UND POSTNAZISMUS
READER
THEATERWISSENSCHAFT UND POSTNAZISMUS READER
Impressum:
Herausgeberin: ÖH Uni Wien, Altes AKH, Unicampus Hof 1, Spitalgasse 2-4, 1090 Wien |
bagru thewi/ StV Theater-, Film- und Medienwissenschaft- Unicampus Hof 2 |
stv.theaterwissenschaft@oeh.univie.ac.at | www.thewi.at
Redaktion: Stefanie Elias, Sarah Kanawin, Tom Ogrisegg, Sara Vorwalder, Florian Wagner
AutorInnen: Martina Cuba, Stefanie Elias, Klaus Illmayer, Sarah Kanawin, Eva Krivanec, Tom
Ogrisegg, Birgit Peter, Peter Roessler, Thomas Rothschild, Gerhard Scheit, Sara Vorwalder, Florian
Wagner
Fotos: Sara Vorwalder, Florian Wagner, Dominik Wurnig. Alle Fotos sind in und um das Institut
für Theater-, Film- und Medienwissenschaft im Jänner 2009 entstanden.
Layout: Dominik Wurnig
Lektorat: Laura Söllner
Druck: Facultas
Erscheinungsdatum: April 2009
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INHALTSVERZEICHNIS
Vorwort 4
basisgruppe theater-, film- und medienwissenschaft
Einleitung 6
Basisgruppe Politikwissenschaft
Kindermanns Hof 8
Eva Krivanec
Margret-Dietrich-Gasse 10
Florian Wagner
Flyer zur Ausstellung, Podiumsdiskussion und Fachhistorischen Tagung 12
Tagungsprogramm 14
„Aufarbeitung“ nach der Mode? 16
Flyer zur Podiumsdiskussion der bagru thewi 17
„Wissenschaft nach der Mode“? 18
Birgit Peter
Im Gehege der Phrase 22
Peter Roessler
Postnazistische Anstalt 26
Gerhard Scheit
Der heutige Umgang mit der „eigenen“ Geschichte am Institut für TFM 32
Martina Cuba & Birgit Peter
Kuriositätenkabinett 33
Thomas Rothschild
Maske und Kothurn 40
Steffi Elias & Sarah Kanawin
Insitutsgeschichte 41
Klaus Illmayer
Nachwort 46
Sara Vorwalder & Florian Wagner
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VORWORT
Theodor W. Adorno merkte bereits 1959 im Medienwissenschaft in Wien weiterführen und
Rahmen seines Vortrages „Was bedeutet: insbesondere der Kritik an Vergangenheit und
Aufarbeitung der Vergangenheit“ an, dass der Gegenwart des Instituts Raum geben.
Nationalsozialismus nachlebt. Er stellt die
Frage, ob der Nationalsozialismus in seiner Eva Krivanec befasst sich in ihrem Beitrag
Wirkung so monströs war, dass er an seinem mit der unmittelbaren Gründungsgeschichte
vermeintlichen Tode im Jahr 1945 gar nicht des Zentralinstituts für Theaterwissenschaft
starb und in den Individuen ebenso wie in den im Rahmen der nationalsozialistischen
gesellschaftlichen Verhältnissen, die sie um- Wissenschafts- und Kulturpolitik. Sie behandelt
klammern, fortwest. Adorno sieht im Nachleben auch die Re-Etablierung von Heinz Kindermann
des Nationalsozialismus in der Demokratie eine nach 1945. Mit der Tatsache, dass die Stadt
größere Bedrohung, als im Nachleben faschisti- Wien im Jahr 2007 eine Gasse nach „dem NSDAP
scher Tendenzen gegen die Demokratie.1 Er the- Mitglied“ Margret Dietrich benannt hat, setzt
matisiert damit die Integration ehemaliger Nazis sich Florian Wagner auseinander.
in das demokratische System, sei es in Politik,
Justiz oder Wissenschaft. Das Faktum, dass es Wir dokumentieren in diesem Reader auch die
im Jahr 1945 keineswegs einen Bruch gab und Ankündigung zur Eröffnung der Ausstellung
viele Nazis in die postnazistische Demokratie in- „Wissenschaft nach der Mode“? in den
tegriert wurden, hinterließ Spuren, die weit über Räumlichkeiten des Instituts. Mit der Kritik an
die unmittelbaren Nachkriegsjahre hinaus in einer Podiumsdiskussion, die im Rahmen der
dieser Gesellschaft wirksam sind. Dieses durch Ausstellungseröffnung im Audimax stattfand,
den Nationalsozialismus und sein demokrati- befasst sich der Text „Aufarbeitung nach der
sches Fortwirken geschaffene gesellschaftliche Mode“, der auch als Flugblatt verteilt wurde.
Verhältnis kann mit dem Begriff Postnazismus
gefasst werden. Die Basisgruppe Theater-, Film- und
Medienwissenschaft organisierte eine
Bereits seit den 1960er Jahren wird der Begriff Podiumsdiskussion mit dem Titel
Postfaschismus verwendet. Prägend „Theaterwissenschaft und Postnazismus“, an
dafür waren etwa die Schriften des der Birgit Peter, Peter Roessler und Gerhard
Doch so wie der Faschismus Italiens oder Gerhard Scheit befasst sich in seinem Beitrag
Spaniens vom Nationalsozialismus abzugrenzen kritisch mit einer Aufarbeitung, die sich wei-
ist, sollte auch zwischen Postfaschismus und gert ihre eigene Verspätung zu reflektieren.
Postnazismus differenziert werden. Der entschei- Peter Roessler setzt sich u.a. mit der Broschüre
dende Unterschied zwischen dem Faschismus „Theaterwissenschaft und Faschismus“ aus-
etwa Mussolinis und dem Nationalsozialismus, einander, die er gemeinsam mit Monika Maier
stellt die Shoah, die planmäßig durchgeführte
industrielle Massenvernichtung der Juden und
Jüdinnen in Europa dar. Genau hier setzt der
Begriff Postnazismus als Begriff der Kritik an.2
und Gerhard Scheit in den 1980er Jahren ver- ihre Karrieren über ein öffentliches Schweigen,
öffentlichte. Birgit Peter fasst in ihrem Beitrag was die nationalsozialistische Einstellung von
den Entstehungsprozess der Ausstellung Kindermann und Dietrich betrifft. An Birgit
„Wissenschaft nach der Mode?“ als gemeinschaft- Peter und Martina Cuba kritisiert Rothschild in
liche Arbeit von Lehrenden und Studierenden Zusammenhang mit dem Polemik-Vorwurf ge-
zusammen. gen die Basisgruppe, dass sie das Verhalten ihre
LehrerInnen reproduzieren.
In einem weiteren Beitrag erläutert Birgit Peter
gemeinsam mit Martina Cuba, wie es heute um Der Text von Sarah Kanawin und Stefanie Elias
die Aufarbeitung der Vergangenheit am Institut beschäftigt sich mit der Institutszeitschrift
für Theater-, Film- und Medienwissenschaft Maske und Kothurn. Die Zeitschrift war bereits
steht. Die Kritik der Basisgruppe Theater-, seit der Zeit des Nationalsozialismus von Heinz
Film- und Medienwissenschaft, insbesondere Kindermann geplant, wurde nach dem Krieg ge-
an dem Verhalten Wolfgang Greiseneggers bei gründet und erscheint unter dem gleichen Namen
der Audimax-Podiumsdiskussion, bezeichnen bis heute. Klaus Illmayern reflektiert in seinem
Peter und Cuba als polemisch. Dass Polemik Beitrag die Institutsgeschichte im Spannungsfeld
durchaus angebracht ist, um den postnazi- von Diskussion und Konfrontation.
stischen Konsens zu durchbrechen, beto-
nen sowohl Gerhard Scheit als auch Thomas basisgruppe theater-, film- und medienwissen-
Rothschild in ihren Beiträgen. Unter dem schaft
Titel „Kuriositätenkabinett“ zeichnet Thomas
Rothschild einige Lebensläufe am Institut für
Theater-, Film- und Medienwissenschaft nach.
Insbesondere die zweite Generation erkaufte sich
5
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EINLEITUNG
Im folgenden Text soll nach Gründen und Selbständigkeit) sahen, blieben die geistig-ideo-
Begründungen gesucht werden, wieso die öster- logischen Wurzeln des Nationalsozialismus in
reichische Gesellschaft eine Postnazistische der österreichischen Gesellschaft haften.
ist und was das überhaupt bedeutet.
Die allgemeine Auffassung des NS
Postnazismus Die allgemeine (nicht-wissenschaftliche)
,,Je weiter eine Sache zurück liegt, desto leich- Auffassung des Nationalsozialismus ist teil-
ter lässt sich darüber diskutieren“ - beim Thema weise einigermaßen haarsträubend. Vielen
Nationalsozialismus scheint es in Österreich Leuten scheint die Einzigartigkeit der natio-
genau umgekehrt zu sein. Der Wunsch nalsozialistischen Verbrechen nicht klar, oder
einen ,,Schlussstrich“ zu ziehen scheint hier auch nicht plausibel, zu sein. Auf sie wirkt der
(Österreich) und jetzt (die letzten 10-20 Jahre) Nationalsozialismus einfach wie ein weiteres
am größten zu sein. Noch bevor so richtig mit totalitäres Regime, dass halt vor allem des-
einem Prozess der den Namen ,,Aufarbeitung“ halb schlecht war, weil es gescheitert ist (was
verdient hätte, begonnen wurde, krähen auch ja, so nebenbei bemerkt, überhaupt ein toller
schon die Ersten, dass jetzt aber wirklich schon Indikator ist um ein System/Regime zu beur-
genug aufgearbeitet wurde und überhaupt gäbe teilen) und viele Menschen umgebracht hat.
es doch wohl ein paar wichtigere Probleme zu Das führt dann gerne zum Vergleich, der den
lösen. Diese Strategie der Verdrängung hat Nationalsozialismus mit irgendeinem anderen
durchaus System. Sie ist es, die dieses hässliche Mordregime in Relation setzt, z.B. mit Stalins
Fortbestehen nationalsozialistischer Ideologeme Sowjetunion (hat ja schließlich auch ein paar
in der österreichischen Gesellschaft erst mög- Millionen Menschen auf dem Gewissen). Mal ganz
lich machte. Die Basis eines Phänomens, das wir abgesehen davon, dass der Nationalsozialismus
Postnazismus nennen. in kürzerer Zeit mehr Menschen umbrachte,
übersieht dieser Vergleich aber den entschei-
Die Geschichte ist vermutlich allbekannt: denden Punkt: Wer starb wie und warum?
Relativ bald schon nach dem Ende des zweiten
Weltkrieges wurden die meisten Nazis Analysiert man den Nationalsozialismus
wieder in die Gesellschaft integriert, d.h. nach diesen Gesichtspunkten, werden die
dische Weltverschwörung dargestellt wird) die, holen (diese Sicht wurde insbesondere ange-
egal wie immer das konkrete Handeln eines sichts der Diskussion um Restitutionszahlungen
Judens [sic!] auch aussah, darin nur einen wei- - also Entschädigungszahlungen der Republik
teren Beweis für eine perfide weltumspannende Österreich und private Firmen an die
jüdische Weltverschwörung sahen. Nachkommen der NS-Opfer - gerne vertreten).
Geradezu so, als ob die ÖsterreicherInnen da-
Gerade der Antisemitismus ist es aber, der z.B. mals nicht massiv von den Enteignungen der
im Geschichtsunterricht gerne vernachlässigt Jüdinnen und Juden massiv profitiert hätten.
wird.
Diese Mischung aus Schuldabwehr, materiellen
Geschichtsunterricht Interessen und dem Versuch den „guten Ruf“
Der Geschichtsunterricht an österreichischen zu wahren sind es, die eine Aufarbeitung der
Schulen steht vor einem komplexen Problem: Vergangenheit so schwer machen. Da TäterInnen
Einerseits muss er sich staatstragend geben, nicht benannt werden dürfen (immerhin handelt
darf also seine Kritik am Nationalsozialismus es sich zumeist um ,,honorige“ Personen), das
nicht so weit treiben, dass die Kontinuitäten Image des Landes keinen Schaden tragen darf
des NS, die bis heute fortbestehen, auffallen und eine grundlegende Analyse der Verhältnisse
würden. Auf der anderen Seite scheint aber auch sowieso nur selten gemacht wird, haben gera-
eine Verharmlosung des NS, nach der in den de Gedenkfeiern oft einen höchst merkwürdi-
90ern recht breiten ,,Aufarbeitungsdebatte“, gen Touch. Gerade wenn dann versucht wird
nicht mehr opportun. Der Geschichtsunterricht aus den Gedenkfeierlichkeiten selber nochmal
muss also einen ewigen Eiertanz zwischen Kapital zu schlagen. Etwa Deutschland, dem
diesen beiden Polen aufführen, was dann auch Weltmeister der ,,Aufarbeitung“, dass dann ger-
zu einem etwas diffusen, verschleiernden Bild ne andere Länder belehrt und zeigt, wieviel es
des Nationalsozialismus führt: So wird gerne doch aus der Vergangenheit gelernt hat, und
ein Bild des NS gezeichnet dass ihn als ein völlig daraus schließt jetzt anderen Ländern gute
totalitäres und manipulatives System darstellt, Tipps zur eigenen Vergangenheitsbewältigung
in dem die einzelnen Menschen zu willenlosen geben zu können.
Objekten wurden, die dem ,,Führer“ aufgrund Aufarbeitung, die diesen Namen verdie-
dessen Manipulationskraft, bedingungslos nen will, benötigt also zuerst einmal eine
folgten. Eine derartige Darstellung übersieht bedingungs- und schonungslose Analyse
aber gleich zwei entscheidende Dinge: Der der Verhältnisse. Sie darf sich nicht scheu-
NS baute seine Ideologie nicht im luftleeren en TäterInnen beim Namen zu nennen
7
Raum auf, sondern er entwickelte sich in einer und sie darf sich nicht scheuen entsprechende
Gesellschaft, die bereits massive, z.B. antisemi- Konsequenzen zu ziehen.
tische Tendenzen aufwies. Auch dass jedEr der/
die irgendwie Widerstand gegen das Regime übte Basisgruppe Politikwissenschaft
sofort erschossen oder deportiert wurde, ist ein
Mythos der letztlich nur eine Legitimation für
die TäterInnen ist: ,,Wir konnten ja gar nicht an-
ders“.
Schuldabwehr
Diese Schuldabwehr ist in der österreichischen
(und auch deutschen) Gesellschaft nur allzu ver-
breitet und endet nicht zufällig in der Meinung,
dass nun aber wirklich genug aufgearbeitet
worden sei. Vielmehr noch muss sie, um von
sich abzulenken, selbst auf TäterInnensuche
gehen und so ist es wohl kein Zufall, dass die
TäterInnen-Opfer Umkehr in Österreich ein be-
liebter ,,Volkssport“ ist, in welchem die Opfer
des NS wieder zu den eigentlichen TäterInnen
umfunktioniert werden: Etwa in der These, dass
die Juden den Holocaust instrumentalisieren
würden, um sich daraus finanzielle Vorteile zu
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KINDERMANNS HOF
Warum das Wiener Institut für Baldur von Schirach ein, der „Wien zum kul-
Theaterwissenschaft in der Hofburg residiert turellen Zentrum des Reiches machen [woll-
und warum sich niemand darüber wundert te] und plante, die Reichstheaterwoche und
die Reichstheaterfestwochen der HJ in Wien
Das „Zentralinstitut für Theaterwissenschaft“ stattfinden zu lassen“3. Die Philosophische
war eine von neun Institutsneugründungen an Fakultät hingegen sträubte sich sowohl gegen
der Universität Wien in den Jahren 1938 bis das neue Institut als auch gegen Kindermann,
1945, neben einschlägigen Gründungen wie gab dem Ausbau anderer Bereiche, etwa der
dem „Institut für Rechtsvereinheitlichung“, Südosteuropaforschung den Vorzug, und warf
dessen Gründer und Leiter Ernst Swoboda ihm vor, kein Theaterwissenschafter zu sein,
die Erzeugung eines „einheitlich national was dieser zum Anlass nahm, innerhalb eines
sozialistisch durchtränkten deutschen Rechts“1 Jahres ein umfangreiches „theaterhistorisches
als wichtigste Aufgabe nach dem „Anschluss“ Werk“ vorzulegen, in dem er die „Art“ nieder-
ansah, oder des „Rassenbiologischen Instituts“, legte, „in der wir nun rassisch und volkhaft
das sowohl an der medizinischen als auch an der bedingte Theatergeschichte betreiben sollen“4.
Nach langen Kontroversen schien schließlich
eine freigewordene Planstelle an der katho-
lisch-theologischen Fakultät, sowie nachhaltige
Interventionen von Kindermann selbst und der
Reichsstatthalterschaft, die Institutsgründung
und Berufung Kindermanns als Ordinarius zu
gestatten, doch der Vorschlag der Fakultät vom
Dezember 1942 reihte Kindermann lediglich an
dritter Stelle, was zwar eine symbolische Geste
der Opposition war, den Ruf Kindermanns nach
Wien im Jänner 1943 jedoch nicht verhind
erte. Das Institut wurde denn auch nicht an
der Universität selbst eingerichtet, sondern in
12 Räumen in der Hofburg, die von Baldur von
Deutschen im Ausland“ (1938), „Kampf um die te, über das Burgtheater zu den Salzburger
deutsche Lebensform“ (1941), „Der großdeutsche und Bregenzer Festspielen, Theaterkritikern,
Gedanke in der Dichtung“ (1941), „Ferdinand Ministerialräten und Politikern reichte. 1964
Raimund. Lebenswerk und Wirkungsraum eines schließlich konnte er die „Kommission für öster-
deutschen Volksdramatikers“(1943), sprechen reichische Theatergeschichte“ an der Akademie
für sich und beschreiben den Wirkungsraum der Wissenschaften gründen und wirkte dort
eines durchwegs „praxisorientierten“ noch weit über seine Emeritierung 1966 hin-
Geisteswissenschafters im Nationalsozialismus. aus8. Zahlreiche Festschriften zu seinem 70., 80.
„Seit den Dreißiger Jahren begleiten seine und 90. Geburtstag, sowie seine - nach wie vor
Publikationen den Weg der herrschenden na- als Standardwerke gehandelten - Publikationen
tionalsozialistischen Macht wie ein verläßlicher sichern ihm auch heute posthume Ehre und
Kommentar.“6 Wirkung. Und Generationen von StudentInnen
bewegen sich in jenen Räumen, die „einst“ der
Nach 1945 gelang ihm - nach kurzer Absenz und Reichsstatthalterschaft gehörten, ohne dass es
ohne größere Schwierigkeiten - die glänzende dazu irgendwo einen Hinweis gäbe.
Weiterführung seiner Karriere. Im Zuge des
Verbotsgesetzes 1945 wurde Kindermann sei- Eva Krivanec
nes Dienstpostens enthoben, konnte jedoch
1954, trotz ablehnender Gutachten und ei- Dieser Artikel erschien im Jahr 2002 in der
ner kritischen Haltung in der Öffentlichkeit, Zeitschrift Context XXI
wieder an die Universität zurückkehren, zu-
nächst als außerordentlicher Professor, 1955
bereits wieder als Institutsvorstand, 1959 als 1 vgl. Edith Saurer: Institutsneugründungen 1938-1945.
Ordinarius7. Seine Vertrautheit mit den mini- - in: Gernot Heiß, Siegfried Mattl, u.a. (Hg.): Willfährige
steriellen Gepflogenheiten und sein inniges Wissenschaft. Die Universität Wien 1938-1945. - Wien:
Bemühen um das „Österreichische“ in den Verlag für Gesellschaftskritik 1989. S.313f.
Jahren des „Wiederaufbaus“ dürften ihm eini- 2 vgl. ebenda, S.317-319.
ge Wege geebnet haben. Das Interesse konser- 3 ebenda, S.315.
vativer Kulturpolitik an einer ideologisierenden 4 Brief Kindermanns an den Dekan Christian,
„Kulturnation“-Rhetorik schien Kindermann
9
3.10.1941 zit. in ebenda, S.316.
jedenfalls bestens bedienen zu können, schon 5 vgl. ebenda, S.316f.
ab 1949 konnte er mit Unterstützung des 6 Sebastian Meissl: Wiener Ostmark-Germanistik. -
Ministeriums als „Freier Wissenschafter“ rech- in: G.Heiß, S. Mattl (Hg.): Willfährige Wissenschaft.
nen. Innerhalb weniger Jahre setzte sich das [s.o.] S.145.
Institut für Theaterwissenschaft mit ihm an der 7 vgl. Evelyn Deutsch-Schreiner: Theater im ’Wiederauf-
Spitze ins Zentrum des staatlich-institutionel- bau‘. Zur Kulturpolitik im österreichischen Parteien- und
len Theaterlebens setzen und baute ein mäch- Verbändestaat. - Wien: Sonderzahl 2001. S.290f.
tiges Beziehungsnetz auf, das vom Reinhardt- 8 vgl. ebenda, S.292-296.
Seminar, dessen Direktor Hans Niederführ
eine ganz ähnliche Karriere hinter sich hat-
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MARGRET-DIETRICH-GASSE
Am 6. März 2007 hat der Wiener Gemeinde- Nach 1945 leugnete Margret Dietrich ihre NS-
ratsausschuss für Kultur und Wissenschaft be- DAP-Mitgliedschaft und gab sogar eine eides-
schlossen, in Floridsdorf eine Gasse nach stattliche Erklärung ab, derzufolge sie nie NS-
Margret Dietrich zu benennen. Als Be- DAP-Mitglied gewesen sei. Wie im Nachkriegsös-
Florian Wagner
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18 wissenschaft im
20. Jahrhundert
abgeschlossen
worden und die
Notwendigkeit einer
intensiven Auseinan-
dersetzung mit der
eigenen Geschichte
gerade von Wien aus
diskutiert worden. Das
Medium „Ausstellung“
erschien Martina Cuba
und mir als geeignet einer breiteren Öffentlich-
keit diese Materialien vorzustellen. Die intensi- So stellen die Gründung und die Wahl der Räu-
ve Einbindung von Studierenden war Voraus- me in der Hofburg erste Beleg der prekären
setzung, da die kritische Auseinandersetzung politischen Dimension dar. Denn es muss in
mit der Institutsgeschichte seit 1945 wesentlich Erinnerung gerufen werden, dass 1943 ein un-
durch Studierendegeleistet wurde.1 Als Rahmen gewöhnliches Datum ist, um ein neues Institut
wurde das Forschungsseminar gewählt und in einzurichten. So war diese Gründung auch durch
einer Kombination aus Team- und Kollektivar- hohe politische Protektion, seitens des Reich-
beit die Ausstellung sowie der Katalog produ- statthalters und Gauleiters von Wien, Baldur
ziert2. von Schirach und seitens des Reichserziehungs-
ministers Bernhard Rust, durchgeführt worden.
Zentrale Ausgangsfrage des Projektes war, wie Daran schließt die zweite Ausgangsfrage an, wie
kann Wissenschaftsgeschichte dar- und aus der Protagonist dieser Gründung, der bisher vor
gestellt werden? Als Orientierung diente uns zu- allem als NS-Literaturwissenschaftler rezipier-
erst, von der Geschichte des Ortes auszugehen. te Heinz Kindermann, einzuschätzen ist und
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welchen Wissenschaftsbegriff er vertrat. Dazu der und gegenübergestellt. Wir wollen damit
analysierten wir die bereits vorhandene Litera- ewusstsein für Zeugnisse und Dokumente
B
tur, arbeiteten die am Institut zurückgelassenen durch die Veranschaulichung anregen, und Ben-
Materialien auf, die als Originale beispielhaft jamins Einschätzung aus dem Jahr 1931 von
in dieser Ausstellung gezeigt werden und Heinz Kindermanns Wissenschaftsgestus als
recherchierten im Österreichischen Staatsarchiv, „Wissenschaft nach der Mode“ reflektieren. Die
im Universitätsarchiv, im Dokumentationsarchiv am Eröffnungstag angesetzte Podiumsdiskussi-
des österreichischen Widerstandes, in der Wien- on im Audi Max solltedie Positionen verschiede-
bibliothek, dem Theatermuseum und der Thea- ner Generationen zur NS-Vergangenheit des In-
tersammlung der ÖNB. Was wir aufgefunden ha- stituts versammeln. Ausstellung und vor allem
ben, wobei die Schwerpunkte auf dem Wissen die Podiumsdiskussion hatten eine intensive
schaftsbegriff, NS-Wissenschaftspolitik und Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit
dem Studienalltag 1943 liegen, montierten wir des Instituts zur Folge. Die Basisgruppe führte
angeregt durch Aby Warburgs Mnemosyne- den Diskurs weiter, indem sie die Thematisierung
System. Denn der Ort soll als Erinnerungsort von Heinz Kindermanns Rolle um die seiner As-
skizziert werden. Vor allem im Raum „Ikonen?“ sistentin und späteren Nachfolgerin Margret
werden verschiedenen Schichtungen von Erin- Dietrich erweiterten. Sie recherchierten, dass
nerung und daraus resultierende Vorstellun- in Wien 2006 eine Gasse nach Margret Dietrich
gen von Gedächtnis thematisiert. Ausgehend benannt worden war und forderten die Umben-
von den Sammlungen des Instituts, die wir im ennung. Obwohl 2005 bereits bei Hilde Haider
Zuge dieses Projekts wieder aufgefunden ha- Pregler ihre NSDAP Mitgliedschaft publiziert
ben, werden vergessene und unvergessene worden war3, wurde diese von der zuständigen
Ikonen der Theaterwissenschaft nebeneinan- Behörde nicht wahrgenommen. Mit 13 Jahren
19
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trat sie in die HJ ein und hatte dort bis 1942 des von der Antike bis zur Goethezeit“ heißt
verschiedene Positionen wie Jungmädelführe- dann 1952 ihre Publikation6. Als grundlegendes
rin, Kreisschulungsreferentin und Ringführe- Werk wird von ihr in der Einleitung Kinder-
rin inne, 1938, als 18jährige wurde sie NSDAP- manns 1932 veröffentlichtes Werk, „Goethes
Mitglied. NS-Ideologie und Antisemitismus fin- Menschengestaltung“ angegeben, jener Band
den sich in einem erhalten gebliebenem Referat mit dem Kindermann seine literaturhistorische
Dietrichs bei Kindermann aus dem Jahr 1941, Anthropologie vorstellte. Hier betonte er das
das wir in den Beständen am Institut aufgefun- „stammesgemäße“ als wesentlichste Kategorie
den haben, ebenso in ihrer Dissertation 1944. der Literaturforschung sowie die Bedeutung von
Bei Kindermann und Nadler schrieb sie über den Physiognomik und Charakterologie7.
„Wandel der Gebärde auf dem deutschen Thea-
ter vom 15. zum 17. Jahrhundert“. In der Einlei- Dietrich setzte ihre wissenschaftliche Karrie-
tung betont Dietrich die „Rassenpsychologie“ als re in Wien fort. Da sie deutsche Staatsbürgerin
notwendige Hilfswissenschaft. Ihr Geschichts- war, musste sie sich nicht in Österreich den
bild beschreibt sie als organisch-völkische Auf- Entnazifizierungsbehörden stellen Dies mag
fassung von Vergangenheit, die Gebärde wird dazu beigetragen haben, dass Dietrichs Behaup-
nach den Kriterien „ständische Zugehörigkeit“, tungen nach 1945 niemals der NSDAP angehört
„Zeitgeschehen und irrationaleZeitströmungen“ zu haben und keinerlei ideologische Nähe zum
und „Ausdruck der Rasse“ untersucht4. Im Jän- Nationalsozialismus empfunden zu haben, nicht
ner 1945 füllt sie für das Nachwuchsamt des überprüft wurden. Die Gasse wird nach den
Reichsforschungsrates einen Fragebogen für letzten Meldungen auf unseren Vorschlag nach
Dozenten-Nachwuchs aus. Sie gibt als Habili- der Theaterkritikerin und Theaterhistorikerin
tationsvorhaben folgenden Titel an: „Das Pro- Helene Richter8 benannt werden.
blem der Menschengestaltung in den Schriften
der europäischen Dramaturgie“.5 „Europäische
Dramaturgie. Der Wandel ihres Menschenbil- Birgit Peter
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1 Thomas Arzt, Paul M. Delavos, Sylvia Anna Ertl, Kathrin 8 Helene Richter (1861 – 1942) wuchs mit ihrer Schwe-
Feichtinger, Caroline Herfert, Lukas Hochrieder, Veroni- ster Elise in einem behüteten jüdischen Elternhaus in
ka Holzmann, Klaus Illmayer, Julia Jennewein, Birgitte Wien auf. Sie besuchten keine öffentliche Schule, son-
Kenscha-Mautner, Ester Kocarova, Claudia Mayerhofer, dern wurden von einer Gouvernante privat unterrich-
Gerald Piffl, Inge Praxl, Alexandra Riegler, Gabrielle Ségur- tet. Helene Richter war zeitlebens durch verschiedene
Cabanac, Gertrude Elisabeth Stipschitz, Gerald Tschank. Krankheiten gezeichnet, teilweise ans Bett gefesselt. Sie
2 Birgit Peter und Martina Payr (Hg.): „Wissenschaft bildete sich durch autodidaktische Studien sowie Vorle-
nach der Mode“? Die Gründung des Zentralinstituts für sungen an der Universität Wien. Ihr Interesse lag neben
Theaterwissenschaft an der Universität Wien 1943. Wien: einer Auseinandersetzung mit Mary Wollstonecraft vor
LIT 2008. allem auf den Gebieten englische Literatur, Schauspiel-
3 Hilde Haider-Pregler: Die frühen Jahre der Theater kunst und Burgtheatergeschichte. Für die Shakespeare
wissenschaft an der Universität Wien. In: Margarete Jahrbücher schrieb sie zahlreiche Theaterkritiken, den
Grandner, Gernot Heiss und Oliver Rathkolb (Hg.): Zukunft SchauspielerInnen Charlotte Wolter, Josef Lewinsky, Adolf
mit Altlasten. Die Universität Wien 1945-1955. Innsbruck von Sonnenthal, Josef Kainz u. a. widmete sie intensive
[u.a.] StudienVerl. 2005, S. 137-155. biographisch-ästhetische Studien. 1918 wurde ihr Band
4 Anne-Margret Dietrich: Wandel der Gebärde auf dem deut- Unser Burgtheater veröffentlicht. „Das Lobenswerte auf an-
schen Theater vom 15. zum 17. Jahrhundert. Universität deren Theatern ist im Burgtheater gerade nur mittelmäßig“
Wien: Diss. 1944, S.7. schrieb sie darin. 1931 wurde Helene Richter das Ehren-
5 UAW Dietrich 1480 fol 1-4. doktorat der Universität Heidelberg verliehen. Im Oktober
6 Margret Dietrich: Europäische Dramaturgie. Der Wandel 1942 wurden Helene und Elise Richter nach Theresienstadt
ihres Menschenbildes von der Antike bis zur Goethezeit. deportiert. Helene Richter starb im November an den
Wien: Sexl 1952. Folgen der Deportation.
7 Vgl. Birgit Peter: „Wissenschaft nach der Mode“. Heinz Kin-
dermanns Karriere 1914-1945. Positionen und Stationen.
In: Birgit Peter und Martina Payr (Hg.): Wissenschaft nach
der Mode. Wien: Lit 2008, S. 15-51, S. 32.
21
THEATERWISSENSCHAFT UND POSTNAZISMUS READER
Exemplar von Adornos „Minima Moralia“; man- Weiterwirken von einschlägigen Ideen in den
che haben darüber gelächelt, da die Schrift als Schriften von Kindermann und Dietrich auch
zuwenig praktisch galt – und dazu gehörte auch ein großes Problem für die Gegenwart blieb und
ich, der sich heute für dieses Lächeln schämt. dahingehend zu analysieren ist. Das wäre im-
Das Gewicht dieses Geschenkes habe ich erst mer wieder kompromisslos zu versuchen, kom-
später verstanden. Obwohl Paul Stefanek es promisslos gegenüber einer Neutralisierung, die
vielleicht selbst nicht so beabsichtigte und es mit den Jahreszahlen das Problem zum histori-
schen macht, aber auch gegenüber den schicken
Verwertungen wie sie sich in den 70er und 80er
Jahren durch Ästhetisierung (Syberberg) und
Männergruppen-Psychologie (Theweleit) zeig-
ten. Kritik an der Unvollkommenheit der Schrift
von uns AnfängerInnen habe ich öfter schon
geübt, für diesen Zusammenhang hier möch-
te ich einmal den eklektizistischen Umgang
mit Theorien beim Versuch gesellschaftlicher
Analyse nennen: Ohne Differenzen festzuhal-
ten, wurden von uns Wolfgang Fritz Haug, Karl
Marx, Friedrich Engels, Theodor W. Adorno, Max
Horkheimer, Walter Benjamin, Georg Lukács,
Albert Klein, Jochen Vogt und Reinhard Kühnl
herangezogen. Letzterer, der die Theorie vom
Faschismus als Diktatur des Monopolkapitals
tradierte und verbreitete, fungierte damals häu-
fig als Ausweis dafür, dass man sich auf der
richtigen Seite vermutete. Dass ihm in seinem
Buch „Faschismustheorien“ der Antisemitismus
und die Ermordung der Juden und
Jüdinnen nur einen Exkurs wert gewesen
ist, erzeugte jedoch eine Gefangenheit
im Postnazismus und muss heute er-
schrecken. Ich selbst habe mich nach dem
Abschluss der Broschüre mit Exilliteratur
23
und Exiltheater zu beschäftigen begonnen, und
von hier aus neu gelernt.
24
Heinz Kindermann hat in diesem Ordner Materialien über kritische Studierende gesammelt.
THEATERWISSENSCHAFT UND POSTNAZISMUS READER
er dies jeweils direkt zu benennen brauchte. Die Margret Dietrichs Buch „Das moderne Drama“
spätere Feierung und Bejahung des Opfers in (1961) fort, worin sie einem trivialisierten
den Schriften nach 1945 steht im Banne dieser Existentialismus als „Dekorateurin“ diente, um
Vorstellung, ihre Beredsamkeit im Vagen und ein Wort Walter Benjamins abzuwandeln, das
ihre Sprachlosigkeit im Konkreten sind Formen dieser bekanntlich 1931 in seinem Verriss von
der Verschleierung und des Anknüpfens. Kindermanns Buch „Das literarische Antlitz
Der Glaube, dass mit einem anderen Gesicht der Gegenwart“ verwendet hatte. Wer solcher,
auch alles anders wurde, gehört zu einem als Modernität dargebotenen, Ideologie der
Nebel, der sich erst langsam lichtet. Bei Margret Unterwerfung nicht folgte, etwa durch Kritik,
Dietrich, die bereits am NS-Zentralinstitut erschien als der eigentliche Unmensch, der sich
Kindermann zur Seite gestanden hatte, war das gegen die positive Menschlichkeit richtet.
große Vorbild Kindermann bis ins Sprachliche
erkennbar und seine zwischen 1957 und 1978 Die Publikationen Margret Dietrichs zu über-
erschienene Theatergeschichte Europas fun- blicken, und ihre Sprünge nachzuzeichnen,
gierte als Grundlage ihrer Vorlesungen. Die wäre gewiss mühsam. Die oft gepriesene späte-
stets Begeisterung demonstrierende Redeweise re Innovationsfreudigkeit von Margret Dietrich
war mit einer Gleichgültigkeit gegenüber den lässt sich als stete Ausweichbewegung gegen-
wesentlichen Fragen der Epoche verknüpft. über gesellschaftlichen Fragen verstehen, die
Dem widerspricht nicht, dass Kindermann und immer lauter von außen gestellt wurden, und zu
Dietrich mit einigen aus dem Exil zurückge- denen die – von ihr nie offen gestellte – Frage
kehrten ExilantInnen Kontakte pflegten und sie nach dem Nationalsozialismus wohl nicht die ge-
zu BeiträgerInnen von „Maske und Kothurn“ ringste gewesen ist. Die Wendung zum Heutigen
machten. Der Antiintellektualismus in Margret wurde zum Signum des Unschuldigen, als sei
Dietrichs Studie „Episches Theater?“ (1956 in nicht im Gegenwärtigen das Vergangene vor-
„Maske und Kothurn“ veröffentlicht), die sich handen. Dabei diente die fröhliche Innovation
gegen Bertolt Brecht richtete, war nicht nur dem dem Vergessen und ist nicht von diesem zu
Antikommunismus der 50er Jahre geschuldet, trennen.
sondern in ihrer Apologie des Irrationalismus
von älterer Prägung. Die Schrift ist ebenso wie an- Peter Roessler
dere Publikationen von einer ständigen Berufung
auf den Menschen gezeichnet, die meist in den
Appell mündet, Not und Leid im Sein anzuneh-
men und sich mutig zu unterwerfen. Diese nicht
25
erst nach 1945 als humanistische Fassade wir-
kende Rede vom großen Einverständnis war aus
Begriffen wie „Persönlichkeit“, „Verantwortung“,
„selbstgemäßes Leben“ oder gar „Einsatz des
Lebens“ errichtet. Das Lied der Unterwerfung
gegenüber höheren Mächten setzte sich auch in
THEATERWISSENSCHAFT UND POSTNAZISMUS READER
POSTNAZISTISCHE ANSTALT
Lehrjahre zwischen Jargons – am Beispiel der gelingt, sie verkennen zu lernen.“ Dieses „eh“
Theaterwissenschaft baute die Kultur wieder auf und schrieb Wissen-
schaftsgeschichte: „Es mag an der Wesensart
der Österreicher liegen“, erläuterte frohgemut
In memoriam Heinz Kindermann 1961, „an ihrer sehr beweg-
Paul Stefanek lichen, leicht anpassungsfähigen Art, das Leben
zu meistern und sich selbst zu inszenieren,
dass sie sich der Kunstform des Theaters näher
I wissen als viele anderen Völker, auch näher als
viele andere Angehörige des deutschen Sprach-
Das Institut für Theaterwissenschaft in Wien, gebietes.“2
wie ich es Ende der siebziger Jahre kennenlernte,
erfüllte nicht nur allgemein die Kriterien einer In bestimmter Hinsicht aber war das Insti-
postnazistischen Anstalt. Der familiäre Charak- tut des anpassungsfähigsten aller Professo-
ter, der hier den Ton angab; die unabwendbare ren von Anfang an als postnazistisches kon-
Nähe und Vertrautheit im Umgang, noch in der zipiert worden. Kindermann hatte bei seiner
Intrige und im Hass – all das stellt sich retro- Gründung die gesamteuropäische „völkerver-
spektiv als minutiös ausgeführtes Abbild einer bindende“ Orientierung der Forschung betont –
Nation dar, die zunächst wesentlich in der Fähig- als „Beitrag zum Werden des neuen Europas“3:
keit bestand, „sich klein“ zu machen (Jean Amé- sie entsprach genau der völkerverbindenden,
ry)1, um nach dem nazistischen Größenwahn als gesamteuropäischen Endlösung der Judenfra-
„erstes Opfer“ Hitlerdeutschlands durchzuge- ge. Carl Schmitt schrieb auch schon 1939 von
hen. Das brachte die BürgerInnen einander nä- der „großen politischen Idee, der Achtung jedes
her, näher etwa als in Volkes als einer durch
Westdeutschland, so Art und Ursprung,
nahe, dass jede bür- Blut und Boden
gerliche Distanz in bestimmten Lebens-
den öffentlichen wirklichkeit“4, und die-
Beziehungen se Lebenswirklichkeit,
26 zuschanden ge-
hen konnte. Die
Enge, die einen
geistig fast ersti-
die den europäischen
„Völkern“ zugestan-
den wurde, war nur
ein anderes Wort für
cken ließ, lag demnach die Vernichtung, die
sowenig an der geo- auf ein einziges Volk –
graphischen Kleinheit das „Gegenvolk“, den
des Landes wie die „Völkerfeind“, „die
Atmosphäre am Insti- jüdische Gegenrasse“
tut an den eigenartig (Alfred Rosenberg)5
angelegten Räumlich- – zielte, so wie der
keiten in der Hofburg, nationalsozialistische
die aber dafür wie ge- Rassismus letztlich
schaffen sind. Sie re- die einzelnen „Völker“
sultierte aus dem Ver- jeweils einstufte nach
hältnis zu den gemein- ihrer Bereitschaft und
schaftlich begangenen Fähigkeit, zu dieser
Verbrechen, dessen Vernichtung beizu-
singuläre Verlogenheit tragen. Völkerverbin-
nur Karl Kraus ahnen dung im Namen der
konnte: „Mit einem Ausrottung der Juden
frohgemuten ‚Wir ken- und Jüdinnen: dar-
nen uns ja eh’‘ stellen auf beruhte auf inter-
sich die Wiener Per- nationaler Ebene die
sönlichkeiten vor, und nationalsozialistische
es braucht lange Zeit, Politik – und wurde
bis es unsereinem zum unabgegoltenen
THEATERWISSENSCHAFT UND POSTNAZISMUS READER
seien davon geprägt, dass vieles gar nicht aus- weiterführen wollte, kritisieren aber die Pole-
gesprochen wird. So bleibt beim nachträglichen mik gegen Vertreter einer anderen Generation.
Referieren der Dokumente heute ihr tieferer Da uns Polemik nicht als angemessenes wissen-
Zusammenhang mit den Verbrechen oft ausge- schaftliches Instrumentarium zur Erforschung
blendet (…).“13 Die Daten und Dokumente des gesellschafts- und wissenschaftspolitischer
Postnazismus sind aber nicht minder davon Konstellationen im postnazistischen Österreich
geprägt, dass vieles gar nicht ausgesprochen erscheint.“14 Wenn eine „öffentliche Diskussi-
wird; und ihr anders gelagerter Zusammenhang on“ so verstanden wird, dass keine „Polemik
mit den Verbrechen erforderte erst recht, jeder gegen die Vertreter einer anderen Generation“
„Abgeklärtheit“ entgegenzutreten. Hier genau geäußert werden soll, ist das keine öffentliche
liegen die Grenzen der Aufarbeitung, die in der Diskussion, sondern ein österreichischer Mit-
Ausstellung und dem Katalog insgesamt gebo- tagstisch, wo leider auch viel gesprochen wird
ten wird. Und deren Gestalterinnen Birgit Peter und leider auch von unterschiedlichen Persön-
und Martina Cuba suggerieren schließlich in ih- lichkeiten.
rer Stellungnahme zur Podiumsdiskussion vom
7. 5. 08 im Audi Max „Wissenschaft nach
der Universität Wien, der Mode“? Es genügt
das Versäumte sei keineswegs, von Wal-
überhaupt eine Frage ter Benjamin den Ti-
der Kommunikation, tel zu entlehnen. Der
worin anscheinend letzte Satz seiner Kin-
die verschiedenen dermann-Rezension
Narrative in Gestalt lautet: „Und wie wäre
von unterschiedlichen sie möglich, jene neue
Persönlichkeiten sich Jugend, ohne diese
endlich austauschen modernen, flotten,
sollen: „Dem Vorwurf wissenschaftlichen
einer ‚Ausein- Prospekte, in denen
andersetzung die Urteilslosigkeit
1 Jean Améry: Aspekte des Österreichischen. In: ders.: Auf- zur Philosophie. Werke Bd. 6. Hg. v. Gerhard Scheit. Stutt-
sätze zur Politik und Zeitgeschichte. Werke Bd. 7. Hg. v. gart 2004, S. 265ff.
Stephan Steiner. Stuttgart 2005. S. 562. 12 Vgl. dazu Paul Stefaneks Vorwort zum Wespennest-Heft
2 Karl Kraus: Aphorismen. In: ders.: Schriften. Hg. v. Chri- Nr. 56, 1984 („Theater und Faschismus“), S. 2
stian Wagenknecht. Bd. 8. Frankfurt am Main 1986, S. 198. 13 Theodor W. Adorno: Minima Moralia. In: ders: Gesam-
3 Heinz Kindermann: Theaterland Österreich. In: Maske melte Schriften, Bd. 4, S. 173
und Kothurn 7. Jg., 1961, S. 2. 14 Jean Améry: Jenseits von Schuld und Sühne. In: ders.:
4 Heinz Kindermann: Lebendige Theaterwissenschaft. In: Werke Bd. 2. Hg. v. Gerhard Scheit. Stuttgart 2002, S. 145f.
Deutsche Dramaturgie 2. Jg., 1943, H. 11/12, S. 186ff. 15 Theaterwissenschaft und Faschismus – eine Spurensu-
Ders.: Die europäische Sendung des deutschen Theaters. che. In: „Wissenschaft nach der Mode“? Hg. v. Birgit Peter
Wien 1944, S 54. u. Martina Payr. Wien 2008, S. 225
5 Carl Schmitt: Der Reichsbegriff im Völkerrecht. In: ders.: 16 Birgit Peter, Martina Cuba: Der heutige Umgang mit der
Positionen und Begriffe im Kampf mit Weimar – Genf – „eigenen“ Geschichte am Institut für TFM. http://tfm.uni-
Versailles 1923-1939. 3. Aufl. Berlin 1994, S. 354. vie.ac.at/veranstaltungen/ (29. 11. 08)
6 Alfred Rosenberg: Der Mythus des 20. Jahrhunderts. 7. 17 Walter Benjamin: Wissenschaft nach der Mode. In: ders.:
Aufl. München 1942, S. 462 u. 675. Gesammelte Schriften. Hg. v. Rolf Tiedemann u. Hermann
7 Vgl. dazu Gerhard Scheit: Die Meister der Krise. Über den Schweppenhäuser. Frankfurt am Main 1980, Bd. III, S. 302
Zusammenhang von Vernichtung und Volkswohlstand. 18 Walter Benjamin: Karl Kraus. In: ders.: Gesammelte
Freiburg 2001, S. 93ff. Schriften, Bd. II, S. 367
8 Theodor W. Adorno: Jargon der Eigentlichkeit. In: ders.:
Gesammelte Schriften. Hg. v. Rolf Tiedemann. Frankfurt
am Main 1997, Bd. 6
9 Margret Dietrich: Wandel der Gebärde auf dem deutschen
Theater vom 15. bis zum 17. Jahrhundert. Wien 1944, S.
138
10 Margret Dietrich: Bildungstheater und Affekttheater. In:
Maske und Kothurn 9. Jg., 1963, S. 314
11 Jean Améry: Jargon der Dialektik. In: ders.: Aufsätze
31
THEATERWISSENSCHAFT UND POSTNAZISMUS READER
KURIOSITÄTENKABINETT
Es scheint geradezu eine Gesetzmäßigkeit zu ren verehrten Lehrer – wenn überhaupt – nur in
sein, dass die wegen ihres Alters unbelasteten euphemistischen Andeutungen stattfand, sollte
NachfolgerInnen der Wiener ProfessorInnen in der jetzt am Institut tätigen Professoren-
den Fächern Germanistik, Theaterwissenschaft Generation – damals waren wir Assistenten
und Volkskunde, die bis in die späten sechziger
Jahre fast ausschließlich ehemalige Mitglieder
der NSDAP waren und sich zum Teil, wie Höfler,
Seidler, Kindermann oder Wolfram, durch be-
– in der Folge manch unverdienten Ärger
und ungerechtfertigte Vorwürfe im
Hinblick auf unreflektierte Kontinuität
einbringen.“ Margret Dietrich war bereits
33
sonderen politischen Eifer ausgezeichnet hat- Heinz Kindermanns Assistentin, als dieser
ten, zu deren Vergangenheit schwiegen, sie 1943 (!) auf den eigens für ihn eingerichteten
bisweilen sogar moralisch relativierten und Lehrstuhl berufen wurde, dann von 1966 (dem
allenfalls nach dem Tod ihrer Förderer ein paar Jahr, in dem Haider-Pregler als Assistentin an-
kritische Töne verlauten ließen, um weiterhin gestellt wurde) bis 1985 Professorin am Institut
die Vergünstigungen zu genießen, die sie ih- für Theaterwissenschaft. Den Aufsatz, aus dem
rem früheren Stillhalten verdanken. „Im Haus das Zitat stammt, veröffentlichte Haider-Pregler
des Henkers spricht man nicht vom Strick.“ 1993. Margret Dietrich war seit acht Jahren
emeritiert. Als StudentInnen, die gleichaltrig
Was mit einem formalen Loyalitätsverständnis wie oder gerade ein, zwei Jahre jünger, aber um
veredelt werden sollte, war stets purer Einiges begabter waren als Haider-Pregler, 1968
Opportunismus. Denn nirgends – auch das kann mit einem „Theateroktober“ die versteinerten
man bei Wiesinger und Steinbach nachlesen – Verhältnisse am Institut zum Tanzen bringen
haben ProfessorInnen so entscheidenden Einfluss wollten, erwies sich die Assistentin als treue
auf die Berufung ihrer NachfolgerInnen wie in Dienerin ihrer Herrin. Jedenfalls ist keiner und
Österreich. So beklagt sich Hilde Haider-Pregler, keinem der Beteiligten in Erinnerung, dass sie
ihrerseits ab 1966 Assistentin, dann ab 1987 damals durch Aufmüpfigkeit aufgefallen wäre.
Professorin am Institut für Theaterwissenschaft Selbstverständlich (?) hat die ebenso strebsame
der Universität Wien: „Dass die offene wie biedere Haider-Pregler es 1984, neun Jahre
Auseinandersetzung mit der Vergangenheit des vor ihrer gewundenen Erklärung zur „offenen
Instituts auch noch unter Margret Dietrich, zu- Auseinandersetzung mit der Vergangenheit“,
nächst Assistentin, dann Nachfolgerin Heinz nicht versäumt, Heinz Kindermann zu sei-
Kindermanns, wohl aus Rücksichtnahme auf ih- nem 90. Geburtstag mit einem Beitrag zu einer
THEATERWISSENSCHAFT UND POSTNAZISMUS READER
Bescheidenheit brüstet, zugleich dokumentie- kannte, schimpfte und brachte Karikaturen von
rend, welchen Einfluss Nationalsozialisten, gegen mir.“ Aber dem jungen alten Kämpfer und tapfe-
die offizielle Politik, selbst unter sozialdemokra- ren Krieger für die Sache eines nationalsozialisti-
tischen und christlichsozialen Ministern (nur?) schen Theaters, dessen Einstellung in der von ihr
der Zwischenkriegszeit hatten, ohne dass das bearbeiteten Zeit auch Frau Deutsch-Schreiner
ihrer Karriere unter sozialdemokratischen und beim Studium „im Michaelerkuppeltrakt der
christlichsozialen Minister der Nachkriegszeit Hofburg“, wo Kindermann „im Kriegsjahr 1943“
nachhaltig geschadet hätte. Kindermann: „Da ge- „ein Zentralinstitut für Theaterwissenschaft [...]
lang es dem Schreiber dieser Zeilen, wenigstens errichten“ und bald nach dem Zusammenbruch
in bescheidenem Maße das Schlimmste hintan- des Nationalsozialismus wieder leiten durfte,
zuhalten. Der erste Unterrichtsminister des klein zur Kenntnis gelangen musste, ohne dass sie
gewordenen Rumpfösterreich, der deutschvöl- deshalb zum Schimpfen Anlass gefunden hät-
kische Vertreter der Sudetendeutschen im soge- te, blieb der Erfolg dennoch nicht versagt: „Der
nannten Konzentrationskabinett, Staatssekretär Gefahr, ein Theater für Schieber und Literaten
Raphael Pacher, hatte mich als blutjungen Doktor zu werden, ist das Burgtheater damit entgan-
der Germanistik ins Unterrichtsministerium gen. Was darüber hinaus noch hundertfältig
geholt. Er erwartete von mir, der als Student nötig gewesen wäre, konnte und kann freilich
schon vor völkischen Arbeitergruppen ge- erst der Nationalsozialismus bereinigen.“ Kein
sprochen hatte und für ein völkisch ausge- Kommentar in Deutsch-Schreiners Dissertation.
richtetes Volksbildungswesen eingetreten Karrieren hinterlassen in Österreich brei-
war, die Neueinrichtung einer Abteilung für te Schleimspuren. Und wer da meint, die
Erwachsenenbildung, Kunsterziehung und Zitate kommentierten sich selbst, kennt die
Volksbüchereiwesen. Schon im Augenblick ÖsterreicherInnen nicht. Aus Kindermanns
meines Dienstantrittes war das erste Kabinett Sätzen sprechen für sie – siehe unten – le-
gestürzt, und die Sudetendeutschen wurden diglich die „nationalsozialistischen Ideale“,
zwangsweise der Tschechoslowakei einver- und wer hätte schon etwas gegen Ideale. (…)
leibt. Seitdem hatte ich mein Referat sieben
Jahre lang unter einem sozialdemokratischen, Auf dem Gebiet der Hochschullehre war der
sonst unter lauter christlichsozialen Ministern Theaterwissenschaftler Heinz Kindermann
zu führen. Aber mit indirekter Unterstützung
der Großdeutschen konnte ich trotzdem in-
mitten dieser sonst so trostlos-parlamenta-
rischen Splitterung und Zerfahrenheit einige
die Regel, nicht die Ausnahme. In den
späten fünfziger Jahren und weit in die
sechziger Jahre hinein gab es, wie im er-
sten Teil des „Kuriositätenkabinetts“ im
35
bescheidene Neuerungen durchsetzen.“ Evelyn Juni dieses Jahres belegt, am Germanistischen
Deutsch-Schreiner verschweigt, wer damals in Institut der Universität Wien nicht einen einzi-
Kindermanns eigenen Worten dessen segensrei- gen Ordinarius, der nicht eifriges Mitglied der
che Arbeit als administrativer Referent für das NSDAP gewesen wäre. Kindermann zeichnete
Burgtheater behindert hat: „Die jüdisch-marxi- sich lediglich durch besondere Verbissenheit
stische Presse, die meine völkische Einstellung aus. Das wusste längst, wer es wissen wollte.
THEATERWISSENSCHAFT UND POSTNAZISMUS READER
Thomas Rothschild
39
THEATERWISSENSCHAFT UND POSTNAZISMUS READER
1955 wurden also Konzept inklusive Titel un- 1 Delavos, Paul M.; Hefert, Caroline „Alltagsgeschäfte. Da-
hinterfragt übernommen und bis heute weiter- ten und Fakten zur Gründung des
geführt. Immer wieder wurde „Maske und Ko- Zentralinstituts für Theaterwissenschaft“ Seite 55.
thurn“ für Festschriften und Ausgaben zu Eh- 2 Ebda
ren Heinz Kindermanns und Margret Dietrichs 3 vgl. Peter, Birgit „Heinz Kindermanns Karriere 1914-
verwendet. Letzterer wurde sogar noch 1995 1945. Positionen und Stationen“ in: „Wissenschaft nach
eine Ausgabe gewidmet. der Mode“ Seite 49.
4 Ebda.
Auch wurde die Fachzeitschrift immer wie- 5 Dietrich, Margret: „Das Institut für Theaterwissenschaft
der dazu verwendet, die Institutsgründung zu an der Wiener Universität“ in: „Maske und Kothurn“, 1960,
glorifizieren und durch Nichterwähnung des Jg. 6, Seite 192.
Nationalsozialismus die Gründungsgeschichte
aktiv zu umschreiben und zu vertuschen. So
THEATERWISSENSCHAFT UND POSTNAZISMUS READER
INSTITUTSGESCHICHTE
Ein Feld der Diskussion oder der kehr von Kindermann als Institutsleiter andau-
Konfrontation? ernd behindert, womit diese Einschreibung ge-
festigt wurde. Auch Margret Dietrich, die 1966
die Leitung des Instituts vom emeritierten Kin-
Über Jahrzehnte hinweg lag es großteils an kri- dermann übernahm, hielt diesbezüglich Linie.
tischen Student_innen, die Debatten über die Somit lag es an kritischen Student_innen, eine
Vergangenheit des nunmehrigen Instituts für fragende und reflektierende Haltung einzu-
Theater-, Film- und Medienwissenschaft1 und nehmen, schon deswegen, weil die Beweise der
im speziellen jene über Heinz Kindermann und Teilnahme Kindermanns am Nationalsozialis-
Margret Dietrich, anzuregen und das offiziell mus erdrückend waren, aber weder zu einer
geprägte Bild zu hinterfragen. Bereits 1945, nachhaltigen und eindeutigen Distanzierung
nachdem Heinz Kindermann seines Amtes auf Kindermanns oder Dietrichs führten, noch die
Grund seiner Mitgliedschaft bei der NSDAP ent- Bereitschaft vorhanden war, eine Reflexion über
hoben wurde, waren es Student_innen, die die- Theaterwissenschaft im Nationalsozialismus
se Entscheidung begrüßten und nochmals ein- einzugehen. Wie könnte aber ohne Diskussi-
dringlich darauf hinwiesen, dass ihrer Überzeu- on über diese Anteilnahme der Theaterwissen-
gung und Erfahrung nach Heinz Kindermann schaft, der Methodik und den Inhalten, die am
ein „geistiger Führer des Nationalsozialismus“ Institut angewandt und gelehrt wurden, anders
war2. Hier zeigen sich schon erste Anzeichen als mit Distanz begegnet werden, wenn die po-
einer „Blockbildung“ in der Frage der Instituts- tentielle Kontinuität nationalsozialistischen
geschichte, da dieser Brief eine Reaktion auf ein Denkens beständig aufrecht erhalten blieb? Die-
Protestschreiben einer anderen und größeren se berechtigte Befürchtung ist somit auch eine
Gruppe von Student_innen war, die die Enthe- der treibenden Kräfte in der ständig wiederkeh-
bung Kindermanns rückgängig gemacht wissen renden Forderung nach einer Auseinanderset-
wollten, da dieser „zwar Mitglied der NSDAP“ zung mit der Institutsgeschichte. So berichtet
war, aber „als Wissenschaftler und Mensch in Peter Roessler über mehrere Initiativen von Stu-
ungeheurem Maße über der Partei“ gestanden dent_innen, die ihm während seiner Studienzeit
hätte3. Ein möglicher Konflikt konnte überspielt in den 70ern/80ern bekannt waren6, die
werden durch eine gemeinsame neutrale For- sich dieser Frage stellten. Im Aufgreifen
derung nach dem Weiterbestand des Instituts4,
wiewohl dies unter den gegebenen Bedingun-
gen durchaus offen hätte thematisiert werden
können. Dies nicht im Sinne einer andauernden
dieser Debatten entstand dann 1981 die
erste bekannte öffentlich verbreite Pu-
blikation in Wien, die sich mit der Frage
nach dem Verhältnis zwischen der Wiener
41
Auflösung, sondern in Form einer Debatte über Institutsgründung 1943 und den Verbindungen
eine Neugründung, in der zumindest ein Anstoß zwischen der deutschsprachigen Theaterwis-
hätte gegeben werden können, eine veränderte senschaft und dem Nationalsozialismus ausei-
Programmatik am Institut zu etablieren. Auch nandersetzte7. Kindermann war zu diesem Zeit-
als eine sichtbare und notwenige Konsequenz punkt trotz seiner Pensionierung noch nahezu
aus der eindeutig nationalsozialistischen Grün- täglich am Institut anzutreffen und kontrollier-
dungs-, Lehr- und Forschungsgeschichte von te somit auf seine Art das Geschehen am Insti-
1943-45. Diese Debatte blieb aus5, auch auf tut. Peter Roessler erinnert sich daran, dass in
Grund der Übernahme der Institutsleitung durch einem Interview mit Kindermann im Zuge der
den 1938 zwangspensionierten Eduard Castle, Vorarbeiten für die Publikation „Theaterwissen-
der eine solche Auseinandersetzung vermied. schaft und Faschismus“ dieser den Autor_in-
Somit blieb notwendigerweise ein Konfliktfeld nen davon abriet, sich „ mit der Geschichte der
bestehen, dass in Folge bis heute zu Diskussi- Theaterwissenschaft [zu] beschäftigen“, da sie
onen und Konfrontationen Anlass bietet, wobei wissenschaftlich „noch nicht reif dafür seien“8.
diese beiden Zugänge immer wieder gegenein- Eine Veröffentlichung dieses Interviews unter-
ander in Stellung gebracht werden. sagte Kindermann brieflich, denn „[d]azu ist
dieses rein informative Gespräch ja vielzusehr
Dies hängt auch konkret damit zusammen, dass im Zickzack verlaufen und in vieler Hinsicht un-
durch die Institutsgeschichte eine enge Ver- vollständig geblieben“9. Den allzu neugierigen,
knüpfung des Instituts mit dem Gründer Heinz wenn nicht sogar aus Kindermanns Sicht fre-
Kindermann angelegt war. Einer Hinterfragung chen Student_innen wurde also nahegelegt, Dis-
dieser spezifischen Situation wurde zunächst kussionen zu unterlassen, weil sie noch nicht
ausgewichen und durch die 1954 erfolgte Rück- dafür bereit seien vor Missverständnissen gefeit
THEATERWISSENSCHAFT UND POSTNAZISMUS READER
zu sein, die nur unnötige Konfrontationen zur dazu tendiert, Diskussionen dadurch auszuwei-
Folge hätten. chen, dass sie in Konfrontationen umgewandelt
werden. Durch das Ausbleiben von strukturel-
In dieser Auseinandersetzung mit Kindermann, len Änderungen an den Universitäten und damit
der 1985 verstarb, finden sich einige der ausge- den dazugehörigen Instituten, blieben autoritä-
legten Stolpersteine in der Debatte um die Insti- re Strukturen und wissenschaftliche Zugänge
tutsgeschichte, die es Student_innen erschwer- und Vorstellungen bestehen, die eine kritische
te, hinreichend wahr- und ernst-genommen zu Reflexion unterbanden. Somit blieb im Studium
werden. Zum einen hatte die bereits erwähnte die Abhängigkeit durch Lehrende wie Kinder-
enge Verknüpfung des Instituts mit seinem mann aufrecht, die ihre Macht durchaus aus-
Gründer die Konsequenz, dass eine Aussage nutzen konnten, wenn ihnen Positionen nicht
über Kindermann zugleich eine Aussage über genehm waren11. Eng damit verbunden ist ein
das Institut bedeutete, und somit auch eine Wissenschaftsbild, dass Student_innen nicht
breite Abwehrhaltung der somit angegriffenen als gleichberechtigt anerkennt und ein Lehrer_
Institution zur Folge hatte10. Dies findet auch innen-Schüler_innen-Verhältnis aufrecht hält,
Widerhall in der Reaktion von Student_innen, dass erst 1968 erste Risse zeigte12. Somit wird
wo einerseits immer wieder eine recht kleine der Kritik von Student_innen in einer verharm-
Gruppe kritisch die Institutsgeschichte thema- losenden und nivellierenden Form begegnet,
tisierte und hinterfragte, sei es in der Program- indem ihnen unterschwellig oder ausgespro-
matik, der Methodik, den Inhalten oder der Or- chen mitgeteilt wird, dass sie entweder noch zu
ganisation, andererseits daneben die größere jung seien, um zu verstehen, was erst im Alter
Anzahl an Student_innen solchen Diskussionen zu verstehen sei (lies auch: in der Anpassung)
tendenziell distanziert oder uninteressiert ge- oder dass sie wissenschaftlich noch nicht bereit
genüberstand und somit den status quo als sol- dazu wären, den „richtigen“ Blickwinkel ein-
chen – wenn auch unbewusst – akzeptierte und zunehmen, um die „richtigen“ Schlüsse ziehen
dadurch aufrecht erhielt. Dies mag kein Spe- zu können (lies auch: hegemoniale Diskurse in-
zifikum des Instituts sein, weil es das Wirken härent aufgenommen zu habend). Insofern sei
des Großen im Kleinen aufzeigt, da in der auch keine Diskussion nötig und der konfron-
österreichischen Mehrheitsgesellschaft, tativen, polemischen Kritik könne mit Milde be-
[…] die Anbringung als Dank meiner ehemali- der unproblematisch sind. Beginnend bei Eduard
gen Schüler für die Gründung des Instituts ge- Castle, dem zwar keine nationalsozialistische
dacht [war]. Ich habe nunmehr gebeten, diesen Gesinnung vorgeworfen werden kann, bei dem
symbolischen Akt des Erinnerns erst nach mei- aber eine Anbiederung an den Nationalsozialis-
nem Tode zu vollziehen“14. Ein Porträt Kinder- mus festgestellt werden muss, womit er aber in
manns hängt heutzutage verständlicherweise der Nachkriegszeit noch einer der harmlosesten
nicht am Institut, ausgenommen Fotos im Zuge Akteur_innen am Institut war. So fehlt in der
der Ausstellung zur Institutsgeschichte, worin Institutsgeschichte eine ausführlichere Thema-
diese aber in einem kritischen Kontext gestellt tisierung der nach 1945 (wieder) Lehrenden, wie
wurden, dem sich Kindermann Zeitlebens ent- Vagn Börge, der ab 1944 Filmlehrveranstaltun-
zog. So war seine „Anregung“ wohl nicht ge- gen am Institut anbot, oder Jospeh Gregor, der
plant gewesen. Was in der Argumentation von 1943 das Baldur von Schirach gewidmete Buch
Kindermann hier durchscheint (neben dem aus- „Das Theater des Volkes in der Ostmark“ veröf-
gestellten Unrechtsbewußtsein), ist die Anma- fentlichte, und nicht zu vergessen Hans Nieder-
ßung eines als Wissenschaftler über Student_in- führ, der 1938 das Max Reinhardt-Seminar über-
nen stehenden Denkens und der Gestus einer nahm und „arisierte“16 Es zeigt sich hierbei auch
Belehrung von aufmüpfigen Kritiker_innen. ein Versäumnis der Entnazifizierung in Öster-
Ähnliches wiederholt sich 1954 bei der Wieder- reich, da nicht vermocht wurde abseits formaler
einstellung von Kindermann als Institutsleiter, Kriterien auch intellektuelle Einstellungen und
als Student_innen bei seiner Antrittsvorlesung wissenschaftliche Inhalte auf nationalsozialisti-
am Institut dagegen protestieren. Nachdem zu- sche Absichten oder Grundhaltungen zu hinter-
nächst die Veranstaltung abgesagt wurde, war fragen. Dazu wäre nötig gewesen auch zwischen
beim zweiten Versuch der Rektor der Universi- den Zeilen zu lesen, Diskurse nachzuvollziehen
tät Wien anwesend, der kritischen Student_in- und ein historisches Bewusstsein anzuwenden.
nen per Handschlag die Zuversicherung abrang Dies entsprach nun aber nicht den hegemoni-
von Störungen abzusehen, ansonsten mit Haus- alen Vorstellungen in der Auseinandersetzung
verbot zu rechnen sei. Teile der Presse nahmen über das Nachwirken des Nazismus in den post-
dies auf, um von einen undemokratischen Akt nazistischen Gesellschaften Österreichs
zu sprechen, nicht aber an Kindermann und und Deutschlands, womit solche Ansätze
Rektor Schönbauer, sondern an die protestie-
renden Student_innen gerichtet15. Wohl eine be-
zeichnende Reaktion für die 50er-Jahre und ein
Beispiel für die „Verdrängung“ der nationalsozi-
oft als Minderheitenpositionen abgetan
oder in eine Passivität abgedrängt wurden.
Nicht unähnlich von dem, wie von offizi-
eller Institutsseite Diskussionen über die
43
alistischen Vergangenheit Österreichs. Gründung und Geschichte des Instituts ver-
nachlässigt und kleinzuhalten versucht wurde.
Abschließend sei noch eine weitere Schwierig- Zumindest gelang durch die beständigen Ausei-
keit angesprochen, die damit zusammenhängt, nandersetzungen die Verhinderung einer offen
dass mit Heinz Kindermann ein besonders pro- zutage tretenden Heiligenverehrung von Heinz
noncierter und publikationsfreudiger NS-Leh- Kindermann17, auch wenn in Andeutungen sol-
render am Institut seine Wirkkreise zog, wo- che Signale immer wieder kommuniziert wur-
durch ein „Staubsaugereffekt“ zu beobachten den, besonders wenn es um eine Bewertung der
ist. Durch die große Angriffsfläche die er bie- zehnbändigen Theatergeschiche Europas geht.
tet, bezieht sich ein Großteil der Auseinander- Ähnlich situiert ist auch die Debatte um Bezeich-
setzungen und Kritik auf ihn, auch weil er dies nungen, die aus der nationalsozialistischen Pha-
durch seine Reaktionen provozierte. Der Blick se des Instituts übernommen wurden, sei es die
lenkt sich durch die Schwere seiner nationalso- Institutszeitschrift „Maske und Kothurn“ oder
zialistischen Wirktätigkeit auf ihn, und tendiert der Schreyvogelhörsaal des Instituts. Nun kann
dazu, „Nebenfiguren“ nur verblasst anzuzeigen tatsächlich Joseph Schreyvogel nichts für die
und zu thematisieren. Zwar rückte Margret Diet- Vereinnahmung durch Kindermann, aber dar-
rich vermehrt in den Fokus der Auseinanderset- um geht es auch nicht. Vielmehr wäre es nötig
zung, ihr Anteil bleibt aber nachwievor zumeist offenzulegen, dass Kindermann den Hörsaal
gering (wie leider auch in diesem Artikel), auch 1943 so benannte, weil er mit Schreyvogel eine
wenn es genug Unterlagen und Publikationen ideologische Imagination verband, den er als
von ihr gibt, die belegen, dass dies unbegründet Proponenten eines deutschen Nationaltheaters
ist. Weitere Akteur_innen firmieren dann schon interpretierte. Dieses Bild zurechtzurücken um
„unter ferner liefen“, obwohl sie oft nicht min- damit auch klarzumachen, warum der Schrey-
THEATERWISSENSCHAFT UND POSTNAZISMUS READER
Gründungsgeschichte
und den Folgewirkun-
gen daraus, wodurch
auch die Notwendig-
keit einer wissen-
schaftstheoretischen
Auseinandersetzung
aufgezeigt sei, die
auch aktuelle Zugän-
ge inkludiert. Daneben
stellt sich auch die
Frage nach den Grün-
den für gewisse nur
unzureichend angebo-
tene Inhalte und nur
ansatzweise stattfin-
denden Debatten, die
eng mit gesellschafts-
kritischen Positionen
zusammenhängen, sei
es Antisemitismus,
Rassismus und Sexis-
mus am Theater, im
Film und den Medien,
des Eurozentrismus in
vogelhörsaal noch immer so heißt, dass wäre der Konzeption der historischen Grundlagenfä-
eine Forderung, die sich aus der Debatte erge- cher oder nur sporadisch abgehaltene Lehrver-
ben sollte. anstaltungen zu Exiltheater/-film, jüdischem
Theater/Film oder der Theaterwissenschaft im
45
6 Theaterwissenschaft und Faschismus – eine Spurensu- Frankfurt am Main: Fischer, 1996, S. 47-59.
che. In: Peter/Payr: „Wissenschaft nach der Mode“?, S. 207- 16 Vgl.: Roessler, Peter: Zur Geschichte des Rein-
225, S. 207ff. hardt-Seminars von 1928 bis 1938. In: Roessler,
7 Meier, Monika/Roessler, Peter/Scheit, Gerhard: Theater- Peter/Einbrodt, Günter/Gföller, Susanne (Hg.): Die
wissenschaft und Faschismus. Wien [u.a.]: Antifaschisti- vergessenen Jahre. Zum 75. Jahrestag der Eröff-
sche Arbeitsgruppe, P. Roessler, 1981. nung des Max Reinhardt Seminars, Wien: Max Reinhardt
8 Theaterwissenschaft und Faschismus – eine Spurensu- Seminar, 2004, S. 11-51.
che, S. 217. 17 Als ein „grusliges“ Beispiel für den Versuch einer
9 Meier/Roessler/Scheit: Theaterwissenschaft und Faschis- Mystifizierung Kindermanns darf der Nachruf von Volk-
mus, S. 105. mar Parschalk im Ö1-Mittagsjournal vom 3.10.1985 gel-
10 Dieser „Korpsgeist“ an den Universitäten, der sich vie- ten, nachzuhören unter folgender URL (der Beitrag be-
lerorts, aber besonders in den Debatten um die Universi- ginnt ab der 50. Minute): http://www.mediathek.at/pro-
täten im Nationalsozialismus zeigt, wurde nur vereinzelt jects/journale/htdocs/popup/popup_media_manager.
durchbrochen, so am Institut für Theaterwissenschaft in php?fileId=1158950#
der Ära Kindermann durch Paul Stefanek. Nach dem Tod 18 Seeßlen, Georg: Tanz den Adolf Hitler. Faschismus in
Kindermanns war es Hilde Haider-Pregler, die von Insti- der populären Kultur. Berlin: Tiamat, 1994, S. 88.
tutsseite aus als erste die nationalsozialistische Instituts-
gründung ausführlicher öffentlich thematisierte, zum ers-
ten Mal 1993 zum 50jährigen Gründungsdatum: http://
THEATERWISSENSCHAFT UND POSTNAZISMUS READER
NACHWORT
„Aufgearbeitet wäre die Vergangenheit erst Auseinandersetzung mit der postnazistischen
dann, wenn die Ursachen der Vergangenheit Theater-, Film- und Medienwissenschaft wurde
beseitigt wären. Nur weil die Ursachen fortbe- jedoch nur zum Teil geleistet.
stehen, ward sein Bann bis heute nicht gebro-
chen.“ Theodor W. Adorno Mit diesem Reader soll ein Zeichen für die Entste-
hung eines Problembewusstseins diesbezüglich
Mit diesem Reader wird versucht, die Beiträge gesetzt werden. Das dieses Problembewusstsein
zur Debatte rund um den 65. Jahrestag der In- bis heute größtenteils fehlt, wurde etwa in der
stitutsgründung gesammelt zu veröffentlichen, Debatte um die Umbenennung der Margret-
um ein Problembewusstsein in Bezug auf die Dietrich-Gasse sichtbar. Als diese umbenannt
postnazistischen Verhältnisse am Institut für war, fand plötzlich auch die Institutsleitung Ge-
Theater-, Film- und Medienwissenschaft und fallen daran. Davor schaffte sie es jedoch nicht,
darüber hinaus zu schaffen. sich öffentlich für eine Umbenennung stark zu
machen und deutliche Worte in Bezug auf Mar-
Es ist wichtig, dass auch nach Ausstellung und gret Dietrich zu artikulieren.
Katalog die Aufarbeitung und Auseinander
setzung mit der Institutsgeschichte nicht als er- Es gilt nun, die Auseinandersetzung mit Antise-
ledigt angesehen wird. mitismus und autoritären Konzepten in Theater
und Medien weiter im Lehrplan zu verankern.
Zu viel ist nach wie vor zu wenig erforscht. Etwa Zusätzlich muss auch eine kritische Beschäf-
die Frage, wie sich postnazistische Verhältnisse tigung mit der Instituts-, Fach- und Wissen-
in der aktuellen Forschung und Lehre abbilden. schaftsgeschichte möglich werden.
Im Rahmen von Lehrveranstaltungen findet
kaum eine Auseinandersetzung mit Antisemi- Auseinandersetzung mit der Vergangenheit
tismus in Theater, Film und Medien statt. Eine muss als etwas Kontinuierliches angesehen wer-
solche wäre angesichts der realen Verhältnisse den, dass nicht abgeschlossen werden kann und
dringend einzufordern. unter das kein Schlussstrich gezogen werden
darf.
Zwar war die Ausstellung ein wichti-
bagru thewi
-
vertrete dich selbst!