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Hans Lohmann
Zerstörte Jahre
Inhalt
Die Wang Po Dynastie
Entsetzliche Alpträume
Umzug nach Nantschang
Der Steuerhinterziehung beschuldigt
Die Rolle Maos an den Schulen
Verirrte Kinder mit löchrigen Körben
Alles aus Eisen
Sturmzeichen für unsere Familie
Am Rande der Verzweiflung
1959-1961 eine Zeit größter Schwierigkeiten
Noch schlimmere Zeiten
Fragen, die ich immer wieder stellte
Das Vorrecht, eine Bibliothek zu haben
Die Falle des Massenberichtes
Eine Menge Insekten und wenig Wasser
Schläge für gestohlene Bohnen
Um ein Haar getötet
Es ist verboten, das Bewußtsein zu verlieren!
Verletzung der Menschenrechte
Der Sturm der Kulturrevolution
Weitere Lehrer als Opfer
Entweihte Buddhas und verbrannte Bibeln
Plünderung aller Häuser
Ausreden der Plünderer
Junge Menschen werden ausgeschaltet
Bergtragödien
Meine Flucht in die Freiheit
VORWORT
Tscheng Jen-yuan wurde im Sommer 1947 in Nantschang, der Hauptstadt der Provinz
Kiangsi im Osten Chinas geboren. Sie wuchs mit dem Kommunismus auf. Um eine bess
ere Ausbildung zu erhalten, versuchte sie zunächst, Musterschülerin zu werden. A
ber sie gab dieses Ziel auf, als sie einsehen mußte, daß sie die ungeheure Überb
eanspruchung, den Hunger und die Sinnlosigkeit eines Lebens ohne Hoffnung auf Fr
eiheit nicht mehr ertragen konnte.
Gegen Ende des Jahres 1973 schlich sie sich nachts mit zwei Freundinnen aus der
Kommune, in der sie drei Jahre gelebt hatte. Nach ungefähr einmonatigem, strapaz
iösen Fußmarsch erreichten sie Hongkong mit seinen funkelnden Lichtern - und die
Freiheit.
Mit Hilfe der Free China Relief Association kam Tscheng Jen-yuan am 9. April 197
4 nach Taiwan. Dort sah sie ihre älteren Geschwister wieder, die in die Geburtss
tadt Tainan in Süd-Taiwan zurückgekehrt waren, bevor das Festland in die Hände d
er Kommunisten fiel.
Ihr Vater, ein gebürtiger Taiwanese und von Beruf Arzt, starb auf dem chinesisch
en Festland, nach Gefangenschaft und ständiger Schikane durch die Kommunisten. I
hre Mutter und die jüngeren Geschwister befinden sich noch immer in China. Seit
ihrer Flucht hat Tscheng Jen-yuan jedoch nichts mehr von ihnen gehört.
Dieser Bericht von Tscheng Jen-yuan erschien zunächst als Fortsetzungsgeschichte
in der chinesischen Ausgabe des Youth Warrzor Daily in Taipeh vom 30. April bis
11. Mai 1974. Die englische Ausgabe wurde von der Free China Relief Association
veranlaßt.
»Wenn rosige Wolken und einsame Enten gemeinsam dahinfliegen, verschmelzt sich d
er Herbsthimmel mit den Fluten des Wassers.«
Diese Zeilen vermitteln einen Eindruck davon, wie es früher einmal in Nantschang
gewesen sein mag. Nantschang liegt an dem Fluß Kan, der in den nahegelegenen Po
jangsee im östlichen zentralchinesischen Becken mündet. Diese Gegend ist für ihr
en Reisanbau bekannt. Die Hauptstadt der Provinz Kiangsi, in der ich geboren wur
de, war einmal von Legenden umwoben, ebenso wie die Geburtsstadt meiner Eltern,
Tainan, die im Süden Taiwans liegt.
Aber heute ist Nantschang eine unter vielen chinesischen Orten auf dem Festland,
an dem sich erschöpfte Menschen von einer Finsternis zur anderen schleppen. Leg
enden gibt es nicht mehr. Sie wurden durch die Peitsche ersetzt. Die einzige Far
be, die sich aus dieser primitiven Finsternis erhebt, ist rot, auch das Rot des
Blutes von unzähligen, unschuldigen Opfern.
Entsetzliche Alpträume
Ich bin eine von denen, die im Kommunismus groß wurden. Könnte der Mensch die an
haltende Versklavung ertragen, würde die Zeit rückwärts gehen und die Geschichts
ordnung verändert. Wer vom chinesischen Festland geflohen ist, kann nur mit Grau
en zurückblicken. Die Erinnerungen sind so schmerzlich, daß sich selbst der härt
este Mensch elend fühlt und seine Tränen nicht unterdrücken kann. Die Jahre auf
dem Festland waren für mich ein einziger, entsetzlicher Alptraum.
Im Sommer 1949, kurz nach meinem zweiten Geburtstag, rückten die Kommunisten übe
r den Jangtse vor und besetzten Nantschang. Wie sich später herausstellte, unter
lief meinem Vater, einem Arzt und Ladenbesitzer, der folgenschwere Fehler, nur d
en Schafspelz, aber nicht die Wölfe darunter, zu sehen.
Vater konnte nicht ahnen, was auf uns zukam. Und als er erkannte, daß er seine F
amilie nach Taiwan in Sicherheit hätte bringen sollen, war es zu spät. Ich glaub
e jedoch, daß er wußte, daß uns noch Schlimmeres bevorstand, nachdem er das erst
e Mal mit den Kommunisten Schwierigkeiten bekam.
Strohkuchendiät
Die Mahlzeiten waren katastrophal. Wir mußten uns in langen Reihen anstellen, di
e Suppe in unsere Schüssel schöpfen und dann weitergehen. Wir waren böse auf die
jenigen, die das Klassenzimmer schon vorzeitig verlassen hatten, um unter die er
sten zu kommen, und es war schwer, uns unter Kontrolle zu halten. Die Aufsichtsl
ehrer liefen hin und her. Sie schrieen wie Sklavenaufseher, nur daß ihnen die Pe
itsche fehlte. »Stellt euch in eine Reihe! Ruhe! Haltet den Mund!« Aber sie konn
ten sich oft nicht durchsetzen.
Der Gedanke, daß die Schüler an der Spitze sich das Beste aus dem Topf holten, b
evor man selbst an die Reihe kam, war unerträglich. Manchmal weinten wir, weil u
nser Magen so knurrte, daß wir den Gedanken kaum noch unterdrücken konnten, nach
vorn zu stürzen und alles an sich zu reißen, was noch zu haben war. Jeder Strei
t artete in ein Kampfgetümmel aus. Wenn wir Mädchen in der Nähe des Topfes stand
en, bekamen wir bestenfalls eine Ladung Reissuppe ins Gesicht. Dann mußten wir w
ütend und hungrig bis zur nächsten Mahlzeit warten. Wir konnten nur hoffen, daß
wir dann mehr Glück hatten. In dem Topf nach einem Stückchen Kartoffel zu fische
n erwies sich als fast so schwer, wie eine Stecknadel in einem Heuhaufen zu such
en.
Trotzdem konnten wir uns noch glücklich preisen, denn bald schon sollten wir »St
rohkuchen« vorgesetzt bekommen. Wegen der anhaltenden Dürre gab es nur noch Reis
stroh. Dieses Stroh wurde zusammen mit Reiskleie, Reisbrei, Kartoffelpulver und
Salz vermischt, zu Knödeln geformt, gekocht und dann uns als Hauptmahlzeit gegeb
en. Man konnte es kaum als Essen bezeichnen, aber etwas anderes hatten wir nicht
. Das Schlucken gestaltete sich trotz sorgfältigen Kauens äußerst schwierig. Man
chmal wurde dem Strohkuchen etwas Grünzeug beigefügt, wenn wir Glück hatten. Das
Gemüse bestand aus »Kuhspinat«, wie wir es nannten, und war etwas, was man norm
alerweise nicht als Essen servieren würde.
Noch schlimmere Zeiten
Bevor diese schwere Zeit zu Ende ging, hatten wir so ziemlich alles gegessen, wa
s man normalerweise wegwerfen würde. Die Kommunisten waren Meister im Erfinden v
on ungenießbaren Zusammenstellungen. Eine davon nannte sich "Pilzbällchen". Sie
sagten, dieses Zeug diene als Magenfüller, und so begannen sie eine nationale Ka
mpagne. Sie waren wohl der Meinung, daß die Bevölkerung ihren Hunger vergessen w
ürde, wenn man sie mit einem Produktionsprojekt für Nahrungsmittel beschäftigte.
Nicht einmal hungrige Tiere fraßen diese Pilze, aber die Kommunisten drängten u
ns, alle Quellen zu erforschen und das Ungenießbare zum Genießbaren zu machen.
Diese Pilzbällchen sind dunkelbraun und wachsen im Sommer an schattigen Plätzen.
Wir sollten nun eine Massenproduktion beginnen und diese Pilze an allen zur Ver
fügung stehenden Ecken unseres Schulbereichs anpflanzen. Jedes Stück Land mußte
einen bestimmten Ertrag abwerfen. Wurde dieser nicht erreicht, so durfte man nic
ht so viele Pilze essen. Und das war das kleinere Übel, denn es war schon eine S
trafe, diese Pilzbällchen essen zu müssen. Sie wurden zu einem ekelerregenden Du
rcheinander zerkleinert und als Pastete zubereitet. Nicht genug, daß es entsetzl
ich aussah, es schmeckte auch greulich. Da wir die Pilze selbst gezüchtet hatten
, wußten wir, daß sie wochenlang mit natürlichem Dünger übergossen wurden. Viell
eicht war es nur die psychologische Wirkung, aber der Geruch war abstoßend. Selb
st wenn wir hungrig wie die Wölfe waren, brachten wir höchstens einen oder zwei
Bissen Pastete hinunter. Der Magen wehrte sich gegen dieses gräßliche Zeug. Ein
Junge erfand ein Liedchen, das sofort an der ganzen Schule die Runde machte:
»Pilzbällchen sind entsetzliche Pasteten. Man muß sie essen, weil man hungrig is
t, aber man bringt sie nicht hinunter, weil sie stinken.«
Die Kinder waren von der anhaltenden Unterernährung dünn und blaß. Es gab kein e
inziges dickes Kind mehr in oder außerhalb der Schulen. Wer besonders waghalsig
war, schlich sich nachts aus den Schlafsälen und schlich sich zum Bahnhof, um Na
hrungsmittel, die für das Militär bestimmt waren, zu stehlen. Manchmal gelang es
ihnen, einen Sack Getreide oder einen halben Sack Mehl an sich zu bringen. In s
olchen Augenblicken gerieten wir außer uns vor Freude, einmal einen Bissen gutes
Essen zu Bekommen. Wer jedoch erwischt wurde, wurde so geschlagen, daß er nicht
einmal mehr nach Hause kriechen konnte.
In dieser Hungerszeit befanden wir uns in einem Stadium, in dem wir das Essen zu
einem normalen Wachstum dringend benötigt hätten. Ich blieb sehr zierlich und h
abe noch heute unter sehr angegriffener Gesundheit zu leiden. Und ich werde dies
e Zeit nie vergessen.
Es ereigneten sich entsetzliche Dinge, wenn die Menschen hungrig waren. Wir hört
en, daß ein sechzehnjähriger Junge aus den Bergen bei Fukien und Kwangtung seine
kleine Schwester zerstückelte, um sie aufzuessen. Ein Taiwanese, der von der Kü
ste von Fukien nach Nantschang kam, berichtete uns davon. Der Junge war mit sein
er sechs- bis siebenjährigen Schwester allein in dem Bauernhaus in den Bergen. D
ie Eltern befanden sich auf Nahrungssuche. Da verlor der Junge die Beherrschung
und das kleine Mädchen bot sich ihm als Opfer. Die Kommunisten verhafteten den J
ungen und verhörten ihn. Sie kamen aber zu dem Schluß, daß Kannibalismus, wenn a
uch bedauernswert, so doch unter diesen Umständen entschuldbar sei. Ich bin davo
n überzeugt, daß dies nicht der einzige Vorfall dieser Art war. In jenen Jahren
der Kürbisse und des Gemüses besaßen wir weder Kürbisse noch Gemüse. Niemand wei
ß, wieviele sich durch das Fleisch anderer Menschen über Wasser hielten.
Inhaltsverzeichnis
I. In Rumänien
Kindheit und Armut
Christian Wölfkes
Meine erste Begegnung mit Jesus
Isaak Feinstein
Jom Kippur 1937
Mission unter Juden
Magne Solheim
Auf der Suche nach des Vaters Haus
Isaak Feinsteins Märtyrertod
Unser Dienst am jüdischen Volk
Begegnungen mit Rabbinern
In den Wirren des Krieges
Mein Dienst an den Russen
Im Gefängnis
Kurze Freiheit
Gherla
Unsagbare Folterungen
Mein Gethsemane
II. Im Westen
Es gibt keine Null in der Bibel
Christen aus dem Westen besuchen Osteuropa
Im schönen Norwegen
Die erste Mission wird gegründet
Wie ich bekannt wurde
Meine Begegnung mit Deutschland
Weitere Missionen werden gegründet
Neue Versuchungen im Westen
Unser Jubiläum
III. Die Rückkehr nach Rumänien
Rückkehr im Triumph
Eine Trauer nur - kein Heiliger zu sein
Eine Heldin des Glaubens
Kollaborateure der Kommunisten
Die Verräter
Ein zentraler Ort in meinem Leben
Zähle Deine Sekunden
Den Feind lieben
Warum so viel Leiden
- Zusammengestellt und herausgegeben von Horst Koch, Herborn; im Herbst 1998
-
I. In Rumänien
Kindheit und Armut
Am 24. März 1909 wurde ich in Bukarest, Rumänien, geboren. Mein Vater starb als
ich 9 Jahre alt war. In unserer Familie war das Geld immer knapp, und oft genug
auch das Brot. Ein Bekannter wollte mir einmal einen Anzug schenken, doch als wi
r in den Laden kamen und der Kaufmann seine Ware brachte, sagte er: "Das ist vie
l zu schön für einen solchen Jungen." Ich kann mich immer noch an seine Stimme e
rinnern.
Meine Schulausbildung war recht mangelhaft, doch wir hatten viele Bücher zu Haus
e. Noch ehe ich zehn Jahre alt war, hatte ich sie alle gelesen und wurde genau s
o ein großer Zweifler wie Voltaire, den ich verehrte. Da es in meiner Familie ke
inerlei religiöse Unterweisung gab, wurde ich durch das Lesen atheistischer Büch
er und die ständige Armut schon mit vierzehn Jahren zu einem verhärteten Gottesl
eugner. Ich hasste geradezu jede Vorstellung von Religion.
Dennoch zog mich ständig etwas unerklärliches in die Kirchen. Es fiel mir schwer
, an einer vorbeizukommen und nicht hineinzugehen. Jedoch verstand ich dann nie,
was in diesen Kirchen vor sich ging. Ich lauschte den Predigten, aber sie drang
en nicht zu meinem Herzen. Von Gott hatte ich keinerlei Vorstellung, aber ich hä
tte zu gerne gewußt, ob irgendwo im Zentrum dieses Weltalls ein liebendes Herz e
xistierte. Ich hatte nur wenig Freude in meiner Kindheit und Jugend erfahren. De
shalb sehnte ich mich danach, daß irgendwo ein liebendes Herz auch für mich schl
agen möchte.Ich war ein Atheist, aber der Atheismus gab meinem Herzen keinen Fri
eden.
Als ich erwachsen war, trat ich ins Geschäftsleben in Bukarest ein. Meine Sache
machte ich gut. Noch keine fünfundzwanzig Jahre alt, hatte ich bereits eine Meng
e Geld zur Verfügung. Ich gab es in prunkvollen Bars aus und für die Mädchen von
Klein-Paris, wie man die Hauptstadt nannte. Nach den Folgen fragte ich nicht, s
olange nur mein Hunger nach immer neuen Reizen gestillt wurde. Das war ein Leben
, um das mich viele beneideten. Doch mir selbst brachte es nur Herzeleid. Ich wu
ßte, daß ich in mir etwas achtlos zerstörte, was gut war und für andere genützt
werden sollte.
Auch nach meiner Heirat jagte ich weiter nach Vergnügungen, log, betrog und tat
anderen Menschen weh. Da mein Körper durch die Entbehrungen der Kindheit geschwä
cht war, führte dieses ausschweifende Leben dazu, daß ich mit siebenundzwanzig J
ahren an einer Tuberkulose erkrankte. Zu jener Zeit war die Tb noch eine fast un
heilbare Krankheit, und eine Zeitlang sah es so aus, als würde ich sterben. Ich
hatte Angst.
In einem Sanatorium auf dem Land kam ich zum ersten Mal in meinem Leben zur Ruhe
. Ich lag da, schaute in die Baumkronen und dachte über die Vergangenheit nach.
Sie tauchte in meinem Gedächtnis wie Szenen aus einem grausigen Schauspiel auf.
Meine Mutter und meine Frau weinten um mich, und viele schuldlose Mädchen hatten
ebenfalls geweint. Ich hatte verführt, verleumdet, gespottet und geprahlt, nur
um Eindruck zu schinden. Da lag ich nun, und die Tränen kamen mir.
In diesem Sanatorium betete ich zum ersten Mal in meinem Leben das Gebet eines A
theisten. Ich sagte etwa: "O Gott, ich weiß, daß es dich nicht gibt. Falls es di
ch doch gibt, so ist es deine Sache, dich mir zu offenbaren. Es ist nicht meine
Pflicht, nach dir zu suchen.
Nach einigen Monaten ging es mir etwas besser und ich siedelte in ein Bergdorf ü
ber, um mich weiter zu erholen.
II. IM WESTEN
Rückkehr im Triumph
Die Kameradschaft von Brüdern und Schwestern aller Nationen und Glaubensbekenntn
isse schätze ich sehr, aber dennoch habe ich mich im Herzen stets nach meinem ru
mänischen Vaterland, dem Land, in dem ich zweimal geboren wurde, gesehnt.
Patriotismus ist heute nicht besonders in Mode. Jesus lehrte uns, selbst unsere
Feinde zu lieben. Wie könnte einer dies tun wenn er nicht sein eigenes Heimatlan
d zuerst liebt? Und so war, wo immer ich auch hinreiste, das Herz das in meiner
Brust schlug, das blutende Herz meines Landes und der unterdrückten rumänischen
Kirche.
Es schien, als gäbe es keine Hoffnung, sie jemals wiederzusehen, außer im Himmel
, wo die große Wiedervereinigung stattfinden wird. Ohne Hoffnungen auf dieser Er
de, hofften meine Frau und ich der Hoffnungslosigkeit zum Trotz und sahen unsere
Hoffnungen erfüllt. Innerhalb weniger Tage stürzte Gott die blutige Diktatur Ce
ausescus. Endlich konnte ich in meine geliebte Heimat zurückkehren.
Meine Frau Sabina und ich bestiegen das Flugzeug in Zürich. Wir waren nicht sich
er, ob uns die Einreise erlaubt würde. Wenige Tage vor unserer Abreise hatten de
r rumänische König Michael I. und Königin Anna versucht zurückzukehren. Obwohl s
ie von den Rumänen sehr geliebt sind, verweigerten ihnen die Roten die Einreise.
Die neue Staatsmacht Rumäniens, der Iliescu als Präsident voransteht, besteht na
ch wie vor nahezu vollständig aus Kommunisten - "Reform-Kommunisten gewiß, aber i
mmer noch Kommunisten. Ein gezähmter Wolf ist immer noch ein Wolf.
Etwa zwei Stunden später hörten wir die beinahe unglaublichen Worte: "Bitte schl
ießen Sie Ihre Sicherheitsgurte und bereiten Sie sich auf die Landung in Bukares
t vor". - Endlich waren wir in Rumänien. Meine Gefühle übermannten mich. Ich küß
te die Erde.
Eine Trauer nur - kein Heiliger zu sein
Ganze 25 Jahre waren vergangen, seit wir Rumänien verlassen hatten. Eine Stimme
lästerte in unsere Ohren: "Warum nicht die Hoffnung aufgeben? Vielleicht wird si
ch niemand mehr an Euch erinnern .
Wir hätten kaum jemals die Menschenmenge vorausahnen können, die sich aus vielen
Städten nah und fern versammelt hatten, um uns willkommen zu heißen! Unsere Fre
ude und unser Erstaunen kannten keine Grenzen.
Die erste Person, die ich sah, war mein ehemaliger Zellengenosse Nicolaie Moldow
anu von der Armee des Herrn, einer rumänischen Version der Heilsarmee, aber ohne
Uniformen und Musikkapellen. Wir waren in derselben Zelle, in dem jahrhundertea
lten Gefängnis von Gherla gewesen.
Die Zustände dort waren sehr hart. Von Zeit zu Zeit schrien die Wärter: "Jeder l
egt sich auf den Bauch!" Es war Winter. Wir hatten keine Pullover, geschweige de
nn Mäntel. Der Boden war aus kaltem Beton ohne auch nur ein bißchen Stroh zum Wä
rmen. Wir durften keinen Laut von uns geben.
Gefangene verfluchten die Brutalität der Wärter. Nicht aber Moldowanu. Er glaubt
e, daß es besser war, Gott zu loben, als die Kommunisten zu verfluchen. Als es u
ns endlich erlaubt wurde, aufzustehen, sagte er mit einem wunderschönen Lächeln
auf seinen Lippen: "Laßt uns die Umgebung vergessen. Ich singe Euch ein Lied vor
, das ich eben komponiert habe, als ich auf meinem Bauch lag." Es war eine Hymne
voller Freude, Hoffnung und Lobpreisung. Sie wird nun in vielen Ländern gesunge
n.
Ich erinnere mich dabei an den orthodoxen Priester Ghiusch, mit dem ich zusammen
im Jilava-Gefängnis in der Nähe von Bukarest war. Das gesamte Gefängnis ist unt
erirdisch, ohne ein Gebäude, durch welches es von außen identifiziert werden kön
nte. Kühe grasen über den unterirdischen Zellen.
Ich war damals im achten Jahr meiner Gefangenschaft und hatte mich an alles gewö
hnt. Aber eines Tages wurde eine ganze Gruppe von Neuen, alle orthodoxe Priester
, hereingebracht. Von Zeit zu Zeit riefen die Wärter: "Alle Priester auf den Kor
ridor!" und verprügelten diese.
Ich setzte mich in die Nähe des Priesters Ghiusch, den ich in der Freiheit gekan
nt hatte. Meine Absicht war, ihm Trost zu spenden. Ich fragte: "Bist Du traurig?
" Er hob den Blick wunderschöner Augen zu mir und antwortete: "Ich kenne nur ein
e Trauer, die, kein Heiliger zu sein."
Moldowanu war dieselbe Art Mann. Was für eine Ehre war es für mich, seinen Brude
rkuß zu empfangen. Ich fühlte mich nicht einmal würdig, seine Schuhbänder zu lös
en.
Eine Heldin des Glaubens
Nachdem ich in Bukarest gewesen war, reiste ich von Stadt zu Stadt. Überall konn
ten wir das Elend des Sozialismus sehen. Dort wo es einst Autos und Lastwagen ge
geben hatte, wird mit Fuhrwerken gefahren. Es gibt keine Waren in den Schaufenst
ern. Die Menschen stehen stundenlang Schlange für Tomaten, Kohl und Milch. Viele
Artikel sind rationiert. Einer Person wird für je zwei Monate ein Kilogramm Fle
isch zugeteilt. Die Straßen und Häuser sind schlecht beleuchtet.
In jeder Stadt habe ich die kleinen und großen Helden des Glaubens getroffen. Da
neben Feiglinge und unverhohlene Verräter.
Eine Heldin, die mit uns an einige Orte reiste, war Dr. Margareta Pescaru.
Im Jahr 1950 lag ich todkrank im Gefängnisspital von Tirgul Ocna. Die Kommuniste
n hatten von dem von ihnen gehaßten Kapitalismus die Vorstellung geerbt, daß jed
es Gefängnis eine Krankenstation und einen Arzt haben müsse. Jedoch sagte man de
n Ärzten: "Sie müssen an diesen Gefangenen Veterinärmedizin praktizieren. Lassen
Sie ihnen jene Medikamente und jene Fürsorge zukommen, die Sie Ochsen oder Pfer
den geben würden, damit sie ihre Sklavenarbeit erfüllen können. Wenn sie nicht m
ehr arbeiten können, lassen Sie sie sterben."
In solchen Gefängnissen erlebten wir zwei Arten von Ärzten. Einige von ihnen, da
runter auch junge weibliche Ärzte, waren bei den Folterungen anwesend und machte
n Witze mit den Rohlingen. Von Zeit zu Zeit fühlte der Arzt einem dann den Puls
und sagte: "Laßt ihn jetzt für eine Weile in Ruhe". Nachdem er oder sie sich ein
e zeitlang mit dem Polizeioffizier amüsiert hatten, erklärten sie: "Jetzt könnt
Ihr wieder anfangen, aber paßt auf, ihn nicht in der Herzregion zu prügeln. Er k
önnte sonst zu früh sterben und Ihr würdet aus ihm keine Informationen mehr hera
usbekommen". Dies war die eine Art Ärzte, wenn man sie überhaupt so bezeichnen k
ann.
Dann gab es die anderen, die ihre erste Pflicht, Leben zu retten, ernst nahmen.
Die hervorragendste unter ihnen war Margareta Pescaru. Als Christin schmuggelte
sie Medikamente in das Gefängnis ein. Ärzte, ebenso wie andere Personen, wurden
bei Betreten des Gefängnisses "gefilzt". Dennoch gelang es ihr immer und immer w
ieder. Auf diese Weise wurden viele Leben, einschließlich meines eigenen, gerett
et.
Wenn ein Arzt beim Schmuggeln erwischt wurde, wurde er schwer verprügelt und ans
chließend selbst zu einer Gefängnisstrafe von mehreren Jahren verurteilt. Das Ri
siko war beträchtlich. Dr. Pescaru stellte den Kontakt zu meiner Familie und mei
nen Freunden her. Sie versorgten mich, und durch mich auch andere, mit Streptomy
cin, der Wundermedizin gegen die Tuberkulose, die im Gefängnis verbreitet war.
Kollaborateure der Kommunisten
Ich traf die Anführer verschiedenster Bekenntnisse. Einige von ihnen waren Kolla
borateure der Kommunisten gewesen. Von schrecklichen Schuldgefühlen erfüllt, wag
ten sie nicht ihre Augen zu heben. Sie zitterten aus Furcht davor, daß die Archi
ve der Geheimpolizei und des Kultusministeriums geöffnet werden würden, und daß
so die Öffentlichkeit alle Einzelheiten ihrer Taten erfahren würde.
Einige von ihnen waren ältere Männer. Unter Berücksichtigung der Tatsache, daß d
er Kommunismus in Rumänien seit 45 Jahren regiert hatte, fragten sie sich vermut
lich, was sie in einem solchen Alter noch tun sollten, wenn sie ihrer Stellung u
nd wahrscheinlich auch ihrer Pension beraubt wären.
Ich versuchte ihr Gewissen zu erleichtern, indem ich ihnen als erstes erzählte,
daß es eine legitime Maßnahme der Kollaboration gegeben habe.
Nicht daß es richtig wäre, sich atheistischen Diktatoren zu unterwerfen, weil Pa
ulus in Römer 13 sagte: Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn
hat. Denn es ist keine Obrigkeit ohne von Gott." Ein Regime, das Gott haßt, ist
nicht von Gott. Römer 13 erläutert in Vers 3 und 4, was ein Christ unter dieser
Obrigkeit versteht, der er Gehorsam schuldig ist. Nur der verdient diese Bezeichn
ung, der als Diener Gottes diejenigen lobt, die Gutes tun, über diejenigen ihren
Zorn ausgießen, die Böses tun. Tut ein Herrscher das Gegenteil, bestraft er das
Gute und belohnt das Böse, dann können wir ihn nicht länger als von Gott betrac
hten.
Wenn es dies wäre, wäre Gott wie der jüdische König Saul, der einen Feind, einen
Amalekiter bat, ihn zu töten (2. Samuel 1). Gott würde damit einer Art Selbstmo
rd das Wort reden.
Ich glaube mit Augustinus, daß ohne Gerechtigkeit Staaten nichts anderes sind als
Räuberbanden . Unsere Pflicht ist es, sie wie alle andere Banden zu bekämpfen und
dabei zu versuchen, die Seelen der einzelnen Dazugehörigen zu retten. Warum sch
rieb dann Paulus nicht wie Augustinus? Ich glaube, daß es weise ist, an Tyrannen
, unter deren Joch man zu leben gezwungen ist, solange man sie nicht stürzen kan
n, einige freundliche Worte zu richten. Der Prophet Daniel sagt dem König Nebuka
dnezar, der der Hitler seiner Tage war, einige sehr schöne Dinge. Das diplomatis
che Gespräch gehört zum Arsenal der Christen. Als er den Traum des Königs kommen
tierte, der nur wenig vorher drei Freunde Daniels ins Feuer hatte werfen lassen:
Herr König, möge der Traum jene treffen, die Euch hassen und seine Auslegung Eur
e Feinde! (Daniel 4,16).
Im Herzen mag Daniel gedacht haben: Alle Strafen von Gott, oh König, sind nur ger
echt und ich hoffe, daß Gott seine Meinung nicht ändern wird.
Die Verräter
Es gab nicht nur Kollaborateure. Andere waren schlicht und einfach Verräter, die
das Leben von Unschuldigen für Geld verkauften, obwohl sie selber, genauso wie
Judas, nie mehr als einen Hungerlohn bekamen. Doch dann erinnerte ich mich, daß
Jesus mit Judas an einem Tisch saß, selbst nachdem er ihn verraten hatte. All di
e vielen Worte der Liebe, die Jesus zu den Jüngern beim letzten Abendmahl sprach
, schlossen auch ihn ein.
Jesus sagte: "Euer Herz erschrecke nicht! Glaubet an Gott, und glaubet an mich!"
Dies war für Judas gedacht, dem auch versichert wurde, daß es im Hause Gottes v
iele Wohnungen gebe, auch Platz für einen Jünger, der bereits den Preis des Verr
ates in seiner Tasche trug, wenn er nur bereut.
Als Judas die Soldaten führte, um Jesus zu verhaften und ihm einen verräterische
n Kuß gab, rief ihn Jesus selbst dann einen Freund , denn Seine Freundschaft ist fü
r immer.
Bedauernswerterweise hat aber nicht einer der Verräter seine Schuld zugegeben, a
ußer vielleicht im privaten Gespräch mit Gott. Ich habe auch niemals von jemand
anderem gehört, daß ein Verräter bekehrt worden sei. Herzen werden hart.
Die große Tragödie ist, daß Verräter nicht nur aus den Reihen der schlechtesten
Christen, sondern manchmal auch aus denen der besten rekrutiert wurden, sogar au
s jenen, die geradezu Helden des Glaubens gewesen waren, und die jahrelang Folte
r und Gefängnis erlitten hatten.
Im lateinischen gibt es ein Sprichwort: De hic historia silet - Hierzu schweigt
die Geschichte. Nicht alles muß erzählt werden. Einige Dinge sind zu traurig.
Die marxistische Ideologie ist durchsetzt mit Rabulistik, der Kunst der Wortverd
rehung, der Diabolik, der Fähigkeit, alles durcheinander zu werfen, zu verwirren
. Das lateinische Wort Diabolus kommt daher wie unser deutsches Lehnwort Teufel . D
ie Diabolik widerstreitet der Wahrhaftigkeit geradewegs. Begnügen wir uns mit ei
nem Marx Zitat, das recht eindeutig für die Richtigkeit der aufgestellten Behaup
tung spricht: "Es ist möglich, daß ich mich blamiere. Indes ist dann immer mit e
iniger Dialektik wieder zu helfen. Ich habe natürlich meine Aufstellungen so geh
alten, daß ich im umgekehrten Fall auch recht habe".
Zur christlichen Ethik gehört schließlich die Verantwortlichkeit für das eigene
Tun. Nach Marx und Engels jedoch bestimmt das gesellschaftliche Sein das Bewußts
ein der einzelnen Menschen. "In seiner Wirklichkeit ist es [das menschliche Wese
n] das ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse . Die Umwelt, die Umstände sin
d an allem "schuld". Marx klagt alles (und alle) an, nur nicht sich selbst. Ein
Confiteor kennt diese Ersatzkirche in ihrer ursprünglichen Gestalt nicht. Selbst
kritik hat Marx nie geübt. Sie ist Sache jener, die nicht an der Spitze stehen.
Zweites Zwischenergebnis: Das Sittengesetz, insbesondere Liebe, Wahrhaftigkeit,
Gerechtigkeit, ist für Marx und Engels keine, zumindest keine wirksame, keine bi
ndende Realität. Das gesellschaftliche Sein bestimmt das Bewußtsein. "Verantwort
lich" sind die Gegebenheiten.
Dieses Referat wurde gehalten am 14. Oktober 2004 beim VII. Europäischen Ökumeni
schen Bekenntnis Kongreß in Freudenstadt.
Prof. Dr. jur. Konrad Löw (* 1931 in München) war nach staatlichen Diensten in M
ünchen und Bonn von 1972 bis 1999 Professor für Politikwissenschaft an den Unive
rsitäten Erlangen und Bayreuth. Er ist verheiratet und Vater von 5 Kindern und l
ebt im Ruhestand in der Nähe von München.
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Corneli Martens
IM OSTEN
- Auszüge -
Der 86jährigen Evangelist Corneli Martens ist Autor der Bücher "Taten Gottes im
Osten" und "Unter dem Kreuz". Er hat noch das Zarenreich erlebt, aber auch die
bolschewistische Revolution und die ersten zehn Jahre ihrer entsetzlichen Herrsc
haft. Hier einige Berichte aus seinem Leben
Pionier des Evangeliums in Rußland
52 Jahre lebte ich in Rußland und lernte durch aktive Mitarbeit die Prediger der
Baptisten und der Evangeliumschristen kennen. Mit vielen von ihnen bin ich pers
önlich befreundet. Wenn ihre Lebensgeschichte auch nicht bekannt ist, so ist doc
h ihr Name und ihr Dienst in das Gedächtnis Gottes eingeschrieben. Ein tapferer
Streiter Jesu soll aber hier in das Licht der Öffentlichkeit gestellt werden.
Arkady Aljochin war der Sohn reicher Aristokraten. Seine Eltern ließen ihm eine
ausgezeichnete Bildung zuteil werden. Sein Bruder war Oberbürgermeister der Stad
t Kursk. Nach der Absolvierung des technischen Institutes seiner Heimat besuchte
er die Universität. Nach der Abschlußprüfung erhielt er als Erbteil ein großes
Gut im Umfang von fünftausend Desjatinen (Hektar). Das war ein Rittergut, wie es
in diesem Umfang im heutigen Deutschland wohl keines mehr gibt.
Nach menschlichem Ermessen war nun für die Existenz dieses Edelmannes gesorgt. U
nd doch blieb er bei allem wissenschaftlichen und äußeren Erfolg innerlich unbef
riedigt. Er fing deshalb an, die Schriften von Leo Tolstoi zu lesen. Die Lehre d
ieses großen Sozialisten und Schriftstellers eroberte seinen Geist und seine See
le. Sollte das der Weg für ihn sein, Frieden zu finden durch Einfachheit und Bed
ürfnislosigkeit? Würde er dabei nicht zur Ruhe kommen, wenn er alle seine Kostba
rkeiten ablegen würde, sein Vermögen den Armen gäbe und ein naturgemäßes und got
twohlgefälliges Leben führte?
Aljochin zahlte diesem gesuchten Frieden den ungeheuren Preis. Er verschenkte se
ine fünftausend Hektar den Bauern der Umgebung mit der Bedingung, daß sie ihm so
viel zum Leben lassen sollten, daß er als einfacher Bauer unter ihnen seine Exis
tenz hätte. Kaum hatte er allerdings den Bauern alles notariell verschrieben, so
drückten sich die Beschenkten von ihren Verpflichtungen. Aliochin ging am Bette
lstab. Schlimmer als diese Erfahrung war die Entdeckung, daß er durch die freiwi
llige Armut nicht den erhofften Frieden gefunden hatte.
Sollte ihm nicht Tolstoi weiterhelfen können? Aljochin stellte sich den Mann gem
äß seiner Lehre vor. Das sollte nun die zweite große Enttäuschung seines Lebens
werden. Er mußte zuerst lange Gesuche machen, bis er endlich nach Tagen vorgelas
sen wurde. Als er dann in Petersburg seinen Palast betrat, verschlug es ihm fast
den Atem. Das war nicht der Tolstoi im einfachen Bauernkittel, wie die Fotos in
den Büchern ihn zeigten. Eine ungeheure Pracht schon in den Vorzimmern! Tolstoi
fertigte seinen Besucher in einem der Vorzimmer mit einigen dürren Worten ab. W
elche Kluft zwischen Büchern und Leben! Und dafür hatte er seinen ganzen Reichtu
m und seine Stellung geopfert, die Tolstoi nicht zu opfern gewagt hatte!
Um diese schwere Enttäuschung reicher, unbefriedigt und bettelarm kehrte er zurü
ck. Dazu quälte ihn noch das Bewußtsein, daß er Frau und Kinder in Jammer und El
end gebracht hatte. Seine Frau stammt ja aus den gleichen Verhältnissen wie er u
nd war durch ihn nun völlig verarmt Wo sollte es für ihn Frieden geben?
In der Umgebung von Charkow konnte er sich schließlich mit fremder Hilfe fünf He
ktar Land mit einer ganz kümmerlichen Hütte kaufen. Dort trat Aljochin nun in me
inen Gesichtskreis.
An einem Sonntagmittag besuchte ich ihn mit einem anderen Bruder zusammen. Er em
pfing uns freundlich. Wie erschraken wir über seine Einfachheit und Armut. Mitte
n in der Stube ein Tisch, dessen Füße in den Lehmboden getrieben waren. Längs de
r Wand ein breites Brett auf eingerammten Pfählen angebracht. Ein paar Pelze und
Schaffelle war die nächtliche Lagerstatt, die Kleidung äußerst ärmlich. Das war
also die Behausung des ehemals so reichen Edelmanns, und Tolstoi hat an diesem
Unglück entscheidenden Anteil. Anderen Menschen ein schweres Joch auf die Hälse
legen, das man selbst nicht zu tragen gewillt ist!
An diesem Sonntagmittag nun brachten wir dem enttäuschten Mann und seiner Frau d
ie Botschaft, die ihm Frieden geben konnte. Er sog alles gierig in sich auf. Das
Samenkorn des Wortes Gottes fiel bei diesem schwer heimgesuchten Menschen auf b
ereiteten Boden.
Schon am nächsten Sonntag kam er mit seiner Frau in unsere kleine Gebetsgruppe.
Er nahm nach kurzer Zeit den Herrn Jesus an. Nun fand er, was er bei Tolstoi ver
geblich gesucht hatte: Friede mit Gott. Er wurde später nach entsprechendem Unte
rricht in die Charkower Gemeinde aufgenommen.
Eine neue Prüfung sollte seiner warten. Die Frau und Kinder, die ihm bisher auch
beim Hören des Evangeliums gefolgt werden, distanzierten sich nun, als es um di
e letzte Entscheidung für Jesus ging. Sie verließen ihn alle. Nun war er menschl
ich gesehen ein völlig bankrotter Mensch. Verlust seines großen Vermögens, die s
chreckliche Enttäuschung mit Tolstoi, Verlust seiner ganzen Familie - und das al
les, um Frieden zu finden!
Aljochin gehörte zu den Menschen, die alles für Jesus in die Waagschale legen. E
r wurde ein eifriges und einsatzbereites Glied der Charkower Gemeinde. Nichts wa
r ihm zuviel. Durch seine Bildung und Intelligenz wurde er vielen zum seelsorger
lichen Führer. Er ist eine Gestalt wie der Zöllner Levi, von dem es in Lukas 5 h
eißt: Er stand auf, verließ alles und folgte Jesus nach.
Im Jahr 1922 trafen wir uns wieder auf der Allgemeinen Jahreskonferenz der russi
schen Evangeliumschristen und Baptisten in Moskau. Dort erzählte er mir eine int
eressante Begebenheit. Aljochin hatte zusammen mit Lenin und dessen Leibarzt Sem
eschko studiert. Durch diese Jugendbekanntschaft erreichte er es, daß er bei Len
in vorgelassen wurde. Lenin bot mit seinem zunehmenden Irrsinn ein klägliches Bi
ld. Er kroch auf dem Zimmerboden umher, packte die Stuhl und Tischbeine und sch
rie in seiner Verzweiflung: "Rettet Rußland! Rettet Rußland!" Dann kam wieder de
r Zustand der Selbstanklagen über ihn, und er bat die Zimmermöbel um Verzeihung
für seine Verbrechen. Damit hatte ihm Gott wieder an einem Großen dieser Erde ge
zeigt, wie Lehre und Leben auseinanderklaffen, wenn man nicht Jesus hat.
1925 trat Aljochin wieder in meinen Gesichtskreis. Er wurde auf der Ukrainischen
Konferenz als Vorsitzender und Sekretär des Ukrainischen Bundes gewählt. Als es
mir gelang, Rußland zu verlassen, stellte er mir noch ein Zeugnis aus. Bei mein
er Abreise sagte er mir: "Wir werden uns wiedersehen!" Da er keine Fluchtpläne h
atte, konnte er nur gemeint haben, daß wir uns in der Ewigkeit wiedertreffen wer
den. Und das ist wahrhaftig mein Wunsch.
Dieser lautere Zeuge Jesu war ein Mann besonderer Prägung. Ein stark gebauter Ma
nn mit kräftig lauter Stimme und doch so bescheidenen Wesens. Von ihm gilt das W
ort des Herrn: "Wer verläßt Häuser oder Brüder oder Schwestern oder Vater oder M
utter oder Weib oder Kinder oder Acker um meines Namens Willen, der wirds hunder
tfältig nehmen und das ewige Leben ererben" (Matth. 19,29). - Corneli Martens
Bukreew, der Blutzeuge
Der Evangelist Bukreew hat noch in der Zarenzeit und dann in der kommunistischen
Zeit das Evangelium verkündigt. Seine Ausbildung hat dieser Zeuge Jesu in Deuts
chland erhalten, wo er drei Jahre lang eine Bibelschule besucht hatte. Nach sein
er Rückkehr nach Rußland diente er mit besonderen Gaben der gläubigen Gemeinde.
Da die russischen Prediger kein Gehalt erhielten, sondern ihr Brot selbst verdie
nen mußten, schaffte sich Bukreew eine Existenz als Industriearbeiter. Sein Wirk
ungskreis war das Donezbecken. Er predigte einfach, aber "in Beweisung des Heili
gen Geistes und der Kraft" (1. Kor. 2,14). Bei der Arbeiterevölkerung war er seh
r beliebt, weil sie ihn als einen der ihren anerkannten. An seinem Wohnort, der
Stadt Grischeno, wurden die Evangeliumschristen von dem Priester und den Kirchen
leuten verfolgt. Der Pope entfaltete eine furchtbare Hetze gegen die Gläubigen.
Als der Mitarbeiter von Bukreew eines Sonntags wieder auf der Kanzel stand, um z
u predigen, kam einer der aufgehetzten Fanatiker in die Kirche. Er lief unter di
e Kanzel und schoß den Prediger auf der Kanzel nieder. Solche Ereignisse gab es
also auch in der sonst ruhigen Zarenzeit. Ob nicht diese Greuel mit eine Ursache
dafür waren, daß durch die Sowjets ein so hartes Gericht über die russische Kir
che hereingebrochen ist?
Was in der Zarenzeit immerhin einzelne Terrorakte waren, das wurde unter den Sow
jets zur allgemeinen Lage. Die Kommunisten schonten unmittelbar nach der Revolut
ion Bukreew, weil sie ihn eben als Bergarbeiter ansahen. Bald stand er aber auf
der schwarzen Liste. Eines Tages wurde er beim Aussteigen aus dem Zug durch eine
n Schuß ins Gesicht schwer verletzt. Er kam dieses Mal mit dem Leben noch davon,
doch sein Gesicht war verstümmelt. Der zweite Schlag gegen ihn war seine Verhaf
tung und die anschließende Verbannung. Jahrelang war er nun verschwunden, und ic
h hörte nichts mehr von ihm.
Die Zeit der Verbannung ging vorüber, und er kam in seine Heimatstadt Grischeno
zurück. Nicht lange konnte er sich der Freiheit erfreuen. Kurz vor dem zweiten W
eltkrieg wurde er abermals verhaftet und im Gefängnis furchtbaren Quälereien aus
gesetzt. Eines Tages rief man seine Frau. Ihr Mann wurde aus dem Gefängnis herau
sgeführt. In Gegenwart seiner Frau schlug man ihm mit einem eisernen Gewicht den
Schädel ein. Dann wandte man sich zynisch an seine Frau und sagte ihr: "Da hast
du deinen Mann. Pflege ihn gesund." Die leidgeprüfte Frau führte ihren Mann, de
ssen Augen schon verglast waren, am Arm nach Hause. Dort brach er zusammen und s
tarb. Das war das Ende dieses tapferen Blutzeugen, der mit seinem Zeugnis, seine
m Leiden und Sterben seinen Herrn verherrlichte. Nun kann der tapfere Märtyrer d
as sehen, was er im Leben geglaubt und verkündigt hat. Die Herrlichkeit ist die
Krone seiner Leidenszeit.
C.M.
Nahe den letzten Schrecken
Bei meinen vielen Evangelisationsreisen in Rußland lernte ich auch den Leiter de
r Gemeinde in Kiew, Demitry Prawowerow, kennen. Die Gemeinde in dieser Stadt der
vielen Klöster setzte sich aus Arbeitern und Dienstboten zusammen. Prawowerow w
ar in jungen Jahren zum Glauben gekommen. Er bewährte sich in der schnell wachse
nden Gemeinde so gut, daß er zum Prediger und Altesten ordiniert wurde. Seine ev
angelistische Gabe brachte ihm viele Einladungen nach auswärts ein. Wie alle rus
sischen Evangelisten seiner Zeit litt er erst unter den Verfolgungen der orthodo
xen Kirche und dann nach der Revolution von seiten der Bolschewiken.
In der zaristischen Zeit wurde er und seine Gehilfen eines Tages von der Polizei
zu einer religiösen Diskussion eingeladen. Solche Diskussionen wurden immer vom
Popen der Stadt inszeniert. Die orthodoxe Kirche hatte damals sogenannte Missio
nare eingesetzt, die den Auftrag hatten, die Evangeliumschristen und Baptisten i
n einem öffentlichen Religionsgespräch theologisch zu überwinden. Damit sollten
die "Sektierer" in den Schoß der orthodoxen Kirche zurückgeführt werden. Diese ö
ffentlichen Streitgespräche waren oft eine Falle für die Gläubigen, da in der Za
renzeit immer noch das Gesetz galt, daß keiner ungestraft öffentlich die Heilige
n und Heiligenbilder (Ikonen) schmähen durfte. Die Priester hatten es stets dara
uf abgesehen, gerade solche Punkte in der Diskussion anzuschneiden, in denen die
Gläubigen aufs Glatteis geführt werden konnten. Nun war also in Kiew eine solch
e öffentliche Diskussion angesetzt. Durch den nötigen Druck der Polizei war eine
ganze Menge Brüder aus der Gruppe der Evangeliumschristen gekommen. Nach der ei
nleitenden Rede des Missionars wurden die Gläubigen aufgefordert, sich zu äußern
. Keiner wagte es, da die hinterhältigen Fallen zur Genüge bekannt waren. Da fin
g der Pope an zu spötteln: "Wir leuchten mit unserem Glauben wie ein Licht auf d
em Tisch, aber die Sektierer leuchten wie eine Lampe unter dem Tisch. Sie wagen
nicht einmal, den Glauben zu verteidigen." Da stand Frau von Bordajewskaja auf.
Es war eine gläubige Dame aus den aristokratischen Kreisen von Petersburg, die g
erade zugereist war. Bei ihrer Wortmeldung witzelte der Missionar: "Da seht ihr'
s, die Sektierer haben nicht einmal einen Mann, der ihren Glauben vertreten kann
. Eine Frau muß das tun, und ihr wißt ja, eine Frau hat zwar langes Haar, aber e
inen kurzen Verstand." Frau von Bordajewskaja antwortete ruhig: "Der liebe Missi
onar beruft sich immer auf Gottes Wort und spöttelt auf das lange Haar und einen
kurzen Verstand der . rau. Aber ich meine fast, daß er in der Bibel nicht die W
orte gelesen hat, daß ein Mann, der kurzes Haar trägt, manchmal einen sehr kurze
n Verstand besitzt. Lesen Sie es jetzt doch wenigstens nach. Dieses Wort steht i
n Matth. 29,28." Der Missionar schlug sogar seine Bibel auf und wollte diese Ste
lle suchen. Er fand aber nur 28 Kapitel und erklärte: "Es gibt ja kein 29. Kapit
el." "Warum suchten Sie es dann? Sie sind doch ein Missionar und hätten das wiss
en können, daß es dies nicht gibt. Wer von uns beiden hat nun den kurzen Verand
gehabt? Der Gouverneur und die hohen Beamten, die zugegen waren, fingen an zu lac
hen. Der Missionar war in der öffentlichen Meinung erledigt. Daraufhin belegte d
ie gläubige Dame mit großer Freude die Haltung der Evangeliumschristen mit klare
n Bibelstellen. Der Missionar wagte nicht mehr aufzutreten.
Am Schluß dieser öffentlichen Diskussion meldete sich Prawowerow. Er redete den
anwesenden Oberpfarrer der Kirche, Archieej, an und sagte ihm: "Sie wissen doch
sehr gut, daß in Ihrer Kirche Huren, Ehebrecher, Diebe, Verräter, ja sogar Mörde
r sind. Jeder darf zum Abendmahl ohne wirkliche Buße kommen. Niemand wird ermahn
t oder ausgeschlossen. In unseren Gemeinden wird das nicht geduldet. Die Übertre
ter werden von den Ältesten vorgenommen und ermahnt. Wenn das nicht hilft, werde
n sie vor die ganze Gemeinde gebracht. Nützt das auch nichts, dann werden sie au
sgeschlossen. Das ist der biblische Weg, den Ihre große Kirche schon längst verl
assen hat." Darauf parierte der Oberpfarrer und gab das unumwunden zu: "Sie habe
n recht. Wir können das bei der großen Masse nicht mehr durchführen. Warten Sie
noch 50 Jahre, bis Ihre Zahl gewachsen sein wird, ob Sie dann noch alles so mach
en können wie heute." Damit war dieses öffentliche Streitgespräch zu Ende.
Prawowerow ging seinen geraden Kurs weiter und mußte dafür wie alle seine Brüder
die Folgen tragen. Vor Ausbruch des zweiten Weltkrieges wurde er als "Verdummer
des Volkes" und "Opiumvertreter" ins Gefängnis der Geheimpolizei eingeliefert.
Er wurde darin furchtbar gemartert. Die roten Henker rissen ihm den Bart und die
Kopfhaare mit einer Zange aus. In diesem Zustand mußte er unter furchtbaren Lei
den in der Zelle schmachten, bis er zum Skelett abgemagert war. Eines Tages wurd
e das Gefängnis von einem höheren Polizeibeamten revidiert. Zu seinem großen Ers
taunen entdeckte er hier Prawowerow, mit dem er früher gut befreundet war. Er er
kannte ihn sofort und redete ihn an: "Demitry, wie kommst du hierher?" "Ja, mein
Freund, ich weiß es nicht, warum ich hier bin. Ich habe niemand etwas zuleide g
etan." Nach kurzer Beratung gab der hohe Beamte den Befehl, den verstümmelten Ge
fangenen sofort freizulassen. Da er vor Schwäche und Elend nicht mehr gehen und
stehen konnte, rief man seine Frau, die ihn heimbrachte. Kurz darauf ist dieser
Gottesstreiter eingeganen zu seines Herrn Freude.
Welch ein Heer von Märtyrern ist doch aus dem russischen Volk hervorgegangen. Ob
diese blutige Saat in Rußland noch inmal Frucht bringen darf? Soll das das Ende
sein, daß eine Clique von Mördern das Volk weiterregiert und diesen Teror auf d
ie ganze Welt ausdehnen darf? Wie wird einmal das Ende der westlichen Welt sein,
deren Schuld auch gen Himmel schreit? Sind wir in der freien Welt besser als di
e im versklavten Teil der Menschheit? Ich glaube, daß alle diese Ereignisse ein
Zeichen dafür sind, daß wir nahe den letzten Schrecken sind, die uns erwarten. D
ie Zahl der Märtyrer wird voll werden - und dann kommt der Herr. C. M.
In der Verbannung
Bei meinen Kaukasusreisen kehrte ich oft bei Bruder Kwotschenko ein. Er gehört a
uch zu den Pionieren des Evangeliums in Rußland. Sein evangelistischer Dienst un
d das rasche Anwachsen der Gläubigen erregte bei der orthodoxen Kirche Aufsehen
und Ärger. Schließlich war es soweit, aß er um des Glaubens willen für 12 Jahre
nach Nordbirlen verbannt wurde. Als Wohngebiet waren ihm die Steppen der Samojed
en angewiesen. Von diesem wilden Stamm wird berichtet, daß sie noch im letzten J
ahrhundert Kannibalen waren. Die nächste Stadt war Irkutsk, immerhin 2500 km ent
fernt. Für Kwotschenko und seine Familie war diese Verbannung eine ungeheure Ums
tellung. Das Gebiet der Samojeden zwischen den beiden Flüssen Jenissej und Lena
liegt ja im Polarkreis. Während sechs Monaten ging die Sonne nicht unter, die an
dere Jahreshälfte war Nacht. Getreide konnte nicht angebaut werden, weil der Som
mer zu kurz war. Die Erde taut in den beiden heißen Monaten nur oberflächlich au
f. Dennoch ist es ein Gras und Waldgebiet.
Das Leben stellte an die Verbannten harte Anforderungen. Nach ihrer Ansiedlung b
auten sie sich zuerst eine primitive Erdhütte. Gegen Einsturz und gegen Regen sc
hützten sie die Hütte mit abgestochener Grasnarbe und mit Schilf. Die Ernährung
war zwar durch den Fischreichtum der Gewässer und die vielen Wildenten gesichert
, aber sie war sehr einseitig. Das Fleisch wurde im Sommer eingekocht und dann i
n einem Eiskeller aufgestapelt. Solche Eiskeller anzulegen, war denkbar einfach,
da 1m tief der Boden überhaupt nie auftaute. An diesem Ufergebiet des Jenissej
gibt es auch noch eingefrorene Mammute. Bruder Kwotschenko hat audi eir derartig
es Tier entdeckt und sich einen 1m langen Stoßzahn herausgehauen.
Der lange Winter mit seiner ewigen Nacht war eine schwere Belastung für das Gemü
t. Die Verbannten konnter sich um der hohen Kältegrade willen (50 70') nur in de
r Erdhütte aufhalten. Da Fensterglas einen solchen Frost nicht aushält, mußten s
ie die Rahmen mit durchsichtigem Leder bespannen.
Sobald der Frost nachließ, fuhren sie im Renntierschlitten auf Pelztierjagd. Vor
allem erlegten sie die sogenannten sibirischen Hunde, die dort in großen Rudeln
leben und deren Felle sehr kostbar sind. Diese Felle wurden aufgestapelt, bis e
in russisches oder ausländisches Schiff den Strom hinauffuhr. Das war nicht in j
edem Jahr der Fall, da die Flüsse oft durch Eisbarrieren nicht befahrbar waren.
Einmal im Jahr fuhr man auch mit dem Schlitten nach Irkutsk. Es war dann jeweils
eine Reise, bei der 5 000 km zurückzulegen waren. Was der Schlitten faßte, wurd
e aufgeladen und dort eingetauscht.
Post und Bahnverbindungen gab es in diesen Steppen ja nicht. Sie konnten höchst
ens bei der Fahrt nach Irkutsk beim dortigen Postamt nachfragen, ob etwas für si
e da war. Straßen gab es in dieser Einöde ebenfalls nicht. Die Orientierung war
nur nach dem Himmel und nach dem Kompaß möglich. Wer das nicht schnellstens erle
rnte, war rettungslos verloren. Nachbarn, die bei einer Erkrankung behilflich se
in konnten, waren auch keine vorhanden. Der Mensch war wie ein Urbewohner auf si
ch selbst angewiesen. Die Gläubigen sind dennoch nicht der Verzweiflung anheimge
fallen, da sie alles im Gebet vor ihren Herrn brachten.
Im übrigen erwies sich der Pelztierhandel als ein einträgliches Geschäft. Die Ge
schwister wurden in dieser Verbannung reich. Als sie nach 12 Jahren zurückgekehr
t waren, konnten sie sich in Armawir zahlreiche Häuser kaufen. Andere blieben fr
eiwillig in der Verbannung. Als die Bolschewiken auch Sibirien eingenommen hatte
n, war es mit diesem Reichtum schlagartig vorbei. Es gehört ja zu diesem System,
daß alle Reichen arm und die Armen noch ärmer werden.
Für die russische Regierung waren diese Verbannungen nutzbringend. Auf diese Wei
se wurden die bisher unerforschten Steppen und Wälder erkundet. Auch viele Boden
schätze wurden entdeckt. Im Reich Gottes gelten allerdings nicht nur kulturelle
Leistungen. Mit diesen Verbannungen kam das Evangelium auch zu den Eskimos und d
en Samojeden, die sonst von keinem Missionar dazumal erreicht wurden. Auch wurde
den Tausenden von Verbrechern und Straffälligen aller Art, die nach dem hohen N
orden verschickt worden waren, auf diese Weise das Evangelium gebracht.
Bruder Kwotschenko ließ sich von dem erworbenen Reichtum und den weiteren Gewinn
möglichkeiten nicht zurückhalten. Er kehrte in seine Heimat zurück. Dort geriet
er aber in die Fänge der Sowjets und mußte sich in den Höhlen des weiten Kaukasu
s verstecken. Alle Stufen der Trübsal und Anfechtung mußte er durchlaufen. Um Je
su willen verfolgt und verjagt, um Jesu willen arm und reich, um Jesu Willen flü
chtig und nie seines Lebens sicher: das ist das Los derer, die um ihres Herrn wi
llen alles drangeben und in der Herrlichkeit alles ererben. C. M.
In der Wüste
Wie viele russische Evangelisten hatten auch die Brüder Grigorij und Timotej Mam
ontow ein Leben, nach dem ein Roman gestaltet werden könnte. Ihre Eltern wurden
um des Glaubens willen in die weiten Steppen des Terek Gebiete verbannt. Als die
se unglücklichen Menschen nach einer langen Fahrt in einer Entfernung von einige
n 1 000 km aus geladen worden waren, schlossen sie sich erst zu einer Gebetsvers
ammlung zusammen. Der Vater steckte eine Gabel in die Erde und erklärte: "So, hi
er ist unsere neue Heimat. Und nun wollen wir uns zuerst dem Herrn befehlen."
Dann warfen sie sich alle auf die Knie, und der Vater betete: "Herr um deines Na
mens willen sind wir in diese regen und wasserlose Steppe verschickt worden. Nu
n versorge du uns! Gib uns Regen, Wasser und Brot! Wir vertrauen dir. Schütz uns
! Ernähre uns, kleide uns, wärme uns! Bewahre uns vo den wilden Tieren, die hier
in großer Zahl leben." Das war der Start in der Wüste, aber mit dem Herrn, der
die Wüste zum Gottesgarten umgestalten kann. Eines war diesen Verbannten allerdi
ngs geblieben. Vor der zaristischen Polizei hatten sie Ruhe. Sie durften hier ih
res Glaubens leben.
Nach menschlichem Ermessen waren sie ein abgetriebenes Häuflein Menschen. Die Tü
rken hatten in früheren Jahren versucht, diese Steppen mit Kurden zu besiedeln.
Da es aber in diesen Steppen jahrzehntelang nicht einmal regnete und auch kein G
rundwasser zu finden war, gaben sie diesen Versuch wieder auf. Und nun waren wie
der Menschen da, die unter völlig neuen Voraussetzungen auch einen Besiedlungsve
rsuch wagen mußten. Der Grundstein zu dieser neuen Heimat war das Wort: "Rufe mi
ch an in der Not, so will ich dich erretten, so sollst du mich preisen" (Ps. 50,
15). Und was geschah? Schon nach einigen Wochen fiel der erste Regen. Beim Brunn
engraben stießen sie auf Grundwasser. Das hohe Steppengras wurde mühsam gemäht u
nd gerodet. Der bearbeitete Boden gab den ersten Ertrag. Von dem benachbarten Pe
rsien kauften sie auf Kredit Schafe und Rinder. Auf der Viehzucht lag ein besond
erer Segen. Von der nächsten Bahnstation, die allerdings 2 000 km entfernt lag,
wurde ein Gesuch an die russische Regierung geschickt. Sie baten um die offiziel
le Verpachtung des Landes, das sie bisher urbar gemacht hatten. Da in den Augen
der russischen Regierung alles unfruchtbare Steppe war, erhielten sie einen sehr
günstigen Pachtvertrag. Pro Hektar mußten sie nur 5 Kopeken (5 Pfg.) bezahlen.
Als die Brüder Mamontow durch die Viehzucht und die nach Persien verkaufte Wolle
einige finanzielle Rücklagen hatten, kauften sie das Land. Auch dieses Mal war
der Preis äußerst gering, 50 Kopeken pro Hektar. Aus der unfruchtbaren Wüste war
nun tatsächlich ein Gottesgarten geworden. Die Getreideernten waren außerordent
lich gut, die Schafe vermehrten sich in einer Weise, daß sie von den Besitzer ni
cht mehr zu zählen waren. Zuletzt schätzten sie eine halbe Million Schafe. So ha
t sich hier das Wort Jesu erfüllt: "Wer verläßt Häuser oder Brüder oder Schweste
rn oder Vater oder Mutter oder Weib oder Kinder oder Acker um meines Namens will
en, der wird's hundertfältig nehmen!" (Matth. 19, 29).
Dieser Reichtum wurde anderen verfolgten und bedrängten Glaubensbrüdern zum Sege
n. Die Brüder Mamontow berichteten in ihre Heimat ihren großen wirtschaftlichen
Erfolg und luden ihre Glaubensgenossen ein, sich in ihrem Gebiet anzusiedeln. Di
ese Einladung leisteten viele Glaubensgeschwister Folge. Es wurden im Umkreis de
s erschlossenen Landes eine ganze Reihe Dörfer gebaut. Diese Dörfer erwiesen sic
h wiederum als ein Missionszentrum für die weitere Umgebung. Es wurden die Terek
und die Kuban Kosaken mit dem Evangelium erreicht. So hat sich auch hier die V
erbannung von gläubigen Menschen zum Segen der russischen Reichgottesarbeit gewa
ndelt. Ich selbst hatte oft Gelegenheit, diese Dörfer zu besuchen, allerdings er
st dann, als die erste Eisenbahn dorthin gebaut war. Ich bin selbst Zeuge für di
e Umgestaltung der unfruchtbaren Steppe in ein gesegnetes Land und auch Zeuge da
für, mit welchem Eifer diese Siedler ihren Glauben in unerschlossene Gebiete wei
tertrugen.
Auch über diese gesegneten Dorfgemeinden kam dann die rote Invasion. Jahrelang
wohl bis 1927 hatten sie Ruhe gehabt. Nun aber brach diese Flut furchtbar übe
r sie herein. Der ganze Besitz wurde enteignet. Nackt und verarmt, unter großer
Angst und großem Schrecken mußten sie wieder fliehen. Doch hielten sie ihrem Her
rn die Treue. Die Brüder Mamontow lebten zuletzt in der Stadt Mosdok. Dort bin i
ch noch einige Male bei ihnen eingekehrt. Nie habe ich diese ergrauten Glaubensz
eugen traurig gesehen. Sie hatten den Raub ihrer Güter mit Freuden erduldet und
sich derer würdig erwiesen, von denen Paulus in 2. Kor. 6,10 schreibt: "Als die
nichts innehaben und doch alles haben."
In Mosdok ließ man sie aber auch nicht in Ruhe. Eines Tages sollte ein Zug mit l
auter Moskauer Kommissaren dorthin kommen. Der Bahnhof war mit Geheimpolizei ums
tellt und abgesichert. Doch ist es Grigorij Mamontow und mir gelungen, uns hinte
r dem Wasserturm zu verstecken. Von dort aus gelangten wir auf den Bahnsteig und
erlebten die Ankunft der Kommissare mit. Ein Kommissar, mit Namen Petrowsky, hi
elt den Angekommenen eine Begrüßungsrede und sprach von der herrlichen Zukunft i
m sowjetischen Reich. Mit mächtiger Stimme brüllte er: "Sonne und Mond werden ve
rschwinden, aber nie die Sowjetregierung." Diese damaligen Kommissare sind bei d
en vielen Säuberungsaktionen fast alle jämmerlich umgekommen. So hat der Herr de
n Schreiern den Mund gestopft.
Es ist merkwürdig. Diese politischen Fanatiker versprachen den Menschen das Para
dies und brachten die Hölle. Interessant ist noch eine besondere Beobachtung im
Terek-Gebiet. Als man den Gläubigen dort alles enteignet hatte, streikte die Nat
ur. Der Regen blieb wieder aus, und eine gewaltige Dürre brachte eine große Hung
ersnot. Also sind die Gläubigen auch in diesem Sinn das Salz der Erde. Wo nicht
gebetet wird, regiert die Hölle.
Seit 1927 habe ich die beiden Brüder Mamontow aus dem Gesichtskreis verloren. Si
e sind wohl schon längst bei ihrem Herrn, dem sie vertraut haben. C. M.
Der Trommler des Herrn
In der Zeit, als ich in Millerowo unsere Fabrik leitete und auch unserer Gemeind
e vorstand, lud ich eines Tages Wilhelm Fetler zur Evangelisation ein. Er war ei
n energiegeladener Mann, der die Herzen und die Hände seiner Zuhörer bewegen dur
fte. Von Hause aus war er Lette. Er hatte das Gymnasium besucht und ging dann zu
seiner weiteren Ausbildung nach London. Dort absolvierte er das Baptistensemina
r. Nach seiner Ausbildung siedelte er sich in Petersburg an.
In dieser Aristokratenstadt durfte der tatkräftige Glaubensmann vieles erreichen
. Er entfaltete eine rege Tätigkeit, so daß eine blühende Gemeinde entstand. Es
bereitete ihm auch keine Mühe, einen stattlichen Gemeindesaal zu bauen, dem er d
en Namen "Haus des Evangeliums" gab. Die Baugelder hat er bei seinen evangelisti
schen Vorträgen zusammengebracht. Er gab auch Zeitschriften heraus, z. B. "Golos
Wera", Stimme des Glaubens, und ließ viele Traktate drucken. So wurde er bei al
len Gläubigen in Rußland durch Wort und Schrift bekannt. Er war ein Mann, der au
fs Ganze ging: die ganze Hingabe für Jesus und die völlige Bereitschaft, dem Her
rn mit allem zur Verfügung zu stehen.
Als Fetler eines Tages die reichen, gläubigen Gutsbesitzer im Kaukasus besuchte,
gab ihm ein solcher reicher Bruder 100 Rubel für seine Tätigkeit. Fetler wies d
iese Gabe mit Entrüstung zurück. Für die guten Verhältnisse des reichen Mannes w
ar ihm diese Gabe zu gering. Natürlich war das eine Beleidigung für den Gutsbesi
tzer, hoffentlich aber heilsam. Fetler hat für das Reich Gottes große Geldsummen
zusammengebracht. Persönlich blieb er arm wie er war. Sein Kollektieren wurde i
hm manchmal von seinen Freunden angekreidet. Vor allem wurde er aus modernisiert
en Kreisen angegriffen. Der vielfache Millionär Rockefeller hat ihm einmal 15 00
0 Dollar überwiesen. Diesen Betrag ließ Fetler zurückgehen, weil er der Überzeug
ung war, daß Rockefeller nicht auf dem Boden des vollen Evangeliums stand. Diese
r entschiedene Zeuge Jesu wollte durchaus keine zweifelhaften oder unheiligen Ga
ben haben. In dieser Radikalität kann er vielen Werken der Reichgottesarbeit in
der Gegenwart ein Zeugnis und ein Vorbild sein. Mir imponierte die Gradlinigkeit
dieses Jüngers Jesu. Darum hatte ich ihn auch nach Millerowo eingeladen.
In meiner Gemeinde arbeitete er in großem Segen. Die Art seiner Verkündigung war
sehr einprägsam. Er konnte z. B. seiner großen Zuhörerschaft ein evangelistisch
es Lied beibringen. An einem Abend war es das Lied Jesus, der Löwe aus Juda, hat
am Kreuz auf Golgatha allen den Sieg gebracht." Dann sprach er über die übertünc
hten Gräber (Matth. 23), die auswendig schön erscheinen, aber inwendig voller To
tengebeine sind. Meine Fabrikarbeiter hatten das nie vergessen. Ein Former unser
er Eisengießerei sang bei seiner Arbeit immer das gelernte Lied. Er war ursprüng
lich ein Gottesleugner gewesen, bekehrte sich aber nach dieser Evangelisation un
d blieb dadurch vor dem Kommunismus bewahrt. So wirkten Fetlers Predigten und Li
eder noch lange nach.
Während des ersten Weltkrieges stand Fetler auf der schwarzen Liste und wurde ve
rfolgt. Dank seiner ausländischen Beziehungen wurde er rechtzeitig gewarnt. Er k
onnte noch nach Amerika ausreisen. Dort richtete er eine Bibelschule für Russen
ein. Nach dem ersten Weltkrieg kam er zurück nach Polen, Rußland und Lettland. D
ieser rastlose, eifernde Mann war in seiner Kraft immer noch nicht verbraucht. I
n Riga baute er das große Bethaus "Tabernakel", das insgesamt 3000 Sitzplätze au
fwies. Auch richtete er eine Bibelschule für Russen ein, die dort zu Predigern a
usgebildet wurden. Bei der Einweihungsfeler durfte ich selbst dabei sein. Nach d
em Zweiten Weltkrieg, als seine Arbeit in Lettland völlig unmöglich gemacht wurd
e, reiste er wieder nach Amerika aus. Er setzte sich für die Herausgabe neuer Bi
belausgaben und Übersetzungen ein und betreute auch seine früheren Bibelschüler.
Mitten in seiner Evangelistentätigkeit erkrankte er dann in Los Angeles und gin
g heim zu seinem Herrn.
Er ist ein Mann, über dessen Leben das Pauluswort steht: "Ich vermag alles durch
den, der mich mächtig macht, Christus" (Phil. 4,13). Er hat Tausende zu Christu
s führen dürfen. Wieviel Bethäuser und Bibelschulen hat er gebaut! In Riga brach
te er in jedes Haus eine Bibel. In vielen Ländern beobachtet man die segensreich
e Spuren seiner Wirksamkeit. Alles was er war, war er nicht durch sich selbst, s
ondern durch Jesus! C. M.
Mit dem Evangeliumsschlitten unterwegs
Einer meiner engeren Freunde war der Evangelist Jakob Fröse. Er stammt aus der M
ennonitengemeinde. Er war der Sohn reicher Bauern, wählte aber den freiwilligen
Weg der Armut, um restlos für den Herrn da zu sein.
Vor dem Ersten Weltkrieg machten wir zusammen unsere erste Missionsreise. Es war
um die Winterzeit. Wir reisten zunächst in das Gebiet von Woronesch. Von dort g
ing es per Schlitten von Dorf zu Dorf. Es war ein Distrikt, in dem noch keine gl
äubigen Gemeinden zu finden waren. Gewöhnlich suchten wir in jedem Dorf ein Haus
, das uns freundlich aufnahm. Tagsüber machten wir dann Hausbesuche und luden zu
der Abendveranstaltung ein. Normalerweise reichte der Platz nicht aus. In dem e
rsten Dorf war auch der Stellvertreter des Bezirksrichters gekommen. Vermutlich
erfolgte sein Besuch nur zu unserer Kontrolle. Das Wort Gottes sprengt aber auch
die festen Schlösser. Dieser Mann hat sich bei diesem einmaligen Besuch bekehrt
. An einem anderen Abend warf sich plötzlich ein Mann auf die Erde und schrie: "
Ich bin ein Dieb. Ich habe das gestohlene Gut im Boden unter dem Heuschober vers
teckt." Ein zweiter schloß sich diesem Bekenntnis an und erklärte: "Ich bin gena
u so ein Dieb." Die Beichten dieser beiden Männer machten auf die Anwesenden ein
en solchen Eindruck, daß viele an diesem Abend noch ihre Sünden bekannten und ih
r Leben dem Herrn Jesus auslieferten. Selbstverständlich bin ich mir bewußt, daß
es besser ist, wenn Sündenbekenntnisse unter vier Augen mit dem Seelsorger abge
legt werden. Öffentliche Sündenbekenntnisse haben gewöhnlich für die Beichtenden
unangenehme Folgen. Wer wollte aber in diesem Fall dem Geist Gottes wehren? Ich
fühlte mich nicht berufen, das Wirken des Heiligen Geistes zu dämpfen.
Diese Evangelisationsfahrten waren oft mit recht schwierigen Begleitumständen ve
rbunden. In diesen Dörfern des Woronesch Gebietes hatten wir meist eine recht dü
rftige Unterkunft. So schliefen wir in dem einzigen Raum eines Bauernhauses, all
e nur auf Stroh mit unseren Pelzen zugedeckt. In dem gleichen Raum befanden sich
aber auch die Hühner, ein Hund, zwei Schweine und ein Kalb. Alle diese Tiere ha
tten schon an der Abendveranstaltung teilgenommen und sind dann auch unsere Nach
tgenossen geblieben. Über den Geruch und die dicke Atmosphäre der niedrigen Hütt
e braucht man wohl keine Worte verlieren.
Gelegentlich gab es auch andere Erfahrungen im Blick auf die äußere Versorgung.
So waren wir eines Tages Gäste auf dem Gutshof des General Tschertkow. Diese Ari
stokratenfamilie war gläubig geworden. Als ein Ausdruck ihrer Entscheidung für C
hristus verteilten sie ihr Landgut in Größe von 20 000 ha an die armen Bauern ih
rer Umgebung. Sie behielten nur zwei Gutshäuser und wenige Hektar Land für sich
selbst zurück. Nicht genug damit. Diese Familie sorgte auch für die Verkündigung
des Evangeliums unter den beschenkten Bauern. Die adlige Familie selbst hielt B
ibelstunden für all ihre Nachbarn. Sie sind nicht die einzigen, die um ihres Gla
ubens willen ihre Ländereien verschenkten. Es gab viele Glieder des hohen Adels,
die sich zu diesem Schritt entschlossen. Allerdings konnten sie damit die allge
meine russische Situation nicht mehr retten.
1927 arbeitete ich noch einmal mit Fröse zusammen in Moskau. Anschließend erhiel
t ich meinen Paß und konnte nach dem Ausland abwandern. Fröse wirkte weiter, kam
aber bald in das Gefängnis der Geheimpolizei, von der er furchtbar gequält wurd
e. Ich habe ihn seither aus den Augen verloren. Fröse ist jedenfalls nicht mehr
unter den Sterbenden, sondern unter denen, die leben. Er durfte das Wort seines
Herrn hören: "Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbet das Reich, das eu
ch bereitet ist von Anbeginn der Welt" (Matth. 25,34). C. M.
Der Kreisrichter
Während des Ersten Weltkrieges fuhr ich im Gouvernement Saratow mit einigen Offi
zieren zu einer Brautwerbung. Als ich das reiche Elternhaus der Braut betrat, sa
h ich im Salon eine große Fotografie von Prediger Wieler an der Wand hängen. Gan
z erstaunt fragte ich die Hausbesitzer. "Wie kommen Sie zu diesem Bild? Das ist
doch einer meiner Freunde." "Das ist unser geistlicher Vater", war die Antwort.
"Diese Geschichte würde mich sehr interessieren", fuhr ich fort. "ja, das wollen
wir Ihnen gern erzählen." Und nun hörte ich einen interessanten Bericht.
Der Großvater dieser vornehmen Familie war Gutsbesitzer und Kreisoberst. In dies
er Stellung war er der Kreisrichter für die Stadt und Umgebung. Eines Tages hatt
e er einen Arrestanten im Gefängnis zu verwahren, bis dieser weiter transportier
t werden konnte. Der Gefangene mußte wohl ein schlimmer Mensch sein, denn er war
in Ketten gefesselt. Der Richter hat sich um die Akten des Häftlings nicht gekü
mmert, da er ja am nächsten Tag weiterbefördert werden sollte. Nachts konnte der
Oberst jedoch nicht schlafen. Immer wieder kam ihm der Gefesselte ins Gedächtni
s. Jedenfalls hat der Gefangene es war Prediger Wieler für seine Peiniger un
d auch für diesen Oberst gebetet. Der Richter ließ den Häftling kurzerhand in de
r Nacht aus dem Gefängnis holen und fragte ihn nach der Ursache seiner Verurteil
ung. Darauf zog Bruder Wieler ein russisches Testament aus der Tasche und erklär
te: "Wegen dieses Buches wurde ich verhaftet. Ich stehe vor Ihnen als völlig uns
chuldiger Mann." Bei der kurzen Befragung und der anschließenden Unterhaltung le
gte Wieler Zeugnis ab für Jesus. Seine Worte trafen den Obersten ins Herz. In de
r gleichen Nacht wandte sich dieser hochstehende Herr Jesus zu.
Und nun handelte er an dem Gefangenen, wie es seinerzeit der Kerkermeister in Ph
ilippi an Paulus und Silas getan hatte. Er ließ den Gefangenen, Bruder Wieler, e
ntkleiden. Bruder Wieler durfte im Bad des Obersten baden und sich erfrischen. D
ann wies ihm der Oberst sein eigenes Bett als Nachtlager an. Ein gewaltiges Wund
er war an diesem Kreisrichter geschehen. Der Oberst setzte sich dann mit den Beh
örden in Verbindung und erreichte, daß die Verbannung Wielers in eine Ausweisung
nach Rumänien umgewandelt wurde.
1936 unternahm ich eine Evangelisationsreise nach Rumänien. Dort zeigte mir mein
Freund Gerasimenko die Kirche, in der Bruder Wieler seinen Tod gefunden hat.
Und nun zurück zur Brautwerbung. Der Kreisoberst war in seiner Nachfolge Jesu so
treu, daß auch seine Kinder und Enkel den Weg zum Herrn gefunden haben. In dies
em Hause wurde ich nun mit Freuden aufgenommen und fand auch in meinem Anliegen
Gehör. Diese Familie ist wieder eine Bestätigung des Bibelwortes aus Apg. 16,31:
"Glaube an den Herrn Jesus Christus, so wirst du und dein Haus selig." C. M
.
Auf der Suche nach Brot
In den bisherigen Zeugnissen berichtete ich, was andere Evangelisten und Glauben
sbrüder alles erlitten haben. Nun will ich auch mein eigenes Schicksal kurz dars
tellen. Nach meiner Ausbildung auf einer technischen Schule in Charkow siedelte
ich mich in Millerowo an. Dort richtete ich eine Reparaturwerkstatt ein, die ras
ch aufblühte. Nach einigen Jahren ging es mir wirtschaftlich schon so gut, daß i
ch mit zwei Teilhabern zusammen eine Maschinenfabrik baute. Wir stellten landwir
tschaftliche Maschinen her und richteten Mühlbetriebe und Ölpressereien ein. Das
Geschäft florierte. Darüber hinaus hatte ich bei meinen vielen Geschäftsreisen,
die mich durch ganz Rußland und bis weit nach Sibirien führten, Gelegenheit, da
s Evangelium zu verkündigen.
Nach der Revolution und dem Eindringen der Sowjets in unsere Stadt stand ich nat
ürlich als Fabrikant auf der schwarzen Liste. Wir wurden eines Nachts kurzerhand
aus der Wohnung geholt und völlig enteignet. Für meine Familie begann eine hart
e Zeit. In der Stadt herrschten wie überall durch die Sowjets turbulente Verhält
nisse. Einer unserer Arbeiter wurde als Direktor der Fabrik eingesetzt. Dieser s
chlichte Mensch hatte natürlich keine Ahnung und kein Geschick, ein solches Werk
zu leiten. Ein anderer Arbeiter von uns, ein Schlosser, wurde der Bürgermeister
der Stadt. Schlichte Knechte und Mägde erhielten die leitenden Amter bei den Be
hörden. Das war für die gesamte Wirtschaft und das öffentliche Leben eine Katast
rophe, da diese Menschen gar nicht die Voraussetzungen hatten, um solche Ämter z
u bekleiden. Um diese öffentlichen Zustände konnte ich mich aber kaum noch kümme
rn, da ich alle Hände voll zu tun hatte, um den bedrängten Glaubensgenossen beiz
ustehen und auch die eigene Familie zu versorgen. Eine solche Fahrt nach Brot wi
ll ich jetzt darstellen.
Es war im Jahr 1920. Von der Moskauer Zentralvereinigung unseres Bundes wurden d
ie Komiteemitglieder der Kaukasusvereinigung sofort nach Moskau berufen. Es ging
um folgende Fragen. Die Sonntagsschulen in unseren Gemeinden sollten verboten w
erden. Jugendliche unter 18 Jahren sollten in Zukunft die Gottesdienste nicht me
hr besuchen dürfen. Alle Gottesdienste und die Namen der Prediger mußten bei der
Gottlosen Organisation gemeldet werden. Das waren die neuen Bestimmungen, welch
e die Sowjets in Moskau herausgegeben hatten. Für die Gläubigen und alle christl
ichen Gemeinden kam eine Zeit schwerer Feuerproben. Die Bibeln wurden beschlagna
hmt und sollten vernichtet werden. Das waren die Gründe, warum wir drei Komiteem
itglieder aus dem Kaukasus eiligst nach Moskau kommen sollten. Bei dieser Fahrt
gelang es mir, 40 deutsche Testamente zu kaufen. Sie stammten aus dem deutschen
Pastoreninstitut in Moskau und waren nach der Beschlagnahmung von einem jungen M
ann, der nicht zu unserer Gemeinde gehörte, gestohlen worden. Da er als Russe mi
t den deutschsprachigen Testamenten nichts anzufangen wußte, bot er sie mir an.
Mit großer Freude kaufte ich sie ihm alle ab und brachte sie mit meinen beiden a
nderen Brüdern zusammen durch alle Sperren hindurch bis zu unserem Wohnort. Ich
wußte, daß diese 40 deutschen Testamente für die vielen gläubigen Volksdeutschen
einen großen Schatz darstellten. Ich überlegte lange, wie ich diesen Schatz in
die richtigen Hände leiten konnte.
Unsere persönlichen Verhältnisse wiesen uns bald den Weg. Der blanke Hunger quäl
te uns Tag für Tag. In dieser Notzeit dachte ich an die gläubige deutsche Koloni
e Gnadenburg. Dieses Dorf war bisher von den Sowjets noch nicht so heimgesucht w
orden. Dort, unter den volksdeutschen Siedlern hoffte ich, alle meine Testamente
loszuwerden und gleichzeitig Brot für meine Familie zu finden. Kurz entschlosse
n, vom Gebet meiner Lieben begleitet, machte ich mich auf den Weg.
Das Reisen war nach der Revolution mit entsetzlichen Strapazen verbunden. Die Zü
ge fuhren unregelmäßig und waren teilweise stark demoliert. Türen und Fenster wa
ren weggerissen, alle Waggons mit Menschen überfüllt. Viele saßen auf den Puffer
n oder auf dem Dach. An den Trittbrettern hingen die Menschen wie Trauben. Mir g
ing es nicht besser. Mit Mühe bekam ich einen Platz auf der unteren Treppe eines
Wagens und mußte nicht nur mich selbst, sondern auch den Koffer festhalten. Sch
ließlich halfen mir einige Mitreisende, daß ich wenigstens eine Ecke des Koffers
aufstellen konnte. Nach einer Fahrt von 300 km kam ich trotz dieser Strapazen a
n den Zielbahnhof. Von hier ging es zu Fuß weiter, und ich erreichte schließlich
das wunderbar gelegene Dorf Gnadenburg. Diese Siedlung gläubiger Volksdeutscher
war wie eine Burg gelegen. Auf der einen Seite fließt der reißende Fluß Terek,
auf der anderen Seite steigt das hohe Gebirge an. Das Dorf ist so geschickt ange
legt, daß es nur einen Ausgang hat. Damit war es gegen die Überfälle der wilden
Bergvölker gut gesichert. Da ihre Nachbarn, die Auulen, scharfe Gegner der Sowje
ts waren, waren hier noch nicht so viele Enteignungen durchgeführt worden.
Wie fühlte ich mich unter diesen gläubigen Familien so wohl. Ich war schon einig
e Jahre vorher zur Verkündigung des Evangeliums hier gewesen. Die Leute kannten
mich alle und nahmen mich mit großer Gastfreundschaft auf. Alle Bewohner dieser
Kolonie leben in einer klösterlichen Gemeinschaft zusammen. Sie sind nach Offb.
12,13 17 und Jes. 35,7 8 auf das Kommen des Herrn ausgerichtet. Es sind tiefgläu
bige Kinder Gottes, die wunderbare Ordnungen haben. Die Jugend darf nicht allein
ausgehen, ohne daß nicht einige Väter dabei sind. Abends um 8 Uhr läutet die Gl
ocke, und alle Familien im Dorf versammeln sich in ihren Häusern zum Bibellesen
und zum Gebet. Nach dem Betläuten darf niemand im Dorf abends das Haus verlassen
, es sei denn zum Besuch des Abendgottesdienstes. Um 22 Uhr ist alles im Bett. N
ur die Wächter sind auf den Straßen. Morgens um 8 Uhr läutet die Glocke wieder.
Alle Familien versammeln sich zur Morgenandacht, und dann erst geht es an die Ar
beit. Fluchen und Schimpfen oder Streitereien sind kaum in der Gemeinde zu finde
n. Die Kinder sind ihren Eltern gehorsam. Obwohl sie Weinbau treiben, gibt es im
Dorf keine Trinker. Sie üben strenge Sonntagsheiligung und Kirchenzucht. Die St
raße ist am Sonntag gesperrt. Einige erfahrene Männer der Gemeinde sind speziell
für die Jugendarbeit verantwortlich. Auf dieser Kolonie ruhte sichtlicher Segen
. Alle waren wohlhabend. In dieser Musterkolonie war ich nun mit meinen 40 Testa
menten gelandet.
Als man mich nach dem Preis der Testamente fragte, sagte ich den Geschwistern ga
nz offen: "Liebe Brüder und Schwestern, meine Familie leidet Not. Wir wissen nic
ht, von was wir leben sollen, da wir durch die Enteignung alles verloren haben.
Wenn ihr mir für ein Testament ein Pfund Mehl gebt, so meine ich, daß das keine
Überforderung bedeutet." In der Tat war das ein äußerst geringer Preis. In norma
len Zeiten hätte man in Rußland für ein Testament 15 bis 20 Pfund Mehl erhalten.
Die Glaubensgeschwister erklärten mir sofort, daß dieser Preis viel zu gering w
äre, und sie luden mir so viel Lebensmittel auf, daß nur zwei Männer sie tragen
konnten. Zunächst einmal waren es 280 Pfund Mehl, die sie mir in zwei große Säck
e verpackten. Diese Säcke galten nach der Revolution als eine Kostbarkeit, da si
e zur Herstellung von Kleidern und Anzügen verwendet wurden. Dazu beluden sie mi
ch mit Speck, Weißbrot und anderen guten Dingen. Nun war guter Rat teuer. Wie so
llte ich das alles rein gewichtsmäßig abtransportieren und dazu noch durch die v
ielen Zug und Bahnhofssperren bringen. Ich hatte keine andere Möglichkeit, als
einfach die Hände zu falten und zu sagen: "Herr Jesus, du hast mich mit diesem S
egen überschüttet. Nun bringe du mich gut nach Hause."
Meine Freunde aus Gnadenburg taten noch ein übriges. Sie brachten mich mit einem
Fuhrwerk bis zum Terekfluß. Dann setzten sie mich an einer Stelle ab, wo ein Ko
sake einige Male am Tag eine Fähre über den breiten Fluß steuerte. Nun mußte ich
von der Fährstelle aus zwei km bis zur Stanitze Pawlodolsk zu Fuß gehen. Es war
nicht anders möglich, als daß ich zuerst einen Sack mit 140 Pfund diesen Weg sc
hleppte, den Sack im Gebüsch versteckte und dann den zweiten Sack nachholte. Ein
e anstrengende Tour! Schließlich kam ich wohlbehalten in dem Dorf an und suchte
einen gläubigen Bruder auf, der mir vom früheren Evangelistendienst her bekannt
war. Dieser Bruder war mir wiederum ein Engel Gottes. Obwohl es außerordentlich
gefährlich war, soviel Lebensmittel zu transportieren, brachte mich dieser Mann
mit einem Wagen zu dem 15 km entfernt gelegenen Steppenbahnhof. Wären wir unterw
egs kontrolliert worden, so hätte man uns zunächst alles abgenommen und dazu wär
en wir noch bestraft worden. Wie sollte ich aber nun mit diesen vielen Lebensmit
teln den Bahnhof betreten und dann gar noch den Zug besteigen können? In diese G
efahr wollte ich mich nicht begeben. Einige 100 m in der Nähe des Bahnhofs legte
ich mich kurzerhand mit meinen Säcken an den Bahndamm und wartete, bis der Zug
kam. Das Auf und Abspringen auf die fahrenden Züge war ohnehin nach der Revolut
ion an der Tagesordnung. Das ging ohne Gepäck ganz leidlich. Mit meinem Ballast
war es aber völlig unmöglich. Ich kann es nicht anders sagen als so, daß ich unu
nterbrochen meine Lage im Gebet vor den Herrn brachte. Es ging ja nicht darum, m
ich zu bereichern, sondern einfach, um meine Angehörigen zu versorgen. Hätten un
s die Roten nicht das ganze Vermögen weggenommen, wäre ich ja nie in diese bedrü
ckte Lage geraten. Während ich mich meinen Gedanken hingab, rollte ein Güterzug
heran. Ich sprang auf und zeigte dem Lokomotivführer ein großes Stück Brot. Mein
e Berechnung stimmte. Der Zug hielt sofort an. Ich eilte mit meinen Lasten zur L
okomotive und schaffte alles in den Kohlenraum. Der Lokführer selbst half mit, d
ie kostbare Ladung zu verstecken. Ganz bewegt und mit großem Dank sagte dieser M
ann: "Sie hat der liebe Gott geschickt, um meinen Hunger zu stillen." Er verzehr
te augenblicklich das ihm gereichte Brot. Auf diese Weise kam ich 100 km weiter.
Wie sollte ich aber bei der nächsten Umsteigestelle durchkommen? 500 m vor dem
Umsteigebahnhof fuhr der Lokführer sehr langsam und half mir vom fahrenden Zug h
erunter.
Wieder lag ich am Bahndamm. Mein erprobtes Spiel mit dem Stück Brot wiederholte
sich. Wie war ich nun für die reichlichen Gaben meiner Brüder von Gnadenburg dan
kbar. Der zweite Zug hielt wieder. Mein nahrhafter Ausweis öffnete überall die T
üren. Was ist doch das für ein herrliches Sowjetparadies, daß Zugführer für ein
Stück Brot den Zug anhalten! Auf jeden Fall wurde es mir geschenkt, mit dieser g
efährlichen Last alle Sperren zu umgehen und wohlbehalten meine Heimat zu erreic
hen. Welche Dankbarkeit lösten die reichen Gaben unserer Glaubensgeschwister aus
. Wieviel Freude hat dann noch meine Gattin anderen Hungernden bereitet, denen s
ie von unseren Schätzen abgab. Wir selbst haben uns damit über die Hungerzeit hi
nwegretten können, bis der Herr uns wieder neu versorgte. C. M.
Die Hirtenflöte
Einer meiner Freunde aus Petersburg erzählte mir die Bekehrungsgeschichte der fü
rstlichen Familie in Petersburg. Ein ungläubiger Fürst machte mit seiner Familie
eine Ferienreise nach seinem entlegenen Landgut. Eines Tages besichtigten sie i
hre Vieh- und Schafherden. Der kleine 6jährige Fürstensohn war mit seiner Pflege
rin auch dabei und wollte unbedingt noch bei den Schafherden zurückbleiben. Der
kleine Junge hatte sich schnell mit einem 16jährigen Hirten angefreundet, der au
f einer Hirtenflöte wunderbar zu spielen verstand. Der Fürstensohn fragte den Hi
rten: "Wer hat dich das schöne Spielen gelehrt?" Der Hirte antwortete: "Der lieb
e Gott hat es mich gelehrt." "Wo wohnt der liebe Gott?", fragte der 6jährige. "D
ort oben im Himmel wohnt er, und er wird alle Menschen einmal nach ihrem Leben r
ichten." "Wo hast du denn die Flöte her?" "Die habe ich mir selbst gemacht", war
des Hirten Antwort. "Ja, wer hat dir das denn beigebracht?" "Auch der liebe Got
t, der den Menschen Gaben gibt, aber sie auch einmal zur Verantwortung zieht, wa
s sie mit ihren Gaben angerichtet haben." Bei dieser Unterredung wurde die Pfleg
erin des Fürstensohnes unwillig, denn sie war genau wie ihre fürstliche Herrscha
ft eine gottlose Person. Sie führte den Knaben gewaltsam zurück zu seinen Eltern
. Die einfachen Worte des gläubigen Hirtenjungen waren aber dem Kind ins Herz ge
fallen und ließen es nicht mehr los.
Als die fürstliche Familie nach Petersburg zurückgekehrt war, sagte eines Tages
der Junge bei Tisch: "Papa, ich weiß etwas." "Na, dann erzähle es uns, was du we
ißt", erwiderte der Fürst. "Es gibt einen lieben Gott, und alle Menschen müssen
sich vor ihm verantworten." "Ja, wo hast du denn das dumme Zeug her? Wer hat dir
das eingeredet?" "Oh, das war der Hirte, der unsere Schafe hütet", gab der Knab
e zur Antwort. Bei dieser Auskunfl war der Fürst ganz erbost, und er gab der Pfl
egerin seines Sohnes einen strengen Verweis. Die Mutter, die das Gespräch mit an
hörte, wurde davon seltsam berührt.
Dieser unangenehme Zwischenfall bei Tisch wurde im Laufe der nächsten Monate ver
gessen. Eines Tages veranstaltete der Fürst eine Festlichkeit, zu der verschiede
ne Verwandte und Freunde eingeladen wurden. Bei Tisch hatte der Fürstensohn sein
en Platz neben seinem Onkel. Plötzlich fing der junge wieder ein ähnliches Gespr
äch an wie dazumal: "Onkel, ich weiß etwas, was du nicht weißt." "Na, mein Junge
, das interessiert mich wahrhaftig, was ich nicht wissen sollte." "Es gibt einen
lieben Gott, der den Menschen Gaben gibt und sie darüber einmal zur Verantwortu
ng zieht." "Aber Junge, wo hast du diesen Unsinn her?" Es gab eine ärgerliche St
örung. Die Fürstin erhob sich und nahm verärgert den Jungen von der festlichen T
afel, führte ihn hoch oben unter dem Dachgeschoß in ein kleines Zimmer und schlo
ß hinter ihm zu.
Anderntags um die Mittagszeit fragte die Fürstin die Pflegerin: "Wo ist denn uns
er Wanja?" "In der Rumpelkammer oben." "Ja, warum hast du ihn denn nicht herausg
elassen?" "Sie haben doch den Schlüssel", antwortete die Pflegerin. Erschrocken
eilte die Fürstin zur Kammer und öffnete. "Wanja, bist du hier?" rief sie. "Ja M
utti", antwortete das Kind "und der liebe Gott war auch hier." Die Fürstin war v
on dem schlichten Zeugnis ihres Jungen so bewegt, daß sie von nun an den Umgang
mit gläubigen Menschen suchte. Es dauerte nicht lange, da wurde sie an den Herrn
Jesus gläubig. Nun waren in der fürstlichen Familie schon zwei Bollwerke des He
rrn. Der junge Fürstensohn, der kindlich gläubig geworden war, und seine Mutter,
die Jesus nachfolgte. Nicht lange danach schlug auch der Fürst diesen Weg ein.
Der Anfang dieser ganzen Umwälzung war jenes fromme Spiel des Hirtenjungen gewes
en. So hat Gott aus dem Mund der Unmündigen sich ein Lob zugerichtet. C. M.
Kirchenvorsteher und doch ein Heide
Zeugnis eines Russen
Ich war Vorsteher einer griechisch katholischen Kirchengemeinde in einem Kaukasu
sdorf. Dieses Amt vertraute man gewöhnlich nur angesehenen Gliedern der Gemeinde
an. Die innere Stellung des Betreffenden zu Christus wurde kaum berücksichtigt.
Wer hätte das in der Kirchengemeinde auch tun sollen? Die Popen waren zum große
n Teil selbst keine Jünger Jesu. Ihr Haß gegen die Evangeliumschristen, Baptiste
n und Mennoniten war nur zu bekannt. Viele Gläubige mußten ja in der russischen
Kaiserzeit auf Betreiben der Priester in die Gefängnisse und in die Verbannung.
Auf Grund meiner Wohlhabenheit, meiner allgemeinen Beliebtheit und meines sicher
en Auftretens war ich also Präsident der Kirchengemeinde geworden. Das hinderte
mich nicht daran, daß ich wie ein Heide lebte. In der Gemeinde war man es ja zuf
rieden, daß ich doch einigermaßen regelmäßig zum Gottesdienst kam. Damit war ich
noch besser als mancher, der dem Popen geflissentlich aus dem Wege ging. Wer ko
nnte mir schon etwas Böses nachsagen?
Diese Kirchhofsruhe sollte eines Tages gestört werden. Ein Evangelist der Stundi
sten kam ins Dorf und predigte in einer Weise, die Aufruhr brachte. Menschen wur
den unruhig und bekehrten sich. Von der Kirche her nahm man gegen diesen Eindrin
gling Stellung. Wir haben doch alles! Was will dieser Hergelaufene?
Soweit wäre mich das alles persönlich nichts angegangen. Aber nun bekehrte sich
meine eigene Frau. Damit kam die Unruhe in mein Haus. Mich packte die Wut. Weiß
denn diese Frau nicht, was sie mir, dem Vorsteher der Kirchengemeinde schuldig i
st? Sie besucht die Bibelstunden der Stundisten und betet auch zu Hause. Ist den
n die Kirche nicht genug? Weiß nicht der Pope allein, wie richtig zu beten ist?
Was nehmen sich diese Stundisten heraus, so mit ihrem Herrgott auf du und du zu
stehen?
Ich verbot meiner Frau den Besuch der Bibelstunden, verbot ihr das Bibellesen un
d das Beten zu Hause. Es war mir als Kirchenvorsteher wahrhaftig genug, daß wir
diese Spaltung in der Gemeinde hatten. Ich wollte das auf keinen Fall zu Hause d
ulden. Schließlich mußte ich doch als Mitverantwortlicher der Gemeinde mit gutem
Beispiel vorangehen.
Meine Frau, die mir in allem untertänig war, hörte nicht auf diese Verbote. Schl
ießlich wurde es mir zu bunt. Als sie wieder vor dem Essen die Hände zum Gebet f
altete, schlug ich ihr so auf die Finger und Hände, daß sie bluteten und verbund
en werden mußten. Nach dieser Maßregelung betete sie nur noch heimlich. Doch auc
h das reizte mich zum Zorn. Ich legte mich auf die Lauer. Als ich sie dann eines
Tages auf den Knien liegend und betend antraf, zerschlug ich ihr die Knie derar
tig, daß sie ebenfalls verarztet werden mußten.
Trotz dieser Mißhandlungen blieb meine Frau mir gegenüber freundlich und geduldi
g. Und gerade das versetzte mich noch in größere Wut. Ich erklärte meiner Frau:
"Du bist nicht mehr mein Weib!" Und ich jagte sie weg. Sie ging aus dem Hause un
d sagte mir beim Abschied: "Ich werde trotzdem für dich beten." Im Dorf gab dies
e barsche Trennung Aufsehen. Dem Popen erklärte ich, daß ich mit einer Sektierer
in nicht zusammenleben könnte. Dem Priester war mein Handeln ein Zeichen von Kir
chentreue. Er war zufrieden. Die anderen mischten sich nicht darein. Schließlich
besaß ich doch einiges Ansehen.
Nicht lange danach nahm ich mir wieder eine Frau. Nun sollte mein Leben schöner
werden. Den Unruheherd hatte ich ja ausgeräumt. Die zweite Frau ließ sich zwar w
illig an, aber sie war wirtschaftlich unerfahren und ungeschickt. Es zerrann ihr
alles unter den Händen. Was ich mit meiner ersten Frau erspart hatte, war bald
dahin. Mich wurmte das ungemein. Wie sollte ich mich aus dieser Schlinge ziehen?
Ich sagte mir, diese Frau bringt mich um Haus und Hof. Nach langem Überlegen un
d manchen schlaflosen Stunden in der Nacht entschloß ich mich, auch diese zweite
Frau wieder laufen zu lassen. Für mein Amt als Vorsteher war das nicht gerade z
uträglich. Doch meinte ich, es auch auf diese Kraftprobe ankommen lassen zu könn
en. Tatsächlich hörte ich keine Stimmen, die mir mein Amt streitig gemacht hätte
n.
Nun war ich aber wieder ohne Frau, und auf dem großen Hof ging es ohne Bäuerin n
icht. Deshalb suchte ich meine erste Frau wieder auf und bat sie, zu kommen und
die Wirtschaft zu führen. Sie willigte unter der Bedingung ein, daß ich ihr den
Besuch der Bibelstunden und das häusliche Beten erlauben würde. Um wieder eine F
rau zu haben, war ich damit einverstanden. So war sie nun abermals im Hause, die
mir eines Tages zum Anstoß der Nachfolge Jesu werden sollte. Bis dahin war es a
ber ein noch weiter Weg. Wie früher ärgerte ich mich auch jetzt über ihr Beten u
nd Bibellesen. Doch ich nahm es als unumgängliches Übel hin, da ja die große Hau
shaltung ohne die Hausfrau nicht sein konnte. Was mich innerlich am meisten fert
ig machte, war die große Liebenswürdigkeit der Frau, die mit Gleichmut und gewin
nender Freundlichkeit alle meine Launen ertrug.
Bei diesen inneren Spannungen verstrich der Winter. Der Frühling begann sich zu
melden. An einem Samstagabend machte ich meinen Wagen fertig und belud ihn mit r
oten Rüben. Ich wollte sie zur Stadt fahren und am Sonntagmorgen verkaufen. Mein
e Frau bat mich jedoch, auf die Sonntagsarbeit zu verzichten. Ihr Wunsch war, do
ch den Tag des Herrn mit Wort Gottes und Gebet in der Kirche zu begehen. Schroff
wies ich sie mit dem Hinweis ab, daß der Sonntagsmarkt der beste wäre. Sie antw
ortete, daß sie merkwürdige Vorahnungen hätte, als könnte mir etwas zustoßen. Au
f jeden Fall würde sie für mich beten.
In aller Frühe fuhr ich los. Auf dem Weg zur Stadt mußte ich einen Fluß kreuzen.
Die Flußpassage war eine gefährliche Stelle. Es war zwar ein kleines Pflaster a
ngelegt, doch rechts und links ging es steil in die Tiefe. Mit großer Vorsicht d
urchquerte ich das Wasser. In diesem Augenblick trat ein Pferde zur Seite und dr
ohte zu versinken. Ich sprang rasch vom Wagen, um Pferd und Wagen zu retten. Mit
großer Mühe gelang mir diese Aktion, jedoch alle meine Rüben fielen ins Wasser.
Über diese Mehrarbeit war ich nicht wenig ärgerlich.
Schließlich war mein Wagen wieder flott und mit den nunmehr gewaschenen Rüben ne
u beladen. Mir kam der Gedanke, daß ich vielleicht die sauberen Rüben gut verkau
fen könnte. Im stillen frohlockte ich auch, daß ich trotz des Gebetes meiner Fra
u den Sonntagsmarkt besuchen würde.
Frierend kam ich beim Markt an. Es standen schon zahlreiche Wagen da. Seltsamerw
eise gingen die Käufer an mir vorüber. Sie dachten wohl, mit den sauber glänzend
en Rüben wäre etwas nicht in Ordnung. So stand ich verdrossen da und fand nicht
einen einzigen Käufer. Dazu hatte ich noch die Unkosten für das Essen und das Pf
erdefutter.
Mißmutig machte ich mich auf den Heimweg. Ich dachte daran, daß meine Frau mit i
hrer ewigen Beterei an allem schuld wäre. Nach meiner Rückkehr wollte ich ihr sc
hon den Marsch blasen. Diese Frommen verpatzen einem doch das schönste Geschäft!
Noch einmal mußte ich die gefährliche Stelle passieren. Ich nahm mir vor, ganz b
esonders gut aufzupassen. Doch dieses Mal kam es noch schlimmer. Ich war zu sehr
auf die andere Seite geraten. Die Pferde sanken rasch ein. Mit einem Fluch spra
ng ich ins Wasser, um Pferde und Gefährt in Sicherheit zu bringen. Mit Wut und I
ngrimm arbeitete und zerrte ich am Geschirr. Das sollte mir mein Weib büßen!
Bei der Bergungsarbeit ging es weit über meine Kräfte. Es fehlte nicht viel, und
ich wäre dabei ertrunken. Schließlich hatte ich alles wieder auf dem Trockenen,
und die Unglücksrüben waren nun schon zum dritten Mal aufgeladen. Ich sah aus,
wie aus dem Moorbad gezogen. Keine trockene Faser mehr am Leib! Der Schlamm verk
lebte mir Beine, Arme und Gesicht. Plötzlich schwanden mir für einenaugenblick d
ie Sinne, und ich rief um Hilfe. Zum Glück war ich schon auf dem festen Ufer, so
nst hätte mich bei dieser Ohnmacht der nasse Tod geholt.
Es ging schon auf Mitternacht, als ich endlich erschöpft und ohne einen Rubel in
der Tasche nacch Hause kam. Ich besaß gerade noch die Kraft, die Pferde auszusp
annen und mit Futter zu versorgen. Dann war es aber mit meinen Kraftreserven zu
Ende. Verschmutzt, mit zerrissenen, nassen Kleidern und völlig ausgepumpt torkel
te ich zum Hauseingang.
Meine Frau nahm mich liebevoll in Empfang und behandelte mich wie ein Kind. Sie
befreite mich von der verdorbenen, durchnäßten Kleidung und steckte mich in die
Badewanne. Nachdem ich wieder menschenähnlich aussah, brachte sie mich ins Bett.
Nun war der Augenblick gekommen, wo ich kapitulierte. Trotz der unsagbaren Müdig
keit wurde ich mit einem Schlage hellwach. Der Geist Gottes arbeitete an meinem
Herzen. Er sagte mir unmißverständlich: "So wie du heute abend als verdreckter L
ump heimkamst, so stehts du auch innerlich als verdreckter und gottferner Lump v
or Gott, So wie deine Frau in ihrer tragenden Liebe dich von deinen verschmutzte
n Kleidern befreit und gereinigt hat, so will dich der Herr von deinem inneren S
chmutz befreien." Jetzt war es aus mit meiner Selbstgerechtigkeit als Vorsteher
der Kirchengemeinde. Nun war es aus mit meiner Selbstherrlichkeit als ehrbarer B
ürger meines Dorfes. Ich war zum elenden Sünder geworden, der um Gnade schrie.
Es war mir bewußt geworden, daß ich trotz meines Amtes als Vorsteher zur Hölle g
efahren wäre, wenn mir dort an dem Flußübergang etwas zugestoßen wäre. Nun aber
durfte ich in dieser furchtbaren Nacht Jesus als meinen Heiland erleben, so wie
es auch meiner lieben Frau geschenkt worden war. Von da an fing mein Leben noch
einmal an. Täglich las ich mit meiner Frau zusammen Gottes Wort und betete mit i
hr. Es begann die glücklichste Zeit meines Lebens. Die verhaßten Stundisten wurd
en meine Brüder und Schwestern. Nur der Pope war mit mir jetzt nicht mehr zufrie
den. Seltsam, solange ich als Kirchenvorsteher alle Gebote übertrat, ließ er mic
h in Ruhe. Nachdem ich aber Vergebung meiner vielen Sünden erhalten hatte und Je
sus nachfolgte, war ich in seinen Augen ein Ketzer geworden. Was will's mit dies
er Kirche werden? Ist in diesem Sinn der sowjetische Sturm nicht ein Gericht Got
tes? Wird nicht dieses oder ein ähnliches Gericht einmal über die verweltlichten
Kirchen in aller Welt hereinbrechen?
--
Richard Wurmbrand
Die Antwort auf diese Frage ist klar. Eine Revolution ist nötig. Das Establishme
nt wird von Millionären beherrscht. Die Bevölkerung ist eingeteilt in eine Oberk
lasse, die im Luxus schwelgt, eine Mittelklasse, die sich um nichts kümmert, und
eine Armenklasse, die von den Brotkrumen lebt, welche vom Tisch der Reichen fal
len, obwohl die Armen es sind, die alle Güter produzieren.
Die weiße Rasse ist privilegiert. Und so sind es einige wenige imperialistische
Länder. Die schwarzen, gelben und roten Menschen können hungern. Sie und ihre Re
chte zählen nicht.
Millionen wurden in Weltkriegen geopfert. Ein neuer Weltkrieg wird auch die vers
chlingen, die heute jung sind...
Es gibt genug Gründe, um ein Revolutionär zu sein. Die Geschichte kennt viele fo
lgenreiche Revolutionen. Die französische, die amerikanische und die kommunistis
chen Revolutionen in Rußland, China und Kuba. Wir haben vor uns das Beispiel gro
ßer revolutionärer Denker und Kämpfer, Marx, Lenin, Stalin, Mao, Castro, Guevara
, Marcuse. Auch wollen wir nicht das Blut Unschuldiger vergessen, das an vielen
Plätzen der Welt von Kämpfern vergossen wurde. Wird auch unsere Revolution Erfol
g haben?
Der Erfolg, einmal erreicht, wird uns die volle Freiheit geben. Wir werden uns l
ieben, anstatt Kriege führen. Wir werden zu unserem Vergnügen arbeiten, und nich
t aus Zwang. Die Jugend, die die Zukunft vertritt, wird herrschen, erleuchtet vo
n dem unfehlbaren Licht der großen, revolutionären Philosophen.
Das ist ein Ideal, für das es sich zu leben lohnt, und es ist ein Ideal, für das
es sich zu töten lohnt. In dem Dienst dieses Ideals ist es richtig, Steine und
Molotow Cocktails auf Schweine zu werfen. Einige von uns gehen sogar noch weiter
. Wir bewundern diejenigen, die im Dienste dieses Ideals, das die Bruderschaft d
er Nationen und Rassen schaffen wird, Bomben legen oder Guerilla Kriege führen.
Im Dienste dieses Ideals möchte ich meinen kleinen Beitrag leisten und denke, di
es ist die richtige Antwort auf die Frage: Warum bin ich ein Revolutionär?
Aber Du hast noch nicht die andere Frage beantwortet, die aus denselben Worten w
ie die erste besteht und nur die Betonung auf ein anderes Wort legt: "Warum bin
ICH ein Revolutionär?" Warum führe gerade ich diesen revolutionären Kampf? So vi
ele werden unterdrückt, so viele leiden unter der Ungerechtigkeit, und so viele
andere sehen sie. Ihre und meine Reaktion ist unterschiedlich. Einige sind gleic
hgültig, andere glauben an Reformen, an eine langsame Evolution auf einen besser
en Zustand der Gesellschaft hin, andere sind religiös, andere sind Schüler Chris
ti, die sagen, daß Du jene, die böse handeln, lieben sollst, daß Du Schlechtes m
it Gutem vergelten und auch die andere Wange hinhalten sollst, wenn Du auf die e
ine geschlagen wirst.
Mit all diesen Meinungen stimme ich nicht überein. Ich gehöre zu einer revolutio
nären Minderheit. Meine Gründe dafür mögen sehr gut sein. Aber wie kommt es, daß
ich diese Überzeugung habe und die anderen nicht? Was unterscheidet mich von de
n anderen? Was macht mich zum Revolutionär?
Sokrates sagte: "Lerne dicht selbst kennen", ein anderer Denker sagte: "Prüfe di
ch selbst!" Der große Revolutionär Jesus sagte mehr als das: "Verleugne dich sel
bst", was bedeutet: "Löse dich von der Tatsache, daß du Du bist und denke über D
ich selbst nach, als ob Du eine absolut wahrheitsliebende und unvoreingenommene
Wesenheit wärest." Was macht Dich zu einem Revolutionär?
Die Antwort kann sehr unterschiedlich sein.
Einige sind Revolutionäre, weil ihre Eltern es auch waren. Sie haben revolutionä
re Ideen mit der Muttermilch eingesogen.
In den USA ist Bettina Aptheker eine der führenden Persönlichkeiten der Kommunis
tischen Partei, so wie ihr Vater es auch war.
Der Revolutionsgeist einer solchen Jugend hat ebensoviel intellektuellen Wert, w
ie die Tatsache, daß jemand Katholik ist, nur weil seine Eltern Katholiken waren
und ihn in dieser Religion taufen ließen. Eine solche Jugend hat also von Kindh
eit an die revolutionären Schlagworte und Lieder in sich aufgesogen, genau wie d
er Sohn eines Millionärs, der mit einer Vielzahl von Bediensteten aufwächst, von
Kindheit an genau weiß, daß er zu einer privilegierten Klasse gehört und deren
Mentalität annimmt.
Aber wie kommt es, daß andere junge Männer und Frauen Revolutionäre geworden sin
d, während ihre Klassenkameraden oder Kollegen in der Fabrik nicht an den Umstur
z der Welt denken? Warum bin gerade ich ein Revolutionär?
Was einen Einzelnen zu einem Revolutionär macht, ist gewöhnlich ein Trauma, das
er in seinem Leben erlitten hat, manchmal eine peinliche Begebenheit, auf die er
verweisen kann, aber meistens ist es unbewußt. Das kann auch für meinen Fall ge
lten. Ich bin ein Revolutionär, also das, was die Presse des Establishment einen
"Störenfried" nennt, weil ich vorher von etwas tief gestört wurde.
Wir wollen das anhand einiger sehr bekannter Beispiele erläutern.
Karl Marx begann mit dem christlichen Glauben. Seine erste Schrift war ein Komme
ntar über das Evangelium des Johannes. (Siehe Riazanov, Karl Marx - der Mann - d
er Kämpfer - der Denker). Er war ein Genie, aber sein Genius stieß auf große Hi
ndernisse. Das erste war seine jüdische Abstammung, denn schon in jener Zeit gab
es in Deutschland eine Anzahl dummer antisemitischer Vorurteile. Deshalb konnte
er nicht vorankommen. Er hatte wenig Chancen für eine akademische Laufbahn und
war ein Fremder in seinem Lande. Er selbst schrieb nachher: "Wenn Titus (ein röm
ischer General, der die jüdische Rebellion im Jahre 71 unterdrückte) nicht mein
Vaterland zerstört hätte, wäre ich kein Gegner aller Vaterländer." Er akzeptiert
e nicht sein nationales Schicksal.
Das zweite Hindernis war ein Konflikt mit seinem Vater wegen übermäßiger Ausgabe
n und mangelnden Studieneifers. Wo immer der Vater nicht die Liebe seines Sohnes
hat, wird die Rebellion gegen den Vater auch eine Rebellion gegen das väterlich
e Prinzip, d. h. gegen die Autorität in Staat, Kirche und gesellschaftliche Rege
ln.
Wer Marx gelesen hat, erkennt die furchtbaren Bedingungen des Frühkapitalismus,
unter denen sogar Kinder ausgebeutet wurden. Das rechtfertigte den Kampf. Aber M
arx kämpfte auf revolutionäre Art, während andere, obwohl sie dieselben Bedingun
gen sahen und unter ihnen lebten, entweder gleichgültig blieben oder, wie etwa d
er Christ Lord Shaftesbury und viele Fabrikinspektoren des bürgerlichen Staates,
die Marx in "Kapital" lobend zitiert, mit friedvollen Methoden versuchten, eine
Verbesserung der Lage der Ausgebeuteten zu erreichen.
Was machte Marx zu einem Revolutionär? Es waren Umstände seines privaten Lebens.
Zuerst sein Judentum. (Juden, wie viele andere Minderheiten, die eine lange Ges
chichte der Verfolgung hinter sich haben, bringen im allgemeinen eine große Anza
hl von Revolutionären hervor, weil sie selbst auf viele Fehler der Gesellschaft
stoßen und weil sie eine zweitausendjährige Geschichte von ungerechtfertigten Le
iden durchgemacht haben.)
Der Konflikt mit seinem Vater war der zweite Faktor, Hat es irgend etwas in mein
em Leben gegeben, das mich zu einem Revolutionär machte?
Betrachten wir auch den Fall Lenin. Lenin gehörte dem Adel an. In seiner Jugend
glaubte er an Gott und praktizierte die orthodoxe Religion. Im Alter von 16 Jahr
en traten neue Interessen in sein Leben, wie in das Leben eines jeden jungen Man
nes. Er war weniger darauf erpicht, in die Kirche zu gehen, als vorher. Sein Vat
er fragte einen Popen, was man dagegen unternehmen solle. Der junge Wladimir Len
in hörte das Gespräch zwischen seinem Vater und dem Popen. Der Vertreter der Rel
igion gab den Rat: "Schlage ihn und schlage ihn!" Entrüstet riß Lenin sich das K
reuz, das er bisher getragen hatte, vom Halse. Nie wieder wollte er etwas über R
eligion hören.
Dieses jugendliche Erlebnis weckte in ihm ein solch starkes Vorurteil gegen die
Religion, daß er später an Maxim Gorki schrieb: "Tausende von Krankheiten und Na
turkatastrophen müssen dem geringsten Gedanken an Gott vorgezogen werden." Kein
vernünftiger Mensch würde zustimmen, daß Krebs besser ist als die Religion. Aber
das ist es, was Lenin eigentlich sagt. Man erfährt aus diesem Satz nicht, was R
eligion ist, sondern was Lenin ist: Ein Mann mit starken Vorurteilen, der nicht
objektiv denken kann.
Stellen wir uns vor, daß Lenins Vater - wie es gut möglich gewesen wäre - von ei
nem anderen Diener der Religion den Rat bekommen hätte, die Probleme des Pubertä
tsalters zu verstehen und geduldig zu sein. Lenin hätte sein Kreuz nicht herunte
rgerissen. So aber entschied er im Alter von 16 Jahren mit einem noch unreifen V
erstand über das schwierigste Problem des Denkens - über die Existenz Gottes, üb
er den Wert Christi, den Wert der Kirche, die Existenz des ewigen Lebens, den We
rt des Gottesdienstes aufgrund eines einzigen dummen Wortes eines Dieners der Re
ligion, das er zufällig gehört hatte.
Dies ist psychologisch verständlich; so werden Komplexe der Abneigung gebildet.
Aber es kann intellektuell nicht gerechtfertigt werden.
Lenin hatte noch ein zweites Trauma. Sein Bruder wurde wegen eines erfolglosen V
ersuchs, den russischen Zaren zu töten, aufgehängt. Damit war Lenins eigene Zuku
nft in der Gesellschaft zerstört. Er konnte niemals in irgendeine Stellung aufrü
cken, obwohl seine treibende Kraft der Wille zur Herrschaft war, wie es sogar se
ine engen Freunde beobachteten. Er war zum Führer geboren, konnte aber innerhalb
der etablierten Gesellschaft wegen dieses Fleckens auf seinem Namen nicht aufst
eigen. So wurde er zum revolutionären Führer.
Es gab viel Ungerechtigkeit im zaristischen Rußland. Irgend jemand mußte ja ein
revolutionärer Kämpfer gegen den autokraten Zaren und gegen die Junker sein, die
tausende von Morgen mit leibeigenen Bauern besaßen. Jemand mußte gegen geringe
Löhne des industriellen Proletariats und gegen die Unterdrückung von nationalen
Minderheiten kämpfen. Aber was gerade Lenin zu einem Revolutionär machte, war da
s unglückliche Zusammentreffen mit einem einzelnen unwürdigen Diener der Religio
n und der Flecken auf dem Namen seiner Familie.
Der Mann, der den Kommunismus in Rumänien zur Macht brachte, war ein Kommunist m
it Namen Lucretiu Patrascanu. Er gehörte auch der oberen Klasse an. Aber während
des 1. Weltkrieges war sein Vater auf der Seite der Deutschen, als kleiner Quis
ling im Dienste der ausländischen Eindringlinge in Rumänien. Die rumänische Regi
erung aber war auf Seite der Alliierten. Als die Deutschen den Krieg verloren, v
erfiel er dem gesellschaftlichen Boykott. Es stand für Lucretiu Patrascanu außer
jeder Frage, daß er, Sohn eines Mannes, der als Verräter betrachtet wurde, jema
ls irgend etwas erreichen könnte. So zog er es vor, ein Mitglied der Kommunistis
chen Partei zu werden. Sein Ende war tragisch. Er schaffte den kommunistischen T
riumph in Rumänien, wurde dann aber von seinen eigenen Genossen gefoltert und er
schossen.
Viele Jahre nach seinem Tode wurde er rehabilitiert, was unsinnig war, denn die
Kommunisten glauben ja nicht an die Existenz einer ewigen Seele. Entsprechend ih
rer Philosophie des dialektischen Materialismus bedeutet der Tod das totale Vers
chwinden des ganzen Menschen für immer. Wen rehabilitierten sie denn dann, wenn
doch nach der kommunistischen Lehre Lucretiu nicht mehr existiert? Wie dem auch
sei, das ist die Geschichte, wie Patrascanu ein Revolutionär wurde.
Es ist nicht notwendigerweise so, daß dieser ganze Prozeß bewußt war, daß er ode
r Lenin für sich selbst Überlegungen der Art anstellten: "Da die anderen es mir
nicht erlauben, eine hohe Stellung zu erringen, werde ich mich auf die Seite der
er schlagen, die die herrschende Klasse wegfegen." Diese Entscheidung wird in se
elischen Tiefen getroffen, die der Vernunft nicht zugänglich sind. Man braucht e
ine Menge psychologischer Untersuchungen, um die wahren Gründe unseres Tuns zu e
ntdecken, welche sich von den intellektuellen Argumenten, mit welchen wir es rec
htfertigen, unterscheiden.
Bist Du etwa durch das Zusammentreffen mit einem unwürdigen Pfarrer oder Christe
n von der Religion abgeschreckt worden? Gab es irgendein Hindernis in Deinem per
sönlichen Leben, vielleicht Armut oder Hässlichkeit, einen physischen Defekt, ei
nen Flecken auf Deiner Familie, welche Dir Misserfolg bringen könnten, es sei de
nn, Du schlägst Dich auf die Seite der Revolution?
Tito war ein katholischer Kroate. Er kannte von seiner Kindheit her die Tatsache
, daß landgierige Mönche ihre Hände auf einen großen Teil der besten Besitztümer
gelegt hatten. Aber Tito wußte nicht, daß die christliche Religion auch Heilige
und Märtyrer gehabt hat und noch hat. Das Laster steht in der Öffentlichkeit, d
ie Tugend nicht.
Begehe ein Verbrechen, und Dein Bild wird auf der ersten Seite der morgigen Zeit
ung sein. Liebe Deinen Nachbarn, sorge für eine alte, einsame Frau, hilf den Arm
en, tröste jemand, der in Sorge ist, gehe in entfernte Länder und bringe Licht z
u den primitiven Völkern, leide im Gefängnis wegen Deines christlichen Glaubens,
wie es Hunderttausende in kommunistischen Ländern heute tun Dein Name wird un
bekannt bleiben.
Tito kannte die Mönche, die Ausbeuter waren. Die Heiligen waren für ihn nur Bild
er in der Kirche. Er hatte nicht von den lebenden Heiligen gehört. Und dann kam
der furchtbare Augenblick der Bildung des emotionalen Komplexes in Titos Leben,
ein Augenblick, ähnlich demjenigen, der die Wahrheit in jedem von uns verzerrt.
Tito war Ministrant. Eines Tages schlug ihn der Priester in der Sakristei, weil
Tito ihm seine Messgewänder nicht schnell genug reichte. Das war sicherlich unge
recht. Aber ich kenne keinen Menschen, der niemals etwas Unrechtes tut, nur habe
n wir in uns den Mechanismus der emotionalen Komplexe. Falls sich Tito von Vernu
nft hätte leiten lassen, hätte er sich gesagt: "Dieser eine Priester hatte einen
schlechten Augenblick, in dem er unfair handelte. Der Wert oder Unwert der Reli
gion kann nicht nach der isolierten Handlung eines Menschen beurteilt werden. Es
ist logisch falsch, allgemeine Schlüsse aus einem besonderen Augenblick zu zieh
en."
Aber Vernunft leitet keinen von uns. Eine falsche Geste eines Vertreters einer R
eligion kann einen psychologischen Komplex der Abneigung gegen alles Religiöse f
ür ein ganzes Leben schaffen. Die Wahrheit wird durch das Ressentiment unterdrüc
kt. Emotionale Komplexe sind der größte Feind des richtigen Denkens. Tito wurde
Atheist. Er tötete Hunderttausende seiner Gegner, eine Menge von unschuldigen Me
nschen. Er war sich nicht bewußt, warum er es tat. Im guten Glauben war er überz
eugt, hierdurch der arbeitenden Klasse zu dienen. Es gibt psychologische Tiefen,
deren der Mensch sich nicht bewußt wird. In Wirklichkeit rächte sich Tito an je
dem, den er töten ließ, für den Schlag, den er in seiner Kindheit von einem Prie
ster erhalten hatte.
Erhieltest Du ungerechtfertigte Prügel? Ist es das, was hinter Deinen revolution
ären Idealen steckt? Bist Du ein Opfer der Ungerechtigkeit gewesen?
Hitler hasste seinen Vater, der Alkoholiker war. Als Hitler ein Kind war, schlug
sein Vater ihn und seine Mutter. Der Vater repräsentierte die Autorität im Haus
e. Dieses brachte Hitler dazu, alle Autoritäten zu hassen, die nicht mit ihm übe
reinstimmten, die Führer der politischen Parteien, Religionen und des Auslandes.
Er respektierte nur seine eigene Autorität. Es ist ein psychologisches Gesetz,
daß des Kindes gefühlsmäßige Haltung gegenüber seinem Vater der Prototyp für sei
ne Haltung gegenüber den leitenden Persönlichkeiten und gegenüber der Gesellscha
ft selbst wird. Die kommunistische Partei, die Baader-Gruppe, APO oder irgendein
e andere revolutionäre Organisation wird "der gute Vater", nach dem Du Dich währ
end Deiner Kindheit umsonst gesehnt hast.
Bist Du vielleicht das Produkt eines zerrütteten Elternhauses? Vielleicht hast D
u die Liebe während Deiner Kindheit vermißt. Dies macht Dich kontaktscheu. Die e
motionalen Gründe für Dein Rebellieren mögen Dir vollkommen unbekannt sein. Du m
agst an eine bessere Gesellschaft, für die Du kämpfst, ehrlich glauben. Die Gere
chtigkeit Deiner Sache erklärt, warum Du ein Revolutionär bist. Aber warum gerad
e Du ein Revolutionär bist und nicht irgend ein anderer, das hat einen psycholog
ischen Grund. Dieser ist subjektiv und daher außerhalb der Sphäre der Wahrheit.
Du kämpfst, Du magst für Deine Sache leiden, aber Du vertrittst nicht die Wahrhe
it. Du hast den revolutionären Gesichtspunkt. Aber jeder Gesichtspunkt ist ein P
unkt der Blindheit, weil er es Dir unmöglich macht, irgendeinen anderen Standpun
kt zu verstehen. Wenn Du in einem Zimmer in einer gewissen Position sitzest, sie
hst Du nicht, daß das Zimmer eine Tür hat, von einer anderen Position aus siehst
Du das Fenster oder die Decke nicht. Du hast die Vorstellung des ganzen Zimmers
nur, wenn Du Gesichtspunkte aufgibst, wenn Du die Wirklichkeit als etwas von
den verschiedenen Standpunkten der Menschen, die über sie nachdenken vollständ
ig Unabhängiges betrachtest.
Revolutionäre haben einen bitteren Haß gegen das Establishment, gegen die Polize
i, die Ausbeuter und gegen die verachtete Bourgeoise. Sie hassen auch jeden, der
nicht mit ihnen in allem, was sie denken und fühlen, übereinstimmt. Deshalb töt
ete Stalin seine eigenen Genossen. Deshalb gibt es Castroisten, Maoisten, Trotzk
isten, Anarchisten. Alle sind Revolutionäre, aber sie alle haben eine tiefverwur
zelte Feindschaft in ihren Herzen, eine Feindschaft, die das Ergebnis irgendeine
s emotionalen Traumas in ihrer Kindheit oder in ihrer Jugend ist.
Diese Feindschaft zeigen sie nicht nur gegenüber dem Klassenfeind, sondern auch
gegen den Genossen, der es wagt, in einer bestimmten Frage anders zu denken als
sie.
Feindschaft, dieser unbewußte emotionale Komplex in Deinem Denken, führt unverme
idlich zu schlechter Planung und zu einem bitteren Schicksal. Feindschaft ruinie
rte die Französische Revolution, die das Ideal der "Freiheit, Gleichheit, Brüder
lichkeit", das sie proklamierte, nicht vollendete. Feindschaft ruinierte die ame
rikanische Revolution. Amerika ist nicht das ideale Land, das es sein sollte. Si
e ruinierte die kommunistische Revolution. Ihr Schlachtruf war: "Friede, Brot un
d Freiheit". Vier Jahre Bürgerkrieg, ein Weltkrieg und ein nicht endender Bürger
krieg in China folgten. Rußland, früher die Kornkammer Europas, importiert heute
Weizen aus Kanada. An Stelle der Freiheit herrscht dort eine Diktatur, deren Gr
ausamkeit sogar von Chruschtschow und von Stalins Tochter gerügt wurde.
Die Millionen junger Deutscher, die unter dem Ruf "Heil Hitler" tapfer ihr Leben
hingaben, waren ernsthaft überzeugt, daß ihr Opfer der Baustein für ein großes
und reiches Deutschland sein würde. Sie irrten sich. Aber die Deutschen haben he
ute ein zerstückeltes Land und eine geteilte Hauptstadt.
Die vielen jungen Russen, die für die Ideen Lenins oder Stalins starben, hofften
sicher auf etwas anderes als das, was heute sowjetische Wirklichkeit ist. Diese
ist prosaisch und häßlich. Denke nur einmal an die Tatsache, daß keine kommunis
tische Zeitung eines Landes jemals den Namen derer gedenkend erwähnt, die ihre F
reiheit und ihr Leben für die Revolution gaben. Kommunisten glauben nicht an ein
ewiges Leben, also gibt es auch keine Belohnung im Himmel. Die von der Revoluti
on Begünstigten erinnern sich nicht an die Märtyrer des Kommunismus. So viele Id
ealisten haben ihr junges Leben hingegeben. Umsonst. Sowjetische Bürokraten habe
n den Vorteil davon. Sie können jetzt ein Leben in Luxus führen.
Nach so vielen traurigen Erfahrungen in unserer eigenen Generation, durch die wi
r erkennen falls wir ehrlich zu uns sind , daß unser Revolutionismus nicht da
s Ergebnis einer objektiven Suche nach Wahrheit, sondern das einer subjektiven E
rfahrung ist, wie können wir da noch von der Richtigkeit unserer Ansichten überz
eugt sein?
Bevor ein junger Mann oder ein junges Mädchen sich entscheiden, Revolutionär zu
werden, sollten sie ernsthaft Wirtschafts- und Staatswissenschaft studieren, ebe
nso Geschichte, demographische und geographische Probleme, sowie die von verschi
edenen Denkern, konservativen wie liberalen, sozialistischen wie kommunistischen
, anarchistischen wie christlichen, usw., vorgeschlagenen Lösungen. Man muß erst
alle Pro und Kontras hören, um die rechte Wahl zu treffen. Das bedeutet Jahre d
es Studiums. Wir haben uns zu schnell entschieden, unter der Eingebung eines Aug
enblicks, getrieben von unbewußten Kräften, die außerhalb unserer Kontrolle lieg
en. Und hinterher gaben wir unseren emotionalen Entscheidungen einen rationalen
Überbau. Können wir wirklich sicher sein, daß Überzeugungen, die einen solchen U
rsprung haben, die letzte Wahrheit sind, eine Wahrheit, für die man zu sterben b
ereit sein sollte? Die Grundlage der modernen Wissenschaft ist Unsicherheit. Sie
schreitet nur vorsichtig voran, indem sie ihre Aussagen ändert, so oft neue Tat
sachen entdeckt werden. Und wir, die die Probleme nie wirklich studieren, sind a
bsolut sicher, daß wir Recht haben.
Der Kapitalismus ist schlecht, ebenso ist es die Demokratie. Aber da die Mensche
n nicht ideal sind, können sie auch keine idealen sozialen Systeme aufbauen. Wel
che Garantie haben wir, daß uns der Umsturz etwas Besseres bringt? Der Stalinism
us war sicherlich nicht besser als der Zarismus. Unter Zar Nikolaus dem Zweiten
starben die Revolutionäre in den Gefängnissen. Stalin übertraf ihn. Er tötete ni
cht nur seine Gegner, sondern auch seine engsten Genossen; er warf sogar Mitglie
der der eigenen Familie ins Gefängnis. Die deutsche Weimarer Republik hatte viel
e schlechte Seiten, gegen welche Radikale von links und rechts revoltierten. Abe
r die schlechten Seiten der Weimarer Republik erreichten nie solche Ausmaße wie
die Hochöfen von Auschwitz, noch brachte sie solche Probleme wie die Teilung der
deutschen Nation in zwei sich gegenüberstehende Staaten mit einer Mauer, die di
e Hauptstadt in zwei Hälften trennt.
Du tust gut daran, Dich mit politischen und sozialen Problemen zu beschäftigen.
Gesellschaftliche Zustände bilden Charakter. Charakter kann sich nicht in gleich
er Art in einem Elendsviertel bilden, wie in einem ruhigen Heim, dessen materiel
le Basis gesichert ist. Obwohl es auch Ausnahmen für diese Regel gibt. Jeder ist
ein Mensch und hat das Recht, frei zu sein, geliebt zu werden, sein tägliches B
rot und seine Bildung zu haben. Dieses gilt für die arbeitende Klasse wie für di
e Adeligen, für die Weißen, Schwarzen, Gelben und Juden, sowie für die Araber.
Aber eine Sache ist es, die schlechten Seiten und die Probleme zu sehen und eine
andere, Lösungen zu finden. Die Revolutionen geben leichte Lösungen, kurzformul
ierte und leichtverständliche Schlagworte. Aber man sollte diesen Schlagworten m
ißtrauen, gerade weil die Lösungen so einfach sind. Jede leichte Lösung des Prob
lems, wie man eine Stahlbrücke baut oder ein Düsenflugzeug entwirft, ist kindisc
h. Du mußt 20 Jahre studieren, um Ingenieur zu werden. Und es braucht Jahrhunder
te der wissenschaftlichen Entwicklung, um überhaupt Ingenieure zu haben, die die
Wunder der modernen Technik bauen können.
Wir Christen sind auch Revolutionäre. Wir wünschen auch, daß sich die Gesellscha
ft radikal ändert. Wir wünschen, daß sie sich in ein Königreich Gottes verwandel
t, wobei wir unter Gott das verstehen, was die Bibel über Ihn mit den Worten "Go
tt ist Liebe" sagt. Aber das Wort Liebe ist kein universelles Heilmittel. "Mach
Liebe, nicht Krieg" klingt sehr attraktiv. Aber Breschnew, der Generalsekretär d
er Kommunistischen Partei der Sowjetunion, erklärte bei der Parade zum 1. Mai 19
70, daß die Sowjets immer noch entschieden für den Kommunismus in der ganzen Wel
t kämpfen.
Das bedeutet, wie es die Beispiele in Ungarn und der Tschechoslowakei zeigen, di
e Besetzung anderer Länder mit der ganzen Grausamkeit, die damit verbunden ist.
Sie haben sich selbst durch Betrug und Terror etabliert und sind auch nachher er
barmungslos geblieben. Mao Tse Tung wünscht den revolutionären Krieg. Die arabis
chen Herrscher haben erklärt, daß sie die Israelis in das Meer werfen wollen. Di
e Juden waren schon in Gaskammern und Verbrennungsöfen. Der verbliebene Teil die
ses hartgeprüften Volkes will nicht ertränkt werden. "Mach Liebe" ist ein hübsch
es Wort. Liebe unter welchen Bedingungen? Gibt es irgendeine Garantie, daß, währ
end die westliche Jugend Liebe macht, die kommunistischen Länder uns nicht ihre
Diktatur auferlegen? Wir brauchen Liebe, plus Wachsamkeit, plus eine kluge Polit
ik, plus Friedensanstrengungen, plus Verteidigungsmaßnahmen im Fall eines Angrif
fs, plus Kampf, wenn wir angegriffen werden.
Es gibt durch die Menschen, die voller Sünde und Lust sind, keine Verzauberung i
n eine perfekte Gesellschaft der Liebe.
Unsere jugendliche Kritik ist oft negativ und entbehrt auch der Ehrfurcht. Es ma
g wahr sein, daß unsere Väter rückständig, reaktionär und konservativ sind, ja A
nalphabeten im Vergleich zu der jungen Generation. Aber eine Tugend können sie a
ufweisen. Sie haben dieser Welt, uns, eine neue Generation weiser Männer bescher
t, sie haben hart gearbeitet und Universitäten und Laboratorien gebaut, wie sie
sie selbst nicht gehabt haben. Sie haben Steuern bezahlt, so daß die Jugend Stra
ßen hat, auf denen sie ihre Demonstrationen, Love ins und Sit ins abhalten oder
zum Polizistenschießen fahren kann.
Die Idealisierung von Marx, Stalin, Trotzki, Castro, Mao oder Guevara gehört zum
selben geistigen Zustand, der die Menschen der Antike dazu brachte, sich vor eh
rfurchtgebietenden Götzenbildern in Form von Habichten, Stieren und Kopfjägern z
u beugen.
Wir haben uns dem Unterbewußten mit seinen dunklen Kräften unterworfen. Als die
Deutschen von dem Nazi-Alptraum aufwachten, war es zu spät. Sie waren von Blut b
esudelt. Die Russen erstarrten in Schrecken, als Chruschtschow den Massenmord St
alins entlarvte. Sie hatten ihn als das größte Genie gelobt und verehrt, als den
Vater und die Sonne der Nationen.
Die Ungerechtigkeit, gegen die Du kämpfst, existiert. Aber Du kämpfst nicht aus
gerechten Gründen. Du selbst bis ungerecht. Blicke zurück und denke daran, wie o
ft Du Deine Mutter zum Weinen gebracht hast, wie oft Du Deinem Vater Kummer gema
cht hast, wie gleichgültig Du gegen die warst, die Dich liebten, wie vielen Mens
chen Du Unrecht getan hast.
Wenn unser eigener Charakter so viele Flecken hat, wie können wir da hoffen, die
Welt zu verbessern?
Wir haben nicht einmal uns selbst gebessert. Wir haben es nicht fertiggebracht,
unsere eigenen Familien glücklicher zu machen. Wenn Revolution von Männern gemac
ht wird, die sich selbst nicht revolutioniert haben, kann sie vielleicht als Aus
scheidungsoperation nützlich sein, aber sie vermag keine besseren Institutionen
zu schaffen.
Wir beklagen uns über Ausschreitungen und Brutalität der Polizei. Wie steht es m
it Deiner Brutalität? Wie denken Deine Idole über die Freiheit? Mao Tse Tung sch
reibt in "Neue Demokratie": "Wer sich entscheidet, gegen den Kommunismus zu oppo
nieren, muß darauf gefaßt sein, vom Volke verprügelt und in Stücke gerissen zu w
erden. Wenn Du Dich bis heute noch nicht entschieden hast, verprügelt und zerfet
zt zu werden, dann wird es weise sein, nicht gegen den Kommunismus zu opponieren
. Das sollten die antikommunistischen Helden als ernsten Rat von mir annehmen."
Im Westen protestieren Maoisten gegen die Ausschreitungen und Brutalität der Pol
izei. In Rotchina hat Mao seine Drohungen wahrgemacht. In den meisten kapitalist
ischen Ländern haben wir die Freiheit, in eine Maoistische Partei einzutreten. A
ber versuche einmal in Rotchina einer Anti Maoisten Fraktion anzugehören. Man wü
rde Dich verprügeln und zerfetzen. Sind unsere Klagen über Brutalität richtig au
sgewogen?
Wenn die Revolution Erfolg hat, werden wir ihre Gegner erschießen. Wir müssen da
s machen, sonst kann unsere Revolution nicht siegreich sein. Aber die französisc
he und russische Revolution haben gezeigt, daß, wenn man einmal angefangen hat,
aus Notwendigkeit zu töten, man am Töten Freude bekommt. Und man macht mit dem T
öten weiter, unvernünftig, grausam. Wenn keine Feinde mehr übrig sind, wirst Du
Deine eigenen Genossen töten. Erinnere Dich nur, wie Stalin und Mao ihre eigenen
Genossen, Trotzki oder Liu Pin Chao und unzählige andere, liquidieren ließen.
Wie können wir einen Mann als Idol darstellen, der in seinem roten Buche schreib
t: "Macht kommt aus den Gewehrläufen"? Jeder Gangster würde diesen Satz untersch
reiben. Wir glauben, daß die Macht nicht jenen gehört, die zufällig mehr Gewehre
haben. Sie sollte in den Händen derer sein, die die meiste Liebe, Anteilnahme,
Weisheit und Wissen für die Probleme einer Gemeinschaft zeigen.
Es gibt persönliche, meist unbewußte, Motive, die uns zu Revolutionären machen.
Wir beunruhigen die Gesellschaft, weil wir selbst unruhig sind.
Aber welche andere Möglichkeit außer der, ein Revolutionär zu sein, gibt es? Sol
l man ein selbstgefälliger Mensch sein, der sich einer ungerechten Gesellschaft
anpaßt und versucht, das Beste für sich selbst daraus zu machen? Das wäre schlim
m. Doch was können wir sonst tun? Die Antwort gabt uns eine Stimme in unserem ei
genen Gewissen.
Gerade wie es ein Unbewusstes gibt, das Dich verführt, das Dich einen Revolution
är, einen Terroristen, einen höchst unruhigen Unruhestifter werden läßt, so gibt
es ein Überbewusstes, einen Ruf Gottes, der der Schöpfer des Universums ist und
auch Dein Schöpfer. ER ruft jetzt Dein Herz, fordert Dich auf zur Ruhe, Stille,
Meditation, konstruktivem Leben, dauerndem Glück und ewiger Erlösung.
Sollen wir Christen werden? Hierzu ist die erste Antwort: Die Kirche ist unaktue
ll geworden. Sie hat nichts zu sagen. Und dann haben wir, die Revolutionäre, sog
ar Männer der Kirche, die auf unserer Seite sind. Sie stehen mit uns als Streikp
osten und demonstrieren bei verschiedenen Gelegenheiten, sie unterstützen unsere
Sache und übernehmen unsere Verteidigung. Wenn die Kirche wichtig ist, dann dur
ch diese linksorientierten Priester und Pastoren. Sie bringen uns nicht ihre eig
ene Botschaft, sie akzeptieren und verbreiten die unsrige.
Ich bin ein Mann, der die Priester und Pastoren gut kennt. Du hast die Geschicht
e der Kirche nicht genau studiert. Ich habe es getan. Mit vielen ehrenwerten Aus
nahmen stand der Klerus immer auf der Seite der Mächtigen. Sie haben die Sklaven
halter umschmeichelt, die feudalen Grundherren, die absoluten Könige, also die K
apitalisten, und sie haben ihre Loyalität so oft gewechselt wie auch die Dynasti
en wechselten. Die Mehrheit des Klerus in den kommunistischen Ländern unterstütz
t die atheistischen Diktatoren, sogar dann, wenn sie Christen verfolgen. Der Kle
rus hat Christus zum Tode verurteilt.
Einige des Klerus sind auf Deiner Seite. Hüte Dich vor diesen Kirchenmännern. Es
sind die schlimmsten von allen. Sie glauben nämlich, daß Ihr die zukünftigen Ma
chthaber seid. Das ist es, das sie ihren Meister Jesus verraten läßt, dem sie ei
nen Eid geschworen haben; und sie sind auf Eurer Seite, bereit Euch im Stich zu
lassen in dem Augenblick, an dem Ihr geschlagen seid. Gebraucht sie als Mitläufe
r, wenn Ihr wollt, aber wisset: sie sind nicht vertrauenswürdig, weder vom chris
tlichen noch vom revolutionären Standpunkt.
Aber abgesehen von diesem unwürdigen Klerus, ist die Kirche wirklich unwichtig?
Ist es zum Beispiel unwichtig, ob der Mensch nur wenige Jahrzehnte lebt und dann
für immer verschwindet, oder ob das Leben ewig ist? Der Unterschied ist doch ri
esig.
Falls wir nur aus Materie bestehen, die nach dem Tod zerfällt, und wir für immer
aufhören zu existieren, so würde selbst das reichste und gerechteste Leben, das
wir durch unsere revolutionären Taten auf Erden schaffen, nur einem Festessen g
leichen, das man einem zum Tode verurteilten Manne kurz vor seiner Hinrichtung g
ibt. Ich werde, umgeben von Gerechtigkeit, Überfluß und Liebe, leben. Das wird m
ich das Leben schätzen lassen. Und wenn es gerade am schönsten ist, wird der Tod
kommen. Der Fortschritt der Medizin wird es möglich machen, das Leben um 20 ode
r 30 Jahre zu verlängern. Die Tatsache, daß ich diese Verlängerung wünsche, zeig
t, daß ich den Tod nicht will. Aber er ist unvermeidlich.
Die Sache der Revolution kann mir einen vorzeitigen Tod bringen. Viele Revolutio
näre werden getötet. Ich könnte der Nächste sein. Wie werde ich herausfinden kön
nen, ob meine Sache gerecht war, ob mein Opfer wirklich eine bessere Form der Ge
sellschaft brachte? Das Opfer zehntausender junger Nazis stellte sich hinterher
als vergeblich heraus. Das könnte auch mit mir geschehen. Und selbst wenn es nac
hher eine bessere Gesellschaft gäbe, kann ich mich an ihr nicht erfreuen. Ich we
rde nicht einmal die Befriedigung haben, zu wissen, ob andere sich ihrer erfreue
n.
Die Kirche erklärt, daß Christus ewiges Leben gibt. Wenn sie das beweisen könnte
, würde sie sicherlich die wichtigste Institution der Welt sein, so falsch ihre
Stellung zu politischen Fragen auch immer sein mag und so wenig vertrauenswürdig
sich auch viele ihrer Kirchenmänner erwiesen haben. Aber die Christen wissen ge
wiß, daß es ein ewiges Leben gibt. So gewiß, daß sie sagen können: "Sterben ist
Gewinn", "Dahinscheiden ist viel besser". Das ist genau das Gegenteil von Shakes
peares Worten:
Der Tod ist etwas Furchtbares; das mühsamste und abscheulichste Erdenleben, das
der Natur Leid, Armut und Inhaftierung auferlegt, ist ein Paradies im Vergleich
zu dem, was wir vom Tod befürchten.
Was ist es, das die Christen zu dem Glauben bewegt, daß für sie der Tod ein Gewi
nn ist?
Es ist vor allem die Gewißheit, daß sie mehr sind, als bloße Materie. Sie glaube
n, daß sie Geist sind, der vorübergehend in einem Körper wohnt, wie ein Juwel in
einer Juwelenschatulle. Und ein Juwel ist auch ohne Schatulle schön.
Gibt es ein Argument für die Annahme, daß der Mensch nicht nur Körper, sondern v
or allem Geist ist? Hast Du Geduld dieses zuzuhören? Der menschliche Körper brau
cht für seine volle Zufriedenheit vier Dinge, nämlich Nahrung, Wärme (Kleidung,
Wohnung), Ruhe und in einem gewissen Alter einen Partner des anderen Geschlech
ts. Dieses letzte Bedürfnis kann auch unbefriedigt bleiben.
Wenn der Körper von diesen Dingen genügend zur Verfügung hat, ist er vollkommen
zufrieden. Aber ab und zu hören wir von Millionären, die Selbstmord begehen aus
Schwermütigkeit. Warum waren sie schwermütig? Der Körper hatte alles, was er bra
uchte. Der Millionär ist aber nicht nur Körper. Er hat auch eine Seele, die furc
htbar traurig sein kann, während der Körper von Luxus umgeben ist.
Sieh andererseits auf die Gefangenen, die wegen einer Sache, die sie als gerecht
ansehen, eingekerkert sind; sieh auf die Opfer religiöser, nationaler oder poli
tischer Verfolgung. Sie hungern, sie zittern vor Kälte, sie werden geschlagen, s
ie sind ohne ihre Frauen. Ihre Körper leiden, aber sie singen sogar in Ketten. W
as macht sie glücklich? Ihr Körper? Sicherlich nicht, denn der wird gefoltert. A
ber sie sind nicht nur Körper. Sie sind Seele. Die Seele zeigt Unabhängigkeit vo
m Körper. Sie kann in Ekstase verzückt sein, während der Körper leidet. Sie ist
etwas anderes als der Körper.
Da sie ein Wesen für sich ist, weichen Grund haben wir zu glauben, daß sie stirb
t, wenn der Körper stirbt? Sie hat ihre eigene Entwicklungslinie, die manchmal v
on der des Körpers sehr verschieden ist. Wegen psychologischer Motive (Psyche is
t das griechische Wort für Seele) kann ein Mensch Selbstmord begehen, was bedeut
et, daß die Seele entscheiden kann, den eigenen Körper zu töten. So weit geht di
e Unabhängigkeit der Seele.
Du hast eine Seele, die ewig ist. Eine Zwei Liter-Flasche kann niemals fünf Lite
r Flüssigkeit enthalten. Wie kann mein Körper, etwa 1,60 m bis 1,80 m hoch, vor
einigen Jahren geboren und dazu bestimmt, bald zu sterben, den Gedanken der Ewig
keit und Unendlichkeit enthalten? Ereignisse weit in der Vergangenheit, Perspekt
iven der Zukunft, Länder in weiter Entfernung, Milchstraßen und Galaxien erfülle
n das Leben meiner Seele. Mein Körper könnte all dies nie fassen. Der Körper ist
nur daran interessiert, seine sofortigen Bedürfnisse zu befriedigen. Warum soll
te er an den Problemen wie etwa die Unendlichkeit oder Endlichkeit des Universum
s, der Astronomie, an Problemen rein wissenschaftlichen Charakters, an Kunst um
der Kunst willen, an Philosophie, an Religion oder an der Verneinung der Religio
n interessiert sein? Philosophie, Religion oder Atheismus haben keinen Einfluß a
uf meine Nieren. Sie haben keinen Einfluß auf meinen Körper. Es ist mein Geist,
der diese Dinge untersucht; auf diese Weise zeigt er, daß er über Zeit und Raum
steht, über der Möglichkeit zu sterben.
Du bist ewig. Diese erste Botschaft, die Dir die Kirche bringt, ist sicherlich w
ichtig. Sie ändert Deinen ganzen Standpunkt. Die Eile des Revolutionärs, schnell
sein Ideal zu erreichen, verschwindet. Wir haben eine Ewigkeit vor uns, eine Ew
igkeit des Dienstes.
Es besteht ein biologischer Zeitplan. Die normale Zeit der Schwangerschaft beträ
gt neun Monate. So gibt es auch einen Zeitplan für das Junge eines Vogels. Es da
uert eine Zeit, bis es ausgebrütet ist und wieder eine Zeit, bis es zu fliegen b
eginnt. Gottes Zeitplan ist die Ewigkeit.
Einen Augenblick bitte ich brachte Gott in das Bild. Du wirst sagen: "Komm mir
nicht mit diesem alten Zeug. Es gibt keinen Gott. Alles existiert zufällig, dur
ch die Entwicklung der Materie, ohne irgendjemandes Entwurf."! Ich möchte Dir nu
r ein Argument entgegenhalten:
Die Zeiten des Aberglaubens sind vorbei. Wir leben jetzt im Zeitalter der Wissen
schaft. Die Wissenschaft basiert auf der Mathematik, auf der Statistik. Der welt
bekannte Statistiker, George Gallup, sagt: "Ich könnte Gott statistisch beweisen
. Nehmen Sie nur den Körper allein die Wahrscheinlichkeit, daß die Lebensfunktio
nen eines Menschen zufällig entstanden sein sollen, ist eine statistische Monstr
osität". Also muß es einen weisen Schöpfer geben.
Und da wir gerade bei dem Kapitel Wissenschaft sind, es gab da doch einen Mann,
der sie kannte: Einstein. Das Universum trägt seinen Namen. Er schreibt in seine
m Buch "Die Welt, wie ich sie sehe" folgendes: "Wenn wir das Judentum der Prophe
ten und das Christentum, wie Christus es lehrte, reinigen von allem, was nachher
kam, besonders von dem Pfaffentum, dann haben wir eine Religion, die die Mensch
heit von all ihren Übeln erlösen kann. Es ist die höchste Pflicht eines jeden Me
nschen, sein Bestes zu tun, um diese wirklich menschliche Religion zum Triumph z
u bringen." Was die Wissenschaft betrifft, sind wir, im Vergleich zu Einstein, a
lle Zwerge.
Der Marxismus nennt sich selbst "wissenschaftlicher" Sozialismus. So wollen wir
also den wissenschaftlichen, d. h. den Einsteinschen Standpunkt zum Problem der
Existenz Gottes nehmen. Wenn wir Marx als Autorität auf dem Gebiet der sozialen
Probleme akzeptieren, so sollten wir Einstein als Autorität in dieser Frage gelt
en lassen und an Gott glauben.
Aber damit ändert sich das Bild. Wir müssen nun nicht mehr alle Probleme allein
lösen. Es gibt einen Schöpfer. Wir haben einen Vater. Wir haben bis heute gesünd
igt, indem wir nicht an Ihn glaubten, indem wir nicht herauszufinden versuchten,
für welchen Zweck Er uns geschaffen hat, und indem wir nicht fragen, was Sein W
ille für uns sein könnte. Seine Gesetze stehen in der Bibel. "Liebe den Herrn, D
einen Gott mit Deinem ganzen Herzen, mit Deiner ganzen Seele, mit Deiner ganzen
Kraft" und "Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst". Wir haben es nicht getan. Wi
r waren nicht fromm. Wir haben nicht jeden Menschen als unseren Nächsten betrach
tet. Wir haben das Herz unserer Eltern gebrochen, wir haben Menschen beleidigt.
Wir sind selbstsüchtig und unrein gewesen.
Aber Er ist der Vater. Und der Vater wünscht nicht den Tod seines Kindes, wenn d
ieses sündigt; er möchte, daß es auf einen besseren Weg zurückkehrt.
In jedem Menschen gibt es den psychologischen Mechanismus der Übertragung. Man k
ann das in der Revolution sehen. Wir übertragen den Haß, den wir gegen unsere El
tern hegen, weil sie vielleicht ihre Pflicht an uns versäumt haben, oder den Haß
, den wir gegen einen unwürdigen Priester empfinden, auf eine Gesellschaftsklass
e oder auf eine Rasse. Derselbe Mechanismus bringt uns dazu, Menschen zu lieben,
die mit etwas verbunden sind, das wir gerne haben. Gott gebraucht diesen unsere
n Mechanismus der Übertragung. Wir haben die religiösen und moralischen Gesetze
des Universums gebrochen, wir haben Taten begangen, die durch unsere eigenen eth
ischen Normen verurteilt werden. In stillen Augenblicken müssen wir uns selbst e
ingestehen, daß wir schuldig sind. Aber kann man die Schuld übertragen?
In früheren Zeiten hatten die Menschen Sündenböcke, auf die sie ihre Sünden ablu
den. Die Monarchie, die Bourgeoisie, die Schwarzen, die Weißen, die Trotzkisten,
die Maoisten oder die Revisionisten, die Polizei usw. sind die Sündenböcke, auf
denen wir unsere eigenen ungelösten emotionalen Komplexe abladen. Warum nicht u
nsere Schuld auf einen wirklichen Sündenbock legen? Jesus kam auf die Erde als g
rößter Revolutionär aller Zeiten. Er gab uns die Möglichkeit, unser eigenes Herz
zu revolutionieren. Diejenigen, die ein Gespür für geistige Dinge hatten, erkan
nten in Ihm Gott, der ein Mensch geworden war. Als Er im Namen des Schöpfers kam
, nahm Er die ganze Verantwortung auf sich für alle Dinge, die die Menschen fals
ch gemacht haben. Er forderte uns auf, den Mechanismus der Übertragung zu gebrau
chen.
Lege auf Ihn, den Sohn Gottes, alle Deine Sünden, Er nimmt sie willig an. Er tru
g die Strafe für unsere Sünden, indem Er als ein Missetäter am Kreuz starb, obwo
hl Er unschuldig war, der Gerechte für die Ungerechten. So wurden unsere Sünden
getilgt.
Christi Auferstehung zeigte, daß Gott Sein Opfer für die Sünder annahm. Durch de
n Glauben an Ihn sind wir erlöst.
Unbelastet durch unsere Schuld, gereinigt durch Sein Blut, das auf Golgatha verg
ossen wurde, sehen wir die Dinge mit neuen Augen. Wir lieben den Schöpfer, obwoh
l wir nicht immer Seine Taten verstehen. Wir lieben Christus. Wir lieben alle Me
nschen. Wir haben Mitleid mit jenen, die Ausbeuter oder Tyrannen sind. Wir tun u
nser Bestes, die sozialen Ungerechtigkeiten zu verbessern. Die Anwendung der Gew
alt wird unter gewissen Umständen nicht ausgeschlossen. Aber was uns belebt, ist
die allumfassende Liebe. Die Verteidigung eines unschuldigen Kindes, das von ei
nem Gangster bedroht wird, kann uns verpflichten, auf diesen Gangster zu schieße
n, aber das schließt den Gangster von unserer Liebe nicht aus, die versucht, ihn
, wenn möglich, von seinen schlechten Wegen abzubringen. Polizisten sind nicht m
ehr "Schweine", sondern Menschen, manche von ihnen christliche Glaubensbrüder. J
eder vernünftige Mensch, sogar der Revolutionär, wendet sich an sie, wenn sein W
agen gestohlen wurde.
Die Welt wird schön, weil Du nicht mehr von einer Menge Menschen umgeben bist, g
egen die Du Neid und Ressentiments hast, sondern von geliebten Menschen, deren D
ienste Du gerne annimmst, und denen Du gerne dienst.
Die Liebe hat die Gesellschaft geändert. Es gibt viele Unzulänglichkeiten in der
Bundesrepublik, in den Vereinigten Staaten und in anderen Ländern der Freien We
it, aber es gibt keine Sklaverei mehr, keine Kinderarbeit, und die harten Lebens
bedingungen der arbeitenden Klassen, die im letzten Jahrhundert herrschten, gibt
es ebenfalls nicht mehr. Der Fortschritt der Menschheit ist langsam, aber wo im
mer Liebe praktiziert wird, schreitet die Menschheit fort. Wir sollten die Liebe
stärken, und der Fortschritt wird schneller sein.
Wir werden nicht mehr von solchen Männern wie Castro und Mao, die selbst Sünder
sind, hoffen, daß sie eine glückliche Gesellschaft der Zukunft aufbauen. Wir war
ten auf die Wiederkunft Christi, der sie versprochen hat. Dann werden wir das Kö
nigreich Gottes auf Erden haben, ein Königreich der Gerechtigkeit, Wahrheit und
Liebe. Wir bereiten den Weg und arbeiten für dieses Königreich.
Vergib und vergiß die Dinge, die Dich zu einem Revolutionär machten und tritt in
die ewige christliche Gemeinschaft ein.
Jesus wird in der Bibel "das Wort" genannt. Wenn Du Dich mit Ihm vereinigst, wer
den Deine Worte an Gewicht gewinnen. Vereinige Dich mit Seinem Geiste. Dann wirs
t Du jedesmal, wenn Du wieder eine der Reden der Revolutionäre hörst, die Geschi
chte eines alten Mönches zu würdigen wissen, der einem jüngeren lange Zeit bei e
iner Abhandlung über eine schwierige religiöse Frage zugehört hatte. Als der jun
ge Bruder einen Augenblick pausierte, um Atem zu schöpfen, sagte der Alte: "Was
für ein glücklicher Mann bist Du doch, daß Du diese wunderbare Gabe der Rede has
t. Wir andern müssen erst denken, bevor wir sprechen."
Du wirst auch lernen, gründlich zu denken, bevor Du wieder redest.
Nehmen wir die Frage über Vietnam. Die USA haben nicht interveniert, als Tibet v
on Rotchina geschluckt wurde. Das Resultat war Massaker, Deportation der Bevölke
rung und grausame Folterungen. Die USA haben nicht interveniert, als die Tschech
oslowakei besetzt wurde. Das Resultat ist, daß dieses Land heute unter dem russi
schen Stiefel liegt. Die USA haben nicht zugunsten Biafras interveniert. Großbri
tannien hat an seiner Liquidierung teilgenommen. Das Resultat? Zwei Millionen un
schuldige Menschen starben. Die amerikanische Einmischung in Vietnam wird, wie a
lles in einer Welt von Sündern, durch Ausschreitungen, Gewinnsucht, Korruption,
Brutalität und Einzelfälle von Massakern kompliziert. Amerika hat Heilige und Kr
iminelle. Ziehe den Kriminellen Uniformen an, und sie werden genauso brutal sein
, wie sie es auf den Straßen Amerikas sind, Aber was passiert, wenn Amerika sich
aus Vietnam zurückzieht?
Wo auch immer der Kommunismus an die Macht gekommen ist, hat er Millionen unschu
ldiger Menschen getötet, Menschen eingesperrt und gefoltert. Dies sind keine iso
lierten Tatsachen, für die die Schuldigen vor Gericht gebracht werden können, wi
e bei den amerikanischen Kriegsverbrecher. Bei den Kommunisten ist das Staatspol
itik.
Gott hat uns ein Gehirn gegeben, um zu denken, um in unseren Urteilen fair zu se
in. Kein Problem wird durch die Schlagworte "Kampf bis zum Sieg" oder "Raus aus
Vietnam" gelöst. Um den Sieg zu erringen, muß man viele unschuldige Männer töten
. Sich aus Vietnam zurückziehen, wäre eine Einladung an Rotchina, einzumarschier
en und noch mehr Menschen zu töten.
Die Lösung, die uns Schlagworte anbieten, könnte viel schlimmer sein als die heu
tige Lage es ist, und diese ist schlimm genug, Sie ist so, wie sie in einer Welt
von Sündern nicht besser sein kann.
Lies die Geschichte Indiens, das zum britischen Weltreich gehörte. Viele Ungerec
htigkeiten wurden unter der englischen Verwaltung begangen. Britannien ist kein
Land von Heiligen, so wenig, wie andere Nationen. Aber die Briten haben ein Erzi
ehungssystem, Krankenhäuser, Lepraanstalten, Waisenhäuser und eine Vielzahl phil
anthropischer Institutionen gegründet. Es gab Beschwerden über Brutalität und Au
sbeutung. Aber eines Tages, nach einem langen Kampf, erhielt Indien seine Unabhä
ngigkeit. Das unmittelbare Resultat war die Abschlachtung von 4 Millionen Indern
durch Inder. Moslems töteten Hindus und Sikhs, Hindus und Sikhs töteten Moslems
. Ein unbeschreibliches Blutbad. ("Leben und Tod Mahatma Gandhis" von Robert Pay
ne). So etwas hätte unter der britischen Verwaltung in dem Maße nie passieren kö
nnen.
Dann kam die Separation Pakistans von Indien. Das Ergebnis? Beide Staaten zitter
n vor der Möglichkeit einer kommunistischen Machtübernahme. Und ein Elend, wie d
as jetzige in Bangladesch gab es unter den Engländern nie. Gandhi hat gesagt: "I
ch kann euch eine Vision der Zukunft geben: Wenn wir aus irgendeinem Grund nicht
freundschaftliche Beziehungen zueinander aufrecht erhalten können, nicht nur zu
den Moslems in Indien, sondern auch zu den Moslems Pakistans und der ganzen Wel
t, so müssen wir wissen - wir werden Sklaven werden, und so werden wir unsere ha
rt erkämpfte Freiheit verlieren."
Die Prophezeiung wird sich nun wahrscheinlich erfüllen. Indien und Pakistan sind
nicht Freunde geworden. Millionen sind dem Fanatismus zum Opfer gefallen, etwas
, das unter britischer Verwaltung nicht stattgefunden hat. Lohnte sich das Opfer
all jener, die gegen die Briten kämpften?
Lohnte es sich, für die Unabhängigkeit Nigerias von britischer Verwaltung zu käm
pfen? Man hat Großbritannien vieles vorgeworfen, aber nie, daß es zwei Millionen
Nigerianer getötet hat. Das blieb ein Privileg der freien emanzipierten Schwarz
en. Die ältere Generation der Ibos hatte gekämpft, um sich von der britischen Re
gierung zu befreien. Sie hatten Erfolg. Nun waren sie unter sich, Schwarze und i
hre Seelenbrüder. Sie schlachteten die Ibos ab oder ließen sie verhungern.
Ideale müssen gründlich geprüft werden, bevor man ihnen sein Leben weiht.
Ich bin kein Fachmann für Politik und werde mich auch zurückhalten, in politisch
en Angelegenheiten zu entscheiden. Aber einer Sache bin ich vollständig sicher:
Weder die rechts noch die links orientierten Volksverhetzer haben irgend etwas E
rwähnenswertes für die Menschheit getan. Der Christ Frederick Douglas arbeitete
in aufopfernder Weise 58 Jahre in den Sümpfen von Bengalen. Der Christ Charles F
ox arbeitete 60 Jahre lang in dem heißen Klima der Salomon-Inseln, um Gutes zu t
un. Weder Schlagworte noch Sit-ins hätten da geholfen. Sie arbeiteten. Kliniken,
Schulen, Waisenhäuser, das Verbreiten des Alphabetismus sind die Zeugen, daß da
s geduldige Überlegen, gefolgt von geduldiger Arbeit, das ist, was Erfolg hat.
Charles Pean von der Heilsarmee kämpfte friedlich 18 Jahre lang um die Abschaffu
ng der berüchtigten Strafkolonie auf den Teufelsinseln. Er hatte Erfolg.
Townsend, der Gründer der Wycliff-Bibel-Übersetzer, aß geröstete Ameisen bei dem
Cakchiquel-Stamm in Guatemala, aber er hinterließ ihnen fünf Schulen, ein Krank
enhaus, eine Druckerei, Hunderte von gebildeten Menschen und viele Kirchen. Die
Christin Marianne Slocum arbeitete hart, aber sie hob den Tseltal-Stamm von Mexi
ko von der Barbarei auf die Stufe der Zivilisation. Albert Schweitzer gründete i
n einem Dschungel das Spital von Lambarene.
Ich kann verstehen, daß Du von der gewaltigen Armut in der Welt betroffen bist.
Nimm einmal an, wir hätten Erfolg, die Menschen reicher zu machen. Wären sie auc
h glücklicher? In den zivilisierten Ländern begehen viele, die nicht arm sind, s
ondern ihre eigenen Autos, Fernsehgeräte und Bankkonten haben, Selbstmord. Drei
Millionen Menschen versuchten es letztes Jahr.
Ich selbst bin unter den Ärmsten gewesen. Ich habe 14 Jahre in kommunistischen G
efängnissen verbracht und war doch glücklich, obwohl ich hungrig und zerschlagen
war.
Die Armut muß bekämpft werden in dem Wissen, daß es höhere Werte gibt als materi
elle Reichtümer. Gott zu kennen, das ewige Leben, Christus zum Freund zu haben,
all das hat den Vorrang vor materiellen Problemen.
Ich kann verstehen, daß Du für Gedankenfreiheit kämpfst, um Tyranneien abzuschaf
fen. Du selbst hast die Freiheit zu denken. Wieviele Stunden am Tag denkst Du? W
ieviele Stunden denkst Du nach, bevor Du eine Stunde lang sprichst oder schreibs
t? Siehst Du nicht den Irrtum eines Lebens ohne das Verantwortungsgefühl, das Ch
ristus in einer Seele erweckt? Die Kirche Christi ist wichtig. Sie lehrt Dich ke
ine kurzen Schlagworte, sie lehrt Dich denken. In seinem heiligen Buch sagt der
Apostel Paulus: "Verändere Dich durch Erneuerung Deines Sinnes". Bei einigen von
uns braucht der Sinn nicht einmal erneuert zu werden, sondern er muß dazu gebra
cht werden, zum ersten Mal unabhängig zu arbeiten, anstatt zu akzeptieren, was e
inige linke Professoren lehren.
Ernsthaftes Nachdenken wird Dich zum Glauben an Christus bringen. Mit einem erne
uerten Geist wirst Du ein nützliches Mitglied der Gesellschaft werden.
Nur dann wird das wirklich heroische Leben für Dich beginnen. Revolutionäre leid
en und sterben für ihre Weltanschauung. Aber das macht sie nicht zu Helden. Sie
sind Anti Helden. Sie kämpfen mit Mut und Einsatz, um eine kommunistische Gesell
schaft zu schaffen, in der das Heldentum gesetzlich verboten sein, dagegen aber
Sklaverei herrschen wird. Denke nur an das Schicksal der kommunistischen Schrift
steller, die den Mut hatten, eine andere Meinung als die der Regierung zu äußern
. Dafür sitzen sie im Gefängnis, Auch Freiheitskämpfer und Christen, die für ihr
en Glauben einstanden, wurden ins Gefängnis geworfen. Sie sind die Helden. Aber
diejenigen, die unter großen persönlichen Opfern gekämpft haben, um eine soziale
Struktur aufzubauen, in der solche Helden eingekerkert und getötet werden, sind
am anderen Pol des Heidentums. Sie sind Anti Helden.
Der wirkliche Held ist derjenige, der seine eigenen Begierden und Leidenschaften
überwindet, der sich selbst verleugnet, um sich mit seinem Schöpfer zu vereinig
en. Aus dieser Vereinigung kommt die Stärke, die den Fortschritt der Menschheit
begründet. - Richard Wurmbrand
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