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Berner Fachhochschule

Kompetenzzentrum Public Management und E-Government

Fachzeitschrift «eGov Präsenz»


Ausgabe 1/2010

Dokumentenmanagement und
Langzeitarchivierung

«eGov Präsenz»
Unternehmer und Nationalrat Ruedi Noser:
«Ich plädiere für einen nationalen CIO mit weit-
reichenden Kompetenzen»
«In Standardisierungsfragen müsste die Schweiz
anfangen, grossräumiger zu denken» – Christian
Mühlethaler, Stadtschreiber in Bülach
«Wichtig ist, wie man etwas kommuniziert, in welchen
Kontext man Dinge stellt» – Markus Hinterhäuser,
Konzertchef der Salzburger Festspiele
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Leitartikel 1

Innovation! Partizipation! Exzellenz!


Reinhard Riedl

Prof. Dr. Reinhard Riedl sondern priorisierte Teilziele werden ganz det, die zur Emergenz eines intelligenten
Herausgeber «eGov Präsenz» und Leiter
Kompetenz­zentrum Public Management
realisiert. Die regelmässigen Praxistests Verhaltens führen. «Emergenz» steht so für
und E-Government der Zwischenprodukte durch die End­ die Abkehr von den durchgeplanten, regel-
reinhard.riedl@bfh.ch benutzer garantieren zusätzlich, dass die basierten Systemen der alten künstlichen
Ergebnisse am Ende echten Praxisnutzen Intelligenz. An und für sich sind ungeplante
bringen – und dass Designfehler meist Wachstumsprozesse in der Informatik et-
schon: in der Frühphase des Projekts kor- was sehr Unschönes. Leider sind sie in der
Kann E-Government die Innovation in Be- rigiert werden können. Praxis kaum vermeidbar. Die hohe Kunst
hörden fördern? Soll es das? Darf es das Agile Methoden sind für die Weiterent- des pragmatischen Architekturmanage-
überhaupt? An diesen Fragen scheiden wicklung des Dienstleistungsangebots im ments ist es darum, das Wachstum sanft
sich die Geister. Web genauso geeignet wie für grössere so zu steuern, dass Denkbarrieren über-
Unter E-Innovation kann man vieles ver- ­E-Government-Vorhaben, zum Beispiel wunden werden und geordnete (reife)
stehen: neue E-Dienstleistungen, Prozess- die Entwicklung einer Infrastruktur für ei- Strukturen «emergieren».
integration zwischen Behörden, die Nut- nen virtuellen Wirtschaftsraum Schweiz. In
zung strategischer Führungssysteme etc. beiden Fällen erhöhen sie sowohl Entwick- Die Steuerung der Emergenz
E-Innovationen sind auf allen Verwaltungs- lungsgeschwindigkeit als auch Nachhal- mittels Visionen
ebenen möglich. Naturgemäss sind sie in tigkeit. Es ist allerdings nützlich, wenn die Um eine geleitete Emergenz im E-Govern-
Grossbehörden häufiger. Dass es in der Auftraggeber eine agilitätskompatible Hal- ment zu ermöglichen, empfiehlt es sich,
Schweiz aber gerade kleinere bis mittel­ tung einnehmen: Das Bereitstellen von Fa- ein Führen mit Visionen zu praktizieren. Mit
gros­­se Gemeinden sind, die Führungscock- chexpertinnen und -experten aus dem Ge- Visionen meine ich klar formulierte Eigen-
pits einführen, zeigt, dass E-Innova­tion an schäftsbereich für die Mitarbeit im Projekt schaften der zukünftigen Organisation, für
der Peripherie oft leichter ist als im Zentrum. und Praxistests mit den zukünftigen Nut- die es a priori keine konkreten Umset-
Zwei Formen der Innovation haben im zenden während des Projekts sind von zungspläne gibt. Beim Führen mit Visionen
­E-Government besondere Bedeutung: die entscheidender Bedeutung für den Erfolg gibt die Unternehmensleitung das zukünfti-
permanente Weiterentwicklung des Dienst- agiler Methoden. ge WAS und die Handlungsgrundsätze des
leistungsangebots mit agilen Methoden Unternehmens vor, ohne Beschreibung
und eine langfristige, auf Emergenz basie- «Geleitete Emergenz» als des WIE. Dieses WIE muss vom Kader ent-
rende, grundsätzliche Umgestaltung der Führungsziel wickelt werden, indem jeder in seinem Be-
Behördenstrukturen. Diese beiden Innova- «Emergenz» bedeutet ein Entstehen, das reich für seine Aufgaben das WIE konkreti-
tionsformen stehen einander diametral ge- nicht geplant ist, sondern durch die Rah- siert.
genüber, doch es gilt, beide zu nutzen. menbedingungen gefördert und geleitet Das funktioniert nur, wenn Vorgesetzte
wird. Die Entwicklung von Staatsarchitektu- ihren Mitarbeitenden klare Aufgaben ge-
«Agilität» als Führungsmethode ren soll in die richtigen Bahnen gelenkt und ben und im direkten Gespräch prüfen, ob
Der Begriff «agil» steht für eine Schar von die Nachhaltigkeit sichergestellt werden. diese die Aufgaben vollumfänglich verstan-
Entwicklungsmethoden, die mit kurzen Zy- Insbesondere soll eine Anpassung an zu- den haben. Wichtig ist, dass allen Kader-
klen arbeiten, grossen Wert auf Erfolg bei künftige Bedürfnisse und technische Mög- mitgliedern ein ihrer Position entsprechen-
Endbenutzern legen und eine spezielle lichkeiten vereinfacht werden. Das «Moving des Mass an Kreativität zugebilligt und
Form von transparenter Führung praktizie- Target» dabei ist die Optimierung des Infor- abgefordert wird.
ren. In agilen Projekten wird enger geführt mationsmanagements nach Massgabe ver- Im E-Government liegt die Aufgabe, Visi-
als in konventionellen Projekten, aber zu- schiedener Randbedingungen. Diese sind onen zu formulieren, bei den Architekten.
gleich sind die kreativen Freiheiten wohlde- vor allem die technischen Möglichkeiten, Wie bei agilen Methoden sind auch bei der
finiert, und die Akteure erhalten regelmä- der Reifegrad der Organisation und die losen Steuerung von Emergenz die Fach-
ssig Feedback zu ihren Leistungen. In der Fachkompetenzen der Mitarbeitenden  – kompetenz der Mitarbeitenden und eine
Praxis führt das zu mehr Arbeitsspass und und sie sollen sich selber bei der Opti­ präzise Kommunikation von entscheiden­
einer besseren Stimmung in den Teams. mierung des Informationsmanagements der Bedeutung. Die Führungspersonen
Agilität implementiert das klassische weiterentwickeln! Anstatt all dies durch­ müssen inhaltlich in der Sache kompetent
Transparenzprinzip der Informatik auf Pro- zuplanen, ist es sinnvoller, die Emergenz sein, Architekturkonzepte verstehen und
jektebene: Die Entwicklungszyklen der vernünftiger Grundstrukturen zu fördern. gut kommunizieren. Ein für das Team
agilen Entwicklungsmethoden können als Dafür ist eine Architektur-Zukunftsperspek- nach­vollziehbares Feedback erhöht die
Analoga der «Komponenten» in der Soft- tive notwendig, die sich von den techni- Produktivität signifikant. Doch es fordert
wareentwicklung aufgefasst werden. Die schen Einschränkungen der Vergangenheit Führungskräften viel ab.
Führung definiert und überwacht das WAS und Gegenwart löst und weit in die Zukunft
im Projekt, die Projektmitarbeitenden tra- vorausdenkt. Fehlende politische Neutralität
gen die Verantwortung für das WIE. Das Der Begriff «Emergenz» stammt unter oder die Multidisziplinarität der
WAS wird dabei in priorisierte Teilziele auf- anderem aus der neuen künstlichen Intelli- Ingenieure
geteilt. Geht das Projekt langsamer voran genz. Er wird dort im Zusammenhang mit Bei aller Innovationsfreudigkeit sollten wir
als gewünscht, wird im vorgegebenen intelligenten Wachstumsprozessen und mit uns bewusst sein: E-Government ist ers-
Zeitrahmen nicht alles teilweise realisierte, sensomotorischen Kopplungen verwen- tens Knochenarbeit und zweitens politisch

«eGov Präsenz» 1/10


2 Leitartikel

nicht völlig neutral. Es fordert ein Commit- anders als bei Christos Verhüllungen wer- Achtens Führung: Das traditionelle Füh-
ment zu hoher Fachkompetenz und zur den die virtuellen Wrapper die Strukturen ren mit Verordnungen ist im E-Government
Leistungsorientierung in der öffentlichen prägen, die sie wrappen. Dabei wird wahr- noch erfolgloser als anderswo. Einerseits
Verwaltung. Sein Ziel ist höhere Qualität scheinlich vieles dezentralisiert werden! besitzt der einzelne Behördenmitarbeiten-
der Behördenarbeit zu geringeren Kosten! Drittens Ausführung: Im Zentrum des de wesentlich mehr Information und ist
Trotz stetig wachsender Kom­plexität der ­E-Government steht die Einführung und wesentlich besser vernetzt als früher. An-
Behördenarbeit soll ein Anwachsen der Optimierung von Geschäftsprozessen. dererseits werden die Zusammenhänge
Kosten der öffentlichen Verwaltung ver­ Doch kein Überstülpen der betriebswirt- zwischen einzelnen Aktionen durch die
hindert werden. Dafür will E-Government schaftlichen Konzepte über die öffentliche Optimierung des Informationsmanage-
dreierlei tun: moderne Informations- und Verwaltung ist gefragt, sondern ein konse- ments im E-Government komplexer. Das
Kommunikationstechnologien einsetzen, quentes Weiterentwickeln der Ablauf­- stellt ganz neue Anforderungen an Füh-
Organisationsstrukturen weiterentwickeln orga­nisation. Das Wissen aus der Vergan- rungspersonen.
und die fachliche Qualifizierung der Behör- genheit darüber, wie man Behördenarbeit
denmitarbeitenden fördern. Wer dies aus gut organisiert, behält auch im E-Govern- E-Government (ver)heisst
politischen Gründen ablehnt – sei es aus ment seine Gültigkeit. Die rein E-Mail-­ Veränderung
Opposition gegen Effizienz, sei es aus Op- basierte Verwaltung wird genauso wenig Summa summarum verlangt und verur-
position gegen einen Ausbau der staatli- reüssieren wie die verschiedensten Versu- sacht E-Government umfassende Ver­än­
chen Leistungen oder sei es aus grund- che, die Verwaltungsarbeit besser zu kon- derungen und ein «Joint Venture» der tra­
sätzlicher Ablehnung von Veränderun- trollieren. Gutes E-Government ist hier ditionellen Verwaltungskultur mit der
gen –, der wird E-Government ablehnen. kein williger Erfüllungsgehilfe. Informatik. Was daraus wirklich werden
Problematischer noch: Die Logik des Viertens Kultur: Die zur effektiven Nut- wird – das heisst, wie der Staat der Zu-
­E-Government ist eine pragmatische Nut- zung von E-Government notwendige In- kunft tatsächlich aussehen wird –, können
zenlogik und wird stark von Ingenieurs- formationsorientierung der Arbeitskultur wir derzeit nur ahnen. Absehbar ist aber,
denken geprägt. Das empört viele politisch ist im wirklichen Leben bisher so selten dass die Veränderungen sogar die politi-
denkende Menschen. E-Government ba- anzutreffen, dass viele Angst vor dieser sche und administrative Entscheidungsfin-
siert zwar auf drei fachlichen Pfeilern – In- Unbekannten haben. Einige Verwaltungs- dung penetrieren werden. Bislang schei-
formatik, Rechtswissenschaft und Organi- kader werden sich aber genau dadurch terten zwar die meisten Experimente, die
sationswissenschaft – und involviert viele profilieren. versuchten, Bürgerinnen und Bürger mit
andere Fächer: Aber die Involvierung aller Fünftens Partnerschaften: Die Koopera­ Internettechnologie in die politische Ent­
nicht technischen Disziplinen ist fokussiert tion verschiedener Behörden ohne klare ge- scheidungs­findung einzubinden. Doch die
auf das praktische Lösen konkreter Prob- setzliche Regelungen stellt eine Conditio positiven ­Erfahrungen aus der Wirtschaft –
leme – und nicht auf politische Diskurse. sine qua non dar – nicht nur, aber insbeson- IBM Innovation Jam, CISCO-Ideenwettbe-
Weiters ist E-Government zwar kein dere in der föderalen Schweiz! Das wirft die werb etc. – zeigen das Potenzial auf. Ganz
neues New Public Management, jedoch Frage auf, ob E-Government nicht doch zu zu schweigen von Obamas Campaigning.
verlangt die Implementierung umfassen- einer Zwangsharmonisierung führt. Die In Zukunft wird E-Partizipation vermutlich
der E-Government-Lösungen irgendwann, Wahrheit ist, Kooperation verlangt Kompro- insbesondere auf Expertenebene das We-
dass die Leistungen einer Behörde defi- misse. Das gilt für die Behördenzusammen- sen der Politik verändern. Der Druck auf die
niert werden. Diese Leistungsdefinition arbeit im E-Government ebenso wie für Parlamentarier, sich in Sachfragen mit dem
führt eine neue abstrakte Perspektive auf ­andere Formen der Kooperation. Die kanto- Wissen der Experten zu beschäftigen, wird
die Arbeit der öffentlichen Verwaltung ein, nale Zusammenarbeit spielt im Schweizer steigen. Das wird unkonventionelle politi-
die vielerorts Widerstand hervorruft. E-Government die Schlüsselrolle. sche Karrieren ermöglichen. Anderseits
Sechstens Mitarbeiterqualifikation: werden E-Partizipation-Events die Möglich-
Modernes Management – E-Go­vernment vernichtet anspruchslose keit bieten, die Risiken von politischen Vor-
politisch unkorrekt Jobs und schafft anspruchsvolle Jobs für haben besser und schneller abzuschätzen,
Tatsächlich steht E-Government in Bezug spezialisierte Wissensarbeiter. Davon pro- weil Gruppen in der Risikoabschätzung be-
auf fast alle kritischen Organisations­ fitieren primär die Besten. Die Jungen un- sonders effektiv sind. Das wiederum wird
aspekte politisch ein bisschen neben den ter ihnen werden in Zukunft mit Computer- zu neuen Formen des Ideenventilierens
Schuhen. Es basiert auf einer Organisa­ spielen und Web 2.0 aufgewachsen sein führen, deren Effekt auf die politische Land-
tionslogik, die der politischen Welt eher und sich durch Schnelligkeit, hohe Risiko- schaft schwer abschätzbar ist.
fremd ist. bereitschaft und konsequentes Ausfiltern In dieser bevorstehenden Dynamik gilt
Erstens Strategie: Eine tief greifende von nebensächlichen Informationen aus- es, auf Bewährtes zu setzen. Frei nach
­E-Government-Einführung verlangt eine zeichnen – lauter Eigenschaften, die man Howard Gardner (und Richard Sennett)
Strategie mit klaren Zielen. Das wider- in der Vergangenheit lieber nicht hervor- sind das: handwerklich-fachliche Kompe-
spricht der politischen Überlebenslogik kehrte, wenn man Verwaltungskarriere tenz, integratives Denken, Kreativität, res-
des Sich-nicht-Festlegens und gibt politi- machen wollte. pektvoller Umgang mit den anderen und
schen Newcomern Profilierungschancen. Siebtens Innovation: Regierungen und die Bereitschaft, Verantwortung zu über-
Zweitens Struktur: E-Government wird öffentliche Verwaltungen müssen in einer nehmen. Die alte Vision von Peter Drucker,
langfristig die Organisationsstrukturen ra- sich schnell wandelnden Welt innovativer dass uns ein Zeitalter der Wissensarbeiter
dikal verändern. Die Treiberin dieser Ver- werden, um Stabilität zu wahren. Da Ver- bevorsteht, wird durch die Auswirkungen
änderung ist die Technologie. Shared Ser- netzung ein Schlüssel zur Innovation ist, der Internettechnologien Realität werden.
vice Centers sind erst der Anfang. In wird E-Government viele Innovationen Das Schlüsselwort heisst Exzellenz – auch
Europa wird es mittelfristig One-Stop-Por- prägen. Für alle jene, die unter Innovatio- im E-Government.
tale als einheitliche Ansprechpartner für nen leiden und diese als Unrecht empfin-
die Wirtschaft geben. Sie werden die Be- den, wird E-Gorvernment darum zum Herzlich, Ihr Reinhard Riedl
hörden virtuell verhüllen (wrappen), doch Symbol des Unrechts werden.

«eGov Präsenz» 1/10


Berner Fachhochschule
Kompetenzzentrum Public Management und E-Government

Call for Papers


«eGov Präsenz» 2/10: Interoperabilität und Standards
«eGov Präsenz» ist DIE Fachzeitschrift für E-Government in der Schweiz und im deutschsprachigen Ausland
(www.egov-praesenz.ch). Der Magazinteil enthält Experteninterviews, Kolumnen und aktuelle Veranstaltungsberichte. Im
Fachteil präsentieren wechselnde Autoren nationale und internationale Perspektiven der Forschung und Praxis.

Die nächste Ausgabe, 2/10, beschäftigt sich mit dem Thema Interoperabilität und Standards. Wir laden Sie ein, bis am
26. März 2010 einen Abstract zu diesem Thema einzureichen und bei angenommenem Abstract einen zwei- bis dreiseitigen
Artikel zu verfassen. Die Ausgabe 2/10 erscheint im August 2010, Redaktionsschluss ist der 28. Mai 2010.

Die Fachzeitschrift «eGov Präsenz» bietet Ihnen als Autorin oder Autor die Möglichkeit, Ihren Beitrag einem internationalen
Publikum aus Entscheidern in Politik, öffentlicher Verwaltung und Wirtschaft zu präsentieren. Ihr Beitrag kann die aufgezähl-
ten, aber auch themenverwandte Aspekte behandeln.

Themen
• Standards:
Erarbeitung, Pflege, Weiterentwicklung von Standards, Nutzenbewertungen von Standards, Standardportfolio Bildung,
Akzeptanz von Standards
• Interoperabilität:
Technische Interoperabilität, Prozessinteroperabilität, Organisations- vs. Prozessinteroperabilität, länderübergreifende
Interoperabilität, visuelle Darstellung von Interoperabilität
• Forschungserkenntnisse:
Forschungsergebnisse und deren Interpretationen, Überblicksartikel, Analysen von aktuellen Entwicklungen und
Trends sowie Aufsätze
• Innovative Projekte:
Fortschrittliche und aktuelle Vorhaben, Projekte, Problemlösungsansätze, deren Herausforderungen, Planung,
Umsetzung, Controlling und Betrieb

Einreichung der Beiträge


Bitte senden Sie Ihre Vorschläge (Abstract, ca. 1000 Zeichen) bis am 26. März 2010 an ronny.bernold@bfh.ch.

Annahme der Artikel


Die Beiträge müssen Qualität haben und dürfen keine PR-Artikel sein, sie müssen eine gewisse Praxisrelevanz aufweisen,
und Aussagen sollen wo immer möglich an Praxisbeispielen illustriert werden. Weitere Kriterien für die Annahme sind
Klarheit, Innovationsgrad und Aktualität. Es besteht keine Garantie für die Aufnahme eines Beitrages in die Zeitschrift.

Sprache
Es werden Artikel in deutscher, französischer und englischer Sprache akzeptiert.
4 Inhaltsverzeichnis

«eGov Präsenz» 1/10

Magazinteil: Innovation

Leitartikel
1 Innovation! Partizipation! Exzellenz!
Reinhard Riedl, Herausgeber «eGov Präsenz» und Leiter Kompetenzzentrum Public Management
und E-Government

Zu dieser Ausgabe
6 Herzlich willkommen im neuen Jahrzehnt – Alles bleibt beim Neuen
Ronny Bernold, Chefredaktor «eGov Präsenz», Kompetenzzentrum Public Management und E-Government
7 Die Autorinnen und Autoren dieser Ausgabe

Interview
8 «Ich plädiere für einen nationalen CIO mit weitreichenden Kompetenzen»
Ruedi Noser, Nationalrat und Unternehmer
14 «In Standardisierungsfragen müsste die Schweiz anfangen, grossräumiger zu denken»
Christian Mühlethaler, Stadtschreiber der Stadt Bülach
20 «Wichtig ist, wie man etwas kommuniziert, in welchen Kontext man Dinge stellt»
Markus Hinterhäuser, Konzertchef der Salzburger Festspiele

Kolumne
12 «Aus anderer Warte» Das Neue dringt herein mit Macht
Jürg Römer
19 Wie «verrückt» darf – oder muss – Innovation sein?
Markus Fischer
37 Web 4.0 – ein Exkurs über Emotionen und Tags
Reinhard Riedl

Zwischenruf
24 Records Management oder Misere? Vom schwierigen Umgang mit elektronischen
Unterlagen in der Verwaltung
Tilman Braun

Veranstaltungen
26 Im Fokus: «Dokumentenmanagement und Langzeitarchivierung»
Ronny Bernold, Michael Kaschewsky
28 «E-Government: das dynamischste Pferd im Rennstall der Verwaltung»
3. Nationales eGovernment-Symposium vom 17. November 2009
Ronny Bernold, Alessia Neuroni

E-Government Schweiz
30 Organisationskonzept für ein föderales E-Government Schweiz»
Klaus Lenk, Tino Schuppan, Marc Schaffroth
33 BPM – ganz praktisch!
Laurent Bagnoud, Marc Schaffroth
34 Unternehmensidentifikator für die Schweiz
Andreas Spichiger

«eGov Präsenz» 1/10


Inhaltsverzeichnis 5

Fachteil: Dokumentenmanagement und Langzeitarchivierung

Forschung / Analyse
39 Développements théoriques: l’analyse des Régimes institutionnels des ressources appliquée
à la ressource information
Mirta Olgiati
42 Langzeiterhaltung von Dokumenten aus dem literarischen Schreibprozess
Urs Richle, Alexander Wenzel, Julia Büchel, Rolf Jufer
45 Das Datenpointernetzwerk: Basisinfrastruktur für ein interorganisationales Information Sharing
Martin Brüggemeier, Sirko Schulz
48 Rechtskonforme Aufbewahrung und Archivierung aus Sicht des Wirtschaftsprüfers
Christoph Protz
50 Dokumentmanagement funktioniert nicht ohne Output-Management
Daniel Liebhart
52 Prozesse machen aus Ablagesystemen echtes Dokumentenmanagement
Markus Fischer, Christoph Bisel
54 L’E-Participation indissociable de l’E-Inclusion: «Living Labs», une démarche intégrante
Ino Maria Simitsek
56 Information Lifecycle Management: eine ganzheitliche Strategie für das Informations-
management
Sven Sauer, Iven Jainta

Praxis – Schweiz
58 Geodaten (fast) für die Ewigkeit
Krystyna W. Ohnesorge, Urs Gerber
63 Informationsmanagement und Langzeitaufbewahrung digitaler Informationen im
Gemeindeumfeld
Lukas Fässler
64 Die Einführung der elektronischen Geschäftsverwaltung (GEVER) im Eidgenössischen
Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA)
Jan P. Beekman, Bärbel Förster
66 Dokumentenmanagement und Langzeitarchivierung – es besteht Handlungsbedarf
Rudolf K. Spiess, Isabelle Grünig
68 So führte das Bildungsdepartement des Kantons Aargau die elektronischen Beurteilungs-
instrumente im PDF-Format ein
Guido Hauller, Beat Steiner
70 Von elektronischen Urkunden zu elektronischen Justizarchiven
Adrian Blöchlinger
74 Benutzerfreundliches Records Management und Einsatz von digitalen Signaturen in der
Langzeitarchivierung
Jürg Porro, Daniel Markwalder

Praxis – International
78 Aktenhaltung und Vorgangsbearbeitung werden in Brandenburg auf Ministerialebene
vollständig elektronisch
Andrea Kubath
80 Eine Referenzarchitektur für die vertrauenswürdige Langzeitarchivierung sensitiver Daten
Detlef Hühnlein, Ulrike Korte, Stefanie Fischer-Dieskau
82 Durchgängige IT-Unterstützung von Verwaltungsabläufen durch Digitales Schriftgutmanagement
Harald Schumacher, Martin Wind

Die Artikel spiegeln die persönliche Meinung des Autors/der Autorin und nicht die Meinung der Berner Fachhochschule wider.

Mitglied der

Die Berner Fachhochschule ist Mitglied der European


Foundation for Quality Management, EFQM

«eGov Präsenz» 1/10


6 Zu dieser Ausgabe

Herzlich willkommen im neuen Jahrzehnt


Alles bleibt beim Neuen
Ronny Bernold

Ronny Bernold Fachteil: Dokumentenmanage- So können seit September 2009 quali­


Chefredaktor «eGov Präsenz»,
Kompetenzzentrum Public Management
ment und Langzeitarchivierung fiziert signierte Online-Strafregisterauszü-
und E-Government Im Zuge der stetig voranschreitenden ge ausgegeben werden. Diese Neuerung
ronny.bernold@bfh.ch
computergestützten Innovation wandelt der elektronisch signierten Publikationen
sich unsere Arbeitsweise, und es entste- bringt zeitgleich aber ganze neue Bedürf-
hen ganz neue Fragestellungen. Die Infor- nisse an die Langzeitarchivierung (Blöch-
mation, von jeher zentrales Gut der Ver- linger, Seite 70). Und wiederum spielen die
waltungsarbeit, kann und wird immer Nachverfolgbarkeit und die Dokumenta­
verteilter gespeichert. Wo früher Doku- tion der Entstehung und der Zeitstände
mente oft abgeschlossene Informations- eine eminent wichtige Rolle. In der Bun-
einheiten bildeten, werden sie heute nicht desverwaltung wird momentan unter dem
selten ad hoc nach Bedarf zusammenge- Begriff GEVER flächendeckend die elekt-
baut. Die zugrunde liegenden Informatio- ronische Geschäftsverwaltung eingeführt.
Liebe Leserin, lieber Leser nen sind dabei zunehmend fragmentiert In allen Inland-Stellen des Eidgenössi-
gespeichert. Die alten Aufbewahrungs- schen Departements für auswärtige An­
Die Fachzeitschrift «eGov Präsenz» prä- und Informationsregeln gehen verloren gelegenheiten (EDA) soll bis Ende 2011
sentiert im Jahr 2010 eine kleine Neue- und wurden dabei nur selten durch neue die flächendeckende Einführung des
rung. Wie bis anhin werden wir einen Ma- ersetzt (Spiess, Grünig, Seite 66). ­Dokumentenmanagement-Systems abge-
gazin- und einen Fachteil aufweisen. schlossen sein (Beekman, Förster, Sei-
Jedoch erhält der Fachteil ein eigenes Historie und Nachvollziehbarkeit te 64). Doch bei all diesen fortschrittlichen,
Schwerpunktthema. Im Sinne des mo- als Kernanforderung zukunftsträchtigen Dokumentenverwaltun­
mentanen Wandels steht die erste Ausga- Die Speicherung und auch Archivierung gen, Informationsmanagement-Systemen
be des neuen Jahrzehnts unter dem Titel der neuartigen digitalen Daten wie etwa und Ähnlichem stellt sich Tilman Braun
Innovation. Geoinformationen (Ohnesorge, Gerber, (Seite 24) in seinem Zwischenruf die Fra-
Innovation, gemäss Duden auch Er­ Seite 58) zwingt uns umzudenken. Einer- ge, weshalb wir uns beim konkreten Um-
neuerung oder Veränderung, ist der erste seits gibt es nicht mehr das eine physi- gang mit elektronischen Daten und Doku-
Schritt zur kontinuierlichen Verbesserung. sche Original, wie es einst der Grund- menten nur allzu oft sehr schwer tun.
Denn nur die Veränderung kann neue, teil- buchplan im Aktenschrank war. Anderseits Die ausserordentlich hohe Anzahl an
weise bessere Lösungen bringen. Ohne gewinnen die Zeitbestände und damit die eingereichten Abstracts zeigte die Rele-
Innovation stagniert unsere Entwicklung! Nachvollziehbarkeit der Entstehung- oder vanz und Vielschichtigkeit des Themas.
Und gerade in der jetzigen wirtschaftlich der Mutationsschritte an Bedeutung. Nicht Wir haben bewusst verschiedene Beiträge
oft schwierigen Zeit scheint der Wille zur nur aus Sicht des Wirtschaftsprüfers mit verschiedenen Aspekten des Doku-
Innovation gross zu sein. Zumindest ver- (Protz Seite 48) oder bei einem Gerichts- mentenmanagements und der Langzeitar-
mittelt diesen Eindruck das Interview mit prozess ist die Entstehung der Daten von chivierung ausgewählt. Die Herausforde-
Herrn Mühlethaler (Seite 14), Stadtschrei- zentraler Wichtigkeit. Eine E-Mail oder ein rung bleibt, die verschiedenen Disziplinen
ber der Stadt Bülach und neues Mitglied Chateintrag im Rahmen der Dokumenten- und Sichtweisen zusammenzuführen, um
des E-Government-Expertenrats. Seiner entstehungsphase wird plötzlich äusserst letztendlich anstelle der vielen Puzzleteile
Meinung nach müssten Innovationen und relevant und sollte Jahre später wieder das Bild als Ganzes zu sehen.
verstärkt Standards «jetzt erst recht» ge- verfügbar sein. Ganz zu schweigen von di-
fördert werden! Innovationen wie das BPM gitalen Schülerbeurteilungen und elektro- Ich danke Ihnen für Ihr Interesse und wün-
Starter KIT (Bagnoud, Schaffroth, Seite 33) nischen Zeugnissen (Hauler, Steiner, Seite sche Ihnen eine aufschlussreiche und be-
oder die Unternehmensidentifikation UID 68), wie sie vermehrt eingesetzt werden. reichernde Lektüre.
(Spichiger, Seite 34) erlauben die Weiter- So werden Schriftsteller bereits beim
entwicklung im E-Government. Nationalrat ­Erarbeitungsprozess ihres Textes unter- Ronny Bernold
Ruedi Noser fordert für diese Weiterent- stützt, um die dabei entstehenden Texte,
Ausblick «eGov Präsenz» 2/10
wicklung im Interview (Seite 8) einen natio- Entwürfe und Manuskripte für die Lang-
Die nächste Ausgabe der «eGov Präsenz» erscheint im
nalen CIO mit weitreichenden Kompeten- zeitarchivierung vorzubereiten (Richle, August 2010 mit dem Titel «Interoperabilität und
zen und eine Verfassungsgrundlage für Wenzel, Büchel, Jufer, Seite 42). Standards».
Sie sind dazu eingeladen, Ihre Vorschläge für Fachartikel
E-Government. Das Gespräch mit Markus zum Thema bis am 26. März 2010 an mich einzureichen.
Hinterhäuser (Seite 20) zeigt jedoch, dass Technische und konzeptio- Weitere Informationen unter www.egov-praesenz.ch/cfp
Neues sehr oft auf Widerstände stösst. nelle Innovation rund um das
Dem Pianisten und Konzertverantwortli- Dokument
chen der Salzburger Festspiele ist es aber Die Praxisbeiträge berichten von verschie-
auf eine faszinierende Art gelungen, Beste- densten Ansätzen und Lösungen, die Ent-
hendes mit Frischem zu kombinieren. wicklung der letzten Jahre umzusetzen.

«eGov Präsenz» 1/10


Zu dieser Ausgabe 7

Die Autorinnen und Autoren dieser Ausgabe

Prof. Laurent Bagnoud Jan P. Beekman Ronny Bernold Christoph Bisel Adrian Blöchlinger Tilman Braun Prof. Dr. Martin
Professor am Institut Bereichsleiter Logistik, Mit- Chefredaktor Senior Consultant, Fachbereich Rechts­ Mehrjährige Verwaltungs­ Brüggemeier
Wirtschaftsinformatik der glied der Geschäfts­leitung «eGov Präsenz», Soreco AG informatik, Bundesamt erfahrung sowie Professor für Betriebswirt-
Fachhochschule HES-SO Direktion für Ressourcen Kompetenz­zentrum für Justiz Beratungs­tätigkeit für alle schaftslehre und Public
Valais Wallis DR, Eidgenössisches Public Management und föderalen Ebenen Management, Hochschule
Departement für auswärti- E-Government für Technik und Wirtschaft
ge Angelegenheiten EDA (HTW) Berlin

Julia Büchel Lukas Fässler Markus Fischer Markus Fischer Dr. Stefanie Fischer- Bärbel Förster Urs Gerber
Schweizerisches Rechtsanwalt und Geschäftsführer, Unabhängiger Unter- Dieskau Leiterin Sektion Geschäfts- Leiter Grundlagen zum
Literaturinstitut HKB BFH Informatikexperte, Soreco Publica AG nehmer, Berater und Referentin im Bundesamt verwaltung und Archivie- Raummonitoring, Bundes-
Präsident des Vereins Coach für Sicherheit in der rung, Stv. Bereichsleiterin amt für Landestopografie
SSGI Informationstechnik (BSI) Logistik, Eidgenössisches swisstopo
Departement für auswärti-
ge Angelegenheiten EDA

Isabelle Grünig Guido Hauller Dr. Detlef Hühnlein Iven Jainta Prof. Rolf Jufer Dr. Michael Dr. Ulrike Korte
Stelllvertretende Leiterin Leiter Informatik, Kanton Security Networks AG Product Marketing Analyst, Departement Technik Kaschewsky Referentin im Bundesamt für
Informatik und Logistik Aargau, Departement OPTIMAL SYSTEMS GmbH und Informatik BFH Wissenschaftlicher Mit­- Sicherheit in der
Gesamtleiterin ECM- Bildung, Kultur und Sport arbeiter, Kompetenzzentrum Informationstechnik (BSI)
Projekte, Stadt Biel Public Management und
E-Government

Andrea Kubath Prof. em. Dr. Daniel Liebhart Dr. Daniel Markwalder Dr. Alessia C. Neuroni Dr. Krystyna W. Mirta Olgiati
Referatsleiterin, Klaus Lenk Dozent für Informatik, Bereichsleiter Public Key Senior-Researcherin, Ohnesorge Doctorante, Institut de
Ministerium des Innern Universität Oldenburg, Hochschule für Technik Infrastructure (PKI) und Kompetenzzentrum Chefin Ressort Innovation Hautes Etudes en
Brandenburg Deutschland Zürich und Solution Sicherheitsprodukte, Public Management und und Erhaltung, Schweizeri- Administration publique
Manager, Trivadis AG Bundesamt für Informatik E-Government sches Bundesarchiv BAR
und Telekommunikation BIT

Jürg Porro Christoph Protz Urs Richle Prof. Dr. Reinhard Riedl Prof. Dr. Jürg Römer Sven Sauer Marc Schaffroth
Bereichsleiter Competence Senior Manager, Schweizerisches Herausgeber «eGov Fachbereichsleiter Wirtschaft Gründungsmitglied Projektleiter, Informatik­
Center Geschäftsverwal- KPMG AG Zürich Literaturinstitut HKB BFH Präsenz» und Leiter und Verwaltung, Berner und CIO, OPTIMAL strategieorgan Bund ISB
tungslösungen, Bundes- Kompetenz­zentrum Fachhochschule SYSTEMS GmbH
amt für Informatik und Public Management und
Telekommunikation BIT E-Government

Sirko Schulz Harald Schumacher Prof. Dr. Tino Schuppan Ino Maria Simitsek Prof. Dr. Andreas Rudolf K. Spiess Beat Steiner
Wissenschaftlicher Geschäftsführer, Geschäftsführer lfG. CC, Membre du projet Living Spichiger Leiter Informatik und Co-Founder, Ajila AG
Mitarbeiter, Hochschule für b.i.t.consult GmbH The Potsdam Lab E-Inclusion – Senior Researcher Logistik, Stadt Biel
Technik und Wirtschaft eGovernment CTI/SATW, Techno­ Kompetenzzentrum
(HTW) Berlin Competence Center pédagogue – DIP Genève Public Management und
E-Government

Alexander Wenzel Dr. Martin Wind


Schweizerisches Institut für Informations­
Literaturinstitut HKB BFH management Bremen;
beratender Partner der
b.i.t.consult GmbH

«eGov Präsenz» 1/10


8 Interview

«Ich plädiere für einen nationalen CIO mit


weitreichenden Kompetenzen»
Ruedi Noser, Unternehmer und FDP-Nationalrat, ist fest davon überzeugt, dass die Schweiz
einen nationalen CIO braucht, der nahe beim Bundesrat angesiedelt ist und die Aufgabe
hat, alle Prozesse möglichst günstig anzubieten. Im Interview spricht er über die Wirkung
der bisherigen E-Government-Bestrebungen, seine Wunschprojekte und das politische
Commitment zu E-Government.

Ruedi Noser, Nationalrat und Unternehmer


Interview: Ronny Bernold

Was bedeutet für Sie E-Economy oder Bis jetzt hat man noch nichts gemerkt. ment dazu mit der Steuer- und Mehrwert-
E-Government? Das muss man einfach festhalten. Jetzt steueridentifizierung und so weiter. Da
Die Bedeutung von der Bürgerin und vom aber sind zwei oder drei Sachen in der arbeitet man nur sehr zögerlich zusam-
Bürger her sollte eigentlich ganz einfach Pipeline wie Lohnmeldeverfahren, die men.
sein: dass ich von zu Hause aus Sachen elektronische Urkunde oder eine Numme-
erledigen kann, für die ich früher das Haus rierung für die eindeutige Identifikation von Das heisst weg von der effektiven An-
verlassen musste. Firmen, das heisst, jetzt hat man vermut- wendung hin zu einem Prozessge-
lich die Voraussetzungen geschaffen, so- danken, der mehrfach verwendbar
Welche Infrastruktur müsste der dass man es in den nächsten ein bis drei wäre?
Staat für E-Economy bereitstellen? Jahren merken könnte. Ich bin sehr ge- Wenn man es frech ausdrücken will: Ich
Ich bin ja immer noch der Ansicht, dass spannt darauf, wann meine Bank als Ers- glaube, der Prozessgedanke ist in der
man vom Staat einen Pass bekommen tes diese Identifikationsnummer verlangt. Bundesverwaltung noch wenig bis gar
sollte, der einem in der virtuellen wie in der nicht vorhanden.
realen Welt zur Verfügung steht. Mit dem Sie sprechen von der UID?
biometrischen Pass und mit der SuisseID Ja. Ich denke, das könnte relativ schnell «[…] man müsste aufhören,
gehen wir in diese Richtung. Es wird ver- spürbar werden. Die E-Government-Stra- territoriale Anwendungen zu
mutlich noch eine Weile dauern, bis jede tegie ist ja erst seit drei Jahren da. Und bauen.»
Bürgerin, jeder Bürger sich in der realen jetzt schauen wir, ob man das in den
und in der virtuellen Welt mit demselben nächsten paar Jahren herunterkriegt. Bis E-Government steht ja eigentlich für
Dokument ausweisen kann. Das aber im Jahr 2011 sollte man meiner Ansicht Innovation. Welche Innovationen hat
muss die Zielsetzung sein. nach von E-Government etwas merken. es bisher gebracht oder wird es noch
bringen?
«Ich bin der Ansicht, man Wie erleben Sie das politische Com- Ich glaube, die Problematik ist, dass wir
müsste eine Verfassungs- mitment zu E-Government? bisher den Nutzen noch zu wenig aufge-
grundlage für E-Government Ich denke, im Parlament hat es eine recht zeigt haben. Ich bin der Ansicht, man
schaffen.» hohe Unterstützung. Die Probleme liegen müsste eine Verfassungsgrundlage mit fol-
eher in der Verwaltung. All diese «E-The- gendem Inhalt schaffen:
Sehen Sie einen Bedarf für weitere men» sind immer integrale Themen. Neh- Erstens soll der Bürger dem Staat keine
Infrastruktur, um E-Business besser men Sie das Thema Identität, das spielt Informationen geben müssen, die dieser
unterstützen zu können? bei der Versichertenkarte, dem SECO und schon hat.
Ich habe schon x-mal gesagt, man müsste bei den Identifizierungspapieren eine Rol- Zweitens soll der Bürger zu jeder Tages-
aufhören, territoriale Anwendungen zu le. Somit sind das Innendepartement, das und Nachtzeit und in jeder Form dem
bauen. Wenn die Einwohnerkontroll-Soft- Wirtschaftsdepartement und das Justiz- Staat eine Information geben können.
ware der Stadt Winterthur gut ist, dann soll- departement involviert. Drei Departemen- Und drittens soll der Bürger ein Recht
te ich als Wetzikoner diese Software eben- te, die eigentlich drei Funktionen bräuch- haben auf Einsicht in die Informationen,
falls verwenden und Daten nach Wetzikon ten, die man zusammenlegt. Im Grunde die der Staat über ihn hat, und zwar jeder-
­schicken können. So würde sehr schnell müsste man die ganze Identifizierung der zeit in sämtliche.
ein Markt und damit Bewegung entstehen. Bürgerinnen und Bürger zusammenlegen In der Verfassung gibt es ja gewisse
Man muss aufhören, in der virtuellen Welt und nicht in den verschiedenen Departe- Grundrechte darüber, wie die Bürgerin
das Territorialprinzip anzuwenden. menten führen. Sozialversicherungsnum- oder der Bürger mit den Behörden umge-
mer, Versicherungskarte, Identifizierung hen kann, aber diese befinden sich immer
Die E-Government-Strategie des Bun­ der Leute für Trust-Register in der Wirt- noch auf dem administrativen Niveau des
des zielt in erster Linie oder in schaft, Staatsbürgerpapiere, das könnte 18. oder des 19. Jahrhunderts. Wenn man
höchster Priorität auf die Wirtschaft. man zu einem Amt zusammenlegen, das ein solches Grundrecht aufnehmen würde,
Merken Sie als Unternehmer etwas die Identitäten managen müsste. Vermut- dann wären Gemeinden, Kantone und
davon? lich kommt auch noch das Finanzdeparte- Bund erstens gezwungen, zusammenzu-

«eGov Präsenz» 1/10


10 Interview

arbeiten, sie wären zweitens gezwungen, dieses Land ganz neue Fragestellungen,
den Prozessgedanken zu bringen, und sie mit denen wir uns sehr schwertun.
wären drittens gezwungen, das relativ
schnell zu machen. Aber was wird der Treiber hinter der
Bürgerbewegung sein?
Sehen Sie in der nächsten Zeit realis- Ich denke, die Bürgerbewegung kommt,
tische Chancen für einen solchen indem Bürgerinnen und Bürger im Ausland
Vorstoss? die Funktionen nutzen werden. Beim Ge-
Davon ist man noch meilenweit entfernt. sundheitsdossier kommt der Druck nicht,
Der Staat formuliert E-Government noch weil wir in der Schweiz vorwärtsmachen,
nicht als Grundrecht der Bürgerin oder sondern der Druck kommt, weil es immer
Ruedi Noser
des Bürgers, sondern definiert es als Ent- Ruedi Noser, Jahrgang 1961, ist im Kanton
mehr ausländische Anbieter gibt, die auf
lastung für seine Aufgaben. Das ist eigent- Glarus geboren. Der Unternehmer wurde 2003 in diese Weise Gesundheitsdossiers anbie-
lich falsch. Wenn meine Grossmutter das das schweizerische Parlament gewählt. Als ten. Das heisst, E-Government wird statt-
am Postschalter machen will, weil sie gern Nationalrat engagiert er sich unter anderem finden. Die Frage ist nur, ob als Reaktion
zum Postschalter geht, dann soll sie das dafür, dass das Potenzial der Informations- und oder als Aktion. Das Risiko ist ziemlich
tun können. Aber wenn ich das am Sonn- Kommunikationstechnologien in der Schweiz hoch, dass es in der Schweiz nur als Re-
besser genutzt wird. Ruedi Noser ist seit 2003
tag, nachts um zwölf Uhr, machen will, aktion stattfinden wird. Das ist natürlich
Mitglied der Kommission für Wissenschaft,
dann soll ich das auch tun können. Das schade.
Bildung und Kultur (WBK) sowie der Legislatur-
wäre der Gedanke, den man bringen planungskommission (LPK) und war von 2003 bis
müsste. Dann würde man auch sehr 2009 Vizepräsident der FDP Schweiz. «Ich denke, letztlich wird es
schnell einen Nutzen sehen. Aber im Mo- eine Bürgerbewegung
ment definiert man den Nutzen sehr oft brauchen, die E-Government
nur verwaltungsintern und nicht gegen- wirklich vorwärtsbringen
über den Bürgerinnen und Bürgern. Wie sehen Sie den Nutzen von Face- wird.»
book für Sie als Politiker?
Eine der am weitesten reichenden In- Das ist ein einfaches Instrument, mit dem Man kann davon ausgehen, wir haben
novationen gab es im Kanton Glarus, ich innerhalb von Sekunden mit 2000 Leu- die nötigen technischen Mittel für
als man auf Verwaltungsebene die ten kommunizieren kann. Aber einen Nut- E-Government. Haben wir Probleme,
Gemeinden zusammenlegte. Sinni- zen würde ich dem nicht anhängen. Es ist technische Neuerungen in einen orga-
gerweise wurde das Ganze bei einer ein Gag. Und wird auch wieder out sein, nisatorischen Prozess umzusetzen?
Landsgemeinde eingebracht. da bin ich sicher. Das ist etwas, das Ja, ich denke, dass die Strukturen in der
Es ist sehr typisch, dass der einzige Kan- kommt und wieder geht. Schweiz in erster Linie strukturerhaltend
ton, in dem Bürgerinnen und Bürger sich arbeiten. Und dass keine Prozesse da
noch direkt äussern können, in der Lage «Der Staat formuliert sind, welche die Strukturen infrage stellen.
ist, die Strukturen anzupassen. Alle ande- E-Government noch nicht Ich glaube auch nicht, dass es technische
ren Kantone, die institutionelle Demokra­ als Grundrecht der Bürgerin Fragen sind. Man könnte gewisse Sachen
tien haben, wo die Bürgerin, der Bürger oder des Bürgers, sondern schweizweit ausschreiben. Man könnte
nur noch indirekt über die Institutionen definiert es als Entlastung zum Beispiel fragen, wer die beste Ein-
eingreifen kann, schaffen dies nicht. Das für seine Aufgaben.» wohnerkontrolle macht. Man müsste in-
meinte ich vorher mit der Verfassungs- nerhalb der Gemeinden nur noch Schnitt-
grundlage. Das ist ein direkter Nutzen, Wird heute zu wenig Geld in E-Go- stellen definieren, an die man dann die
den man formuliert. Ich hoffe auch, dass vernment investiert? Daten liefert. Das würde funktionieren,
der Kanton Glarus diese Chance im Be- Jene, die entscheiden müssten, dass in aber das will man nicht, weil es Strukturen
reich E-Government nutzt und nicht drei ­E-Government investiert wird, sind ja dann infrage stellt. Und wir haben einen ganz
verschiedene Plattformen einfliessen lässt, jene, die ihre Strukturen infrage stellen. sturen, territorialen Föderalismus. Mit der
sondern eine macht, die drei Gemeinden ­E-Government und E-Techniken einführen Virtualisierung der Welt wird der territoriale
nutzen können. Ich habe schon mehrmals heisst eigentlich immer bestehende Struk- Föderalismus ein wenig infrage gestellt.
gesagt, die Gemeindefusion im Kanton turen abschaffen. E-Government stellt be- Man müsste eigentlich zu einem virtuellen
Glarus wäre eigentlich die erste Gelegen- stehende staatliche Strukturen infrage. Föderalismus kommen, wo Bürgerinnen
heit, zu zeigen, wie man der Bürgerin und Deshalb geht es in der Schweiz nicht vor- und Bürger wählen können. Ich sollte
dem Bürger durch E-Government wirklich wärts. Ich denke, letztlich wird es eine doch eigentlich mit meiner Firma zu jenem
einen Nutzen bringen könnte. Die Glarner Bürgerbewegung brauchen, die E-Govern­ Handelsregisteramt gehen können, das
müssen jetzt nämlich bei allem über die ­­ment wirklich vorwärtsbringen wird. Wenn mir den Service am einfachsten zur Verfü-
Bücher. Ausserdem verlieren sie jetzt die Sie schauen, die grösste Bekämpfung bei gung stellt. Es gibt keinen Grund dafür,
geografische Nähe zum Gemeindeschal- der Einführung des biometrischen Passes warum ich zu einem territorialen Handels-
ter. Eigentlich ist es im Kanton Glarus ja war ja, dass nicht mehr jede Gemeinde ei- registeramt gehen muss. Eigentlich müss-
auch ein Sparprojekt, und ein Sparprojekt nen Pass herausgeben kann. Ist es wirk- te der Staat mir sagen: Noser, du musst
heisst, dass man nicht mehr in 20 Ge- lich nötig, dass ich etwas, was ich alle bei einem Handelsregisteramt gemeldet
meinden mit je 500 Einwohnern einen zehn Jahre brauche, in jeder Gemeinde sein, bei welchem, kannst du selbst wäh-
Schalter hat, sondern dass man in einer holen kann? Kann ich das nicht mit elekt- len. Du kannst das beste, billigste,
Gemeinde einen Schalter hat und den ronischer Vorarbeit so machen, dass ich schnellste oder bequemste nehmen. Aber
ganzen Rest elektronisch abwickeln könn- vielleicht dann den Pass im Bezirks- diesen Gedanken versuchen wir, mit aller
te. Ich bin sehr gespannt darauf, wie das hauptort abholen kann? Das sind doch die Gewalt zu verhindern.
realisiert wird. Fragen, die sich stellen. Und das sind für

«eGov Präsenz» 1/10


Interview 11

Könnte die Schweiz mit einer konse- Wie sieht die öffentliche Verwaltung damit strategisch beschäftigen müsste.
quenten IT-Ausbildung und einer ver- in 20 Jahren, also 2029, aus? Man würde dann zugeben, dass es nahe
stärkten Investition in die IT-Branche Da bin ich einerseits nicht sehr optimis- beim Bundesrat einen CIO geben müsste,
weltweit ein Servicecenter für kom- tisch. Ich habe den Eindruck, die öffentli- der diese Aufgabe wahrnimmt und wirklich
plexe Probleme werden? che Verwaltung wird in 20 Jahren genau den Job hätte, all diese Prozesse möglichst
Ich denke nicht, dass dies eine Frage der gleich aussehen wie heute. Andererseits günstig anzubieten. Und man müsste die
Ausbildung ist. Entscheidend sind vielmehr gibt es eine grosse Chance, das ist der Kompetenzen, die heute in den Departe-
Aspekte der Datenhoheit und des Daten- Spardruck. Aber wenn Sie schauen, dass menten sind, diesem CIO geben. Da sind
schutzes. Wenn man zum Beispiel weiss, in der ganzen Spardruckübung, die wir wir wieder beim Ausgangspunkt unseres
dass, wenn man ein Datenzentrum in der gerade haben, die IT als Lösungskompe- Gesprächs. Hierzu ist kein Wille vorhanden.
Schweiz betreibt, die gespeicherten Daten tenz gar nicht vorkommt, ist auch das
nicht einfach allen Staaten geschenkt wer- fraglich. Mit der Zentralisierung der Leis- Sie plädieren für einen nationalen
den, sondern nur dann weitergereicht wer- tungserbringung beim Bund könnte man CIO?
den dürfen, wenn die betreffende Person jährlich 50 bis 100 Millionen einsparen, Ja, aber für einen mit Kompetenzen. Das
es auch erlaubt. Das sind die spannenden und dieses Projekt ist bei der Aufgaben- heisst, er müsste eigentlich die Prozess-
Kriterien. Das heisst, die rechtsstaatlichen überprüfung gar nicht dabei. Ich habe den hoheit und auch die Entscheidungshoheit
Grundprinzipien, dass die Information über Eindruck, im Moment hat man in der Ver- haben darüber, wie man Prozesse im
mich mir gehört und nur Dritten zugänglich waltung die IT als strategisches Mittel zur Bund einführt. Und nicht nur darüber, wie
gemacht werden darf, wenn ich einwillige Kostenreduk­tion noch gar nicht entdeckt. man IT betreibt, so wie es heute ist. Dann
oder wenn Gerichtsentscheide mich dazu wäre ich wieder optimistisch. Dann könnte
zwingen, könnten dazu führen, dass man Man ist sich des Potenzials nicht be- es in 20 Jahren ganz anders aussehen.
zum Hosting von Daten in der Schweiz wusst? Aber solange das nicht kommt …
eine optimale Position aufbaut. Aber den Nein, überhaupt nicht, und man will sich
Willen dazu habe ich im Bundeshaus noch dessen auch nicht bewusst sein. Man Besten Dank für das Interview,
nicht gross gespürt. müsste dann ja zugeben, dass man sich Herr Noser

Foto: Roger Sieber, netfabrix.com

«eGov Präsenz» 1/10


12 Kolumne

«Aus anderer Warte»


Das Neue dringt herein mit Macht
Jürg Römer

Prof. Dr. Jürg Römer Entwicklung prägt. Neue Produktionsfak- gewiesen wurde er nie. Einmal mehr hatte
Fachbereichsleiter Wirtschaft und
Verwaltung, Berner Fachhochschule
toren oder die Neukombination bestehen- die Innovation Schreckgespenster geru-
juerg.roemer@bfh.ch der Faktoren verändern alte Strukturen. fen. Es wurde allerdings nicht gefragt, was
Diese schöpferische Zerstörung ist not- elektronisch überhaupt angeboten wurde;
wendig, damit Neuordnung stattfinden für die ältere Generation war um die Jahr-
kann, und sie ist nicht ein Fehler eines tausendwende kaum etwas im Netz von
Systems oder einer Entwicklung. Belang, dieses deshalb nicht attraktiv.
«Das Neue dringt herein mit Macht, das Im Prozess einer schöpferischen Zer- Der technischen Innovation folgte – wie
Alte, das Würd’ge scheidet, andre Zeiten störung gibt es auch Verlierer, zumindest in reiferen Stadien einer Technik üblich –
kommen.»1 Mit diesen Worten bringt At- kurzfristig. Diese stehen der Innovation eine Nutzungsinnovation. Web 2.0 ist
tinghausen im Wilhelm Tell seine Befürch- ablehnend gegenüber. Horrorszenarien (oder war bereits) das Schlagwort. Face-
tung zum Ausdruck, dass sich das Land über die Folgen der Neuerung zu zeich- book und diverse Foren werden längst
dem unvermeidlichen Lauf der Zeit anpas- nen, fällt leicht, da die Zukunft naturge- nicht mehr nur von Kids benutzt, sondern
sen und dem österreichischen König an- mäss unsicher ist. Die Entwicklung ist zu- auch und gerade von Seniorinnen und Se-
schliessen wird. Das Neue wird hier, wie dem weder gradlinig noch friedlich. nioren. Es liegt nicht mehr eine Fotografie
oft in der Literatur, als Bedrohung wahrge- Rückschläge, Konflikte, Gewalt sind oft des Enkels aus Brasilien unter dem Weih-
nommen. ihre Begleiter. Es gab immer wieder Kräfte, nachtsbaum, sondern man kann das Le-
Im Allgemeinen wird unter «Innovation» die das Neue nicht nur ablehnten, sondern ben der Grosskinder in beliebig vielen Bil-
die Entwicklung, Umsetzung und Anwen- es auch aktiv bekämpften, vor allem bei dern laufend online mitverfolgen. Foren
dung neuer Produkte, Prozesse oder geistesgeschichtlichen und damit gesell- und Netzwerke ermöglichen die Ausdeh-
Dienstleistungen oder auch die Erschlie- schaftlichen Innovationen. Dass sie sich nung der elektronischen Bekanntschaft
ssung neuer Märkte verstanden. Innova­ dabei von den «alten, würd’gen» Werten, zur realen Freundschaft. Die Partizipation
tion bezeichnet also nicht nur neue Ideen die sie zu verteidigen vorgaben, meist weit derjenigen, welche die «Experten» noch
oder Erfindungen, sondern erfasst deren entfernten und zur Bewahrung des Alten vor wenigen Jahren zu betreuungs- und
Umsetzung mit. Gewalt und Unterdrückung einsetzten, ist erziehungsbedürftigen Randgruppen stem-
bekannt. peln wollten, hat neue Realitäten geschaf-
Schöpferische Zerstörung fen.
Prozesse der Erneuerung prägen die Innovation benötigt und Es entstand keine digitale Spaltung,
Menschheitsgeschichte von Anbeginn an. ermöglicht Partizipation sondern eine «E-Inclusion». Die technolo-
Dies wird klar aus allen Quellen, seien sie Die neuste Errungenschaft des Homo sa- gische Innovation hat zu einer Prozessin-
nun paläontologisch, archäologisch, his- piens, ein dritter Technologieschritt nach novation geführt. Diese wiederum ermög-
torisch oder literarisch. Neuerungen ha- der industriellen Revolution und dem Auf- licht oder erleichtert die Partizipation, für
ben aber, wie man den gleichen Quellen schwung der mechanischen Mobilität mit ältere Leute zum Beispiel die längere und
entnehmen kann, immer wieder Ängste Eisenbahn, Auto und Flugzeug, sind die umfassendere Teilnahme am gesellschaft-
und Konflikte ausgelöst. Wir hören täglich Informations- und Kommunikationstechni- lichen Leben. Klagen, welche katastro-
auf allen Newskanälen, wie schlecht es ken (IKT). Ihre Möglichkeiten und Folgen phalen Auswirkungen das «mit Macht hin-
uns gehe, welche apokalyptischen Gefah- wurden gerade in diesen Spalten umfas- eindrängende» Neue hat, wird es auch
ren dräuen und dass es so auf keinen Fall send reflektiert. Euphorie und Skepsis wa- hier wieder geben. Sie fallen der Platzbe-
weitergehen könne. Tatsache ist, dass uns ren gross, als sich zu Beginn der 90er- schränkung dieser Kolumne zum Opfer.
Innovationen eine zunehmende Lebenser- Jahre des letzten Jahrhunderts IKT überall
1 Friedrich Schiller, Wilhelm Tell, II, 1.
wartung sowie, zumindest in Europa, eine zu verbreiten begann, jedes Büro, jeder
2 Joseph Schumpeter (1912), in: Theorie der wirtschaft­
nie erlebte Deckung der Grundbedürfnisse Privathaushalt, ja jeder Apparat mit IKT lichen Entwicklung. Nachdruck der 1. Auflage von 1912.
der Menschen gebracht haben. Ebenso ausgerüstet wurde. Zu Beginn war etli- Herausgegeben von Jochen Röpke und Olaf Stiller,
Berlin, Duncker & Humblot, 2006.
klar ist, dass Innovation oft vermeidbare ches an Wissen und Übung nötig, um das
und unvermeidbare Nebenerscheinungen «moderne Zeug» nutzen zu können. Bald
bringt. Umweltschäden, soziale Spannun- erschallten die Stimmen der damals eben-
gen, Zweckentfremdung und Missbrauch falls einen Aufschwung erlebenden poli-
von Innovation gehören zu den Nebenwir- tisch Korrekten, die den «digital divide»
kungen, die vermieden oder minimiert beklagten, die angebliche Spaltung der
werden können und müssen. Die «schöp- Gesellschaft zwischen digital Alphabeti-
ferische Zerstörung» nach Joseph Schum- sierten und digitalen Analphabeten. Dieser
peter2 ist hingegen ein Prozess, der jede Bruch sollte an der Generationen – oder
ökonomische und auch gesellschaftliche an der Nord-Süd-Grenze entstehen, nach-

«eGov Präsenz» 1/10


14 Interview

«In Standardisierungsfragen müsste die Schweiz


anfangen, grossräumiger zu denken»
Der Bülacher Stadtschreiber Christian Mühlethaler im Interview über die kontinuierliche
Verbesserung der Stadtverwaltung, E-Voting und das Zusammenspiel zwischen Bund, Kantonen
und Gemeinden. Er weist auf die hervorragenden Erfahrungen mit E-Voting hin, wünscht sich
mehr E-Government-Projekte, bei denen Bürgerinnen und Bürger direkt etwas merken, und
plädiert für eine verstärkte Kooperation der Gemeinden.

Christian Mühlethaler, Stadtschreiber in Bülach


Interview: Ronny Bernold

Was sind Ihre aktuellen Herausforde- Inwiefern hat E-Government in die- Kontakt aufnehmen, und die Kantone
rungen in der Verwaltungsgemeinde sem Bereich eine Relevanz? sollten in der Pflicht sein, dies mit den
Bülach? Ich weiss es noch nicht. Wenn ich alle Pro- Städten und Gemeinden zusammen um-
Es sind zwei Aspekte. Der eine betrifft al- jekte anschaue, die nach aussen gerichtet zusetzen. Notwendige Mittel dazu sind
les rund um die Stadtentwicklung, und der sind, kann E-Government vielleicht helfen, Leistungsvereinbarungen, wovon ich beim
andere bezieht sich auf die interne Füh- eine gewisse Transparenz in die Projekte zu Kanton Zürich bisher noch nichts gespürt
rung. Die Stadt Bülach ist stark damit be- bringen. Was wir schon haben, ist E-Vo- habe.
schäftigt, sich vom Provinzstädtchen zur ting. In diesem Bereich gehörten wir ja zu
Stadt zu entwickeln. Diese Stadt hat ein den drei schweizerischen Pilotgemeinden. «Im E-Government gibt es
riesiges Entwicklungspotenzial. Die Her- Und das funktioniert bei uns hervorragend. Kantone, die sind gut
ausforderung besteht zum Beispiel darin, unterwegs, beispielsweise
einen neuen Stadtteil zu konzipieren. Wei- Wird es auch genutzt? Aargau, St. Gallen, Thurgau,
tere strategische Themen sind die Nach- Ja. Durchschnittlich nutzen 20 Prozent der und es gibt Kantone, die
haltigkeit, die demografische Entwicklung, Bevölkerung ­E-Voting. Den Bund kritisiere schlafen, wie Zürich.»
der Bau eines Sport- und Erholungsparks, ich, weil er Instrumente, die hervorragend
der Bau eines zentralen Verwaltungsge- laufen, nicht definitiv etabliert. Da vertrete Sollten Bürgerinnen und Bürger stär-
bäudes und die 1200-Jahr-Feier im Jahr ich halt den Standpunkt der Stadt und fin- ker merken, dass im E-Government
2011. Dies sind die strategisch wichtigen de, dass der Bund in dieser Hinsicht ext- etwas läuft?
Sachen nach aussen. Nach innen war es rem zögerlich ist. Das ist der Punkt. Ich glaube, die Leute
in den zwei Jahren, in denen ich jetzt merken nicht, dass etwas läuft. Ich sehe
Stadtschreiber bin, die permanente Wei- Die Herausforderungen im E-Govern- auch das Strategiepapier des Bundes mit
terentwicklung der Organisation. ment liegen also auch auf Bundes­ Fokus Wirtschaft, das kann ich nachvoll-
ebene oder in unserem föderalen ziehen, und dort hat mir Jacqueline Fehr
«[…] der Bund muss die Sys­tem? (Nationalrätin SP ZH) aus dem Herzen ge-
Führung übernehmen und vor Das ist halt unsere Welt, und es sind sprochen. E-Government muss zur Bür-
allem die Kantone in die unsere Rahmenbedingungen. Manchmal gerin, zum Bürger gelangen. Ich wünschte
Pflicht nehmen.» wünschte ich mir bei Dingen, die schweiz- mir, dass aus der Sicht des Bundes auch
weit relevant sind, mehr Turbo. Das sind der Aspekt der Bürgerinnen und Bürger
Auch die kontinuierliche Verbesse- notwendige Grundvoraussetzungen, und berücksichtigt wird. SuisseID finde ich im
rung? der Bund muss die Führung übernehmen Rahmen der Konjunkturmassnahmen ein
Ja, denn das Dreieck Strategie – Struk- und vor allem die Kantone in die Pflicht gutes Projekt. Die Leute sollen einen Nut-
tur – Kultur sollte in der Balance sein. Der nehmen. Schauen Sie doch, wie die Kan- zen haben und diesen auch spüren. Die
strategische Teil ist mit dem Legislatur- tone im E-Government funktionieren: Da Leute, die von E-Voting Gebrauch ­machen,
programm des Stadtrats vorgegeben. Die gibt es Kantone, die sind gut unterwegs, haben einen sehr handfesten Nutzen und
Organisation passen wir laufend so an, beispielsweise Aargau, St. Gallen, Thur- sagen: Wow, jetzt haben wir etwas Sinn-
wie es nötig ist, wir stellen sie aber nicht gau, und es gibt Kantone, die schlafen, volles. Ich bin vom Städte- und Gemein-
auf den Kopf, weil sie etabliert ist. Das wie Zürich. Das ist jedenfalls meine Wahr- deverband in den E-Government-Exper-
heisst, der Fokus liegt vor allem auf der nehmung. tenrat delegiert worden und nehme
Entwicklung oder der Weiterentwicklung deshalb natürlich auch dessen Sicht ein.
der Unternehmenskultur. Letztlich geht es Sind Sie auch von der Kantonszusam- Ganz allgemein habe ich jeweils den Ein-
um die Frage, wie wir miteinander umge- menarbeit oder vom Takt, den der druck, dass auf Bundesebene die Städte
hen, wie wir mit unseren Kundinnen und Kanton vorgibt, enttäuscht? und Gemeinden sowie auch die Bürgerin-
Kunden umgehen, denn wir scheitern im Ja. Über das Wie kann ich nicht viel nen und Bürger relativ weit entfernt sind.
Alltag nicht an der Frage, was wir tun, ­sagen, weil es keine Berührungspunkte
sondern daran, wie wir es tun. In dieser gibt. Wenn ich aber das E-Government- Ist man sich der Probleme der Ge-
Hinsicht befinden wir uns in ganz intensi- Strategiepapier richtig interpretiere, sollte meinden auf Bundesebene gar nicht
ven Prozessen. der Bund vorgeben, mit den Kantonen so bewusst?

«eGov Präsenz» 1/10


16 Interview

Ob man sich ihrer nicht bewusst ist, weiss Wird nur Ärger deponiert, oder kom-
ich nicht. Aber vielleicht zu wenig. Ich men dort auch konstruktive Vorschlä-
kann auf die Probleme auch nur in dem ge, Ideen, Innovationen?
Sinn aufmerksam machen, wie ich sie von Wenige. Diese laufen direkt über die dafür
der Gemeindeseite erlebe. Wenn es sich vorgesehenen Kanäle in den einzelnen
um ein föderales Projekt handelt, so er- Geschäftsfeldern.
warte ich schon, dass alle Ebenen einge-
bunden sind. Daher fand ich es natürlich Könnten Sie sich vorstellen, dass im
toll, dass der Städte- und Gemeindever- E-Voting-Bereich vor Abstimmungen
band aufgrund dieser Vakanz einen Vertre- Meinungen über E-Partizipation-Ele-
ter stellen konnte. Ich interpretiere es mente gemacht werden könnten?
Christian Mühlethaler
schon so, dass man gemerkt hat, dass Christian Mühlethaler lebt mit seiner Familie in Absolut. Da kann ich mir schon noch mehr
man noch etwas von dieser Seite her ein- Neerach. An der Universität Zürich schloss er Nutzen vorstellen. Wie beim E-Voting, da
bringen muss. Ich finde das absolut wich- das Studium der Wirtschaftswissenschaft als öffnet man noch einen Kanal für Abstim-
tig und unabdingbar. lic. oec. pub. ab. Der 42-Jährige arbeitete einige mungen.
Jahre als Personalberater, bevor er als Stadt-
Ist es sinnvoll, dass die kleinste Ge- schreiber-Stellvertreter zur Stadt Bülach wechsel- Stellen Sie fest, dass es Personen
te. Seit Oktober 2007 ist er Stadtschreiber in
meinde irgendwo im Kanton Zürich gibt, die Probleme haben, am tradi­
Bülach. Im Jahr 2009 wurde er zum Mitglied des
eine eigene E-Government-Lösung E-Government-Expertenrats ernannt.
tionellen Prozess zu partizipieren?
hat oder überhaupt ins E-Government Nein, das stelle ich so nicht fest. Mir geht
geht? es darum, dass in unserem System mög-
Nein. Dazu braucht es die grossen Treiber, lichst viele Spektren hereinkommen, damit
die die Ressourcen haben. Gefordert sind eine intensive Zusammenarbeit bei sehr wir miteinander etwas entwickeln können.
die Kantone und die grossen Städte, die vielen Themen mit den Gemeinden in der In Bülach haben wir einen eher älteren
als Treiber agieren und mit dem Bund zu- Umgebung. Vieles können wir auch nicht Stadtrat. Man kann sich fragen wieso und
sammen Standards entwickeln, damit sie mehr nur allein lösen. was das für die Zukunft unseres Milizsys-
die anderen adaptieren können. Ein «Ge- tems heisst. Aber da kommen wir auf eine
bastel» auf Gemeindeebene ist schlicht Was ist in der öffentlichen Verwaltung ganz andere Ebene. Im Kern geht es geht
nicht möglich. Die Gemeinden haben da- der Treiber hinter der Innovation? um das dies: Wie gestalten wir den demo-
für gar keine Zeit. Nutzen zu generieren. Wegzukommen kratischen Prozess sowohl für die Bürger­
vom Kameralismus von früher, vom Beam- innen und Bürger als auch für die Politiker­
«Jeder hat das Gefühl, sein tenhaften hin zu einem Dienstleistungsun- innen und Politiker so ­attraktiv, dass sie
Einwohnerkontrollprozess sei ternehmen. Verwalten klingt so nach Ab- Verantwortung übernehmen wollen und
anders. Das trifft aber nicht spulen. Ich verlange von mir und meinen können?
zu.» Leuten, dass wir spüren, was geht, dass
wir die Kundenbedürfnisse ernst nehmen «Ganz allgemein habe ich
Das geht in Richtung Servicecenter, und probieren, diese in unseren täglichen jeweils den Eindruck, dass
dass zum Beispiel beim Kanton Ser- Prozessen umzusetzen. Dazu gehört auch auf Bundesebene die Städte
vices angeboten werden, welche die die Art und Weise, wie wir mit den Leuten und Gemeinden sowie auch
Gemeinden adaptieren können. umgehen. die Bürgerinnen und Bürger
Das ist ein gutes Beispiel. Im Expertenrat relativ weit entfernt sind.»
diskutieren wir über durchgängige Prozes- Ist die Verwaltung zu wenig kunden-
se bei der Einwohnerkontrolle. Da wün- zentriert? Es gibt ja auch technisch getriebene
sche ich mir, dass der Bund mit den Kan- Das ist sicher nicht überall gleich, genauso Innovationen. Man hört Stimmen, die
tonen zusammensitzt und bei Themen, die wie auch nicht alle Firmen gleich sind. Wir sagen, das sei dann ein Selbstläufer.
überall gleich sind, Prozesse entwickelt müssen Gefässe schaffen, um mit der Be- Die Technik kann nicht Innovation
und definiert. Dieses Vorhaben scheitert völkerung etwas entwickeln zu können. sein, sondern es muss ein anderes Be-
daran, dass jeder das Gefühl hat, sein Ein- Wir haben zum Beispiel 2002 einen gross dürfnis da sein. Wie bewerten Sie das?
wohnerkontrollprozess sei anders. Das angelegten, partizipativen Stadtentwick- Ich finde die Diskussion um die Vorherr-
trifft aber nicht zu. Eine Standardisierung lungsprozess eingeleitet mit allen mögli- schaft von Business oder IT albern. Für
würde sehr viel bewirken und die kleinen chen Anspruchsgruppen, die sich bei mich ist klar, Treiber müssen das Business
Gemeinden von Zusatzaufgaben entlas- Workshops einbringen konnten. und der Prozess sein, der dahintersteht.
ten, die sie selbst nicht bewältigen kön- Die IT bietet technologische Innovationen,
nen. Aber da könnte E-Partizipation mit mittels deren diese Prozesse unterstützt
ein Thema sein? Eine Plattform, bei werden können. Die Business-Verantwort-
Erarbeiten Sie im E-Government auch welcher Bürgerinnen und Bürger lichen müssen dafür sorgen, dass sie ihre
aktiv Lösungen mit anderen Gemein- nachts um zwei Uhr ihre Meinung Ansprüche formulieren und definieren
den zusammen? Gibt es da Koopera- äussern können? können, was sie dafür brauchen, oder es
tionen mit Nachbargemeinden? Klar. Auf unserer Website gibt es die Rub- zusammen mit den IT-Leuten entwickeln.
Im Bereich E-Government nicht. Das The- rik «Im Dialog». Da kann jeder einbringen, Aber die IT-Leute sind nicht an der Front
ma ist zu jung. Wir sind halt jene, die Res- was er will, ausgenommen Schlamm- und spüren deshalb den Puls der Bürge-
sourcen haben und es machen. Wenn es schlachten. Es ist mein Anliegen, dass wir rinnen und Bürger zu wenig. Sie entwi-
weitergeht, wird der nächste Schritt sein, mit diesen Inputs konstruktiv umgehen ckeln Lösungen.
dass wir Hilfestellungen bieten können für und dass diese Personen innert einer be-
die Gemeinden rundherum. Wir haben stimmten Frist eine Antwort bekommen.

«eGov Präsenz» 1/10


Interview 17

Herr Spiess, Leiter Informatik und Lo-


gistik der Stadt Biel, hat den Satz ge-
prägt «Die IT hat kein Eigenleben zu
führen».
Genau. Das sagt er explizit als IT-Leiter.
Ich führe auch noch die IT. Dabei bin ich
auf Partner angewiesen, die gleich funk­
tionieren, denen ich zu 100 Prozent ver-
trauen und mit denen zusammen ich Lö-
sungen entwickeln kann. Das habe ich
zum Glück. Die IT zeigt innovative Lösun-
gen zu Business-Fragestellungen. Aber
die Fragestellungen müssen aus dem
Business kommen.

Lassen sich solche Innovationen in


einer wirtschaftlich ungünstigen Zeit
wie heute überhaupt rechtfertigen?
Oder jetzt eben erst recht?
Jetzt erst recht.

«Die IT zeigt innovative


Lösungen zu Business-Frage-
stellungen.»

Glauben das die Bürgerinnen und


Bür­ger auch?
Nein, nicht alle. Wer sich ausschliesslich
mit seinem eigenen Leben auseinanderset-
zen und schauen muss, dass er am Ende
des Monats noch Geld im Portemonnaie
hat, wer familiäre oder soziale Probleme
hat, der kümmert sich um sich selbst. Das
verstehe ich auch völlig. Aber es gibt genü-
gend Leute, welche die intellektuelle Struk-
tur, ein entsprechendes Interesse oder den
Freiraum haben und dann Anforderungen
an eine Verwaltung stellen. Für mich stellt
sich die Frage nicht, ob wir Innovationen im
E-Government angehen, sondern wann.
Und wann heisst für mich eigentlich jetzt.

Dann können Sie auch einen Nutzen


ausweisen wie zum Beispiel den,
dass jemand morgens um zwei Uhr
abstimmen kann?
Für mich ist Nutzen nicht immer nur eine
ökonomische Grösse. Ich überlege mir,
was eine Sache für die Entwicklung der
Gesellschaft bedeutet. Entweder man will
und kann die weichen Faktoren erkennen
und misst ihnen entsprechend Gewicht
bei, oder es ist einem völlig egal. Rational
wird nur der Franken bewertet. Aber damit
kommen wir keinen Schritt weiter.

Haben Sie konkrete Themen, von de-


nen Sie sagen, dass der Bund diese
an die Hand nehmen sollte?
Die Einwohnerkontrolle hat für mich eine
so hohe Standardisierung. Jeder macht es
gleich. Es gibt dazu Bundesvorgaben. Der
Zivilstandsbereich hat es geschafft, der
Einwohnerbereich noch nicht. Es ist für
alle überall gleich. Da ist mein Wunsch klar

«eGov Präsenz» 1/10


18 Interview

die Standardisierung, damit es überall Standardprozesse zentralisieren und Ich nenne Ihnen meinen Traum. Ob er in Er-
gleich wird. In Standardisierungsfragen das Orts- und Gemeindebezogene im füllung gehen wird, weiss ich nicht. Mein
müsste die Schweiz anfangen, grossräu- Prinzip stärker gewichten? Traum wäre, dass man in all den Gebieten,
miger zu denken. Dort gehen Franken ver- Ja. Dann könnte ich meine Ressourcen für wo man Prozesse standardisieren könnte,
loren, die ich lieber in Innovation und die wirklich innovative Stadtentwicklungspro- diese auch standardisiert sind. Dass sie
Weiterentwicklung von Prozessen stecken jekte einsetzen. Die demografische Ent- transparent und durchgängig sind in der
würde. Da liegt meine Ungeduld. wicklung zeigt, dass wir in Zukunft zu we- ganzen Schweiz inklusive Medienbruchfrei-
nig erwerbstätige Personen haben werden. heit. Dass der Bürger und die Wirtschaft alle
Wieder ein Votum zur Kooperation? Also müssen wir uns überlegen, wo wir die Möglichkeiten ausschöpfen und entschei-
Völlig. Daraus entstehen die Ideen, die für Leute von Standardprozessen wegneh- den können, welche Kanäle sie brauchen
alle Beteiligten gut sind. Ich taste da zwar men und anderswo besser und nachhalti- wollen. Dass die Verwaltungen ihre Kundin-
ein Thema an, das unter der Hoheit der ger einsetzen können. nen und Kunden und deren Bedürfnisse im
Kantone steht, aber die Erhebung von Fokus haben und sie in die partizipativen
Steuern ist letztlich doch ein 08/15-Pro- «In Standardisierungsfragen Prozesse einbinden. Dass sich die Politiker
zess. Im Prinzip funktioniert das doch müsste die Schweiz das auf die Fahne schreiben und die Be-
überall gleich. Natürlich gibt es ein paar anfangen, grossräumiger zu dürfnisse ernst nehmen und mit den Leuten
Unterschiede, aber jeder Kanton bastelt an denken.» zusammen etwas entwickeln. Und dass wir
seiner eigenen E-Tax-Lösung herum. Das dann auch genügend fähige Leute haben,
finde ich eine Verschwendung von Res- Wir sind schon bei der letzten Frage. die diesen Prozess vorantreiben. In dieser
sourcen, die ich wirklich nicht verstehe. Wie wird ihrer Meinung nach die Hinsicht habe ich allerdings Bedenken.
Die fehlende Kooperation zwischen den Schweiz, die öffentliche Verwaltung,
Kantonen ärgert mich. in 20 Jahren aussehen? Besten Dank für das Interview,
Herr Mühlethaler
Kolumne 19

Wie «verrückt» darf – oder muss – Innovation


sein?
Die meisten verlangen danach, viele träumen davon, wenigen winken konkrete Chancen,
und nur einer handverlesenen Auswahl gelingt es, innovative Lösungen und Leistungen zu
schaffen, die sich an den Märkten «wie von selbst» erfolgreich durchsetzen.

Markus Fischer

Markus Fischer Innovationskompetenz! Dazu ein kon- Wenn zu dieser Grundlage dann noch
Selbstständiger Berater, Projektleiter und
Coach, u.a. in der Entwicklung neuer
kretes Beispiel – und ein paar Fragen: Inspiration, Motivation bis zum Umfallen,
Bildungsangebote an Fachhochschulen, Als Captain Chesley B. ’Sully’ Sullenber- interdisziplinäre und multikulturelle Zu-
Experte des Wissenschaftlichen Beirats,
ger am 15. Januar 2009 seinen antriebslo- sammenarbeit, proaktive Partizipation
der ICT Commission und des Lateral
Think Tank der SATW sen Airbus A320 auf dem Hudson River über bestehende Formen und Grenzen
markus-fischer@bluewin.ch erfolgreich wasserte und so 155 Leben hinweg, Bereitschaft zur Perversion des
rettete, waren mehrere Faktoren im Spiel: bisher Bekannten und Dagewesenen usw.
(1) über jeden Zweifel erhabene, immer einsetzt, dann kann Innovation entstehen,
wieder trainierte und nachgewiesene Fä- sofern das Management dies nicht nur
higkeiten (skills), (2) über Jahre gefestig- mitträgt, sondern will – und aktiv unter-
tes, hochgradig vernetztes Wissen und stützt, indem es true leadership beweist.
Können (knowledge and know-how), (3) in Ich finde diese Darstellung keineswegs
jeder Hinsicht einwandfreie Einstellung, entmutigend. Sie reflektiert meine persön-
«Innovation ist Erfolg am Markt. Damit Haltung und Gesinnung (attitude) und, als liche Erfahrung. Aber wenn Sie Innovation
sind Unternehmen gefordert, nicht nur In- Kulmination dieser drei fundamentalen Er- Sales Talk bevorzugen (ohne das «Klein-
novationsideen zu produzieren, sondern fordernisse, (4) deren überragende An- gedruckte» dahinter zu vergessen!), dann
diese auch in einen konkreten Markterfolg wendung (excellence) in einer ausseror- zitiere ich gerne aus The Enterprise of The
umzumünzen. Dies ist ein teilweise dentlichen Situation – true airmanship Future2:
schwieriges Unterfangen mit oft unsiche- eben. Doch war diese Leistung innovativ? – Hungry for change (management of
rem Ausgang. Dennoch gibt es zentrale Nein. Sie war superb, aber nicht neu, change, quickly, successfully)
Erfolgsfaktoren für Innovations- und wenn auch ausgesprochen selten im Sin- – Innovative beyond customer imagina­
Markteintrittsstrategien als auch für die In- ne des Erfolgs. Sie hat das Kundenbedürf- tion (innovation management, systema-
novationsumsetzung, welche Unterneh- nis, die Destination von US Airways Flight tic, cooperative, networked)
men im Innovationsspiel stärker berück- 1549 planmässig und erwartungskonform – Globally integrated (collaboration, rapid
sichtigen sollten, um ihre Chancen zu er- zu erreichen, nicht befriedigt, schon gar reconfiguration, access to capability)
höhen. Dabei geht es oft weniger um nicht zu einem besseren Preis-Leistungs- – Disruptive by nature (new, innovative
Kreativität als um Disziplin im strategi- Verhältnis. Und ich kann mir vorstellen, enterprise model, revenue model, in-
schen Denken und in der täglichen Um- dass die Air Traffic Controllers auf die An- dustry model)
setzung.» kündigung von ’Sully’, auf dem Hudson – Genuine, not just generous (investing in
So Caroline Cerar in «Innovation – keine niedergehen zu wollen, mit einem Ausruf corporate social responsibility)
Frage des Zufalls»1. Und sie stellt klar: reagiert haben: Du spinnst! Die Erkenntnisse von Caroline Cerar,
­«Innovation ist definiert als eine neue und Insofern lehrt uns diese Episode wichti- das Meisterstück von C. B. Sullenberger,
alternative Lösungsmöglichkeit, die Kun- ge Aspekte, die im Vorfeld innovativer, am die skizzierten Fragen und Antworten so-
denbedürfnisse mit einem besseren Preis- Markt erfolgreicher Lösungen und Leistun- wie die Flashlights zu künftigen Unterneh-
Leistungs-Verhältnis befriedigt.» gen meines Erachtens unumgänglich sind. men ergeben vielleicht einen Cocktail, der
Nun aber öffnet sich die Büchse der Ideen kommen uns ab und zu spontan, Sie inspiriert. Pro sit!
Pandora und entlässt ihre (Un-)Tugenden und vielleicht empfinden wir uns, unsere
1 Gassmann, Oliver (Hg.): Innovation – keine Frage des
strategischer und taktischer Erfolgsfak­ Ideen und unser Handeln mitunter sogar
Zufalls. GfM-Schriftenreihe Marketing Manual, Band VII.
toren in alle Richtungen: Management, als kreativ. Wenn wir Glück und Mut ha- Versus Verlag AG, Zürich, 2009.
Governance, Verwaltung und Administra­ ben, tragen wir unsere «Invention» sogar 2 The Enterprise of the Future. IBM Global CEO Study,
2008 (http://www-935.ibm.com/services/de/bcs/html/
tion, Produkte und Leistungen, Beschaf- an eine Erfindermesse – worauf in der Re- ceostudy.html)
fungs- und Absatzmärkte, Kunden und gel die Ernüchterung folgt. Was war
Lieferanten, Marketing und Distribution, In- falsch? Der schweizerische E-Government-Experte Markus Fischer
formation und Kommunikation, Personal­­ Höchstwahrscheinlich das, was uns thematisiert in seiner Kolumne die Anforderungen an das
E-Government. Kolumnen spiegeln persönliche Meinungen
rekrutierung und -entwicklung, Finanzen, ’Sully’ so eindrücklich vor Augen geführt zu Themen im E-Government wider und müssen nicht mit
Organisation, Prozesse, Technologien, hat: Erst die erfolgreiche Kombination der der Meinung der Redaktion übereinstimmen.
Umfeld (Rahmenbedingungen, Region, Inf- dargestellten Faktoren, gekoppelt mit Dis-
rastruktur, Gesetze, Steuern …), Life Cycle ziplin und Erfahrung, schafft die Grundla-
– und so weiter. Und vielleicht auch die ge. Aber noch nicht die Innovation, ge-
(In-)Kompetenz zu Innovation. schweige denn den Markterfolg.

«eGov Präsenz» 1/10


20 Interview

«Wichtig ist, wie man etwas kommuniziert,


in welchen Kontext man Dinge stellt»
Markus Hinterhäuser ist überzeugt, dass es darauf ankommt, wie er auf das Publikum zugeht,
wenn Innovationen, sprich «neue Klänge», vorgestellt werden. Er sieht Musik im Idealfall als Welt-
beschreibung, welche beim Zuhörer sehr stark mit Erinnerungen und vergangenen Emotionen
verbunden ist. Gerade deshalb sei es wichtig, wie man etwas kommuniziert und in welchen
Zusammenhang Dinge gestellt würden.

Markus Hinterhäuser
Interview: Reinhard Riedl

Wenn Sie sich mit einem Kompo- Spielt Charisma eine Rolle? Das ist für mich die entscheidende Frage:
nisten beschäftigen, von dem Sie vor- Entscheidend ist: Wie gehe ich auf das Warum trennt man so sehr in akzeptable
her noch gar nichts gehört haben, Publikum zu? Wie verhandle ich kompli- Musik und in nicht akzeptable? Die plausi-
was passiert da bei Ihnen? ziertere Sachverhalte mit einem Publikum? belste Erklärung für mich ist, dass Musik
Ich habe einen ganz intuitiven Zugang zur Denn wenn ich ein Publikum nach ­Salzburg hören, und Musik als Teil eines Vorgangs
Musik. Was mich an der Musik am aller- einlade, geht es in letzter Konsequenz da- werden lassen, sehr viel mit Erinnerung zu
meisten interessiert, mehr als andere Pa- rum, dass das Publikum auch mit den tun hat. Man erinnert sich, wenn man Mu-
rameter, das ist Klang. Ich glaube, dass komplizierteren Vorgängen Freundschaft sik hört, an bestimmte Melodien, an be-
dies das Wesentliche ist: der Klang, der schliesst. stimmte Tonfolgen, bestimmte Rhythmen,
hereinschwingt und vergeht, und zwar für an bestimmte Formen, wann ist ein Stück
immer vergeht. Der nicht wiederholbar ist. «Entscheidend ist: Wie gehe aus, wann kommen die Schlussformeln.
Der absolut unwiederholbar ist, und das ich auf das Publikum zu?» Die Aktivierung dieser Erinnerungen ist
hat mich immer fasziniert. Wenn mich ein ausserordentlich schwierig, wenn sich das
Stück schon mal allein wegen der Klang- Das Bedürfnis des Publikums ist oft tonale und das rhythmische Gefüge auflö-
lichkeit interessiert, wenn die meine Sinne sehr gering, sich mit Kompliziertem sen.
wachruft, dann interessiert es mich. Wenn und Neuem auseinanderzusetzen.
der Klang in mir nichts auslöst, dann habe Muss man sich darüber hinwegset- Wie gehen Sie als Gestalter von Kon-
ich Schwierigkeiten, weiter zuzuhören. zen? zertprogrammen mit diesen Schwie-
Nein! Es wäre ganz fatal, wenn ich ein rigkeiten des Publikums um?
«Ich glaube, dass dies das ­Publikum nicht ernst nehmen würde. Ich Auf keinen Fall darf man einem Hörer das
Wesentliche ist: der Klang, nehme es ernst, indem ich von ihm Gefühl geben, er stehe vor einem Prob-
der hereinschwingt und etwas fordere. Diese Forderung findet lem, das er nur mit 150 Kilogramm Wissen
vergeht, und zwar für immer auf einem sehr hohen Niveau statt. Da- annähernd bewältigen könne. Dieses Ge-
vergeht.» für bekommt man sehr viel zurück: sehr fühl wäre fatal. Also muss man moderner
viel Anerkennung, Zuneigung, Freund- Musik ihren genuinen Raum und ihren his-
In der öffentlichen Verwaltung trifft schaft. torischen Kontext geben, der vielleicht von
Innovation oft auf grosse Skepsis. In sehr weit her kommt. Man muss eine sug-
der Musik ist es ähnlich. Neue Klänge Warum tut sich moderne Musik gestive Situation schaffen. Dann weicht
haben es beim Publikum schwer. Wie bei Musikliebhabern überhaupt so das Befremden über das Neue oft schnell
versuchen Sie, Menschen für neue schwer? Ist sie zu kompliziert, zu der Faszination.
Musik zu begeistern? vielfältig?
Ohne mich falsch zu verstehen: Zunächst Musikalische Äusserung und musikalische «Ich nehme das Publikum
einmal muss man selber aufrichtig interes- Entwürfe haben immer eine Vielfältigkeit ernst, indem ich von ihm
siert sein an dieser Art von Musik, an die- gehabt. Musik von Gesualdo ist mindes- etwas fordere.»
sen Klängen, an diesen Möglichkeiten. tens so kompliziert wie Musik, die heute
Man muss es aufrichtig lieben. Wenn man geschrieben wird. Die Kunst der Fuge von Was sind für Sie die wichtigsten Inno-
das als eine Pflicht sehen würde, die man Bach ist ausserordentlich vielfältig, aus- vationen der Musik des 20. Jahrhun-
halt zu erfüllen hat, weil es dazugehört, serordentlich kompliziert. derts?
wird es nicht funktionieren. Wichtig ist, wie Das kann ich kaum beantworten. Dazu ist
man etwas kommuniziert, in welchen Kon- Doch es gibt irgendwann einen Mo- das musikalische System zu weitläufig.
text man Dinge stellt, welche Landkarte ment in der Musikgeschichte, ab dem Nehmen wir John Cage und Pierre Boulez.
man zeichnet mit den verschiedenen mu- die Musik nicht mehr akzeptabel ist, Die sind für mich beide von allergrösster
sikalischen Richtungen. sondern die Menschen verstört. Bedeutung, obwohl sie völlig antipodisch

«eGov Präsenz» 1/10


© Peter Rigaud
22 Interview

vorgehen. Bei Cage ist es die Systembe- zu vergessen. Sie wollen schöne einein-

© Wolfgang Lienbacher
freiung, bei Boulez oder Stockhausen die halb Stunden verbringen. Man bereitet
Systemfestigung. Interessant ist, dass sich darauf vor, indem man sich in einer
Cage ein Schüler von Schönberg war, der gewissen Art und Weise anzieht, man be-
ein System propagiert hat, und Cage als stellt einen Tisch nach dem Konzert. Es
Schüler und Bewunderer von Schönberg sind alles fast ritualisierte Vorgänge, die
sich von allen Systemen befreit hat und sehr viel damit zu tun haben, dass Musik
völlig andere Entscheidungsmechanismen ein Mittel ist, um etwas Unerfreulicheres
in seine Kompositionen hat einfliessen las- zu vergessen oder weniger wichtig er-
sen, die sehr viel mit Zufall zu tun haben. scheinen zu lassen. Auch dann, wenn die
Ich würde für mich nie eine Einschränkung Kindertotenlieder von Mahler gespielt wer-
oder eine Auswahl treffen, was ich für be- Markus Hinterhäuser den. Und dabei entsteht ein Gefühl, es
deutend oder weniger bedeutend halte. Markus Hinterhäuser wurde 1959 im italienischen geht mir gut in diesen eineinhalb Stunden.
Ich kann das immer nur in einem grösse- La Spezia geboren und studierte Klavier an der Aber Gustav Mahler ging es nicht gut, als
Hochschule für Musik in Wien, am Mozarteum in
ren Zusammenhang sehen. er die Kindertotenlieder geschrieben hat!
Salzburg sowie in Meisterkursen u.a. bei
Elisabeth Leonskaja und Oleg Maisenberg. Als
«Komponisten der jüngeren Solist und Kammermusiker trat er in den «Im Idealfall ist Musik eine
Generation setzen sich sehr bedeutendsten Konzertsälen und bei vielen Weltbeschreibung.»
interessant mit der international renommierten Festivals auf. Er
Manipulierung eines Raumes engagierte sich vor allem für die Musik des Das Wohlbefinden funktioniert bei
mit elektronischen Mitteln 20. Jahrhunderts. Seit Herbst 2006 ist Markus mir nicht über «es schön haben», son-
Hinterhäuser für das Konzertprogramm der
auseinander.» dern das Wohlbefinden funktioniert
Salzburger Festspiele verantwortlich. Im Jahr
bei mir darüber, dass mein Geist her­
2011 wird er Intendant der gesamten Festspiele.
Wenn die Entwicklung der Musik ausgefordert wird.
Bereits früher war er als Leiter des Zeitfluss-
nicht vom Einfachen zum Komplexen Festivals für die Salzburger Festspiele tätig. Dass Ihr Geist, Ihre Intelligenz, Ihr Senso-
geht: Wohin strebt die Musik? rium herausgefordert wird. Wunderbar.
Ich gebe wieder das Beispiel von Gesual- Bei mir auch. Wenn ich das sagen darf.
do, Monteverdi, Bach. Was Mozart, Haydn Ich will auch niemanden be- oder gar ver-
und auch der frühe Beethoven geschrie- Was halten sie von Crossover? urteilen, der in ein Konzert geht und sich
ben haben, ist wesentlich weniger kompli- Da bin ich ein bisschen zurückhaltend mit mit Musik auseinandersetzt. Doch dieses
ziert. Das ist alles andere als ein Mangel an meiner Euphorie. Da wird sogenannte Wohlsein-Gefühl kann die sogenannte
Bewunderung für Mozart, aber da muss Weltmusik mit E-Musik und Popmusik ge- neue Musik gar nicht herstellen. Allenfalls
man doch sagen, bei ihm ist die Musik mischt nach dem Motto «Anything Goes». gibt eine Form des esoterischen Zugangs
ausserordentlich einfach geworden. Dann Sehr ergiebig war das im Grossen und zu einer gewissen Musik. Aber sicher
kommt der späte Beethoven, und die gan- Ganzen bisher nicht. nicht zu Musik, die sich aus einem ande-
ze Sache wird wieder sehr viel komplexer. ren, sehr viel rationaleren Parameter
Mit dem späten Beethoven beginnt auch Wie stehen Sie zu Computermusik? speist. Das glaube ich nicht.
eine Zeit extrem starker Subjektivierung Eine Zeit lang habe ich die mit relativ gros-
von Musik. Wo Komponisten auch keine sem Interesse verfolgt, doch es fehlt mir «Die entscheidende Frage ist:
Auftragskomponisten mehr sind, sondern etwas. Es fehlt mir der wesentliche Mo- Wie weit wird Neues
eine ganz andere Stimulanz in sich haben, ment einer suggestiven Übertragung der abgelehnt? Wie weit wird
um Musik zu schreiben. Das ist keine Inno- Klänge. Neues gefördert?»
vation, sondern ein Paradigmenwechsel,
diese extreme Subjektivierung von Musik, Was ist der Wert von Musik? Wenn der Wert sich nicht bestimmen
die auch seither nicht mehr aufgehört hat. Das ist bei Musik eine wirklich schwierige lässt, warum wird Musik geschrieben?
Frage. Bei der bildenden Kunst kann man Es gibt einen Grund, und zwar nur einen
Komponisten haben in der Vergan- Menschen zu sich einladen und sagen: einzigen Grund, warum Musik geschrie-
genheit oft sehr schnell technische Oh, das ist ein Bild von X, das ist eine ben wird. Weil sie sich mitteilen möchte.
Neuerungen aufgegriffen. In den Kon- Skulptur von Y, das sind Zeichnungen Im Idealfall ist Musik eine Weltbeschrei-
zertsälen merkt man heute davon von – ich weiss auch nicht. Die haben ei- bung. Es ist nicht irgendetwas. Das kann
aber wenig. nen Wert. Musik repräsentiert in diesem 90 Sekunden Webern sein oder vierein-
Ja, es ist merkwürdig, dass Musik, die Sinn keinen Wert. Musik erklingt und ver- halb Stunden Feldmann. Es geht um et-
heute geschrieben wird, im Grunde für das klingt. Das ist das Wesen von Musik, was was. Es wird etwas verhandelt. Es ist ein
gleiche Instrumentarium geschrieben wird ja auch sehr schön ist, ganz wunderbar Aufruf an den Hörer: Öffne deine Ohren,
wie die Musik des 18. und 19. Jahrhun- ist. Aber es ist eigentlich wenig Geschäft öffne deine Intelligenz, ich hab dir etwas
derts. Es ist immer noch der Ritterschlag damit zu machen. Musik hat keinen gesell- mitzuteilen. Wenn das stattfindet, ist das
für jeden Komponisten, eine Oper zu schaftlichen nachvollziehbaren Wert. An- sehr viel. Wirklich sehr viel. Das merkt
­schreiben, ohne zu hinterfragen, was ei- ders als die bildende Kunst schafft sie kei- man auch intuitiv, dass es diese Mitteilung
gentlich Oper heute bedeutet. Trotzdem, ne Statussymbole. gibt.
vieles geht in Richtung elektronischer Mu-
sik. Komponisten der jüngeren Generation Warum gehen Menschen in ein Kon- Nun sind aber die Fähigkeiten der
setzen sich z.B. sehr interessant mit der zert? Menschen, diese Mitteilung anzuneh-
Manipulierung eines Raumes mittels elekt- Weil sie sich wohl fühlen. Sie wollen dort- men, sehr unterschiedlich, in der Mu-
ronischer Mittel und Lautsprecher etc. hin gehen, um diesen schrecklichen Tag, sik wie auch in allen anderen Be-
auseinander. den sie erlebt haben im Beruf oder privat, reichen.

«eGov Präsenz» 1/10


Interview 23

Das ist so. Es hört auch nicht jeder, was Pendel wieder umschlagen. Es ist immer
der andere hört. Ich würde das auch so gewesen.
gar nicht als Manko sehen. Das ist ein-
fach so. Menschen sind verschieden. Die Wir leben in der Zeit der Globalisie-
entscheidende Frage ist: Wie weit wird rung, in der die gleichen Künstler auf
Neues abgelehnt? Wie weit wird Neues der ganzen Welt zu hören sind. Wie
gefördert – gefördert durch die Möglich- schaffen es die Salzburger Fest-
keiten, dass man es zur Aufführung spiele, sich von der Art-as-usual zu
bringt? unterscheiden? Wie gehen Sie mit
den Stars und ihrer Routine um?
«Kein Steuergeld der Welt Mir ist es wichtig, dass man eben nicht so
ist das Privatgeld von irgend- eine Durchreisestation ist, sondern dass
welchen Finanzministern.» man Konstellationen schafft, die so einem
Festival auch gerecht werden. Dass es
Oft erklärt man das Neue als a priori Konstellationen gibt, für die man wirklich
nicht wesentlich und als ein Minder- nach Salzburg fahren muss. Natürlich ist
heitenprogramm, das keine Quote er- das schwierig, und es gibt ganz viel Profa-
füllt. nes, das es unnötig noch schwieriger
Dann fängt es an, ein apodiktisches Prob- macht. Aber wenn man sein eigenes Pro-
lem zu werden. Dann wird es gefährlich. blem ständig formuliert, wird man das Pro-
Quote heisst, es ist etwas wertvoll, wenn blem nicht los. Man muss eine Selbstver-
es in irgendeiner Form publikumskompa- ständlichkeit schaffen. Es bedarf eigentlich
tibel wird. Aber eine Gesellschaft hat sich keiner Erklärung, warum die Wiener Phil-
anzustrengen, Dinge möglich zu machen, harmoniker Nono und Boulez spielen und
die vielleicht auch im Moment verstörend sonstige Zeitgenossen. Es ist selbstver-
sind, die schwierig sind, die kompliziert ständlich.
sind, die fremd sind, die sperrig sind, un-
zugänglich sind, aber die doch auch et- Eine Selbstverständlichkeit schaffen,
Hier könnte
was über unsere Welt sagen. das ist ein simpler und idealer
Schlusssatz. Vielen Dank!
Ihr Inserat
Wie gehen Sie damit um? Das Pro-
blem «Quote» ist auch für mich ein Besten Dank für das Interview, Herr
stehen.
permanenter Begleiter – nur heisst Hinterhäuser.
die Quote bei mir Drittmittel. So erreichen Sie die
Wichtig ist, dass die Gesellschaft die Entscheidungsträger
Möglichkeit geben muss, dass Dinge der öffentlichen
statt­finden. Kein Steuergeld der Welt ist
Verwaltung.
das Privatgeld von irgendwelchen Finanz-
ministern. Man muss immer und immer
wieder darauf pochen, dass es einen Kul-
turauftrag gibt. Das Relativieren dieses
Auftrags durch falsch verstandene privat-
wirtschaftliche Modelle darf man nicht ak-
zeptieren. Es geht um Politik, und die hat
eine andere moralisch-ethische Kompo-
nente als die Privatwirtschaft.

«Wenn man sein eigenes


Problem ständig formuliert,
wird man das Problem nicht
los. Man muss eine
Selbstverständlichkeit
schaffen.»

Es fragt sich, wie lange diese Sicht


noch politisch mehrheitsfähig ist.
Ich weiss es nicht. Seit dem Fall der so­
genannten Oststaaten ist die Privat­
verwirtschaftlichung ziemlich wild gewor-
den. Aber es wird auch eine Umkehr
geben. Irgendwann ist diese Daueridioti- Weitere Informationen und Preise:
sierung nicht mehr erträglich. Bei der Bil- www.egov-praesenz.ch/
dung, bei Schulen und Universitäten, da mediadaten
gibt es sehr viele Dinge, die wirklich im
Graben liegen. Doch irgendwann wird das

«eGov Präsenz» 1/10


24 Zwischenruf

Records Management oder Misere?


Vom schwierigen Umgang mit elektronischen
Unterlagen in der Verwaltung
Tilman Braun

Tilman Braun handelt es sich um subjektive Einschät- Die öffentlichen Verwaltungen


Mehrjährige Verwaltungserfahrung
sowie Beratungstätigkeit für alle
zungen zu Faktoren, welche der Autor in sind traditionsorientiert
föderalen Ebenen der Arbeitspraxis sowie in Expertendis- Öffentliche Verwaltungen sind in ihrer Or-
tilman.braun@gmail.com kussionen ausmachen kann, und vereint ganisationsform wesentlich stabiler als
persönliche Erfahrungen aus mehrjähriger Unternehmen, in denen die Mitarbeiten-
Beratungstätigkeit für verschiedene öf- den kontinuierlich mit Reorganisationen
fentliche Verwaltungen auf allen föderalen und Anpassungen konfrontiert sind. Dies
Ebenen. Die folgenden Aussagen bezie- führt zu sehr langen «Vergleichszeiten»
hen sich ausschliesslich auf Bereiche der und tief verankerten Routinen. Langjährige
planenden Verwaltung mit nur schwach Traditionen können sich als hinderlich für
strukturierten Arbeitsprozessen. die Anpassungsfähigkeit erweisen. Denn
tradierte Arbeitsweisen lassen sich schwe-
Max Webers Erben tun sich rer verändern.
schwer mit digitalen Assets
Eine Kernkompetenz der Verwaltung be- Das Papier als Wert sui generis
steht im ordnungsgemässen und syste- In einigen Verwaltungen entsteht der Ein-
matischen Umgang mit Unterlagen. Seit druck, als ob Papierunterlagen implizit als
der Entstehung öffentlicher Verwaltungen höherwertig angesehen würden. Ein
Konzepte zum intelligenten Umgang mit in der heutigen Bedeutung hat der Ver­ Stück Papier, zudem noch handschriftlich
digitalen Informationen und Dokumenten waltungsapparat den Umgang mit Ak- unterschrieben, stellt im Gegensatz zu
wie Records Management, GEVER, Docu- ten – auch aus rationalen Gründen legaler eher flüchtigen elektro­n ischen Unterlagen
ment Related Technologies (DRT) oder Herrschaftsausübung – perfektioniert. Sei- noch einen Wert dar. In diesem – viel-
Enterprise Content Management (ECM) ner Funktionslogik immanent ist der An- leicht allzu menschlichen –  Verständnis
sind ein bestimmendes Thema für öffentli- spruch, auf längere Sicht zu funktionieren. sind elektronische Informa­t ionen nicht
che Verwaltungen und gelten als eine ihrer Die Nachvollziehbarkeit der Geschäftstä- wirklich (be-)greifbar und somit weniger
grössten zukünftigen Herausforderungen. tigkeit ist dabei ein Wesensmerkmal: öf- reell. Nach dieser ­L ogik besteht vielerorts
Der Bund verfügt dabei über die längste fentlichen Archive z.B. dokumentieren gar nicht der Wunsch, auf die Papierform
Erfahrung. Schon seit 1999 besteht ein über Jahrhunderte die Exekutivbeschlüs- zu verzichten. Wie anders lässt sich er-
Standardprodukt zur elektronischen Ge- se. klären, dass Verwaltungen auch in Fällen
schäftsverwaltung, und umfangreiche GE- Die vermehrte Nutzung von elektroni- ohne rechtliche Formvorschriften noch
VER-Standards wurden erarbeitet. Der schen Kommunikationsmedien vergrö- Unmengen an (unterschriebenem) Papier
Bundesratsbeschluss für eine flächende- ssert die Optionen eines umfassenden produzieren. Oftmals werden Dokumente
ckende GEVER-Einführung beweist die Nachweises von staatlichem Handeln, da vorab in elektronischer Form zugestellt
Bedeutung, welche der Bund dem Thema im Gegensatz zu Papierunterlagen auch und zusätzlich in gedruckter Fassung per
beimisst. Aber auch Kantone und Städte die Integration von Prozessinformationen Haus-Post nachversandt.
haben in den letzten Jahren unterschiedli- ermöglicht wird. Andererseits führt sie zu
che Projekte lanciert und dokumentieren einer Steigerung der Komplexität und da- Rechtliche Unsicherheiten
damit die Relevanz für alle staatlichen mit auch der Anforderungen. Rechtliche Unsicherheiten im Umgang mit
Ebenen. Ergebnis davon sind erfolgreich Die fast vollständige Durchdringung der digitalen Informationen begründen einen
umgesetzte Vorhaben. Aber vielerorts ge- Lebens- und Arbeitswelten mit IuK-Tech- weiteren Faktor für die Schwierigkeiten.
staltet sich der konkrete Umgang mit elek- nologien schliesst auch alle öffentlichen Vielen sind elektronische Dokumente in
tronischen Inhalten und Instrumenten pro- Verwaltungen mit ein. Denn die Mitarbei- Bezug auf ihre rechtliche Verbindlichkeit
blematisch. Woran liegt das? Was sind tenden sind Teil der sich stark wandelnden suspekt. Zumal sie sich ja nicht hand-
typische Probleme, und welche Faktoren Gesellschaft, die Erwartungshaltung von schriftlich unterschreiben oder visieren
verhindern einen schnelleren Fortschritt? Dritten an Verwaltungsapparate verändert lassen. Dies hängt teilweise auch mit der
sich, und im alltäglichen Verwaltungsalltag Gesetzgebung zusammen, welche die
Vorbemerkungen sind die typischen IT-Instrumente nicht Rechtsgültigkeit digitaler Signaturen, z.B.
Dem Artikel liegt keine systematische Ana- mehr wegzudenken. Dennoch tun sich im Verkehr mit der Justiz, erst zö­gerlich
lyse zugrunde; die empirischen Beispiele Verwaltungen im professionellen Umgang anzuerkennen begonnen hat. Ungeachtet
sind zufällig. Aus diesem Grund stellt die mit den neuen Medien und den daraus der Tatsache, dass bereits seit geraumer
Generalisierbarkeit der vorgenommenen ­resultierenden Konsequenzen teilweise Zeit bewährte technische Verfahren be-
Aussagen auch kein Ziel dar. Vielmehr schwer. stehen, um Authentizität, Nichtabstreit-

«eGov Präsenz» 1/10


Zwischenruf 25

barkeit und Integrität elektronischer Daten daten zu erfassen sind, der wird erst recht Fehlender Wille der obersten
zu gewährleisten, wird im Zweifels- durchgängige komplexe Systeme auch Führung?
fall – und in der Praxis scheinen diese Fäl- nicht ernsthaft be- und damit nutzen kön- Ehrgeizige Ziele für den zeitgemässen
le offensichtlich zu überwiegen – doch je- nen. Umgang mit elektronischen Assets wer-
weils noch eine Papierver­sion erstellt. Zur den von oberster Führung formuliert. Der
Sicherheit wird bevorzugt auf handschrift- Ein Denken in Geschäftsprozes- Bundesratsbeschluss zur flächende­cken­
lich zu unterzeichnendes Papier zurück- sen ist nur selten vorhanden den GEVER-Einführung ist nur ein Beispiel
gegriffen und in Folge davon auf Kopien Ein modernes Geschäftsprozessverständ- dafür. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass
von Kopien von Kopien … nis besteht erst in wenigen Verwaltungs- es nicht unbedingt jedem Mitglied der
Unsicherheit und Unwissenheit in Bezug einheiten. Das ist auch der Grund, warum obersten Verwaltungsführung ganz ernst
auf die Verbindlichkeit von elektronischen dies explizit als eine der drei zentralen Ziel- damit ist. Wer profiliert sich schon gerne
Unterlagen verhindern also in der Praxis setzungen in der E-Government-Strategie mit einem Informatikthema, welches nach
oftmals die konsequente Nutzung moder- Schweiz festgeschrieben wurde.1 Gerade aussen kaum sichtbar wird? Ein systema-
ner Kommunikationsformen. die technisch unterstützte Vorgangsab- tischer Umgang mit elektronischen Unter-
wicklung ergibt und ermöglicht Änderun- lagen bewirkt einen signifikanten Rationa-
Ein letztlich fehlender gen von Arbeitsprozessen. Dies wiederum lisierungsschub, fördert die Transparenz
ökonomischer Zwang setzt ein «erweitertes Verständnis ganz- und ist damit ein effektives Führungsinst-
Viele Verwaltungsstellen haben mit perma- heitlicher Arbeitszusammenhänge»2 vor- rument. Allerdings erfordert die erfolgrei-
nenten Budgetkürzungen zu kämpfen. aus, und zwar bei allen Mitarbeitenden che Einführung und Nutzung von Ge-
Hinzu kommen stetig wachsende Aufga- sowie vor allem auf Führungsebene. Viele schäftsverwaltungssystemen auch, dass
ben und steigende Anforderungen von Verwaltungsstellen erfüllen ihre Aufgaben, diese als Chefsache gehandelt werden.
Kunden und Partnern. Umso verwunderli- ohne die Leistungserstellung als Prozess Solange jedoch Führungspersonen der
cher erscheint es vor diesem Hintergrund, zu verstehen und dementsprechend zu Auffassung sind, dass es doch letztlich
wie brachliegende Effizienzpotenziale oft- managen. Dies führt häufig dazu, dass gleichbedeutend sei, ob ihr Sekretariat die
mals nicht genutzt werden. Der konse- elektronische Versionen selbst produzier- Unterlagen per Post erhält oder eben die
quente Einsatz neuer Medien ist ­abei nur ter Unterlagen nicht verfügbar sind. Zur elektronischen Unterlagen für sie aus-
einer neben anderen Ansatz­punkten wie Not werden dann auch einmal Papiere aus druckt, wird es auch für den Erfolg von
z.B. Zentralisierung, Aufgabenüberprü- dem nachbarlichen Büro einfach ge- elektronischen Kommunikationsmitteln
fung oder Optimierung von Abläufen. Of- scannt. schwierig.
fensichtlich können sich jedoch einige Ver- Es kann jedoch auch zu ernsthafteren
waltungen nach wie vor den Luxus leisten, Problemen kommen, wenn die Papierfas- Moderne Schriftgutverwaltung
den Umgang mit elektronischen Medien sung nicht mit der digitalen übereinstimmt. erfordert mehr Fertigkeiten
nur nachlässig zu professionalisieren und So paradox es klingen mag, oft ist die Früher waren die Anforderungen an das
lediglich in geringem Ausmass zu forcie- ­Bearbeitung und Distribution der elektro- Aktenmanagement überschaubar, das Ab-
ren. Etwas überzogen formuliert bedeutet nischen und der papiergebundenen Ver­ legen von Papier erfordert keine grosse
dies, dass teilweise mit doppeltem Perso- sion derselben Unterlage nicht wirklich Kompetenz im Umgang mit Unterlagen.
nal-, aber ohne IT-Einsatz gearbeitet wird. miteinander verknüpft. Durch die Elektronisierung der Schriftgut-
Die Prioritäten in Organisationen, die Per- verwaltung steigen jedoch die Ansprüche
sonalkosten erwirtschaftet müssen, sind Geringer Ausbildungsstand an die Aktenführung. Den Mitarbeitenden
zwangsläufig andere. Verwaltungsstellen, Ein weiterer Grund für die Schwierigkeiten und vor allem den Führungskräften wer-
die ihre internen Termine noch mittels un- mancher Verwaltungen bei der Umstellung den mit einer elektronischen Geschäfts-
terschriebener Sitzungseinladungen in Pa- auf elektronische Arbeitsweise – und verwaltung ganz neuartige Fähigkeiten
pierform organisieren, müssen nicht lange dies gilt wohl ähnlich für viele private und Kenntnisse abverlangt. Denn zukünf-
nach Ansatzpunkten für Effizienzverbesse- Unter­nehmen – besteht im vielerorts tig werden wesentliche Funktionen des
rungen suchen. ­vernachlässigten Ausbildungsstand von Informationsmanagements durch die
Mit­arbeitenden. Teilweise wird der Com- Sachbearbeitenden wahrgenommen. Der
Mangelndes Bewusstsein und puterarbeitsplatz nur rudimentär be- moderne Umgang mit digitalen Daten und
Verständnis herrscht, und nicht selten fungiert der komplexen Systemen konfrontiert alle Mit-
Der intelligente Umgang mit elektroni- Computer lediglich als eine Art elektroni- arbeitenden nun mit grundlegenden Auf-
schen Daten und Dokumenten ist kein sche Schreibmaschine mit E-Mail-­Funk­ gaben des Wissens- oder Recordsma-
technisches Thema. Die dafür benötigte tion. Ein wirklich sinnvoller Einsatz der nagements. Darauf sind die wenigsten
Tech­nologie muss natürlich funktionieren. ­modernen Büroautomation und weiterge- vorbereitet. Hier muss dringend gegen­
Die entscheidenden Fragen sind jedoch hender Instrumente stellt allerdings höhere gesteuert werden.
strategischer und organisatorischer Art. Anforderungen an die Beherrschung, zu-
1 «Die Behörden haben ihre Geschäftsprozesse
Wird die Bedeutung nur unzureichend er- mal Funktionsumfang und Komplexität
modernisiert und verkehren untereinander elektronisch.»
kannt, fehlt der Wille zum Durchsetzen re- auch weiterhin kontinuierlich steigen wer- In: E-Government-Strategie Schweiz; http://www.
spektive zur Anwendung. Es ist vor die- den. Hier besteht dringender Handlungs- egovernment.ch/de/grundlagen/index.php.
2 Schuppan, Tino: Kompetenzen für vernetztes
sem Hintergrund nicht verwunderlich, bedarf; insbesondere die Weiterbildung E-Government. In: «eGov Präsenz» 1 (2009). S. 62 ff.
dass vielen Mitarbeitenden die zentralen wird sich inskünftig nicht nur auf fachspe-
Zusammenhänge für den Umgang mit zifische Fähigkeiten zu beschränken, son-
elektronischen Unterlagen nicht präsent dern – auch in Zeiten knapper Budgets –
sind. Wer nicht versteht, welchen Sinn informationstechnologische An­forderun-
systematische Dokumentenbezeichnun- gen an die Prozessbewältigung mit zu
gen und ein Ordnungssystem hat oder berücksichtigen haben.
warum neuerdings unterschiedliche Meta-

«eGov Präsenz» 1/10


26 Veranstaltungen

Im Fokus: «Dokumentenmanagement und


Langzeitarchivierung»
Am 18. September 2009 fand die vom Kompetenzzentrum Public Management und
E-Government organisierte Tagung eGov Fokus «Dokumentenmanagement und Langzeit­
archivierung» statt. Die Referenten aus der Schweiz, Österreich und Deutschland
sprachen über konzeptionelle Grundlagen und Praxiserfahrungen aus dem Bereich
der Informationsverwaltung.

Ronny Bernold, Michael Kaschewsky

Ronny Bernold her. Als einer der wesentlichen Unter- sicherheit gewährleistet sein. Dr.  Ste-
Chefredaktor «eGov Präsenz»
Kompetenzzentrum Public Management
schiede wurde die Tatsache betrachtet, ­fanie Fischer-Dieskau, Referentin im
und E-Government dass das E-Dokument im Prinzip in belie- Re­ferat Justiziariat/Haushalt beim Bun-
ronny.bernold@bfh.ch
big vielen Originalen ohne physikalische desamt für Sicherheit in der Informations-
Lokalisierbarkeit verfügbar ist und so neue technik, wies auf die Anforderungen an die
Formen der Datensicherheit erfordert. langfristige, veränderungssichere Aufbe-
Dr. Michael Kaschewsky wahrung elektronischer Dokumente hin.
Wissenschaftlicher Mitarbeiter
Kompetenzzentrum Public Management
Langzeiterhaltung von digitalen Dabei stellen sich einige branchenüber-
und E-Government Bundesdaten greifende Grundanforderungen an die Auf-
michael.kaschewsky@bfh.ch Der Verwaltungsverkehr des Bundes muss bewahrung:
nach dem Bundesratsbeschluss von An- – Integrität – Unverfälschtheit der Daten
fang 2008 bis spätestens Ende 2011 voll- – Authentizität – Herkunft der Daten
ständig digital erfolgen. Der dazugehörige – Lesbarkeit/Verfügbarkeit der Daten
standardisierte Archivierungsprozess wur- – Verkehrsfähigkeit – «Transportfähigkeit»
Der Umstieg von analogen Papierdoku- de vom Bundesarchiv (BAR) etabliert, so- der Daten
menten zur digitalen Information stellt ei- mit bleibt dieses auch im digitalen Zeitalter – Vertraulichkeit der Daten
nen fundamentalen Wechsel in der Ver- die zentrale Archivierungsstelle der Bun- Um diesen Grundanforderungen ge-
waltungsarbeit dar. Interne Prozesse und desverwaltung. Frau Dr. Krystyna W. Oh- recht zu werden, ist die fortlaufende Er-
die Kollaboration zwischen den Verwal- nesorge, Leiterin des Ressorts Innovation neuerung der Sicherungsmittel nötig. So
tungseinheiten müssen analysiert und und Erhaltung beim Schweizerischen Bun- kann zum Beispiel das Objekt nicht lang-
schrittweise digitalisiert werden. So wird desarchiv, präsentierte dieses strategi- fristig mit immer demselben Sicherungs-
das elektronische Dokument die Verwal- sche Programm zum Aufbau des digitalen mittel geschützt werden, oder die Sicher-
tungsarbeit nachhaltig verändern und ei- Archivs. Die geltenden Grundsätze des heitseignung von Kryptoverfahren kann im
nen zentralen Grundstein für weiter ge- BAR zur digitalen Archivierung und die Lauf der Zeit abnehmen.
hende Entwicklungen im E-Government Spezifikation der Ablieferungsschnittstelle
legen. Die Kontrolle des Dokumentlebens- wurden im September 2009 publiziert, Das Filmarchiv als audiovisueller
zyklus wird zur zentralen Verwaltungsauf- womit das Projekt Arelda abgeschlossen Zeitzeuge
gabe des Dokumentenmanagements ist. Die gesamte Konzeption beruht auf Das Archiv des Schweizer Fernsehens hat
(DMS). Ferner gilt es, geschickte und be- dem international anerkannten Referenz- eine enorme Datenmenge zu meistern. Al-
nutzerfreundliche Datenstrukturen und modell OAIS (Open Archival Information lein 200 000 Medienträger (Filme oder Vi-
Ablagesysteme zu erstellen und digitale System)1. Um die Effizienz der Datenüber- deokassetten) mit circa 110 000 Stunden
Informationen langfristig zugänglich zu führung von den Bundesämtern in das Material und einem jährlichen Zuwachs
machen. Die Veranstaltung eGov Fokus elektronische Archiv zu gewährleisten, von circa 3500 Stunden sind hier erhält-
zeigte die Diversität des Themas mit den wurde ein verbindliches Abgabeformat für lich. Jürg Hut, Leiter Archivüberspielung
unterschiedlichen Disziplinen auf, die zu digitale Archivobjekte definiert. Mit Unter- K+M im Multimediazentrum des Schwei-
einer Einheit geformt werden müssen. stützung des BAR werden die Bundesäm- zer Fernsehens, erläuterte in seinem Refe-
Prof. Dr. Reinhard Riedl, Leiter des ter Datenexporte aus ihren Applikationen rat, wie das Schweizer Fernsehen etap-
Kompetenzzentrums Public Management auf das Abgabeformat ausrichten. Das penweise sein Archiv digitalisiert. Im
und E-Government, eröffnete die Tagung BAR ist gerüstet für eine kontinuierliche ersten Schritt wird die Metadatenbank
mit seiner Rede. Er zeigte auf, wie das di- Archivierung, denn einen «last call for ar- FARO implementiert und anschliessend
gitale Dokumenten-Management und die chiving» wird es gemäss Frau Ohnesorge die Hardware und das Dateimanagement
Langzeitarchivierung Verwaltungsabläufe nie geben. aufgebaut. Ab 2010 erfolgt dann die da-
verändern beziehungsweise in Zukunft
noch weiter verändern werden. Dabei un- Sichere Aufbewahrung Nächster eGov Fokus:
terstrich er die drei kardinalen/zentralen Die Speicherung kann den «Wert der Infor- «Interoperabilität und Standards»
Wechsel Entmaterialisierung, Atomisie- mation» zwar nicht steigern, darf diesen Die nächste Tagung der Veranstaltungsreihe
rung und Integration, stellte gleichzeitig aber auch nicht verringern. Aus rechtlichen eGov Fokus findet am Freitag, 23. April 2010,
zum Thema «Interoperabilität und Standards»
aber auch die Parallelen der konventionel- Gründen genügt die alleinige Archivierung
statt. Weitere Informationen und die Anmeldung
len «alten» Informationsverwaltung zu der- von Daten somit oft nicht. Neben der Er- folgen unter www.e-government.bfh.ch/interop.
jenigen der E-Dokumente und E-Archive haltung muss auch die Veränderungs­

«eGov Präsenz» 1/10


Veranstaltungen 27

Prof. Dr. Reinhard Riedl, Leiter Kompetenzzentrum Public Andrea Kubath, Referatsleiterin beim Ministerium des Dr. Krystyna W. Ohnesorge, Schweizerisches Bundesarchiv
Management und E-Government Innern des Landes Brandenburg Leiterin Ressort Innovation und Erhaltung

Mag. Bettina Kann, Leiterin Hauptabteilung Digitale Jürg Hut, Leiter Archivüberspielung K+M/Multimedia­ Dr. Stefanie Fischer-Dieskau, Bundesamt für Sicherheit in
Bibliothek der Österreichischen Nationalbibliothek zentrum Schweizer Fernsehen der Informationstechnik, Referentin im Referat Justiziariat/
Haushalt

teibasierte Archivierung aller Sendungen zu erkennen und entsprechend zu behan- vanz des Internets und der Archivierungs-
und ab 2015 der Internetzugang auf FA- deln, wurde von Beginn weg aufgezogen. auftrag veranlassen die Nationalbibliothek,
RO-Videos. Im Rahmen der Archiverhal- Teil dieser Bemühungen war ein starkes Webinhalte zu archivieren. Ein bis zwei Mal
tung können jährlich 500 bis 1000 Stun- Projektmarketing und eine rollenbezogene pro Jahr wird die Top-Level-Domain .at
den Material überspielt werden. Somit Unterstützung der verschiedenen An- gesichert. Websites mit inhaltlichem Be-
wird das Archiv des Schweizer Fernse- spruchsgruppen, womit die Akzeptanz ge- zug zu Österreich aus den Bereichen Ge-
hens zu einem wichtigen Zeitzeugen. steigert werden konnte. sellschaft, Wirtschaft, Kultur, Verwaltung,
Über die Vor- und Nachteile von Open Wissenschaft sowie spezielle Events wie
Erfolgsfaktor Projektmarketing Source beziehungsweise proprietären Wahlen oder Fussballspiele werden regel-
Das Projekt EL.DOK BB führt bis 2011 die Softwarekomponenten diskutieren im An- mässiger oder je nach Ereignis archiviert.
elektronische Aktenhaltung und Vorgangs- schluss Markus Geiser, Leiter Kompetenz- Der Zugang zum Bestand ist aber aus
bearbeitung in der Ministerialverwaltung zentrum ECM der Bedag Informatik AG, Datenschutzgründen beschränkt auf be-
des Landes Brandenburg ein. Auf selbiger Matthias Stürmer, Vorstandsmitglied des rechtigte Bibliotheken, das Bundeskanz-
Plattform sollen auch ein elektronisches Vereins /ch/open und Projektleiter der LIIP leramt, das Parlament und das Österrei-
Kabinettinformationssystem (EL.KIS), in AG, sowie Walter M. Schill, Geschäftsfüh- chische Staatsarchiv. Er wird nur am
dem alle Kabinettreferatsmitglieder zu- rer der Fabasoft CH Software AG. Standort der Bibliotheken ermöglicht. Da-
sammenarbeiten, sowie ein Bereich zur rüber hinaus ist lediglich Ausdrucken, aber
behördenübergreifenden Zusammenarbeit Neues Archivgut Web-Content nicht das Speichern oder Versenden mög-
aller Nutzerinnen und Nutzer der Landes- Die Schlussrednerin Bettina Kann, Leiterin lich.
verwaltung (EL.ZA) errichtet werden. Das Hauptabteilung Digitale Bibliothek der Ös-
Gesamtprojekt startete im Land Branden- terreichischen Nationalbibliothek, wies auf Unterlagen zur Veranstaltung:
Die Unterlagen sind online verfügbar:
burg einen Paradigmenwechsel, wie And- bisherige Bestrebungen zur Digitalisierung
www.e-government.bfh.ch/dm_arch.
rea Kubath, Referatsleiterin beim Ministe- in ihrer Organisation hin. So sind seit 2006
rium des Innern des Landes Brandenburg, alle Kataloge über das Internet zugänglich
1 http://www.nb.admin.ch/slb/slb_professionnel/01693/
berichtete. Ein konsequentes Verände- und die Massendigitalisierung historischer
01696/01876/01878/index.html?lang=de.
rungsmanagement mit dem Ziel, durch Tageszeitungen (ANNO) und historischer
stetige Begleitung der Benutzenden Ängs- Gesetzestexte (ALEX) im Umfang von rund
te, Widerstände und Vorurteile frühzeitig sechs Millionen Seiten online. Die Rele-

«eGov Präsenz» 1/10


28 Veranstaltungen

«E-Government: das dynamischste Pferd


im Rennstall der Verwaltung»
3. Nationales e
­ Government-Symposium vom
17. November 2009
Gegen 300 Teilnehmende aus Privatwirtschaft, Verwaltung, Politik und Forschung haben sich am Nationalen eGovern-
ment-Symposium in Bern zu den Themen E-Partizipation und Innovation durch E-Government ausgetauscht. Mit der
dritten Durchführung hat sich das von Bundespräsident Hans-Rudolf Merz eröffnete Symposium als feste Veranstal-
tung der E-Government-Community etabliert.

Ronny Bernold, Alessia C. Neuroni

Ronny Bernold aufgrund fehlender Ressourcen und teil- aktives Bundesbüchlein zu lancieren. Die
Chefredaktor «eGov Präsenz»,
Kompetenzzentrum Public Management
weise fehlenden Wissens zu stagnieren. Bürgerinnen und Bürger müssten schon in
und E-Government Um E-Government bereitzustellen, braucht der Phase der politischen Themenfindung
ronny.bernold@bfh.ch es seiner Ansicht nach Unterstützung. So und bei der Agendagestaltung stärker mit
soll beispielsweise ein Ressourcenpool, einbezogen werden. Das Referendum zum
insbesondere für die Bereiche Project biometrischen Pass habe den Einfluss des
Dr. Alessia C. Neuroni ­Management und juristische Fragen, ge- Bürgers und moderner Technologien klar
Senior-Researcherin,
Kompetenzzentrum Public Management
schaffen werden. und deutlich aufgezeigt. Vermehrt müsste
und E-Government man versuchen, die guten Ideen im politi-
alessia.neuroni@bfh.ch «(…) il s’agit de mettre le turbo» schen Prozess einzubinden und ihnen eine
Der Genfer Regierungsrat Mark Muller be- entsprechende Bedeutung zuzumessen,
tonte die Notwendigkeit einer guten Zu- denn dies schaffe Verantwortung.
sammenarbeit zwischen Bund, Kantonen
und Gemeinden. Der Magistrat verwies Gemeinsame Interessen und
dabei auf die Pionierarbeit, die der Kanton Ziele aus der Privatwirtschaft
Genf etwa bei der Erfindung des Web Die Anwesenden kamen in den seltenen
Zentral koordinieren, (CERN) oder im Bereich E-Voting geleistet Genuss, die beiden Länderchefs der an-
dezentral umsetzen  hat. Er präsentierte einige erfolgreiche sonsten konkurrierenden Unternehmen
Bundespräsident Hans-Rudolf Merz hielt Genfer Projekte wie die Geodatenplatt- Microsoft und IBM zusammen auf einer
in seiner Eröffnungsansprache fest, mo- form Topoweb oder die Datendrehscheibe Bühne zu sehen.
derne Technik sei aus der heutigen Welt MyFile. Der Kanton Genf stellt 26 Millionen Im Koreferat von Daniel Rüthemann und
nicht mehr wegzudenken; als Beispiel er- Franken für zentrale Themen wie Steuern, Peter Waser kündigten die beiden Country
innerte er an bloggende Bundesräte. «Wir Bauwesen und Bildung zur Verfügung. General Manager an, dass die IKT-Bran-
können es uns nicht leisten stillzustehen.» Laut Muller schafft E-Government eine che künftig eine stärkere Rolle in der
Auch wenn die Umsetzung der E-Govern- neue Art der Kundenbeziehung, die auch ­Politik spielen werde. Sie skizzierten (ge-
ment-Strategie Schweiz eine Baustelle einen Wandel bei der Verwaltungsarbeit meinsame) Vorhaben und formulierten Er-
sei, freue es ihn, dass die meisten priori- (Accountability) verursachen wird oder be- wartungen an E-Government und die vom
sierten Vorhaben planmässig vorange- reits verursacht hat. Muller setzt sich dafür Bundespräsidenten geforderte Zusam-
schritten seien und die Finanzierung als ein, dass Genf in Bezug auf Innovationen menarbeit. Eine partnerschaftliche Zu-
Schlüsselfrage zum grössten Teil geregelt immer an vorderster Front sein wird. Mit sammenarbeit, der offene und regelmässi-
worden sei. Der Bundespräsident rief die Blick auf die anwesenden Bundesvertrete- ge Dialog sowie die stärkere Gewichtung
Anwesenden aber zur verstärkten Zusam- rinnen und Bundesvertreter im Saal fügte der Corporate Governance bei Ausschrei-
menarbeit und Partnerschaft zwischen In- er an, es sei nun aber die Zeit gekommen, bungen seien neben Infrastrukturprojekten
dustrie und Politik auf und plädierte für «den Turbo einzuschalten». wie der SuisseID eminent wichtig.
eine zentrale Koordination und eine de-
zentrale Umsetzung – eine Strategie, die Partizipation schafft «Also nichts wie los …»
auch von Nachrednern aufgenommen Verantwortung Glarus präsentierte die Chance, mit
wurde. Eine inhaltliche Interaktion zwischen Bür- ­E-Government aufgrund der Gemeindefu-
E-Government geniesst also Rücken- ger und Staat forderte Nationalrätin Jac- sion eine völlig neue Verwaltung aufzuzie-
wind vom Bundesrat. Dies soll die Über- queline Fehr: Nur wenn sich Bürgerinnen hen. Van Vliet formulierte als Ziel des
windung bestehender Hürden und das und Bürger am politischen Prozess beteili- ambitiösen Vorhabens, die Gemeinde fit
Vorankommen auf den Baustellen unter- gen können, werden E-Partizipation und zu machen und dabei Synergien zu nut-
stützen. somit auch E-Government breit mitgetra- zen. Nach der ungestümen Ideeneinbrin-
Bundespräsident Merz fand unterstüt- gen. Sie empfahl den E-Government-Ver- gung an der Glarner Landsgemeinde seien
zende Worte für die kommunale Ebene: antwortlichen, Partizipationsprojekte wie die Erwartungen gross gewesen. Das Pro-
Die Aktivitäten der Gemeinden scheinen die Onlinevernehmlassung oder ein inter- jektteam musste mit mehreren Herausfor-

«eGov Präsenz» 1/10


Veranstaltungen 29

derungen wie der Komplexität, dem Man-


gel an Erfahrung und einer riesigen
Projektorganisation mit Milizteams kämp-
fen. «Nicht nur dabei, sondern mitten drin
in die Zukunft» – schade, dass nur wenige
Gemeindevertretungen im Saal anwesend
waren, die von dieser Erfolgsgeschichte
profitieren konnten.

Innovation
Abgerundet wurde der Vormittag durch
Einblicke in E-Government-Vorhaben des
deutschen Städte- und Gemeindebundes
sowie von «Rathaus21» in Hagen. Für den
ersten Teil des Nachmittags konnten
die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus
16  Fachsession auswählen. Dabei stan-
den zu den vier Themenbereichen E-Parti-
zipation, Innovation, digitale Identität und
Kantone/Gemeinden interessante Refera-
te bereit.
Vor der aufschlussreichen Podiumsdis-
kussion mit Annemarie Giger von Senior-
web, alt Nationalrat François Loeb, Cae-
sar Andres von der Jungen CVP und dem
Studierenden Christian Vetsch plädierte
Frank Marthaler, Konzernleitungsmitglied
der Post, für einen «zweckmässigen Ein-
satz des Internets». Das Podium nahm
dieses Anliegen gleich auf. Wir hätten heu-
te die Technologien und die Information,
wüssten aber nur allzu oft nicht, wie damit
umzugehen sei.
Der Aufbruch habe stattgefunden, und
von der Bundesregierung gebe es ein kla-
res Commitment, fasste Prof. Dr. Riedl
vom Mitveranstalter Kompetenzzentrum
Public Management und E-Government
den Tag zusammen. In seinem Schluss-
wort wies er nochmals auf die SuisseID
und deren Potenzial als Symbol für den
Fortschritt des Schweizer E-Government
hin. Die Zeichen stünden gut, dass insbe-
sondere partizipative Elemente aufgenom-
men würden. Die Generation Y der «digital
natives» werde die technischen Innovatio-
nen viel intensiver und selbstverständli-
cher nutzen, was zu mehr Eigeninitiative
und einer weniger planbaren Entwicklung
führe. Dabei seien die enorme Informa­
tionsflut im Internet und generell der Um-
gang mit der Ressource Information zent-
ral. Gerade deshalb sei die zweckmässige
Nutzung des Internets ein so wichtiges
Anliegen!

Beiträge Symposium 2009:


Sämtliche Referate sowie die Videoaufzeich-
nungen der Referate finden sich unter www.
egovernment-symposium.ch.

«eGov Präsenz» 1/10


30 E-Government Schweiz

Organisationskonzept für ein föderales


E-Government Schweiz
Das kürzlich von eCH und ISB publizierte Fachdokument «Organisationskonzept für ein föderales
E-Government Schweiz» richtet sich an alle Personen, die konzeptionell oder aktiv gestaltend am
Zustandekommen von E-Government-Lösungen beteiligt sind. Es beinhaltet – als Anregung zur
Diskussion gedacht – Stossrichtungen, Gestaltungsprinzipien sowie Ressourcen und Bausteine
zu einem gesamtschweizerisch abgestimmten Vorgehen bei der künftigen Organisationsgestal-
tung im E-Government Schweiz. Das Organisationskonzept ist im Rahmen der Bereitstellung der
«E-Government-Architektur Schweiz» (priorisiertes Vorhaben B1.06) entstanden.

Klaus Lenk, Tino Schuppan, Marc Schaffroth

Prof. em. Dr. Klaus Lenk prozessen ausgerichteter Vertriebs- und – Es erlaubt eine fachliche Verknüpfung
Prof. em. of Public Administration,
Universität Oldenburg, Deutschland
Produktionsverbund aller Verwaltungs- sowie eine bessere Einordnung der ­prio-
lenk@aon.at ebenen. Im Einklang mit dem föderalen ­risierten Vorhaben der E-Government-
Staatsaufbau verknüpft dieses Verbund- Strategie in einem übergeordneten orga-
system wirkungs- und ergebnisbezogen nisatorischen Zusammenhang. Dadurch
eine Vielzahl von Verwaltungsorganisatio- fällt es unter anderem auch leichter,
Prof. Dr. Tino Schuppan nen, ohne dadurch deren Selbstständig- den politischen Entscheidungsträgern
IfG.CC – The Potsdam eGovernment
Competence Center, Deutschland
keit zu gefährden. die Ziele und Ergebnisse einzelner Vor-
schuppan@ifg.cc Mehrere Zielrichtungen der «E-Govern- haben zu kommunizieren.
ment-Strategie» begegnen sich hier:1 – Als Scharnier zwischen Geschäft und
– Abbau von Informations- und Verfah- Informatik unterstützt es die Bestim-
renslasten («Bürokratielasten») für Un- mung und Ausrichtung von funktionalen
Marc Schaffroth ternehmen und Einzelpersonen durch sowie technischen E-Government-Bau-
Projektleiter beim Informatikstrategie­
organ Bund ISB.
die Bereitstellung kundengerechter Ver- steinen an den übergeordneten Ge-
Er leitet die eCH-Fachgruppe triebsstrukturen, schäftsvorgaben. Somit können in der
Geschäftsprozesse – Produktivitätssteigerungen in der Ver- «E-Government-Architektur Schweiz»2
marc.schaffroth@isb.admin.ch
waltung durch den Aufbau von ebenen- die organisatorischen Gestaltungsele-
übergreifenden Leistungsnetzwerken, mente konsistent mit dem technischen
– Wirtschaftlichkeit und Flexibilität durch Unterbau verbunden werden.
Die im Jahre 2007 vom Bundesrat die Nutzung gemeinsamer Ressourcen Die praktische Umsetzbarkeit des Orga-
­ver­abschiedete «E-Government-Strategie und Infrastrukturen. nisationskonzepts erfordert, dass dieses
Schweiz» beschreibt grundlegende Poten- Dabei trägt das Organisationskonzept die föderalen staatlichen Ebenen tatsäch-
ziale, Ziele sowie weitere Grundsätze. den besonderen Rahmenbedingungen der lich zu integrieren vermag und gleicherma-
Ohne ein ausformuliertes Organisations- öffentlichen Aufgabenerfüllung Rechnung. ssen auf Bund, Kantone und Gemeinden
konzept vermittelt die Strategie jedoch Zu diesen gehören die föderale Aufgaben- übertragbar ist. Im Rahmen eines evolutio-
keine Vorstellung über eine konkrete, auf teilung, das Legalitätsprinzip und das dar- nären Entwicklungsansatzes wird den un-
E-Government abgestimmte zukünftige in eingebettete rechtsstaatliche Zustän- terschiedlichen sowohl organisatorischen
Verwaltungsorganisation. digkeitsprinzip. als auch technischen Entwicklungsstän-
Erst die organisationsbezogene Be- Das Organisationskonzept erfüllt in Be- den ebenso wie den finanziellen und orga-
trachtung und Gestaltung zeigt, dass zug auf die laufende E-Government-Um- nisatorischen Möglichkeiten Rechnung
­m ittels E-Government mehr als nur eine setzung in der Schweiz insbesondere die getragen. Das Organisationskonzept setzt
Optimierung von Bestehendem erreicht folgenden Funktionen: stark auf die Eigeninitiative und die Fähig-
werden kann. Grundsätzlich lassen sich – Abgeleitet aus den Zielen der keit zur Selbstorganisation bei den Umset-
auch die Strukturen, Leistungen und Pro- ­«E-Government-Strategie Schweiz» ent- zern.
zesse neu gestalten. Damit können die wickelt es eine Gesamtsicht auf die or-
Nutzenpotenziale beim Einsatz von In­ ganisatorischen Gestaltungsoptionen Vertrieb und Produktion öffent-
formations- und Kommunikationstech­ eines föderal verankerten E-Govern- licher Leistungen entkoppeln
nologien (IKT) zielorientiert erschlossen ment («Systemansatz»). Das Organisationskonzept beschreibt in
werden. – Sowohl den Umsetzungsverantwortli- einem Systemansatz, wie öffentliche Leis-
Das Organisationskonzept konkretisiert chen der Strategie als auch den feder- tungen im E-Government so erstellt und
die organisatorischen Zielvorstellungen führenden Organisationen der Umset- vertrieben werden können, dass den
zur «E-Government-Strategie Schweiz». zungsvorhaben sowie den eigentlichen ­zentralen Postulaten der Strategie – Ab-
Es beschreibt und definiert Gestaltungs- Umsetzern in Gemeinden, Kantonen und bau von Verfahrenslasten, vernetzte Zu-
elemente und -prinzipien mit explizitem beim Bund bietet es einen gemeinsamen sammenarbeit, Wirtschaftlichkeit usw. – ei-
Bezug auf die in der Strategie aufge­führten Orientierungsrahmen, der ihnen ein auf- ne klare Leitfunktion zukommt.
Grundsätze. Vorgesehen ist ein kundeno- einander abgestimmtes Vorgehen er- Der Zugang zu und der Bezug von öf-
rientierter, an Leistungen und Geschäfts- möglicht. fentlichen Leistungen sind in einer behör-

«eGov Präsenz» 1/10


E-Government Schweiz 31

denübergreifenden Vertriebsorganisation
konsequent aus der Kundenperspektive
zu gestalten. An der Vertriebsoberfläche
soll die nach Zuständigkeiten aufgesplit-
terte arbeitsteilige Struktur der Verwal-
tungsorganisation möglichst ausgeblen-
det bleiben. Im E-Government sind
folgerichtig Vertriebsoberfläche und Pro-
duktion öffentlicher Leistungen zu «ent-
koppeln». Allerdings setzt der Abbau von
Bürokratielasten bei den Kunden nicht nur
eine neue Vertriebsorganisation seitens
der Behörden voraus, sondern ebenso
neue Formen vernetzter Zusammenarbeit.
In der Darstellung der Produktionssicht rü-
cken daher vor allem auch Fragen der
Steuerung und Kooperation bei der behör-
denübergreifenden Leistungserstellung in
den Vordergrund. Die hierauf bezogenen
Aussagen des Organisationskonzepts
sind dann auch für solche Verwaltungs-
leistungen von Bedeutung, die keinen un-
mittelbaren «Kunden»-Kontakt aufweisen.
In einem Vertriebs- und einem Produk­
tionsmodell werden diese Zusammen­
hänge näher ausgeführt. Die durch Tren- Abbildung 1: Gestaltungselemente der «Benutzeroberfläche» von E-Government
nung von Distribution und Produktion von
Verwaltungsleistungen gekennzeichnete
mögliche föderale Gesamtstruktur hat strukturieren den Vertriebsvorgang ebenso werden nicht mehr vorausgesetzt. Die
weiter zur Voraussetzung, dass gemein- wie die dahinterliegende Leistungserstel- Vertriebsorganisation in ihrer Gesamtheit
sam nutzbare E-Government-Ressourcen lung. ist dabei nicht monolithisch strukturiert,
und -Bausteine bereitgestellt werden. Fer- Das Gestaltungsprinzip «An­liegen vor sondern sie besteht aus einem ausbau-
ner erfordert sie eine neue Kultur der be- Leistung vor Zuständigkeit» kann mittels baren Netzwerk von am Kundenbedarf
hördenübergreifenden Zusammenarbeit. der folgenden organisatorischen Mass- ausgerichteten Kontaktstellen. Unter-
nahmen realisiert werden: nehmen und Privatpersonen erhalten
Die neue «Benutzeroberfläche» – Die Vielfalt sowie die strukturierte Aus- Zugang zu den benötigten Leistungen
der Verwaltung gestaltung der Zugangswege (Vertriebs- an der am nächsten erreichbaren Stelle,
Das Vertriebsmodell verbindet die Sicht kanäle) ermöglichen den Kunden einen unabhängig davon, ob diese Leistungen
der Verwaltung mit derjenigen der Adres- situations- und bedarfsgerechten Zugriff auf kommunaler, kantonaler oder Bun-
saten (Einzelpersonen, Unternehmen). Es auf öffentliche Leistungen. desebene erbracht werden.
beschreibt den für die Kunden sichtbaren – Kunden finden alle benötigten Leistun- – Schliesslich können der Zugang zu und
und zugänglichen Bereich der Verwaltung, gen zielgruppenspezifisch aufbereitet, der Bezug von öffentlichen Leistungen
das heisst die «Benutzeroberfläche» von das heisst gemäss ihren Lebenslagen durch einfach erreichbare Kontaktstel-
E-Government. Dabei rückt der unkompli- sowie Geschäftssituationen gebündelt, len sowie durch einfach ausführbare In-
zierte Zugang zu sowie der rasche Bezug vor. Besondere Kenntnisse der Aufbau- teraktionsmuster und Funktionen stark
von öffentlichen Leistungen über einfach oder Ablauforganisation der Verwaltung vereinfacht werden.
kontaktierbare Verwaltungsstellen in den
Vordergrund. Soweit es um den Vertrieb
geht, wird damit das Zuständigkeitsprin-
zip, dessen Anwendung auf die Vertriebs­
organisation eine strukturelle Ursache für
die bisweilen extreme Zersplitterung der
Angebote und Bezugswege ist, durch ein
am Kundenanliegen ausgerichtetes Ge-
staltungsprinzip abgelöst. Nach dem
­Mot­to «Kundenanliegen vor Leistung vor
Zuständigkeit» können einschlägige In­for­
ma­tions- und Kommunikationslasten wirk-
sam abgebaut werden.
Typische Kundenanliegen stellen sich wie
folgt dar. Aus «Kunden»-Sicht kommt es
bei Behördengängen regelmässig zu einer
Abfolge von Kontakten (z.B. Vorbereitung,
Antragstellung, Mitwirkung, Entgegennah-
me). Die Phasen des Verwaltungskontakts Abbildung 2: Die «lokalen», hoheitlichen Prozesse werden durch ein übergreifendes Steuerungselement operativ verknüpft

«eGov Präsenz» 1/10


32 E-Government Schweiz

Vernetzung von Leistungen effizientes Instrument zur inhaltlichen Organisationskonzept nachhaltige Gestal-
und Prozessen Steuerung der E-Government-Strategie- tungsoptionen.
Das Produktionsmodell beschreibt die Umsetzung bewähren. Föderalismus und Gemeindeautonomie
­or­ganisatorischen Massnahmen und Zu- werden mithin durch einen übergreifenden
sammenhänge, die für ein nahtloses Zu- Kultur verändern – Fähigkeiten Vertriebs- und Produktionsverbund nicht
sammenspiel der Behörden bei der kun­ entwickeln beeinträchtigt, sondern gestärkt. Die Ver-
denorientierten Erstellung öffentlicher Die Umsetzung eines vernetzten, föderal waltungstätigkeit in vernetzten Leistungs-
Leis­tungen sorgen. Es zielt auf gemeinsame abgestützten E-Government erfordert bei und Prozessstrukturen kann effektiver, ef-
Instrumente zur Steuerung, Verknüpfung den Behörden einen kulturellen Wandel fizienter, transparenter und responsiver
sowie operativen Abwicklung von Ge- («E-Government-Transformation») sowie gestaltet werden. In dieser Weise erhält
schäftsprozessen mit Blick auf das kunden- den Aufbau von organisatorischen und auch das Postulat der ­E-Govern­ment-
seitig zu realisierende «bürokratiearme» Ver- fachlichen Fähigkeiten. Strategie Schweiz, wonach der «Födera-
triebssystem. Grundlage hierfür ist unter In den Vordergrund des organisationa- lismus als Chance»6 zu nutzen sei, eine
anderem ein gemeinsames Verständnis des len Lernens rückt dabei die Entwicklung konkrete Gestalt.
Zusammenspiels von organisationsüber- des Geschäftsprozessmanagements («Bu­
1 Vgl. dazu auch ausführlicher E-Government-Strategie
greifenden und -internen Prozessen. siness Process Management» – BPM) als
Schweiz, www.egovernment.ch.
Das Produktionsmodell beinhaltet die Wissens- und Handlungsressource. Das 2 Vgl. dazu das priorisierte Vorhaben B1.06 – E-Govern-
nachfolgenden Gestaltungsbereiche: Management muss die erforderlichen ment-Architektur Schweiz im Katalog priorisierte
Vorhaben. Stand vom 18. Mai 2009. Vgl. www.
– Leistungsvernetzung. Die Behörden le- Lernprozesse und Massnahmen initiieren, egovernment.ch.
gen im ­E-Government den bisherigen damit eine Organisation als Ganzes befä- 3 Vgl. dazu eCH-0038 Records Management Frame-
work – Informationsmanagement im eGovernment,
am Zuständigkeitsdenken fixierten higt wird, ihre Leistungen und Prozesse www.ech.ch.
«Tunnel­blick» ab und organisieren ihre sowohl fachlich zu verstehen («shared un- 4 Vgl. dazu www.egovernment.ch.
Zusammenarbeit neu in Form einer ope- derstandig») als auch operativ zu beherr- 5 Vgl. Abschnitt B im Katalog priorisierte Vorhaben. Stand
vom 18. Mai 2009. Vgl. www.egovernment.ch.
rativen Vernetzung von Zuständigkeiten, schen – dies auch im Hinblick auf die 6 E-Government-Strategie Schweiz, S. 5, www.
Leis­tun­gen und Prozessen. Dadurch ­geforderte Zusammenarbeit zwischen Or- egovernment.ch.
können die Kunden weitgehend von den ganisationen und ihren Mitarbeitenden.
ihnen bisher zugemuteten Steuerungs- Die Umsetzung der organisatorischen
und Koordinationslasten befreit werden. Gestaltungspotenziale im E-Government
– Die Prozessmodularisierung eröffnet bedingt respektive eröffnet neue Qualifika-
eine Vielzahl von Möglichkeiten zur Auf- tionsprofile und -chancen aufseiten der
trennung von operativ zusammenhän- Mitarbeitenden der öffentlichen Verwal-
genden Bearbeitungsabläufen einer Or- tung. Die benötigten sozialen, fachlichen,
ganisation nach definierten Kriterien methodischen und personalen Kompeten-
(z.B. Wirtschaftlichkeit) in kompakte Be- zen («Skills») müssen allerdings zuerst
arbeitungseinheiten. noch detailliert erfasst und analysiert wer-
Insbesondere wiederkehrende und nicht den. Im Rahmen der Personalentwicklung
entscheidungsrelevante Prozesssequen­ wären diese Qualifikationen dann gezielt
zen könnten an externe Dienstleister aus- anzubieten und zu fördern.
gelagert werden. Deren Angebote könnten
dann auch von weiteren Stellen genutzt Föderales E-Government!
werden («Shared Service»). Serviceorien- Die Leistungsfähigkeit einzelner Kantone
tierte Architekturkonzepte (SOA) der Infor- und Gemeinden wird künftig nicht mehr
matik werden die Umsetzung des Modula- von der Grösse der Einheiten, sondern
risierungsansatzes stark unterstützen. von der Leistungsfähigkeit der organisato-
Die Umsetzung des Organisationskon­ rischen Netze abhängen, in die diese Ein-
zeptes erfordert verlässliche, gemeinsam heiten eingebunden sind. Vernetzte Struk-
nutzbare Informa­tionsressourcen, und turen der Produktion und des Vertriebs
Ver­fahrensfunktionen sowie stabile Basis- öffentlicher Leistungen – wie sie im Orga-
infrastrukturen. Wichtig ist hier ein Ge- nisationskonzept vorgeschlagen werden –
samtplanungsansatz, der schrittweise zu können sich entwickeln, ohne dass sich
verfolgen ist.4 an der institutionellen Vielfalt des heutigen
Die Voraussetzungsvorhaben5 der Aufbaus der öffentlichen Verwaltung ir-
«E-Go­vernment-Strategie Schweiz» zielen gendetwas ändern muss. Bestehende
mehrheitlich auf die Bereitstellung von kleine Gemeindeverwaltungen können er-
Ressourcen und Bausteinen ab, welche halten bleiben, wenn sie in einem leis-
die Akteure zu E-Government befähigen. tungsfähigen Verbund stehen. Umgekehrt
Entlang den gleichförmigen Vollzugsele- macht das Organisationskonzept es nicht
menten im Verwaltungsverfahren können erforderlich, die gewachsenen Strukturen
die bei den Akteuren vorausgesetzten um jeden Preis zu bewahren. Es hindert
operativen Geschäftsfähigkeiten («Capabi- nicht daran, die Chancen von E-Govern-
lities») sowie E-Government-Ressourcen ment für eine Verwaltungsvereinfachung
und -Bausteine fachlich zusammenhän- zu nutzen. Bei Gebietsreorganisationen,
gend in einem E-Government-Portfolio zum Beispiel Gemeindezusammenschlüs-
identifiziert, eingeordnet und beschrieben sen, die aufgrund tief greifender Struk­
werden. Dieses Portfolio könnte sich als turprobleme nötig werden, eröffnet das

«eGov Präsenz» 1/10


E-Government Schweiz 33

BPM – ganz praktisch!


Kaum publiziert, wurde das Hilfsmittel eCH-0096 BPM Starter Kit im Herbst 2009 gleich
international (E-Government-Wettbewerb Deutschland) wie auch national prämiert
(E-Government-Sonderpreis Schweiz). Ausgezeichnet wurde es für seinen innovativen
Charakter, die ausgesprochene Praxisorientierung sowie die hohe Qualität der Umsetzung.

Laurent Bagnoud, Marc Schaffroth

Prof. Laurent Bagnoud Überblick: eCH-0096 BPM – Die Leistungs- und Prozessdokumenta-
Professor am Institut Wirtschafts­
informatik der Fachhochschule HES-SO
Starter Kit tion bildet zudem die Grundlage für eine
Valais Wallis Das kostenlose eCH-0096 BPM Starter Kit Standardisierung, eventuell auch ISO-
Mitglied eCH-Fachgruppe Geschäfts­
besteht aus drei komplementär nutzbaren Zertifizierung der Geschäftsprozesse
prozesse
laurent.bagnoud@hevs.ch Elementen: einem BPM-Projektleitfaden, über Behördengrenzen hinweg. Ge-
einem BPM-Dokumentationstool und einer meinsames Vorgehen auf dieser Basis
Marc Schaffroth webbasierten Austausch- und Erfah­rungs­ ermöglicht eine engere organisatorische
Projektleiter beim Informatikstrategie­
organ Bund ISB.
plattform. Der BPM-Projektleitfaden ent- Zusammenarbeit zwischen gleichgela-
Er leitet die eCH-Fachgruppe hält in Gestalt eines kompakten, interak- gerten Behörden, zum Beispiel unter
Geschäftsprozesse ­ti­ven elektronischen Dokuments eine Kantonen.
marc.schaffroth@isb.admin.ch
praxisorientierte Anleitung zur projektmä- – Bei Zusammenschlüssen von Behör-
ssigen Abwicklung der BPM-Einführung in den  – beispielsweise bei Gemeinde­fu­
einer Organisation. Von der Hauptnaviga­ sionen – kann auf das gemeinsame
tionsseite des Leitfadens aus können die ­Verständnis für die dokumentierten bis-
benötigten Grundinformationen zu den herigen und neuen Geschäftsprozesse
einzelnen BPM-Projektschritten abgerufen aufgebaut werden.
Geschäftsprozessmanagement werden. Ebenso stehen Musterdokumente – Mit dem Aufbau einer geeigneten BPM-
und E-Government (z.B. BPM-Organisationshandbuch, Vorla- Rahmenorganisation und der Nutzung
Das Geschäftsprozessmanagement (eng- gen, Hilfsmittel etc.) zur Verfügung. der BPM-Dokumentation werden die
lisch: Business Process Management – Mit dem BPM-Tool können die Doku- Voraussetzungen für eine gezielte und
BPM) in der öffentlichen Verwaltung stellt mentationsergebnisse eines BPM-Pro- kontinuierliche Optimierung der Ge-
eine explizite Anforderung der E-Govern- jekts nach den eCH-Standards erfasst schäftsprozesse geschaffen. Sie dient
ment-Strategie Schweiz dar. Mit der Ein- und gepflegt werden. Das BPM-Tool be- gleichzeitig auch als Basis zur Prozess-
führung des BPM sowie der Anwendung steht aus einer vorkonfigurierten Open- harmonisierung, -modularisierung und
von BPM-Standards werden wichtige Vor- Source-Anwendung, die out of the box -integration.
aussetzungen sowohl für einen besseren eingesetzt werden kann. Die elektronisch – Schliesslich erhöht BPM auch die Trans-
Verwaltungsservice (Abbau von Bürokra- dokumentierten Leistungen und Prozesse parenz und Nachvollziehbarkeit des Ver-
tielasten) als auch für die organisations- können über Intranet/Internet publiziert waltungshandelns – was unabdingbar
übergreifende Zusammenarbeit der Behör- und somit bei der operativen Prozessaus- ist für das Vertrauen der Bürgerinnen
den geschaffen. Im Rahmen der laufenden führung als Managementsystem und Refe- und Bürger in den demokratischen
Umsetzungsvorhaben zur Strategie wur- renzinformation genutzt werden. Rechtsstaat und seine Organe.
den von der eCH-Fachgruppe Geschäfts-
prozesse entsprechende BPM-Standards Nutzen der BPM-Einführung BPM befähigt die Behörden somit zu ei-
erarbeitet, die unter anderem die einheit­ Die BPM-Einführung mit dem Starter Kit ner nachhaltigen Umsetzung von E-Govern-
liche Dokumentationsweise von Leistun­ erfolgt sowohl kostengünstig als auch ziel- ment!
gen und Geschäftsprozessen zum Ziel ha- und ergebnisorientiert. Sie erbringt sowohl
ben.1 Dadurch soll einer «babylonischen» für das Management als auch für die Mit- Pilotprojekte
Sprachverwirrung im BPM vorgebeugt und arbeitenden einen klar ausgewiesenen, Das eCH-0096 BPM Starter Kit wird be-
der Aufbau von Prozess- und Anwen- direkt erfahrbaren Nutzen: reits bei verschiedenen öffentlichen Ver-
dungs-«Silos» verhindert werden. Doch – Die Verwaltungseinheit erhält eine Ge- waltungen eingesetzt. Auf allen Verwal-
Standards und Konzepte nützen wenig, samtübersicht ihrer Aufgaben, Leis­tun­ tungsebenen sind diverse Projekte mit
wenn diese von den Anwenderinnen und gen und Prozesse. Das Management verschiedenen Partnern angelaufen. Die
Anwendern nicht verstanden respektive kann dadurch die Organisation besser Stadt Sierre zum Beispiel wird 2010 ihre
nicht umgesetzt werden! Zur Unterstüt- an den strategischen Zielen ausrichten. Prozesse mit dem eCH-0096 BPM Starter
zung einer raschen, möglichst flächen­ – Die Leistungs- und Prozessdokumenta­ Kit dokumentieren. Die ersten Feedbacks
deckenden Umsetzung des BPM im tion bildet die fachliche Grundlage und sprechen für eine sehr gute Akzeptanz
E-Government Schweiz hat daher das In- Unterstützung der operativen Tätigkei- seitens der öffentlichen Verwaltungen.
formatikstrategieorgan Bund (ISB) zusam- ten. Sie ermöglicht allen Mitarbeitenden
1 Vgl. Zum Beispiel eCH-0073 Dokumentation öffentlicher
men mit dem Institut für Wirtschafts­ ein gemeinsames Verständnis für die Ab-
Leistungen und Prozesse, www.ech.ch.
informatik der Fachhochschule West- läufe, Schnittstellen, Zuständigkeiten,
schweiz/Wallis sowie weiteren Partnern Fristen, Ergebnisse etc. Prozesse und Weitere Informationen und Kontakte:
http://www.ech.ch (eCH-Site)
das Hilfsmittel eCH-0096 BPM Starter Kit Leistungen werden für die gesamte Or- http://www.ech-bpm.ch (eCH-BPM-Erfahrungsplattform)
bereitgestellt. ganisation explizit transparent gemacht.

«eGov Präsenz» 1/10


34 E-Government Schweiz

Unternehmensidentifikator für die Schweiz


Unternehmen stehen in vielseitigem Kontakt mit der Verwaltung. Für viele dieser Verwaltungs-
kontakte existieren eigene administrative Identifikationsnummern. Die Vielfalt an unterschied-
lichen Identifikatoren erschwert die administrative Abwicklung zwischen Unternehmen und der
Verwaltung (B2G) und verursacht Doppelspurigkeiten. Unternehmensdaten können wegen der
Inexistenz eines schweizweit einheitlichen Identifikators nur sehr eingeschränkt zwischen den
Verwaltungsstellen (G2G) ausgetauscht werden. Mehrfacherfassungen mit entsprechend vielen
Inkonsistenzen sind die Folge. Der Bundesrat hat am 28. Oktober 2009 die Botschaft 1 zum
Bundesgesetz über die Unternehmens-Identifikationsnummer (UIDG) verabschiedet. Dieses neue
Gesetz erlaubt, schweizweit eine einheitliche und eindeutige Unternehmens-Identifikationsnum-
mer einzuführen. Sofern das Parlament der Vorlage zustimmt, tritt das UIDG auf den 1. Januar
2011 in Kraft.

Andreas Spichiger

Prof. Dr. Andreas Spichiger keit geschenkt. Daher werden im UID-Re- öffentlich als Identifikationsmerkmale ver-
Senior Researcher Kompetenzzentrum
Public Management und E-Government
gister keine weiteren Daten zusammenge- wendet werden.
führt und auch keine anderen Aufgaben Das Betriebs- und Unternehmensregis-
wie bei einem Handelsregister übernom- ter BUR2 des BFS dient als Referenzregis-
men. ter. Alle im BUR geführten Unternehmen
Es wird die rasche Einführung einer ein- erhalten eine UID. Dies sind rund 700 000
fachen, aber ausbaufähigen Lösung ange- Unternehmen, unter anderem auch alle in
strebt. Das Projekt soll nicht überladen den 28 kantonalen Handelsregistern und
werden. Das Konzept sieht daher eine im Mehrwertsteuerregister eingetragenen
Der Bundesrat hat 2007 das Bundesamt schrittweise Einführung mit allfälligen Er- aktiven Einheiten. Das UID-Register wird,
für Statistik BFS mit der Einführung der weiterungen vor. insbesondere aus Datenschutzgründen,
Unter nehmens-Identifikationsnummer vom BUR getrennt aufgebaut und beinhal-
(UID) beauftragt. Die UID soll es erlauben, Lösungsansatz tet nur minimale Identifikationsmerkmale.
alle Unternehmen in der Schweiz eindeu- Die UID besteht aus dem dreistelligen Die laufende Nummernvergabe und Ak­
tig, rasch und nachhaltig zu identifizieren. Ländercode nach ISO 3166-1 sowie einer tualisierung der Unternehmensdaten ge-
Darüber hinaus soll die UID mittelfristig die neunstelligen Nummer mit Prüfziffer (vgl. schieht über die verschiedenen Verwal-
heute in der Verwaltung existierenden Un- Abbildung 1). tungsstellen (UID-Stellen) im Rahmen ihrer
ternehmensidentifikatoren ablösen. Dazu Das UID-Register funktioniert als das üblichen Prozesse.
gehören zum Beispiel die Mehrwertsteuer- Register unter vielen, das zwischen allen
nummer und die Handelsregisternummer. Datensammlungen mit Unternehmensda- Gesetzgebungsprozess
Zur Zuweisung, Führung und Verwaltung ten eine gute Abstimmung ermöglicht Im Anschluss an die Genehmigung des
der UID wird ein Register (UID-Register) ­sowie sicherstellt, dass immer von dem­ Konzepts durch den Bundesrat am
aufgebaut. selben Unternehmen gesprochen wird. 20. Februar 2008 wurde ein Gesetzesent-
Selber ist es nur für die UID und den UID- wurf erarbeitet. Im Herbst 2008 ging der
Zielsetzungen der UID Status (Status der Eintragung) verantwort- Gesetzesvorschlag in die Ämterkonsultati-
Obwohl die UID an und für sich ein sehr lich. Die anderen Daten übernimmt es aus on. Auf Basis der Rückmeldungen und
einfaches Element ist, wird mit ihr eine anderen Registern. entsprechenden Überarbeitungen eröffne-
grosse Zahl von Zielen verfolgt. Die Wirt- Die ausgewählte Stellung erhält das te der Bundesrat am 28. Januar die öffent-
schaft und die Verwaltung sollen eine ein- UID-Register dadurch, dass es mit vielen liche Vernehmlassung, an der sich 76 Or-
heitliche UID verwenden können, die breit anderen Registern Daten konsolidiert und ganisationen beteiligten. Obwohl die UID
abgestützt, einfach und effizient ist und für das Gesetz vorschreibt, dass die anderen mehrheitlich begrüsst wird, gab es betref-
die Unternehmen keinen Aufwand gene- Identifikationsnummern abgelöst werden. fend die vorgeschlagene Lösung mehr
riert. Das UID-System baut zudem auf be- Dabei ist für die Entstehung des Nutzens oder weniger starke Vorbehalte. Diesen
reits bestehenden Strukturen und Verwal- unerheblich, ob die Nummer tatsächlich konnte zum Teil mit Änderungen begegnet
tungsprozessen auf. In diesen dienen die abgeschafft wird oder nicht. Wesentlich ist werden, und der Bundesrat hat am
UID und das UID-Register einzig der Iden- einzig, dass andere Nummern nicht mehr 28. Oktober 2009 die Botschaft zum Bun-
tifikation von «Unternehmen», weshalb im
UID-Register auch nur die für die Identifi-
kation von «Unternehmen» erforderlichen
Daten geführt werden. Um eine breite An-
wendung der UID zu ermöglichen, wird
der Unternehmensbegriff weit gefasst und
ist die UID öffentlich zugänglich und nutz-
bar. Um aber Missbrauch zu verhindern,
wird dem Datenschutz hohe Aufmerksam- Abbildung 1: Unternehmens-Identifikationsnummer

«eGov Präsenz» 1/10


E-Government Schweiz 35

desgesetz verabschiedet. Sofern es im sungen zu verhältnismässig hohen Kosten Gemeinden sowie öffentlich-rechtliche
Parlament keine Verzögerungen gibt, tritt führen kann. Es gibt viele Entitäten, die die Anstalten und mit öffentlich-rechtlichen
das Gesetz3 voraussichtlich am 1. Januar gleiche Rolle innerhalb eines Prozesses Aufgaben betraute private Einrichtungen,
2011 in Kraft. wahrnehmen, für die aber keine UID ver- die Datensammlungen über UID-Einhei-
geben wird. Als Beispiel können hier die ten aufgrund von deren wirtschaftlicher
Inhalt des UID-Registers Ausgleichskassen dienen, bei denen nicht Tätigkeit führen, als UID-Stellen. Als sol-
Bei der Definition der «Unternehmen», die nur Unternehmen als Beitragszahler ge- che können beispielsweise auch Aus-
eine UID erhalten sollen, wurde im Sinne führt werden. Zu diesen gehört zum Bei- gleichskassen oder Sozialversicherungs-
der Ziele eine breite Menge angestrebt. spiel auch eine sehr grosse Zahl von anstalten gelten. Die UID-Stellen spielen
Auf der anderen Seite suchte man Ab- Nichterwerbstätigen wie Studenten, die eine wichtige Rolle bei der Vergabe der
grenzungen, damit nicht jedes beliebige ihre Beiträge selber entrichten. Damit eine UID und der Aktualisierung der Daten im
Objekt als Unternehmen gilt. Damit das kostengünstige Lösung realisiert werden UID-Register.
Gesetz möglichst präzis ausformuliert kann, muss diese semantische Differenz Die UID-Stellen sind dazu verpflichtet,
werden konnte, wurde für «Unternehmen» überbrückt werden. die UID als Identifikator anzuerkennen, die
der Begriff UID-Einheit verwendet. Dabei Zu diesem Zweck ist im Gesetzesent- UID in ihren Datensammlungen zu führen,
handelt es sich um Einheiten des Handels- wurf die Administrativnummer vorgese- sie im Kontakt mit anderen UID-Stellen
registers, der Eidgenössischen Steuerver- hen. Diese hat gegenüber der UID in Ab- und den UID-Einheiten zu verwenden und
waltung (insb. mehrwertsteuerpflichtige bildung 1 ein anderes Präfix, ansonsten neue UID-Einheiten sowie Änderungen bei
Personen), Selbstständigerwerbende und aber das gleiche Format. Die Administra- bestehenden Einheiten zu melden, inklusi-
freie Berufe, einfache Gesellschaften wie tivnummer ist eine im UID-Register geführ- ve die Aufgabe der Geschäftstätigkeit ei-
zum Beispiel Praxisgemeinschaften, in der te Nummer zur Identifikation von Einhei- ner UID-Einheit.
Schweiz tätige ausländische Unterneh- ten, die nicht als UID-Einheiten gelten, UID-Stellen mit reduzierten Pflichten
men, land- und forstwirtschaftliche Betrie- durch bestimmte Verwaltungsstellen (z.B. sind Organisationen, die einzig die Pflicht
be, Einheiten der öffentlichen Verwaltung, AHV-Ausgleichskassen) jedoch zur Aufga- haben, die UID als Identifikator zu aner-
mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben be- benerfüllung identifiziert werden müssen. kennen. Sie haben üblicherweise selten
traute Einrichtungen und Vereine und Stif- Administrativnummern und die dazugehö- Kontakt mit den UID-Einheiten, weshalb
tungen, die AHV-Beiträge abrechnen. rigen Merkmale im UID-Register sind nicht sich der Aufwand einer vollständigen Um-
Die zu einer UID-Einheit im UID-Register öffentlich. stellung meist schon aus finanzieller Sicht
gespeicherten Daten sind im Gesetz nach Die Administrativnummern können sei- nicht lohnt.
Kern-, Zusatz- und Systemmerkmalen un- tens BFS mit sehr geringem zusätzlichem
terschieden. Die Kernmerkmale umfassen Aufwand geführt werden, erlauben aber Auswirkungen auf
neben der UID den UID-Status und die seitens der anderen Behörden eine massiv E-Government
UID-Ergänzung, die Auskunft darüber günstigere Einführung der UID. Zudem Die eindeutige Identifikation aller Teilneh-
gibt, ob eine UID-Einheit im Handelsregis- bietet diese zum Beispiel für die heute 104 mer ist beim elektronischen Geschäftsver-
ter als nicht gelöscht oder im MWST-Re- Ausgleichskassen einen grossen Nutzen, kehr absolut zwingend. Nur so können
gister als steuerpflichtig eingetragen ist. weil diese heute noch über keine einheitli- Daten sicher und effizient zwischen Ver-
Weiter werden Name, Firma oder Bezeich- che Nummerierung der Beitragszahler ver- waltung und Wirtschaft ausgetauscht
nung und Adresse festgehalten. Zusätzlich fügen. ­werden. Die UID hat somit im Kontext von
wird der Status des Eintrags im Handels- Die Vernehmlassung und die Regulie- organisationsübergreifenden und medien-
register sowie der Status des Eintrags im rungsfolgeabschätzung4 haben ergeben, bruchfreien Datentransaktionen eine gros­
Mehrwertsteuerregister mit Beginn und dass verschiedenenorts auch eine Be- se Bedeutung, und das UID-Register ist
Ende der Mehrwertsteuerpflicht in den triebsnummer erwünscht wäre. So ist zum als zentrale Infrastrukturkomponente für
Kernmerkmalen verzeichnet. Auf diese Beispiel für Blaulicht-Organisationen im viele E-Government-Projekte unabding-
Daten hat die Öffentlichkeit im Prinzip Zu- Zusammenhang mit Gefahrenstandorten bar. Bei der Einführung der UID werden die
griff. Unternehmen, die nicht in einem öf- oder in der Lebensmittelkette der konkrete eCH-Standards5 berücksichtigt, und an
fentlich zugänglichen Register eingetragen Betriebsstandort wesentlich. Auch zu den deren Ausgestaltung und Weiterentwick-
sind, müssen jedoch der Publikation ihrer meisten anderen Wirtschaftszweigen aus­ lung wird aktiv mitgearbeitet. Im Rahmen
Daten ausdrücklich zustimmen. serhalb des Dienstleistungsbereichs kann des UID-Vorhabens sind bei eCH die
Bei den Zusatzmerkmalen handelt es gesagt werden, dass diese grundsätzlich nachstehenden Dokumente, die voraus-
sich um Merkmale zur näheren Bestim- einen Mehrnutzen aus der Identifikation sichtlich 2010 verabschiedet werden, in
mung der UID-Einheit, insbesondere Be- von Betrieben ziehen könnten. Die Mög- Arbeit:
zeichnungen der UID-Einheit und Anga- lichkeit der Identifikation von Betrieben – eCH-0097 Datenstandard Unterneh­
ben zu ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit. Auf und Arbeitsstätten soll in der Zeit nach der mens­identifikation
diese Merkmale haben ausschliesslich Einführung des UIDG weiterverfolgt wer- – eCH-0098 Datenstandard Unterneh-
UID-Stellen (vgl. unten) Zugriff. den. Dies gleichzeitig mit der UID zu tun, mens­daten
Die Systemmerkmale umfassen aus- wäre zu komplex und würde die Einfüh- – eCH-0100 Unternehmenszusatz
schliesslich Informationen, die zur Füh- rung der UID verzögern. Für Anwendun- – eCH-0108 Datenstandard Unterneh­
rung des UID-Registers erforderlich sind. gen, die dringend auf Informationen über mens-­­Identifikationsregister (UID-Regis-
Ein solches Merkmal ist zum Beispiel das Arbeitsstätten angewiesen sind, stellt das ter) (Arbeitstitel)
Datum der Eintragung in das UID-Register. BUR eine Ersatzlösung dar.1 Mit einer guten Standardisierung soll ein
Systemmerkmale sind nur der UID-Regis- weiterer Beitrag zu einer breiten Nutzung
ter-führenden Stelle BFS zugänglich. Datenpflege und UID- der UID in möglichst vielen Prozessen ge-
Aus den Vernehmlassungsantworten Verwendung in der Verwaltung leistet werden. Die klare Semantik der Ins-
wurde deutlich, dass die ausschliessliche Der Gesetzesentwurf bezeichnet Verwal- tanz der UID-Einheit und die damit ver-
Einführung der UID in bestehenden Lö- tungseinheiten von Bund, Kantonen und bundene hohe Qualität der zugehörigen

«eGov Präsenz» 1/10


36 E-Government Schweiz

Innerhalb der Wirtschaft (B2B) ermög-


licht die UID einen einfacheren und si­
chereren Kontakt mit Kunden oder
­Geschäftspartnern und verbessert die
wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für
Unternehmen in der Schweiz.
Ein Spannungsfeld bieten kommende
und unaufhaltbare länder- und branchen-
übergreifende Lösungen. Die Wirtschaft
stellt sich der Globalisierung schon lange;
bei den Behörden beginnt das Bewusst-
sein für die Globalisierung und die elektro-
nische Behördenzusammenarbeit erst im
Rahmen der E-Government-Realisierun-
gen zu wachsen. Somit gilt jedes Argu-
ment für die UID typischerweise auch für
noch umfassendere (beispielsweise inter-
nationale) Lösungen. Insofern stellt sich
nicht zuletzt die Frage nach dem Sinn des
aktuellen Handelns. Die Einführung einer
UID in einem Staat beansprucht sehr viel
Abbildung 2: Zeitrahmen für die Einführung der UID Zeit. Wenn man sich genügend Zeit gibt,
werden die Kosten dafür auch moderat
sein. Wenn man sich dafür aber zu viel Zeit
Daten ergeben sich insbesondere durch ist, wie die Realisierung zeitgleich voran- lässt oder gar keine UID einführt, wird al-
die vielen verschiedenen Prozesse, die auf getrieben wird, damit der Termin eingehal- lerorts mit unverhältnismässig viel Auf-
die gleiche Instanz Bezug nehmen. ten werden kann. Die IT-Realisierung des wand weiter in Teillösungen investiert, und
Dass die Unternehmenslandschaft Jahr UID-Registers wird zusammen mit dem der Nutzen schmälert sich entsprechend
für Jahr ziemlich in Bewegung ist, ergibt Bundesamt für Informatik und Telekom- (globale versus lokale Optima).
sich aus den nachstehenden Zahlen, die munikation BIT erarbeitet und ist ab 1. Ja- Aus diesen Überlegungen heraus gilt es,
sich auf die Handelsregister für 2008 be- nuar 2011 einsatzfähig. Bereits im März möglichst rasch einen Identifikator für alle
ziehen: Neuanmeldungen 6,6%, Adress- 2010 werden Integrationstests mit wichti- Unternehmen zu realisieren, der möglichst
mutationen und Sitzverlagerungen 7,8% gen Registern durchgeführt. langfristig nutzbar ist. Mit dem UIDG befin-
sowie Unternehmensschliessungen 4,7% den wir uns auf dem besten Weg dazu.
aller verzeichneten Unternehmen. Dies Ausblick
1 Botschaft zum Bundesgesetz über die Unternehmens-
macht total 19,1%, wobei zu beachten ist, Die UID stiftet in der Verwaltung und in der
Identifikationsnummer (UIDG) vom 28. Oktober 2009.
dass die UID-Einheiten, die nicht im Han- Wirtschaft vielseitigen Nutzen. Der Daten- BBl 2009 7855. www.uid.bfs.admin.ch.
delsregister verzeichnet sind, in der Ten- austausch über Unternehmen innerhalb 2 www.bur.bfs.admin.ch
3 Bundesgesetz über die Unternehmens-Identifikations-
denz noch häufiger durch Änderungen und zwischen Behörden auf allen födera- nummer (UIDG). Entwurf vom 28. Oktober 2009. BBl
betroffen sind. len Ebenen wird vereinfacht und ist weni- 2009 7907. www.uid.bfs.admin.ch.
4 Iseli, Werner/Spichiger, Andreas: Regulierungsfolgenab-
ger fehleranfällig. Zudem reduziert sich der schätzung zum Bundesgesetz über die Unternehmens-
UID als herausforderndes Erfassungsaufwand durch die einmalige Identifikationsnummer (UIDG). Version: 1.1, 13. Oktober
Vorhaben Erfassung von Daten (z.B. bei Umzug), die 2009. www.uid.bfs.admin.ch.
5 www.ech.ch
Die Einführung der UID ist ein anspruchs- Vereinfachung der Prozesse durch Re­
volles Projekt. Innerhalb der Verwaltung duktion von Doppelspurigkeiten und die
gibt es über alle föderalen Ebenen hinweg Vermeidung von Mehrfacheinträgen. Ein
sehr viele Behörden, die Unternehmen in aktuelles und vollständiges UID-Register
ihren Registern führen. Zur erfolgreichen erlaubt den raschen Abgleich, gewährleis-
Einführung sind gute Absprachen mit de- tet eine hohe Aktualität und erleichtert die
ren Vertreterinnen und Vertretern notwen- Einführung zentralisierter Datenplattfor-
dig. Ziel ist es, eine möglichst breit abge- men.
stützte und effiziente Einführung der UID Die UID und das UID-Register bilden zu-
sicherzustellen. Dadurch, dass im BUR dem eine wesentliche Voraussetzung für
bereits heute eine verhältnismässig grosse viele E-Government-Vorhaben und den
Anzahl von Registern Daten einliefern, ist elektronischen Datenaustausch mit Unter-
dem BFS die Grundgesamtheit der zu- nehmen. Nicht zuletzt werden auch die
künftigen UID-Einheiten fast umfassend Unternehmen entlastet, indem sich ein
bekannt. Das BFS hat im Abgleich der Re- Unternehmen bei allen Verwaltungskon-
gister auch bereits die entsprechende Be- takten und gegenüber allen Verwaltungs-
triebserfahrung. stellen mit nur einer Nummer iden­tifizieren
Der vom Bundesrat 2007 verordnete kann und die Unternehmen weniger häufig
Einführungstermin vom 1. Januar 2011 um die gleichen Informa­tionen gebeten
stellt ebenso eine Herausforderung dar. werden, da diese basierend auf der UID
Abbildung 2 zeigt oben den Gesetzge- innerhalb der Verwaltung (soweit erlaubt)
bungsprozess, während unten dargestellt ausgetauscht werden können.

«eGov Präsenz» 1/10


Kolumne 37

Web 4.0 – ein Exkurs über Emotionen und Tags


Was kommt nach dem normalen Web (Web 1.0), dem sozialen Web (Web 2.0) und
dem semantischen Web (Web 3.0)?

Reinhard Riedl

Prof. Dr. Reinhard Riedl Beim Menschen sind es sogenannte emo- Weizen ist notwendig. Diese ist aber «rein
Herausgeber «eGov Präsenz» und Leiter
Kompetenz­zentrum Public Management
tionale Tags, das heisst positive oder ne- rational» zu aufwendig, sofern keine emo-
und E-Government gative Assoziationen mit kognitiven Kon- tionalen Tags die Selektion unterstützen.
reinhard.riedl@bfh.ch zepten (vgl. die Arbeiten von Finkelstein, Nur wenn emotionale Tags gleichzeitig
Whitehead und Campbell). Im Web sind (sic!) vorhanden und nicht vorhanden sind,
es semantische Tags, das heisst Daten­ besteht die Chance auf wertvolles Neues.
anhängsel, bestehend aus Metadaten. Das ist schwer vorstellbar, aber gleich-
Numerisch ist die Antwort einfach: das Wesentlicher Unterschied ist, dass die wohl möglich. Denn Innovation entsteht an
Web 4.0! Technisch ist sie unklarer: Das emo­tionalen Tags eindimensional sind, den Steilküsten des individuellen Wissens
soziale und das semantische Web haben während die semantischen Tags sich viel- im Meer des Nicht-Vorherbedachten oder
zwar viele nützliche technische Werkzeu- dimensional auf unterschiedliche Begriffs- an Rissen im Kontinent des persönlichen
ge hervorgebracht, aber keine spektakulä- universen beziehen. Während die Komple- Wissens. Durch Innovation kann entweder
ren Innovationen. Die nähere Zukunft wird xität des Gehirns sich in der Nutzung und Schritt für Schritt ein Pfad der Erkenntnis
vermutlich durch die benutzerzentrierte In- Entwicklung seiner Vernetzung materiali- in wissenschaftliches Neuland geschlagen
tegration der Kommunikationsmedien im siert, drückt sich die Komplexität des Web werden. Oder es können Paradigmen-
Web bestimmt werden. Doch die Vision 3.0 in regelbasierten Begriffssystemen wechsel im Bereich des etablierten Wis-
«Das Internet ist ein (!) Computer» wird aus. Trotzdem bestehen Analogien, die sens erfolgen, wenn die relevanten emo­
noch einige Zeit Utopie bleiben. Anregungen zu Webinnovationen liefern. tionalen Tags partiell deaktiviert werden.
Am unklarsten ist die Zukunft des Web Emotionale Tags stellen das Fundament Es ist aber immer beides notwendig: Of-
in Bezug auf die Inhalte: Die meisten Pro- menschlichen Denkens dar und sind eine fenheit für Neues und die Fähigkeit, den
gnosen zur zukünftigen Internetnutzung Grundvoraussetzung für die Entschei- Wert des Neuen zu beurteilen.
schreiben das Bekannte linear fort und se- dungsfähigkeit des Menschen. Unser In vielen Wissenschaftskontexten ist in
hen – warnend oder begeistert – die Zer- Denken wäre ohne emotionale Tags und den letzten Jahrzehnten die individuelle
störung der Traditionen voraus. Ich erinne- ohne Vorurteile hoffnungslos langsam. Kreativität in den Hintergrund getreten ge-
re mich, wie letzten Frühling eine 40-jährige Emotionale Tags hängen auch stark mit genüber den Kreativitätsleistungen von
Künstlerin bei einem Zukunftsworkshop unseren Erinnerungsfähigkeiten zusam- Teams und Netzwerken. Während für
das Wehklagen der Workshopteilnehmen- men. Sie sind in unterschiedlichen Kogni- ­einen individuellen wissenschaftlichen
den über den Werteverlust durch das In- tionsbereichen unterschiedlich gut ausge- Durchbruch in der Regel ungefähr zehn
ternet pointiert karikierte: «Mich interes- prägt. Dem entspricht, dass man in einem Jahre fachspezifischen Forschens not-
siert doch nicht, wie das Internet in Bereich viel Talent besitzt und in einem an- wendig sind (vgl. Herbert Simon), ist in der
20 Jahren ausschauen wird, mich interes- deren wenig. Das Web seinerseits ist eine Teamforschung Erfahrung für grosse For-
siert viel mehr, wie mein Körper in 20 Jah- Art globales Gedächtnis. Es mit semanti- schungserfolge oft wichtiger als Fachwis-
ren ausschauen wird!» Die Reaktion war schen Tags intelligent zu machen, scheint sen (vgl. Paul Feyerabend). Das legt nahe,
erstaunlich: Es gab mehrheitlich besorgte vielversprechend. Aber dafür sind neue dass es generische emotionale Tags zur
Gesichter. Gegrinst haben nur ein paar äl- Werkzeuge gefragt – und die Bereitschaft, Beurteilung der Relevanz von Ergebnissen
tere Semester. sich auf neue Formen von Denkhilfsmitteln gibt.
Da sind die Trendprognosen von Marke- einzulassen. Doch wie steht es mit Forschung im
tingexperten und anderen Innovationsver- Allerdings sind emotionale Tags ambi­ Web? Sollten wir nicht darüber nachden-
kündern schon lustiger. Man muss kein valent: Sie sind für Fehlurteile von erfah­ ken, ob Web 4.0 einige der emotionalen
Prophet sein, um vorauszusehen, dass renen, intelligenten Menschen ebenso Tagging-Qualitäten unseres Gehirns nach-
früher oder später das «intelligente» oder ­verantwortlich wie für die schnelle und bilden könnte, um die Kreativität in Netz-
sogar das «denkende» Web proklamiert richtige Beurteilung komplexer Situa­ werken zu fördern? Vielleicht schaffen wir
werden wird. Das Internet als kognitive Er- tionen. es so, auf (sozialer) Netzwerkebene jene
weiterung des Menschen (à la Andy Clark), Letzteres freilich immer nach alten Mus- Formen spezifischer Dummheit zu gene-
das smasht! Doch was wir wirklich bräuch- tern, denn emotionale Tags behindern rieren, die das Finden und Bewerten neuer
ten, wäre das emotionale und das dumme neue Ideen. Diese entstehen nur, wenn Ideen mit wesenstlich höherer Komplexität
Internet, nicht das intelligente! keine emotionale Tags existieren, die sie ermöglicht, als es die etablierten Rating-
Lassen Sie mich das erklären! Verglei- abblocken. Nur in Zuständen (tagloser) verfahren tun. Denn Erasmus von Rotter-
chen wir das menschliche Gehirn mit dem profunder Dummheit können Ideenfeuer- dam hatte unrecht: Die Torheit macht die
Web, so fällt auf: Beide basieren auf werke entstehen. Diese sind anderseits Menschen manchmal doch gescheit. Aber
­komplexen Vernetzungen. Sowohl beim ohne spezifisches Wissen kaum möglich das ist eine andere Geschichte.
menschlichen Denken als auch im Web und bringen zudem für sich allein keinen
3.0 spielen «Tags» eine zentrale Rolle. Fortschritt. Eine Trennung von Spreu und

«eGov Präsenz» 1/10


Forschung / Analyse 39

Développements théoriques: l’analyse


des Régimes institutionnels des ressources
appliquée à la ressource information
Mirta Olgiati

L’archivistique, la bibliothéconomie, les la qualité des prestations fournies, la flexi- en place dans le secteur public – ainsi que
sciences de l’information ainsi que les bilité, la motivation, le bien-être des em- les régulations qui en découlent – cou-
autres disciplines en relation avec la ployés, etc.2 vrent assurément toute la palette des
préservation du patrimoine documentaire Les domaines de la préservation du pa- usages qui peuvent être faits de la pro-
et la gestion des documents vivent trimoine documentaire et de la gestion des duction, de la gestion et de la préservation
actuellement un véritable changement de documents ne font pas exception à cette des documents de la part des multiples
paradigme. complexité, au contraire. Traditionnelle- groupes d’acteurs impliqués. S’il s’avérait
Les distinctions disciplinaires et opéra- ment, les distinctions entre les supports, que le changement de paradigme est ef-
tionnelles basées sur les différences entre les fonctions des documents ou leur posi- fectif, une analyse conventionnelle prenant
les supports, les fonctions des docu- tionnement dans les différentes phases de en considération seulement l’une des poli-
ments ou leur positionnement dans les leur cycle de vie (active, semi-active, inac- tiques régulant ces différents domaines
trois phases de leur cycle de vie sont en tive) ont toujours permis de différencier ce risquerait de rater sa cible et de ne pas
train d’être remises en cause par l’évolu- qui avait trait à l’une ou l’autre des disci- être à même d’évaluer le degré de confor-
tion des technologies de l’information et plines ou aux métiers concernés. En effet, mité entre les politiques en place et la réa-
de la communication. Par ailleurs, ces sur la base de ces distinctions fondamen- lité contemporaine.
mêmes distinctions continuent à consti- tales, l’archivistique, la bibliothéconomie Du point de vue de la recherche, la solu-
tuer le fondement de l’architecture et des et plus récemment les sciences de l’infor- tion aux problèmes analytiques liés à la
frontières des politiques publiques qui mation en sont arrivées à asseoir leurs do- complexification des mécanismes est
régissent ces différents domaines, ce qui maines de compétence sur la base de l’analyse sur une base interdisciplinaire.
à l’avenir pourrait poser problème. théories, notions et principes strictement Ce nouveau modus operandi possède des
Ce contexte, de plus en plus complexe, définis et, par là, à bénéficier d’un statut avantages et des désavantages. Il est pro-
pousse les analystes des politiques disciplinaire reconnu.3 De la même ma- blématique du fait de l’impossibilité à maî-
publiques à développer de nouvelles nière, le paysage des politiques publiques triser de manière approfondie les connais-
théories permettant de jeter des ponts au niveau national en Suisse s’est organi- sances et les instruments de différentes
entre ces différents univers. sé suivant un découpage dissociant la po- disciplines, ce qui en fait facilement l’objet
litique d’archivage, la politique de la de critiques. Son intérêt est par contre de
Mirta Olgiati culture (volet préservation du patrimoine permettre la réalisation d’études transver-
Doctorante – Chaire Politiques
publiques et durabilité
documentaire) et, dernière en date, la ges- sales et exploratoires, à la fois enrichis-
Institut de hautes etudes en tion des documents (dans le cadre de la santes et novatrices.
administration publique politique d’organisation du gouvernement Or, dans les domaines qui nous intéres-
Mirta.Olgiati@idheap.unil.ch
Photo: © Alban Sublet et de l’administration). sent, l’étude interdisciplinaire et transver-
Actuellement, on constate que l’évolu- sale se trouve à ses premiers balbutie-
tion des technologies de l’information et ments, d’une part à cause du fait que
de la communication est en train de re- l’analyse des politiques publiques n’est
mettre en cause les distinctions qui ont que rarement appliquée dans ces do-
Une société complexe été si structurantes jusqu’ici pour l’univers maines et, d’autre part, car les disciplines
Le fonctionnement de la société actuelle documentaire: ces domaines sont donc phares que sont l’archivistique et la biblio-
se caractérise par sa grande complexité. en train de vivre un véritable changement théconomie bénéficient de traditions de
Dans de nombreux domaines du secteur de paradigme.4 Cependant, personne recherche anciennes. Pour être à même
public, les distinctions qui permettaient n’est à même de prédire si cette tendance de réaliser des études pertinentes tenant
auparavant de réguler les activités sont mettra durablement en discussion l’orga- compte des changements en cours, il est
maintenant souvent considérées comme nisation actuelle des disciplines, des mé- par conséquent nécessaire de développer
étant caduques, car simplistes: les fré- tiers et des politiques concernés, ou si elle de nouveaux cadres d’analyse ou d’adap-
quentes évaluations des politiques pu- ne sera pas suffisamment persistante pour ter ceux qui s’appliquent intelligemment à
bliques et les modifications qui en décou- bouleverser l’ordre présent des choses. d’autres secteurs. Dans ce contexte, l’ap-
lent en sont la preuve.1 Dans le domaine proche des Régimes institutionnels des
de la gestion publique des ressources hu- A la recherche de nouveaux ressources constitue un instrument de tra-
maines, par exemple, les bases légales, cadres d’analyse vail extrêmement intéressant.
les politiques, les stratégies, les proces- Pour l’analyste des politiques publiques,
sus, les outils de gestion ainsi que les va- la question reste ouverte. Le changement Les Régimes institutionnels
leurs sous-jacentes aux pratiques ont évo- de paradigme, qu’il soit effectif ou passa- des ressources (RIR)
lué d’une vision centrée sur la sécurité de ger, a toutefois un impact sur la façon Le cadre d’analyse des Régimes institu-
l’emploi vers une vision beaucoup plus d’appréhender l’analyse des politiques. tionnels des ressources (RIR) a été déve-
nuancée, tenant compte tout autant de En effet, le rôle de l’analyste est principa- loppé au sein de l’IDHEAP dès 1997 par le
paramètres tels que l’efficience au travail, lement celui de déterminer si les politiques Prof. Knoepfel et les équipes de cher-

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40 Forschung / Analyse

cheurs qui se sont succédé au fil des an-


nées. Il a été appliqué jusqu’ici essentielle-
ment à l’analyse des régulations qui visent
à assurer la durabilité de la capacité de re-
nouvellement des ressources naturelles.5
Ce cadre d’analyse combine deux ap-
proches: celle des politiques publiques et
celle de la théorie des droits et des ré-
gimes de propriété développée par l’éco-
nomie institutionnelle. L’analyse des poli-
tiques publiques permet de dresser un
portrait des politiques qui régulent un do-
maine, de leurs raisons d’être, de leurs
principes d’intervention ainsi que des dif-
férents groupes d’acteurs actifs par leurs
jeux politiques. La théorie des droits et
des régimes de propriété développée par
l’économie institutionnelle évalue la capa-
cité de renouvellement d’une ressource
sur la base de l’analyse des droits de pro-
priété et d’usage, qui définissent les droits
et les devoirs des individus qui l’exploi-
tent.
Sur la base de ces deux approches, le Figure 1: La ressource information constitue l’objet au cœur des régulations du système composé par la politique
d’archivage, le volet patrimonial de la politique de la culture et la politique de gestion des documents
cadre d’analyse des RIR permet ainsi de
dresser un portrait complet de l’ensemble
des régulations régissant les usages d’une les trois objets qui sont au cœur de leurs mise dans le temps. Du point de vue de sa
ressource: il tient en effet compte du fait régulations, on identifie la ressource qui se fonction, il s’agit d’une ressource d’action
que, aujourd’hui, les usages sont de plus trouve au centre du système (figure 1). publique, c’est-à-dire de toute information
en plus hétérogènes et de moins en moins Cette ressource est désignée, faute de produite par un organisme public, privé ou
locaux. Ils sont régulés à la fois à partir mieux, par le terme parapluie d’informa- par tout autre producteur, d’intérêt public
d’interventions étatiques à travers les poli- tion.7 Elle se définit par rapport à sa subs- et de pertinence nationale, indispensable
tiques publiques et à partir de combinai- tance et sa fonction. Du point de vue de la au fonctionnement d’un acteur public et
sons de régimes de propriété.6 En outre, substance, il s’agit de toute information susceptible d’être préservée dans le
ce cadre d’analyse peut être appliqué à consignée sur un support physique quel temps selon sa valeur.
des ressources artificielles. qu’il soit (analogique ou numérique), orga- L’information ainsi définie constitue
nique ou collectée, se trouvant à n’im- alors une ressource artificielle – c’est-à-
L’information en tant que porte quel stade de son cycle de vie (actif, dire entièrement produite par l’homme –
ressource artificielle semi-actif, inactif) et pouvant être trans- de nature matérielle.8 Cette vision épouse
Afin de pouvoir effectuer une analyse qui
va au-delà des catégories étanches
créées par les frontières entre disciplines
et politiques, il est indispensable d’identi-
fier l’objet social régulé par la politique
d’archivage, par le volet consacré à la pré-
servation du patrimoine documentaire de
la politique de la culture et par la politique
de gestion des documents (politique d’or-
ganisation du gouvernement et de l’admi-
nistration). Toutes ces politiques s’occu-
pent de réguler les usages (liés à la
production, la gestion et la préservation
de documents) d’objets bien définis et
présentant des caractéristiques similaires.
On peut identifier ces objets comme étant
le patrimoine documentaire qui témoigne
de l’action de l’Etat (objet au cœur de la
politique d’archivage); le patrimoine docu-
mentaire culturel des Helvetica (objet au
cœur des régulations du volet patrimonial
de la politique de la culture); et, enfin, les
documents actifs ou semi-actifs qui per-
mettent l’action de l’Etat (politique de ges-
tion des documents). Ainsi, si l’on super- Figure 2: Caractéristiques de la ressource information et étude de l’étendue et de la cohérence du Régime institutionnel de
pose virtuellement les trois politiques et la ressource (RIRI)

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Forschung / Analyse 41

d’ailleurs les nouvelles conceptions du pa- étant donné que les domaines concernés
trimoine, des documents et de l’informa- se trouvent justement dans une grande
tion, qui considèrent non seulement leur phase de changements. La poursuite des
valeur utilitaire ou historique, mais égale- analyses permettra d’identifier si ces failles
ment leur valeur économique. proviennent d’une insuffisance dans
En tant que ressource, l’information est l’étendue du Régime (identification des la-
composée d’une énorme quantité d’élé- cunes dans les régulations), d’un manque
ments qui, dans leur ensemble, compo- de cohérence (identification des rivalités
sent un stock. Lorsqu’ils sont identifiables, d’usage) ou des deux cas de figure réunis.
ils mettent à disposition d’acteurs usagers Pour la pratique, les conséquences de l’un
un certain nombre de biens & services9: ou l’autre des cas de figure pourraient être
par exemple, ils permettent de réaliser une la création de régulations ciblées sur les
étude ou de vérifier les actions de l’Etat. nouveaux usages, non encore couverts
L’usage des biens & services de la res- par les politiques actuelles, ou la modifica-
source est soumis à des régulations. La tion du Régime en vue de résoudre les
durabilité de la ressource est assurée principales rivalités existantes.
lorsque les régulations des usages per- Ainsi, on comprend bien que l’intérêt de
mettent l’addition et le prélèvement équili- l’analyse de la durabilité de la ressource
brés des éléments qui composent l’infor- information n’est pas seulement théo-
mation ou, en d’autres termes, de rique, mais implique des enjeux sociaux,
maintenir le fonctionnement de son pro- car les mécanismes de préservation du
cessus de renouvellement en évitant une patrimoine documentaire et de gestion
surexploitation, qui causerait une amnésie des documents assurent le fonctionne-
informationnelle (extraction ou perte de ment démocratique de l’Etat de droit.
trop d’éléments), ou une sous-exploita-
1 Bussmann, Werner/Klöti, Ulrich/Knoepfel, Peter (éd.):
tion, qui causerait l’asphyxie de la res-
Politiques publiques. Evaluation. Economica, Paris,
source (addition de trop d’éléments). 1998.
2 Emery, Yves/Chassot, François: Evolution de la politique
institutionnelle de gestion des ressources humaines:
Evaluation de la durabilité quelles valeurs ajoutées pour la mise en œuvre des
de la ressource par l’analyse de politiques publiques substantielles ? In: Réformes de
politiques institutionnelles et action publique/Reformen
l’étendue et de la cohérence institutionelle Politiken und Staatshandeln. PPUR/Haupt
du Régime Verlag, Lausanne/Berne, 2009. PP. 137–164.
La ressource information, ainsi envisagée 3 Pour l’archivistique, la reconnaissance de la discipline
est clairement visible dans le développement des
dans sa globalité, se trouve donc au cœur formations. Nebiker Toebak, Regula: Archivische Aus-
d’un système de régulations qui dérivent und Weiterbildung in der Schweiz. In: Archivpraxis in der
Schweiz/Pratiques archivistiques en Suisse. hier + jetzt,
des politiques publiques (lois spécifiques Baden, 2007. PP. 231–249.
aux domaines et articles dans d’autres 4 Rousseau, Jean-Yves/Couture, Carol et collaborateurs:
lois) et des droits de propriété (copyright, Les fondements de la discipline archivistique. Presses de
l’Université de Québec, Sainte-Foy, 2003. P. 35.
propriété intellectuelle, droits d’auteurs, 5 Knoepfel, Peter/Nahrath, Stéphane/Varone, Frédéric:
etc.) appelé justement le Régime institu- Institutional Regimes for Natural Resources: An
Innovative Theoretical Framework for Sustainability. In:
tionnel de la ressource information (RIRI). Environmental Policy Analyses. Learning from the Past
Ces régulations couvrent d’une part les for the Future. Springer, Berlin/Heidelberg, 2007.
PP. 455–506. Voir aussi: Knoepfel, Peter: La création de
usages des biens & services que la res-
droits d’usages de ressources naturelles – questions aux
source met à disposition des acteurs juristes. In: Nutzung der natürlichen Ressourcen steuern/
(étendue du Régime) et d’autre part la re- Piloter l’usage des ressources naturelles. IDHEAP,
Chavannes-près-Renens, 2007. PP. 31–66.
lation qui existe entre les différentes régu- 6 Nahrath, Stéphane: La mise en place du régime
lations de ces mêmes usages, qui peuvent institutionnel de l’aménagement du territoire en Suisse
entre 1960 et 1990. Thèse de doctorat de l’IDHEAP,
être en rivalité (cohérence du Régime) (fi- Chavannes-près-Renens, 2003. PP. 5–26.
gure 2). L’évaluation de l’étendue et de la 7 L’emploi de l’italique a pour but de rendre attentif le
cohérence du Régime sur la base d’ana- lecteur au fait que la définition de l’information ne
correspond pas aux définitions habituellement
lyses empiriques permet d’en déterminer appliquées à ce terme.
une typologie basée sur sa qualité: Ré- 8 Gerber, Jean-David/Nicol Lee, Ann/Olgiati, Mirta/Savary,
Jérôme: Analysing artificial resources: the added value
gime inexistant, simple, complexe ou inté- and challenges of a resource-based approach. In:
gré. Suivant ce cadre d’analyse, un Ré- Rediscovering Public Law and Public Administration in
gime intégré sera le plus à même d’assurer Comparative Policy Analysis: a Tribute to Peter Knoepfel.
PPUR/Haupt Verlag, Lausanne/Berne, 2009.
la capacité de renouvellement de la res- PP. 255–278.
source. 9 En réalité il s’agit uniquement de services, mais pour la
clarté des propos le concept de biens & services est
D’après l’avancement des recherches utilisé dans sa formule habituelle.
effectuées jusqu’ici, il apparaît que le Ré-
gime institutionnel de la ressource infor-
mation est de type complexe. Si ce résul-
tat devait être confirmé, cela signifierait
que les régulations des usages des biens
& services de la ressource présentent des
failles: ce constat n’est pas étonnant,

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42 Forschung / Analyse

Langzeiterhaltung von Dokumenten aus


dem literarischen Schreibprozess
Julia Büchel, Rolf Jufer, Urs Richle, Alexander Wenzel

Trotz der tief greifenden Umwälzung der Von analogen zu binären mente und Versionen von Werken gehen
Schriftkultur durch digitale Textverarbei- Aufschreibsystemen verloren, weil den neuen Technologien oft
tung zeigen fast alle Computerbenutzer Die Schrift ist eine der ältesten Kulturtech- blind vertraut wird. Kenntnisse, geeignete
ein Schreibverhalten, das sich noch am niken der Menschheit. «Dort, wo keine Werkzeuge und Infrastrukturen für die
überholten Modell der Schreibmaschine Schrift verwendet wird, glaubt der Euro­ langfristige Archivierung fehlen. Mit dem
orientiert. Dies gilt insbesondere für päer ‹Primitivität› zu erkennen.»1 Bei ge- Verlust solcher Dokumente geht auch ein
Schriftstellerinnen und Schriftsteller. nauerer Betrachtung muss jedoch fest­ Teil des kulturellen Erbes und damit der
Deren digitale Textzeugen und elektro- gestellt werden, dass die Schrift keine kulturellen Identität unserer Gesellschaft
nische Korrespondenzen drohen dabei Grundbedingung für das Funktionieren ei- verloren. Der Erhalt dieses Erbes soll je-
verloren zu gehen (durch Formatinkompa- ner Gesellschaft darstellt. Bis heute gibt doch gewährleistet werden. Bis anhin
tibilität, Migrationen, Datenverluste usw.). es Gesellschaften, die orale Erzähltechni- existiert in der Schweiz keine institutionali-
Das Schweizerische Literaturinstitut der ken und Riten für die Wissensvermittlung sierte Infrastruktur, die es Autorinnen und
HKB und das Departement Technik und und für die Konstruktion eines kollektiven Autoren ermöglichen würde, Dokumente
Informatik der BFH untersuchen in enger Gedächtnisses benützen. Und gerade die und Korrespondenzen aus dem literari-
Zusammenarbeit diese Problematik, um Existenz eines solchen kollektiven kulturel- schen Schaffensprozess langfristig für ihre
ausgehend von einigen Fallstudien eine len Gedächtnisses spricht schliesslich ge- eigene Arbeit oder für kulturelle und wis-
technische Infrastrukturlösung zu konzi- gen die vermeintliche «Primitivität» einer senschaftliche Zwecke zu archivieren. Aus
pieren und zu realisieren. Sie soll es Gesellschaft. In unseren Kulturkreisen bil- diesem Grund erforscht das Projekt «Digi-
professionellen Autorinnen und Autoren det die Schrift, indem sie Wissen festhält tale Literatur» der BFH das Problem der
erlauben, Dokumente aus ihrem Arbeits- und von einer Generation zur nächsten Archivierung literarischer Dateien und ent-
prozess langfristig zu archivieren. Diese weiterreicht und verfügbar macht, einen wirft einen konkreten Vorschlag zur Ver-
können so später auch vom Schweize- grossen Teil der kulturellen Identität. Die besserung der Situation.
rischen Literaturarchiv übernommen und Tätigkeit des Schreibens kann in diesem
der Wissenschaft zugänglich gemacht Sinn also immer auch als Arbeit an der Digitale Archivierung heute
werden. kulturellen Identität der Gesellschaft, in Mit dem Problem des Verlustes von
der wir leben, verstanden werden. Dies gilt ­D okumenten und Korrespondenzen im
Julia Büchel ganz besonders für das literarische Schrei­ Zuge der Wandlungen der Informations-
Schweizerisches Literaturinstitut
HKB BFH
ben, das immer auch eine reflexive Funk­ und Kommunikationstechnologien stehen
juliabuechel@yahoo.de tion erfüllt. die Schriftstellerinnen und Schriftsteller
In den vergangenen 50 Jahren haben nicht allein. Seit fast zwei Jahrzehnten
sich die neuen Informations- und Kommu- setzen sich Archivarinnen und Archivare,
nikationstechnologien unmerklich in bei- Bibliotheken und andere Institutionen mit
Prof. Rolf Jufer nahe alle Handlungen des Alltags einge- dem Thema der digitalen Archivierung
Departement Technik und Informatik BFH
rolf.jufer@bfh.ch
schlichen, so auch in das literarische aus­e inander. Das Bundesamt für Kultur
Schreiben. Seit den 1970er-Jahren hat (BAK) stellt in seinem Bericht zur Memo-
sich neben der primären eine sekundäre politik des Bundes 4 fest, dass in der
Schriftlichkeit entwickelt. Während die pri- Schweiz ein Defizit an Infrastrukturen zur
märe Schriftlichkeit den Schriftbesitz seit Erhaltung des «digitalen Gedächtnisses»
Urs Richle rund 7000 Jahren in einem ständig wach- des Landes besteht. Noch immer haben
Schweizerisches Literaturinstitut
HKB BFH
senden Bevölkerungsteil förderte, macht nicht alle Institutionen den Weg ins digi­
urs.richle@bfh.ch die sekundäre Schriftlichkeit eine speziali- tale Zeitalter geschafft. Mangelnde
sierte Informationstechnologie für diejeni- Kenntnisse, Überforderung mit neuen
gen nutzbar, die bereits in einer alphabeti- Technologien und der Anzahl an Doku-
sierten Gesellschaft leben.2 Dass diese menten, unterschiedliche Handhabung
Alexander Wenzel neue Technologie das altbewährte Alpha- des vorhandenen Materials und selbst
Schweizerisches Literaturinstitut
HKB BFH
bet jedoch in eine Reihe von Kombinatio- Uneinigkeit über Sprachgrenzen hinweg
alexander.wenzel@hkb.bfh.ch nen der Zahlen 0 und 1, also in ein binäres führen zu Verzögerungen in der Digitali-
System, verwandelt hat, dessen sind sich sierung.
die wenigsten Schreibenden bewusst.
Viele Schriftstellerinnen und Schriftsteller Das Projekt «Digitale Literatur»
benützen ihre Schreibprogramme nach Ganz im Sinne der Memopolitik des BAK
wie vor wie eine alte, mechanische erforschen die Projektpartner* in enger
Schreibmaschine. Dem steten Wechsel Zusammenarbeit den Einfluss der neuen
der Werkzeuge und Dokumentenformate Informations- und Kommunikationstech-
sind sie oft hilflos ausgesetzt.3 Korrespon- nologien auf den literarischen Schaffens-
denzen mit Verlegern und Schriftstellerkol- prozess mit dem Ziel, eine den Bedürf-
leginnen und -kollegen, Recherchedoku- nissen der Schreibenden angemessene

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Forschung / Analyse 43

Lösung zur Verwaltung und Sicherung


von Dokumenten und Korrespondenzen
aus ihrem Schaffen zu entwickeln. Damit
soll das Projekt «Digitale Literatur» einen
Beitrag zur Erhaltung des kulturellen Ge-
dächtnisses unseres Landes leisten.

Resultate einer Umfrage im


Rahmen des Projekts
Aus einer Befragung von neun Autorinnen
und Autoren (mit qualitativem Fragebo-
gen, halb strukturierten Interviews und
Hausbesuchen) zu ihrer schriftstelleri-
schen Arbeit unter den Bedingungen der
heutigen technischen Mittel konnten wir
Rückschlüsse für eine geeignete Infra-
struktur und die Entwicklung von konkre-
ten Werkzeugen ziehen. Während sich
demnach die meisten befragten Schrift-
stellerinnen und Schriftsteller imstande se-
hen, mehr oder weniger selbstständig mit
dem Computer umzugehen, treten doch
bei allen eine Reihe von strukturellen Pro- Abbildung 1: Die fünf Bereiche einer digitalen Arbeitsumgebung für das literarische Schreiben
blemen auf, die unter folgende Kategorien
fallen:
– Fortlaufender Wechsel der Dokumen- Autorinnen und Autoren denn auch keine Gesamtvision
tenformate durch neue Produkte; die besonderen Schritte, um eine langfristige Anhand der Fallstudien über die Arbeits-
Schreibenden unternehmen meist keine Zugänglichkeit und Kompatibilität ihrer weisen von neun professionellen Schrift-
besonderen Schritte, um die Kompatibi- digitalen Texte zu gewährleisten. Die stellerinnen und Schriftstellern konnten
lität ihrer Dokumente auf Dauer zu ge- Mehrzahl archiviert ihre Dokumente ver- neben der Hauptfunktion der Textproduk-
währleisten (z.B. durch Verwendung teilt auf mehrere Medien (IT/Papier) oder tion vier weitere Aspekte des heutigen
standardisierter Formate, Konversion in Formate (doc/PDF/Mail), jedoch nicht Schreibens und des literarischen Schrei-
aktuelle Formate). zwangsläufig redundant. Die meisten bens im Besonderen ans Licht gebracht
– Fortlaufende Überschreibungen von Do- Schreibenden haben bei langfristiger werden: Kommunikation, Publikation, Re-
kumenten, anstatt Versionierung zur Si- ­A rchivierung vor allem den eigenen Zu- zeption und Dokumentenverwaltung.
cherung der Textentstehung, was zur gang zu ihren Texten im Blick, nicht je- Die Vision eines umfassenden Schreib-
Verwässerung der Textgenese führt. doch eine Sekundärnutzung (z.B. durch werkzeugs für Schriftstellerinnen und
– Fortlaufende Vernichtung von Textver­ Archive oder die Literaturwissenschaft), Schriftsteller integriert alle fünf genannten
sionen und Korrespondenzen durch der sie zum Teil skeptisch gegenüber­ Aspekte. Was heute mit mehreren Tools
Kurzlebigkeit der Hardware; E-Mails aus stehen. und womöglich auf verschiedenen Rech-
der literarischen Korrespondenz werden nern erledigt wird, könnte in Zukunft durch
zumeist auch nicht gesondert abgelegt Schlussfolgerungen ein solches integriertes Schreibwerkzeug
und gesichert. Diese Feststellungen und vor allem die zentral geleistet werden.
Daneben sind weitere kritische Momen- Einstellung der meisten Schriftstellerin- Im Rahmen dieses Forschungsprojektes
te des Informationsverlustes hervorgetre- nen und Schriftsteller zur Archivierungs- behandeln wir nur den Aspekt der «Doku-
ten: Beim Entwurf und bei der Korrektur problematik haben dazu geführt, dass wir mentenverwaltung».
literarischer Texte kann ein – zum Teil ite- unser Projekt stärker auf deren Nutzen
rierter – Wechsel zwischen den Medien auszurichten haben als geplant. Wir Strukturelle Spezifikationen
Computer und Papier dazu führen, dass mussten feststellen, dass das Grundpro- Wie bei anderen Archivierungslösungen
literarische Arbeitsschritte nicht explizit in blem nicht in erster Linie die langfristige wird die Beschreibung und Indizierung der
elektronischer Form und zum Teil nicht Archivierung von Dokumenten und Korre- digitalen Dokumente mit Metadaten ge-
einmal als eigenständige Dateiversion do- spondenzen ist, sondern die adäquate leistet. «Technische» Metadaten, die die
kumentiert werden; am deutlichsten wird und technikbewusste Verwaltung dersel- elektronischen Dateien als Archivalien be-
dies bei der Vorbereitung der Texte zum ben. Wenn die Autorinnen und Autoren schreiben, können in der Regel automa-
Druck, bei der zum Beispiel Druckfahnen Werkzeuge erhalten, mit denen sie Doku- tisch erzeugt werden. Da sie meist nichts
und spezifische Dateiformate in den Vor- mente kurz- und mittelfristig den techni- über den spezifisch literarischen Inhalt der
dergrund treten, sodass die Schriftstelle- schen Mitteln gemäss verwalten können, Dateien aussagen, sind weitere Meta­
rinnen und Schriftsteller selbst meist keine dann ist auch die langfristige Archivierung datenkategorien notwendig, die einer in­
«Datei letzter Hand» besitzen, die die besser gesichert. Eine Archivlösung für tuitiven Nutzung durch Autorinnen und
Druckversion ihrer Texte exakt widerspie- literarische Dokumente sollte also als ­Autoren entgegenkommen oder der litera-
gelt. Erstes den Schreibenden selbst dienen. turwissenschaftlichen Erschliessung die-
Hinsichtlich der Einstellung und des Die Umfrage macht es uns nun möglich, nen. Da solche Metadaten zumeist manu-
Problembewusstseins gegenüber der Rückschlüsse auf eine geeignete Infra- elle Pflege erfordern, muss ein Kompromiss
­A rchivierung elektronischer Dokumente struktur zu ziehen und passende Werk- zwischen Beschreibungsgrad und Erfas-
­u nternehmen die meisten der befragten zeuge vorzuschlagen. sungsaufwand gefunden werden.

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44 Forschung / Analyse

Gängige Metadaten konnten aus ein- und vieles mehr. Der so entstandene PDF/ und damit das literarische Erbe von vielen
schlägigen Standards übernommen wer- A-Standard stellt sicher, dass PDF/A-kon- Schweizer Schriftstellerinnen und Schrift-
den wie ISAD(G)5, ferner ISAAR(CPF)6 und forme elektronische Dokumente mit «ein- stellern langfristig technisch betreut und
Dublin Core7, die allerdings nur einen all- fachen» Mitteln analysiert und interpretiert aufrecht erhält.
gemeinen Rahmen der Beschreibung von werden können, im einfachsten Fall sogar
Archivalien bilden, in dem die Metadaten mithilfe eines simplen Texteditors. Somit
Literaturnachweise
für unsere konkrete Anwendung noch an- ist weitgehend sichergestellt, dass PDF/A-
1 Haarmann, H.: Geschichte der Schrift. C.H. Beck
gepasst sowie ergänzt werden mussten, Dokumente auch in den oben genannten Wissen, München, 2007. S. 11.
um daraus zweckmässige und aussage- Zeiträumen noch mit dem zum Entste- 2 Haarmann, H.: Geschichte der Schrift. C.H. Beck
Wissen, München, 2007. S. 124.
kräftige Deskriptoren zu gewinnen. Aus hungszeitpunkt vorhandenen Erschei- 3 Über ihre Erlebnisse im Wandel der Schreibwerkzeuge
den neun Fallstudien konnten insbesonde- nungsbild reproduziert werden können. berichten eindrücklich die Autoren Daniel de Roulet
(2005) und Jim Porter (2002): De Roulet, Daniel: La
re spezifische Metadaten erschlossen Nouvelle volatilité de l’écrit et les moyens d’y remédier.
werden, die weder in den erwähnten Stan- Open-Source-Lösung Jackrabbit In: Les archives littéraires, Documents no 7, Association
dards noch anderen Datenbanken vor- Für die technische Realisierung eines Pro- pour le patrimoine naturel et culturel du canton de Vaud,
Lausanne, octobre 2005. Porter, Jim: Why technology
kommen, zum Beispiel vorläufiger und totyps haben wir uns für eine Client-Ser- matters to writing: A cyberwriter’s tale. In: Computers
endgültiger Titel von Text oder Werk ver- ver-Architektur entschlossen. Die Doku- and Composition 20 (2002). S. 375–394, vgl. www.
sciencedirect.com.
sus Dateiname oder Entstehungszeitraum mente sollen von den Schriftstellerinnen 4 Wehrlin, M.: Memopolitik. Eine Politik des Bundes zu den
des Werks versus Speicherdatum der Da- und Schriftstellern von ihrer privaten Gedächtnissen der Schweiz. Bundesamt für Kultur, Bern,
tei. Also auch diesbezüglich betritt dieses Schreibumgebung aus auf einem zentra- 2008. Online verfügbar unter: http://www.bak.admin.ch.
5 International Standard Archival Description (General), vgl.
Projekt Neuland. Spätere Verweise auf len Server verwaltet werden. Über ein International Council on Archives: ISAD(G). General
entsprechende Einträge zu Schriftstellerin- ­Login können sich die Benutzenden auf International Standard Archival Description. Second
Edition, Ottawa 2000; http://www.ica.org/sites/default/
nen und Schriftstellern sowie Werkeinträ- eine Art gesichertes Postfach begeben files/isad_g_2e.pdf.
ge im Online-Katalog HELVETICAT der und darin ihre Dokumente und Korres­ 6 International Standard Archival Authority Record for
Corporate Bodies, Persons and Families, vgl.
Nationalbibliothek oder in der Archivda- pondenzen abspeichern, versionieren und
International Council on Archives: ISAAR(CPF).
tenbank des Schweizerischen Literaturar- ­archivieren. Für die Entwicklung der Internationaler Standard für archivische Normdaten
chivs wären sinnvoll. ­An­wendung stützen wir uns auf ein Open- (Körperschaften, Personen, Familien). Zweite Ausgabe,
Wien, 2004; http://www.ica.org/sites/default/files/
Source-Projekt**, welches ein multifunk­ ISAAR2%20GER.pdf.
Technische Spezifizierungen tionales Dokumentenverwaltungssystem 7 Vgl. Dublin Core Metadata Initiative (DCMI).
8 Vgl. PDF/A: An ISO Standard: http://www.pdfa.org.
Sicherstellung der Langzeitarchi- bietet, das einige der Grundfunktionen,
vierung elektronischer Dokumente die wir benötigen, bereits integriert. Im
* Das Schweizerische Literaturinstitut, ein Fachbereich der
Auch im Projekt «Digitale Literatur» stellt Rahmen unseres Forschungsprojektes er-
HKB, und das Departement Technik und Informatik der
sich die Frage, in welchem Format ein weitern wir diese Open-Source-Lösung im BFH.
elektronisches Dokument gespeichert Bereich der Zugriffsrechteverwaltung, der ** Jackrabbit von Apache; http://jackrabbit.apache.org.

werden kann, sodass sein heutiges visuel- Metadaten und der Workflows (Archivie-
les Erscheinungsbild und sein Inhalt auch rungs- und Vererbungsverlauf), um auf die
in 10, 30 oder 50 Jahren mit den dann spezifischen Bedürfnisse, die wir über die
verfügbaren Werkzeugen und Systemen neun Fallstudien definieren konnten, ein-
reproduziert werden können. Das von der zugehen.
Standardisierungsorganisation ISO nor-
mierte PDF/A8 gewinnt zunehmend an Be- Nutzen und Perspektiven
deutung: Einerseits benötigt das PDF/A- Die zukünftigen Benutzer der entwickelten
Format typischerweise sehr viel weniger Lösung des Projektes «Digitale Literatur»
Speicherplatz als andere Formate, und werden in erster Linie die Autorinnen und
andererseits ist es das erste standardisier- Autoren selbst sein. Wenn es uns gelingt,
te Format, das explizit für die Langzeitar- den Erstnutzenden des Projektes eine
chivierung geschaffen wurde. Es bietet professionelle Infrastruktur zu bieten, die
zudem die Möglichkeiten, neben dem rei- die fachgerechte Verwaltung der Doku-
nen Dokumentinhalt auch Metastrukturen mente aus dem literarischen Schaffens-
und Objektinformationen abzuspeichern; prozess nicht nur ermöglicht, sondern im
eine Option, die eine rein grafische Dar- Idealfall auch fördert, dann sind die
stellung wie zum Beispiel ein TIFF-Raster- ­Grundvoraussetzungen für eine Langzeit-
bild nicht bietet. archivierung gegeben. Die Literaturwis-
PDF («Portable Document Format») an senschaft, Bibliotheken, Archive und Lite-
sich garantiert keine Langzeit-Reprodu- raturinteressierte werden dadurch auch in
zierbarkeit, nicht einmal das Prinzip Zukunft die Genese eines Werkes, das in
WYSIWYG (what you see is what you get). der Epoche der digitalen Schreibsysteme
Damit beides gewährleistet ist, mussten entstanden ist, erkunden und erforschen
gewisse Einschränkungen und Erweite- können. Das Schweizerische Literaturar-
rungen gegenüber dem existierenden PDF chiv der Nationalbibliothek und der Ver-
definiert werden. Für die Reproduzierbar- band Autorinnen und Autoren der Schweiz
keit ist beispielsweise wesentlich, dass stehen uns deshalb für die Realisierung ei-
alle notwendigen Informationen im Doku- nes ersten Prototyps beratend zur Seite.
ment selbst enthalten sind. Dies umfasst Die grosse Herausforderung wird es spä-
sichtbaren Inhalt wie Texte, Vektorgrafi- ter sein, eine geeignete Institution zu fin-
ken, Rasterbilder, Schriftarten, Farbräume den, die den Server unserer Anwendung

«eGov Präsenz» 1/10


Forschung / Analyse 45

Das Datenpointernetzwerk: Basisinfrastruktur


für ein interorganisationales Information Sharing
Martin Brüggemeier, Sirko Schulz

Durch Prozessintegration werden öffent- Interorganisationale Perspektive speichert, ist sichergestellt, dass alle
liche Leistungsnetzwerke möglich, in durch Prozessintegration Netzwerkpartner ihre Entscheidungen auf
denen Verwaltungen und gegebenenfalls In Modernisierungsprojekten des öffentli- der gleichen Grundlage treffen.
andere Partner öffentliche Leistungen chen Sektors sind in den letzten Jahren
kooperativ erstellen. Damit müssen auch die Prozesse zunehmend in den Fokus der Intelligente Vernetzung statt
Fragen des Dokumentenmanagements Betrachtung gelangt. Durch eine ganzheit- eines zentralen Massenspeichers
sowie der Langzeitarchivierung aus einer liche Betrachtung der Wertschöpfungs- Eine solche Verknüpfung der gemeinsa-
interorganisationalen Perspektive be- kette und die Prozessintegration geraten men Datenbasen innerhalb eines öffentli-
trachtet werden. Für ein umfassendes über die Schnittstellen hinaus die Kopro- chen Leistungsnetzwerkes kann ohne ei-
Information Sharing über Organisations- duzenten sowie die Kundinnen und Kun- nen zentralen Massenspeicher erfolgen.
grenzen hinweg fehlt jedoch noch eine den in den Blickpunkt. Die konsequente Gegen diese Art der gemeinsamen Daten-
entsprechende Infrastruktur. Prozessorientierung läuft infolge der mo- haltung gibt es in jüngerer Zeit erhebliche
Als Lösungsvorschlag hierfür wurde das dularen Produktion einer Leistung unter Widerstände in der Öffentlichkeit. Auch
Konzept des Datenpointernetzwerks Beteiligung verschiedener Akteure1 logisch aus fachlicher Sicht scheint der Verzicht
(DPN) entwickelt. Es basiert auf einer auf die Entwicklung von öffentlichen Leis- auf eine zentrale Speicherung vorteil-
Datenbank, in der die dezentral in den tungsnetzwerken als Form der integrier- haft. In einem System aus «originären
angeschlossenen Verwaltungen gespei- ten, netzwerkartigen Leistungserstellung Speicherstellen» behalten Organisationen
cherten Datenbestände referenziert hinaus.2 sanktionsbewährt die Zuständigkeit für die
werden. Im Bedarfsfall können diese In der Konsequenz müssen typischer- Qualität – zumindest eines Teils – ihrer ge-
automatisiert über das DPN von der weise organisationsinterne Aufgaben wie speicherten Daten. Für eine intelligente
jeweiligen Speicherstelle unmittelbar in das Dokumentenmanagement und die und innovative Informationsintegration be-
die Fachanwendungen der abfragenden Langzeitarchivierung im neuen, interorga- darf es jedoch einer noch zu entwickeln-
Stelle eingelesen werden. Der Artikel nisationalen Kontext betrachtet werden.3 den Infrastruktur.
beschreibt die Funktionsweise sowie das Andernfalls drohen die Spezialisierungs-
strategische Modernisierungspotenzial und Effizienzvorteile durch Transaktions- Modell des DPN
und zeigt den weiteren Forschungsbedarf kosten und die redundante Erledigung Hier setzt der Lösungsvorschlag «DPN»
auf. vormals integriert wahrgenommener Funk- an, der von einem interdisziplinären For-
tionen konterkariert zu werden. schungskonsortium um das Fraunhofer
Institut IESE im Rahmen des in Deutsch-
Prof. Dr. Martin Brüggemeier Potenziale von interorganisatio- land vom Bundesministerium des Innern
Professor für Betriebswirtschaftslehre und
Public Management an der Hochschule
nalem Information Sharing geförderten Projektes «Prozessketten zwi-
für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin Durch Information Sharing in Leistungs- schen Wirtschaft und Verwaltung – Infor-
martin.brueggemeier@htw-berlin.de
netzwerken kann der Aufwand für die mations- und Meldepflichten für Arbeitge-
­redundante Speicherung – die Daten­ver­ ber (Los 3)» entwickelt wurde.4
waltung, das Speichervolumen, die Zu­ Das DPN stellt den Aspekt der Informa-
Dipl.-Kfm. (FH) Sirko Schulz griffsverwaltung – je nach Anzahl der tionsintegration im Backoffice in den Vor-
Wissenschaftlicher Mitarbeiter in
Projekten an der Hochschule für Technik
­beteiligten Partner erheblich reduziert wer- dergrund: An zahlreichen Stellen in der
und Wirtschaft (HTW) Berlin den. Auch brauchen die kooperie­renden öffentlichen Verwaltung werden identische
schulzsi@htw-berlin.de öffentlichen Organisationen die Informa­ Informationen erhoben, verarbeitet und
tionen nicht mehrmals zu erheben. Da- gespeichert. Diese Datenbanken können
durch können lästige Mehrfachabfragen mit dem DPN intelligent verknüpft werden,
gleichen Inhalts bei Unternehmen, Organi- ohne datenschutzrechtliche Aspekte zu
sationen des Dritten Sektors sowie Bürge- vernachlässigen. Im Zentrum dieser Ver-
rinnen und Bürgern vermieden werden. netzung steht ein Referenzierungssystem,
Diese wiederum brauchen einmal gemel- das auf die gespeicherten Daten verweist
dete Informationen auch nicht länger für und die Übermittlung an die berechtigten
einen anderen öffentlichen Zweck und Stellen abwickelt. Dass ein solches zent-
Empfänger vorzuhalten, wenn die entspre- rales Referenzierungssystem praktikabel
chenden Informationen innerhalb des ist, zeigt im Übrigen seit Jahren erfolgreich
Leistungsnetzwerkes verfügbar sind. das im deutschen Sprachraum kaum be-
Eine gemeinsame Datenbasis verhindert kannte belgische Beispiel der «Cross-
darüber hinaus Inkonsistenzen in den ver- roads Bank for Social Security» (CBSS).5
arbeiteten Informationen, die aufwendige Sobald Informationen bei einer öffentli-
Nachbearbeitungen und Nachforschun- chen Stelle eingegangen sind, wird au­
gen verursachen. Sind Daten in einem tomatisch eine Benachrichtigung an die
Netzwerk nur einmal, an einer Stelle ge- Referenzierungsdatenbank des DPN ver-

«eGov Präsenz» 1/10


46 Forschung / Analyse

mantische Interoperabilität (z.B. mithilfe


von Ontologien), wobei die Autonomie der
beteiligten Organisationen auf der Ebene
von Begriffsdefinitionen und der Zusam-
mensetzung der granularen Komponenten
weitgehend gewahrt bleibt. Durch das auf
Basis von XML-Strukturen standardisierte
Datenformat auf der Ebene der Datensät-
ze bedarf es keiner zentralen Autorität, die
diese Zusammensetzung definiert. Aus
Daten mit ausreichender Granularität
­können die Datensätze für die einzelnen
Verwendungen generiert werden. Ände-
rungen bei der Zusammensetzung von
Daten, beispielsweise zu unterschiedli-
chen Einkommensbegriffen, die im Laufe
der Zeit beschlossen werden, könnten
ohne weitreichende Änderungsnotwen-
digkeiten vorgenommen werden. Über
das DPN werden demzufolge die granula-
ren Datensätze übermittelt.

Abbildung 1: Grundmodell des Datenpointernetzwerks Vom One-Stop zum No-Stop


Government
sandt.6 Auf Basis dieser Benachrichtigun- Dadurch ist nicht nur die interne Prüfung Das DPN bietet überdies die Option zur
gen baut sich das Verzeichnis auf und ak- des Datenzugriffs möglich, sondern die Realisierung von No-Stop-Government-
tualisiert sich. Benötigt eine an das DPN betroffenen Bürgerinnen und Bürger ha- Lösungen,8 hin zu einer weniger auf­
angeschlossene Organisation einen oder ben über ein Frontend die Möglichkeit, die dringlichen beziehungsweise «unspürba-
mehrere Datensätze, die sie selbst nicht über sie gespeicherten Daten und Infor- ren» Verwaltung.9 Insbesondere für den
gespeichert hat, können diese automati- mationen darüber, wer diese verwendet gesamten Bereich der statistischen Aus-
siert über das Netzwerk von der jeweiligen hat, einzusehen. Sie können Änderungs- wertungen ist – eine erfolgreiche Standar-
originären Speicherstelle unmittelbar in die hinweise auf fehlerhafte Daten geben und disierungsarbeit im Bereich der Daten­
Fachanwendungen der abfragenden Stelle so selbst zu einer grösseren Qualität der sätze vorausgesetzt – die vereinfachte
eingelesen werden. Das im DPN hinterleg- gespeicherten Daten beitragen («Daten- Generierung als eine Art «Kuppelprodukt»
te Berechtigungssystem verhindert den schutz 2.0»). zu erwarten. Wo immer dies möglich ist,
unerlaubten Zugriff auf die Daten und die Diese Auskunftsrechte schaffen eine müssten Statistikdaten dann nicht geson-
Zusammenführung anhand eines einheitli- bislang ungekannte Transparenz, die der dert erhoben werden, vielmehr könnten
chen Ordnungskriteriums. So kann eine informationellen Selbstbestimmung einen diese aus bereits referenzierten und ver-
redundante Datenspeicherung mitsamt hohen Stellenwert einräumt. Die jüngst ge- teilt gespeicherten Daten gewonnen wer-
den dadurch verursachten Kosten vermie- äusserte Vision eines Datenschützers für den.10
den und durch die originäre Speicherstelle das Jahr 2039 könnte mit dem DPN schon Darüber hinaus wäre neben der Bereit-
die Konsistenz der Daten sichergestellt in absehbarer Zeit Realität werden.7 Das in stellung vorausgefüllter Formulare im per-
werden. ein Portal integrierte Frontend ist das vir­ sönlichen Bereich des Frontends für
tuelle Front Office für alle Bürgerinnen und ­Bürgerinnen und Bürger ein proaktives
Transparenz und moderner Bürger und könnte neben den Auskunfts- Angebot zur Gewährung von Leistungen
Datenschutz rechten zu einem Kommunikationskanal möglich, für die sie die Voraussetzungen
Darüber hinaus schafft der Aufbau der für den durch die elektronische Signatur erfüllen. Gleiches gilt zum Beispiel auch
zentralen Referenzierung systematisch gesicherten Austausch mit der Verwaltung für Arbeitgeber. Das Angebot einer proak-
Transparenz darüber, welche Daten von (Antragsverfahren, Tracking der Bearbei- tiven Leistungsgewährung ohne explizite
den verschiedenen Stellen zu einem be- tung usw.) ausgebaut werden. Die Bürge- Antragstellung kann eine Effektivierung
stimmten Zeitpunkt gespeichert werden. rinnen und Bürger könnten über diesen politischer Programme unterstützen.11
Auf dieser Basis können die Übermitt- Kanal perspektivisch die Kommunikation
lungserfordernisse aufgabenkritisch über- mit der Verwaltung umfassend abwickeln, Von Ketten zu Netzen
prüft und – im Rahmen geltender Geset- indem beispielsweise aktuelle E-Govern- Mit dem DPN kann ein stufenweise erwei-
ze  – an den aktuellen Bedarf angepasst ment-Vorhaben in Deutschland wie der terungsfähiges Netzwerk von öffentlichen
werden. elektronische Personalausweis (ePA) und Institutionen auf der Basis einer zentralen
Die jeweilige originäre Speicherstelle De-Mail eingebunden werden. Datenreferenzierung, einer dezentralen
verantwortet die Qualität der bei ihr ge- Datenspeicherung und einer klar geregel-
speicherten Daten. Im Falle nachträglicher Standardisierung und ten gemeinsamen Datennutzung (Informa-
Korrekturen der Daten werden andere Or- Granularität tion Sharing) geschaffen werden. Mit dem
ganisationen, die diese Daten zwischen- Die zentrale Stelle, die die Referenzie- DPN entstünde erstmals eine mit gewis-
zeitlich abgerufen haben, per Push-Funk- rungsdatenbank betreibt, wirkt im DPN sen Regulierungsbefugnissen ausgestat-
tion über das DPN informiert. Der darauf hin, dass die notwendige Verein- tete Institution, die geeignet ist, die üb­
Austausch der Daten – nicht die Daten heitlichung von Standards für den Daten- liche, gegenüber der Wirtschaft nur auf
selbst – wird dafür im DPN protokolliert. austausch erfolgt. Dies beinhaltet die se- den eigenen Zuständigkeitsbereich fixierte

«eGov Präsenz» 1/10


Forschung / Analyse 47

«Schiessschartensicht» der öffentlichen waltungsorganisation und Fragen des Ver-   1 Vgl. Brüggemeier, M., et al.: Organisatorische
Stellen institutionen- und verwaltungsebe- waltungsverfahrens berührt, bedarf sie Gestaltungspotenziale durch Electronic Government.
Auf dem Weg zur vernetzten Verwaltung. Berlin, 2006.
nenübergreifend zu überwinden und hier ­intensiver rechtlicher Begleitforschung. S. 75 ff. und S. 213 ff.; Schuppan, T.: Leistungstiefen-
zu einer Optimierung des Gesamtssys­ Zu­nächst wären die grundsätzlichen Aus- gestaltung im Zeitalter von E-Government. In: «eGov
tems von Prozessketten zur Erhebung und wirkungen des DPN auf das verfassungs- Präsenz», 2 (2008). S. 52–55.
  2 Vgl. allgemein Sydow, J.: Management von Netzwerk­
Nutzung von einschlägigen Daten zu ge- rechtliche Schutzniveau, insbesondere organisationen. Zum Stand der Forschung. In: Sydow,
langen. Zugleich könnte dieses Netzwerk die informationelle Selbstbestimmung im J. (Hg.): Management von Netzwerkorganisationen.
Beiträge aus der Managementforschung. 4. Aufl.
zu einer umfassenden Backoffice-Integra- Lich­te eines «modernisierten» Daten- Wiesbaden, 2006. S. 391 f.
tion und mittelfristig zu neuen Formen der schutzes,14 zu untersuchen. Auf dieser   3 Vgl. auch Engel, A.: IT-gestützte Vorgangsbearbeitung in
der öffentlichen Verwaltung. Bausteine zur Prozessge-
Arbeitsteilung auf der Basis organisations- Grundlage sind die rechtliche Zulässigkeit staltung im E-Government. Berlin, 2008. S. 170 f.
übergreifender Workflowprozesse beitra- der einzelnen vorgesehenen Übermittlun-   4 Ein komplementärer Lösungsvorschlag von Los 3, der
gen.12 gen, aber auch der proaktiven Leis­tungs­ «FRESKO-Prozessor», zielt darauf ab, dass Unterneh-
men mit einem regelbasierten Informationssystem ihren
angebote sowie die Zulässigkeit gege­ rechtlich vorgeschriebenen Meldungen an öffentliche
Forschungsbedarf benenfalls erforderlicher geänderter Stellen effizient nachkommen können, vgl. Autorenteam
Los 3: Entwicklung von Prozessketten zwischen
Neben dem Forschungsbedarf im Bereich Rechtsgrundlagen zu prüfen. Daneben Wirtschaft und Verwaltung – Los 3: Informations- und
Technik und IT-Sicherheit sind insbeson- sind rechtliche Vorgaben für die sachli- Meldepflichten für Arbeitgeber, Machbarkeitsstudie.
Kaiserslautern u.a., 2009.
dere aus konzeptioneller, organisatori- chen und zeitlichen Anforderungen zur Vgl. http://www.f3.htw-berlin.de/Professoren/
scher und rechtlicher Perspektive noch Langzeitarchivierung zu betrachten und Brueggemeier/pdf/IMPA_PK_Machbarkeitsstudie
zahlreiche Fragen offen. Bedingt durch die Frage zu klären, welche Auswirkungen Los3Final090330.pdf.
  5 Vgl. Brüggemeier, M., et al. (2006) a.a.O. S. 211 f.;
den Entstehungskontext des Konzeptes, sich aus der granularen Speicherung hier- CBSS: eGovernment Program of the Belgian Social
fokussiert das DPN bislang ausschliess- für ableiten lassen. Security, 2007. Vgl. http://www.ksz-bcss.fgov.be/
documentationEN/UNO-CBSS-v2007.pdf.
lich auf die Informationspflichten von Un- Aus technischer Sicht müssen nutzbare   6 In Verbindung mit dem komplementären Lösungsvor-
ternehmen. Es ist daher zu klären, wie E-Government-Infrastrukturen und ‑Diens- schlag des Forschungskonsortiums von Los 3 (s. Fn. 4)
ist vorgesehen, dass der Versand der Referenzierungs-
Bürgerinnen und Bürger, aber auch die te analysiert und identifiziert werden. Da- meldung an das DPN durch den FRESKO-Prozessor
angeschlossenen Verwaltungen in ihrer bei sind gewachsene fachliche Infrastruk- des jeweiligen Unternehmens geschieht (s. Abb. 1). Im
Rolle als originäre Informationslieferanten turen ebenso von Bedeutung wie die Rahmen einer isolierten Realisierung des DPN kann
diese Funktion auch von der Verwaltung übernommen
ebenfalls in das DPN einbezogen werden Sicherstellung der Interoperabilität unter werden, die die Daten dauerhaft speichert.
können. Verwendung von SOA-Prinzipien und die   7 «Meine Vision ist es, dass in 30 Jahren jeder
elektronisch ohne Mühe nicht nur feststellen kann, wer
Notwendig ist auch eine Detaillierung Berücksichtigung von SAGA15 sowie die was wann und bei welcher Gelegenheit über ihn weiss;
des Gegenstandes der Referenzierung im Schaffung von XÖV-Datenstandards.16 Im […] Darüber hinaus sollte jeder aber auch die
Verwendung seiner Daten kontrollieren und in
Sinne einer Analyse des Inhalts, des Um- Hinblick auf die IT-Sicherheit muss auf- bestimmten Fällen unterbinden können.» Interview mit
fangs und der Granularität der im DPN zu grund der Referenzierung unter anderem dem Beauftragten für Datenschutz und Informations­
referenzierenden und auszutauschenden von persönlichen Daten geklärt werden, freiheit des Landes Berlin, Alexander Dix, im Berliner
Tagesspiegel vom 26. Oktober 2009.
Daten. Die Frage der Granularität ist eng wie die Wahrung der Vertraulichkeit und   8 Vgl. Lenk, K.: Ziel: No-Stop-Verwaltung. In: move –
verknüpft mit der Redundanzthese: Je fei- der Integrität sowie die Verfügbarkeit gesi- Moderne Verwaltung, 4. Jg., 2 (2006). S. 12.
  9 Vgl. Klages, H.: Wie lässt sich Bürokratie «unspürbar»
ner granuliert die Daten referenziert wer- chert werden kann. machen?, in: Verwaltung & Management, 12. Jg., 1
den, desto grösser ist die zu vermutende (2006). S. 7–13.
10 Vgl. Lenk, K.: Abbau von Verwaltungslasten jenseits des
Redundanz der in mehreren Organisatio- Zukunftsfähige E-Government- Standardkostenmodells: besser organisierter und
nen bearbeiteten und gespeicherten Da- Infrastruktur vernetzter Verwaltungsvollzug. In: Biwald, P./Dearing,
ten und damit das Potenzial der Back­ Es spricht vieles dafür, den Aufbau des E./Weninger, T. (Hg.): Innovation im öffentlichen Sektor.
Festschrift für Helfried Bauer. Wien/Graz, 2008.
office-Integration. DPN als Investition in eine zukunftsfähige S. 345 f.
Das DPN ist als ein komplexes Netz- E-Government-Infrastruktur zu begreifen. 11 Beispiel: Arbeitgebern, die ihren Meldepflichten im
Kontext der beruflichen Wiedereingliederung von
werk verschiedener Akteure aus dem öf- Mit ihr würden wichtige Voraussetzungen Langzeitarbeitslosen oder Behinderten nachkommen,
fentlichen Sektor angelegt, die im Bereich für eine umfassende Backoffice-Integra­ wird bei vorliegender Anspruchsberechtigung die
Gewährung eines Zuschusses angeboten.
der Backoffice-Integration kooperativ zu- tion unter Einschluss einer weitgehend
12 Vgl. Brüggemeier, M.: Neue Perspektiven und
sammenarbeiten. Es ist daher zu analysie- ­redundanzfreien, «kooperativen Langzeit­ Forschungsbedarf für einen aufgeklärten Gewähr­
ren, welche Governance-Strukturen der archivierung» und eines interor­ganisatio­ leistungsstaat auf der Basis von E-Government. In:
Verwaltung & Management, 13. Jg., 2 (2007). S. 79–85.
Effizienz und Effektivität des DPN förder- nalen Dokumentenmanagements geschaf- 13 Vgl. Schuppan, T.: Kooperationsanforderungen für
lich und zugleich auch für die (potenziell) fen. Zur Erschliessung der skizzierten E-Government: Ist die Verwaltung ausreichend
netzwerkfähig? In: «eGov Präsenz», 2 (2009). S. 34–37.
beteiligten institutionellen Akteure akzep- Mo­dernisierungspotenziale ist jedoch eine 14 Vgl. hierzu Eifert, M.: Electronic Government. Das Recht
tabel sind. Neben den Fragen, welche Förderung weiterer interdisziplinärer ­For­­- der elektronischen Verwaltung. Baden-Baden, 2006.
S. 297 ff. und S. 454 ff. m.w.N.
­Institutionen wie an das DPN angeschlos- schungs- und Entwicklungsarbeit erfor­
15 «SAGA» steht als Akronym für die in Deutschland vom
sen werden könnten beziehungsweise derlich. So könnte das DPN in Europa Bund forcierten «Standards und Architekturen für
müssten, wären geeignete Formen der künftig Teil von weitsichtigen nationalen E-Government-Anwendungen». Vgl. http://www.cio.
bund.de/DE/Standards/SAGA/saga_node.html.
Trägerschaft zu untersuchen. Klärungsbe- ­E-Government-Strategien werden, die 16 «XÖV» bezeichnet in Deutschland die Standards für den
dürftig ist darüber hinaus, wer originäre auf einen umfassenden Bürokratieabbau Datenaustausch öffentlicher Verwaltungen auf der
Grundlage von XML (z.B. XSozial, XJustiz). Vgl. z.B.
Speicherstelle für welche Daten sein soll durch einen besser organisierten und ver- http://www1.osci.de/sixcms/detail.
und wie – unter den Bedingungen einer netzten Verwaltungsvollzug17 abzielen, von php?gsid=bremen02.c.1161.de.
17 Vgl. auch Lenk, K.. (2008) a.a.O. sowie Lenk, K.:
in vielerlei Hinsicht nach wie vor sehr dem alle etwas haben.�
Bürokratieabbau durch E-Government. Gutachten im
­begrenzten Netzwerkfähigkeit öffentlicher Rahmen der wissenschaftlichen Begleitforschung des
Verwaltungen13 – ein Erfolg versprechen- Informationsbüros d-NRW. Düsseldorf, 2007. Vgl. http://
www.egovernmentplattform.de/uploads/media/Lenk_
des Change Management aussehen Buerokratieabbau.pdf.
könnte.
Da die Einrichtung des DPN nicht nur
den Datenschutz, sondern auch die Ver-

«eGov Präsenz» 1/10


48 Forschung / Analyse

Rechtskonforme Aufbewahrung und


Archivierung aus Sicht des Wirtschaftsprüfers
Christoph Protz

Obwohl schon seit geraumer Zeit im tentypen erzeugt werden und ob bezie- Datensammlungen umgehen, die aus Sys-
Obligationenrecht, in der Geschäfts­ hungsweise nach welchen Gesetzen oder temwechseln innerhalb des eigenen Un-
bücherverordnung und im Mehrwert­ internen Anforderungen diese aufzube- ternehmens oder aus Fusionen und Über-
steuerrecht die Voraussetzungen für die wahren oder gar zu archivieren sind. Ein nahmen entstanden sind? Ist das
Aufbewahrung von geschäftsrelevanten solcher Archivplan soll zusätzlich auch langjährig gepflegte Papierarchiv noch
Dokumenten und Daten geschaffen Auskunft darüber geben, wie lange und zeitgemäss, um den heutigen Anforderun-
worden sind, bleibt deren Aufbewahrung auf welchem Medium ein Dokument auf- gen und neueren Dokumententypen wie
oder gar die Archivierung ein Thema, das bewahrt werden soll und wer dafür die E-Mails gerecht zu werden?
in vielen Schweizer Unternehmen noch Verantwortung trägt. Wo ein solcher Plan
stiefmütterlich behandelt wird. noch nicht erstellt oder noch nicht auf den Aufbewahren oder archivieren?
neuesten Stand gebracht worden ist, hat Der Volksmund macht in der Regel keine
Christoph Protz es sich in der Praxis bewährt, zusammen Unterscheidung zwischen den Begriffen
Senior Manager
KPMG AG in Zürich
mit dem Hausjuristen die Dokumente der Aufbewahrung oder Archivierung. Die Dif-
cprotz@kpmg.com einzelnen Abteilungen zu analysieren und ferenzierung erfolgt meist erst dann, wenn
deren konkrete Aufbewahrungsanforde- ein Unternehmen sich mit der Frage ausei-
rungen festzulegen. Vielfach bietet es sich nandersetzt, nach welchen Gesetzen oder
an, dies zunächst in einem Pilotprojekt am Standards ein Dokument aufbewahrt wer-
Beispiel einer Abteilung oder eines The- den muss. In der Schweiz finden sich die
mas zu machen, um so im überschauba- wichtigsten Grundlagen dazu im Obligati-
ren Rahmen Erkenntnisse zu sammeln, onenrecht, in der Geschäftsbücherverord-
auf die man dann in späteren Phasen auf- nung und in den Regelungen rund um die
Mit der Inkraftsetzung der damals neuen bauen kann. Die Erfahrung hat gezeigt, Mehrwertsteuer.
Geschäftsbücherverordnung (GeBüV) im dass in einem mittleren bis grösseren Sofern bei einer Dienstleistung nicht
April 2002 wurde in der Schweiz die Vor- KMU, oder in öffentlich-rechtlichen Institu- langfristige Kundenbeziehungen oder spe-
aussetzung dafür geschaffen, dem Papier­ tionen vergleichbarer Grösse, etwa 250 zielle Anforderungen, die sich aus der Art
archiv den Rücken zu kehren und die Effi- bis 300 verschiedene Dokumententypen der verkauften Produkte ergaben – zum
zienz bisheriger Archive in attraktiver zusammenkommen. Beispiel langfristige Garantieforderungen
Weise zu steigern. Zum ersten Mal werden oder die Verpflichtung, Pläne von Anlagen
elektronische Medien in diesem Zusam- Aufbewahrung nur für den bereitzuhalten –, im Vordergrund standen,
menhang ausdrücklich erwähnt, und der Wirtschafts- oder Steuerprüfer? bewegten sich die durch uns geprüften
Originalbegriff wird – zeitgemäss – dahin- Die Frage, ob und gegebenenfalls mit wel- Unternehmen in den regulären Aufbewah-
gehend ausgeweitet, dass unter Berück- chem Aufwand etwas aufbewahrt werden rungsfristen des Obligationenrechts.
sichtigung der Anforderungen der GeBüV muss oder soll, hängt in erster Linie mit Aber welche Dokumententypen müs-
nicht mehr nur auf die klassischen Medien der Beurteilung der zu erwartenden Kon- sen überhaupt aufbewahrt werden? Der
abgestützt wird. Dadurch ergeben sich für sequenzen zusammen, die dem Unter- Gesetzgeber nennt hier die Geschäftsbü-
den Bau und die Nutzung von Archiven nehmen erwachsen, wenn es – bewusst cher, dazugehörige Buchungsbelege und
zahlreiche neue Möglichkeiten. oder fahrlässig – darauf verzichtet, ein Do- Korrespondenz. Somit muss bei allen Do-
kument aufzubewahren. kumenten, die einen Einfluss auf das Ge-
Archivierung ist Chefsache Neben der grundlegenden Anforderung, schäftsergebnis haben können, unter-
Nach mehr als sieben Jahren Prüfpraxis die an das Führen eines Archivs gemäss sucht werden, ob diese aufzubewahren
unter der neuen GeBüV gilt es noch im- den geltenden gesetzlichen Bestimmun- sind. Ist beispielsweise der Inhalt einer
mer, mit dem Vorurteil vieler Unternehmen gen gestellt wird, gibt es verschiedene ­E-Mail buchungsrelevant, muss auch die-
aufzuräumen, elektronische Archivierung weitere Faktoren, die Anlass geben kön- se aufbewahrt werden. Nicht vergessen
sei ein alleiniges Problem der IT-Abteilung, nen, dass die eigene Archivierungsstrate- werden darf, dass es noch einige wenige
da diese ja unter anderem die nötigen gie überdacht werden muss: Im Rechtsfall Dokumententypen gibt, die im Original
Werkzeuge dafür zur Verfügung stellt. Die kann der Mangel an Beweisen zum Pro- vorgehalten werden müssen: Die Bilanz
Pflicht zur Führung und zur Aufbewahrung zessverlust führen oder dazu, dass eine und die Erfolgsrechnung oder Dokumen-
der Bücher obliegt letztendlich der Ge- ungerechtfertigte Forderung nicht ab- tentypen, bei denen der rechtliche Wert in
schäftsleitung. Eine funktionierende IT-Inf- wendbar ist. Ist man nicht in der Lage, den der Präsentation des physischen Papiers
rastruktur ist nur ein Teil im Gesamtkon- Steuerkommissären der Mehrwertsteuer liegt. Je nach Branche kann es noch zu-
zept der Datenaufbewahrung, das ohne die gewünschten Belege vorzulegen, dro- sätzliche Regelungen geben, die es zu be-
dazugehörige Prozesse auf der Geschäfts- hen unter Umständen der Verlust des Vor- achten gilt. Genannt seien hier etwa die
seite nicht funktionieren kann. Dazu ge- steuerabzuges und eine Einschätzung verhältnismässig neuen Anforderungen
hört auch, dass das Unternehmen eine nach deren Ermessen. Wie soll man bei- der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht
Übersicht darüber hat, welche Dokumen- spielsweise mit archivierungswürdigen (FINMA) aus dem Rundschreiben zu den

«eGov Präsenz» 1/10


Forschung / Analyse 49

Marktverhaltensregeln (RS 2008/38), ge- zessen abdecken muss. Dabei darf, wie rungen auf der technischen Seite noch mit
mäss dem externe und interne Telefonge- eingangs erwähnt, nicht vergessen wer- überschaubarem Aufwand umzusetzen.
spräche und E-Mails der im Effektenhan- den, dass Archivierung kein rein techni- Setzt man einen veränderbaren Datenträ-
del tätigen Mitarbeitenden aufzuzeichnen sches Problem ist, das man ausschliess- ger ein, wird verlangt, dass den zu archi-
und für mindestens ein halbes Jahr aufzu- lich mittels Einbezugs der IT-Abteilung vierenden Daten einfache Signaturen
bewahren sind. lösen kann. Technik und Geschäftspro- (Nachweis der Integrität) und Zeitstempel
zesse halten sich in etwa die Waage, und (Nachweis des Zeitpunktes der Speiche-
Aufbewahrung versus gerade Letztere müssen entsprechend rung) zugefügt werden. Die Anforderungen
Archivierung mitberücksichtigt werden. In Projekten, an die Signatur können hier in der Regel
Nach Schweizer Recht sind die meisten bei denen dies nicht ausreichend beachtet noch mit Kontrollsummen (Hash-Werte)
Dokumententypen zehn Jahre aufzube- und nicht alle relevanten Parteien mit ihren erfüllt werden. Beim Zeitstempel wird sich
wahren. Da diese Frist mit dem Ablauf des Anforderungen berücksichtigt wurden, der Revisor aber nicht mit der einfach zu
Geschäftsjahres beginnt, heisst das in der kam es des Öfteren zu unliebsamen Über- verändernden Systemzeit des Servers zu-
Praxis, dass Dokumente bis zu elf Jahre raschungen. friedengeben, sondern einen entspre-
aufbewahrt werden müssen. Daneben gibt chend kontrollierten und geschützten
es aber auch Dokumententypen, bei de- Umsetzung auf der Prozess- und Dienst oder kompensierende Kontrollen
nen der Gesetzgeber eine längere Aufbe- der technischen Ebene erwarten.
wahrungsdauer verlangt, beispielsweise Obwohl die Umsetzung der Anforderun-
20 Jahre bei Geschäftsunterlagen zu gen GeBüV im ersten Augenblick trivial Zusatzanforderungen für
Grundstücken. Pech hat auch, wer kurz anmutet, birgt sie doch einige Stolper­ elektronische Rechnungsstellung
vor Ende der Verjährungsfrist eine Mehr- steine. Das fängt mit Dokumentation­s­ Sobald man sich beispielsweise durch
wertsteuerprüfung durchführen lassen erfordernissen bei den Prozessen und den Einsatz eines Prozesses zur elektro­
muss; durch die hier geltenden Verjäh- Sys­temen an. Diese müssen derart doku- nischen Rechnungsstellung in den Be­
rungsregeln müssen Dokumente bis mentiert sein, dass später durch einen reichen der Verordnung des EFD über
15  Jahre aufbewahrt werden. Wer wie sachverständigen Dritten nachvollzogen elektronisch übermittelte Daten und In­
Banken oder Versicherungen langjährige werden kann, wie sie an einem bestimm- formationen (ElDI-V) bewegt, steigen die
Kundenbeziehungen hat, wird in der Pra- ten Stichtag funktioniert haben. Dazu Anforderungen an die Technik merklich.
xis gewisse Dokumententypen während kommt, dass diese Dokumente ebenso Um mit elektronisch aufbewahrten Bele-
der gesamten Dauer der Beziehung auf- lange aufbewahrt werden müssen wie die gen Beweiskraft zu erlangen, muss man
bewahren und sie erst nach Ablauf der restlichen Dokumente im Archiv. Der Sinn Signaturen eines in der Schweiz an­
Frist in den Zyklus der eigentlichen Aufbe- vieler in der GeBüV geforderter Kontrollen erkannten Zertifizierungsdienstanbieters
wahrung oder Archivierung geben. Die eröffnet sich einem erst auf den zweiten verwenden. Dazu kommt der Aufbau von
Praxis hat gezeigt, dass man sich erst Blick: Wer belegen muss, dass die archi- weiteren technischen Prozessen, die es
dann, wenn alle vorgenannten Anforde- vierten Dokumente nicht verändert wur- erlauben, die digitalen Signaturen zu prü-
rungen ausreichend unter Kontrolle sind, den, kann dies mit Verweis auf die ver- fen oder die Schlüssel und Zertifikate ad-
an die technische Umsetzung der elektro- schiedenen einzelnen Kontrollen, die sich äquat aufzubewahren. Wem dies zu viel
nischen Archivierung wagen kann. zu einem Gesamtbild zusammenfügen las- ist, der kann auf die Dienste von Anbietern
sen, tun. elektronischer Marktplätze zurückgreifen,
Drum prüfe, wer sich ewig die als Drehscheibe zumindest einen Teil
bindet Die Wahl der eingesetzten dieser Arbeit übernehmen.
Rund um das Thema Archivierung ist das Technik
steigende Bedürfnis nach diesbezüglichen Der schweizerische Gesetzgeber unter- Fazit
Lösungen auch den Herstellern und Ver- scheidet in der GeBüV grundsätzlich zwei Nicht erst die Prüfung durch den Revisor
käufern von Hard- und Software nicht Arten von zur Verfügung stehenden sollte ein Unternehmen dazu bringen, sich
­entgangen, und es werden grosszügige Archiv­datenträgern: veränderbare und un- zu fragen, ob die Aufbewahrung oder Ar-
Versprechen in Bezug auf die Revisions- veränderbare. Zu Letzteren gehören nach chivierung von Dokumenten den gesetzli-
tauglichkeit gemacht, die in den seltens- Auffassung des Gesetzgebers Papier, chen Anforderungen und dem Stand der
ten Fällen durch eine herstellerunabhän­ Bildträger oder CD/DVD. In der Praxis sind Technik entspricht. Ohne eine gründliche
gige externe Beurteilung untermauert aber die Speichergrenzen solcher Medien Evaluation der Anforderungen und den
werden können. Die Praxis hat gezeigt, schnell erreicht, und man muss auf Tech- Einbezug aller relevanten Parteien wird
dass es sich lohnt, sich diese Angaben niken ausweichen, die auf veränderbaren man die Frage, ob alles regelkonform auf-
transparent belegen zu lassen, schliess- Datenträgern wie Speicherbändern oder bewahrt oder archiviert wird, nicht beant-
lich liegt die Verantwortung für das Archiv Festplatten basieren. Dabei sind aus prü- worten können. Bei der Auswahl der Tech-
beim eigenen Unternehmen und nicht ferischer Sicht auch WORM-Typen (write nik und des zugehörigen Lieferanten sollte
beim Hersteller. Grundsätzlich ist dabei zu once read many) solcher Datenträger un- man sich nicht auf aufgebauschte Werbe-
überlegen, welche der eingangs erwähn- ter dem Gesichtspunkt der zusätzlich nöti- versprechen bezüglich der Einhaltung all-
ten Regulatorien für einen selbst relevant gen technischen Kontrollen anzuschauen, fälliger ausländischer Reglementa­rien ver-
sind, und darauf zu achten, wie ein Her- die ihnen erst zur WORM-Eigenschaft ver- lassen, sondern Übereinstimmung mit den
steller verspricht, die entsprechenden helfen. Konkret ist zu untersuchen, ob ein für das eigene Unternehmen re­levanten
Punkte zu erfüllen. Erfahrungsgemäss ausreichendes Testat vorliegt, das die landesspezifischen Gesetzen s­uchen. Die
lohnt sich der Aufwand, detailliert zu un- technischen Eigenschaften bestätigt. Ist Verantwortlichkeit für eine ­gesetzeskon-
tersuchen, welche Anforderungen auf wel- dies nicht der Fall, sind unter Umständen forme Archivierung, sei sie elektronisch
che Art erfüllt werden und wo Lücken blei- eigene technische Prüfungen vorzusehen. oder im herkömmlichen Sinne, trägt die
ben, die man beispielsweise durch eigene Solange man im Geltungsbereich der Ge- Geschäftsleitung des Unternehmens selbst
Anpassungen in Applikationen und Pro- BüV bleibt, sind die zusätzlichen Anforde- und nicht ein externer Lösungsanbieter.

«eGov Präsenz» 1/10


50 Forschung / Analyse

Dokumentenmanagement funktioniert nicht


ohne Output-Management
Daniel Liebhart

ECM (Enterprise Content Management), Web-Content-Management- Dokumentenmanagement-


DMS (Document Management Systems) Systeme Systeme
und CMS (Content Management Sys­ Ein CMS oder WCMS ist auf die Erstellung DMS sind im Gegensatz zu CMS auf die
tems) sind eigentlich alle für die Bereit- und die Publikation von Inhalten ausgelegt. Verwaltung und Verteilung von Dokumen-
stellung und die Pflege der Unterneh- Der Grossteil dieser Systeme folgt einem ten ausgerichtet. Gesamtsysteme für die
mensressource Information zuständig. Workflow, der von der Erzeugung von In- Verwaltung unstrukturierter Dokumente
Insbesondere werden sie für die Verwal- halten über die Prüfung, die Bereitstellung, werden auch als ECM bezeichnet. Ein
tung von unstrukturierten Daten, wie sie die Integration und schliesslich die Publika- ECM-System geht davon aus, dass alle
beispielsweise in Word-Dokumenten, tion bis hin zum abschliessenden Online- Informationen auf einer einheitlichen Platt-
Excel-Tabellen und manchmal auch stellen geht. Kernstück dieser Anwendun- form zur Nutzung intern und extern bereit-
E-Mails vorkommen, eingesetzt. Sie alle gen sind das Web Information System zustellen sind. Ziel dieser Plattform ist es,
können unter dem Begriff DAM (Digital Management und die Webserver-Infra- die Redundanz der Dokumente zu vermei-
Asset Management) zusammengefasst struktur. Das Web-Information-System ist den, geschäftskritische Dokumente sicher
werden. DAM wird erst dann sinnvoll für die Verwaltung und die Organisation al- aufzubewahren und den Zugriff auf die
nutzbar, wenn es mit Output-Manage- ler Informationen und Zugriffsrechte zu- Dokumente sicher zu gestalten. Durch
ment kombiniert wird. Nur dann können ständig und verfügt über Mechanismen zur eine Versionierung sollen ausserdem die
die Vorteile einer gezielten und kontrollier- Datenkonversion, zur Versionskontrolle Aktualität und die Relevanz der Dokumen-
baren Kommunikation genutzt werden. und zum Workflowsupport. Der Aufbau te für das Unternehmen sichergestellt wer-
dieses Kernsystems ist abhängig von der den. Jedes ECM-System führt eine grosse
Daniel Liebhart Komplexität und der Art der Informationen, Anzahl Metadaten, um all diesen Anforde-
Dozent für Informatik, Hochschule für
Technik Zürich und Solution Manager,
die veröffentlicht werden sollen. Die Web- rungen gerecht zu werden. Die Produktion
Trivadis AG server-Infrastruktur hängt hingegen von von Dokumenten spielt dabei eine unter-
daniel.liebhart@trivadis.ch der Anzahl und der Art der Zugriffe auf die geordnete Rolle. Das Format der Doku-
Information selbst ab. Von einfachen Web- mente wird nicht verändert.
servern bis hin zu hochredundanten verteil-
ten Serverfarmen mit speziellen Sicher-
heitsmechanismen sind eine Vielzahl von
Realisierungen im Einsatz.

Digital-Asset-Management
Die in einer Verwaltung verwendeten Infor-
mationen werden zusehends als eigener
Wert angesehen und durch entsprechen-
de Informationssysteme gepflegt. Diese
Informationen liegen entweder in struktu-
rierter oder in unstrukturierter Form vor.
Während die strukturierten Informationen
in relationalen Datenbanken gespeichert
gehalten werden, verwalten DAM-Syste-
me die unstrukturierten Informationen ei-
ner Verwaltung oder eines Unternehmens,
Texte, Bilder und Filme also, die unter dem
Begriff Digital Content zusammengefasst
werden. Es existieren zwei Typen von
DAM-Systemen: einerseits die CMS (Con-
tent Management Systems) – oder auch:
auf die Erstellung von Webinhalten ausge-
richtete WCMS (Web Content Manage-
ment Systems) – und andererseits die auf
die Verwaltung des Inhalts ausgerichteten
DMS (Document Management Systems)
oder ECM (Enterprise Content Manage-
ment). Die Grenzen zwischen beiden Sys-
temarten sind fliessend. Abbildung 1: Output-Management-System als zentrales Kommunikationsinstrument

«eGov Präsenz» 1/10


Forschung / Analyse 51

Kommunikation durch Output-


Management
CMS/WCMS und DMS verwalten unstruk-
turierte Daten, also circa 80% der Informa-
tionen, da gemäss einer Studie der Uni-
versity of California nur circa 20% aller
Daten in strukturierter Form vorliegen. Die-
se Informationen sind ein zentrales Instru-
ment für die Kommunikation zwischen der
öffentlichen Verwaltung und den Bürgerin-
nen und Bürgern dieses Landes. Und die-
se Kommunikation sollte zentral gesteuert
und geregelt werden. Und sie sollte weit-
gehend automatisiert erfolgen können.
Dafür sind weder CMS noch DMS/WCMS
ausgelegt. Während beispielsweise ein
WCMS nur die Publikation von Inhalten auf
dem Web erlauben, sind DMS überhaupt
nicht für die Kommunikation nach aussen
konzipiert. Auch die anderen Informations- Abbildung 2: Architektur eines Output-Management-Systems
Die einzelnen Komponenten des Output-Management-Systems sind das Resource-Management, die Administration, das
systeme der öffentlichen Hand sind nicht End-to-End-Tracking, das Preprocessing, das Rendering, das Postprocessing und die Backend-Systeme
auf die Kommunikation mit den Bürgerin-
nen und Bürgern zugeschnitten. Und
schon gar nicht für eine Kommunikation
mit verschiedenen Adressaten und über Zielformat aufbereitet. Es folgt die Vertei- ein E-Mail-System gesendet, damit sie an-
verschiedene Kanäle. Die Lösung liegt in lung an die verschiedenen Kommunika­ schliessend als einzelne personalisierte
der Auslagerung der Funktionalität in ein tionskanäle (Massendruck, Dokumenten- Dokumente verteilt werden können. Ein
getrenntes OMS (Output Management archiv, E-Mail/Fax und andere). Das ­typisches OMS verfügt zusätzlich über
System), das für die Kommunikation der Dokument wird für den Massenversand Tracking-Mechanismen zur Überwachung
öffentlichen Verwaltung zuständig ist (sie- aufbereitet. Dokumente werden gebün- des gesamten Systems, über eine Admi-
he Abbildung 1). delt, eine OMR-Codierung zur Identifikati- nistrationskomponente sowie über ein Re­
on wird aufgebracht, eine Portooptimie- source-Management als Schnittstelle zum
Was ist ein Output- rung durchgeführt, und übliche Auflagen einem DAM (Abbildung 2).
Management-System? des Termindrucks werden abgebildet.
Verwaltungen produzieren täglich unzähli- Zum Schluss erfolgt der Druck auf High Die Vorteile
ge Dokumente und kommunizieren sie in Volume Printing Systems und die Beila- Ein OMS kann als zentraler Dienst – also
verschiedensten Formaten über diverse gensteuerung durch Verpackungsstras­ als Querschnittsfunktion – angesehen
Kanäle (Drucksachen, Korrespondenz, sen. werden, die für die automatisierte und
­E-Mail, Fax, Telefone, direkte Kontakte) kontrollierte Kommunikation zwischen der
mit ihren Kunden – den Bürgern unseres Die Umsetzung eines Output- öffentlichen Verwaltung und den Bürgerin-
Landes, Lieferanten und anderen Empfän- Management-Systems nen und Bürgern eingesetzt wird. Der
gern. Ein OMS erlaubt die zentrale Steue- Der Einsatz eines Output-Managements Dienst ist kostensparend durch seine voll-
rung dieser Kommunikation. Das heisst, als zentrales Mittel zur Steuerung der ständige Automatisierung und die mögli-
es bildet die Wertschöpfungskette von der Kommunikation über verschiedenste ana- che Mehrfachnutzung. Und er erhöht die
Anlieferung der Daten aus den betriebli- loge und digitale Kanäle entlastet alle an- Flexibilität der Kommunikation der Behör-
chen Informationssystemen bis hin zum deren Informationssysteme von dieser den, da Zielgruppen getrennt angespro-
Massenversand ab. Die Output-Manage- Aufgabe. Die Umsetzung eines solchen chen werden können und die Kombination
ment-Wertschöpfungskette besteht aus Systems kann nur dann rationell erfolgen, zwischen Papier und digitalem Informa­
den Schritten Datenimport, Datenanrei- wenn die Architektur einer klaren Aufga- tionsaustausch möglich wird. Sämtliche
cherung, Personalisierung, User-Interak­ benteilung folgt, die möglichst nahe an der Informationen – und davon gibt es viele –
tion, Formatierung und Distribution, Post- Output-Management-Wertschöpfungsket- einer Verwaltung, ob sie nun in einem zen-
processing und Printing. Die Kernsysteme te liegt. Aus diesem Grund verfügt ein tralen Informationssystem oder in DMS
(CMS, DMS, andere Informationssysteme) OMS immer über drei zentrale Verarbei- oder CMS abgelegt gehalten werden,
liefern Informationen in den unterschied- tungsschritte: Preprocessing, Processing können rechtzeitig an die richtigen Adres-
lichsten Formaten. Diese werden vom und Postprocessing. Das Preprocessing saten gelangen, wenn solche Systeme
OMS importiert, validiert und konvertiert. übernimmt die Daten von den Liefersyste- eingesetzt werden. Allerdings ist bei der
Anschliessend werden fehlende Informa­ men. Die gelieferten Daten werden aufbe- Umsetzung auf eine klar strukturierte und
tionen aus anderen Systemen für die reitet und geprüft. Das Processing stellt einfache Architektur zu achten, um allen
­Anreicherung verwendet und Distribu- das Herzstück eines OMS dar. Meist er- Anforderungen der modernen Kommuni-
tions- und Kampagneninformationen hin- zeugen mehrere Rendering Nodes aus kation zu genügen.
zugefügt. Schliesslich prüfen, ergänzen den Daten die abzuliefernden digitalen
und vervollständigen die Sachbearbeiter Dokumente. Die vom Rendering geliefer-
und Sachbearbeiterinnen die Ausgabe ten Dokumente werden zusammenge-
und geben das Dokument frei. Das Doku- stellt, zu einem sogenannten Printstream
ment wird formatiert und für das jeweilige aufbereitet und an den Drucker oder an

«eGov Präsenz» 1/10


52 Forschung / Analyse

Prozesse machen aus Ablagesystemen


echtes Dokumentenmanagement
Markus Fischer, Christoph Bisel

Anbieter von Dokumentenmanagement- Herausforderungen an hinterfragt zu werden. Kurz: Sie ist in ih-
Systemen (DMS) rechnen ihren Kunden moderne Verwaltungen rem Handeln transparenter geworden als
vor, wie viele Meter Aktenschränke mit Ein wirklicher Mehrwert sind Qualitäts- je zuvor und wird dies in den kommenden
der Einführung ihrer Lösung einzusparen und Performancegewinne in den Kernauf- Jahren noch weiter werden.
wären und wie viele Mitarbeitende pro­- gaben sowie das Erfüllen von Compliance- Dieser Entwicklung ist die heutige IT-Inf-
duktiver eingesetzt werden könnten, Anforderungen. Es reicht nicht, zu wissen, rastruktur in manchen Fällen noch nicht
wenn sie keine Zeit mit Suchen verlieren wo Akten zu finden sind und wie lange sie gewachsen. Die Anforderung vieler Ge-
würden. Die Argumentation ist schlüssig, aufbewahrt werden müssen. Wirklicher meinden beschränkte sich bis dato
doch der Nutzen ist lediglich ein finan­ Nutzen entsteht, wenn Prozesse angesto- ­beispielsweise im Bereich des Dokumen-
zieller. Der monetäre Vorteil ist im E-Go- ssen werden, die mehrere Dokumente tenmanagements und der Dokumenten-
vernment-Bereich sicherlich erstrebens- umfassen, die verändert und gegebenen- Archivierung darauf, alte Papierlager zu
wert angesichts knapper Haushalte. falls auch externen Stellen zugänglich ge- digitalisieren, um Dokumente schneller
Dennoch ist diese Sichtweise zu kurz macht werden können. Wenn zusätzlich aufzufinden und elektronisch mit Ge-
gedacht. Die Einführung eines DMS und Datenschutzbeauftragte nachvollziehen schäftsvorfällen zu verknüpfen. Dies war,
die anschliessende Scanningaktion sind können, welche Informationen wann und was ihnen DMS-Hersteller anboten und
nur langfristig lukrativ – ganz abgesehen von wem abgerufen wurden, kann eine was viele auch oft unter erheblicher Kos-
vom Zusatzaufwand, der durch die Kom- der vielen Anforderungen von Compliance tenfolge eingeführt haben. Manche gingen
­bination von Digital- und Papierarchiven abgedeckt werden. dabei den Weg, ihre gesamte Archivland-
entsteht. Moderne Bürgerinnen und Bürger be- schaft von Dienstleistern scannen zu las-
trachten die heutige Verwaltung längst sen, die nun in riesigen Serverinfrastruktu-
Markus Fischer nicht mehr als Obrigkeit, sondern als öf- ren lagert. Andere Verwaltungen verfolgen
Geschäftsführer, Soreco Publica AG
mfischer@sorecopublica.ch
fentliche Dienstleisterin. Erwartet wird ein die Strategie, lediglich die Altarchive zu
breites Serviceangebot rund um schnelle katalogisieren. Die neuen Dokumente wer-
Auskünfte sowie die zeitnahe und vor al- den dann digital erstellt, verwaltet und ar-
lem hilfsbereite Bearbeitung von Gesu- chiviert. Je nach Vorgehensweise, einge-
chen und Vorschlägen. Zugleich bedeutet setzter Lösung und Dienstleister hat sich
Christoph Bisel das heutige Denken aber auch, dass un- damit ein schnellerer Return on Invest-
Senior Consultant BPM, Soreco AG
cbisel@soreco.ch
willkommene Entscheide nicht einfach per ment (ROI) oder im Einzelfall womöglich
se hingenommen, sondern hinterfragt ein – gerne verschwiegener – finan­zieller
oder gar angefochten werden. Die Verwal- Mehraufwand ergeben.
tung sieht sich somit zunehmend in der Sieht man diesen Aufwand nun in einem
Situation, bei Entscheidungen – aber auch grösseren Zusammenhang, so stellt sich
bei Entscheidungswegen – vom Bürger die Frage, was durch das Vorgehen ge-

Abbildung 1: Kommunikations- und Informationsflüsse zum Zustandekommen einer Entscheidung im öffentlichen Umfeld
ohne aktives Prozessmanagement

«eGov Präsenz» 1/10


Forschung / Analyse 53

gleich online mit seiner Kreditkarte oder


einem anderen Online-Payment-Modell
bezahlen. Wurde das Geld verbucht, än-
dert der Betreiber den Status im Portal.
Die Interaktion zwischen Betreibungsamt
und Betreiber kann vollständig internetba-
siert erfolgen. Der Betreiber wird als Kun-
de verstanden und angesprochen und
kann den Fortschritt seines Falles nach-
vollziehen. Der Betreibungsbeamte hinge-
gen muss die Daten nicht von einem Pa-
pierdokument in seine Fachapplikation
übertragen und bekommt zudem weiter-
führende Informationen über den Betrie-
benen (oder den Betreiber) direkt in seiner
Abbildung 2: Kommunikations- und Informationsflüsse in einem Prozess im öffentlichen Umfeld mit einem unabhängigen Bearbeitungsmaske angezeigt. So sieht er
BPMS/Workflow
womöglich umgehend, dass der Betriebe-
ne inzwischen verzogen oder verstorben
ist oder weitere Betreibungsverfahren aus-
wonnen wurde. Einige würden auf die Kar- und erreichen ein viel höheres Wertschöp- stehen, sodass sich gewisse Prozessteile
te «Lagerplatz» setzen. Andere würden fungsniveau. Man stelle sich nur einmal seinerseits womöglich zusammenfassen
das schnellere Auffinden von Dokumenten einen relativ einfachen Vorgang wie eine lassen (z.B. Versand der Abholungseinla-
und Akten als Argument vorbringen. Von Betreibung vor. Herr X hat seine Rechnun- dung für die Betreibung).
diesen Vorteilen hat womöglich die Ver- gen bei der Firma ABC nicht bezahlt. Ak- Dies wäre ein möglicher Mehrwert aus
waltung etwas und eventuell auch der tuell würde diese ein ausgefülltes Formular Sicht eines Kunden sowie eines Amtes in
Steuerzahler. Im Hinblick auf den «Dienst- an das lokale Betreibungsamt senden und der Stadt oder Gemeinde. Im Hinblick auf
leistungsbetrieb öffentliche Verwaltung» zugleich eventuell anfallende Gebühren die angesprochenen Compliance-Anfor-
allerdings ist nur wenig gewonnen. Viele überweisen. Nehmen wir nun an, bei der derungen fallen nun andere Themen ins
Abläufe sind nicht oder nur marginal einfa- Überweisung wäre ein Versehen passiert Gewicht. Im geschilderten Fall sind alle
cher geworden, und die Interaktion mit der und es wurden versehentlich zwei Franken Aktivitäten vollständig nachvollziehbar und
«Kundschaft» wird auch höchstens in An- zu wenig überwiesen. Mögliche Vorge- überwachbar. Es geht hier zum einen um
sätzen unterstützt. hensweisen wären nun, entweder dem die Überwachung von rechtlich relevanten
Betreiber ein Schreiben zu senden, worin Fristen. Zum anderen kann nachgewiesen
Von der funktionalen Sicht er aufgefordert wird, die zwei Franken zu werden, dass beispielsweise ein Doku-
zur Prozesssicht überweisen. Die internen Kosten sowie ment verspätet eingegangen ist, sodass
Es gäbe aber auch noch andere Betrach- anfallende Porto- und Bankkosten würden es im Rahmen eines Konkurses bei der
tungsweisen. Wenn man sich gedanklich diese zwei Franken jedoch bei Weitem Verteilung der Konkursmasse nicht mehr
von den singulären Funktionen der Appli- übersteigen. Es wäre aber auch möglich, berücksichtigt werden kann.
kationslandschaft der Verwaltung löst und die zwei Franken abzuschreiben oder ein-
die Aktivitäten und Prozesse ins Zentrum fach zu warten, bis das Geld von selbst
der Überlegungen stellt, dann ergeben eintrifft. Letzte Möglichkeit wäre es, die
sich alternative oder zusätzliche Anforde- Betreibung zu beginnen und dem Konto
rungen. Prozesse und Workflows wurden des Betreibers einen Sollbetrag von zwei
in den vergangenen Jahren stark von Franken zu belasten, der bei einer etwai-
DMS- und ECM-Herstellern vereinnahmt, gen Pfändung einbehalten würde.
und es steht zu befürchten, dass manche Allen genannten Vorgehensweisen ist ei-
Leserin, mancher Leser unter diesen nes gemeinsam. Im wirtschaftlich besten
Stichworten das simple Routing von Do- Fall verzichtet das Betreibungsamt auf die
kumenten verstehen könnte. In dieser Ge- zwei Franken. In allen anderen Varianten
dankenwelt ist der Workflow eine Art Par- werden der entstehende Verwaltungsauf-
allelsystem zum E-Mail-Client. Herr A wand und die anfallenden Fremdkosten
sendet Frau B ein Dokument mit der Bitte den Betrag von zwei Franken wahrschein-
um Stellungnahme und Weiterleitung an lich übersteigen.
Frau C. zur Genehmigung und Ablage im
DMS. Das ist selbstverständlich ein Work- Ansatz zur Prozessorientierung
flow und auch ein Prozess. Allerdings han- Welche Alternativen wären nun denkbar?
delt es sich hier um die einfachste Ausprä- Man stelle sich folgendes Szenario vor:
gung, deren Nutzen für die Organisation Der Betreiber kann im Webportal der Stadt
dem E-Mail-Verfahren nur marginal überle- oder Gemeinde den Bereich «Betrei-
gen ist. bungsamt» anwählen und sich dort regist-
Denkt man das Thema nun in einer Di- rieren. Hier erfasst er nun sein Betrei-
mension, in der die Wertschöpfung für die bungsbegehren online und bekommt (wie
Organisation und die «Kundin» oder den in einem Internetshop) sofort angezeigt,
«Kunden» im Zentrum steht, dann werden welchen Betrag er für die Betreibung zu
solche Prozesse plötzlich viel komplexer überweisen hat. Er kann womöglich sogar

«eGov Präsenz» 1/10


54 Forschung / Analyse

L’E-Participation indissociable de l’E-Inclusion:


«Living Labs», une démarche intégrante
Ino Maria Simitsek

L’E-Participation a trait au fonctionnement L’E-Participation désigne la mise à dispo-


de la démocratie car elle est une forme sition, à l’attention d’un large ensemble
de citoyenneté active. En quoi l’E-Partici- d’acteurs, d’infrastructures technolo-
pation est-elle indissociable de l’E-Inclu­ giques permettant d’accéder à des servi-
sion? Quels défis doit relever une E-Parti- ces collaboratifs en ligne. L’objectif est de
cipation non exclusive? Telles sont les permettre au plus grand nombre d’usagers
questions traitées dans l’article. de participer à des services publics en
­ligne. Son application est particulièrement
Ino Maria Simitsek adaptée dans les cadres législatifs et par-
Technopédagogue – DIP Genève
Membre du projet Living Lab E-Inclusion
lementaires ou dans le contexte de
– CTI/SATW ­l’E-Gouvernance. Moyen de construction
isimitsek@gmail.com du vivre ensemble, l’E-Participation est
potentiellement un atout pour la démocra-
tie. Comme tout objet technologique, elle Figure 1: Le Living Lab Harmonization Cube
comporte le danger de créer de l’exclusion.
On peut dès lors se demander quels défis
doit relever une E-Participation qui se veut sateur), nous sommes passés d’un monde
inclusive et non exclusive? Serait-ce un de consommateurs à un monde de créa-
défi d’accès ou un défi de formation? teurs d’information. Désormais, le natif du
Il est difficile d’ignorer que les usages de numérique façonne la culture. Sa partici-
l’internet ont un impact global et transfor- pation créative diversifie la culture et af-
mateur sur la société dans son ensemble. fecte la manière dont elle se développe et
Le cyberespace est un lieu où la culture est comprise.
participative n’a cessé de se développer. Nombreux sont les services innovants
Avec l’ère du Web 2.0 (environnement en ligne qui ont bouleversé le paysage
participatif et communautaire, essentielle- économique. Créés par des entrepreneurs
ment basé sur un contenu créé par l’utili- d’un genre nouveau, des natifs du numé-

mise en place

durabilité

extensibilité

aspects aspects aspects


organisationnels contextuels technologiques

Figure 2: Les 9 facettes du Living Lab Harmonizaton Cube

«eGov Präsenz» 1/10


Forschung / Analyse 55

Figure 3: Structure du Living Lab Harmonizaton Cube

rique doués et visionnaires, ils ont affaibli de l’innovation, met en évidence un nou- Labs2» ou environnements d’innovation
de grandes industries établies depuis veau besoin: celui de la gouvernance ouverte sont d’autant plus intéressants
longtemps comme celles de la musique, comme garant du bien-être de l’ensemble. qu’ils tentent d’intégrer de paire innova-
de la télévision et de la presse. La (contre-) Sa mission est moins de dire ce qui doit tion technologique et innovation sociale.
culture numérique, culture de la collabora- être fait, que d’assurer un cadre global qui La démarche «Living Labs» vise à combler
tion et de la participation active, est aussi favorise l’émergence d’écosystèmes en l’écart existant entre le développement
devenue la cause de l’abandon de façons réseau, dans lesquels la valeur est copro- technologique et l’appropriation de nou-
de faire considérées comme établies et duite et résulte non d’une action linéaire veaux produits et services, en impliquant
immuables. Dans le cyberespace, le rôle mais de l’interaction entre différents ac- dès la phase de conception, une diversité
de l’usager a changé. Prendre en compte teurs. d’acteurs apportant chacun ses compé-
l’usager et travailler en synergie avec lui En poussant l’analyse, il apparaît qu’au- tences et sa vision de la problématique. Le
est devenu la condition nécessaire au suc- delà d’un problème d’accès ou d’un pro- «Living Labs Harmonization Cube»3 est un
cès d’un service en ligne. Ceci aussi bien blème d’acquisition de compétences TIC, cadre de référence permettant de bien
dans sa phase de création que tout au le fossé numérique est en train de se cerner les points essentiels à prendre en
long de son évolution. L’internaute sous- transformer en fissure au sein même de la compte avant de se lancer dans une telle
tend une innovation devenue générative et société. L’E-Inclusion1 a une dimension démarche. Ses composantes (faces et fa-
ouverte. bien plus vaste que celle de l’exclusion à cettes) constituent les thématiques essen-
L’introduction de technologies nouvelles un bien technologique. Elle tend à devenir tielles à intégrer si l’on désire créer un «Li-
a été de tout temps un processus à la fois exclusion à la société dans son ensemble: ving Lab», le faire fonctionner dans l’esprit
créatif et destructeur. Cependant, ce qu’il exclusion à sa participation, exclusion à «Living Labs» et l’inscrire dans la durée.
y a de nouveau avec la révolution des son façonnement, exclusion à sa progres-
1 http://www.ict-21.ch/com-ict/spip.php?article87.
technologies de l’information, c’est le fait sion.
2 http://www.ict-21.ch/com-ict/spip.php?article84.
de créer et de détruire sans prendre le Pour relever le défi démocratique der- 3 http://www.e-babel.org/hypercube/CubeEnoll.html.
temps de tenir compte des implications et rière l’E-Participation, il convient de faire
des conséquences sur l’ensemble. Le appel à des stratégies nouvelles, basées
basculement que nous vivons, celui d’une sur la participation des usagers, la co-
société de l’information vers une société création et la gouvernance. Les «Living

«eGov Präsenz» 1/10


56 Forschung / Analyse

Information Lifecycle Management: eine


ganzheitliche Strategie für das Informations­
management
Sven Sauer, Iven Jainta

Daten und Dokumente müssen zeitnah Gründe für die Umsetzung dadurch schlankere und schnellere Pro-
und sicher verfügbar sein – wann, wo und von Information Lifecycle zesse und führt zu einer Reduzierung der
in welchem Format auch immer sie ge­- Management Investitionskosten für Speichertechnolo­
braucht werden. Um das Management Gesetzliche und regulatorische Bestim- gien.
von Informationen nach deren Relevanz mungen, das ungebremste Datenwachs- Neue innovative Speichertechnologien
für die Geschäftsprozesse über den ge- tum, neue Technologien und der weiterhin erweitern das klassische Speichermodell
samten Lebenszyklus hinweg zu auto- wachsende Kostendruck sind treibende und beeinflussen die Optimierung des
matisieren, braucht ein Unternehmen eine Kräfte dafür, ein effektives ILM umzusetzen. Storage-Managements. Die Herausforde-
strategische Planung. Der Artikel klärt Zunächst bedingt das anhaltend hohe rung liegt darin, die einzelnen Speicherhie-
darüber auf, was sich genau hinter dem Datenwachstum in unterschiedlichsten rarchien (Onlinebereich, Festplattensyste-
Kürzel ILM verbirgt und wie sich der Bereichen, zum Beispiel Customer Rela­ me, Nearline-Bereich) in Bezug auf Nutzen
Lebenszyklus von Informationen verwal- tionship Management, E-Mail-Aufkommen und Kosten optimal auszuschöpfen. ILM
ten lässt. Die Autoren empfehlen eine oder Forschung und Entwicklung, die da- soll die Erreichung dieser Zielvorgabe un-
integrierte ILM-Strategie zur Steigerung mit einhergehende Informationsflut besser terstützen.
der Effizienz in Unternehmen und geben zu steuern und die Lagerung der Daten zu
Tipps zur Umsetzung. optimieren. Einfach ausgedrückt: Eine Der Wert von Informationen
grosse Menge «inaktiver» Daten in den Bei der Betrachtung des gesamten Le-
Sven Sauer Unternehmen verlangsamen die Systeme benszyklus der Informationen (von der Er-
Gründungsmitglied und CIO
OPTIMAL SYSTEMS GmbH
und «verstopfen» die Datenleitungen, stellung über die Bearbeitung und Nut-
sauer@optimal-systems.de wenn man sie nicht auslagert. zung bis hin zur Vernichtung) ist der Wert
Hinzu kommen internationale sowie na- von Daten der wichtigste Aspekt. Je wich-
tionale gesetzliche und regulatorische An- tiger die Daten für ein Unternehmen und
forderungen (wie IAS, HGB, GoB, GDPdU, seine Prozesse sind, desto besser sollte
Iven Jainta SOX und Basel II), die unterschiedlichen ihre Verfügbarkeit geregelt sein und desto
Product Marketing Analyst
OPTIMAL SYSTEMS GmbH
Anforderungen an Speicherart und Aufbe- kostspieliger dürfen die geeigneten Spei-
kontakt@optimal-systems.de wahrungsfristen für elektronische Informa- chertechnologien sein. Dazu muss der
tionen stellen. Diese werden unter Um- Wert der Daten bestimmt werden. Was
ständen um unternehmensinterne oder nicht leicht ist, da die Wichtigkeit der Da-
branchenspezifische Vorgaben ergänzt. ten, deren Relevanz, sich im Zeitablauf
Da der Grossteil dieser regulatorischen stark ändert.
Vorgaben technologieneutral ausgestaltet Dokumente, auf die selten zugegriffen
ist, bleibt bezüglich der technischen Um- und denen dadurch ein geringerer Wert
setzung von ILM ein gewisser Gestal- zugewiesen wird, wie etwa Verträge, wer-
tungsspielraum. In Zukunft wird der Um- den meist auf Langzeitspeichern ausgela-
Kein Produkt, sondern ein fang ordnungsgemäss zu speichernder gert, um die vorhandenen Systeme nicht
Konzept Informationen weiter erhöht und die Dauer zu überlasten bzw. sie zu entlasten. Soll-
Der Begriff Information Lifecycle Manage- der Aufbewahrungsfristen verlängert, so- ten die Informationen für die Geschäfts-
ment (ILM) bezeichnet kein Produkt, son- dass die Anforderungen an die Speiche- prozesse allerdings wieder relevant wer-
dern ein technologieunabhängiges Kon- rung von Informationen zunehmen. So den, wie zum Beispiel im Fall einer
zept für Langzeitarchivierung. ILM ist als wuchs 2008 das weltweite digitale Daten- Reklamation, einer Revision oder einer
eine Kombination aus Prozessen und volumen um etwa 487 Milliarden Gigabyte, Steuerprüfung, ändert sich der Wert der
Technologien zu verstehen, die elektroni- laut einer Studie.1 Daten schlagartig: Je höher die Zugriffs-
sche Informationen entsprechend ihrem Der in Unternehmen herrschende Kos- häufigkeit, desto grösser der Wert von In-
Geschäftswert über ihre gesamte Lebens- tendruck macht Kostenreduzierung zu ei- formationen. Steigt die Wertigkeit, wie in
dauer aktiv verwaltet. nem ständigen Thema. ILM stellt automa- zum Beispiel bei einer Reklamation, wer-
Die Notwendigkeit, die richtigen Daten tisierte Prozesse bereit, mit denen den Informationen auf ein schnelles Medi-
zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort vorhandene Technologien optimal genutzt um verlagert. Damit sind sie auch schnel-
sicher und effizient verfügbar zu machen, und dadurch Prozess-, Technologie- und ler verfügbar.
ist nicht neu. Angesichts der Tatsache, Personalkosten verringert werden können.
dass der Wert der Information sich mit der Zum Beispiel zeigte eine Befragung2, dass Umsetzung in fünf Schritten
Zeit ändert, empfiehlt sich der ILM-An- 84% der befragten Unternehmen weniger Erster Schritt mit Blick auf eine ILM-Stra-
satz. Denn Kosten lassen sich senken, Zeit bei der Informationssuche benötigen tegie ist die Kategorisierung der Daten
­indem man Daten nach Zugriffshäufigkeit – wodurch der Zugriff auf Informationen und die Verknüpfung der Datentypen mit
in eine entsprechende Speicherhierarchie verbessert wird und somit Arbeitszeit den Geschäftsregeln: Welche Daten müs-
schiebt. spart. Folglich ermöglicht der ILM-Ansatz sen wie lange und nach welchen Anforde-

«eGov Präsenz» 1/10


Forschung / Analyse 57

Das ECM-System verwaltet unter-


schiedlichste Daten wie zum Beispiel
E-Mails, Office-Dokumente oder auch In-
formationen aus ERP-Umgebungen. Ent-
sprechend frei definierbarer Regeln
­werden diese anschliessend auf den an-
geschlossenen Speichersystemen mig-
riert.
Da ECM-Hersteller keine eigenen Spei-
chermedien mitliefern, ist eine Koopera­
tion zwischen Storage-Anbietern und
ECM-Spezialisten mehr als ratsam, um
Anwendern umfassendere Lösungen aus
einem Guss anzubieten, die ILM einfach
möglich machen.
Somit stehen den Anwendern Technolo-
gien zur Verfügung, die Daten automatisch
regelbasiert analysieren und auf Archiv-
speicher verlagern. Das ECM-System
­«begleitet» die Informationen während des
Abbildung des vollständigen Information Lifecycle mit einer ECM-Suite gesamten Lebenszyklus. Unternehmen
profitieren zusätzlich von der Verlagerung
der Daten auf günstige Speichermedien
rungen gespeichert werden? Welche In- liert. Dabei wird überprüft, ob das Ge- und von niedrigen Kosten für die Adminis-
formationen müssen überhaupt und in schäftsmodell des Unternehmens und tration. Für die Anwender bedeutet dies
welcher Form verfügbar sein? die Prozesse neu aufeinander abge- konkret, dass die richtigen Informationen
Hier ist ein kontinuierlicher Optimie- stimmt werden müssen. zur richtigen Zeit am richtigen Ort dem
rungsprozess notwendig. Die Kategorisie- richtigen Mitarbeitenden zur Verfügung
rung hängt sowohl von Vorgaben wie dem ECM sorgt für ILM stehen, und zwar auch noch unter der Be-
Informationswert, den Sicherheitsanfor­ Häufig werden irreführend mit dem Begriff dingung der Kostenminimierung und der
derungen, den Compliance-Anforderun- ILM Produkte von Storage-Anbietern Einhaltung der Compliance-Vorgaben.
gen oder den vereinbarten Service Level ­verbunden. In der Praxis werden Spei- Eine ECM-Software ist daher eine Kern-
Agreements als auch von der vorhande- chersysteme allerdings meist nur zum komponente der ILM-Strategie und hilft,
nen Speicherhierarchie und deren Kosten- «Weg­lagern» von Daten verwendet, um diese umzusetzen.
struktur ab. Als Ergebnis dieses Prozes- Arbeitsplätze und Server zu entlasten. Da-
ses werden Entscheidungen hinsichtlich bei ist das «Weglagern» (Speichern und Eine Informationsdrehscheibe
der optimalen Speicherung der Informati- Aufbewahren) nicht das Grundprinzip des für alles
onsobjekte getroffen. Information Lifecycle Management, son- Will man das Management von Informatio-
Zur Umsetzung des ILM-Konzepts und dern elektronische Daten automatisch zu nen nach deren Wert oder deren Relevanz
zur Integration in das jeweilige Geschäfts- kategorisieren und sicher, gesetzeskon- für die Geschäftsprozesse über den ge-
modell wird eine Durchführung in fünf Pha- form und vor allem kostengünstig zu archi- samten Lebenszyklus hinweg automatisie-
sen empfohlen: vieren, um aus dem Datengrab eine leben- ren, implementiert man keineswegs ein
1. Die Speicherlandschaft des Unterneh- dige Informationsquelle zu machen. Die- Einzelprodukt. Vielmehr braucht man eine
mens wird untersucht, um die Daten se Ansprüche werden von Enterprise- strategische Planung für ein integriertes
auf den unterschiedlichen Speicherme- Content-Management(ECM)-Systemen Konzept – das ist mit ILM gemeint. Erst
dien zu erfassen. geteilt – und oft auch erfüllt. durch das Zusammenspiel der verschie-
2. Die erfassten Speichermedien werden ECM-Lösungen sind Technologien zur denen Prozesse wird der gesamte Le-
mit den Geschäftsprozessen abgegli- Erfassung, Verwaltung, Nutzung und Be- benszyklus von Informationen von ihrer
chen. reitstellung von strukturierten und unstruk- Entstehung bis zur endgültigen Vernich-
3. Daten werden klassifiziert. Den Infor- turierten Daten. Dementsprechend sind tung unterstützt und abgebildet. Je früher
mationsobjekten wird ein Wert zuge- sie in der Lage, den gesamten Lebenszyk- man anfängt, den Datenbestand zu struk-
wiesen. Dieser kann zum Beispiel von lus von Informationen zu unterstützen – turieren und zu konsolidieren, umso leich-
der Zugriffswahrscheinlichkeit abhän- von der Entstehung bis hin zur Archivie- ter fällt es. Jeder Schritt für sich bringt
gig sein. rung und/oder Vernichtung. eine erhebliche Effizienzsteigerung bei den
4. Automatisierung. Informationsobjekte Ziel ist es hier, das unternehmensweite Unternehmensprozessen und eine Leis-
werden entsprechend ihrer Klassifizie- Informationsmanagement zu beschleuni- tungssteigerung der Speicherinfrastruktur.
rung und unter Berücksichtigung mög- gen und die Zusammenarbeit in Unterneh-
1 DC Digital Universe White Paper, Sponsored by EMC,
licher Service Level Agreements (z.B. men zu verbessern. Dabei wird auch die
May 2009-12-15: http://www.portel.de/nc/nachricht/
getroffene Vereinbarungen mit dem An- Erfüllung gesetzlicher Archivierungsvorga- artikel/38588-idc-studie-wachstum-des-digitalen-univer-
wender über die Zugriffsgeschwindig- ben, die sich zum Beispiel aus dem Sarba- sums-setzt-sich-rasant-fort/.
2 Durchgeführt von der Aberdeen Group (Making Sense of
keit auf bestimmte Informationen) auf nes-Oxley Act (SOX), Basel II oder den Unstructured Data, 2007).
einem adäquaten Speichermedium ge- deutschen Grundsätzen zum Datenzugriff
speichert. und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen
5. Die Automatisierungsprozesse werden (GDPdU) oder aus Branchenrichtlinien er-
in regelmässigen Abständen kontrol- geben, automatisch realisiert.

«eGov Präsenz» 1/10


58 Praxis – Schweiz

Geodaten (fast) für die Ewigkeit


Urs Gerber, Krystyna W. Ohnesorge

Geodaten sind unverzichtbare Grundla- Ohne Geodaten Landschaftsveränderung über einen be-
gen der Raumplanung und damit von kein E-Government! stimmten Zeitraum, ein Landesforstinven-
E-Government.1 Für die Langzeitsiche- Die Entwicklung hin zur Informations- und tar, Auswertungen und Illustrationen zum
rung und Archivierung stellen sie eine Wissensgesellschaft schreitet unaufhalt- Gletscherrückgang und damit zur Klima-
grosse Herausforderung dar. Die Schweiz sam voran. Die damit einhergehenden entwicklung, Analysen und Darstellungen
hat seit 2008 ein modernes Geoinforma­ Veränderungen sind in grossen Teilen be- von Siedlungs- oder Bauzonenentwicklun-
tionsgesetz (GeoIG)2, das zusam­men mit reits Realität geworden. In diesem Umfeld gen.
dem Bundesgesetz über die Archivierung haben Geodaten und Geoinformationen Selbstverständlich sind auch die Wirt-
(BGA)3 die rechtli­che Grundlage für die eine grosse politische und wirtschaftliche schaft und die Tourismusbranche ange-
nach­haltige Verfügbarkeit, Histori­sierung Bedeutung. Sie bilden die Basis für Pla- wiesen auf Geodaten.
und Archivierung von Geobasis­daten nungen, Entscheidungen und Massnah- Dabei werden zum einen aktuelle Geo-
bildet. Das Problem der Archivierung von men in der Raumplanung, der Wirtschaft, daten benötigt. Um Entwicklungen über
Geo­daten ist weltweit nur ansatz­weise der Wissenschaft oder auch im Privatbe- die Zeit verfolgen zu können, werden ver-
gelöst. Der Artikel beleuchtet die aktuel­ reich. Navigation, Landschaftsentwick- mehrt digitale Geodaten in Form von Zeit-
len Frage­stellun­gen und thematisiert erste lung, Klimaänderung, Umweltmonitoring, reihen verarbeitet. Zeitreihen werden aus
Lösungsansätze. Diese wer­den zurzeit in Naturgefahrenprävention, raumbezogene einer zeitlichen Abfolge von Geodatensät-
einem gemein­samen Projekt durch das Statistiken und Analysen – die moderne zen zur gleichen Thematik gebildet (Zeit-
Bundes­amt für Landestopografie (swiss­ Gesellschaft ist auf Geoinformationen an- stände).
topo) und das Schweizeri­sche Bundesar- gewiesen. Geoinformation ist heute ein
chiv (BAR) entwickelt. Der Artikel dis­ku­­ Wirtschaftsgut ersten Ranges. Primär ste- Geoinformationsgesetz und
tiert zudem die Frage der Harmonisierung hen aktuelle Geoinformationen im Fokus. Archivierung
von Geodaten auf Bundes-, Kantons- und Vermehrt wird nun die Bedeutung von Die Schweiz verfügt seit 2008 über ein
Ge­meindeebene. Geodaten in Zeitreihen erkannt, wodurch modernes Geoinformationsgesetz (Geo­
verschiedene Zustände der realen Welt, IG). Dieses regelt umfassend alle Aspekte
Dr. Krystyna W. Ohnesorge aber auch deren Veränderung sichtbar ge- der Erfassung, Nachführung, Aufbewah-
Chefin Ressort Innovation und Erhaltung
Schweizerisches Bundesarchiv BAR
macht werden können. Die Dokumenta­ rung und Nutzung von Geodaten, die auf
krystyna.ohnesorge@bar.admin.ch tion, nachhaltige Verfügbarkeit und Archi- einer bundesgesetzlichen Grundlage ba-
vierung von Geodaten wird daher zu einer sieren. Das GeoIG verlangt, dass eigen­
zunehmend wichtigen Aufgabe aller betei- tümer- und behördenverbindliche Geoda-
ligten Akteure. Die Dokumentation der to- ten zu historisieren sind. Jede zuständige
Urs Gerber pografischen Landschaftsentwicklung der Stelle (nach Art. 8 Abs. 1 GeoIG) ist für die
Leiter Grundlagen zum Raummonitoring
Bundesamt für Landestopografie
Schweiz gehört beispielsweise zum Ge- nachhaltige Verfügbarkeit ihrer Geobasis-
swisstopo dächtnis der Schweiz und ist entspre- daten verantwortlich. Dazu gehört auch
urs.gerber@swisstopo.ch chend zu pflegen und langfristig zu si- die Archivierung der Geodaten. Seitdem
chern. raumbezogene Daten vermehrt und fast
ausschliesslich digital erhoben und nach-
Was sind Geodaten und geführt werden, stehen vorwiegend aktu-
Geoinformationen? elle Datensätze im Vordergrund. Diesem
Geodaten sind raumbezogene Daten, die Anspruch wurde lange alles untergeord-
mit einem bestimmten Zeitbezug die Aus- net. Dabei wurden oft ältere Geodaten ein-
dehnung und Eigenschaften bestimmter fach überschrieben. Mittlerweile setzt sich
Räume und Objekte beschreiben, insbe- die Erkenntnis durch – und das GeoIG un-
sondere deren Lage, Beschaffenheit, Nut- terstützt und fordert diese Entwicklung –,
zung und Rechtsverhältnisse.4 dass auch ältere Zeitstände und Zeitreihen
Geoinformationen sind raumbezogene aufbewahrt werden sollten (Historisie-
Informationen, die durch die Auswertung rung).
oder Verknüpfung von Geodaten gewon- Für die Archivierung der Geodaten beim
nen werden.5 Bund ist das Schweizerische Bundesar-
Wir kennen Geodaten beispielsweise als chiv (BAR) zuständig (Bundesgesetz über
Landeskarten, digitale Gemeindegrenzda- die Archivierung, SR 152.1). Bei der Histo-
ten, digitale Luft- und Orthobilder, Na- risierung und Archivierung solcher Daten
mensdaten oder die Arealstatistik der in den Kantonen respektive Staatsarchi-
Schweiz. Auf der Grundlage dieser Geore- ven drängt sich nicht zuletzt aus betriebs-
ferenzdaten werden je nach (politischer) wirtschaftlichen Gründen eine Koordina­
Fragestellung Fachdaten überlagert. So tion mit dem Bund auf.
entstehen beispielsweise Aussagen zur

«eGov Präsenz» 1/10


Praxis – Schweiz 59

Das BAR: Kompetenzen für


digitale Archivierung
Das BAR ist das Dienstleistungs- und
Kompetenzzentrum des Bundes für nach-
haltiges Informationsmanagement. Es ist
aufgrund des Bundesgesetzes über die
Archivierung (BGA) damit beauftragt, die
Unterlagen des Bundes zu bewerten, zu
sichern, aufzubewahren und zu vermit-
teln. Dies gilt auch für Unterlagen in digi-
taler Form. Um diesen Auftrag erfüllen zu
können, hat das BAR im Rahmen der Abbildung 1: Visualisierung von Entwicklungsszenarien der urbanen Stadtlandschaften, Auszug aus dem Kooperations­
«Strategie des Bundesrates für eine In­ projekt der WSL mit dem Studienbereich Scientific Visualization der Zürcher Hochschule der Künste, ZHdK

formationsgesellschaft in der Schweiz»


(1998) das Projekt ARELDA gestartet. Die
erste Projektetappe von 2001 bis 2004 Was ist bei der Archivierung von Hardware) gehören heute zu den wach-
hatte einen explorativen und experimen- Geodaten besonders? senden Herausforderungen der Geoinfor-
tellen Charakter; es wurden unter ande- Geodaten werden in komplexen Geoda- mationswelt.
rem eine Pilot­infrastruktur für die Speiche- tenmodellen beschrieben (Topologie, Be- Es gilt, bei der Langzeitaufbewahrung
rung digitaler Unterlagen sowie eine ziehungen und Attribute). Ihre Erschei- und Archivierung diese vielfältigen Aspek-
Methodik zur softwareinvarianten Archi- nungsform ist unterschiedlich: te zu berücksichtigen und zu meistern.
vierung von relationalen Datenbanken – als Rasterkarten (z.B. gescannte Karten
­(SIARD) entwickelt. In der zweiten Projek- als Hintergrund) Archivierung von Geodaten –
tetappe von 2005 bis 2009 erfolgte die – als Bilddaten (z.B. digitale Luft-/Satelli- erste Lösungsansätze
Entwicklung der Standardlösung; sie eta- tenbilder, Orthofotos) Das BAR und swisstopo führen zurzeit
bliert einen standardisierten Archivie- – als Vektordaten (z.B. Landschaftsmo- eine gemeinsame Vorstudie durch, um die
rungsprozess von der vorarchivischen Be- delle, Fachthemen als Ebenen als wichtigen Aspekte der Archivierung und
ratung über die Sicherung und Erhaltung Grundlage für Analysen) deren Abgrenzung zur Historisierung von
bis zur Vermittlung der Unterlagen, der – als Höhenmodelle (Terrain- oder Ober- Geoinformationen zu definieren. Damit soll
sowohl die organisatorische als auch die flächenmodelle) die Grundlage für ein Globalkonzept für
technische Dimension berücksichtigt. Das Raster- und Bilddaten haben relativ ein- die Archivierung von Geodaten in der Bun-
digitale Archiv wurde im Sommer 2009 in fache Formate. Jeder Raster- oder Bild- desverwaltung geschaffen werden. Ab Fe-
Betrieb genommen. punkt enthält lediglich Farbinformationen. bruar 2009 wurde in einer Reihe von
Die Bundeskanzlei und die Departe- Rasterdaten führen jedoch je nach Auflö- Workshops eine wichtige Basis für diese
mente stellen gemäss Bundesratsbe- sung rasch zu enormen Datenmengen Konzeption erarbeitet. Es fand ein inten­
schluss vom 23. Januar 2008 ihre Ge- (mehrere Hundert Gigabyte bis Terabyte). siver Informationsaustausch über alle rele-
schäftsabwicklung bis Ende 2011 Vektordaten sind mengenmässig kleiner, vanten Themen in Bezug auf Geoinfor­
vollständig auf eine elektronische Basis enthalten jedoch viel Zusatzinformation mationen respektive auf die digitale
um. Verwaltungsdokumente und -daten (Attribute) und können deshalb eine gro- Archivierung statt (rechtliche Grundlagen,
entstehen dadurch zunehmend, später sse Komplexität aufweisen (Verknüpfun- Terminologie, Lösungsansätze, Normen
ausschliesslich, in digitaler Form. Dane- gen, Bedingungen). Vektordaten sind etc.).
ben wird ein Grossteil administrativer, wis- weitgehend massstabsunabhängig. Bei der Vorstudie werden Ämter der
senschaftlicher oder wirtschaftlicher Da- Höhenmodelle sind als Massenpunktda- Bundesverwaltung, die über Geoinformati-
ten in Datenbanken aufbewahrt. Das BAR ten, Matrix- oder Vektordaten ausgeprägt. onen verfügen, sowie auch kantonale Ver-
ist darauf vorbereitet und schon heute in Geodaten werden zumeist in (proprietä- waltungen (GIS-Stellen und Archive) sowie
der Lage, Standarddatentypen, zum Bei- ren) Geografischen Informationssystemen Gemeinden im Rahmen einer Beobachter-
spiel digitale Dossiers aus GEVER-Syste- (GIS) erfasst, gepflegt und verwaltet. GIS gruppe in die Arbeit eingebunden.
men oder Datensätze aus relationalen Da- erlauben beinahe beliebige Verknüpfun- Noch fehlt eine umfassende, definitive
tenbanken, zu archivieren. Bis heute gen, umfassende Analysen und Darstel- Lösung, die alle Aspekte des Globalkon-
wurden über 250 digitale Ablieferungen lungsmöglichkeiten. zeptes, von der Nachführung, Historisie-
(darunter 21 relationale Datenbanken) ar- Die verschiedenen Typen von Geodaten rung über die nachhaltige Verfügbarkeit
chiviert. werden in einer Vielzahl von oft proprietä- im Sinne des GeoIG bis hin zur Archivie-
Die Archivierung digitaler Unterlagen im ren Datenformaten verwaltet und ausge- rung, berücksichtigt. Das BAR und swiss­
BAR beruht auf folgenden Ansätzen: tauscht. topo wollen deshalb mit der gemein­
– Entkoppelung der Daten von spezifi- Die Dimension «Zeit» spielt, wie bereits samen Vorstudie folgende Ergebnisse
schen IT-Umgebungen (Applikationen, erwähnt, eine zunehmend grössere Rolle erreichen:
Datenbank- und Betriebssystemen, in Form von Zeitständen und Zeitreihen. – Die Lösung soll nicht spezifisch nur für
Hardware) Dies führt erneut zu wachsenden Daten- swisstopo, sondern für die Bundesver-
– offene, standardisierte, möglichst gene- mengen. Trotz abnehmenden Preisen für waltung insgesamt entwickelt werden.
rische Umgebungen Speichermedien erwachsen daraus stei- – Es soll eine begründete, integrale Lö-
– homogene Speicherinfrastruktur gende Kosten. Migrationen in immer kür- sung für die nachhaltige Verfügbarkeit
– Reduktion der Anzahl Dateiformate auf zeren Zeitabständen, asynchron auf allen und die Archivierung gefunden werden.
wenige archivtaugliche Dateiformate Ebenen (Daten, Datenmodelle, Geografi- – Archivierte, digitale Geodaten müssen
– Migrationsverfahren sche Informationssysteme, Datenbank­ (später) wieder in GIS integriert und be-
managementsysteme, Betriebssysteme, arbeitet werden können.

«eGov Präsenz» 1/10


60 Praxis – Schweiz

Die Arbeit an der Vorstudie hat bereits wurde anhand der Geodaten von swissto- Infor­mations- und Archivwissenschaften,
erste Zwischenergebnisse geliefert. Diese po durchgespielt und für grundsätzlich an- Geoinformations- und IT-Wissenschaften
befassen sich sowohl mit Fragen der Ar- wendbar befunden. Eine Prüfung des Vor- zusammen mit Geodatenproduzenten und
chivwürdigkeit wie auch der Archivtaug- gehens mit anderen Geodatenproduzenten -anbietern und Archiven.
lichkeit von Geodaten. der Bundesverwaltung ist im Gang.
Die archivische Bewertung (Selektion: Im Bereich der Aufbereitung von Geoda- Fazit, Ausblick, Zusammen­
Was soll archiviert werden und wie oft?) ten für die Archivierung wurden die ersten fassung
wurde als zentrale Fragestellung identifi- realen Ablieferungsobjekte für Geodaten, Bei der Lösung der komplexen Aufgaben
ziert. Das BAR bewertet Unterlagen mit- sogenannte GEO-SIP (SIP = Submission im Bereich der nachhaltigen Verfügbarkeit
tels eines einheitlichen Vorgehens, anhand Information Package gemäss OAIS-Refe- und Archivierung von Geodaten sind eine
eines festgelegten Kriterienkatalogs; auf- renzmodell) für GG25 (Gemeindegrenzen)6 enge Kooperation und die Diskussion zwi-
grund der spezifischen Eigenschaften von und VECTOR25 (Landschaftsmodell der schen allen beteiligten Partnern unabding-
Geodaten ist es jedoch notwendig, vorbe- Schweiz)7 erstellt. Anhand dieser Prototy- bar. Der Wissensaustausch zwischen dem
reitende Schritte vor der eigentlichen Be- pen kann das BAR gemeinsam mit swis- BAR und swisstopo einerseits und zwi-
wertung durchzuführen (grundsätzliche stopo die archivischen Anforderungen wie schen allen beteiligten Stellen (Bund, Kan-
Fragen über das Was, das Wie-oft und SIP-Struktur, geeignete Metadaten oder tone und Gemeinden) andererseits ist in
das Wie sowie eine erste Ausdünnung der Formate für die Geodaten verstehen und dieser Phase überaus zentral und wird ak-
Erzeugnisse). Dieses gesamte Vorgehen überprüfen. tiv gefördert. Für die Vorstudie wurde be-
Darüber hinaus wurden folgende Er- wusst ein kooperatives Vorgehen gewählt,
kenntnisse gewonnen: was sich sehr bewährt. Erarbeitete Lö-
Geoinformationen heute und – Geodaten lassen sich in einem SIP auf- sungsansätze werden regelmässig zur
in Zukunft – Archivierung und bereiten (offen: Standardmodelle für Diskussion gestellt und können auf diese
nachhaltige Verfügbarkeit Struktur von Geodaten). Weise laufend verbessert werden. In die-
Eine Studie8 im Auftrag der SIK-GIS9,10� – Um die archivierten Geodaten nutzen zu sem Sinne besteht bei allen Beteiligten die
können, müssen in einem SIP sowohl Zuversicht, die grosse Herausforderung
Im Rahmen des Geoinformationsgesetzes� wird
das Spezialwissen als auch das implizite erfolgreich zu meistern.
die Historisierung, nachhaltige Verfügbarkeit und
Archivierung von Geobasisdaten nach Bundes-
Wissen als Hilfestellung dokumentiert
  1 Unter den priorisierten Vorhaben der E-Government-
recht geregelt. Geoinformationen sind im werden (erforderlich: Review mit Nut-
Strategie Schweiz (http://www.egovernment.ch/
Vergleich zu anderen digitalen Unterlagen zenden aus der Geoinformationswelt). dokumente/katalog/E-Gov-CH_Katalog_2009-05-
ungleich komplexer und waren in den letzten – Es gibt diverse Quellen für Metadaten. 18_D.pdf; Zugriff: 12.11.2009) finden sich zwei
Projekte zu Geoinformation, die über das Programm
Jahren grossen technischen Entwicklungen Die Kunst wird es sein, die Schnittmen- e-geo.ch (http://www.e-geo.ch) geführt werden:
unterworfen. Dies wirkt sich auf die Archivierung gen zwischen den beiden Welten zu – «Schweizweiter, einfacher und vernetzter Zugang zu
aus: Erste Lösungsansätze müssen in Pionierpro- Geobasisdaten, Geodiensten und interaktiven
identifizieren (Mapping: Metadaten Ka- Kartenanwendungen durch ein nationales
jekten weiterentwickelt werden. Die Studie macht
taloge GEO – ARCHIV vergleichen und schweizerisches Geoportal» (A1.14)
eine Auslegeordnung über das komplexe Thema
festlegen). – «Organisation zur Erarbeitung einer nationalen
in den Bereichen Geodateninfrastruktur NGDI» (B1.10).
– Grundverständnis Eine weitere Herausforderung ist die   2 SR 510.62, Bundesgesetz über Geoinformation vom
– Benutzerbedürfnisse Festlegung von nachhaltigen Formaten für 5. Oktober 2007 (Geoinformationsgesetz, GeoIG).
  3 SR 152.1, Bundesgesetz über die Archivierung vom
– Organisation/Koordination die Archivierung von Geodaten. Die Defini- 26. Juni 1998 (Archivgesetz, BGA).
– technische Umsetzung tion dieser archivtauglichen Formate für   4 Art. 3 Abs. 1 Buchst. a GeoIG.
– Kosten und Finanzierung Geodaten wird uns in den nächsten Mona-   5 Art. 3 Abs. 1 Buchst. b GeoIG.
Die Definition und Abgrenzung von zentralen   6 GG25 (Gemeindegrenzen 25) enthält die Landes-,
ten stark beschäftigen, denn wir müssen Kantons-, Bezirks- und Gemeindegrenzen der Schweiz
Begriffen schafft ein Grundverständnis in den
verschiedenen Fachwelten, die zum Teil immer
einerseits mit der Geo- und Archivgemein- in vektorieller Form (http://www.swisstopo.admin.ch/
internet/swisstopo/de/home/products/landscape/gg25.
noch mit unterschiedlichen Grundlagen und schaft die möglichen Formate diskutieren html).
Ausprägungen operieren. und andererseits auch die Kriterien für die   7 VECTOR25 ist das digitale Landschaftsmodell der
Schweiz, welches inhaltlich und geometrisch auf der
Mithilfe von Interviews zur Erhebung von Festlegung der archivtauglichen Formate
Landeskarte 1 : 25 000 basiert (http://www.swisstopo.
Benutzerbedürfnissen sowie Literaturrecherche vonseiten des Archivs überprüfen und ge- admin.ch/internet/swisstopo/de/home/products/
können die Nutzniesser von Zeitreihen identifiziert gebenenfalls ergänzen. landscape/vector25.html).
und Nutzerkategorien gebildet werden.   8 Die Studie wurde erarbeitet von der Firma INFRAS
(Christine Najar und Roman Frick).
Wichtig sind insbesondere die Organisation und
Weitere Aktivitäten zur Lösung   9 Die SIK-GIS ist eine Fachgruppe der Schweizerischen
Aufgabenverteilung bei der Historisierung, Informatikkonferenz http://www.sik-gis.ch/web.
nachhaltigen Verfügbarkeit und Archivierung der
der Problematik 10 Der Titel der Studie lautet «Historisierung, nachhaltige
Daten. Auch die Abläufe und Prozesse müssen Die Arbeitsgruppe GIS der Schweizeri- Verfügbarkeit und Archivierung von Geoinformation.
schen Informatikkonferenz (SIK) hat 2009 Eine Auslegeordnung».
untersucht und klare Schnittstellen festgelegt
11 SR 510.62, Bundesgesetz über Geoinformation vom
werden. eine Auslegeordnung zum Thema «Histo­ 5. Oktober 2007 (Geoinformationsgesetz, GeoIG).
Die Studie würdigt bestehende Ansätze bei der risierung, nachhaltige Verfügbarkeit und
technischen Umsetzung und internationale Archivierung von Geodaten» erarbeiten
Trends der Modellierung sowie Standardisierung
lassen. Anlässlich einer Informationsver-
von Geodatenformaten. Die unterschiedlichen
anstaltung mit Hochschulen im Juli 2009
Ansprüche zwischen der «Archivierungswelt» und
der «Geowelt» werden offengelegt. wurde beschlossen, ein Forschungspro-
Die Studie untersucht auch die anfallenden jekt für die zentralen Fragestellungen
Kosten und ihre Verteilung. zu definieren. Im Vordergrund steht die
Die Studie legt so insgesamt eine wichtige Frage: Welche Geodaten sollen aus
Grundlage für die Diskussion zwischen der ­welchen Gründen in welchem zeitlichen
digitalen Archivwelt und der Geowelt; sie ist unter Abstand archiviert werden? Die interes-
folgendem Link herunterladbar: www.sik-gis.ch/
sierten Dis­ziplinen sollen gemeinsam an
web/doku/SIK-GIS-Studie-Archivierung.pdf
der Lösungsfindung beteiligt werden:

«eGov Präsenz» 1/10


Berner Fachhochschule
Kompetenzzentrum Public Management
und E-Government

Wir danken unseren Partnern


für die freundliche Unterstützung der Fachzeitschrift «eGov Präsenz»,
der Tagungen eGov Fokus und des eGov Newsletters

Praxispartner

swiss business software since 1988

Forschungspartner Medienpartner

Informationen zum Partnerschaftskonzept des Kompetenzzentrums Public Management


und E-Government unter www.e-government.bfh.ch/praxispartner
Praxis – Schweiz 63

Informationsmanagement und Langzeit­


aufbewahrung digitaler Informationen im
Gemeindeumfeld
Lukas Fässler

Der Verein Schweizerische Städte- und Einleitung deshalb nicht angezeigt, dass nun jede
Gemeinde-Informatik SSGI erarbeitet für Records Management ist eine zukunfts- Gemeinde diese Herausforderung indivi-
seine über 290 Städte und Gemeinden trächtige Querschnittsfunktion im Grenz- duell angeht und individuell löst. Der Ver-
ein Grobkonzept für das Informationsma- gebiet zwischen Organisationslehre, ein SSGI1 will mit der Initialisierung erster
nagement und die Langzeitaufbewahrung ­Betriebswirtschaft, Recht, Qualitätsma- Grobkonzeptarbeiten massgeschneiderte
inklusive historischer Archivierung digi- nagement, Archivistik, Informationsma- und möglichst standardisierte Grundlagen
taler Informationen. Den Gemeinden soll nagement und Wirtschaftsinformatik. Die aufbereiten und seinen Mitgliedern zur
damit ein Werkzeugkasten mit Grundla- explosionsartige Zunahme von Informatio- Umsetzung und Implementierung bereit-
gen zur Verfügung gestellt werden, die nen, neue gesetzliche Anforderungen an stellen. Dadurch soll mittelfristig im Be-
zur Sicherstellung der Informationsqualität die Datenhaltung, Beweistauglichkeit, Au- reich des (digitalen) Informationsmana­
im ganzen verwaltungsbezogenen thentizität und Identität sowie die Repro- gements auf Kommunalebene eine
Lebenszyklus dienen. duzierbarkeit digitalisierter Daten und Ver­einheitlichung der Prozesse und Tech-
schliesslich die langzeitorientierte Archi- nologien erreicht werden. Der Verein
Lukas Fässler vierung erfordern eine straffe Organisation SSGI hat sich daher zum Ziel gesetzt, ein
Rechtsanwalt und Informatikexperte
Präsident des Vereins SSGI
der Informationsverwaltung und eine effi­ an­bieterneutrales Grobkonzept für ein
faessler@fsdz.ch ziente Nutzung der vorhandenen Ressour- stan­dardisiertes, kommunales Records-
cen in der öffentlichen Verwaltung, vorab Management-System (RMS) sowie ein
auch im kommunalen Umfeld. nachgelagertes Archivinformationssystem
Die E-Government-Strategie Schweiz (AIS) im kommunalen Umfeld bis Spät-
(www.egovernment.ch) wird in den kom- herbst 2010 zu entwickeln, das von den
menden Jahren zunehmend die Einfüh- einzelnen Gemeinden einfach übernom-
rung von medienbruchfreien Transaktions- men und adaptiert werden kann.
prozessen zwischen Unternehmen/Bür- Im Jahre 2010 wird der Verein SSGI ei-
­gerinnen und Bürgern, Gemeinden, Kan- nen Pilotversuch starten und im Rahmen
tonen und dem Bund erfordern. Dies eines internen Wettbewerbs unter mindes-
bedingt auf der Gemeindeseite eine Neu- tens zwei Gemeinden die Realisierung
ausrichtung der Prozesse für den elektro- ­erster Meilensteine des digitalen Infor­ma­
nischen, medienbruchfreien Informa­ tionsmanagements vorantreiben. Es wer-
tionsaustausch über die verschiedenen den insgesamt rund 5 Zielsetzungen (Ab-
Hierarchiestufen hinweg. bildung des digitalen Registraturplanes,
digitale Dossierbildung mit notwendigen
Anforderung für Gemeinden Metadatenangaben [z.B. Gesetzliche Auf-
Digitale Informationsverwaltung durch Ein- bewahrungsfrist, Ablieferungswürdigkeit
satz von Recordsmanagement-Systemen an das Gemeindearchiv etc.], Berechtig-
mit Funktionalitäten wie digital unter­ tenkonzept bis auf Dossierebene, Mög-
stützten Registraturplänen, Versionierung, lichkeit der digitalen Signierung inkl.
Klassierung, Klassifizierung sowie Sicher- ­Zeitstempeleinsatz für Dossiers resp. ein-
stellung automatisierter Aufbewahrungs- zelne Dokumente [Sicherstellung der
fristen, Sicherstellung von Beweis- und ­Be­weis- und Revisionstauglichkeit], Auto­
Revisionstauglichkeit von digitalen Infor- matisie­rung der Ablieferung an das Ge-
mationen mit Geschäftsrelevanz sowie meindearchiv mit Darstellung der Schnitt­
­deren automatisierte Ablieferung in die stellenfunktion) vorgegeben, welche im
historischen Langzeitarchive auch auf Wettbewerb gegeneinander bis Spät-
kommunaler Ebene zur Grundvorausset- herbst 2010 aufzuzeigen sind. Anschlie-
zung des nachhaltigen und effizienten In- ssend werden die Ergebnisse gegeneinan-
formationsmanagements, insbesondere der ausgewertet und für eine allfällige
wenn der digitale Geschäftsverkehr mit gemeinsame Ausschreibung eines RMS
Bürgerinnen, Bürgern sowie den Unter- und AIS durch den Verein SSGI verwen-
nehmen Einzug halten wird. det.

Vorarbeiten des Vereins SSGI Weiterführende Informationen finden Sie


Diese Herausforderungen treffen die kom- unter www.ssgi.ch/Arbeitsgruppen/ArG
munalen Körperschaften (Gemeinde und Records-Mgmt/Langzeitarchive.
Stadt) gleichermassen und unabhängig ih-
1 Weiterführende Informationen unter: www.ssgi.ch.
rer Grösse und Aufgabengebiete. Es ist

«eGov Präsenz» 1/10


64 Praxis – Schweiz

Die Einführung der elektronischen Geschäfts­


verwaltung (GEVER) im Eidgenössischen Depar­
tement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) 
Jan P. Beekman, Bärbel Förster

Das Eidgenössische Departement für Grundlagen und Zuständigkeiten Das Projekt DMS-EDA hat das Ziel, bis
auswärtige Angelegenheiten (EDA) hat Die gesetzlichen Grundlagen regeln die Ende 2009 die eingesetzte Geschäftsver-
vier Direktionen (Politische Direktion [PD], Trennung der Verantwortlichkeiten und der waltungssoftware im EDA Inland flächen-
Direktion für Völkerrecht [DV], Direktion Aufgaben in den verschiedenen Organisa- deckend einzuführen, alle Mitarbeitenden
für Ressourcen [DR] und die Direktion für tionen in der Bundesverwaltung für die zu befähigen, mit dieser Software zu ar-
Entwicklung und Zusammenarbeit [DEZA]) GEVER. beiten sowie die notwendigen Grundlagen
und das Generalsekretariat (GS). Das Die Strategie und die GEVER-Policy als (Organisationsvorschriften für das Depar-
EDA beschäftigt insgesamt ca. 3600 Mit- Statement für ein einheitliches Vorgehen tement, Anwendungsgrundsätze für jede
arbeitende im Inland und in ca. 140 Län- des EDA verankern diese gesetzlichen Organisationseinheit jeder Direktion und
dern des Aussennetzes (diplomatische Grundlagen für GEVER im eigenen Depar- der Mission Genf) zur Vorbereitung auf die
und konsularische Vertretungen der tement. Einführung GEVER zu erarbeiten. Damit
Schweiz sowie Kooperationsbüros für Die operationellen Grundlagen regeln die ist die technische und organisatorische
Entwicklungszusammenarbeit). Umsetzung der GEVER im EDA. Die Orga- Basis für die Einführung GEVER ab 2010
nisationsvorschriften als verbindliche Spiel- gelegt.
Jan P. Beekman regeln für die Geschäftsverwaltung im gan- Das im Januar 2009 neu geschaffene
Bereichsleiter Logistik, Mitglied der
Geschäftsleitung Direktion für Ressourcen
zen EDA werden im Rahmen der Projekte Kompetenzzentrum DMS wurde mit der
DR, Eidgenössisches Departement für erarbeitet und abgenommen. Die Anwen- Leitung des Einführungsprojektes DMS-
auswärtige Angelegenheiten EDA
dungsgrundsätze DMS/GEVER beinhalten EDA betraut und ist unter anderem dafür
janpiet.beekman@eda.admin.ch
die geltenden Regeln für die Dokumenten- verantwortlich, dass die verwendete Ge-
und Geschäftsverwaltung in den einzelnen schäftsverwaltungssoftware im EDA Inland
Bärbel Förster Organisationseinheiten (OE) aller Direktio- angewendet werden kann, sich laufend
Leiterin Sektion Geschäftsverwaltung und
Archivierung, Stv. Bereichsleiterin
nen des EDA. Sie werden ebenfalls im Rah- bedarfsgerecht verbessert und standar­
Logistik, Eidgenössisches Departement men dieser Projekte ausformuliert und von disiert weiterentwickelt wird. 
für auswärtige Angelegenheiten EDA den Führungsverantwortlichen jeder einzel- Das schrittweise Vorgehen  bei der Ein-
baerbel.foerster@eda.admin.ch
nen Organisationseinheit verabschiedet. führung des DMS ermöglicht eine bedarfs-
Die Verantwortlichkeit für die GEVER im gerechte Einführung.  Für die Organisa­
EDA ist durch die Schaffung eines Kompe- tionseinheiten bedeutet dies, dass  sie
tenzzentrums seit dem 1. Januar 2009 den Zeitpunkt der Einführung mitbestim-
zentral geregelt. Dieses Kompetenzzent- men,  vom Wissensvorsprung der Regist-
rum leitet das Einführungsprojekt, berät die raturen profitieren und sicher sein können,
Anwenderinnen und Anwender, konsoli- dass alle Erkenntnisse und Erfahrungen zu
diert die erwähnten Grundlagen und sichert Verbesserungen führen.
Die Einführung von GEVER im EDA-Inland die gesamte Qualität der Aktenverwaltung Das einheitliche Vorgehen bei der Ein­
ist voraussichtlich bis Ende 2011 geplant und Geschäftsverwaltung im EDA. führung in allen Organisationseinheiten ge-
und folgt der flächendeckenden Einfüh- währleistet  ein gemeinsames Niveau, auf
rung des Dokumenten Management Sys- Stand Einführung Dokumenten- das die zweite Stufe der Einführung GEVER
tems (DMS). und Recordsmanagement mit Geschäftsprozessen und Geschäfts-
Die Einführung von GEVER im EDA-Aus- Die Einführung des DMS im EDA bildet die controlling aufbaut. 
land wird erst danach in Betracht gezo- Basis für die Umsetzung des Bundesrats-
gen. beschlusses vom 23. Januar 2008 zur Einführungsmethodik
Die Einführung eines so umfangreichen Einführung der GEVER bis 2011. Das EDA Die Einführungsmethodik im EDA besteht
Systems mit einem direkten Einfluss auf hat in Vorprojekten entschieden, dazu die aus insgesamt vier Komponenten. Vor der
die Tätigkeiten und Arbeitsmethoden der Standardsoftware Fabasoft eGov-Suite Aufschaltung auf das System finden Ein-
meisten Mitarbeitenden hat nebst den CH einzusetzen. führungspräsentationen, Workshops und
technischen Herausforderungen weitge- Bei der Einführung des Dokumentenma- Schulungen statt. Nach der Aufschaltung
hende organisatorische Konsequenzen. nagements liegt der Fokus neben der sys- werden Begleitung und Support gewähr-
Eine erfolgreiche und effiziente Einführung tematischen Erstellung, Bearbeitung und leistet.
benötigt deshalb Grundlagen auf gesetz­ Verwaltung von geschäftsrelevanten, elekt- Die Einführungspräsentation und die
licher, strategischer und operationeller ronischen Dokumenten auf dem Records- Schulung sind für alle Mitarbeitenden
Stufe. Für eine einheitliche Einführung im management. Das bedeutet die Abbildung gleich. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbei-
Departement bedarf es einer zuständigen und Bewirtschaftung eines geschäftsbezo- ter werden dadurch befähigt, das DMS
Organisationseinheit, die mit der Einfüh- genen Ordnungssystems für Verwaltungs- allgemein einzuordnen und die wichtigsten
rung beauftragt wird und die Qualität der und Organisationseinheiten (inkl. Aufbe- für die Einführung notwendigen Grund-
Aktenführung und der GEVER sicherstellt. wahrungs- und Vernichtungsplanung). funktionen der Software zu nutzen. Erst

«eGov Präsenz» 1/10


Praxis – Schweiz 65

Die Einführung des DMS ist der erste


Schritt zur Einführung von GEVER im EDA
und ist bis Ende 2009 abgeschlossen. Mit
der Einführung des DMS im EDA-Inland ist
die Grundlage für die Einführung von GE-
VER gelegt.

Ausblick Einführung GEVER


GEVER wird auf Stufe Bund durch das
Programm GEVER Bund koordiniert. Die
im EDA existierende Anwendungsplatt-
form für DMS entspricht dem Bundesstan-
dard und beinhaltet alle Funktionalitäten
einer GEVER. Ziel der Einführung von GE-
VER wird es sein, diese Funktionalitäten
für das EDA nutzbar zu machen. GEVER
ermöglicht dem EDA eine nachvollziehba-
re und übergreifende Steuerung und Erle-
digung von Geschäften in einem dynami-
schen technischen Umfeld, setzt sich aus
verschiedenen Funktionalitäten zusam-
men und hat Schnittstellen zu anderen
Abbildung 1: Quelle: Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten, Direktion Ressourcen und Applikationen.
Aussennetz, Bereich Betrieb und Logistik, 2009
Diese finden sich vor allem im Bereich
der Aussonderung, das heisst der Ange-
wenn die zwei Module dieser generischen Die zuständige Registratur für die Organi- bote und Ablieferungen an das EDI/­Bun­
Schulung abgeschlossen wurden, werden sationseinheit begleitet die einzelnen Mitar- desarchiv, sowie der Vernichtung aus­
die Mitarbeitenden auf das System aufge- beitenden in den ersten Tagen sehr intensiv, gesonderter Unterlagen. Zunehmende
schaltet.  sodass Fragen umgehend geklärt und Pro- Bedeutung erlangt der Bereich der Colla-
Im Workshop werden die Anwendungs- bleme gelöst werden können und sie ihre boration, das heisst eines Dokumenten-
grundsätze für die Einführung des DMS tägliche Arbeit «hands-on» erlernen.  Auf managements mit hoher Flexibilität. Das
erarbeitet. Diese sind  organisationsspezi- diese Weise können die Mitarbeitenden Er- EDA verfügt über verschiedene Plattfor-
fisch und dienen als konkrete Grundlage fahrungen mit der Nutzung des Systems men dieser Art. Die Definition von Stan-
für die Einführung in der einzelnen Organi- und mit den Abläufen in ihrer täglichen Ar- dardschnittstellen sollte angestrebt und in
sationseinheit. beit sammeln. Danach sind die Mitarbeiten- die Anwendungsapplikationen implemen-
Nach der Aufschaltung kommen die den der Kanzleien die direkten Ansprech- tiert werden.
Supportstrukturen zum Tragen. Diese ge- stellen für alle DMS-relevanten Fragen (1st Bei der Einführung von GEVER liegt der
währleisten den Benutzenden eine beglei- Level Support) und werden diese beantwor- Fokus im Bereich Workflow/Business Pro-
tete erste Anwendungsphase und danach ten, weiterbearbeiten oder wenn nötig wei- cess Management (Prozessführung), das
eine laufende Unterstützung. terleiten (2nd Level Support). heisst der systematischen Steuerung und
Überwachung von Geschäftsprozessen.
Bei der Einführungsmethodik werden
zwei Arten von Prozessen unterschie-
den. Die organisationsübergreifenden Ge-
schäftsprozesse mit hoher strategischer
Bedeutung für Departement/Direktion
wer­den definiert und standardmässig ein-
gesetzt, um Nachvollziehbarkeit und
Trans­­parenz bestmöglich zu sichern. Die
organisationsinternen Geschäftsprozesse
mit hoher operationeller Bedeutung für
einzelne Benutzergruppen entstehen nach
Bedarf und zeichnen sich durch Flexibilität
und Selbstverantwortung aus. Bei den or-
ganisationsübergreifenden Geschäftspro-
zessen erfolgt eine enge Zusammenarbeit
mit dem Projekt «Überdepartementale Ge-
schäftsprozesse» des Programms GEVER
Bund, da es sich hier um zentrale Prozes-
se bei Bundesratsgeschäften und Ämter-
konsultationen handelt.
Entsprechend zum DMS wird GEVER im
EDA über ein Projekt in verschiedenen
Phasen (HERMES) eingeführt.
Abbildung 2: Bundeskanzlei, Programm GEVER Bund, 2009

«eGov Präsenz» 1/10


66 Praxis – Schweiz

Dokumentenmanagement und Langzeit­


archivierung – es besteht Handlungsbedarf
Rudolf K. Spiess und Isabelle Grünig

Der Einsatz von Computern im Bürobe- gingen, ohne diese mit neuen zu ersetzen. Faxservern sowie der Konvergenz zwi-
reich ist längst eine nicht mehr wegzu- Denken wir dabei an das frühere Erstellen schen Computer- und Telekommunika­
denkende Tatsache. Vergessen sind die von Briefkopien mittels einer vorgegebe- tionssystemen muss man davon ausge-
alten Zeiten, als Büroangestellte sich nen Anzahl von Durchschlägen, teils in hen, dass eine Papierablage nicht mehr
noch gegen die Einführung neuer Techno- verschiedenen Farben, wobei jeder Farbe eine vollständige Geschäftsdokumenta­
logien wehrten und sich für den Erhalt eine bestimmte Funktion zugewiesen wur- tion aufweist. Alte Regeln funktionieren
ihrer Schreibmaschinen und der ersten de: die weisse Kopie ins Kundendossier, nicht mehr, und neue sind noch ungenü-
Textautomaten mit Zeilendisplay ein- die gelbe ins Archiv, die blaue zur Informa- gend! Der Handlungsbedarf ist ausgewie-
setzten. Täglich, stündlich, beinahe schon tion an die Direktion. Und heute? Wir müs- sen. Doch was ist zu tun?
im Minutentakt produzieren wir Doku- sen wieder klare Regeln definieren, nach
mente, Briefe, Protokolle, Aktennotizen, denen Daten gezielt aufzubewahren, zu ECM als Lösungsansatz
elektronische Nachrichten – und all dies vernichten oder im Langzeitarchiv zu ar- Unter dem Begriff Enterprise Content Ma-
landet nicht nur als Originaltext beim chivieren sind. nagement (ECM) fassen wir das Bewirt-
betreffenden Empfänger, sondern als schaften von Dokumenten und Daten über
erster Entwurf, überarbeitete Version, Gespeichert ist nicht archiviert den Entstehungs- oder Erfassungspro-
Originaltext und Orientierungskopie bei Weitverbreitet ist die Meinung, abgespei- zess bis zur definitiven Archivierung zu-
verschiedensten Adressaten, natürlich cherte Dokumente und Daten seien gut sammen. Im Rahmen einer ECM-Strategie
elektronisch, als digitales Dokument, das aufbewahrt und schon so gut wie archi- hat die IKT-Abteilung der Stadt Biel damit
von allen in ihren jeweiligen Filesystemen viert und die modernen Suchmöglichkei- begonnen, eine ECM-Plattform im Re-
sorgfältig abgespeichert wird. ten würden auch bei ungeordneter elekt- chenzentrum bereitzustellen. Darauf wer-
ronischer Ablage das Auffinden den erste ECM-Teilprojekte realisiert, wie
Rudolf K. Spiess garantieren. Da man ja mehr als nötig ab- etwa die bereits vor einigen Jahren einge-
Leiter Informatik und Logistik
Stadt Biel
gespeichert hat, wird man sicher irgendet- führte elektronische Archivierung von
rudolf.k.spiess@biel-bienne.ch was wieder finden. Ob das aber der recht- ERP-Daten im Rechnungswesen. Gegen-
mässigen Nachvollziehbarkeit eines wärtig wird ein Projekt für die elektroni-
Geschäfts genügt? Die Anforderungen an sche Archivierung der E-Mails realisiert.
die «Compliance», an die Gesetzeskonfor- Daneben laufen Projekte für die Einfüh-
Isabelle Grünig mität, werden tendenziell steigen. Hinzu rung einer Geschäftskontrolle und das Do-
Stellvertretende Leiterin Informatik und
Logistik
kommt, dass viele abgespeicherte Doku- kumentenmanagement.
Gesamtleiterin ECM-Projekte mente beliebig weiter veränderbar sind. Bei allen ECM-Vorhaben wird deutlich,
Stadt Biel Die Schlussfolgerung ist bitter, aber klar: dass es sich nicht lediglich um technolo-
isabelle.gruenig@biel-bienne.ch
Die elektronischen Speichermöglichkeiten gisch anspruchsvolle Projekte handelt,
erwecken bei vielen Computeranwende- sondern der organisatorischen Seite und
rinnen und -anwendern den irrtümlichen der Gestaltung des Geschäftsprozesses
Eindruck, ihre Dokumente und Daten grosse Bedeutung zugemessen werden
­seien elektronisch archiviert; die willkürli- muss.
Der Weg ins Chaos che Abspeicherung kann allerdings weder Mit der ECM-Plattform sind wir tech-
Die vermeintlich lückenlose Abspeiche- die Anforderungen der gesetzlichen Auf- nisch in der Lage, Abteilungen, denen ihre
rung ist in Tat und Wahrheit ein Chaos. bewahrungsfrist noch diejenige der histo- Fachanwendung keine entsprechende
Entdeckt wird dies, wenn es darum geht, rischen Langzeitarchivierung erfüllen. Funktionalitäten zur Verfügung stellt, ein
einen Geschäftsvorfall nach einiger Zeit Dokumentenmanagementsystem, work-
wieder zu rekonst­ruieren. Welches war Auch die Papierablage genügt flowunterstützt und dossierorientiert, zur
nun eigentlich das Original? Welches die nicht mehr Kontrolle ihrer Geschäfte anzubieten. Ein-
gültige Version? Wie kann die Nachvoll- Seit 2006 können auch elektronische Da- zelnen Abteilungen auf ihren Fachbereich
ziehbarkeit der Geschäftsprozesse sicher- ten als gerichtliche Beweisstücke gelten. zugeschnittene Lösungen zur Verfügung
gestellt werden, unter Berücksichtigung Trotzdem gilt beispielsweise in der Verwal- zu stellen, genügt allerdings nicht. Zahl­
der Tatsache, dass nebst den erwähnten tung der Stadt Biel nach wie vor die ge- reiche Geschäfte werden von mehreren
Dokumenten auch ein Mailverkehr, eine setzliche Aufbewahrung in Papierform. Abteilungen bearbeitet, weshalb die
per Chat übermittelte Antwort oder ein Te- Sind wir damit auf der sicheren Seite und Workflowunterstützung übergreifend den
lefongespräch von Bedeutung sein kann? genügend «compliant»? Keineswegs! ganzen Geschäftsprozess erfassen muss.
Die Entwicklung weg von alten Aufbe- Längst decken Papierdokumente einen Wie wollen wir dies erreichen?
wahrungs- und Informationsregeln hin Geschäftsprozess nicht mehr vollumfäng- Die IKT-Strategie der Stadtverwaltung
zum Einsatz neuer Computertechnologien lich ab. Mit den heute gängigen elektroni- sieht vor, dass die Anforderungen an die
vollzog sich schleichend. Und es wurde schen Kommunikationsmitteln wie E-Mail, Unterstützung der Geschäftsprozesse mit
kaum beachtet, dass alte Regeln verloren elektronischer Kurznachricht (SMS) oder den Funktionalitäten der ECM-Plattform

«eGov Präsenz» 1/10


Praxis – Schweiz 67

waltung Gültigkeit besitzen, zu erarbeiten


sowie die notwendigen Richtlinien zum
Umgang mit elektronischen Akten zu er-
lassen. Voraussetzung ist, dass bereits bei
der Erstellung eines Dokumentes die Attri-
bute zu dessen Lebenszyklus hinterlegt
werden; nur so kann eine kontrollierte In-
formationsverdichtung sichergestellt wer-
den.
Auf lange Sicht werden wir dem Daten-
chaos einzig begegnen können, wenn wir
sicherstellen, dass alle geschäftsrelevan-
ten Dokumente und Daten den entspre-
Abbildung 1: Informationsverdichtung mit Aufbewahrungsplan chenden Geschäften und dem stadtwei-
ten Ordnungssystem – versehen mit
zu erfolgen hat – technische Machbarkeit schäftsrelevanten Daten zu formulieren, grundlegenden Metadaten – hinterlegt
und Wirtschaftlichkeit vorausgesetzt: welche die heutige Arbeitsweise und die sind, auch wenn diese in dedizierten
Die Kernprozesse der Verwaltung sollen elektronische Unterstützung der Ge- Fachapplikationen erstellt und verwaltet
integriert und medienbruchfrei unterstützt schäftsprozesse berücksichtigen. Da die werden.
werden können. Eines wird klar: Das Ver- Arbeitsweise morgen wahrscheinlich be- Mit dem Projekt Mailarchivierung ma-
ständnis für ein Geschäft darf nicht an der reits nicht mehr der heutigen entspricht, chen wir einen ersten Schritt in die richtige
Abteilungsgrenze enden, sondern muss besteht an die neuen Regelungen der An- Richtung. Das Vorhaben stellt einen
auf den gesamten Prozess ausgedehnt spruch eines stadtweiten Orientierungs- «Quick Win» dar, von dem die gesamte
werden – Umdenken ist gefragt! und Ordnungssystems, das zugleich Verwaltung profitieren kann. Geschäftsre-
Dabei muss auch sichergestellt werden, fle­xibel und skalierbar und somit zukunfts- levante E-Mails können bald revisionssi-
dass über die Bewirtschaftung von geeig- tauglich ist. cher archiviert werden – Auslagerungen in
neten Metadaten elektronisch aufbewahr- Die Autonomie der Fachabteilungen bei PST-Dateien oder das willkürliche Löschen
te Dokumente und Daten im Verlauf ihrer der Festlegung ihrer Registraturpläne und bei Überschreitung der Postfachlimite soll
Lebensdauer systematisch aufbewahrt, die noch aus der Karteikastenzeit vertrau- der Vergangenheit angehören. Das Vorha-
verdichtet und gelöscht werden, sodass te, organisationsorientierte Bearbeitung ben ist zurzeit noch nicht auf Compliance
letztendlich die historisch relevanten Ob- von Geschäften sind dabei eine zusätzli- fokussiert – die datenschutzrechtlichen
jekte für das Stadtarchiv übrig bleiben. che Herausforderung. Anforderungen wie auch fehlende Zertifi-
Im Rahmen der Einführung einer neuen kate sind momentan in Diskussion.
Wie gehen wir vor? Softwarelösung für die Geschäftsverwal-
Nebst dem Bereitstellen der technischen tung der Stadtkanzlei werden wir diese Ausblick
Infrastruktur und der Realisierung einzel- Thematik intensiv bearbeiten. Es gilt, ei- Das Managen von Dokumenten – oder in
ner Teilprojekte im Rahmen von «Quick nen allgemein gültigen Registraturplan zu deutscher Sprache: das Bewirtschaften
Wins» gilt es in erster Linie, neue Regeln definieren, die zwingend notwendigen Me- von Briefen, Protokollen, Berichten und
und Richtlinien zum Umgang mit ge- tadaten, die als Kern für die gesamte Ver- Verfügungen – sowie das Aufbewahren
dieser Dokumente im Verlaufe der Zeit,
von der kurzfristigen Verfügbarkeit über
die geschäftsrelevante, gesetzliche Abla-
ge bis zur historischen Aufbewahrung,
wird für die IKT-Verantwortlichen wie für
die Fachabteilungen unserer Verwaltung
eine nicht zu unterschätzende Herausfor-
derung für die nächsten Jahre. Durch die
elektronische Bearbeitung entstehen eine
neue Komplexität wie auch neue Chan-
cen. Geschäftsprozesse können dank der
verfügbaren IKT übergreifend, ganzheit-
lich, orts- und medienunabhängig analy-
siert und dargestellt werden. Verlangt ist
aber auch, alte, eingespielte Geschäftsab-
läufe zu überdenken und neu zu gestalten.
ECM-Strategien sind nur längerfristig um-
setzbar. Mit der ausgearbeiteten Strategie
sind die grundlegenden Leitplanken ge-
setzt; mit den ersten Teilprojekten, der
Mailarchivierung, der Geschäftskontrolle
für die Legislative im Ratssekretariat und
dem bevorstehenden Projekt in der Stadt-
kanzlei stehen wir in der Bieler Stadtver-
waltung am Anfang eines längerfristigen
Abbildung 2: ECM-Architektur Prozesses.

«eGov Präsenz» 1/10


68 Praxis – Schweiz

So führte das Bildungsdepartement des


Kantons Aargau die elektronischen
Beurteilungsinstrumente im PDF-Format ein
Guido Hauller, Beat Steiner

Mit der Einführung der neuen Verordnung tions­verordnung ermöglicht es, die sich Das Projektteam um Guido Hauller, IT-
über die Laufbahnentscheide an der verändernden gesellschaftlichen Ansprü- Leiter Departement BKS Kanton Aargau,
Volksschule (Promotionsverordnung) che aufzugreifen und umfassend zu re- war schliesslich von der Eleganz der jetzt
werden im Kanton Aargau ab dem geln. Auf dem Hintergrund der neuen umgesetzten Lösung besonders angetan.
Schuljahr 2010/11 die herkömmlichen ­gesetzlichen Bestimmungen hat das De- Das Projektteam fand es überzeugend,
Zeugnisse durch elektronische Beurtei- partement BKS ein umfassendes Set von dass die Anwenderinnen und Anwender
lungsinstrumente abgelöst. Dabei suchte Beurteilungsinstrumenten ausgearbeitet, nur zwei frei zugängliche Produkte2 auf ih-
das Departement Bildung, Kultur und das einer ganzheitlichen und förderorien- ren Systemen installieren müssen respek-
Sport (BKS) nach einer elektronischen tierten Beurteilung gerecht wird und tive auf breiter Basis schon nutzen.
Lösung, die den Umgang mit den gleichzeitig elektronisch umgesetzt wer- Die Einfachheit dieser Lösung ist beste-
verschiedenen neuen Beurteilungsinstru- den soll. Dafür gab es zahlreiche Vorga- chend, denn die beiden Produkte gibt es
menten erleichtert, den Datenschutz ben, sowohl von politischer als auch von für nahezu jede Systemumgebung. Sie ga-
gewährleistet und ein einheitliches technischer Seite. rantieren ein einheitliches Erscheinungs-
Erscheinungsbild aufweist. Eine elegante So mussten beispielsweise der Daten- bild und können in den meisten Fällen von
Lösung überstand das Evaluationsverfah- schutz und ein einheitliches Erscheinungs- den Anwendenden selbstständig installiert
ren. Diese setzt bei den Nutzerinnen und bild gewährleistet sein. Darüber hinaus werden. Damit konnte das Projekt von der
Nutzern keine Softwareinstallation galt es, die Anforderungen an die Informa- komplexen Aufgabe der Softwarevertei-
voraus.1 tikinfrastruktur der Schulen und Lehrper- lung im heterogenen Schulumfeld ent­
sonen möglichst minimal zu halten und lastet werden.
Guido Hauller alle aktuell üblichen Betriebssysteme zu
Leiter Informatik, Departement Bildung,
Kultur und Sport des Kanton Aargau
unterstützen. Im Unterschied zu den meis- Dynamische PDF-Formulare
guido.hauller@ag.ch ten Unternehmen ist der Mac in den Schu- In einem ersten Schritt konsolidierte das
len nach wie vor etabliert und wird nebst Projektteam in enger Zusammenarbeit mit
den üblichen Windowsprodukten häufig den Fachpersonen die vorgegebenen
eingesetzt. Eine weitere Anforderung er- 25  Beurteilungsinstrumente zu wenigen
Beat Steiner gab sich aus genau diesem Umstand: Die Haupttypen. Innerhalb dieser werden die
Co-Founder Ajila AG
beat.steiner@ajila.ch
Daten der Schülerinnen und Schüler soll- Inhalte jeweils aufgrund der Eingabedaten
ten einfach importiert werden können. Die dynamisch angepasst, sodass für jede
künftige Lösung sollte zudem leicht zu be- Stufe und jeden Typ die massgeschnei-
dienen sein. Plausibilitätskontrollen unter- derten Formulare generiert werden kön-
stützen Lehrpersonen, da dadurch bereits nen. Ausgangsbasis bildet eine Schüler­
bei der Erfassung Fehleingaben erkannt liste im Tabellenformat. Die so erzeugten
und vermieden werden können. Aufgrund Formulare können mit jedem Adobe Rea-
der aktuellen Belastungssituation der der ab Version 8 interaktiv ausgefüllt wer-
Lehr- und Schulleitungspersonen musste den. Zusätzlich wurden Funktionen zur
Wie Leistungen in der Schule beurteilt und zudem der Weiterbildungsaufwand mög- Speicherung und zum Drucken der For-
ausgewiesen werden sollen, ist ein The- lichst gering gehalten werden. mulare eingebaut. Dies minimiert den
ma, das von jeher beschäftigt. Die einseiti- ­Änderungs- und Wartungsaufwand und
ge Abbildung der Leistungen durch das Heterogene Umgebung garantiert für alle Schulen im Kanton ein-
herkömmliche Notenzeugnis wird den An- Eine besondere Herausforderung stellte heitliche, stets aktuelle Formulare.
sprüchen von Lehrpersonen, Erziehungs- nicht nur die Menge der betroffenen und Die dynamischen, interaktiven PDF-For-
berechtigten sowie Institutionen und künf- beteiligten Personen dar (75 000 Schü­ mulare wurden mit Adobe LiveCycle Desi-
tigen Lehrbetrieben heutzutage nicht mehr lerinnen und Schüler, 7500 Lehrperso- gner erstellt. Bei dieser WYSIWYG-An-
vollumfänglich gerecht. Daher werden im nen, 25 Beurteilungsdokumente), sondern wendung (What you see is what you get)
täglichen Unterricht vermehrt Beobach- auch die heterogene Systemlandschaft werden die benötigten Elemente aus einer
tungsbögen, Lerntagebücher oder Förder- sowie die sehr unterschiedlichen EDV- Bibliothek direkt in das Formular gezogen.
planungen eingesetzt, um die Schülerin- Kenntnisse der Lehrpersonen. Zur Evalua- Es werden Java-Bibliotheken zur Verfü-
nen und Schüler beurteilen und fördern zu tion einer geeigneten Lösung, die die gung gestellt, aus denen modulartig die
können. Sie bilden auch die Grundlage für grösstmögliche Flexibilität und operatio- benötigten Komponenten ausgewählt und
geeignete Entwicklungsmassnahmen. nelle Selbstständigkeit der Schulen garan- im Bedarfsfall mit eigenen Java-Scripts­
Ab dem Schuljahr 2010/11 tritt im Kan- tiert, kontaktierte das BKS verschiedene ­ergänzt werden können. Bei der BKS-
ton Aargau eine neue Verordnung über die Anbieter und liess auf der Basis der grund- Lösung wurden die Module «Forms»
Laufbahnentscheide an der Volksschule in legenden Anforderungen einen Konzept- (überträgt Daten ins PDF) und «Reader
Kraft. Die Einführung der neuen Promo­ entwurf (Proof of Concept) erstellen. Extensions» eingesetzt. Alle Komponen-

«eGov Präsenz» 1/10


Praxis – Schweiz 69

ten dieser Java-Bibliothek sind J2EE-kon-


form und entsprechen der kantonalen IT-
Strategie.3

Keine zentrale Speicherung


Nach der Strukturierung und Gestaltung
der Formulare wurde ein zentraler Web-
service aufgebaut, um den Benutzerinnen
und Benutzern einen direkten Zugriff auf
die neuen Beurteilungsinstrumente zu er-
möglichen. Im Gegensatz zu den bisher
üblichen Formularen werden so die For-
mulare nach Bedarf generiert und den An-
wenderinnen und Anwendern übermittelt:
Jedes einzelne Formular ist ein Unikat. Die
Benutzerinnen und Benutzer können über
den Link www.ag.ch/schulzeugnisse die
browserbasierte Schnittstelle aufrufen. Die
Eingabemaske präsentiert sich als moder-
ne Web-2.0-Anwendung und kann direkt
auf die Eingaben der Benutzerinnen und Abbildung 1: Schülerdaten werden im Service hochgeladen und im Browser4 visualisiert. Die Lehrperson kann diese
Benutzer reagieren. So werden zum Bei- Daten bearbeiten
spiel bereits mit dem Hochladen der
Schülerliste die Angaben ein erstes Mal
plausibilisiert und nicht logische Daten- Daten gesichert sind. Einzig die Lehrper- Bezug auf die Sachkompetenz stellten die
kombinationen (Alter – Schulstufe) mar- sonen oder die Schulleitungen haben die Testpersonen fest, dass der Unterricht in
kiert. Die Korrektur ist direkt im Browser- Möglichkeit, die Beurteilungen der Schüle- positiver Art und Weise beeinflusst wurde,
fenster möglich. rinnen und Schüler gesamthaft einzuse- die Erweiterungsfächer mehr Gewicht er-
Sobald die Daten der Schülerliste kor- hen oder zu verändern. hielten und die Fachlehrpersonen besser
rekt sind, können die Benutzerinnen und Die Schnittstellen zum Webservice und ins Team integriert werden.
Benutzer wählen, ob sie Einzelformulare zur Webanwendung sind offengelegt und Die Rückmeldungen zur technischen
pro Schülerin und Schüler generieren können von Schuladministrationsanbie- Lösung sind positiv. Vor allem wird be-
möchten oder ob eine Erfassungsliste für tern genutzt werden, indem sie direkt von grüsst, dass die bisherigen Strukturen
die Beurteilung pro Klasse erstellt werden ihren Programmen aus auf diese Services nicht grundlegend verändert werden müs-
soll. Mit der Erfassungsliste erhalten die zugreifen können. Die Schülerliste wird in sen und die BKS-Lösung offenlässt, mit
Lehrpersonen ein einfaches Instrument, der Regel manuell hochgeladen, während welchen Partnern, Anbietern und Lösun-
mit dem sie in der gewohnten Matrixform die Schnittstelle von den Erfassungslisten gen die Schule arbeitet. Dank dem identi-
die Noten einer ganzen Klasse effizient er- (Schülerliste inkl. der Beurteilungen) zur schen Erscheinungsbild der Formulare auf
fassen können. Direkt aus diesen Listen Generierung der Einzelformulare nach dem Bildschirm und in gedruckter Form
lassen sich dann wiederum die Einzelfor- dem SOAP-Standard aufgebaut ist. fanden sich die Benutzerinnen und Benut-
mulare generieren. Sie werden als ZIP- Damit konnten wichtige Rahmenbedin- zer sofort zurecht. Es kann intuitiv mit der
Datei mit jeweils einem Formular pro gungen erfüllt werden. Zum Beispiel kann Lösung gearbeitet werden. Der Schu-
Schülerin und Schüler als Download zu- die Schule weiterhin mit der gewohnten lungsbedarf ist minim.
rückgegeben. Organisationsstruktur arbeiten und den Wie bei allen neuen Informatiklösungen
Die Lehrpersonen entpacken anschlie- Webservice als Ergänzung in ihre bisheri- hatten auch die verantwortlichen Mitarbei-
ssend diese Archivdatei in ein lokales Ver- ge Schuladministration einbauen. Die Ver- terinnen und Mitarbeiter des BKS mit ver-
zeichnis ihrer Wahl und erhalten so eine antwortung für die Erstellung der Beurtei- schiedenen Schwierigkeiten zu kämpfen.
Sammlung aller Beurteilungsausweise ih- lungsausweise bleibt so vollumfänglich bei Die technischen Möglichkeiten liessen
rer Klasse. Selbstverständlich kann diese den Lehrpersonen und den Schulen. nicht immer die optimalen Benutzerfunk­
Datei auch archiviert werden. Die Schuladministrationsanbieter haben tionen zu. Dank der guten Unterstützung
Allfällige kurzfristige Korrekturen bei der zudem die kompletten Gestaltungsrichtli- der externen Spezialistinnen und Spezia-
Beurteilung oder individuelle Bemerkun- nien und inhaltlichen Regelungen erhalten, listen wurde aber immer eine Ausweich­
gen können direkt im Einzelformular er- mittels deren sie ihre Systeme ebenfalls an lösung gefunden.
fasst werden. Die Formulare können durch die aargauischen Formulare anpassen
1 Die erforderlichen Programme «Adobe Reader» und
die Lehrpersonen vor Veränderungen ge- können.
«Adobe Flash Player» sind auf den meisten PCs
schützt werden. standardmässig installiert.
Mit dem bewussten Verzicht auf die Mit neuer Lösung sofort 2 Adobe Flash Player und Adobe Reader.
3 Weitere eingesetzte LiveCycle-Komponenten sind der
zentrale Speicherung von Schüler- und produktiv Flash-Player (zur Interaktion via Webseite als eine Art
Beurteilungsdaten konnte das Problem Im Schuljahr 2008/09 wurden die elektro- Web-2.0-Applikation), Adobe Reader (Benutzeranwen-
dung zur Betrachtung, Bearbeitung und Speicherung
des Datenschutzes bei Persönlichkeits- nischen Beurteilungsinstrumente einer der erzeugten interaktiven PDF-Formulare), sowie die
profilen aus dem Weg geräumt werden. Evaluation unterzogen. Besonders die LiveCycle Enterprise Suite.
Die Übertragung der Daten von der Ar- ganzheitliche Beurteilung der Lernenden 4 Adobe Flash Player.

beitsstation der Lehrperson auf den Ser- wurde dabei im Zwischenbericht hervor-
ver und wieder zurück auf die Arbeitsstati- gehoben, der nun auch die Selbst- und
on wird verschlüsselt, damit auch dort die Sozialkompetenz ausweist. Aber auch in

«eGov Präsenz» 1/10


70 Praxis – Schweiz

Von elektronischen Urkunden zu


elektronischen Justizarchiven
Adrian Blöchlinger

Mit den elektronischen Bestell- und Der elektronische, signierte Die neuen elektronischen Dienstleistun-
Lieferprozessen im Strafregister wurden Strafregisterauszug als Dienst- gen schaffen eine klassische Win-win-Si-
am 1. September 2009 erstmals qualifi- leistung für Private tuation. Kundinnen und Kunden, die ihre
ziert signierte Strafregisterauszüge in Strafregisterauszüge werden der Bürgerin Bestellung elektronisch signiert bis zwölf
öffentliche Zirkulation gebracht und und dem Bürger aufgrund einer unter- Uhr mittags übermitteln, können ihren
haben vielerorts Irritation und Staunen schriebenen schriftlichen Bestellung der elektronischen, signierten Auszug noch
verursacht. Empfänger dieser ersten betroffenen Person (Ermächtigung) vom am gleichen Tag beziehen. Alle anderen
elektronischen Urkunden sind Bürge- Bundesamt für Justiz in einem zentralen Kundinnen und Kunden werden durch die
rinnen und Bürger, Unternehmen und Prozess ausgestellt. Der Bestellung muss effizienteren Prozesse ebenfalls wesent-
Behörden im In- und Ausland. eine Ausweiskopie beigelegt werden, da- lich rascher beliefert.
Der Nutzen elektronischer, signierter mit die Personendaten feststehen, nach Das Bundesamt für Justiz hat sein öko-
Strafregisterauszüge liegt im Zeitgewinn denen im Register gesucht werden soll. nomisches Primärziel vollumfänglich er-
bei der Lieferung und der nachfolgenden Von 2006 bis 2009 wurden die Bestell- reicht. Es kann mit weniger Personal ein in
Weiterleitung zu den Endempfängern, und Lieferprozesse des Strafregisters von den letzten Jahren stark angestiegenes
den Behörden und Unternehmen. Hand ausgefüllten Formularen auf elektro- Volumen zeitgerecht verarbeiten, da alle
Die Erkenntnis dieser praktischen nische Formulare umgestellt. Die von der Bestellungen intern gleich und ohne Ma-
Arbeiten ist, dass nicht die elektronische digitalen Kluft Betroffenen – oft des Le- nualerfassung automatisiert verarbeitet
Signatur, sondern das elektronische, sens und Schreibens in den Landesspra- werden können.
signierte Dokument mit seinen, im chen kaum mächtig – erhielten durch eine
Vergleich zum Papierdokument, speziel­ neue Möglichkeit des Bestellens an 1800 Open eGov – modulare
len Eigenschaften und Möglichkeiten im Poststellen eine grosse Hilfestellung. Technologie rund um das
Vordergrund steht. Eine weitere Erkennt- Seit September 2009 können Kundin- digitale Dokument
nis ist, dass nur ein leistungsfähiges nen und Kunden, die über www.strafregis- Das sekundäre Ziel des Bundesamts für
zentrales Validierungssystem das Ver­ ter.admin.ch online bestellen, ihre Bestel- Justiz war, im Massenprozess Strafregis-
trauen in elektronische, signierte Doku- lung neu auch elektronisch signieren und terauszug mit seinen immerhin 1200 bis
mente und Urkunden herbeizuführen zusammen mit einer elektronischen (ein- 1500 Einheiten pro Tag, die digitale Signa-
vermag und damit Akzeptanz erzeugt. gescannten) Ausweiskopie an das Strafre- tur eingangs- wie auch ausgangsseitig in-
Dies zeigen auch die Rechtsetzungsar- gister übermitteln, sofern sie über ein Zer- klusive einer endkundentauglichen ver-
beiten der laufenden ZGB-Revision mit tifikat auf einer Signaturkarte verfügen. Mit schlüsselten Zustellung zu integrieren.
den darin vorgesehenen elektronischen der sogenannten SuisseID, die 2010 über Dies unter der strikten Auflage, dass da-
Ausfertigungen von notariellen Urkunden das Konjunkturpaket 3 realisiert werden durch weder ein interner Mehraufwand bei
(Schlusstitel 55 und zugehörige Verord- soll, werden auch die gesicherten Perso­ der Abwicklung der Bestellungen noch
nung), die nun den Anlass schaffen, nendaten der Bestellerin oder des Bestel- eine Erhöhung des Zeitaufwandes beim
konkret auch über den Aufbau elektro- lers in elektronischer Form übergeben Kundensupport resultieren dürfe. Dies ist
nischer Dokumentenverzeichnisse und werden können. Damit fällt das Erfordernis ebenfalls gelungen.
Archive nachzudenken. weg, eine eingescannte Ausweiskopie mit Die dazu erforderliche Technologie sollte
Ein erstes Archiv für elektronische, einliefern zu müssen. einfach, benutzerfreundlich und in einer
signierte Publikationen wurde vom Art entwickelt, modularisiert und wieder-
Schweizerischen Handelsamtsblatt Die digitale Urkunde verwendbar gemacht werden, damit sie
(SHAB), in Zusammenarbeit mit der erstmals in einer Modell­ auch für den elektronischen Geschäfts­
Schweizerischen Nationalbibliothek, in applikation realisiert verkehr von Notariat, Anwaltschaft, Un­ter­
aller Stille bereits aufgebaut und setzt Gleichzeitig wurde im September 2009 nehmen und Privatpersonen mit ­Re­­gis­tern,
erste Lösungen zur kryptografischen auch der elektronische, qualifiziert sig­ Gerichten und anderen Ver­waltungs­
Langzeitsicherung im Bereich elektro- nierte Strafregisterauszug eingeführt. Ein behörden eingesetzt werden kann. Das
nischer, signierter Publikationen um. solcher kann im Online-Bestellprozess Set dieser Module wurde unter dem Na-
wahl­weise anstelle des bisherigen hand­ men Open eGov1 zusammengefasst und
Adrian Blöchlinger signierten, auf Spezialpapier gedruckten steht grösstenteils unter GPL-Lizenz als
Fachbereich Rechtsinformatik
Bundesamt für Justiz
Auszuges geordert werden. Der elektroni- sogenannte Open-Source-Anwendungen
adrian.bloechlinger@bj.admin.ch sche, signierte Strafregisterauszug wird den Behörden unentgeltlich zur Verfü-
verschlüsselt auf der sicheren Zustellplatt- gung. Damit kann nun kostengünstig eine
form des Strafregisters (basierend auf erste Generation von elektronischen Pro-
dem Open eGov Document Delivery Ser- zessen realisiert werden, unter anderem
vice) bereitgestellt, von wo er von der Kun- auch der Auftrag A1.07 des Leistungska-
din, vom Kunden gegen Eingabe seines talogs der E-Government-Strategie an das
Passwortes entschlüsselt und bezogen Bundesamt für Justiz, alle relevanten Do-
werden kann. kumente und Urkunden des Justizbe-

«eGov Präsenz» 1/10


Praxis – Schweiz 71

reichs in elektronischer, signierter Form natur nicht vollständig validieren und be- schriebenen, vielleicht noch mit Stempel
verfügbar zu machen. zeichnet sie deshalb als ungültig. Damit eines Notars oder einer Behörde verse-
kann kein Vertrauen in das empfangene henen Papierurkunde und einer elektroni-
Open Source Teamwork Dokument entstehen und die Empfänge- schen, (qualifiziert) signierten Urkunde:
begründet von Bundesamt für rinnen und Empfänger blicken ratlos auf Die handsignierte Papierurkunde gibt es
Justiz und SECO den Bildschirm. im Original genau ein Mal, und Fotokopien
E-Government erfordert Investitionen, die sind vom Original meist unterscheidbar.
sich von einer einzelnen Behörde aus Die sechs Stufen Das Original kann physisch zurückgerufen
ökonomisch kaum rechtfertigen lassen. der Dokumentenvalidierung und nötigenfalls gegen eine korrigierte
Die Prozessvolumen der einzelnen Appli- Die Validierung von Unterschriften umfasst Version ausgetauscht werden. So ge-
kationen in der hoch fragmentierten insgesamt sechs Stufen. Die ersten drei schieht dies auch im Strafregister, wenn
schweizerischen Verwaltung sind meist können mit dem originalen Adobe Acrobat es sich herausstellt, dass jemand zu Un-
gering, die bereitgestellten Angebote auf Reader abgedeckt werden: recht einen sogenannten Nullauszug ohne
Basis von neuen Technologien werden 1. Wurde das Dokument seit der Unter- Vorstrafen erhalten hat.
von Unternehmen und Privatpersonen zeichnung verändert? Bei elektronisch ausgestellten Strafre-
vorerst nur wenig genutzt, und es ist nur 2. Ist das Unterzeichnerzertifikat im Zeit- gisterauszügen ist der physische Rückruf
in seltenen Fällen möglich, einen her- punkt der Überprüfung gültig? Wenn
kömmlichen Prozess vollständig durch ei- nein, war es zum Zeitpunkt der Unter-
Open eGov News
nen Onlineprozess zu ersetzen. Es ist zeichnung gültig (damals nicht abge- Das Freeware-Produkt Open eGov LocalSigner
deshalb gerade im Bereich des E-Govern- laufen oder revoziert)? wurde in der Zwischenzeit mit der Version 2.1.0
ment ökonomisch sinnvoll, die meist ho- 3. ist eine bei der Signatur eingebettete zu einer Multi-Plattform-Lösung weiterentwickelt,
hen Entwicklungskosten über sogenann- Zeitstempelunterschrift gültig? die nun alle Windows-Betriebssysteme ab XP,
tes Community Development und Budget Denn nur mit einem externen Zeitstem- Mac OS, Linux und Solaris unterstützt. Die
Pooling gemeinsam zu finanzieren und die pel kann bezüglich der Gültigkeit des Produkte LocalSigner, BatchSigner für das
automatische, blinde Signieren (Massensignatur)
Produkte und Services dann als Open Unterzeichnerzertifikats im Zeitpunkt
und der DocSigner Service (Java Applet) für das
Source weiteren Interessierten zur Verfü- der Unterzeichnung eine klare, beweis-
Signieren in Webprozessen basieren auf einer
gung zu stellen. bare Aussage gemacht werden. Bei gemeinsamen Library, die auch direkt in fremde
langlebigen, später zu archivierenden Programme eingebunden werden kann.
Das elektronische, signierte Dokumenten ist somit eine eingebette-
Dokument – ein noch unbe- te Zeitstempelunterschrift unerlässlich, Grosse Fortschritte hat auch der Document
kanntes Wesen was vielerorts noch nicht erkannt ist. Delivery Service (DDS) gemacht. Die Basiskom-
Über das PDF-Dokument kann ein elekt- Mit dem Adobe Acrobat Reader kann ponente für eine verschlüsselte Zwischenspei-
cherung (Store) und sichere Übermittlung wurde
ronisches Abbild des Papierdokumentes nicht überprüft werden:
um die Off-the-Shelf-Applikation «interactive
geschaffen werden, und heute verfügen 4. ob das verwendete Unterzeichnerzerti-
DDS» ergänzt. iDDS erlaubt der Behördenseite,
alle über einen Adobe Acrobat Reader, fikat ein nach Schweizer Recht qualifi- eine Verfügung oder ein Urteil auf einfache Weise
mit dem dieses elektronische Papier auch ziertes Zertifikat (ZertES) ist, mit dem formell zuzustellen und eine elektronische,
­a ngezeigt werden kann. Verfügen Erstel­ das Erfordernis der Schriftform erfüllt signierte Zustellquittung zu erhalten. Weiter ist
lerinnen oder Ersteller von Dokumenten werden kann; ein Gateway in Entwicklung, das es einer Behör-
zusätzlich über ein (qualifiziertes) Signa- 5. ob es sich bei der oder dem Unter- de erlauben wird, von einem Geschäftsverwal-
tur-Zertifikat, haben sie die Hürden der zeichnenden um die richtige, zur Zeich- tungssystem aus über sedex einen Zustellauftrag
an eine DDS-Instanz und später auch an tech-
Installation von Kartentreibern sowie Kar- nung berechtigte Person handelt (z.B.
nisch verbundene sogenannte private Zustell-
tenleser genommen und auch ein Pro- Chef Strafregister, Notar zum Zeitpunkt plattformen abzusetzen und im Gegenzug eine
gramm zum Signieren von PDF-Doku- der Unterschrift in Amt und Würden signierte, zeitgestempelte Zustellquittung an ihren
menten 2 installiert, so können sie dann etc.); sedex-Eingang beziehungsweise an ihr Ge-
das elektronische Papier elektronisch si- 6. ob ein nach allen vorstehenden Punk- schäftsverwaltungssystem zurück zu erhalten.
gnieren. ten gültig signiertes elektronisches Do-
Sofern sie es auch geschafft haben, das kument zwischenzeitlich nicht revoziert Eingangsseitig (für Behörden) werden derzeit
secure Inboxes entwickelt. Diese muss man sich
sogenannte Root-Zertifikat der Ausgabe- wurde.
wie Briefkästen oder erweiterte Kontaktformulare
stelle des Signatur-Zertifikates korrekt auf Reichlich kompliziert ist das Ganze also,
auf Behördenwebsites vorstellen, in die Unter­-
dem PC zu installieren und den Adobe Ac- sowohl technisch wie auch von den Anfor- nehmen und Private nach dem Ausfüllen eines
robat Reader für die Validierung von sig- derungen an die Anwenderin und den An- kleinen Formulars signierte und unsignierte
nierten PDF-Dokumenten richtig zu konfi- wender her. elektronische Dokumente hochladen können.
gurieren, so wird ihnen das zuvor signierte Andererseits sind elektronische, signier- Formulardaten und Dokumente werden an­-
Dokument im Reader dann auch als gültig te Dokumente (Urkunden) aber wesentlich schliessend von der «secure Inbox»-Applika­tion
signiert angezeigt. fälschungssicherer, können einer genau validiert, in Form eines eCH-0039-Containers
verpackt und entweder direkt an den sedex-
identifizierbaren Person eindeutig zuge-
Eingang der Behörde geschickt oder dieser via
Ratlose, überforderte Empfänge- ordnet werden und können wesentlich ra-
DDS-Mechanismen zugestellt. Das Unternehmen
rinnen und Empfänger … scher zwischen den beteiligten Parteien oder die Privatperson erhält dabei eine elektro-
Wird das Dokument anschliessend an zirkulieren. ­nische, signierte und zeitgestempelte Zustellquit-
Personen übermittelt, die diesen Lernpro- tung mit den Fingerabdrücken (Hashes) aller
zess weder absolviert, noch die damit ver- Tausend elektronische übermittelten Dokumente. Auf der Behördenseite
bundenen Installations- und Konfigurati- ­Duplikate, vom Original nicht können die empfangenen Container einfach
onsarbeiten vorgenommen haben, so unterscheidbar (unter minimaler Anpassung der Applikation) in
bestehende Geschäftsverwaltungssysteme
kann deren Reader bei der Anzeige die im Damit sind wir bei einem wichtigen Unter-
eingelesen werden.
Dokument enthaltene elektronische Sig- schied zwischen einer von Hand unter-

«eGov Präsenz» 1/10


72 Praxis – Schweiz

aber nicht mehr möglich, da das elektro- Archiv sich die Urkunde befindet und wer ­ nwälte, freiberufliche Medizinalpersonen
A
nische Original überall spurlos dupliziert für den Zugriff berechtigt ist. und auch Bauern, die im heutigen Han-
werden kann. Um dieses Problem zu lö- delsregister nicht eingetragen sind, identi-
sen, müssen die Identifikationsnummern Open eGov Validator Service – fiziert werden. Die Einheiten, die im Han-
revozierter elektronischer Auszüge bei der sechs Validierungsstufen delsregister eingetragen sind, verfügen
elektronischen Validierung eines elektroni- schaffen internationales bereits seit 1995 über die sogenannte CH-
schen Auszuges mit überprüft werden. ­Vertrauen Nummer, die durch die UID bald abgelöst
Die praktische Realität der elektronischen werden soll.
Vom Beurkundungsjournal ­ Urkunde, nun geschaffen in Form des nur Das zu schaffende Verzeichnis aller mit
zu nationalen Urkundenver- kurzlebigen elektronischen, signierten einer UID identifizierten Einheiten (darun-
zeichnissen Strafregisterauszuges, bringt an den Tag, ter sind auch die Behörden) ist kein Re-
Ein Notar muss jede erstellte Urkunde, dass viel mehr notwendig ist als nur ein gister im rechtlichen Sinne, das die Exis-
jede davon erstellte Ausfertigung und jede Zertifikat und ein Programm zum Signie- tenz eines Rechtssubjektes feststellt,
erstellte beglaubigte Kopie einer Urkunde ren, um elektronische Urkunden in Umlauf sondern nur ein Index, der über den ver-
in einem heute lokal geführten Beurkun- zu bringen. schiedenen Registern steht und diese
dungsjournal verzeichnen. Genau wie im Um das Vertrauen bei den von der kom- ­e rschliesst; ähnlich wie der Zentrale Fir-
traditionellen Strafregister mit seinem Ver- plexen Technologie der elektronischen Si- menindex «zefix», der die dezentralen,
zeichnis der erstellten Auszüge ist damit gnatur überforderten Empfängerinnen und rechtsverbindlichen kantonalen Handels-
bekannt, welche «Originale» es gibt und Empfängern von elektronischen Urkunden register auf einer nationalen Ebene er-
wer sie erhalten hat. überhaupt erst zu schaffen, musste für schliesst.
Eine Urkunde kann aber auch ein Wert- den Strafregisterauszug ein allgemein ver-
papier, zum Beispiel ein Verlustschein ständliches zentrales Validierungssystem Die elektronische, signierte
oder ein Billett sein. Wenn das darin ver- geschaffen werden, das auch die sechste Berufsausübungsbewilligung
briefte Recht beansprucht (konsumiert) Stufe der Validierung, den Revozierungs- eröffnet neue Möglichkeiten
ist, muss die Urkunde entwertet oder ein- status, elektronisch ausgestellter Auszüge Im Kontext von Urkunden und Rechts­
gezogen werden. prüft. Der Validator Service ist die wohl verkehr interessieren die heute noch nicht
Notariat und Anwaltschaft produzieren wichtigste Ergänzung von Open eGov im bestehenden Register der Anwälte und
Testamente, bedingte Vollmachten und Jahr 2009. Notare (Urkundspersonen). Ein darin vor-
sogenannte Schutzschriften, alles Urkun- genommener Eintrag beinhaltet nicht nur
den, die erst und nur bei Eintritt des vor- Validierunginstruktionen müssen die Feststellung der rechtlichen Existenz,
gesehenen Ereignisses ihre Wirkung ent- der Urkunde angefügt werden sondern vielmehr das Recht, den freien
falten sollen und deren Existenz bis dahin Der elektronischen Urkunde selbst müs- Beruf auszuüben. Für die heutige Berufs-
meist geheim gehalten, bei Eintritt des sen in Form einer bei der elektronischen ausübung und für den künftigen Eintrag in
­Ereignisses aber zuverlässig festgestellt Signatur automatisch angefügten Seite für diese neuen Register ist die Verfügung
werden muss. die Empfängerseite alle Informationen be- (Bewilligung) einer kantonalen Aufsichts-
Sollen all diese Urkunden auch in elekt- treffend die Validierungsmöglichkeiten bei- behörde massgebend.
ronischer, signierter Form erstellt werden gefügt werden. Die elektronische, signierte Verfügung
können, impliziert allein die Notwendigkeit Nur so kann die Empfängerin oder der eröffnet hier die Möglichkeit, vom Konzept
einer Revokationsmöglichkeit die Schaf- Empfänger von der Urkunde aus die Vali- des hoheitlichen, vom Staat geführten Re-
fung einer schweizerischen Urkunden- dierung auch vornehmen beziehungswei- gisters wegzukommen und sich mit nicht
Identifikationsnummer und den Aufbau se die Validierungsdienste aufrufen. Dies hoheitlichen Verzeichnisdiensten zu be-
von Verzeichnissen, die zwar je nach Be- gilt umso mehr für elektronische Urkun- gnügen, in denen die elektronischen,
reich, aber sicherlich national und nicht den, die – wie der Strafregisterauszug – ­signierten Verfügungen der kantonalen
kantonal angelegt werden sollten, da Per- auch international zirkulieren. Zur Ver­ Aufsichtsbehörden öffentlich hinterlegt be-
sonen auch umziehen. Wie sonst soll der anschaulichung kann der elektronische ziehungsweise publiziert werden. Alle Per-
Kanton, der den Tod einer Person zu be- Musterauszug des Strafregisters auf der sonen können diese Verfügungen direkt
handeln hat, von der Existenz eines Testa- Website www.strafregister.admin.ch her- anzeigen und auch validieren, wodurch
ments erfahren, das vor Jahren in einem untergeladen und gemäss Instruktion auf das öffentliche Vertrauen in die im Ver-
anderen Kanton bei einem Notar erstellt dessen letzter Seite über den mandanten- zeichnis stehenden Informationen ent-
oder als eigenhändiges Testament bei der fähigen Validator Service von Open eGov steht.
zuständigen kantonalen Stelle in Papier- validiert werden. Beinhalten diese Verfügungen und auch
form hinterlegt wurde, damit Erben es Natürlich kann dieses Validierungssys- die strukturierten Daten in den Verzeich-
nicht beseitigen können? Die entspre- tem später auch bei den vorgenannten, nissen die Unternehmensidentifikation,
chende Infrastruktur würde, am Rande be- noch fehlenden Urkundenverzeichnissen ­ermöglicht Letztere, in den oben ange-
merkt, auch dem heutigen Problem bei eingesetzt, beziehungsweise konzeptio- sprochenen Urkundenverzeichnissen die
der Auffindung von hinterlegten Testamen- nell übernommen werden. Ersteller (Owner) von Urkunden eindeutig
ten Abhilfe schaffen. zu identifizieren, die Berechtigungen für
Diese Verzeichnisse mit ihren Metada- Die Unternehmensidentifikation den Zugriff auf die Urkunden abzubilden
ten zur verzeichneten Urkunden ermögli- (UID) identifiziert auch die und damit auch zu steuern.
chen  – nebst einer nationalen Suche –, Erstellerinnen und Ersteller von
den Vermerk zu setzen, ob und wann die Urkunden Die Übertragung von
referenzierte Urkunde revoziert oder ent- Mit dem Vorhaben der Einführung der Un- Wertpapieren
wertet wurde. Sie werden im Weiteren ternehmensidentifikation (UID) sollen Frei- Um die zentrale Bedeutung und die neuen
auch Informationen darüber enthalten, in beruflerinnen und Freiberufler, wie die Möglichkeiten durch den Einsatz elektroni-
welchem physischen oder elektronischen ­sogenannten lateinischen Notare, die scher Urkunden noch zu untermauern, soll

«eGov Präsenz» 1/10


Praxis – Schweiz 73

hier der Vollständigkeit halber erwähnt Die meisten dieser Behörden verfügen Das Problem der krypto­
werden, dass die Zession von Rechten heute aber noch nicht über elektronische grafischen Langzeitsicherung
und Forderungen bei vielen Wertpapieren Archive. Ihre Beleg- und Fallarchive befin- Seit 2006 ist gemäss der Verordnung über
der Schriftform bedarf. Durch elektroni- den sich meist im Keller in Hängeregistra- das Schweizerische Handelsamtsblatt
sche, signierte Urkunden kann die Über- turen. (SHAB) die elektronische Publikation die
tragung dokumentiert werden. Handelt es rechtsverbindliche Form. Alle Publikatio-
sich dabei um neue Konstrukte, wie den Der Wandel des Trägers nen werden seither qualifiziert signiert und
sogenannten registergestützten Schuld- (Mediums) ist in beiden mit Zeitstempel versehen.
brief (laufende ZGB-Revision), so wird ­Richtungen notwendig Nun werden diese Publikationen in ein
dessen elektronische Übertragung wohl Wie archiviert eine Behörde ein elektro- elektronisches Langzeitarchiv bei der
ebenfalls mit einer elektronischen, qualifi- nisch eingegangenes Dokument? Wie Schweizerischen Nationalbibliothek über-
ziert signierten Übertragungserklärung zu ­gehen wir damit um, wenn eine Rechts- führt. Dabei musste das Problem gelöst
realisieren sein. schrift oder eine Urkunde, die Grund- werden, dass elektronische Signaturen
lage eines Registereintrages ist, elektro- ­innerhalb weniger Jahre kryptografisch
Das PayGov-System – elektro- nisch angeliefert wird? Wie stellen wir die veralten, beziehungsweise unsicher wer-
nische, signierte Zahlungs­ elektronisch eingegangene Klageschrift den. Mehr erfahren Sie dazu im entspre-
quittungen beschleunigen einer Gegenpartei zu, die das Verfahren chenden Artikel in dieser Ausgabe (Sei-
­E-Government-Prozesse auf dem Papierweg abwickeln will? Wie ten 74–76).
Das vom Bundesamt für Justiz konzipierte kann ein ursprünglich auf Papier ausge- Viele wünschen sich nun die gute alte
PayGov-System für sogenanntes Instant fertigtes Urteil einer Partei, die dies Zeit zurück, als man nur einen Stempel
Payment in nicht strukturierten E-Govern- wünscht, in elektronischer Form zugestellt und eine Feder brauchte. Es wird noch
ment-Prozessen schafft mit einer elektro- werden? seine Zeit brauchen, bis die neuen Tech-
nischen, signierten Zahlungsquittung ein In all diesen Fällen ist ein Wandel des nologien überall Einzug halten werden.
Wertpapier, das zum Bezug einer Leis- Trägers notwendig. Doch wer soll berech- Beim Schweizerischen Strafregister mit
tung der Verwaltung berechtigt (Ticket). tigt sein, diesen Wandel vorzunehmen? dem elektronischen, signierten Strafregis-
Online-Payment setzt also nicht mehr Nur ein Notar oder auch die Gerichts­ terauszug, beim Schweizerischen Han­
­t eure Onlineprozesse voraus, in die es kanzlei, das Registeramt oder sogar der delsamtsblatt und dessen elektronischem
eingebaut wird. Man geht einfach auf die Anwalt, der sein elektronisch bezogenes Langzeitarchiv bei der Schweizerischen
elektronische Kasse einer Behörde (stan- Urteil seinem Klienten in Papierform wei- Nationalbibliothek sind wichtige erste
dardisierter PayGov-Mandant), bezahlt tergeben will? Schritte von der Theorie in die Praxis ge-
mit der Kreditkarte, erhält eine elektro­ Diese erst kürzlich in der Rechtsetzung tan.
nische, signierte Zahlungsquittung, die erkannten realen Probleme und die Regeln
1 www.openegov.ch, vgl. «eGov Präsenz» 1 (2008).
dann der Behörde notfalls auch mit ei- dazu sollen in den Verordnungen zum
S. 70 ff.
ner einfachen E-Mail übermittelt werden elektronischen Rechtsverkehr noch Ein- 2 Beispielsweise das Open-eGov-Freeware-Programm
kann. gang finden, sind sie doch Voraussetzung LocalSigner V. 2.10.

Die gewünschte Leistung kann dort so- für die praktische Abwicklung des Ge-
fort ausgelöst werden, und das konsu- schäfts- und Rechtsverkehrs.
mierte Ticket wird gesperrt, sodass es Für die Umwandlung einer elektroni-
nicht erneut verwendet werden kann. Na- schen Urkunde in die Papierform muss
türlich braucht es auch dazu die mehrfach diese zuerst in ihrer elektronischen Form
erwähnten Validator Services, um ein ein- validiert werden. Die erfolgte Ausführung
gesandtes Ticket zu überprüfen und dabei dieses Vorganges muss über einen Vali-
auch festzustellen, ob es nicht bereits dierungsbericht dokumentierbar sein.
konsumiert (revoziert) ist. Auch dies ist bereits im Open eGov Valida-
Dank PayGov könnte die heute kaum tor Service implementiert.
mehr übliche Vorauszahlung in vielen Auf dem nachfolgend erstellten Papier-
­B ereichen wieder eingeführt und so in ausdruck muss dann ein sogenanntes
der Verwaltung erheblicher Aufwand bei Verbal aufgebracht werden, das die zu-
­F akturierung und Inkasso eingespart wer- grunde liegende elektronische Urkunde,
den. den Zeitpunkt des Wandels, die Stelle, die
den Wandel vorgenommen hat, genau be-
Fehlende elektronische Archive zeichnet, die Konformität zum elektroni-
sollen den elektronischen schen Original bestätigt und all dies mit
Geschäftsverkehr nicht verun- Stempel/Unterschrift bescheinigt.
möglichen Analoges muss gelten, wenn eine Pa-
Mit der Inkraftsetzung der vereinheitlichten pierurkunde in eine elektronische, be­
Zivilprozessordnung 2011, mit der bereits glaubigte Kopie umgewandelt und an-
seit 2008 revidierten Handelsregisterver- schliessend von der berechtigten Stelle
ordnung, der auf 2011/12 ebenfalls revi- elektronisch signiert wird. Es braucht
dierten Grundbuchverordnung und der auch dabei, wie bei der notariellen elekt-
Verordnung zu Art. 55 Schlusstitel ZGB ronischen Urkunde, ein sogenanntes Ver-
wird der elektronische Rechtsverkehr mit bal, das dem Dokument automatisch an-
den Gerichten, den Registern der Justiz gefügt wird. Das Open-eGov-Produkt
und den Behörden des Bundes möglich LocalSigner unterstützt diese Funktion
und hoffentlich auch zur Realität. bereits.

«eGov Präsenz» 1/10


74 Praxis – Schweiz

Benutzerfreundliches Records Management


und Einsatz von digitalen Signaturen in der
Langzeitarchivierung
Jürg Porro, Daniel Markwalder

Die elektronische Datenverarbeitung hat Ausgangslage (GEVER in der Vorgaben ab (z.B. das RVOG oder das
uns viele Vorteile, aber auch einige neue Bundesverwaltung) DSG). Zusätzliche Anforderungen ergeben
Probleme beschert: zum Beispiel die Seit den ersten Einführungen von GEVER- sich aus den allgemeinen Zielsetzungen,
Datenredundanz in E-Mail- und/oder Lösungen in der Bundesverwaltung wurde die mit einer GEVER-Lösung verfolgt wer-
File-Systemen, die Unvollständigkeit der vonseiten der Bundesämter immer wieder den. Dazu gehören die Sicherstellung der
Geschäftsakten, eine durch proprietäre versucht, ihre gemeinsamen Bedürfnisse Nachvollziehbarkeit der Geschäftstätig-
Formate begrenzte Interoperabilität oder in entsprechenden Benutzergremien und keit, der Vollständigkeit der Geschäftsak-
die Schwierigkeit, dass Dokumente nach Fachgruppen einzubringen. In diesem Zu- ten oder die Auskunftsfähigkeit für die
einer gewissen Zeit unter Umständen sammenhang wurden im Jahre 2004 unter Führung und Steuerung von Geschäften.
nicht mehr lesbar sind. der Führung des Informatikstrategieor- Der zentrale Aspekt ist das Ordnungs-
Um einige dieser Herausforderungen gans Bund (ISB) und des Schweizerischen system (auch Registraturplan genannt),
anzugehen, hat das BIT für seine Kunden Bundesarchivs (BAR) die «GEVER-Stan- sozusagen die Basis einer ordnungsge-
zwei aktuelle, innovative technische dards»2 in Kraft gesetzt. Kurz zusammen- mässen Aktenführung. Insbesondere sol-
Lösungen entwickelt. Mit «GEVER Office/ gefasst: Eine Handvoll Standards schrei- len in einer GEVER-Lösung nur geschäfts-
OXBA» ist eine in die Büroautomation des ben die GEVER-relevanten Metadaten, relevante Informationen abgelegt werden.
Bundes voll integrierte1 Lösung für Funktionen und Prozesse vor, die in einem Die Abgrenzung, was geschäftsrelevant
Records Management, Ablaufsteuerung «standardisierten» GEVER-System in der ist, und weitere wichtige organisatorische
(Workflow) und Geschäftskontrolle Bundesverwaltung unterstützt werden Regelungen sind durch die Kunden zu de-
geschaffen worden. Mit dem «Signatur- müssen. finieren. Diese Dokumente (z.B. die Orga-
dienst Archivierung» für SHAB-Meldungen Ab 2007 ging es dann Schlag auf
wird sichergestellt, dass die Gültigkeit von Schlag. Die E-Government-Strategie
qualifizierten digitalen Signaturen auch in Schweiz (2007–2011)3 forderte unter an- Glossar/Begriffsdefinitionen
10 oder 20 Jahren noch überprüft werden derem: «Die Behörden haben ihre Ge- BAR Bundesarchiv
kann. schäftsprozesse modernisiert und verkeh- BIT Bundesamt für Informatik und
ren untereinander elektronisch». In einem Telekommunikation
Jürg Porro nächsten Schritt verabschiedete der Bun- CRL Certificate Revocation List (Liste
Bereichsleiter Competence Center der gesperrten Zertifikate)
Geschäftsverwaltungslösungen
desrat im Januar 2008 einen Aktionsplan
DSG Bundesgesetz über den
Bundesamt für Informatik und zum Umgang mit elektronischen Daten
Datenschutz (SR 235.1)
Telekommunikation BIT
und Dokumenten. Damit wurde ein umfas- GeBüV Geschäftsbücherverordnung (SR
juerg.porro@bit.admin.ch
sendes Massnahmenpaket lanciert, das 221.431)
die Modernisierung des Records- und GEVER Office Vom BIT entwickeltes Produkt
Dr. Daniel Markwalder Prozessmanagements (Akten- und Pro- (Lösung)
Bereichsleiter Public Key Infrastructure GEVER Geschäftsverwaltungslösungen
(PKI) und Sicherheitsprodukte
zessführung) zum Ziel hat.
Eine direkte Folge dieses Bundesrats- (Oberbegriff), umfasst im
Bundesamt für Informatik und
Telekommunikation BIT Wesentlichen Funktionalitäten für
beschlusses war die Initialisierung des
daniel.markwalder@bit.admin.ch Aktenführung, Ablaufsteuerung
Programms GEVER Bund, das einerseits sowie Geschäftskontrolle
koordinierend wirkt4 und andererseits wei- MOSS Microsoft Office SharePoint
tere Grundlagenarbeit im Themenbereich Server
GEVER leistet. Auch das Verfahren zur NB Nationalbibliothek
Standardisierung einer zweiten GEVER- OR Obligationenrecht (SR 220)
Lösung für die Bundesverwaltung wurde OXBA Office eXtensions for Business
Administration
im Rahmen des Programms GEVER Bund
Records Aktenführung
angepackt (2008 war nur eine Lösung im
Management
Bereich GEVER als Standard anerkannt). RVOV Regierungs- und Verwaltungsor-
ganisationsverordnung
Anforderungen an und zentrale SECO Staatssekretariat für Wirtschaft
Aspekte von GEVER-Lösungen SHAB Schweizerisches Handelsamts-
Die Anforderungen an eine GEVER-Lö- blatt
sung für den Bund leiten sich einerseits ZertES Bundesgesetz über die
elektronische Signatur (SR
aus den oben erwähnten GEVER-Stan-
943.03)
dards und andererseits aus rechtlichen

«eGov Präsenz» 1/10


Praxis – Schweiz 75

Abbildung 1: Architektur OXBA/GEVER Office Abbildung 2: Screenshot einer digital signierten SHAB-Meldung

nisationsvorschriften) sollten kurz und Zentrale Punkte von OXBA sind ein re Stellen haben grosses Interesse bekun-
bündig gehalten sein, da sonst die Gefahr schlankes, aber effizientes Rollen- und det.
besteht, dass diese für den Alltag zu um- Berechtigungsmodell sowie ein vorgege- Mehrere Dienstleister aus der Privatwirt-
ständlich werden. bener Grundstock von Metadaten, die schaft haben das Marktpotenzial von
mandantenspezifisch angepasst und/oder OXBA erkannt und entsprechendes Know-
Grundsätze für die Lösungs- erweitert werden können. Die für den how aufgebaut. Auch hier zeigt der für die
suche Sachbearbeitenden «unsichtbare» GE- Entwicklung beschrittene Weg gute Er-
Neben den oben erwähnten Anforderun- VER-Lösung konnte mit OXBA weitge- gebnisse: Um neben der oben ange­
gen war für das BIT der Grundsatz zentral, hend umgesetzt werden, da der grösste sprochenen allgemeinen Verfügbarkeit der
dass Benutzerinnen und Benutzer in der Teil der GEVER-relevanten Arbeiten direkt Lösung auch das Wissen über das Frame-
Erfüllung ihrer jeweiligen Haupttätigkeit aus der Büroautomationsumgebung erle- work breit zu verteilen, wurde die initiale
(z.B. Behandlung von Anträgen für Funk- digt werden kann: Zugewiesene Aktivitä- Entwicklung bewusst mit verschiedenen
konzessionen) möglichst wenig durch die ten können aus dem Mail-Client (als Auf- Partnern durchgeführt.
GEVER-Lösung oder regulative Auflagen gaben/Tasks) direkt abgearbeitet und die
«behindert» werden: Benutzende sollten Metadaten aus den Office-Programmen Herausforderung Datenbewirt-
mit ihren gewohnten Hilfsmitteln (Text­ direkt gepflegt werden. Ebenso kann eine schaftung und Archivierung
verarbeitung, Tabellenkalkulation, Fachan- Benutzerin oder ein Benutzer von GEVER Mit dem Abschluss eines einzelnen Ge-
wendungen) weiterarbeiten können und Office eine E-Mail (z.B. über bcc:) direkt schäfts (Dossierabschluss) beginnt im Amt
möglichst wenig zusätzliche (Meta-)Daten an das entsprechende Geschäftsdossier die eher «passive» Bewirtschaftung des
pflegen müssen. Die Arbeit sollte auch «senden» – das verschickte Mail ist so be- Dossiers, die mit dem Angebot des Dossi-
möglichst intuitiv erledigt werden kön- reits im GEVER-System registriert. ers an das BAR und/oder mit der endgül-
nen – ergo der Arbeitstitel «GEVER light». Mit der Version 2.0 von OXBA wurde tigen Löschung desselben (mit Ausnahme
Neben dem Grundsatz der Einfachheit Ende 2008 die Lösung erstmals allgemein der Metadaten) endet.
war das «Community-Modell» ein weiterer verfügbar gemacht, und im August 2009 Abgeschlossene Dossiers, insbesonde-
wichtiger Aspekt. Im Vordergrund stand wurde die mandantenfähige Version 2.1 re die Metadaten dazu, sollen aber auch in
dabei, dass «GEVER light» – über das für veröffentlicht. Auf dem OXBA-Portal5 be- der Zeit zwischen aktiver Bewirtschaftung
eine einfache Installation bereitgestellte finden sich die Downloads von OXBA und (im Amt) und der Langzeitarchivierung (im
«Solution-Accelerator-Paket» – zu einer GEVER Office RTS, die Nutzungsbedin- BAR) über die zentrale Suche gefunden
weithin akzeptierten Lösung für die öffent- gungen, eine Liste häufig gestellter Fragen werden können. Die eigentlichen Dos­
liche Hand werden könnte, und dies nota- (FAQ) und weitere nützliche Informationen. sierinhalte hingegen sollen in einem ver-
bene ohne zusätzliche Lizenzkosten, d.h. Der hier vorgestellte Lösungsansatz hat knüpften, für die Endbenutzerin und
auf Basis eines «Shared Source»-Lizenz- den Vorteil, dass durch die allgemeine Ver- den Endbenutzer nicht wahrnehmbaren
modells. fügbarkeit von OXBA alle von den gleichen Sys­tem («Near-Line-Archiv») gespeichert
Schnittstellen, Metadaten (Sekundärda- sein  – denn ein GEVER-System will nicht
Die umgesetzte Lösung ten) und Zusatzmodulen wie zum Beispiel primär den Aufbewahrungspflichten der
Im Verlauf der Studie und bei der Entwick- einer Sitzungsverwaltung profitieren kön- Ämter, sondern soll vor allem als Arbeits-
lung eines Prototyps auf Basis von MOSS nen. Ausserdem muss die gleiche oder mittel für die Unterstützung der Geschäfts-
2007 wurde erkannt, dass diese Grundsät- ähnliche Funktionalität nicht mehrmals prozesse dienen.
ze Erfolg versprechend waren: Mit Office entwickelt werden. Für kundenspezifische Eine wichtige Frage im Kontext der Ar-
ab der Version 2007 sollte ein in die Büro- Anpassungswünsche und Erweiterungen chivierung ist die Sicherstellung der Integ-
automationsumgebung voll integriertes bietet MOSS 2007 (die Grundlage von rität der Daten. Falls das System aus einer
und gleichzeitig GEVER-konformes Arbei- OXBA) eine sehr grosse Flexibilität, und Einheit besteht (inkl. integrierten Archivs),
ten möglich sein. In der Folge haben sich auf dem Markt sind zahlreiche kompetente ist dies in der Regel durch das System
Microsoft und das BIT entschlossen, ge- Entwicklungspartner zu finden. selbst gelöst. Ansonsten muss auf Objekt-
meinsam die Basis für eine innovative GE- stufe (Dokument/Dossier) die Integrität
VER-Lösung zu schaffen. Aus der Idee Zukunft von OXBA und Nachvollziehbarkeit bei der Übergabe
«GEVER light» entstanden in der Folge das Die Anzeichen sind vielversprechend, in ein anderes System sichergestellt wer-
OXBA Framework und GEVER Office (eine dass OXBA zu einem breit akzeptierten den.
GEVER-Lösung, die auf dem OXBA Frame- Framework wird. Erste Installationen, auch Beim Projekt «Signaturdienst Archivie-
work aufbaut) in der Ausprägung GEVER ausserhalb der Bundesverwaltung, sind rung» war die Integrität der Dokumente
Office RTS (Ready to Start). bereits im produktiven Einsatz, und weite- bereits durch eine bestehende digitale Si-

«eGov Präsenz» 1/10


76 Praxis – Schweiz

gnatur gegeben. Die Herausforderung bei in das Langzeitarchiv der NB einen Dienst C und den Gültigkeitsstatus D verfügt.»
diesem Projekt war, eine Möglichkeit für zu erstellen, der dieses Anliegen umsetzt. Die Verbindung zwischen Dokument
die Konservierung der bestehenden Sig- und Prüfbericht erfolgt dabei mittels ei-
natur zu finden beziehungsweise die zu- Herausforderung der länger­ ner Hash-Funktion.
künftige Prüfbarkeit der Gültigkeit der Sig- fristigen Validierung einer – Der Prüfbericht wird zeitgestempelt und
natur sicherzustellen. elektronischen Unterschrift seinerseits elektronisch unterschrieben.
Weil bereits bei der Erstellung der digitalen – Das ursprüngliche Dokument und der
Ausgangslage beim Signatur- Signaturen der SHAB-Meldungen vertrau- signierte Prüfbericht werden ins Archiv
dienst Archivierung enswürdige Zeitstempel verwendet wer- übergeben.
Das SECO publiziert seit mehr als drei den, kann an dieser Stelle auf eine einge-
Jahren die Meldungen des Schweizeri- hende Betrachtung der verschiedenen Dieses Verfahren – eine digitale Signatur
schen Handelsamtsblattes (SHAB) in digi- Validierungsmodelle verzichtet werden.6 durch eine andere digitale Signatur zu si-
taler Form und verwendet zwecks Sicher- Die weitere Problematik in Bezug auf die chern – mag auf den ersten Blick erstau-
stellung der Integrität und zum Nachweis Validierung einer digitalen Signatur be- nen. Bei genauer Betrachtung bietet es
der Authentizität anerkannte qualifizierte steht jedoch darin, dass eine Sperrliste jedoch folgende Vorteile:
Signaturen (siehe Kontext-Box: «Was ist nur diejenigen gesperrten Zertifikate bein- – Wenn sich die Kryptografie weiterent­
eine ‹rechtsgültige elektronische Unter- halten muss, die noch nicht abgelaufen wickelt, kann der Prüfbericht übersigniert
schrift›?») sind. Nachdem ein Zertifikat abgelaufen werden. Eine problematische Übersig-
Weil die Publikation von SHAB-Meldun- ist, findet man es daher unter Umständen nierung der inhaltlichen Willenserklärung
gen eine der ersten Anwendungen war, die nicht mehr auf der Sperrliste, obwohl es kann damit umgangen werden.
systematisch Dokumente mit einer qualifi- zum Zeitpunkt der Signaturerstellung be- – Durch die Abstraktion von der ursprüng-
zierten digitalen Signatur versieht, und we- reits gesperrt war. Bei einer digitalen Sig- lichen Dokumentensignatur können un-
gen der grossen Bedeutung der SHAB- natur, die mit einem mittlerweile abgelau- terschiedliche Dokumente mit verschie-
Meldungen hat sich die Frage gestellt, wie fenen Zertifikat erstellt wurde, kann folglich denen Signaturen durch dasselbe
diese Dokumente aufbewahrt werden sol- trotz Zeitstempeln nicht mehr mit Sicher- Verfahren aufbereitet und aufbewahrt
len. Das Ziel ist dabei die Konservierung heit überprüft werden, ob es zum Signier- werden.
nicht nur des Dokuments, sondern auch zeitpunkt bereits gesperrt war und die Sig­ – Die Lösung ist auch auf unsignierte Do-
des rechtlichen Status der Signatur: Bei natur damit ungültig ist. kumente erweiterbar: Durch die Hash-
der Aufbewahrung in einem Langzeitarchiv Funktion und den Zeitstempel werden
muss sichergestellt werden, dass die Herausforderung Übersignierung die Grundanforderungen der GeBüV er-
Überprüfung der Gültigkeit der digitalen Si- Die Technologie, auf welcher digitale Sig- füllt.8
gnatur auch dann noch möglich ist, wenn naturen basieren, entwickelt sich ständig
die Signierzertifikate abgelaufen oder weiter. Es muss folglich eine Möglichkeit Im Ergebnis kann durch dieses Vorge-
(nachträglich) gesperrt worden sind sowie bestehen, digital signierte Dokumente neu hen auch noch nach Jahren eine verbindli-
wenn die ursprünglich verwendeten Sig- zu «versiegeln», insbesondere falls die Ge- che Aussage über die Gültigkeit der ur-
nieralgorithmen gebrochen werden. fahr besteht, dass der verwendete Signa- sprünglichen Dokumentensignatur zum
Das BIT erhielt in der Folge den Auftrag, turalgorithmus gebrochen wird. Zwar Zeitpunkt der Einlieferung gemacht wer-
für die Überführung der SHAB-Meldungen könnte dazu das signierte Dokument ein- den.
fach übersigniert werden – dies ist aber Bei der Umsetzung des Projektes wurde
nicht unproblematisch: Eine anerkannte weiter grossen Wert auf die Wiederver-
Was ist eine «rechtsgültige
qualifizierte Signatur bezieht sich immer wendbarkeit für andere unsignierte und
elektronische Unterschrift»?
Mit dem Begriff «rechtsgültige elektronische
auch auf den Inhalt und ist daher norma- signierte Dokumente gelegt, sodass damit
Unterschrift» ist meist die elektronische lerweise mit einer Willenserklärung in Be- ein entscheidender Schritt hin zur Vision
Unterschrift basierend auf einem qualifizierten zug auf den Inhalt verknüpft.7 Diese inhalt- der Digitalisierung des gesamten Lebens-
Zertifikat einer nach ZertES anerkannten liche Willenserklärung im Nachhinein zyklus einer elektronischen Urkunde ge-
Anbieterin gemeint (im Folgenden «anerkannte durch eine andere Person neu anzubrin- macht werden konnte.9
qualifizierte Signatur» genannt). Der Begriff der gen – gleichsam durch die Erneuerung der
Rechtsgültigkeit ist im Zusammenhang mit 1 Die benutzerfreundlichste Vollintegration wird mit
Signatur – ist nicht unproblematisch.
digitalen Signaturen jedoch nicht absolut zu Microsoft Office (inkl. Outlook) ab der Version 2007
erreicht. Es können aber auch andere E-Mail Clients und
verstehen: Einerseits können auch digitale
Signaturen von niederer Qualität (einfache oder
Lösungsskizze Office-Pakete verwendet werden.
2 Zum Beispiel der Standard P023: http://www.isb.admin.
fortgeschrittene digitale Signatur) im Einzelfall Um die von der NB und dem SECO gefor- ch/themen/standards/alle/03230/index.html?lang=de.
gewisse Rechtswirkungen auslösen, andererseits derte Archivierung im Sinne einer Konser- 3 Siehe dazu: http://www.isb.admin.ch/themen/
strategien/00071/index.html?lang=de.
haben selbst Signaturen der höchsten Stufe vierung nicht nur des Dokuments, sondern 4 Ziel: flächendeckende Einführung von GEVER im Bund
beispielsweise in Bezug auf den Beweiswert auch des rechtlichen Status umzusetzen, gemäss BR-Beschluss. Siehe dazu auch die Website
keine absolute Gültigkeit, sondern unterliegen wurde folgende Lösung realisiert: des Programms GEVER Bund unter http://www.bk.
immer der freien richterlichen Beweiswürdigung admin.ch/themen/04609/index.html?lang=de.
– Die elektronische Unterschrift der Doku- 5 Siehe dazu: http://www.oxba.admin.ch.
im Einzelfall.
mente wird zum Einlieferungszeitpunkt 6 Siehe Markwalder, Daniel: Public Key Infrastructure.
Klar geregelt für anerkannte qualifizierte Schulthess, Zürich, 2009. S. 27 ff.
Signaturen ist die Risikoverteilung zwischen dem geprüft. 7 Siehe Markwalder, Daniel: Was ist eine digitale Signatur?
Inhaber des Signierschlüssels (er haftet nach – Das Resultat und die Art der Prüfung In: IT-Security 3 (2009). S. 38 ff. (elektronisch abrufbar
werden in einem Prüfbericht festgehal- unter http://www.mediasec.ch/media/bilder_it/
Art. 59a OR) und der Anbieterin der Zertifikate
september2009/it3_07.pdf).
(sie haftet nach Art. 16 ZertES). Ebenfalls Klarheit ten. Ausserdem wird die aktuelle Sperr- 8 Siehe Markwalder, Daniel: Public Key Infrastructure.
besteht in Bezug auf den Wert von digitalen liste archiviert. Schulthess, Zürich, 2009. S. 89 ff.
Signaturen (Formvorschriften): Art. 14 Abs. 2bis 9 Siehe dazu auch den Artikel in dieser Ausgabe von
– Der Prüfbericht enthält damit etwa die Adrian Blöchlinger «Von elektronischen Urkunden zu
OR bestimmt, dass die anerkannte qualifizierte
Aussage: «Das Dokument A hat zum elektronischen Justizarchiven».
Signatur der Handunterschrift gleichgestellt ist.
Zeitpunkt B über eine Signatur der Güte

«eGov Präsenz» 1/10


eGovWeb für öffentliche
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78 Praxis – International

Aktenhaltung und Vorgangsbearbeitung


werden in Brandenburg auf Ministerialebene
vollständig elektronisch
Andrea Kubath

Das Nebeneinander von Papierakten und Besonderheiten des branden- Das Ministerium des Innern führt nicht
der papierbasierten Vorgangsbearbeitung burgischen Ansatzes nur ein DMS/VBS ein. EL.DOK BB sieht
sowie der Nutzung der IT zur Unterstüt- Dies bedeutet für die Landesverwaltung einen ganzheitlichen Ansatz vor und will
zung der täglichen Arbeit, zum Beispiel Brandenburg einen nicht zu unterschät- eine All-in-one-Lösung realisieren. Was
bei der Erstellung von Dokumenten oder zenden Paradigmenwechsel. Die Akten- heisst das? Auf der gleichen Plattform (EL.
der schnellen Abstimmung per E-Mail, hat haltung erfolgt künftig weitgehend elektro- DOK BB), mit der die Aktenhaltung und
dazu geführt, dass die Aktenhaltung nicht nisch. Ebenso soll – vorerst auf der Ebene Vorgangsbearbeitung elektronisch ab­
mehr immer einheitlich und vollständig in der Ministerialverwaltung – die Vorgangs- gewickelt werden soll, werden auch ein
Papier ist. Vorgänge werden teilweise bearbeitung ausschliesslich elektronisch elektronisches Kabinettinformationssys-
schon heute elektronisch vorgehalten, erfolgen. Dieses Thema ist in allen Bun- tem (EL.KIS), in dem alle Kabinettreferats-
und die Vollständigkeit der Papierakten desländern und auch beim Bund seit Jah- mitglieder zusammenarbeiten, sowie ein
hängt – insbesondere in Behörden mit ren virulent. Was ist also in Brandenburg Bereich zur behördenübergreifenden Zu-
sogenannter Bearbeiterablage – stark von anders? sammenarbeit aller Nutzerinnen und Nut-
den jeweiligen Beschäftigten ab. Die Brandenburg passt das DMS/VBS der- zer der Landesverwaltung (EL.ZA) geplant.
Unzufriedenheit mit dieser Situation sowie art an, dass die Systemnutzung auch für Mit EL.KIS werden die Kabinettsitzun-
der Wunsch, die behördenübergreifende die Vorgesetzten interessant wird. Die üb- gen der Landesregierung vollständig vor-
elektronische Zusammenarbeit über die lichen DMS/VBS befreien die Sachbear- und nachbereitet. Sowohl die Ressort­
Nutzung der E-Mail-Funktion hinaus zu beitenden von Prozessschritten und be- abstimmungen und Mitzeichnungen der
verbessern, hat dazu geführt, dass die schleunigen die Prozesse. So weit, so gut. Kabinettvorlagen als auch die Einladung
Landesregierung Brandenburg das Die Vorgesetzten machen dabei aber häu- zur und Protokollierung der Sitzungen er-
Ministerium des Innern beauftragt hat, fig einen schlechten Tausch, da sie durch folgen innerhalb des gemeinsam genutz-
das Projekt EL.DOK BB (Dokumentenma- organisatorische und personelle Bedin- ten Systems. Diese Form der Zusammen-
nagement- und Vorgangsbearbeitungs­ gungen bereits von logistischen Tätigkei- arbeit der obersten Landesbehörden
system Land Brandenburg) zu initiieren ten befreit waren. Von daher sollen die ermöglicht nicht nur die schnelle und me-
und in einem ersten Schritt alle Ministe- Arbeitsplätze von Führungskräften auf de- dienbruchfreie Abstimmung der Vorlagen,
rien und die Staatskanzlei mit ihren rund ren Bedürfnisse konfiguriert werden kön- sondern auch deren Veraktung. Damit
2500 Mitarbeiternden bis 2011 mit einem nen. Das heisst, auch die Vorbereitung ­liegen in EL.KIS alle kabinettrelevanten
Dokumentenmanagement- und Vor- von Mehrfachunterschriften durch Bürolei- Daten jeweils aktuell vor, sodass auch
gangsbearbeitungssystem (DMS/VBS) ter oder Vorzimmerkräfte wird ermöglicht. die Durchführung der Kabinettsitzungen
auszustatten. Mehrfaches Klicken zur Öffnung von Vor- selbst durch das System unterstützt wer-
gängen und Dokumenten entfällt damit für den kann. Dies gilt ebenso, wenn bei-
Andrea Kubath die Führungskräfte. Für mehrere vorberei- spielsweise Beschlüsse zu Gesetzent­
Referatsleiterin
Ministerium des Innern Brandenburg
tete Dokumente reicht eine Unterschrift würfen elektronisch an den Landtag
andrea.kubath@mi.brandenburg.de per Passworteingabe. Die Weiterleitung weitergeleitet werden müssen.
entfällt, weil unterzeichnete Dokumente EL.ZA ermöglicht darüber hinaus eine
gleich in den Postausgang rutschen. Me- ressortübergreifende Zusammenarbeit in
tadaten, die von Vorgesetzten nicht be­ einem System. Vorerst werden dazu drei
nötigt werden, können ausgeblendet Arbeitsbereiche eingerichtet:
­werden. Für Vorgesetzte, die weder re- a. Ein Bereich dient insbesondere der res-
cherchieren noch Vorgänge oder Doku- sortübergreifenden Abstimmung von
mente anlegen, können die virtuellen Ar- Dokumenten; mithilfe eines zum Do­
beitsplätze rollenbezogen schlanker konfi- kument hinzugeschalteten Diskussions­
guriert werden. Dokumente können forums können seitens des fede­r­
abonniert werden, sodass über Änderun- führenden Nutzers Lese- und/oder
gen in Dokumenten automatisch informiert Schreibrechte vergeben werden, so-
wird. Anspruchsvolle Fristenlösungen un- dass die Nutzenden im Diskussionsfo-
terstützen die Nutzenden bei der täglichen rum ihre Stellungnahmen hinterlegen
Arbeit, um nur einige Funktionalitäten auf- oder direkt ins Dokument schreiben
zuzeigen, die nicht in jedem DMS/VBS können. Das aufwendige Übersenden
standardmässig enthalten sind. von Entwürfen und Stellungnahmen

«eGov Präsenz» 1/10


Praxis – International 79

Schirmherren gesucht, die das Projekt


mittragen und für die Nutzenden spürbar
als Unterstützer auftreten.
Ein Schwerpunkt ist natürlich die Vorbe-
reitung aller Nutzenden, mittels Informa­
tionen, Schulungen, Workshops und en-
ger Betreuung, die auch die Tatsache
berücksichtigen muss, dass die Einarbei-
tungsphase mit starken Belastungen ein-
hergeht und die Produktivität der Mitarbei-
tenden erst wieder steigen kann, wenn
eine routinierte Nutzung der neuen Soft-
ware sichergestellt werden kann.

EL-Architektur
Der ganzheitliche Ansatz des Landes
Brandenburg sieht eine starke prozess­
orientierte Zusammenarbeit zwischen EL.
DOK BB und Partnerprojekten vor, um
eine medienbruchfreie elektronische Ab-
wicklung bereichs- und systemübergrei-
fender Prozesse unter anderem zwischen
Landtag und Landesregierung zu gewähr-
Abbildung: Zusammenspiel von EL.DOK BB mit anderen E-Government-Projekten des Landes Brandenburgs leisten. Dazu müssen das im Aufbau
­befindliche Landtagsinformationssystem
(ELVIS), das geplante System zur elektro-
kann somit entfallen. Nur die letzte Ver- ihrer Prozesse innerhalb eines Systems, in nischen Normenverkündung (EL.NORM)
sion wird in das Aktenhaltungssystem dem die Prozesse gesteuert werden und sowie das System zur elektronischen Ar-
zurückübernommen. eine automatische, geordnete Aktenhal- chivierung (EL.ARCHIV – in Betrieb) über
b. Der zweite Bereich soll die ressortüber- tung sichergestellt wird. Die Nutzer kön- die XDOMEA-Schnittstelle angebunden
greifende Gremienarbeit verschiedener nen sich dabei immer innerhalb einer ge- werden, um einen rechtssicheren Aus-
Bereiche in einem System unterstüt- wohnten Oberfläche bewegen und tausch von elektronisch signierten Doku-
zen. Dazu wird ein Bereich vorkonfigu- müssen nicht lernen, mit unterschiedli- menten sicherstellen zu können. Gleiches
riert, in dem die Aktenordnung bereits chen Systemen umzugehen. ist für die übergreifend genutzten Fach-
für jede Sitzung vorgefertigte Leervor- bzw. Querschnittsverfahren wie etwa das
gänge mit Vorlagen für Tagesordnung Veränderungsmanagement elektronische Personalinformationssystem
und Protokoll enthalten sind, die nur zur Begleitung des Paradigmen- (PerIS) und das Buchungsverfahren im
noch inhaltlich sinnvoll befüllt werden wechsels Rahmen des Projektes NFM (SAP) ge-
müssen. Eine redundante Dateien- Bei der Einführung einer neuen und durch- plant. Der ganzheitliche Ansatz sieht auch
bzw. Aktenhaltung durch die Mitglieder aus komplexen Software, die auch erheb- die Einbindung einer virtuellen Poststelle,
kann durch die gemeinsame Nutzung liche Veränderungen in der Arbeitsweise eines Langzeitspeichersystems zur Aufbe-
entfallen. beinhaltet, ist es in der Regel nicht so, wahrung von Akten bis zur Archivierung
c. Der dritte Bereich soll die ressortüber- dass die Mitarbeitenden nur darauf war- sowie die Vorbereitung der Aussonderung
greifende Projektarbeit unterstützen. ten, endlich ein neues System zu bekom- elektronischer Akten an das Landeshaupt-
Dafür werden Grundkonfigurationen men, um dann sofort damit zu arbeiten. archiv vor.
hinterlegt, die eine Arbeit nach dem Vielmehr ist bei den künftigen Nutzern
Projektmanagementmodell des Landes eher eine abwartende bis skeptische Hal-
Brandenburg unterstützen. Beispiels- tung anzunehmen, weil die Arbeit ja
weise werden vorgefertigte Vergabeak- schliesslich bisher auch so erledigt wurde.
ten mit Leerformularen sowie Pro- Das neue System muss erst erlernt wer-
jektakten mit Vordrucken zum Beispiel den, und bis eine routinierte Systemnut-
für Projektphasenpläne, Terminpläne, zung angenommen werden kann und da-
Risikolisten etc. eingerichtet, die von mit für die Nutzenden Vorteile erkennbar
den Projektmitgliedern gemeinsam ge- werden, fühlen diese sich zusätzlich be-
führt und später auch gemeinsam aus- lastet.
gesondert werden können. In diesem Hier galt es, im Projekt frühzeitig anzu-
Bereich sollen die Objekte: Akte, Vor- setzen und neben der technischen Ent-
gang und Dokumente um die für die wicklung auch darauf zu achten, dass die
Projektarbeit typischen Objekte Ar- Veränderungsprozesse von Beginn an be-
beitspakete und Einzelaktivitäten, die in gleitet werden. Dazu gehört zum Beispiel
eine zeitliche Abhängigkeit gebracht auch, die Mitglieder der Teilprojektgrup-
werden können, ergänzt werden. pen der Ministerien und der Staatskanzlei
Diese All-in-one-Lösung ermöglicht den argumentativ auf die eigenverantwortliche
Nutzenden der Ministerialverwaltung eine Einführung vorzubereiten. In jedem Minis-
weitgehende elektronische Bearbeitung terium und der Staatskanzlei wurden

«eGov Präsenz» 1/10


80 Praxis – International

Eine Referenzarchitektur für die vertrauens­


würdige Langzeitspeicherung sensitiver Daten
Detlef Hühnlein, Ulrike Korte, Stefanie Fischer-Dieskau

Da die Sicherheit kryptografischer cord Syntax und ein über Standardschnitt- neben der bitgenauen Reproduktion der
Algorithmen meist nur für einen be- stellen integriertes Krypto-Modul (vgl. [11], aufbewahrten Daten keine zusätzlichen
stimmten Zeitraum gegeben ist, ist es [12], [13], [16]). Anforderungen an den Langzeitspeicher
eine herausfordernde Aufgabe, die gestellt werden, wird in [3] gezeigt, wie
Integrität, Authentizität, Vertraulichkeit Module der Referenzarchitektur durch Einsatz von Secret-Sharing-Verfah-
und Verkehrsfähigkeit archivierter Daten Wie in Abbildung 1 dargestellt, besteht die ren ein Archivierungssystem realisiert wer-
und Dokumente über einen langen Referenzarchitektur aus den folgenden den kann, das neben der Integrität und
Zeitraum gewährleisten zu können. Vor Modulen: Authentizität auch die Vertraulichkeit und
diesem Hintergrund wurde vom deut- – ArchiSafe-Modul Verfügbarkeit langfristig sicherstellen kann.
schen Bundesamt für Sicherheit in der – ArchiSig-Modul
Informationstechnik (BSI) auf Basis – Krypto-Modul Schnittstellen und Prozesse
vorheriger Projekterfahrungen und unter – Langzeitspeicher Die Anwendungen benutzen eine abstrak-
Berücksichtigung internationaler Stan- te, möglichst einfache Anwendungs-
dards im Rahmen der «technischen Richt- ArchiSafe-Modul schnittstelle, um einen der folgenden Pro-
linie vertrauenswürdige elektronische Das ArchiSafe-Modul nimmt die Archivan- zesse zu aktivieren:
Langzeitspeicherung (TR-VELS)» eine fragen der Geschäftsanwendungen entge- – Archivierung elektronischer Daten,
Referenzarchitektur für die vertrauens­ gen und steuert die wesentlichen Abläufe – Abfrage von ganzen Archivdatenobjek-
würdige Langzeitaufbewahrung sensitiver im Archiv, indem das ArchiSig-Modul oder ten oder Teilen davon,
Daten entwickelt, die im Rahmen des der Langzeitspeicher angesprochen wer- – Löschen von Archivdatenobjekten und
vorliegenden Beitrags kurz vorgestellt den. Sofern die zu archivierenden Daten – Rückgabe von technischen Beweisda-
werden soll. signiert sind, wird in der Regel mittels des ten.
Krypto-Moduls die Prüfung der im Archiv- Alle Schnittstellen sind als Web Service
Dr. Detlef Hühnlein datenobjekt enthaltenen Signaturen an- realisiert, basierend auf [14] und [15] so-
Seit mehr als zehn Jahren bei
der secunet Security Networks AG –
gestossen. wie auf den in [11] definierten Datentypen.
u.a. im Umfeld der elektronischen Diese einfachen Anwendungsschnittstel-
Signatur – tätig ArchiSig-Modul len werden im folgenden Text näher vorge-
detlef.huehnlein@secunet.com
Das ArchiSig-Modul verwaltet die Merkle- stellt.
Hashbäume [9] zu den registrierten Ar-
Dr. Ulrike Korte chivdatenobjekten, fordert bei Bedarf über ArchiveSubmissionRequest
Referentin im Bundesamt für Sicherheit
in der Informationstechnik (BSI) Referat
das Krypto-Modul (qualifizierte) Zeitstem- Zur Archivierung elektronischer Dokumente
«Neue Technologien und wissenschaft- pel gemäss [10] an und erzeugt auf Anfor- wird der Funktionstyp ArchiveSubmission-
liche Grundlagen» derung technische Beweisdaten gemäss Request vom ArchiSafe-Modul gegenüber
ulrike.korte@bsi.bund.de
[7]. den Anwendungen, vom ArchiSig-Modul
gegenüber dem ArchiSafe-Modul sowie in
Dr. Stefanie Fischer-Dieskau Krypto-Modul ähnlicher Form vom Langzeitspeicher ge-
Referentin im Bundesamt für Sicherheit
in der Informationstechnik (BSI) Referat
Das Krypto-Modul ist zumindest in der genüber dem ArchiSig-Modul angeboten.
«Haushalt, Justiziariat» Lage, Hashwerte zu berechnen sowie Sig- Dabei wird im Wesentlichen ein Archivda-
stefanie.fischer-dieskau@bsi.bund.de naturen und Zeitstempel samt den zuge- tenobjekt XAIP übergeben und man erhält
hörigen Zertifikatsketten zu prüfen. Aus- ein sogenanntes «ArchiveToken» zurück,
serdem können (qualifizierte) Zeitstempel mit dem man – analog einer «Garderoben-
bei einem Zertifizierungsdiensteanbieter marke» – später das dadurch eindeutig be-
(ZDA) angefordert werden. Das Krypto- zeichnete Archivdatenobjekt wieder ausle-
Einleitung Modul kann insbesondere auf Basis des sen (vgl. Abschnitt 3.2), löschen (vgl.
Die im Rahmen der technischen Richtlinie eCard-API-Framework [11] realisiert wer- Abschnitt 3.3) oder zugehörige Beweisda-
zur vertrauenswürdigen elektronischen den, das wiederum auf den internationa- ten gemäss [7] (vgl. Abschnitt 3.4) anfor-
Langzeitspeicherung dokumentierte Refe- len Standards ISO/IEC 24727 [12] und dern kann. Sofern das übergebene Archiv-
renzarchitektur (siehe auch [2], [3]) sieht OASIS DSS [13] basiert (siehe auch [16]). datenobjekt elektronische Signaturen
eine Entkopplung der Anwendungen (Ap- enthält, werden diese unter Verwendung
plication-Layer) vom vertrauenswürdigen Langzeitspeicher der VerifyRequest-Funktion gemäss Teil 2
Archivierungssystem (Trusted-Archive- Im Langzeitspeicher werden schliesslich des eCard-API-Frameworks [11] vor der
Layer) vor, durch die eine dienstorientierte die Archivdatenobjekte abgelegt und kön- Archivierung geprüft (vgl. Abschnitt 2.3).
Realisierung ermöglicht wird. Die interne nen bei Bedarf dort wieder ausgelesen
Struktur des Langzeitarchivs basiert wie- oder – zum Beispiel nach Ablauf der Auf- ArchiveRetrievalRequest
derum auf den Vorarbeiten des ArchiSig1- bewahrungsfrist und sofern die Vorausset- Diese Funktion wird vom ArchiSafe-Modul
[4] und ArchiSafe2-Projektes [5], [6] und zungen gemäss dem Bundesarchivgesetz den Anwendungen und in vergleichbarer
stützt sich insbesondere auf die inzwi- [17] gegeben sind – gelöscht werden. Form vom Langzeitspeicher dem ArchiSa-
schen in [7] standardisierte Evidence Re- Während in der technischen Richtlinie [1] fe-Modul angeboten.

«eGov Präsenz» 1/10


Praxis – International 81

– konsequente und vollständige Anwen-


dungs-, Plattform- und Herstellerneutra-
lität;
– Mandantenfähigkeit für anwendungs-
und produktübergreifende Archivinfra-
strukturen.
Mittels der vorgestellten Schnittstellen
ist es gelungen, eine Archivschnittstelle als
einzigen Service für alle Anwendungen im
Rahmen einer einfach zu erweiternden IT-
Referenzarchitektur zur Verfügung zu stel-
len.

Literatur
  [1] BSI: Vertrauenswürdige elektronische Langzeitspei-
cherung (VELS), BSI-TR 03125, 2009, https://www.
bsi.bund.de/cln_136/DE/Publikationen/Technische-
Richtlinien/technischerichtlinien_node.html.
  [2] Rehäußer, P./Zimmer, W./Korte, U./Hühnlein, D./
Fischer-Dieskau, S./Gnaida, U.: Technische Richtlinie
zur vertrauenswürdigen Langzeitarchivierung. In:
Tagungsband «D•A•CH Security», IT-Verlag, 2009,
http://www.ecsec.de/pub/2009_DACH-TR-VLA.pdf.
  [3] Hühnlein, D./Korte, U./Langer, L./Wiesmaier, A.: A
Comprehensive Reference Architecture for Trustworthy
Long-Term Archiving of Sensitive Data. In: Procee-
Abbildung 1: IT-Referenzarchitektur für die vertrauenswürdige Langzeitarchivierung dings of Third International Conference on New
Technologies, Mobility and Security, IEEE, 2009,
http://www.ecsec.de/pub/2009_NTMS.pdf.
  [4] Rossnagel, A./Schmücker, P.: Beweiskräftige
Nach Übergabe eines ArchiveToken Umsetzung mit dem elektronische Archivierung. Bieten elektronische Signa-
turen Rechtssicherheit? Ergebnisse des Forschungs-
durch die Anwendung wird das entspre- eCard-API-Framework projekts «ArchiSig», Economica Verlag, 2005.
chende XAIP zurückgeliefert. Während für die Umsetzung der hier skiz-   [5] Hackel, S./Rossnagel, A.: Langfristige Aufbewahrung
elektronischer Dokumente. In: Klumpp, D./Kubicek,
zierten IT-Referenzarchitektur der TR-VELS H./ Roßnagel, A./Schulz, W. (Hg.): Informationelles
ArchiveDataRequest [1] grundsätzlich verschiedene Möglichkei- Vertrauen für die Informationsgesellschaft.
Springer-Verlag, 2008. S. 199–207.
In ähnlicher Form kann mit der Funktion ten existieren, ist es dennoch be­sonders
  [6] Zimmer, W./Langkabel, T./Hentrich, C.: ArchiSafe:
ArchiveDataRequest auf Teile eines Ar- naheliegend und empfehlenswert, dies Legally Compliant Electronic Storage. In: IT
chivdatenobjektes zugegriffen werden. auf Basis des eCard-API-Framework [11] Professional, Vol. 10, 4 (2008). S. 26–33.
  [7] Gondrom, T./Brandner, R./Pordesch, U.: Evidence
durch­zuführen. Record Syntax (ERS), IETF RFC 4998, http://www.ietf.
ArchiveDeletionRequest Durch Nutzung des eCard-API-Frame- org/rfc/rfc4998.txt.
  [8] ISO 14721: Space data and information transfer
Diese Funktion wird vom ArchiSafe-Modul work ergeben sich die folgenden Vor- systems – Open archival information system – Refe-
den Anwendungen und in ähnlicher Form teile: rence model, International Standard, 2003 (vgl. http://
vom Langzeitspeicher dem ArchiSafe-Mo- Durch Einsatz einer bereits zur Verfü- public.ccsds.org/publications/archive/650x0b1.pdf).
  [9] Merkle, R.: Protocols for Public Key Cryptosystems.
dul angeboten. gung stehenden Umsetzung des eCard- Proceedings of the 1980 IEEE Symposium on Security
Nach Übergabe des ArchiveToken und API-Framework kann auf die eigenstän­ and Privacy (Oakland, CA, USA). 1980. S. 122–134.
[10] Adams, S./Cain, P./Pinkas, D./Zuccherato, R.: Internet
gegebenenfalls einer entsprechenden Be- dige und aufwendige Implementierung, X.509 Public Key Infrastructure – Time-Stamp
gründung für das Löschen wird das ent- Evaluierung und Zertifizierung dieser Kom- Protocol (TSP), IETF RFC 3161, http://www.ietf.org/
sprechende XAIP im Langzeitspeicher ponente verzichtet werden. rfc/rfc3161.txt.
[11] BSI: eCard-API-Framework, BSI-TR 03112 (Teile 1–7),
­gelöscht, sofern die Voraussetzungen ge- Ausserdem werden die weiteren, aus Version 1.1, 2009, https://www.bsi.bund.de/cln_136/
mäss dem Bundesarchivgesetz [17] gege- den notwendigen Archivierungsprozessen DE/Publikationen/TechnischeRichtlinien/technische-
richtlinien_node.html.
ben sind. abgeleiteten Schnittstellen (siehe Ab- [12] ISO/IEC 24727: Identification cards, Part 3
schnitte 3.1–3.4) auf Basis der auch dem (Application interface) & Part 4 (Application
programming interface (API) administration),
ArchiveEvidenceRequest eCard-API-Framework [11] zugrunde lie-
International Standard, 2008.
Die Anforderung von Beweisdaten erfolgt genden Basistypen (RequestBaseType [13] OASIS: Digital Signature Service Core Protocols,
mittels des Funktionstyps ArchiveEvi­ und ResponseBaseType) aus [13] umge- Elements, and Bindings, Version 1.0, Standard, 2007,
http://docs.oasis-open.org/dss/v1.0/oasis-dss-core-
denceRequest, der vom ArchiSafe-Modul setzt. Hierdurch können bewährte Werk- spec-v1.0-os.pdf.
gegenüber den Anwendungen und vom zeuge und Bibliotheken nahtlos weiterver- [14] Wallace, C./Chokani, S.: Trusted Archive Protocol (TAP),
Internet Draft, draft-ietf-pkix-tap-00.txt, February 2003,
Ar­chiSig-Modul gegenüber dem ArchiSa- wendet werden, und es entsteht eine http://tools.ietf.org/id/draft-ietf-pkix-tap-00.txt.
fe-Modul angeboten wird. harmonisch aufeinander abgestimmte Ge- [15] Jerman Blazic, A./Sylvester, P./Wallace, C.: Long-term
Für ein mittels ArchiveSubmissionRe- samtlösung, die zudem das Potenzial be- Archive Protocol (LTAP) – draft-ietf-ltans-ltap-07. LTAP,
2008, http://tools.ietf.org/html/draft-ietf-ltans-ltap-07,
quest (vgl. Abschnitt 3.1) archiviertes XAIP sitzt, in die internationale Standardisierung [16] Hühnlein, D./Bach, M.: Die Standards des
kann bei Bedarf mittels ArchiveEvidence- einzufliessen. eCard-API-Frameworks. Eine deutsche Richtlinie im
Konzert internationaler Normen. In: Datenschutz und
Request ein entsprechender EvidenceRe- Datensicherheit (DuD), 6 (2008). S. 379–382, http://
cord gemäss [7] angefordert werden, Fazit www.ecsec.de/pub/2008_DuD_eCard.pdf.
durch den die Integrität und Authentizität Die technische Richtlinie [1] und insbeson- [17] Gesetz über die Sicherung und Nutzung von Archivgut
des Bundes, (Bundesarchivgesetz – BArchG) vom
des Archivdatenobjekts langfristig gewahrt dere auch die darin enthaltene Referenzar- 06.01.1988, zuletzt geändert durch § 13 Abs. 1 G vom
und somit die Beweiskraft der archivierten chitektur wurden auf Basis der folgenden 05.09.2005 I 2722, siehe unter http://www.gesetze-im-
internet.de/bundesrecht/barchg/gesamt.pdf.
Daten erhalten werden kann. Gestaltungskriterien erstellt:
– Berücksichtigung der relavanten natio- 1 http://www.archisig.de.
2 http://www.archisafe.de.
nalen und internationalen Standards;

«eGov Präsenz» 1/10


82 Praxis – International

Durchgängige IT-Unterstützung von Verwaltungs-


abläufen durch Digitales Schriftgutmanagement
Harald Schumacher, Martin Wind

Dokumenten-Management geniesst und weitergereicht, vom Empfänger er- und Wege zu suchen, Medienbrüche zu
gegenwärtig zu Recht hohe Aufmerksam- neut in das von ihm genutzte Fachverfah- vermeiden und die Vorgangsbearbeitung
keit in den Verwaltungen, stellt es doch in ren eingegeben werden müssen usw. Den möglichst durchgängig mit IT zu unterstüt-
vielen Fällen den Schlüssel dar zu mehr Abschluss der Bearbeitung bildet schliess- zen. So könnte Schriftgut im Posteingang
Effizienz, Effektivität und Qualität durch lich ein Bescheid, der mangels rechtssi- digitalisiert werden, wodurch die relevan-
den Einsatz moderner IT. Digitales cherer und komfortabler Alternativen noch ten Daten der Vorgangsbearbeitung von
Schriftgutmanagement bezeichnet einen immer auf Papier erstellt und auf dem her- Beginn an in elektronischer Form zur Ver-
prozessorientierten Ansatz, den Umgang kömmlichen Postweg übermittelt werden fügung stünden. Am Ende des Prozesses
mit Dokumenten nicht nur punktuell in muss. könnte der Postausgang zentralisiert wer-
den Fachabteilungen von Behörden, Die Anfangsphase im E-Government den, um die Aktivitäten rund um Druckout-
sondern durchgängig, das heisst vom war geprägt von der Vorstellung, dass die put und Versand an einer Stelle zu bün-
Post­eingang über die Vorgangsbearbei- elektronische Kommunikation das Me­ deln und dadurch zu höheren Volumina
tung bis zum Postausgang, zu unterstüt- dium Papier in weiten Teilen verdrängen und den damit verbundenen Effizienzvor-
zen. Der Beitrag beschreibt Gestaltungs- würde. Wie wir heute wissen, hat sich die- teilen zu gelangen.
möglichkeiten und ‑anforderungen se Vision als unrealistisch erwiesen – ganz Diese durchgängige, IT-basierte Opti-
anhand von aktuellen Projektergebnissen. ähnlich wie die des papierlosen Büros, die mierung des gesamten Durchlaufs vom
in vorangegangenen Phasen des Compu- Posteingang über die einzelnen Fachpro-
Harald Schumacher tereinsatzes formuliert worden war. Heute zesse bis zum Postausgang lässt sich
Geschäftsführer, b.i.t.consult GmbH
harald.schumacher@bitconsult.de
gehen Expertinnen und Experten davon auch als «Digitales Schriftgutmanage-
aus, dass der Umgang mit Briefen und an- ment» (DSM) bezeichnen. Mit diesem
deren Schriftstücken auf absehbare Zeit ­Begriff verbindet sich eine gewisse Erwei-
fester Bestandteil von Verwaltungsarbeit terung gegenüber dem Dokumentenma-
bleiben wird.1 nagement, das in vielen Verwaltungen
Dr. Martin Wind noch eher punktuell und ohne systemati-
Institut für Informationsmanagement
Bremen; beratender Partner,
Empfehlenswerte Doppel- sche Bezugnahme auf relevante Ge-
b.i.t.consult GmbH strategie schäftsprozesse betrieben wird. Neuer-
martin.wind@bitconsult.de Bei der Entwicklung von Strategien zum dings ist in diesem Zusammenhang auch
IT-Einsatz kommt dem Umgang mit Doku- häufig von «Enterprise Content Manage-
menten also zentrale Bedeutung zu. Ver- ment» (ECM) die Rede, womit vor allem
waltungen, die dies erkannt haben, setzen das Zusammenwachsen bislang getrennt
sich derzeit vor allem mit der Digitalisie- entwickelter und eingesetzter IT-Kompo-
rung von Schriftgut in den Fachämtern nenten zum Ausdruck gebracht werden
und Fragen zur rechtssicheren langfristi- soll. Diese Begrifflichkeiten können sicher-
gen Archivierung auseinander. Als wäre lich synonym verwendet werden, im Fol-
dies nicht schon kompliziert genug, emp- genden wird in der Regel dem «Digitalen
Verwaltungsarbeit ist Papierarbeit – diese fiehlt es sich, den Bogen noch etwas wei- Schriftgutmanagement» der Vorzug gege-
Feststellung hat trotz dem intensiven Ein- ter zu spannen und den Ein- und Ausgang ben.
satz der Informationstechnik (IT) in den von Schriftgut systematisch mit einzu-
Behörden nach wie vor Gültigkeit. Die schliessen. Wirtschaftlichkeit von
Gründe dafür sind vielfältig: Formulare, mit Auf diese Weise eröffnet sich eine Dop- DSM-Szenarien
denen Ansprüche geltend gemacht oder pelstrategie, mit der die Möglichkeiten Obwohl DSM mit dem Durchlauf von
Anliegen an die Verwaltung gerichtet wer- moderner IT trotz den eingangs beschrie- Schriftgut die zentralen Elemente von Ver-
den, müssen häufig unterschrieben wer- benen Schwierigkeiten zur Verbesserung waltungsarbeit schlechthin berührt, zeigt
den – und da sich die elektronische Signa- von Qualität und Wirtschaftlichkeit von die Erfahrung, dass die zur konkreten Pla-
tur als Alternative zur handschriftlichen Verwaltungsarbeit ausgeschöpft werden nung vor Ort erforderlichen Daten häufig
Unterschrift bislang nicht durchsetzen können: Einerseits sollten selbstverständ- erst noch ermittelt werden müssen.
konnte, beginnen viele Verwaltungsvor- lich E-Government-Angebote für jene Ziel- Erste Anhaltspunkte, worauf zu achten
gänge mit einem Posteingang auf Papier. gruppen weiter ausgebaut werden, die für ist und welches Vorgehen sinnvoll sein
Weiter geht es in der internen Vorgangs- die elektronische Kommunikation in be- könnte, liefert eine Studie, die Mitte 2008
bearbeitung, wo durchgängig elektroni- sonderem Masse zu gewinnen sind und im Kreis Soest (Nordrhein-Westfalen;
sche Systeme noch immer eher die idealerweise selbst ein Interesse daran ha- ca. 306 000 Einwohner) durchgeführt wor-
­Ausnahme sind. So kommt es zu Medien- ben, mit der Verwaltung nicht mehr per den ist.2 Hier wurden vier DSM-Szenarien
brüchen, da Daten aus Formularen in IT- Brief, sondern auf elektronischem Weg zu definiert und auf ihre Wirtschaftlichkeit hin
Systeme übertragen, dann ausgedruckt kommunizieren. Andererseits sind Mittel untersucht:

«eGov Präsenz» 1/10


Praxis – International 83

1. die Digitalisierung des Posteingangs,


2. die Digitalisierung des Postausgangs,
3. die Digitalisierung von Postein- und
‑ausgang sowie
4. die durchgängige Digitalisierung unter
Einschluss der Vorgangsbearbeitung.
Die auf den ersten Blick überraschende
Quintessenz der Analysearbeiten: DSM
beginnt am Ende des Dokumentendurch-
laufs, also beim Postausgang. Wird näm-
lich am Posteingang angesetzt, fehlt es
der durchgängigen Digitalisierung, das
heisst, Schriftstücke müssen für die weite-
re Bearbeitung doch wieder ausgedruckt
werden. Gegenüber den Kosten des heu-
tigen Ist-Ablaufs im Dokumentenmanage-
ment, die in der Studie als 100% gesetzt
wurden, würde sich der Aufwand sogar
erhöhen. Für dieses Szenario 1 wurde ein Abbildung 1: Kosteneffekte unterschiedlicher DSM-Szenarien3
Wert von 105% gegenüber dem heutigen
Ist ermittelt (Abbildung 1).
Als wirtschaftlich weitaus sinnvoller hat ausgehendes Schriftgut aber auf die Zahl entfallen nämlich 62% des Posteingangs
es sich erwiesen, in oben beschriebener der Beschäftigten umgerechnet, zeigt und sogar 73% des Postausgangs auf die
Weise am Postausgang anzusetzen sich, dass in kleineren Kommunen pro gemeinsamen «Top Five» unter den Pro-
­(Szenario 2). Mit IT-Komponenten und Mitarbeitenden deutlich mehr Schriftgut duktgruppen des Referenzplans.
Prozessen, die auf eine Bündelung des bewältigt werden muss als in grösseren. Doch auch Unterschiede wurden deut-
Postausgangs zielen, liessen sich nach Dies war eines der Ergebnisse einer in- lich: Beim Postein- und -ausgang zeigten
Berechnungen aus der Studie die Kosten terkommunalen Praxisanalyse in Nieder- sich bei den Gemeinden einzelne Schwer-
auf 72% senken. Wird zugleich der Post- sachsen, an der sich die Samtgemeinde punkte, die in den anderen Projektkom-
eingang digitalisiert, ohne zuvor eine IT- Jesteburg (10 630 Einwohner) sowie die munen in dieser Form nicht zu finden wa-
gestützte Vorgangsbearbeitung eingeführt Gemeinden Neu Wulmstorf (21 339 Ein- ren und sich durch jeweils spezifische
zu haben (Szenario 3), sinkt der Einsparef- wohner) und Seevetal (41 435 Einwohner) Bedingungen oder Ereignisse auch plausi-
fekt wieder um die fünf Prozentpunkte, die beteiligt haben.4 In einem ersten Schritt bel erklären liessen. Es reicht also nicht
in Szenario 1 für Ausdrucke im Zuge der wurde zunächst einmal das absolute Volu- aus, sich allein auf andernorts erarbeitete
Vorgangsbearbeitung veranschlagt wor- men der Postein- und ‑ausgänge ermittelt. Analyseergebnisse zu beziehen. Wer DSM
den sind. Damit die auf die einzelnen Mitarbeitenden einführen will, tut vielmehr gut daran,
Das Ziel aller Bemühungen sollte letzt- entfallenden Mengen zwischen den be­ gleich zu Beginn des Projekts die eigene
lich die mit Szenario 4 beschriebene, teiligten Verwaltungen verglichen werden Postlogistik detailliert unter die Lupe zu
durchgängig elektronisch realisierte Kette konnten, wurde das Beschäftigungsvolu- nehmen, um den jeweils spezifischen Be-
vom Posteingang über die Vorgangsbear- men in Vollzeitstellen («Vollzeitäquiva­ darf und damit die Schwerpunkte für Fol-
beitung zum Postausgang sein, mit der lente», VZÄ) ausgedrückt. Das Ergebnis geaktivitäten und die damit verbundenen
sich die Kosten für den Umgang mit Doku- spricht für sich: Die kleinste beteiligte Investitionen punktgenau ermitteln zu kön-
menten gegenüber dem heutigen Ist auf Kommune, die Samtgemeinde Jesteburg, nen.
23% reduzieren lassen. Wohlgemerkt: Da- wies pro VZÄ sowohl bei eingehendem als Gleiches gilt für die Bearbeitung ein-
mit sind nur die Kosten für das Dokumen- auch bei ausgehendem Schriftgut den mit und ausgehender Post, wo sich ebenfalls
tenmanagement gemeint. Integrativ ange- Abstand höchsten Wert auf. Es wäre also wichtige Unterschiede zwischen den be-
legte IT-Konzepte eröffnen zusätzliche ein Irrtum, anzunehmen, für kleine bis mit- teiligten Kommunen zeigten (Abbildung 2).
Optionen für die Optimierung von Fach- telgrosse Kommunen sei DSM kein The- Beispielsweise schwankte der Anteil des
prozessen und damit zur Reduzierung ma. Die vorliegenden Zahlen legen den Posteingangs, der von der Poststelle ge-
weiterer Prozesskosten. genau gegenteiligen Schluss nahe. öffnet wird, zwischen 56% und 90%. Da
Bei der Zählung des Postein- und -aus- es sich aus wirtschaftlichen Gesichts-
DSM – ein Thema auch für gangs wurden die Briefe nicht nur per punkten in den meisten Fällen empfiehlt,
kleine Gemeinden Strichliste erfasst, sondern den Kategori- das Einscannen postalisch eingegange-
Obwohl das Thema Dokumentenmanage- en eines Referenzproduktplans zugeord- nen Schriftguts an einer Stelle zu bündeln,
ment durch solche Darstellungen zu sinn- net. Durch den Bezug auf eine gemein­ sollte ein möglichst hoher Anteil eingehen-
vollen Ansatzpunkten kommt und die sich same Systematik, die 116 Produkte auf der Post zentral geöffnet werden können.
daraus ergebenden Einsparpotenziale 45 Produktgruppen und 12 übergeordnete Für die Gestaltung des nachfolgenden,
überschaubarer werden, schrecken gera- Produktbereiche verteilt, konnten Gemein- elektronisch abzubildenden Bearbeitungs-
de kleinere Kommunen vor dem zweifellos samkeiten und Unterschiede bei den prozesses («Workflow») ist ein hoher Anteil
vorhandenen Projektaufwand zurück, da Schwerpunkten der Postlogistik in den formalisierter Kommunikation vorteilhaft.
sie den Nutzen für sich selbst infrage stel- drei Gemeinden identifiziert werden. Dem- In der Analyse wurde diesem Gesichts-
len. Nun ist es natürlich so, dass sich das nach lassen sich die Bereiche, in denen punkt anhand des Anteils von Formularen
absolute Post- und damit das Dokumen- DSM besonders schnelle und nachhaltige am Posteingang nachgegangen. Dieser
tenvolumen mit der Grösse einer Kommu- Wirkungen verspricht, sehr präzise benen- betrug in den drei Pilotkommunen im Ma-
ne erhöht. Werden die Werte für ein- und nen: Über alle drei Kommunen hinweg ximum 42% und im Minimum 17%. Solche

«eGov Präsenz» 1/10


84 Praxis – International

gen gut daran tun, sich erst einmal einen


fundierten Überblick über ihren technolo-
gischen und organisatorischen Entwick-
lungsstand, über Mengengerüste und
Kostenstrukturen zu verschaffen. Auf der
Grundlage dieser Informationen können
sich die Beteiligten über das weitere Vor-
gehen und über prioritäre Arbeitsfelder
verständigen – die Verwaltung gewinnt da-
mit die erforderliche Handlungssicherheit.
Die Entwicklung einer gemeinsamen Li-
nie ist auch deshalb erforderlich, weil die
Relevanz des Themas DSM perspektivisch
weit über die Postlogistik hinausreicht.
Letztlich bietet DSM einen äusserst prag-
matischen Einstieg in die Welt des Ge-
schäftsprozessmanagements. Nur wenn
die Gestaltung der Ablauforganisation
Abbildung 2: Unterschiedliche Behandlung von Posteingängen5 (wieder) stärker in den Mittelpunkt organi-
satorischen Handelns gestellt wird und
sich die Beteiligten dabei von den Mög-
Zahlen zeigen, dass es zum Teil erforder- auch förderlich auf die Durchsetzbarkeit lichkeiten moderner IT inspirieren – und in
lich, aber eben auch ohne Weiteres mög- von Veränderungen in den beteiligten Teile auch leiten – lassen, werden die mit
lich ist, die Rahmenbedingungen für DSM Häusern auswirken. der weiteren Verknappung öffentlicher Mit-
zu optimieren. Drittens schliesslich kann der Betrieb tel und dem demografischen Wandel ver-
der für DSM erforderlichen Infrastruktur bundenen Veränderungen bewältigt wer-
DSM als Gegenstand inter­ zum Gegenstand interkommunaler Ko- den können.
kommunaler Kooperation operation werden. So werden beispiels-
1 Vgl. dazu die Ergebnisse der Expertenumfrage
Im Umfeld von IT-Themen und E-Govern- weise in einem Teilprojekt des Modellver-
«Kommunales E-Government und Bürgerkommunika­
ment erfreut sich die interkommunale Zu- suchs «Vernetzte Verwaltung» des Landes tion 2015», dokumentiert in der Sonderpublikation
sammenarbeit durchaus steigender Be- Nordrhein-Westfalen gegenwärtig die «Fortschrittliche Beziehungen» des Magazins 360 Grad
vom November 2008 (www.deutschepost.de/
liebtheit, sie ist aber noch lange nicht die Grundlagen für ein Shared Service Center kommunen).
Regel. DSM könnte hier für Belebung sor- «Digitale Postbearbeitung» entwickelt.6� 2 Die Studie wurde in Zusammenarbeit mit dem Kreis
Soest und seinem IT-Dienstleister KDVZ Citkomm von
gen, denn es ist ein ideales Feld, um von- Dem liegt die Idee zugrunde, dass geeig- der Deutschen Post AG, dem Beratungshaus
einander zu lernen und Aufwände auf nete Teile des Posteingangs der beteilig- b.i.t.consult und der Kommunalen Gemeinschaftsstelle
mehrere Schultern zu verteilen. Hier kann ten Kommunen künftig an einer Stelle ge- für Verwaltungsmanagement (KGSt) durchgeführt. Die
Ergebnisse sind dokumentiert in der Sonderpublikation
interkommunale Zusammenarbeit allen sammelt, digitalisiert und an die jeweilige «Intelligent verknüpfen» des Magazins 360 Grad vom
Partnern zu schnellen, vorzeigbaren Re- Vorgangsbearbeitung übergeben werden Mai 2008 (www.deutschepost.de/kommunen).
3 Quelle für Grafik: s. Anmerkung 2.
sultaten verhelfen, die dann neue Aktivitä- könnten. Auch der Postausgang könnte 4 Das Projekt ist von der Deutschen Post AG in
ten begünstigen oder anstossen. an einer Stelle gedruckt und auf den wei- Zusammenarbeit mit dem Niedersächsischen Städte-
Erstens können durch wechselseitige teren Versandweg gebracht werden. und Gemeindebund initiiert und in Kooperation mit dem
Beratungshaus b.i.t.con­sult durchgeführt worden.
Vergleiche die jeweils besten Lösungen Doch auch wenn es nicht um ein Shared Details sind in der Projektdokumentation zu finden, die
übertragen werden. Schon die zweimona- Service Center gehen soll: Wer einen pas- über das Webangebot des Niedersächsischen
Städte- und Gemeindebundes (www.nsgb.info; dort
tige Analyse bei den drei Gemeinden hat senden Anlass sucht, um die IT-Koopera­ unter der Rubrik «Aktionen») online zugänglich ist.
Möglichkeiten aufgezeigt, um auf Druck tion mit den Nachbarn in Gang zu bringen, 5 Quelle für Grafik: Projektdokumentation, s. Anmer-
kung 4.
und Versand von bis zu 70 000 Seiten Gre- wird beim Thema Digitales Schriftgutma-
6 Vgl. dazu Pressemitteilung des Innenministeriums
mienunterlagen und von 19 000 Beschei- nagement mit Sicherheit fündig. Nordrhein-Westfalen vom 20. Juni 2008: «Innenminister
den sowie auf Ausdruck und Archivierung Wolf gibt den Startschuss für den Modellversuch
Vernetzte Verwaltung»; http://www.im.nrw.de/
von bis zu 1000 Seiten pro Jahr verzichten Ein pragmatischer Einstieg ins pm/200608_1369.html.
zu können. Geschäftsprozessmanagement 7 Vgl. dazu auch Schumacher, H./Wind, M.: Next
Generation Masterplan: E-Government-Planungen als
Zweitens kann durch interkommunale So wie Dokumentenmanagement mehr ist Instrument kommunaler Strategieentwicklung. In: «eGov
Zusammenarbeit der mit der Einführung als die reine Digitalisierung von Dokumen- Präsenz» 2 (2009), S. 72–74.
von DSM zwangsläufig verbundene Auf- ten, so ist der mit DSM verfolgte Ansatz
wand reduziert werden. Methodische Vor- mehr als eine Erweiterung des Dokumen-
arbeiten müssen nur einmal geleistet wer- tenmanagements um Fragen zur Optimie-
den, zudem erleichtert die Zusammenarbeit rung von Poststellen. DSM gehört sicher-
die Durchführung und Auswertung der Er- lich zu den Themen, die für die Entwicklung
hebungen zu Fallzahlen etc. Ist das Feld von Verwaltungen als «strategisch bedeut-
für DSM auf diese Weise bestellt, können sam» zu gelten haben.7 Im Unterschied zu
anschliessend arbeitsteilig Kernprozesse manch anderen Gesichtspunkten einer
für DSM identifiziert und optimiert sowie Strategie ist DSM ein unmittelbar hand-
organisatorische und technische Grundla- lungs- und umsetzungsorientiertes The-
gen kooperativ erarbeitet werden. Neben- ma. Doch auch wenn es in den Fingern
bei dürfte sich die Einbindung in einen in- juckt, direkt in die Umsetzung einzustei-
terkommunalen Verbund von Fall zu Fall gen, werden die allermeisten Verwaltun-

«eGov Präsenz» 1/10


Studium
– Bachelor of Science in Betriebsökonomie (Business Administration)
– Bachelor of Science in Wirtschaftsinformatik
– Master of Science in Business Administration
Weiterbildung
– Executive MBA Controlling & Consulting
– Executive MBA Health Service Management
– Executive MBA Human Resources Management
– Executive MBA Integrated Management
– Executive MBA IT-Projektmanagement
– Executive MBA Public Management
– Diploma of Advanced Studies DAS mit Option MAS
– Certificate of Advanced Studies CAS mit Option MAS
– Weiterbildungskurse
Forschung und Dienstleistungen
– Anwendungsorientierte Forschungsprojekte mit Praxispartnern
– Beratung
– Konzepte
– Evaluationen
Kompetenzzentrum Public Management und E-Government
Kompetenzzentrum Unternehmensführung
Kompetenzzentrum Finance, Accounting und Taxes

Berner Fachhochschule
Kompetenzzentrum Public Management und E-Government
Morgartenstrasse 2a Postfach 305 CH-3000 Bern 22
Telefon +41 31 848 34 30
E-Mail e-government@bfh.ch
www.e-government.bfh.ch

«eGov Präsenz»
Fachzeitschrift des Kompetenzzentrums Public Management und E-Government
der Berner Fachhochschule
10. Jahrgang
Erscheint halbjährlich in einer Auflage von 2500 Exemplaren
ISSN 1424-9715 (gedruckte Ausgabe)
ISSN 1424-9723 (elektronische Ausgabe)
Kostenloses Abo bestellen: www.egov-praesenz.ch
Herausgeber: Prof. Dr. Reinhard Riedl Chefredaktor: Ronny Bernold
Gesamtherstellung: Stämpfli Publikationen AG Bern Fotografie: Gary Kammerhuber

Praxispartner

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