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Fünf Jahre nach Einführung von Hartz IV sind zentrale Punkte der Arbeitsmarktreform noch immer eine Baustelle. Hörbar
frustriert fordert CSU-Chef Horst Seehofer, Hartz IV müsse "generell einer Revision" unterzogen werden. Das klingt schon fast
nach der von der Linkspartei geforderten Totalrevision. "Was damals nächtens im Vermittlungsausschuss
zusammengezimmert wurde, ist absoluter Murks", meint Seehofer.
Dem würden die höchsten deutschen Richter wohl höchstens aus Höflichkeit widersprechen. Bereits 2007 hatte das
Bundesverfassungsgericht die Konstruktion der Jobcenter für grundgesetzwidrig erklärt, vor wenigen Tagen folgte ein
ähnliches Urteil über die Berechnung der Regelsätze für das Arbeitslosengeld II.
Trotz Seehofers Forderung nach einer Generalrevision wird Hartz IV im Grundsatz jedoch zweifellos unangetastet bleiben.
Denn die Konstruktion hat erhebliche Vorteile: Sie garantiert, dass Politiker immer wieder gegen die angebliche Faulheit der
Alg-II-Empfänger zu Felde ziehen können. "Wenn man in Deutschland schon dafür angegriffen wird, dass derjenige, der
arbeitet, mehr haben muss als derjenige, der nicht arbeitet, dann ist das geistiger Sozialismus", sagt FDP-Chef Guido
Westerwelle. Sinken die Löhne, wird Hartz IV gekürzt. So einfach ist das.
In eine ähnliche Kerbe schlug der hessische Ministerpräsident Roland Koch, als er eine Arbeitspflicht für Hartz-IV-Empfänger
forderte. Diese seien zwar nicht alle faul, das weiß der CDU-Politiker immerhin. "Aber es ist völlig unbestritten, dass eine
deutlich sichtbare Minderheit das bestehende System ausnutzt."
Hartz IV garantiert, dass Langzeitarbeitslosigkeit weiterhin als individuelles Versagen, nicht als gesellschaftliches Problem
diffamiert werden kann. Für die Politik ist das eine erhebliche Entlastung: Sie kann über Regelsätze streiten statt über
Problemlösungen.
Solch ein Streit wäre jedoch aller Ehren wert. In fast allen Parteien wird über das bedingungslose Grundeinkommen diskutiert.
Diese Debatte gehört in die Parteitage und ins Parlament. Man stelle sich vor: Die FDP streitet mit den Grünen darüber, ob
das liberale Bürgergeld sinnvoller ist als die grüne Grundsicherung.
Es ist eine Frage des Menschenbildes. Westerwelle meint: "Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu
spätrömischer Dekadenz ein." Das liberale Menschenbild, heißt es im jüngsten Wahlprogramm der FDP, beruht "auf freier
Selbstbestimmung". Das gilt wohl nur für die dekadente Oberschicht.
Adresse:
http://www.n-tv.de/politik/politik_kommentare/Der-falsche-Streit-article725091.html