Sie sind auf Seite 1von 2

Liebe .. . !

Der Friede und die Gnade Gottes seien mit Dir. Deinen Brief habe
ich erhalten. Schon lange hast Du mir nichts mehr über Deinen
Zustand geschrieben. Ich freue mich über das, was Du schreibst,
wenn Du es tatsächlich so erlebt hast. Es kommt nämlich oft vor,
daß man seine Träume schildert oder etwas, das man gelesen oder
gehört hat. Was Du schreibst, ist für einen Menschen, der auf dem
rechten geistlichen Pfad wandelt, gesetzmäßig. Suche Dein Heil,
arbeite, bete, bewahre Frieden mit allen; richte niemanden,
sondern habe mit allen Erbarmen.
Diejenigen aber, die offensichtlich sündigen, sollst Du nicht
verurteilen: Bitte den Herrn darum, er möge Ihnen vergeben und
ihnen Vernunft schenken.
Das Maß des geistlichen Wachstums des Menschen ist seine
Demut. Je höher er im Geiste steht, desto demütiger ist er, und
umgekehrt. Nicht die Gebetsregeln, nicht die Verbeugungen, nicht
das Fasten und auch nicht das Lesen von Gottes Wort bringen uns
Gott näher, sondern die Demut. Ohne sie sind alle, auch die
größten, asketischen Glaubenstaten nicht nur unnütz, sondern sie
können den Menschen geradezu ins Verderben stürzen. In unserer
Zeit aber kann man beobachten, daß einer, kaum hat er ein
bisschen mehr gebetet, den Psalter gelesen oder die Fasten
eingehalten, sich den anderen gleich überlegen fühlt, die
Mitmenschen richtet, sie ungefragt zu belehren anfängt usw.
Dadurch beweist er aber gerade seine geistliche Leere und zeigt,
daß er weg von Gott "in ein fernes Land" gezogen ist. Hüte Dich
vor Eigendünkel, vor einer guten Meinung von Dir selbst. Der Herr
Jesus Christus sagt, auch wenn wir alle Vorschriften einhielten,
sollten wir uns für unnütze Knechte halten, die nur das getan
haben, was uns aufgetragen ist. Das Heil aber ist eine Gottesgabe:
das "geängstigte - das demütige - und zerschlagene Herz" (Ps 51,
19). Bitten wir deshalb den Herrn um Demut. Richten des
Nächsten und Empfindlichkeit sind damit unvereinbar. Wenn wir
über andere urteilen oder gekränkt sind, sobald uns jemand
beleidigt, sind wir sehr weit von der Demut entfernt. Die heiligen
Asketen dankten jenen ganz aufrichtig, die ihnen eine Beleidigung
oder eine Kränkung zugefügt hatten, da sie dadurch Demut üben
konnten.
Die Muttergottes bestätigt, daß Gott sie wegen ihrer Demut
auserwählt hat. Der Erlöser selbst ruft uns alle auf, von seiner
Demut zu lernen - nicht vom Fasten oder vom Gebet, nicht einmal
von der Nächstenliebe, sondern eben von der Demut. Durch sie
allein wird der Mensch mit dem Herrn eins im Geiste, mit dem
Herrn, dessen Demut bis zum Erleiden von Bespucken, von
Schlägen, ja des Kreuzestodes gereicht hat. Selbstverständlich
sind wir verpflichtet, auch alle Gebote aus vollen Kräften
einzuhalten, aber ich wiederhole nochmals, saß sie ohne Demut
unnütz oder schädlich sind. Versteh mich nicht falsch.
Schenke Dir der Herr Vernunft! Er bewahre Dich vor Der Hinterlist
der sichtbaren und der unsichtbaren Feinde und segne Dich.
http://www.scribd.com/doc/27159986/Briefe-Eines-Russischen-Starzen-an-
Seine-Geistlichen-Kinder

Das könnte Ihnen auch gefallen