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Lebensabschnittsberuf Lehrer
05.08.2007 | 17:46 | GASTKOMMENTAR VON HELMUT EIGENTHALER (Die Presse)

Lehrer ist ein Beruf, der nicht 40 Jahre oder länger, sondern nur eine Zeitlang ausgeübt werden sollte.

In den letzten Wochen wurde dem Thema Schule in der „Presse“ breiter Raum gewidmet. Begonnen hat es mit
dem Leitartikel „Pädagogen, wie wir sie wirklich brauchen“ von Michael Prüller. Artikel dieser Art ziehen nahezu
naturgesetzlich Leserbriefe und im Besonderen solche von Lehrern an. Etwas vereinfacht, aber doch den Kern
der Gemeinsamkeit treffend, enthalten diese Lehrer-Leserbriefe mehr oder weniger aufgeregte „Es-ist-doch-
alles-ganz-anders“-Botschaften.

Es ist mir als Lehrer mit 32 Jahren Berufserfahrung und einem eben verbrachten Auszeitjahr ein Anliegen, mit
einigen sanft provokanten Thesen zum Nachdenken anzuregen.
•These 1: Die Unterscheidung zwischen guten und schlechten Lehrern ist eine Fiktion!
Dies gilt vor allem für den weitergedachten frommen Wunsch: Der gute (engagierte, fortbildungswillige etc. etc.)
Lehrer ist in der Lage, jeden Schüler zu motivieren und natürlich auch jedem Schüler etwas beizubringen. Die
Annahme einer Zusammenhangsautomatik zwischen Engagement eines einzelnen Lehrers und Unterrichtsertrag
ist eine Illusion. Vor allem die Diskussion über die schlechten öffentlichen Hauptschulen in Wien und den
massenhaft Zuflucht in Privatschulen und Gymnasien Suchenden ist durch die Facette zu ergänzen, dass Lehrer
gerade in diesen Schulen zwangsweise mit viel größerem Engagement und viel mehr persönlichem Aufwand als
ihre AHS-Kollegen ihren Unterricht gestalten müssen (viel häufigeres und genaueres Erklären, viel mehr
Störungen durch schwierige Schüler). Für Erziehungswissenschaftler mit guten Ratschlägen für jede
pädagogische Situation wäre statt eines Forschungssemesters an einer anderen Universität ein
Forschungssemester in Form einer aktiven alleinverantwortlichen Unterrichtsgestaltung an einer großstädtischen
Hauptschule in der 3. Leistungsgruppe aufschlussreicher als so manches abstrakte Forschungsprojekt. Die häufig
erwähnte Diagnose, dass jeder Schüler eine individuelle Förderung benötigt, kann ich zu 100 Prozent
unterstreichen, für eine anwendbare Therapie im Klassenverband – auch mit einer minimalen Klassenstärke von
15 Schülern – weiß ich keine Lösung. In pädagogischen Belangen impliziert also die richtige Diagnose nicht
automatisch eine anwendbare Therapie.
•These 2: Die Jugend ist für nahezu jeden Menschen keine unbeschwerte, sondern eine sehr
schwierige Zeit!
Seit Platons Zeiten beklagen sich Pädagogen darüber, dass die Schüler im Laufe ihres Lebens schlechter
geworden sind, und wahrscheinlich wird auch seit der Antike darüber nachgedacht und diskutiert und seit
Jahrzehnten auch gesetz- oder zumindest verordnungsmäßig bestimmt, dass in Zukunft in Sachen Schule und
Bildung vieles (alles?) anders und vor allem besser werden muss.

„Wir wollen das ja gar nicht wissen, und werden es später nicht vermissen“ ist ein wörtliches Zitat aus einer
Maturazeitung meines ersten Maturajahrganges aus dem Jahre 1979. Gerade weil diese Jahreszahl nicht aktuell
ist, sondern der Beitrag aus der ehemals jugendlichen Füllfeder eines heute fast 50-jährigen Erwachsenen
stammt, ist die Aussage interessant. Der Kampf der Lehrer um Aufmerksamkeit und Interesse von Seiten der
Schüler war und ist ein pädagogischer Dauerbrenner und wird es vermutlich immer sein. Es ist dies kein Vorwurf
an die Zielgruppe Schüler oder ihr augenblickliches Alter, aber rechtfertigt doch den Hinweis, dass Schüler im
Regelfall zu keiner Zeit wissensdurstig an den Lippen der Lehrer gehangen sind und dies auch in Zukunft nicht
tun werden. Das vermeintliche Schlechterwerden der Schüler halte ich in der Tat für eine subjektive Täuschung
der Lehrer, da wir bei einer Extrapolation des Wahrheitsgehaltes seit antiken Zeiten in einer Welt von lauter
Grenzdebilen leben müssten.
•These 3: Lehrer ist ein Beruf, der nicht 40 Jahre oder länger, sondern als Lebensabschnittsberuf
ausgeübt werden sollte.
Wahrscheinlich wird diese These gerade bei Lehrerkollegen auf großen Widerstand stoßen und als die
Einzelmeinung eines frustrierten alten Lehrers abgetan werden. Ich glaube allerdings, dass es sehr gute Gründe
gibt, dieses Tabuthema deutlich anzusprechen, nicht nur permanent das abgedroschene Schlagwort vom
lebenslangen Lernen zu ge(miss)brauchen, sondern sich auch umfassend mit der Problematik der
berufslebenslangen Tätigkeit Lehrer auseinanderzusetzen. Ich erinnere mich noch gut daran, dass ein vor Jahren
angebotenes Frühpensionierungsmodell im Besonderen von Pflichtschullehrern über alle Erwartungen von 50 - bis
59-jährigen Kollegen angenommen wurde. Mein älterer Bruder ist seit mehr als 30 Jahren als Hochschullehrer
tätig und hat mir wiederholt berichtet, dass nahezu alle im Universitätsbereich Lehrenden bis 65 Jahre und auch
länger bleiben wollen.

http://diepresse.com/home/meinung/gastkommentar/321584/print.do 07.01.2010
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Es ist zwar eine einfache, aber nur für einfältige Gemüter plausible Erklärung, dass der Beruf Pflichtschullehrer
ein Sammelbecken von faulen, nicht motivierten, nach kurzen Arbeitszeiten und vielen Ferien strebenden
Ödbolzen (Copyright für letztes Wort: Michael Prüller) wäre und alle Hochschullehrer nur so von Fleiß, höchster
Motivation und überschäumender Dynamik bis ins hohe Alter strotzen. Die wirklich plausible Erklärung liegt
darin, dass lernende Erwachsene in der Regel eine viel einfachere Zielgruppe als Jugendliche sind und vor allem
der Kampf um Aufmerksamkeit der Zuhörenden und der Rechtfertigungsdruck für Noten- und
Leistungsergebnisse ein viel geringerer ist oder gänzlich entfällt.

Ein weiteres sehr beeindruckendes Erlebnis hatte ich bei einer Veranstaltung, wo der Personalberater Dr. Otmar
Hill ausschließlich vor Lehrern von berufsbildenden Schulen einen Vortrag über Potenzialanalyse von Mitarbeitern
hielt. Praktisch alle Fragen der Lehrer bezogen sich auf mögliche berufliche Potenzialverbesserung von Schülern.
Als ich als einziger die Frage stellte, wie denn ein außerschulisches berufliches Potenzial von Lehrern zu sehen
wäre, meinte Dr. Hill, dass er in diesem Bereich so gut wie keine praktische Erfahrung habe, weil Lehrer bei ihm
nicht in dieser Angelegenheit vorstellig würden. Als persönliche Vermutung drückte er allerdings schlechte
Vermittlungschancen bis zur Unvermittelbarkeit aus. Ich glaube, dass hier ein radikales Umdenken stattfinden
muss. Es ist bereits viel erreicht, wenn folgendes Problem erkannt wird: Weil es für 65-Jährige (vielleicht auch
55-Jährige) nicht mehr zumutbar ist, Jugendliche zu unterrichten und für Jugendliche ebenfalls nicht zumutbar
ist, von 65-Jährigen (vielleicht auch 55-Jährigen) unterrichtet zu werden, bedeutet dies nicht, für Lehrer
Ausnahmeregelungen für Frühpensionierungen, sondern eine Unterstützung für eine Qualifizierung für andere
Tätigkeiten bis zum regulären Pensionseintritt zu schaffen. Diese Gedanken mögen vordergründig verrückt
erscheinen, Frühpensionierungswellen sind jedoch noch viel verrückter.

Nicht unbedingt in der Schule arbeiten

Für mich persönlich nehme ich zumindest in Anspruch, dass ich vor 37 Jahren mit Auszeichnung maturiert habe,
das Studium der Wirtschaftspädagogik (obwohl AHS-Absolvent) in der kürzesten Zeit von acht Semestern
abgeschlossen habe, in 32 Dienstjahren so gut wie nie in der Schule gefehlt habe, mit über 50 Jahren ein Buch
geschrieben habe, das mit Schule nichts zu tun hat und in meinem Auszeitjahr die Bilanzbuchhalterausbildung
als ältester Teilnehmer und einziger Lehrer (in unserer Gruppe) begonnen habe. Meine bisherigen
Prüfungsergebnisse sehen bis jetzt gar nicht so schlecht aus.

In diesem Sinne mein persönliches Motto: Arbeiten bis 65 ja, aber nicht unbedingt in der Schule!

Mag. Helmut Eigenthaler ist Lehrer an einer BHS und Autor des Buches „(Selbst)diagnose Zwerg – Vom
kränkenden Tabuwort zum chancenreichen Zauberwort“.

meinung@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.08.2007)

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