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Spekulationsblasen, Finanzkrisen und der Preis des Wohlstands (Teil 2)
Dieses Mal ist es anders…?!
Die Spekulationsblase, die bei den meisten Anlegern – oft
aufgrund persönlicher Erfahrungen – am präsentesten sein
dürfte, ist die New-Economy-Blase Ende der neunziger Jahre.
 Weder zuvor noch danach gab es in Deutschland so viele Privatanleger, die in Aktien investiert haben. Die neuesten
Börsengänge von Unternehmen aus dem Technologiesektor
waren allgemeines Gesprächsthema wie die Fußball-Bundes-
liga und das Wetter.  Wie bei vielen Spekulationsblasen zuvor, gab es auch in die-sem Fall fundamentale Gründe für ein positives Aktienklima. Das Ende des Kalten Krieges ermöglichte es, die Rüstungs-
ausgaben deutlich zu reduzieren und in produktivere Bereiche
zu lenken. Die gebannte Inflation sorgte für niedrige Zinsen und neue Informations- und Telekommunikationstechnolo-
gien führten zu einem Produktivitätsschub. Infolgedessen
stiegen seit Anfang der neunziger Jahre die Aktienkurse. Kurz-
zeitige Rückschläge durch die Asienkrise 1997 sowie dem
Kollaps des Hedgefonds LTCM und die Russlandkrise 1998 konnten den Aufwärtstrend nicht brechen. Im Gegenteil, die Reaktion der Notenbanken, auf die Krisen mit einer expan-siveren Geldpolitik zu antworten, beflügelte die Aktienkurse
weiter. Ab dem vierten Quartal 1998 koppelten sich die Tech-
nologiewerte vom Gesamtmarkt ab und stiegen massiv an
(Vergleich Abbildung 1 und 2). Vorbilder wie Microsoft, Net-scape oder Oracle ließen viele Unternehmer vom schnellen
 Aufstieg zur Marktführerschaft und viele Aktionäre vom
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Kapital & Märkte
 Ausgabe März 2015
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ABBILDUNG 1: WERTENTWICKLUNG DES NEUEN MARKTES IM VERGLEICH ZUM DAX 
 
Nemax 50 Index (Preisindex, normiert) DAX Index (Preisindex, normiert)
siehe auch Hinweis im Impressum zu (2)
 
schnellen Reichtum träumen. Immer mehr junge Unterneh-
men – mit teilweise sehr fraglichen oder zumindest unausge-reiften Geschäftsmodellen – strebten an die Börse und waren
meist vielfach überzeichnet. Die Aussicht auf hohe Zeich-
nungsgewinne verdrängte jede Vorsicht und Zurückhaltung. Bilanzwerte und Ertragskennzahlen spielten keine Rolle – die Unternehmen hatten kaum Vermögenswerte und schrieben
in der Regel Verluste. Die Fantasie, dass diese mit innovativen
Geschäftsideen schnell zu Marktführern aufsteigen und in
Zukunft hohe Gewinne erwirtschaften würden, reichte aus.Kritische Stimmen, die das extrem hohe Bewertungsniveau
bemängelten und darauf hinwiesen, dass allenfalls ein Bruch-
teil der Unternehmen eine – in den Börsenkursen vorweg-genommene – marktbeherrschende Stellung werden errei-chen können, wurden in den Wind geschlagen. Das gängige  Argument war seinerzeit, dass die technologischen Verände-
rungen zu einem dauerhaft höheren Produktivitätsniveau der
 Volkswirtschaft führen würden und daher die bisher gängigen
Bewertungsmaßstäbe nicht anwendbar seien.
 Auslöser für das Platzen der Spekulationsblase waren einmal
mehr Zinserhöhungen der US-Notenbank. Die boomende US-Konjunktur, insbesondere durch die massiven Investiti-
onen im Technologiesektor und die steigenden Konsumaus-
gaben in Folge des Börsenbooms, hatte zu einem Anstieg
der Inflation geführt. Die Fed war entschlossen,
dieser 
 Über-
hitzung Einhalt zu gebieten. Die Aussichten auf weitere
Zinserhöhungen und eine konjunkturelle Abkühlung been-deten die Party. Unter diesen neuen Vorzeichen erschienen
die Bewertungen noch ambitionierter, die wenigen noch
stattfindenden Neuemissionen brachten nicht mehr die ge-
wohnten Zeichnungsgewinne und immer mehr Unternehmen
mussten ihre Prognosen nach unten revidieren. Andere Ge-
sellschaften mussten wenige Monate nach ihrem Börsen-
gang Insolvenz anmelden, da sie hohe Verluste schrieben
und sich aufgrund der veränderten Stimmungslage kein
neues Geld mehr über die Börse beschaffen konnten. Aus der fast grenzenlosen Euphorie wurde innerhalb kurzer Zeit ein Ausverkauf der Technologiewerte. Der NASDAQ Com-posite Index stieg ab April 1997 bis Anfang 2000 um etwa
290 Prozent und der deutsche NEMAX All Share Index sogar
um über 1.170 Prozent. Knapp zwei Jahre später war der
NASDAQ Index noch gut 11 Prozent im Plus und der NEMAX
über 34 Prozent im Minus. Seit den Höchstständen hatten die Indizes damit über 70 Prozent beziehungsweise 95 Pro-zent ihres Wertes verloren.
Da die Verluste auf eine breite Anlegerbasis – Versicherungen,
Pensionsfonds und Privatanleger – verteilt waren, blieben die
Folgen überschaubar. Keine systemrelevante Bank hatte der-
artige Verluste erlitten, die zu einer Vertrauenskrise oder staat-
lichen Hilfspaketen hätten führen können. Das Platzen der
Spekulationsblase schlug zwar in Form von geringeren Inves-
titionen und Vermögensverlusten auf die Realwirtschaft durch,
doch war die Rezession in Relation zu den Entwicklungen an den Finanzmärkten gering.
“Ich bin entsetzt, schockiert! Ich musste fest-stellen, dass hier Glücksspiele stattfinden.“
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Dieses Mal war der Ausgangspunkt der Wohnimmobilien-
markt in den USA. Anders als in früheren Rezessionen blieben
2001 die Hypothekenzinsen sehr niedrig, da die Fed ihren
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ABBILDUNG 2: WERTENTWICKLUNG DES NASDAQ INDEX IM VERGLEICH ZUM DOW JONES INDEX 
 
NASDAQ 100 Index (Preisindex, normiert) Dow Jones Index (Preisindex, normiert)
 
siehe auch Hinweise im Impressum zu (2) und (3)
2
 
Zinserhöhungen im Jahr 2000 bereits ein Jahr später eine
Reihe von Zinssenkungen folgen ließ. Niedrige Inflationsraten – begünstigt durch die billigen Importe aus China – verleiteten
die Zentralbanken dazu, ihre Zinsen, ähnlich wie bereits in
der zweiten Hälfte der neunziger Jahre, lange niedrig zu
halten. Die Folge waren sehr geringe Hypothekenzinsen und ein Boom bei Neubauten. Verstärkt wurde der Effekt durch
die asiatischen Zentralbanken, insbesondere der chinesischen.
Um die Wechselkurse ihrer Währungen zum US-Dollar kon-
stant niedrig zu halten, kauften sie US-Staatsanleihen und Hypotheken im Wert von hunderten Milliarden US-Dollar.
 Als die Fed 2003 die Zinsen anhob verharrten die langfristigen
Zinssätze deshalb lange auf ihrem niedrigen Niveau. Damit war die Grundlage für eine der größten Immobilien-blasen der Geschichte gelegt. Der lange Aufwärtstrend der Hauspreise in den USA wurde von vielen in die Zukunft fort-geschrieben, so dass Finanzierungsmodelle entstanden, die sehr anfällig für negative Marktentwicklungen waren. Hinzu
kamen neue Finanzprodukte, gelockerte Eigenkapitalanfor-derungen sowie falsche Anreizsysteme im Finanzsektor, da Kreditrisiken durch Verbriefungen an Dritte weitergegeben
werden konnten. An die Stelle der klassischen Hypothek mit 30 Jahren Laufzeit
und einem festen Zinssatz traten zunehmend aggressivere Hypothekenprodukte: Statt einem festen Zinssatz gab es Hypotheken mit variablen Zinsen, die letztendlich von der
Geldpolitik der Fed abhängig waren. Da sich diese im Markt-
umfeld niedriger Zinsen und steigender Immobilienpreise sehr positiv entwickelten und sich Hauskäufer Immobilien
leisten konnten, die sonst unerschwinglich gewesen wären,
erfreuten sie sich steigender Beliebtheit. Die guten Erfahrungen
führten dazu, dass die Risiken verdrängt wurden und die
Kredite sich auch im Subprime-Bereich ausbreiteten. Als der
Boom weiter fortschritt, entwickelten sich noch aggressivere
Finanzierungsformen. Es folgten Hypotheken, für die keine
Tilgungszahlungen über die Laufzeit vorgesehen waren
(interest only mortgage) und schließlich Hypotheken, deren
laufende Zahlungen geringer waren als die anfallenden
Zinsen (negatively amortizing mortgage), so dass die Höhe
der Hypothek über die Laufzeit anstieg. Kombiniert war dies
oft mit sogenannten „Teaser Rates“, das heißt fixen, relativ geringen Zinszahlungen in den ersten Jahren, welche da-nach spürbar anstiegen. Das Ergebnis waren riskante Finanzierungsmodelle, die nach dem folgenden Muster „funktionierten“: Es wird eine Hypo-
thek ohne Tilgungszahlungen während der Laufzeit mit einer
zweijährigen „Teaser Rate“ aufgenommen. Die Zinsen werden
aus dem laufenden Einkommen und dem vorhandenen
Eigenkapital finanziert. Nach zwei Jahren erfolgt eine Refinan-
zierung der Hypothek. Da die Immobilie bis dahin annahme-
gemäß an Wert gewonnen hat, kann die Refinanzierung zu einem höheren Betrag erfolgen, mit welchem die Vorfällig-
keitsentschädigung und der Teil der Zinsen, der nicht aus
dem laufenden Einkommen bezahlt werden kann, beglichen
werden. Nach zwei Jahren erfolgt eine weitere Refinanzierung
und so weiter. Solange die Immobilienpreise schneller als die
Hypothekenschuld steigen, wird schrittweise Eigenkapital
aufgebaut. Neben den Selbstnutzern wurden diese Finanzie-
rungsmodelle auch vermehrt spekulativ zum Erwerb von
Zweit- oder Drittimmobilien eingesetzt. Am Ende war ein höchst fragiles Gebilde entstanden, das nur bei weiter kontinuierlich steigenden Hauspreisen funk-
tionieren konnte. Mit dem höheren Anteil schlechter
Schuldner (Subprime) und den aggressiven Hypotheken-strukturen (variable Zinsen, Teaser Rates) hatte jedoch die
 Wahrscheinlichkeit von Zahlungsausfällen und damit
Zwangsverkäufen deutlich zugenommen. Als die Notenbank
die Zinsen erhöhte, gerieten immer mehr Hausbesitzer in
Zahlungsschwierigkeiten. Die Folge war ein Angebotsüber-hang. Die Preise fingen an zu fallen. Ausgehend vom Sub-
prime-Bereich breiteten sich die Zahlungsausfälle durch
positive Rückkopplungseffekte über den gesamten Wohn-
immobilienmarkt aus. Die Zinslasten stiegen an, Refinanzie-rungen waren nicht mehr möglich und schließlich wurde die
stark gestiegene Arbeitslosigkeit in Folge der Finanzkrise im-
mer mehr Hauskäufern zum Verhängnis. Abbildung 3 zeigt,
dass etwa zwei Jahre – dem typischen Zeitraum der niedri-gen „Teaser Rates“ – nachdem die Fed mit den Zinserhö-hungen begonnen hatte, die Immobilienpreise anfingen zu
fallen und bis April 2009 von ihrem Hochpunkt fast ein
Drittel nachgaben.Da viele, insbesondere auch europäische, Großbanken über
verbriefte Hypotheken, Hypothekenderivate sowie Kreditaus-
fallversicherungen direkt und indirekt stark im US-amerikani-schen Häusermarkt engagiert waren, führte das Platzen der
Immobilienblase bei diesen Banken zu massiven Verlusten.
Durch gelockerte Eigenkapitalvorschriften, Zweckgesellschaf-
ten außerhalb der Bankbilanzen und falsche Anreizsysteme hatten viele Banken in Relation zu ihrem Eigenkapital extrem hohe Risikopositionen aufgebaut. Hinzu kam, dass es wegen
der hochkomplexen Strukturen der Finanzprodukte – oft sogar
für die Banken selbst – kaum nachvollziehbar war, welche
Risiken sich in den Bilanzen befanden. Der daraus resultieren-
de Vertrauensverlust erschwerte die Refinanzierungen der
Banken zunehmend. Nachdem die Investment Bank Lehman Brothers wider Erwarten nicht von der US-Regierung gerettet
wurde, brach an den Finanzmärkten eine Panik aus, die nur
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