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Publiziert in: Apostolopoulos, N.; Mussmann, U.; Rebensburg, u.a. (Hrsg.

): Grundfragen Multimedialen
Lehrens und Lernens – E-Kooperation und E-Praxis. Tagungsband der GML 2010 vom 11.-12. März in
Berlin. S. 14-18

Open (e-)Cooperation - Ein Erfahrungsbericht zu Formen der Zusammenarbeit


von Hochschullehre und Unternehmenspraxis

Prof. Dr. Andrea Back, Universität St. Gallen, Competence Network Business 2.0 IWI-HSG

Offene Kultur in der Zusammenarbeit von Hochschule und Praxis ist etabliert

Dass Unternehmen und Hochschule eine Kultur pflegen, die offen für Kommunikation und
Zusammenarbeit in Lehre, Forschung und Dienstleistung ist, hat eine lange Tradition. Beispiele - nicht nur
in den Wirtschaftswissenschaften - sind Gastvorträge und Praxisfallstudien in der Lehre bis hin zu
Projektseminaren, in denen die Studierenden Beratungsleistungen im Dialog mit
Unternehmensvertretern erbringen. Praktikanten bzw. Werkstudierenden-Plätze werden von
Unternehmen oft mit Aufgabenstellungen verbunden, die Studierende dann in Bachelor- und
Masterarbeiten vertiefen. Schliesslich sind in der Forschung Konsortialprojekte verbreitet, in der sich
eine oder mehrere akademische Organisationen und verschiedene Unternehmensvertreter
zusammentun, um über längere Zeit an einem umfassenden Forschungsthema gemeinsam zu arbeiten.

Die Web-2.0-Innovationen bringen eine (R)evolution der Offenheit in der Zusammenarbeit mit sich

Die Web-2.0-Anwendungen – häufig wird auch von Social Media gesprochen - beruhen auf Prinzipien,
die eine neue Qualität und neue Formen der Offenheit darstellen. Begriffe wie Open Source, Open
Access, Open Innovation und Open Co-Development belegen, dass wir es mit einer regelrechten
Openness-Bewegung zu tun haben. In weiteren durch das Web 2.0 populär gewordenen Begriffen wie
Collective Intelligence, Crowdsourcing und Communities wird deutlich, dass die „Architektur des
Partizipation“, in der die neueren Nutzungsformen des Web 2.0 gestaltet sind, sowohl die Öffnung von
Kommunikations- als auch von Collaboration-Prozessen betrifft. Diese Öffnung hat innovativen
Charakter, teils von disruptiver Qualität, d.h. bestehende Praktiken werden in Frage stellt. Zum
Schwerpunktthema „E-Kooperation und E-Praxis“ im Kontext von Lehren und Lernen passt es deshalb
gut, das Augenmerk einmal darauf zu richten, wie diese „Openness (R)Evolution“ der Web-2.0-Bewegung
die etablierten Formen der Zusammenarbeit von Hochschule und Unternehmen verändern oder durch
Neuerungen bereichern kann.

E-Kooperation gestaltet sich durch Offenheit 2.0 anders – und auch besser?

Veränderungen müssen sich der Frage stellen, ob sie Probleme lösen oder zu Verbesserungen führen. In
den Wirtschaftswissenschaften misst man gerne die Steigerung der „Performance“. Wir könnten die
Frage diesbezüglich herausfordernd so formulieren: Führt die neue Offenheit zu „Hochleistungslernen
auf Gegenseitigkeit“? Nur, wie messen wir Leistung beim Lehren und Lernen, wann sprechen wir von
Hochleistung? Antworten darauf werden entsprechende Forschungsprojekte bringen, sobald ein
Reifestadium erreicht ist, welches aber noch nicht abzusehen ist.

Als Ausgangspunkt für die weiteren Ausführungen sollen deshalb einige grundlegende Überlegungen
genügen. Mit dem Informationstechnik-Einsatz 1.0 verbindet man Automatisierung, d.h. auch den Ersatz
menschlicher Tätigkeit durch computergestützte Anwendungen. Bei den Web-2-0-Anwendungen
erkennt man eher die Entfesselung und Aktivierung menschlicher Mitarbeit als deren Weg-
Rationalisierung; ein Unternehmer, F. Roebers, formulierte über seine Enterprise-2.0-Kultur: Unser Wiki-
Intranet beseitigt die Barrieren der Mitarbeit1. Daran wird deutlich, wie wenig Web-2.0-Anwendungen als
Automaten, als selbstlaufende Softwaremaschinen zu verstehen sind, sondern als Zusammenspiel von
„Mensch – Technik – Organisation“. Wir widmen uns deshalb der Betrachtung, wie und welche neuen
Formen der (Zusammen)Arbeitsorganisation angesichts der Tatsache entstehen, dass der Mensch sich
dem Wesen nach nicht ändert, die Technik - das „E“ bzw. „das Web“ - sich dagegen rasant entwickeln.
Der Schwerpunkt der Betrachtung bei den folgenden Beispielen liegt also darauf: Wie ist E-Kooperation
im Kontext von Lehre und Lernen innovativ organisiert und lebendig, weil das Zusammenspiel von
menschlichem Verhalten und neuen Technologien funktioniert?

Wissen über E-Kooperation und E-Praxis in 2.0-Kultur gewinnt man durch Ausprobieren

Im Web 2.0 gilt unter dem Prinzip „Perpetual Beta“, dass man Anwendungen früh in die Welt setzt,
kontinuierlich weiterentwickelt und ergänzt („Innovation in Assembly“), falls sie sich als erfolgreich
erweisen. Man hält sich nicht mit einem langwierigen Entwurfs- und Evaluationsprozess bis zur
vermeintlich fertigen, perfekten e-Anwendung fern von den Anwendern auf. Die Anbieter bringen eine E-
Anwendung heraus und schauen was passiert; d.h. der experimentelle Prototyp wird ins offene Internet,
in die „freie Wildbahn ausgesetzt“ und bleibt nicht hinter Laborwänden eingesperrt.

Im Geist dieser Haltung sind auch die im folgenden vorgestellten Beispiele für E-Kooperation 2.0 und E-
Praxis 2.0 im Umfeld von Lehre und Lernen zu verstehen: Es sind noch holzschnittartig gebaute Modelle
für spätere ausgereiftere Varianten der E-Kollaboration-Praktiken, an denen Erfahrungen im Feld
gesammelt werden. Besonderes Augenmerk liegt darauf, das Neue und disruptiv Innovative an der
Zusammenarbeitspraxis und ihren Ergebnissen an der praktischen Umsetzung anschaulich zu machen.
Die Projektbeispiele stammen aus dem Wirkungskreis der Vortragenden; sie erheben somit keinen
Anspruch auf Vollständigkeit hinsichtlich der denkbaren Zusammenarbeitspraktiken. Die noch jungen
Projekte sollen eine Diskussion anregen, wie weit die "Openness R(E)olution" greift und angreift sowie
wo die 2.0-Neuerungen nicht „kreativ zerstören“, sondern mit den eingangs genannten bewährten
Kooperationsformen eine Verbindung mit dem Charakter einer kontinuierlichen Weiterentwicklung
eingehen.

1
http://www.business20.ch/2008/07/25/wiki-als-intranet-so-raumt-man-hurden-fur-die-mitarbeit-aus-dem-weg-
teil-1-von-9/
Beispiele für E-Kooperation und E-Praxis in 2.0-Kultur

Es liegt in der Natur des Web, dass Anwendungen für sich selbst sprechen. Da die Websites offen
zugänglich sind, lassen sich die Projektbeispiele durch das Aufsuchen der genannten Websites studieren.
Das Neuartige, die Bauprinzipien und Wirkmechanismen, kann man nicht durch Anlesen lernen, sondern
nur durch Erleben, indem man sich als Nutzer verhält. Zum reinen Lesen der Websites muss noch etwas
hinzukommen: Das Nutzen ist ein Lernprozess, der gewisse Zeit in Anspruch nimmt. Zum Beispiel kann
man das Online-Lexikon Wikipedia nur in seinem innovativen Charakter erfassen, wenn man diese
Website nicht nur über eine gewisse Zeit als Lesende/r nutzt, sondern diese auch insbesondere als
Mitautor kennen gelernt hat2.

Die Projektbeispiele gliedern sich nach Kernaufgaben in der Wissensvermittlung: In der Lehre sind dies
vor allem die Lehrveranstaltungen und die Weiterbildungs-Seminare. Wissenskommunikation findet aber
auch durch von der Academia organisierte Fachzeitschriften statt und mittels Publikation von
Fachbüchern.

1. Offene Lehrveranstaltungen für Unternehmensvertreter als Dozierende und Lehrmaterial-


Empfehlende
a) Wissensblog www.business20.ch mit Video-Interviews zu Fachinhalten
b) Offener Klassenverband in einer Microblogging-Community: „Twitter – Begegnung mit
altbekannten Lernsituationen“ (Vortrag an der Learntec 2010 - siehe
http://www.slideshare.net/andreakback)

2. Community-Plattformen als für Zaungäste offenes Weiterbildungs-Seminar: Emerging Course-


and Alumni Platform http://hsg-business20.ning.com

3. Offene Fachzeitschrift für Fallbeispiele, Meinung und Dialog: WissensWert Blog Carnival
www.wissenscarnival.org

4. Offen für „Co-Creation“ im Entstehungsprozess von Fachbüchern: Mit Wiki-Software und in


Wiki-Kultur entstandene Bücher (Forschungsprojekt „Web-2.0-Wege zum Fachbuch“)

5. Offene Gruppen- und Teamarbeitsräume im Web für die Zusammenarbeit von Studierenden,
Dozierenden und Unternehmensvertretern (z.B. 37signals Basecamp, Google Sites,
Yahoo!Groups, Zimbra, Zoho, )

Fazit und Thesen für die Diskussion

2
http://www.business20.ch/2008/08/01/wie-vom-donner-geruhrt-vom-wiki-selbstregelungsmechanismus-teil-2-
von-9/
Die Web-2.0-Bewegung ist mit einer Openness-(R)Evolution verbunden. Sie bringt neue Formen der E-
Kollaboration und E-Praxis auch im Verhältnis von Hochschule und Praxis hervor, die zu den bewährten
hinzukommen, diese aber auch erneuern werden. Die in der 2.0-Kultur gestalteten Formen
unterscheiden sich hinsichtlich der Werthaltungen und Gestaltungsprinzipien, der Prozesse und Rollen
der Beteiligten so stark von herkömmlichen webbasierten Zusammenarbeitsformen, dass disruptive
Innovation vorliegt. Etablierte Ordnungen und Hierarchien brechen auf und bislang klare Grenzen von
Organisationseinheiten werden stark durchlässig. Kontroverse Einstellungen zu geistigem Eigentum
(Copyright/Plagiat, Gratis-Kultur) prallen aufeinander. Wie die Leistung und Qualität von Lehre und
Lernen dadurch beeinflusst werden, was als Veränderung und wie „gemessen“ werden kann, sind
Fragen, die als Forschungsthema im Fluss bleiben. In frühen Phasen des Technologie-Lebenszyklus sieht
sich die Forschung besonders dem Anspruch gegenüber, die Phänomene nicht nur empirisch-deskriptiv
zu erfassen, sondern auch Aktionsforschung zu betreiben. Dem in der Wirtschaftsinformatik verbreiteten
Design-Research-Ansatz gemäss werden interdisziplinär Erkenntnisse erarbeitet, die für die Gestaltung
und das Management der Anwendungssysteme als soziale Systeme - mit den Komponenten Mensch-
Technik-Organisation und Veränderung – nützlich sind.

Einstiegsliteratur zu Web-2.0-Kollaboration und –Praxis in Unternehmen

Back, A.; Gronau, N.; Tochtermann, K. (Hrsg.): Web 2.0 in der Unternehmenspraxis. Grundlagen,
Fallstudien und Trends zum Einsatz von Social Software. 2. Aktualisierte Auflage, München: Oldenbourg
2009.

Aktuelle Fallstudien (Deutsch und neuerdings auch Englisch): Enterprise 2.0 Fallstudiennetzwerk
www.e20cases.org

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