. Xerxene.
42 Ich wurde durch Frau Manana Čirakadze darauf aufmerksam gemacht, wofür ich
ihr Dank schulde. [S. 214]
die iberische Provinz von Chorzene verbirgt und daß der Information der georgischen
Annalen zufolge Aso, der Sohn des Königs von ArianKartli, der mit Hilfe Alexanders
des Großen König in Mzcheta (Kartli) wurde, in gewisser Weise mit der Aussage des
Arrianus im Zusammenhang steht. Außerdem ist es von Bedeutung, daß der Name
„Pharasmanes" für den iberischen Hof im späten l. Jahrtausend v. Chr. und am Anfang
des ersten Jahrtausends n. Chr. und nicht für Chorasmiern in Zentralasien
charakteristisch ist [43].
Es muß hervorgehoben werden, daß der Name „Aso" eine Ähnlichkeit mit dem
Namen des Königs von Daiaeni (urartäisch „Diaueĥi"), Asia, hat, der in der Inschrift
des assyrischen Königs Salmanassar III. vorkommt, die in das Jahr 844 v. Chr. datiert
wird. [44]
Das Land DaiaeniDiaueĥi befand sich nördlich der Quelle von Karasu (der westliche
Euphrat), im Gebiet, das in georgischen und armenischen Quellen als Tao oder Taik
bekannt ist. Der Anlaut d >t ist typisch für das Hurrische. Das hurrische
Possessivpronomen ke entspricht dem assyrischen ine. [45]
Was die ethnische Identifizierung der Bevölkerung von Daiaeni/Diaueĥi betrifft,
scheint es möglich zu sein, zwei Sachverhalte miteinander in Verbindung zu bringen:
Einerseits handelt es sich im Strabons obigen Bericht, wonach die Karenitis (das
Gebiet, in dem der Karasu entspringt) von den Chalybern durch die Armenier erobert
wurde (11,14,5). Die Chalyber waren ein bekannter Eisen verarbeitender Stamm (im
Griechischen steht „Χαλυρς" fόr „Stahl" und χαλκός fόr Eisen). Andererseits
handelt es sich um die in der Aufzeichnung Argistis I. (786764 v. Chr.), des Kφnigs
der urartδischen Monarchie, erwδhnte Tatsache, daί die Bevölkerung von Daiaeni auf
dem Gebiet der Eisenverarbeitung bewandert war [46]. Diese Fakten lassen eine enge
Beziehung zwischen den zwei Stämmen (den Chalybern und Daiaenen ), wenn auch
keine Gleichsetzung, vermuten. Zu einem weiteren Ergebnis kann man durch den
Namen der Königsstadt von Diaueĥi, Šašilu, kommen, da sie sich möglicherweise an
der Stelle des mittelalterlichen georgischen Dorfes Sasire (altgeorgisch: Ort der
Vögel), unmittelbar westlich vom Schloß Tortumi, am Oberlauf des Tortumistskali
(türkisch Tortumçai), des heutigen türkischen Dorfes EsenDurak (dessen früherer
türkischer Name Sağır ist) oder in der Nähe davon, ungefähr 1520 km nordwestlich
von der Quelle des Euphrats,
___________________________
43 Vgl. WIRTH, G.: Anhang zu „Der Alexanderzug", Arrian, Der Alexanderfeldzug,
Indische Geschichte. Herausgegeben und übersetzt von gerhard wirth und OSCAR
VON HINUBER. München/Zürich 1985, 906.
44 DIAKONOFF, I.M.: Aßßirowawilonskie ißtotschniki po ißtorii Urartu, Westnik
drewnei ißtorii, 1951, N 2, 299 (Russisch).
45 DIAKONOFF I.M./KASHKAI S. M.: Geographical names according to Urartian
textes. Repertoire geographique des textes Cuneiformes, Bd. 9. Wiesbaden 1981, 26.
46 MELIKISCHWILI, G.A.: Urartskie klinoobrasnie nadpißi, Moskau 1960, 234f.,
247f. [S. 215]
befand. Es muß in Betracht gezogen werden, daß in den urartäischen Keilschriften wie
auch in den assyrischen, woraus die erstere stammt, die Laute s und š, l und r, u und о
unmöglich voneinander unterschieden werden können. [47] Eine solche Lokalisierung
Šašilus wird deutlich bei einer Verbindung mit der in den Annalen Salmanassars III.
genannten Tatsache, daß er im Jahre 844 v. Chr. in der anonymen Konigsstadt Asias,
des Konigs von Daiaeni, seine Statue aufstellte, als Asia an der Quelle des Euphrats
„seine Füße faßte" [48], mit der Information des urartäischen Königs Minua, daß er
die Königsstadt Diaueĥi, die er mit „Šašilu" bezeichnete [49], nach ungefähr einem
halben Jahrhundert zerstörte [50].
Vermutlich waren die Anthroponyme des Typus des AsiaAso für die Herrscher über
diese Region lange Zeit charakteristisch. Es wird angenommen, daß das Anthroponym
„Aso" aus den georgischen Annalen eine Personifizierung der Bezeichnung für das
„Land Azzi" war [51]. Auf den ersten Blick scheint diese Vermutung unbegründet zu
sein. Wie aber bereits angedeutet, ermöglicht die Information aus den antiken Quellen
die Annahme, daß in den nördlichen Teilen Mittel und Ostanatoliens, wo sich Azzi
befand, im ersten Jahrtausend v. Chr. von Stämmen kartwelischen Ursprungs bewohnt
war. Hethitischen und assyrischen epigraphischen Quellen zufolge waren einige dieser
Stämme Nachkommen derjenigen, die früher in südlicheren Gebieten, im Innern
Zentral und Ostanatoliens, lebten [52]. Augenscheinlich waren „Ebbe"
___________________________
47 Ibid. 46.
48 LUCKENBILD, D.D.: Ancient records of Assyria and Babylonia 1, Historical
records of Assyria from the earliest times to Sargon, Chicago 1926, 241.
49 MELIKISCHWILI G.A.: Op. cit., (Anm. 46), 1960, 157160, 234f., 247.
50 In diesem Zusammenhang ist es erwähnenswert, daß uns in der Ausstellung des
Museums von Erzurum das Fragment einer Steinstatue, die einen Herrscher
darzustellen schien, auffiel. Den türkischen Archäologen, Frau Sarap Yaylalı, Herrn
Hilmi Özkörücüklü, denen ich meinen Dank für ihre freundlichen Erklärungen
ausdrückte, zufolge stammt die Statue vermutlich aus der neoassyrischen Zeit und
muß aus lokalem Stein „Karatasch", der für die Region des Oberlaufes des Dumlusu,
des Hauptarmes des Karasu (des Westeuphrats), ca. 20 km nördlich von Erzurum,
typisch ist, gehauen worden sein. Aus diesem Grunde war für uns eine Verbindung
dieser Statue mit der oben erwähnten, derjenigen des Königs Salmanassar III., die in
der Hauptstadt von Daiaeni aufgestellt worden war, verlockend. Aber leider erlaubt der
fragmentarische Charakter der Statue eine solche Folgerung nicht. Nach Meinung
deutscher Spezialisten scheint die Annahme eines parthischen Ursprungs der Statue
berechtigt zu sein. Ich spreche an dieser Stelle Frau Eva Strommberger, Frau Eva A.
BraunHolzinger, Frau Evelyn Klengel, Herrn Ralf B. Wartke und Herrn Manfred
Korfmann meinen Dank fur ihre beratende Hilfe aus.
51 KAPANZIJAN G.A.: O wsaimootnoschenijach armjanßkogo i lasomegrelßkogo
jasikow, Ißtorikolingwistitscheskie raboti 2, Erewan 1975, 342f. (Russisch).
52 Es muß unterstrichen werden, daß verschiedene Merkmale der mannigfaltigen
Aspekte des Lebens der Alten Welt noch heute unter der Bevölkerung des Kau [S.
216]
und „Flut" der Völker der Schwarzmeerküste und der angrenzenden Territorien, die in
Verbindung mit den Gebieten Inneranatoliens standen, durch die politische Situation
der letzteren bedingt.
___________________________
kasus existieren, der unvergleichlich viele Völker zählt, die gleichzeitig genetische
Verbindungen mit den frühesten Bevölkerungen des Nahen Osten und des
Mittelmeergebietes haben. Es scheint plausibel zu sein, daß die Skulptur eines der
Mischwesen (H. 0.60 m) am frühneolithischen Kultgebäude in Nevali Çori
(Ostkleinasien), an dem ein nicht leicht zu erklärender Auswuchs in der Mitte der
Brust auffällt (HAUPTMANN, H.: Ein Kultgebäude in Nevali Çori, in:
FRANGIPANE, M./HAUPTMANN, H./LIVERANI, M./MATTHIAE, P./MELLINK,
M. (Hrsgg).:Between the rivers and over the mountains. Archaeologica Anatolica et
Mesopotamica. Alba Palmieri dedicata, Rome 1993, 66, Abb. 25), verständlich wird,
wenn wir das Bild der westgeorgischen (kolchischen oder megrelischen)
mythologischen Gestalt OčoKoči, heranziehen, der statt der Haare einen
spitzknochigen Auswuchs (oder eine Steinaxt) hat. Er wirft sich auf die
Vorübergehenden und tötet sie, indem er sie mit seinen starken Armen auf diese
Spitzen seiner Brust preßt (vgl. HAUSSIG, H.W. [Hrsg.]: Götter und Mythen der
kaukasischen und iranischen Völker, Stuttgart 1986, 44).
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See, also,
publications2.htm
&
http://www.geocities.com/komblege/kavta.html