Von London nach Kabul: Auf dem Weg zu einer neuen Afghanistan-Strategie?
Auf der internationalen Afghanistan-Konferenz in London am 28.01.2010 haben sich
internationale Regierungen, die Vereinten Nationen und die afghanische Regierung auf
Elemente einer neuen Afghanistanpolitik verständigt. Im Vordergrund standen neue
Initiativen zur Reintegration von Widerstandskämpfern und zum weiteren Ausbau der
afghanischen Sicherheitskräfte. Außerdem wurde für die nächsten 12 bis 18 Monate
verstärkter militärischer Druck auf die Aufständischen angekündigt. Die im Vorfeld
angekündigten detaillierten Pläne für eine Verstärkung des zivilen Aufbaus ("civilian surge")
wurden jedoch auf eine Folgekonferenz in Kabul ca. im Mai oder Juni dieses Jahres
verschoben. Internationale Hilfsorganisationen wie Oxfam fordern im Hinblick auf diese
Konferenz die Bundesregierung und die internationale Gemeinschaft auf, ihr künftiges ziviles
Engagement in Afghanistan konsequent auf die Bekämpfung der Armut, und den
Militäreinsatz auf den Schutz der Zivilbevölkerung auszurichten. Die angekündigte neue
internationale Strategie für den zivilen Aufbau muss überprüfbare Ziele und Messgrößen und
transparente Überprüfungsmechanismen enthalten. Zivile und militärische Aktivitäten
müssen vollständig voneinander getrennt werden.
-1-
3) Keine Militarisierung von Entwicklungshilfe
Militärs dürfen nur in genau definierten Ausnahmefällen selbst Nothilfe durchführen oder sich
selbst in der Entwicklungshilfehilfe engagieren2. Sie dürfen außerdem keinen Druck auf
unabhängige Hilfsorganisationen ausüben, mit dem Militär zu kooperieren. Die Erfahrung
unabhängiger Hilfsorganisationen in Afghanistan zeigt: Sobald Entwicklungshilfe nicht mehr
als unparteilich, sondern als Teil einer Militärstrategie wahrgenommen wird, werden
Einheimische und Helfer leicht zum Ziel bewaffneter Angriffe. Die innerhalb des ISAF-
Einsatzes gängige Vermischung von militärischem und zivilem Mandat verstößt nicht nur
gegen die anerkannten humanitären Prinzipien, sondern auch gegen eigene NATO-
Richtlinien, wonach humanitärer Hilfe nicht dazu eingesetzt werden darf, um politische Ziele
zu erreichen oder um "hearts and minds" zu werben3 Im krassen Gegensatz dazu wird
jedoch in einem aktuellen Handbuch der US-Armee Hilfe als "nicht-tödliche Waffe" bei der
Aufstandsbekämpfung bezeichnet4. Ein Angestellter der Provinzregierung in Daikundi
äußerte in einem Gespräch mit den Autoren der von Oxfam, Care und weiteren NRO
herausgegebenen aktuellen Studie "Quick Impact, Quick Collapse. The Dangers of
Militarized Aid in Afghanistan": "Wir sind zwar äußerst arm und wir benötigen dringend
Entwicklungsprojekte, aber wir wissen, dass überall dort, wo internationale Truppen
hingehen, ihnen die Taliban folgen."5
Die 2008 von UN, ISAF, ANA und in Afghanistan tätigen NRO im August 2008
beschlossenen "Guidelines for the Interaction and Coordination of Humanitarian Actors and
Military Actors in Afghanistan"6 regeln klar das Verhältnis von militärischen und zivilen
Akteuren, wurden bislang aber von Seiten des Militärs noch nicht ausreichend umgesetzt.
Deutschland sollte sich dafür einsetzen, dass dies unverzüglich geschieht. Entsprechend
sollten auch die "Regionalen Wiederaufbauteams" (PRT) auf ihr ursprüngliches Mandat
beschränkt werden, ein sicheres Umfeld für den zivilen Aufbau zu schaffen und die
afghanischen Sicherheitskräfte auszubilden. Im Gegensatz zur aktuellen Praxis sollten PRTs
keine zivilen Aufbauprojekte selbst durchführen, finanzieren oder koordinieren und sie
müssen stets die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit von Hilfsorganisationen respektieren.
-2-
6) Militäreinsatz konsequent auf den Schutz der Zivilbevölkerung ausrichten
Die ISAF-Schutztruppe muss sich ausschließlich auf ihr UN-Mandat beschränken und tun,
was Soldaten am besten können: für die Sicherheit der Bevölkerung sorgen, ein sicheres
Umfeld für den zivilen Aufbau schaffen und das afghanische Militär ausbilden (siehe auch
Position 3 zu PRTs).
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1
vgl. Afghanaid, Care, Oxfam u.a.: "Quick Impact, Quick Collapse - The Dangers of Militarized Aid in Afghanistan", Januar 2010, S. 2,
http://www.oxfam.de/download/20091127_QuickImpactQuickCollapse_158kb.pdf
2
"Guidelines for the Interaction and Coordination of Humanitarian Actors and Military Actors in Afghanistan",
http://www.afgana.org/showart.php?id=323&rubrica=223
3
PRT Executive Steering Committee, PRT Policy Note 3 vom 22.02.2007, http://www.unamagroups.org/kabulprtworking group
4
vgl. Quick Impact, Quick Collapse…", S. 1/2
5
vgl. "Quick Impact, Quick Collapse…", S. 4
6
siehe Anmerkung 2
7
Bei einer Rede beim NATO-Verteidigungsministertreffen in Istanbul vom 5.2.2010
8
Afghan Women's Network: Reaction from Afghan Women Civil Society Leaders to the Communiqué of the London Confererence on
Afghanistan, 29.01.2010