D as Große Evangelium Johannes wurde von 1851 bis 1864 niedergeschrieben, in der
Zeit der Leben Jesu Forschung. Mit der Aufklärung erwachte das Bedürfnis, den in
den Evangelien verkündigten Christus kritisch zu hinterfragen und den wahren, den irdi-
schen Jesus zu suchen. Und so wurden im 19. Jahrhundert zahlreiche Versuche unternom-
men, ein authentisches Leben Jesu zu schreiben. Als jedoch Albert Schweitzer 1906, rück-
blickend auf diese Bemühungen, seine »Geschichte der Leben Jesu Forschung« veröffent-
lichte, konnte jeder entdecken, dass es so viele verschiedene Leben Jesu wie Gelehrte gab.
Die Leben Jesu Forschung war also gescheitert.
Von der gelehrten Welt völlig unbeachtet war unterdessen in Graz ein Leben Jesu erstan-
den, und zwar aus dem Leben Jesu, aus dem inneren Worte des in die Zeitläufe der Zeitläufe
Lebendigen (Offb 1,18). Diese Antwort des Himmels auf die quälendste Frage des 19. Jahr-
hunderts nach dem wahren Jesus ging vom Vorrang und einmaligen Wert des Johannesevan-
geliums aus. Die Köpfe jener Zeit hingegen waren schon längst davon überzeugt, dass der
johanneische Jesus historisch nicht ernstzunehmen und das stolze Gebäude der Wiederent-
deckung Jesu auf dem Boden der synoptischen Evangelien aufzubauen sei. Doch die lebendige
Stimme des Geistes sah gerade im vierten »das einzige und bleibend wahre Evangelium« (Hg
III S.396): »Was Johannes spricht, ist allein vollkommen richtig.« (Hg III S.356). »Haltet
euch daher nur an den Evangelisten Johannes; denn dieses Evangelium, sowie seine Offenba-
rung, sind von seiner Hand geschrieben.« (Hg III S.337f). Die beiden Evangelien des Johan-
nes und des Matthäus1 »sind unter Meiner persönlichen Leitung geschrieben worden« (GEJ
1,91,8; 5,121,1). Doch nur Johannes enthält »die wichtigsten und tiefsten Dinge« (GEJ
1,100,6). »Denn in allem, was du (Johannes) schreibst, liegt das rein göttliche Walten von
Ewigkeit zu Ewigkeit durch alle schon bestehenden Schöpfungen und durch jene auch, die in
künftigen Ewigkeiten an die Stelle der nun bestehenden treten werden!« (GEJ 1,113,10). Die-
ser Johannes, Sohn des Zebedäus, war der Schüler der Herzensweisheit, der Schüler, den
Jesus liebte, der an der Brust Jesu lag2 (Joh 13,23), wie Jesus, der sichtbare Gott, an der
Brust des unsichtbaren Gottes (Joh 1,18) 3 . Dieser Johannes hat uns Spätgeborenen den edlen
Stein neutestamentlicher Liebesweisheit hinterlassen, deren Wert die Weltweisheit nicht er-
messen konnte. »Johannes ist ein reiner Diamant in der Liebe, und darum sieht er auch tiefer
denn jemand anders von euch.« (GEJ 4,88,11). »Johannes … stellt den Geist des Menschen
dar, der da völlig eins ist mit Mir, also Meine Liebe« (Hg III S.269). Diese im Großen Evange-
lium geoffenbarte Schau des Johannesevangeliums erschließt uns den Weg ins Allerheiligste
des göttlichen Herzens und kräftigt das johanneische Christentum für den neuen, ewigen
Frühling des Geistes.
1
Das heutige Matthäusevangelium stammt freilich von einem gewissen l'Rabbas, ist also eine pseudepigraphische
Schrift (Hg III S.331).
2
"Liegen« ist hier nicht im Buchstabensinn zu verstehen, sondern meint im Geistsinn die Ruhe im ewigen Worte Gottes
(im Logos). Zum materiellen Missverständnis von »liegen« siehe Leopold Engel, GEJ 11,71,14.
3
Joh 1,18 und 13,23 sind die einzigen beiden Stellen im Johannesevangelium, in denen das griechische Wort Kolpos (=
Brust) vorkommt. Wie also Jesus der intime Interpret Gottes ist, so ist der Lieblingsjünger der intime Interpret des
gottgesandten Jesus.
4
Siehe Irenäus, Gegen die Häresien 3,1,1 (= Eusebius, Kirchengeschichte 5,8,4).
5
Fr. Immanuel Tafel, Das Leben Jesu, nach den Berichten der Evangelisten gerechtfertigt und vertheidigt gegen die
Angriffe des Dr. Strauß und des Unglaubens überhaupt, 1865.
6
Philipp Vielhauer, Geschichte der urchristlichen Literatur, 1981, 411.
7
Martin Hengel, Die johanneische Frage: Ein Lösungsversuch, 1993, 9.
8
Die ersten 17 Hefte, in die Jakob Lorber geschrieben hat, sind mit den Kürzeln »E: J:« oder »Exegesis Evang. Joannis: D:
n: J: Ch:« beschriftet.
9
Die deutsche Übersetzung erschien 1999 unter dem Titel Johannes - Das Evangelium der Ursprünge.
10
John A. T. Robinson, Johannes - Das Evangelium der Ursprünge, 1999, 34.
11
Nach Eusebius, Kirchengeschichte 6,14,7.
12
Klaus Berger, Im Anfang war Johannes: Datierung und Theologie des vierten Evangeliums, 1997, 11.
13
a.a.O., 302.
14
Martin Hengel, a.a.O., 2. Hengel identifiziert diesen Theologen allerdings mit dem durch Papias von Hierapolis
bekannten Presbyter Johannes. Zu diesem zweiten Johannes siehe jedoch Hg III S.358.