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Man könnte ihr Tun vergleichen mit dem von Leuten, die einen
großen, teuren, edlen Schatz fortbringen sollten über einen
schrecklich tiefen See und die ihn mit großer Mühe und viel
Anstrengung auf einem Irrweg wegbrächten, der finster und
neblig wäre und wo unreine Tropfen auf den Schatz fielen und
ihn beschmutzten und ihn rostig und fleckig machten. Käme
dann ein ehrenhalber, wackerer Mann und spräche: "Folge mir!
Wende dein Steuerruder! Ich will dich führen und auf einen
köstlichen Weg bringen, wo das Wetter heiter, klar und schön
ist, ruhig und hell, wo die Sonne scheint und dir deinen Schatz
schön und trocken machen wird, wo der Rost verschwindet und
du dich nicht so sehr abmühen mußt wie jetzt inmitten dieser
Wogen!" wer antwortete nicht: "Gerne!" So ist es mit dem
Menschen bestellt, der einen solch teuren Schatz über das wilde
Meer dieser schrecklichen Welt geleiten muß.
Das Schiff, in dem wir fahren, ist unsere Sinnestätigkeit. Auf
diesem Schiff fahren wir weit voran gemäß unserer Anmaßung
und Wirksamkeit und arbeiten stets nach unserem eigenen
Vorhaben; so fahren wir in finsteren Nebel hinein, das ist
wahrhafte Verblendung und mangelnde Selbsterkenntnis. Auf
diesem Weg läßt der böse Feind unreine und schädliche Tropfen
in uns fallen, die unseren Schatz beschmutzen: das Behagen an
unserer eigenen Wirksamkeit und anderer Art Hoffart mehr,
Eigenwilligkeit, Selbstzufriedenheit, Ungelassenheit,
Schwermut, Missgunst und manch andere unreine Tropfen, die
der Feind in uns fallen läßt, womit ' er uns unseren edlen Schatz
befleckt. Wird der Mensch dieser Tropfen in ihm gewahr, so will
er alles durch die Beichte in Ordnung bringen und gerät durch
Laufen und Suchen da draußen noch mehr in den Nebel.
Kehrtet ihr euch zu euch 'Selber, erkenntet ihr eure Schwächen,
klagtet ihr sie Gott und bekenntet ihr ihm eure Schuld, dann
wäre alles gut: dafür wollte ich meinen Kopf lassen.
Dann kommt der Heilige Geist: "Wolltest du mir glauben, du
lieber Mensch, und mir folgen, ich führte und geleitete dich auf
einem sicheren Weg." Wer wollte einem solch guten, getreuen
Rat nicht Glauben schenken und ihm nicht folgen? Wäre der
Mensch so beglückt und weise, daß er sich (diesem Ruf)
überließe und dem Geist Gottes folgte, seinen Weisungen,
seinen Mahnungen, seinem Antrieb sich fügte, das wäre ein
köstliches Ding! Aber leider tut das der arme Mensch nicht und
bleibt bei seinen äußeren Vorhaben, bei seinen äußeren,
sinnlich faßbaren Weisen (der Heiligung), die er sich nach
eigenem Gutdünken zurechtgelegt hat.
Versteht das nun nicht so, als ob man gute Vorsätze und
Gewohnheiten guter innerlicher Übung nicht haben solle. Aber
man soll nicht an ihnen hängen, sondern in ihnen auf den
allerliebsten Willen Gottes warten, auf sein Wirken in aller
Gelassenheit, und Gottes Tätigkeit nicht zunichte machen in
vermessener Selbstgefälligkeit.
Mit denen, die bei ihrer vernunftgemäßen Verstandeskraft
beharren, steht es so wie mit .einem Obstgarten voll
fruchtbeschwerter Bäume. Die Apfel fielen noch unausgereift ab
und würden alle wurmstichig. In dem gleichen Garten wüchse
aber gutes Kraut, das dahin welkte. Dann kämen die unreinen
Würmer aus den wurmstichigen Äpfeln und fielen über das gute
Kraut her und fräßen Löcher hinein. Die Apfel aber, die da am
Boden liegen, sehen so frisch und schön aus wie die guten, ehe
man sie anrührt, aufhebt und in die Hand nimmt.
Jeder sehe also zu, daß sein Grund nur Gott sei, ganz lauter;
anders wird nichts daraus. Unter jenen Früchten fände man,
glaube ich, kaum zwei wirklich gute Apfel, die nicht wurmstichig
wären; wie schön sie auch von außen anzuschauen sind, innen
sind sie voller Löcher. Ebenso ist es mit gar vielen guten
Übungen (der Frömmigkeit) bestellt. Es gibt da solche von
großem und hohem Aussehen und wunderbarer Lebensführung
an hohen Worten und Werken. Und doch ist das alles in dem
Grunde wurmstichig oder kann es noch werden; davon ist
weder tätiges Leben noch Beschauung, noch Jubel, auch nicht
Betrachtung (ausgenommen), nicht daß man bis zum dritten
Himmel entrückt werde, wie das dem edlen Paulus geschehen
ist, der sagte, er habe die Nackenschläge der Versuchung
erfahren, um sich nicht selbst falsch einzuschätzen und in der
Höhe der (ihm erwiesenen) Gnade zu irren: all das und auch das
große Voraussagen und Zeichen, Krankenheilungen,
Durchschauung der innersten Geheimnisse (eines
Menschenherzens), Unterscheidung der Geister, Blick in die
Zukunft, kurz gesagt: alle Lebensführung, alles kann
wurmstichig werden, wenn der "Mensch nicht auf seiner Hut ist.
Besprechen wir jetzt das unterste und gröbste. Die Leute geben
Almosen, tun große Werke oder Dienste der Liebe, geben große
Gaben: und ist ihnen (doch gar) nicht gleichgültig, ob die
Menschen es wissen oder erfahren und vernehmen oder
niemand anders als Gott allein; solche Gaben, solche Dienste,
das merket, sind wurmstichig. Da geben die Leute Almosen und
wollen, dass andere darum wisseri, damit diese für sie beten.
Oder sie stiften Kirchenfenster, Altäre und Priesterkleidungen
und wollen, dass die Menschen das erfahren; si,e lassen ihr
Wappen darauf anbringen, daß jedermann den Stifter erfahre.
Wisset: sie haben ihren Lohn bereits empfangen.
Sie entschuldigen sich (damit), daß sie wollen, man bete für sie.
In Wahrheit, freilich, wäre ihnen ein kleines Almosen, verborgen
im Schoß Gottes, ihm allein bekannt, nützlicher, als dass sie
eine große Kirche bauten mit Wissen aller Leute und dass diese
alle für sie beteten. Gewiß, Gott würde ihnen wohl das geben,
was a1J,e Leute mit ihrem Gebet für sie (bei ihm) gewönnen,
wenn sie ihm (nur) ihre guten Werke überließen und Vertrauen
zu ihm hätten. Denn die Almosen, die aus einem Gott
ergebenen Herzen kommen und nichts als Gott im Sinn haben,
bitten mehr durch sich selbst, als alle Menschen, die (von jenen
Almosen) wissen, es könnten.
Und solange das Wetter still und milde ist, bleiben sie hängen.
Kommen aber Unwetter, Wind und Sturm, so fallen alle diese
Früchte ab, und da sieht man (denn), daß sie voller Würmer und
zu nichts gut sind, und dazu verderben und beschmutzen ihre
Würmer auch noch das gute Gemüse, das im Garten wächst.
Die Bäume, die diese schlechten Früchte tragen, das sind die
selbstsüchtigen, ungelassenen, ungezügelten Menschen, die
sich auf ihre großen guten Werke stützen; sie tun auch mehr
und stehen daher in besserem Ansehen als die gerechten
Menschen.
Sie beharren bei ihren absonderlichen Weisen, die die heilige
Kirche nicht eingeführt hat; sie verlassen sich auf ihre
Frömmigkeitsübungen, ihr gutes Verständnis, auf ihre Werke
und ihr großes Ansehen.
Meine Lieben! Solange gut Wetter ist und sie ihren Frieden
haben und die Sonne ihnen scheint in ihrer Lebensführung und
in ihrer Selbstgefälligkeit, so lange erscheint ihr Tun schön und
besser als das anderer guter und gerechter Leute. Kommen
aber Wind und Wetter über sie, das heißt schreckliche
Versuchungen und Anfechtungen ihres Glaubens, wie man dies
auch zu unserer Zeit erleben kann, oder andere heftige
Erschütterungen, dann fallen sie gänzlich ab und sind in ihrem
Grunde durchaus wurmstichig.
So daß ihrer keiner etwas taugt; die Würmer aber, die in ihnen
sind, schlüpfen heraus und beschmutzen das gute Kraut, das
heißt, sie verderben arme, unwissende, schlichte Leute mit
ihrer falschen Freiheit und ihren Lehren.
Ach; ihr Lieben, welche Angst, welchen Jammer wird man dann
in der Stunde ihres Todes erleben, wenn Gott nicht seinem Sein
nach, sondern nur als erdichtetes Ding in ihrem Grunde
gefunden wird: Wird (auch nur) einer von diesen (Menschen)
gerettet, so hat er großes Glück! Diese Leute sind den weiten,
breiten Weg gewandelt, heimlich, in Befolgung ihrer eigenen
natürlichen Antriebe und ihrer Neigungen. Aber den engen Pfad
wahrer, unergründlicher Gelassenheit, den haben sie nie
betreten, denn sie wollten sich nie von Grund aus lassen und
der (eigenen) Natur entsagen. Zuweilen streifen sie den
schmalen, engen Pfad, aber gIeich schwenken sie wieder auf
den breiten Weg der Natur ein.
Wir kehren jetzt wieder zu unserem Gegenstand zurück, den wir
über den wurmstichigen Leuten (doch) nicht allzu sehr
vergessen haben. Die Menschen, die von Gottes Geist
angetrieben werden, das sind Gottes liebste Kinder. Das sind
die, denen stets daran liegt, den allerliebsten Willen Gottes zu
befolgen und seinen Einsprechungen und seinen Mahnungen
genugzutun.