Günter Terhalle
Randgebiete jenseits der Bahn zu Stiefkindern der Stadtentwicklung wurden. Trotz der
in den ersten zwanzig Jahren dieses Jahrhunderts notwendig gewordenen
Gleiskörperhebungen und Straßenunterführungen — die im übrigen erst nach einer fast
endlosen Diskussion um die Finanzierung und nach nervenaufreibendem
Kompetenzgerangel zwischen der Eisenbahnverwaltung, der städtischen Administration
und den Bürgervereinen geschaffen wurden — sowie der Zusammenlegung der beiden
ehemaligen Bahnhöfe zum jetzigen Hauptbahnhof stören die Bahnlinien auch heute
noch den städtischen Zusammenhang. So sprechen zum Beispiel auch heute noch viele
Osnabrücker bezogen auf den Schinkel von der „Stadt hinter der Bahn“.
Im Gefolge der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch das exponentielle
Wirtschaftswachstum bedingten rasanten Stadtentwicklung wurde der Ausbau und die
Gestaltung der Innenstadt- und Ausfallstraßen mit Nachdruck vorangetrieben, um gute
Verkehrsverbindungen zum näheren Umland zu garantieren. So wurde zum Beispiel
1893 eine Regelung ins Leben gerufen, die die Pflasterung öffentlicher Straßen bei
Schaffung von Bürgersteigen vorsah. Weniger erfolgreich hingegen gestaltete sich der
Aufbau eines öffentlichen Personennahverkehrssystems, obwohl bei steigender
Bevölkerung und flächenmäßiger Zunahme ein dringender Bedarf ausgemacht wurde.
Verschiedene Versuche, dieses Problem in den Griff zu bekommen, scheiterten: Nach
ersten Versuchen mit einer Pferdebahn, die später durch eine dampfbetriebene Tram
abgelöst wurde, setzte sich 1906 endlich die elektrische Straßenbahn als wichtigstes
öffentliches Personennahverkehrsmittel durch. Sie nahm ihren Betrieb zunächst jedoch
nur im innerstädtischen Bereich auf. Aufgrund dieser offensichtlich unzulänglichen
Situation trat ein unerwünschter Nebeneffekt auf: Viele Menschen versuchten, sich
möglichst nah an der Kernstadt anzusiedeln, was zu einer stark gedrängten Bebauung
mit minimalen städtischen Freiräumen führte.
Bedeutender Verkehrsknotenpunkt
Weitere Planungsvorhaben und -ideen waren: Erweiterung des Straßenbahnnetzes,
Ausweitung der Autobuslinien (was eine gewisse Konkurrenz zur Straßenbahn dar-
stellte), Integration des Hafens durch Anschluß an das Straßen- und Eisenbahnnetz
(woraufhin später die Hansastraße entstand) sowie der Bau einer aufwendigen Stadt-
autobahn und eines Flughafens. Letztere beide wurden — vorwiegend aus finanziellen
Gründen — alsbald verworfen. Insgesamt schätzte die Stadtverwaltung Ende der
1920er Jahre die allgemeine, überregionale Verkehrslage von Osnabrück als äußerst
vorteilhaft ein, da die Stadt als bedeutender Verkehrsknotenpunkt mittlerweile gute
Verbindungen zu allen europäischen Handels- und Industriezentren sowie einen An-
schluß an das nationale und damit auch internationale Schiffahrtsnetz besaß und somit
günstigste Voraussetzungen für die weitere Stadtentwicklung geschaffen worden waren.
Autogerechte Stadt
Dies alles war aber erst ein Vorspiel: Nach dem zweiten Weltkrieg — Osnabrück war
zu 70, die Innenstadt gar zu 85 Prozent zerstört und bot somit ein El Dorado für
Stadt(neu)planer — kam der ungehemmte Ausbau des Straßenverkehrsnetzes zugunsten
des motorisierten Individualverkehrs als oberstes Prinzip zum Tragen.
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EINE STADT UNTER RÄDER N— VERKEHR IN OSNABRÜCK
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B. EINE STADT KOMMT UNTER DIE RÄDER — VERKEHRSINWICKLUNG IN OSNABRÜCK
Doch die Administration setzte sich über alle Widerstände hinweg. Der Umstand, daß
die Gegner des Wallumbaus völlig unorganisiert auftraten, machte es der Stadt auch
leicht, ihre Planungen rigoros umzusetzen. Im Jahre 1958 verwandelte sich der grüne
Wallring nach einer „Blitzaktion am Wall“ und einem „zweiten Nachtangriff“ (so die
Schlagzeilen in der Lokalpresse) endgültig in eine „Stadtautobahn“.
− 1964 wurde der erste Abschnitt des Neumarkttunnels eröffnet — die Fußgänger
wurden dem Autoverkehr zuliebe unter die Erde verbannt!
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EINE STADT UNTER RÄDER N— VERKEHR IN OSNABRÜCK
− Mit der Fertigstellung der „Hansalinie“ im Jahre 1968 bekam Osnabrück einen
Anschluß an das bundesdeutsche Autobahnnetz.
Die Prioritäten des städtebaulichen Konzepts lagen demnach weiterhin darin, den
Bedürfnissen des motorisierten Individualverkehrs nachzukommen. Zu ergänzen ist in
diesem Zusammenhang, daß 1960 der Betrieb der Straßenbahn aus, wie es hieß,
Rentabilitätsgründen eingestellt und die Personenbeförderung auf Omnibusse umge-
stellt wurde. Auch diese Entscheidung beruhte auf dem Generalverkehrsplan von 1956,
der die „Erfordernisse und Entwicklungstendenzen des Verkehrs durchleuchtete und das
System der Weiterentwicklung des Verkehrsnetzes und seines weiteren Ausbaus“
aufzeigte.
2 Dieser Text wurde verfaßt für die Broschüre „Osnabrück – Menschen erkunden ihre Stadt“,
herausgegeben von der Dritte Welt Bilanz (Stadt Osnabrück, terre des hommes, Aktionszentrum
Dritte Welt), Osnabrück 1995
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