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WORT UND WISSEN

Wirtschaft und Ethik


Rezension von Reinhard Haupt

Lachmann, Werner (2006): Wirtschaft und Ethik: Ungleichheit der Einkommensverteilung bis hin zum
Maßstäbe wirtschaftlichen Handelns aus biblischer sozialen Absturz von Verlierern in diesem System zu
und ökonomischer Sicht. Lit Verlag, Berlin. 308 S., stellen. Das Leitbild der Sozialen Marktwirtschaft
29,80 Euro. (SMW), ein besonderes Vorbildmodell der deut-
schen Nachkriegsordnung weltweit, folgt dabei be-
Die Skepsis an der in westlichen Demokratien vor-
sonders dem Rahmen des Sozialstaats und nicht dem
herrschenden Wirtschaftsordnung, dem System der
des Wohlfahrtsstaates: Während der Sozialstaat auf
Sozialen Marktwirtschaft, beruft sich vielfach auf
den Vorrang der Selbsthilfe vor der Fremdhilfe baut,
Stimmen innerhalb der Kirchen und der Theologie.
betont der Wohlfahrtsstaat die staatliche Fürsorge
Kirchliche Denkschriften, Kirchentags-Resolutionen,
für den einzelnen Bürger. Mit einem Blick auf das
persönliche Stellungnahmen von Theologen u.a.
Hintergrund-Menschenbild begründet Lachmann die
lassen den Eindruck entstehen, als widerspreche die
Überlegenheit der SMW: Diese Wirtschaftsordnung
christliche Lehre unserer Wirtschaftsverfassung. In
der Eigenverantwortlichkeit wird der Realität der
den Medien und im Erziehungswesen überwiegt die
menschlichen Natur deutlicher gerecht als die vielen
kritische Einstellung zur marktlichen Ordnung und
Sozialutopien, die die Geschichte hervorgebracht
zum Leistungsprinzip. Die globalen Krisenerschei-
hat – von Platons „Politeia“ über Thomas Morus’
nungen wie andauernde, hohe Arbeitslosigkeit, öko-
logische Katastrophen, die Maßlosigkeit von Mana-
gergehältern und anderes tun ein übriges, um dem
einzelnen ein Bild einer hemmungslosen Wirtschafts-
ordnung zu vermitteln, die nach dem Motto verfährt
„Ethik – nein danke!“.
Die Schrift des ehemaligen Hochschullehrers für
Volkswirtschaftslehre (insbesondere Wirtschafts- und
Entwicklungspolitik) an der Universität Erlangen-
Nürnberg entfaltet zunächst eine bejahende Sicht
der Wirtschaft: Die Endlichkeit der natürlichen,
menschlichen und technischen Ressourcen zwingt
angesichts der praktischen Unendlichkeit von
menschlichen Ansprüchen und Wünschen zur sorg-
samen Verwaltung dieser Knappheit. Dabei hat uns
die hohe Arbeitsteilung und das grundsätzlich freie
Spiel von Angebot und Nachfrage auf Märkten ein
historisch einmaliges Wohlstandsniveau gebracht.
Zwar kann diese marktwirtschaftliche Ordnung ihre
Leistungsfähigkeit nur unter intakten Wettbewerbs-
bedingungen behaupten - der Wettbewerb ist eben
„kein Spontankraut, sondern eine Kulturpflanze“ (S.
59 f.) -, aber unter einer solchen Pflege des Marktge-
schehens hat sich unsere Wirtschaftsordnung durch-
aus sehr bewährt.
Auf der anderen Seite hat sich die Markt- oder
Wettbewerbswirtschaft aber auch dem Problem der
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„Utopia“ bis zu den Sozialismus-Idealen der letzten Unsere gesellschaftliche Wirklichkeit kennt selbst-
150 Jahre. Die SMW ist sehr nüchtern und pragma- verständlich noch manche anderen wirtschaftsethi-
tisch, sie rechnet mit dem Eigeninteresse und nicht schen Schieflagen, die hier nur am Rande behandelt
mit dem Altruismus der Menschen, sie ist eine Ord- werden, z.B. das Anspruchsdenken, das sich etwa in
nung für Sünder, „nicht für Heilige“ (S. 33). Von der Ausbeutung des Sozialstaates durch den einzel-
daher erweisen sich die Sozial- und die Gesundheits- nen auswirkt. Während sich das Buch an diesem
politik heute auch einen schlechten Dienst, wenn sie Punkt und bei den entsprechenden biblischen Kor-
den gefallenen Menschen ignorieren und zunächst rekturen (z. B. die Betonung der Individualverant-
einmal „von guten Arbeitslosen und ehrlichen Kran- wortung: „ . . . dass sie ihr eigenes Brot essen!“, 2.
ken“ ausgehen, „die das System nicht ausnutzen“ (S. Thess. 3, 12) knapp hält, schließt Lachmann mit
203). einem überzeugenden Blick auf die grundlegenden
Auf dem Hintergrund dieser wirtschaftstheoreti- Herausforderungen unserer Gegenwartsgesellschaft.
schen und ordnungsethischen Grundlegung analy- Persönliche Freiheit und materielle Sicherheit sind
siert Lachmann ausgewählte Problemfelder der ak- in einem historisch unvergleichlichen Umfang ver-
tuellen Wirtschaftspolitik, wie die Arbeitslosigkeit, wirklicht - auf Kosten eines kulturell-ethischen Defi-
das Umweltproblem, den Gesundheitssektor, die zits: Das Spannungsfeld „Wirtschaft und Ethik“ ist
Schattenwirtschaft, die Globalisierung usw. Hier nicht nur ein Problem unserer Wirtschafts- und Ge-
erweist sich die Stärke dieser wirtschaftsethischen sellschaftsordnung, sondern vor allem der geistigen
Basisschrift: die eingehende Verzahnung der ökono- Grundlagen dieser Ordnung. Die Kirchen, als Weg-
mischen Analyse mit einer biblisch-theologischen weiser für biblische Maßstäbe, nicht nur die Ent-
Argumentation. Damit setzt sich das Werk sowohl scheidungsträger der Wirtschaft, müssen sich hier
vom Moralismus mancher wirtschaftsferner kirchli- ihre Versäumnisse vorwerfen lassen.
cher Stimmen als auch vom mangelnden Wertebe- Der besondere Ausweis dieser Schrift liegt in
wusstsein des Marktradikalismus ab. seiner wirtschaftswissenschaftlichen Kompetenz in
Die nüchterne und bibelgebundene Erörterung Verbindung mit der Autorität einer biblisch fundier-
wagt sich auch an strittige Themen, wie etwa die ten Ethik. Sie stellt einen dringend notwendigen
Kinderarbeit in der Dritten Welt (S. 186 f.). Hier Beitrag aus der Feder eines Wirtschaftsexperten zur
wird anschaulich gezeigt, dass „gut gemeint“ nicht Kritik an Markt und Leistung und zur Rolle des
immer „gut“ heißen muss: Ein Boykott von Waren Christseins in wirtschaftlichen Zusammenhängen
aus Kinderarbeit löst das Problem nicht, da es zu dar. Die solide fachliche Einführung ist auch für den
noch unerträglicheren Ausweichreaktionen im Ent- wirtschaftswissenschaftlich ungeschulten, aber in-
wicklungsland führt (Raub, Prostitution, Verelen- teressierten Laien geeignet. Die Ausführungen neh-
dung); besser wäre z. B. eine Entwicklungshilfe, die men immer wieder auf aktuelle ökonomische Gege-
wenigstens einen Halbtagsschulbesuch, also eine benheiten Bezug. Man kann sich nur wünschen, dass
einstweilige Verbindung von Kinderarbeit und Schul- das Buch den Blick schärft für die Salzkraft des
bildung, ermöglicht. Christentums in unserer Gesellschaft.

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