Entdecken Sie eBooks
Kategorien
Entdecken Sie Hörbücher
Kategorien
Entdecken Sie Zeitschriften
Kategorien
Entdecken Sie Dokumente
Kategorien
4.2 Drei-Klassen-Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
4.3 Zwei-Klassen-Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
4.4 Zum Begriff der Referentialität . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
4.5 Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
8 Generic and episodic copular sentences – kinds, objects and the se-
mantics of the copular verb 159
8.1 Overview . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
8.2 Referential and non-referential noun phrases . . . . . . . . . . . 160
8.3 Two meanings for the copular but only one lexical entry . . . . . 162
8.4 Geist on Russian identity sentences . . . . . . . . . . . . . . . . 165
8.5 The copular verb as a predicate maker . . . . . . . . . . . . . . 167
8.6 Nouns denote at two different ontological levels . . . . . . . . . 169
8.7 Examples of object-referring and kind-referring NPs . . . . . . 171
8.8 Kind-level predications and the Moby Dick problem . . . . . . 173
8.9 Predicational sentences . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180
8.10 Identificational sentences . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187
8.11 Specificational sentences . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189
8.12 Identity sentences . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198
8.13 Conclusions . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
1.1 Überblick
Dieses Einleitungskapitel hat den Zweck, einen Überblick über die semanti-
sche(n) Theorie(n) zu geben, auf die ich mich im Rahmen dieser Arbeit als die
“Standardtheorie” der Generizität beziehe. In Auseinandersetzung mit diesen
semantischen Positionen werde ich in den darauf folgenden Kapiteln meine ei-
genen Thesen entwickeln und darstellen.
Als Einstieg in dieses Kapitel dient die offensichtliche Beobachtung, dass,
wenigstens in einem intuitiven Sinn, durch generische Aussagen Regeln zum
Ausdruck gebracht werden (Abschnitt 2). Es stellt bekanntlich eine großes Pro-
blem dar, die Wahrheitsbedingungen solcher Regeln zu formulieren (Abschnitt
3). Die Standardtheorie unterteilt den Phänomenbereich der Generizität in den
Bereich der Prädikatsgenerizität (Abschnitt 4) und in den Bereich der nomi-
nalen Generizität (Abschnitt 5). Bezüglich der nominalen Generizität hat sich
in jüngerer Zeit eine theoretische Position etabliert, die sich “2-way distincti-
on approach” (Zamparelli) nennt, was ich auf deutsch als “2-Domänen Ansatz”
vorstelle (Abschnitt 6).
1.2 Regeln
Nicht selten begegnen einem Sprichwörter wie die Folgenden. Man beachte
die verschiedenen Typen von Nominalphrasen, die in diesen Sätzen jeweils das
Subjekt bilden:
(1) a. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein.
b. Ein Indianer kennt keinen Schmerz.
c. Die Männer sind alle Verbrecher.
1.2. REGELN 6
nicht objektiv messbar. Deswegen handelt es sich bei den Gesetzen, die die All-
tagswelt regeln, auch nicht um Naturgesetze, sondern um soziale Normen (vgl.
Cohen 2001:196). Dies ist auch der Grund, warum es Ereignisse geben kann,
die den Regeln der Alltagserfahrung widersprechen, ohne dass es sich dabei um
Wunder handeln muss2. Dass sie an der objektiven Welt nicht direkt überprüft
werden können, ist ferner der Grund dafür, dass Sätze, die Alltagsregeln aus-
drücken, ideologisch ge- bzw. missbraucht werden können.
Sprichwörter wie in (1) drücken also Regeln aus, nach denen sich (angeblich)
der Lauf der Alltagserfahrungswelt des Menschen richtet. Charakteristisch f ür
Sprichwörter ist, dass sich die bezeichnete Regel nicht kompositional aus den
Bedeutungen der syntaktischen Konstituenten des betreffenden Satzes ergibt. Es
sind jedoch nicht nur Sprichwörter, die Alltagsregeln kodieren. Auch Sätze, de-
ren Bedeutungen sich sehr wohl durch Dekomposition in wortw örtliche Teilbe-
deutungen rekonstruieren lassen, können Regeln zum Ausdruck bringen. Man
kann dabei grundsätzlich zwei Sorten von Regeln unterscheiden. Die erste Sorte
betrifft solche Regeln, die auf der Basis von tatsächlich beobachtetem Verhalten
induziert werden. Bei diesen Regeln handelt es sich also um statistische Gene-
ralisierungen:
(3) a. Der Koalabär ernährt sich von Eukalyptusblättern.
b. Ein Indianer reitet ohne Sattel.
c. Die guten Anwälte sind teuer.
d. Kinder singen gerne.
Beobachtet man die Lebensweise von Koalabären, so stellt man fest, dass sie
sich ausschließlich von den Blättern des Eukalyptusbaums ernähren. Beobach-
tet man, wie Indianer reiten, so stellt man fest, dass sie dabei in der Regel (sic!)
keinen Sattel benutzen. Überprüft man verschiedene Anwälte in Hinblick dar-
auf, wie erfolgreich sie ihren Beruf ausüben, so stellt man fest, dass auch dort,
wo es um Gerechtigkeit geht, Qualität ihren Preis hat. Beobachtet man das Ver-
halten von Kindern, so stellt man fest, dass auffallend viele Kinder gerne und
häufig singen. Was die Sätze unter (3) ausdrücken sind eben diese festgestellten
Generalisierungen:
(4) a. !(Koalabär(x) ⇒ ernährt-sich-von-Eukalyptus(x))
b. !(Indianer(x) ⇒ reitet-ohne-Sattel(x))
c. !(guter Anwalt(x) ⇒ teuer(x))
d. !(Kind(x) ⇒ singt-gerne(x))
2 Als“Wunder” bezeichne ich hier Ereignisse, die physikalischen Naturgesetzen
zuwiderlaufen.
1.2. REGELN 8
Die zweite Sorte von Regeln sind keine Regeln, die aus dem konkret be-
obachteten Verhalten von Dingen in der Welt abstrahiert werden. Stattdessen
handelt es sich um Regeln, die mit der Schaffung einer neuen Dingkategorie
(einer neuen Züchtung, einer neuen Erfindung, einer neuen fiktionalen Figur,
etc.) “in diese hineingelegt” werden. Die Regeln dieser zweiten Sorte konstitu-
ieren die neue Kategorie und folgen deswegen per definitionem aus dem Wesen
der betreffenden neuen Kategorie:
(5) a. Die 50-Liter-Kuh gibt 50 Liter Milch pro Tag.
b. Eine Meerjunggfrau ist eine Frau mit einem Fischschwanz.
c. Die guten Menschen kommen in den Himmel.
d. Läufer ziehen diagonal.
Als Paradebeispiel kann (5d) gelten (vgl. Carlson 1995, Cohen 2002). Die
beobachtbare Bewegung eines Läufers wird durch eine Regel des Schachspiels
definiert. Es ist diese Regel, die der Satz ausdrückt. Wenn bei statistischen Ge-
neralisierungen gilt “aus dem Verhalten folgt die Regel”, dann gilt bei Defini-
tionen “aus der Regel folgt das Verhalten”. Die durch (5a) ausgedrückte Regel
besagt, dass Milchkühe einer bestimmten neuen, unter ökonomischem Druck
gezüchteten Art in der Laktationszeit bis zu 50 Liter Milch pro Tag geben. Auf-
grund dieser Eigenschaft, die ja der Zweck der Züchtung war, wird diese Milch-
kuhart 50-Liter-Kuh oder auch Turbokuh genannt. Bei (5b) handelt es sich um
eine linguistische Definition. Meerjungfrau ist wie Schimmel oder Junggeselle
ein Nomen, dessen Referenzbereich man sich nicht durch Anschauung des Ver-
haltens von Individuen in der Welt erschließt, sondern dadurch, dass man die
durch (5b) ausgedrückte Regel lernt. Noch nie konnte beobachtet werden, wie
jemand in den Himmel kommt. Deswegen kann es sich auch bei der durch (5c)
ausgedrückten Regel um keine statistische Generalisierung handeln. Stattdessen
haben wir es hier mit einer Regel zu tun, die die christliche Lehre bereithält, um
im Weltbild ihrer Anhänger die Kategorien ‘guter Mensch’ und ‘böser Mensch’
zu etablieren.
(6) a. !(50-Liter-Kuh(x) ⇒ gibt-50-Liter-pro-Tag(x))
b. !(Meerjungfrau(x) ⇒ Frau(x) & hat-Fischwanz(x))
c. !(guter Mensch(x) ⇒ kommt-in-den-Himmel(x))
d. !(Läufer(x) ⇒ zieht-diagonal(x))
Die Beispiele unter (3) bzw. (5) illustrieren zwei verschiedene Sorten von Re-
geln. Während es sich bei den Regeln in (4) um statistische Generalisierungen
handelt, handelt es sich bei den Regeln in (6) um Definitionen. Der Vorschlag,
den ich in dieser Arbeit machen möchte, ist nun folgender:
1.3. DIE STANDARDTHEORIE 9
1.4 Prädikatsgenerizität
Französisch können führt? Nicht zufällig gibt es kein Verb, dass auf solch ein
Ereignis referieren würde:
There is no episodic predicate which is morphologically related to
know French (this would be an episodic verb which denotes events and
which provides evidence that someone knows French), so the sentence
Italians know French is a lexical characterizing sentence. (Krifka et al.
1995:17)
Die Idee ist, dass im Falle lexikalisch-charakterisierender Sätze das Prädikat
von einem Verb (bzw. von einer Verbalphrase) gestellt wird, das seinem Argu-
ment in irgendeiner Weise automatisch eine charakterisierende Eigenschaft zu-
weist, so dass es nie zu einer episodischen Interpretation kommen kann. Chier-
chia (1995) hat sich diesbezüglich die raffinierte Analyse ausgedacht, wonach
die betreffenden stativen Prädikate kraft ihrer lexikalischen Bedeutung ein be-
stimmtes morphologisches Merkmal tragen, welches das Erscheinen des Gene-
rizitätsoperators in ihrer lokalen syntaktischen Umgebung erzwingt, so dass die
resultierenden Verbalphrasen immer nur generisch interpretiert werden können.
Fassen wir zusammen, wie die Standardtheorie das Phänomen der
Prädikatsgenerizität handhabt. Es wird davon ausgegangen, dass Prädikate im
“Normalfall” episodisch denotieren. Generisch interpretierte Prädikationen stel-
len Abweichungen vom Normalfall dar. Verantwortlich für die Abweichung
vom Normalfall ist immer die Anwesenheit eines Generizitätsoperators, zumeist
“GEN” genannt, in der semantischen Struktur. Allerdings gibt es für die Anwe-
senheit von GEN (zumindest im Englischen und Deutschen) keinerlei morpho-
syntaktische Evidenz. Als Quelle von GEN gilt entweder der Kontext (im Falle
von Aktionsverben) oder ein morphologisches Merkmal im Lexikoneintrag (im
Falle von stativen Prädikaten).
Wie wird durch die Annahme von GEN das Problem der Wahrheitsbedin-
gungen generischer Sätze gelöst? Die Antwort lautet: gar nicht. Wieviele engli-
sche Wörter oder Sätze müsste jemand sagen, damit wir ihm zubilligen würden,
dass er Englisch sprechen kann? Diese Frage wird nicht dadurch beantwortet,
dass man einen Generizitätsquantor postuliert. Sie wird erst dann beantwortet,
wenn man angibt, wie dieser Operator quantifiziert. Diese Information bleibt
die Standardtheorie jedoch schuldig, so dass generische Prädikationen für die
Wahrheitsbedingungssemantik nach wie vor ein ungelöstes Rätsel bleiben. Be-
trachten wir hierzu noch ein anderes, viel diskutiertes Beispiel:
(12) Fred raucht.
Der Satz soll generisch im Sinne von Fred ist ein Raucher (englisch: Fred
smokes) verstanden werden. Ich gehe davon aus, dass die generische Verbal-
phrase raucht und die Kopula-Prädikativ Konstruktion ist ein Raucher be-
deutungsidentisch sind. Was sind die Wahrheitsbedingungen von (12)? Wie
1.4. PRÄDIKATSGENERIZITÄT 14
oft muss Fred eine Zigarette rauchen, damit wir ihn als Raucher bezeichnen
würden? Einmal? Zehnmal? Jeden Tag einmal? Jeden Tag eine Schachtel?
Chierchia (1995) gibt die Wahrheitsbedingungen wie folgt an:
(13) e [C(f,
GEN e) ] [ SMOKE(f, e) ]
Quantor Restriktor Nuklearer Skopus
ist, dann hat das nichts damit zu tun, dass Fred eventuell manchmal keine Lust
hat zu rauchen oder dass er, wenn er schläft, nicht rauchen kann. Vielmehr hat
es was mit den subjektiven Kriterien des Sprechers zu tun und diese können
von Sprecher zu Sprecher variieren. Man stelle sich zwei Mütter vor, die ihre
Söhne (die beide Fred heißen) zufällig beim Rauchen erwischen. Für die ei-
ne bricht möglicherweise eine Welt zusammen, weil sie auf der Basis von nur
einem Rauchen-Ereignis das generalisierende Urteil fällt, dass ihr Fred ein Rau-
cher ist. Die andere weiß, dass das fast jeder Jugendliche mal ausprobieren will.
Sie schließt aus der beobachteten Episode nicht, dass ihr Fred ein Raucher wäre.
Mit anderen Worten, die Schwierigkeit, die die Wahrheitsbedingungsseman-
tik mit generischen Prädikationen hat, liegt darin begründet, dass sie sprachliche
Bedeutungen in reale Bedingungen übersetzen will, dass aber die Bedeutungen
generischer Ausdrücke gerade Abstraktionen von konkreten realen Bedingun-
gen sind.
c. Two whales, namely the blue whale and the fin whale, were put
under protection.
d. This whale, namely the blue whale, is nearly extinct.
e. Every whale (from the pygmy whale to the blue whale) is protected
by law.
Für die Standardtheorie stellt diese Verteilung der Formen auf die Funktionen
die englische Variante eines übereinzelsprachlichen Prinzips dar; abhängig von
ihren jeweiligen grammatischen Regeln bilden andere Sprachen andere Muster.
Worin dieses Prinzip besteht beschreibt Krifka (2001) wie folgt. Man beachte,
dass auch hier wieder, wie im Bereich der Prädikatsgenerizität, die nichtgeneri-
sche Verwendung eines Ausdrucks als primär (“basically”) angesehen wird:
[T]ypically, natural languages use expressions that basically apply to
specimens of a kind (common nouns, also called appellativa) also to
refer to the kind itself. [. . . ] Also, natural languages use expressions
that basically apply to specimens of a kind to refer to subkinds. This
re-use of common nouns appears to be widespread in human languages.
But the specific ways how languages make use of common nouns to re-
fer to kinds (or subkinds) depend on general features of their grammar,
and can vary considerably. (Krifka 2001:1-2)
Ein zum Zwecke der Artreferenz benutztes Nomen ist nach Krifka’s Mei-
nung also so was wie ein recyceltes Nomen: eigentlich dem Zweck der Ob-
jektreferenz dienend, können Nomen, wenn sie schon mal da sind, auch als
Mittel zur Artreferenz “wiederbenutzt” (re-use) werden. Natürlich sind es nicht
Nomen, sondern Nominalphrasen, die als referierende Ausdr ücke benutzt wer-
den. Nominalphrasen zeichnen sich durch eine mehr oder weniger komplexe
morphosyntaktische Struktur aus, welche durch die grammatischen Regeln ei-
ner gegebenen Sprache bestimmt ist. Nach Krifka’s Vorstellung ist es nun so,
dass sich die grammatische Form einer Nominalphrase, d.h. die morphosyntak-
tischen Markierungen, die ein Nomen “begleiten”, zu ihrem eigentlichen Zweck
der Objektreferenz herausgebildet haben. Dieser Umstand, dass die Form ei-
ner Nominalphrase einerseits an den Bedingungen der Objektdenotation aus-
gerichtet ist, andererseits jedoch – quasi zweckentfremdet – auch artbezogen
verwendet werden kann, führt dazu, dass sich bestimmte morphosyntaktische
NP-Typen mit bestimmten artreferentiellen Funktionen nicht vertragen. So ist
z.B. die Referenz auf die Art ‘Neandertaler’ mittels der indefiniten NP ein Ne-
andertaler ausgeschlossen und es muss auf eine andere Interpretation, n ämlich
auf die taxonomische Interpretation, ausgewichen werden. Um auf die Art ‘Ne-
andertaler’ zu referieren bleiben nur die definite Singular-NP der Neandertaler
und die Bare Plural-NP Neandertaler.
1.6. NOMINALE GENERIZIT ÄT II: DER 2-DOMÄNEN ANSATZ 18
In jüngerer Zeit wurden vereinzelt Zweifel an diesem Bild laut. Speziell Zampa-
relli (1998) und Dayal (2004) treten für eine “Emanzipierung” der Artdomäne
ein. Ihre Idee ist, dass Nomen grunds ätzlich entweder Mengen von Objekten
oder Mengen von Arten denotieren können. Objektbezug wird nicht länger als
primär betrachtet. Stattdessen stehen die Artdomäne und die Objektdomäne
gleichberechtigt als mögliche semantische Bezugsdomänen für ein Nomen be-
reit. Der Vorteil dieser Sichtweise ist, dass so eine einheitliche semantische Ana-
lyse des definiten Artikels im Englischen möglich wird. Die Standardtheorie ist
gezwungen, eine “normale”, objektbezogene Verwendung des definiten Artikels
von einer “besonderen”, artbezogenen Verwendung zu unterscheiden. Neben
dem normalen definiten Artikel, dessen Bedeutung darin besteht, eine Menge
von Objekten auf ein Element dieser Menge, nämlich das maximale Element,
abzubilden, muss ein homomorpher generischer Artikel angenommen werden 6 .
In Zamparelli’s und Dayal’s System gibt es dagegen nur einen definiten Artikel,
dessen Bedeutung darin besteht, eine Menge von Entitäten – seien es Objek-
te oder Arten – auf ihr maximales Element abzubilden. Eine solche Analyse
setzt voraus, dass ein jedes Nomen das semantische Potential hat, entweder ei-
ne Menge von Objekten oder eine Menge von Arten zu charakterisieren.
Welche Artenmenge denotiert nun ein Nomen? Katz & Zamparelli (2005)
schlagen vor, von den folgenden zwei Annahmen auszugehen:
(i) Nouns can denote (more or less salient) sets of subkinds.
(ii) The set of subkinds includes the superkind.
Akzeptiert man diese Annahmen, dann kann die semantische Komposition
einer generisch verwendeten definiten Singular-NP so verstanden werden, dass
der definite Artikel die durch das Nomen charakterisierte Menge der Unterarten
(die ja die Superart enthält) auf ihr maximales Element, die Superart, abbildet.
Im Ergebnis steht eine definite Nominalphrase, die sich im Einklang mit den
Tatsachen auf die Art-an-sich bezieht:
(18) a. [[tiger]] = {‘tiger’, ‘Caspian tiger’, ‘Sumatra tiger’, ‘Bengali tiger’,
‘Amur tiger’, . . . }
b. [[the tiger]] = ‘tiger’
Diese Analyse erfasst die artreferierenden Verwendungen der Nominalphrase
the tiger in Beispielen wie den folgenden:
6
Einer unter Syntaktikern verbreiteten Meinung nach verfügt der generische defini-
te Artikel über keine eigene lexikalische Bedeutung, sondern fungiert als syntaktisches
Explitivum (vgl. Vergnaud & Zubizarreta 1992; Longobardi 1994).
1.6. NOMINALE GENERIZIT ÄT II: DER 2-DOMÄNEN ANSATZ 19
2.1 Überblick
Was bedeutet es für eine Art zu existieren? Diese Frage ist keine genuin lin-
guistische Frage mehr. Ihre Beantwortung hat jedoch Konsequenzen f ür die Be-
wertung jeder artbasierten Theorie, die sich zum Ziel setzt, semantische Kon-
traste wie in (1) und (2) zu erklären. Deshalb ist es zweckmäßig, wenn ich an
dieser Stelle zumindest kurz darstelle, welchen Art- bzw. Objektbegriff ich mei-
ner Arbeit zugrunde lege.
2.3. KATEGORISIERUNG UND INDIVIDUIERUNG 24
Eine Reihe von psychologischen Studien deutet darauf hin, dass es mindestens
eine Art gibt, die bereits zu einem sehr frühen Entwicklungsstadium eines Men-
schen, im Alter von zwei Monaten, zu seinem kognitiven Rüstzeug gehört3: die
Art ‘Objekt’ (vgl. Carey 1995:127). Es ist die Verfügbarkeit dieser Art, die es
dem Kind ermöglicht, im Fluss der Sinneseindrücke, dem es ausgesetzt ist, Ob-
jekte zu erkennen4. Ein Objekt zu erkennen bedeutet demnach, eine Erschei-
nung als Instanz der Art ‘Objekt’ zu kategorisieren. Das Objektkonzept (=die
Art ‘Objekt’) beinhaltet Wissen über mögliche Objekte. So “weiß” das Kind,
dass die Bewegung eines Objekts entlang eines raumzeitlich kontinuierlichen
Pfades verlaufen muss und dass niemals zwei Objekte gleichzeitig denselben
Raum okkupieren können (Spelke 1990, Spelke et al. 1992)5.
Der Mensch ist demnach zumindest von einem sehr frühen Zeitpunkt sei-
nes Lebens an in der Lage, in der Welt existierende Objekte zu erkennen. Auf
der Basis dieser Fähigkeit lernt er im Laufe der Zeit, die Existenz eines Ob-
jekts durch Raum und Zeit zu verfolgen, d.h. es zu individuieren. Anhaltspunkte
3 Spelke, Carey u.a. vermuten, dass ein solches Objektkonzept angeboren ist. Da der
gegenwärtige Forschungsstand diesen Schluss jedoch nicht erzwingt – es könnte auch
sein, dass das Kind die Art ‘Objekt’ in Interaktion mit seiner Umwelt im Laufe der
ersten zwei Lebensmonate oder gar noch im Mutterleib erlernt (Spelke et al. 1992:627)
–, habe ich hier die schwächere Formulierung gewählt. Linguistisch relevant ist ohnehin
nur die Tatsache, dass die Fähigkeit zur Objekterkennung bereits vorhanden ist noch
bevor die Sprachkompetenz ihren merklichen Ausdruck findet.
4 Ich spreche so, als existierten Objekte in der Welt unabhängig vom menschlichen
Betrachter. Ob das wirklich der Fall ist, darüber mögen die Philosophen diskutieren.
Mein Punkt ist, dass weite Bereiche semantischer Strukturen auf eine Commonsense
Ontologie (vgl. Dölling 1993, Bach 1986) zurückzuführen sind, die die autonome Exi-
stenz von Objekten beinhaltet.
5
Genauer gesagt handelt es sich bei dieser vorab verfügbaren Art um die Art ‘phy-
sikalisches Objekt’ (Xu 1997). Diese Art ist Voraussetzung für die Herausbildung von
basic-level Kategorien. Dazu mehr in Abschnitt 6.
2.4. ARTBASIERTE OBJEKTINDIVIDUIERUNG 27
mentstyp6:
1. Man präsentiert dem Probanden auf einer Bühne zwei Objekte
2. Man stellt einen Schirm auf, der dem Probanden den Blick auf die Objekte
versperrt
3. Auf der vom Probanden aus gesehen linken Seite zeigt sich ein Objekt und
verschwindet wieder hinter dem Schirm
4. Auf der vom Probanden aus gesehen rechten Seite zeigt sich ein Objekt und
verschwindet wieder hinter dem Schirm
5. Die Schritte 3 und 4 wiederholen sich mehrfach
6. Der Schirm wird entfernt
7. 1. Auf der Bühne befindet sich ein Objekt
7. 2. Auf der Bühne befinden sich zwei Objekte
Abbildung 1 illustriert die Schritte 3 bis 4 in zeitlicher Abfolge von oben
nach unten.
•←
→•
Ergebnis 7.1., das Vorfinden von nur einem Objekt, wäre aus Sicht eines Er-
wachsenen eine Überraschung. Ergebnis 7.2., das Vorfinden von zwei Objekten,
wäre dagegen aus Sicht eines Erwachsenen zu erwarten. Daraus, dass das zehn
Monate alte Kind dem Ergebnis 7.1. wesentlich mehr Aufmerksamkeit widmet
(es länger betrachtet) als dem Ergebnis 7.2., kann geschlossen werden, dass sich
seine Erwartungen nach Ablauf der Schritte 1 bis 6 mit denen des Erwachsenen
decken. Offenbar macht es sich dieselben Informationen zu nutze:
6 Für Details zu den einzelnen Experimenten, vgl. Xu 2005; Xu, Carey & Quint
2004).
2.4. ARTBASIERTE OBJEKTINDIVIDUIERUNG 29
Doch selbst als z.B. links ein kleiner buntgefleckter Ball erschien und rechts ein
großer rot glitzernder Ball, zeigten die Kinder keine Anzeichen dafür, dass sie
überrascht gewesen wären, als sie nach dem Entfernen des Schirms nur einen
großen rot glitzernden Ball vorfanden. Genausowenig dann, als links eine Ba-
byschnabeltasse mit Deckel und zwei Henkeln und rechts eine gleichgroße und
gleichfarbige normale Tasse ohne Deckel mit nur einem Henkel erschien.
Bei einem bestimmten Experiment jedoch zeigten 12 Monate alte Kinder
plötzlich erhöhte Aufmerksamkeit, als sie nach dem Entfernen des Schirms auf
der Bühne nur ein Objekt erblicken konnten. Dies geschah z.B., als es sich bei
dem links erscheinenden Objekt um einen Ball und bei dem rechts erscheinen-
den Objekt um eine Tasse handelte, obwohl die Tasse und der Ball in etwa die-
selbe Größe und dieselbe Farbe hatten7 .
Xu, Carey & Quint interpretieren dieses Verhalten dahingehend, dass 12 Mo-
nate alte Kinder ohne Zugriff auf raumzeitliche Evidenz dann auf die Existenz
von zwei verschiedenen Objekten schließen, wenn die Gestaltunterschiede der
wahrgenommenen Objekterscheinungen so sind, dass ein Erwachsener sie in
unterschiedliche basic-level Kategorien einordnen würde:
[T]hey only succeeded in establishing a representation of two distinct
objects when the shape differences were (what for adults) cross-basic-
level-kind differences and failed to do so when the shape differences
were (what for adults) within-basic-kind-level differences. (Xu, Carey
& Quint 2004:180)
In einer älteren Studie hatten Xu & Carey (1996) nachgewiesen, dass 10 Mo-
nate alte Kinder für Artunterschiede nicht sensitiv sind: sie schenken dem Er-
gebnis 6.1. auch dann keine erhöhte Aufmerksamkeit, wenn links und rechts des
Schirms zwei so verschiedene Objekte wie z.B. eine Gummiente und ein Ball
erscheinen. Die Forscherinnen schließen aus all diesen Beobachtungen, dass
Kinder im Alter von ca. 12 Monaten beginnen, basic-level Arten mental zu re-
präsentieren (Xu, Carey & Quint 2004:180). Xu fasst ihr Bild der fr ühkindlichen
kognitiven Entwicklung des Menschen insgesamt wie folgt zusammen:
On the one hand, I am sympathic to the view that human infants are
born with a mechanism – the object based attention system – that carves
up the world into distinct units. On the other hand, I also suggest that
infants’ worldview undergoes fundamental changes: They begin with
a world populated with objects and substances. By the end of the first
year of life, they begin to conceptualize a world populated with sortal
7
“The cup was 8 cm tall and 9 cm at its widest; the ball was 8,5 cm in diameter. The
cup was a sippy cup with two handles. Both the cup and the ball were painted with pink
and yellow stripes” (Xu, Carey & Quint 2004:176)
2.5. SPRACHLICHER INPUT ALS AUSLÖSER? 31
kinds (and perhaps substance kinds as well). In this new world, objects
are thought of not as “qua object” but rather “qua dog” or “qua table”.
(Xu 2005:33)
dienten den Kindern als Hinweis darauf, es mit zwei verschiedenen Objekten
zu tun zu haben. Es zeigte sich also, dass bereits 9 Monate alte Kinder in der
Lage sind, zwei artverschiedene Objekte zu individuieren, sofern sie bei der
Präsentation der Objekte nur verschiedene sprachliche Zeichen hören8.
Aus den Ergebnissen dieser (u.a.) Experimente leitet Xu ihre These ab, wo-
nach sprachliche Referenzakte bei der Herausbildung von Artrepräsentationen
eine ursächliche Rolle spielen. Wie kann man sich das vorstellen? Ich versuche
hier eine ganz einfache Skizze, die, gemessen an kognitionspsychologischen
Maßstäben, natürlich viel zu einfach formuliert ist und viele Fragen offen lässt:
Über das Wissen um die Art ‘Objekt’ verfügt das Kind von Anfang oder zu-
mindest fast von Anfang seines Lebens an. Dies erm öglicht es ihm, Objekte in
seiner Umwelt zu erkennen. Das Wissen um spezifischere Arten (basic-level ca-
tegories, vgl. Rosch et al. 1976) erwirbt das Kind dadurch, dass es feststellt, dass
die Objekte, die es erlebt, häufig von Wörtern, die es hört, begleitet werden. Im
Laufe der Zeit sammelt das Kind gleichsam Paare von gleichzeitig wahrgenom-
menen Objekt- und Wortgestalten. Dabei bemerkt es, dass die Objektgestalten
mit den Wortgestalten nicht willkürlich korreliert sind. Es vergleicht die unter
einer bestimmten Wortgestalt akkumulierte Serie von Objektperzepten mit der
unter einer anderen Wortgestalt akkumulierten Serie und stellt fest, dass die ein-
zelnen Serien nicht nur durch die gemeinsame Wortgestalt zusammengehalten
werden. Vielmehr weisen die Objekterscheinungen in einer Serie untereinander
auch eine gewisse Ähnlichkeit hinsichtlich ihrer Gestalt auf9. So weisen, um
ein triviales Beispiel zu nehmen, alle zusammen mit dem Wort Ball registrierten
Objekte die Eigenschaft auf, (mehr oder weniger) rund zu sein, im Gegensatz
zu den zusammen mit dem Wort Ente registrierten Objekten, die nicht rund,
sondern eben “entenförmig” sind.
Sobald das Kind erkennt, dass die unter einem Wort versammelten Objek-
terscheinungen einander perzeptuell ähnlich sind (relativ zu den unter einem
anderen Wort versammelten Objekterscheinungen), wird die so identifizierte
Ähnlichkeit zum Maßstab für eigene Kategorisierungen. Das Kind entwickelt
die Erwartung, dass das betreffende Wort nur in Verbindung mit einem Ob-
jekt fällt, dessen Gestalt in Hinblick auf seine Eigenschaften den Eigenschaften
der bereits unter dem Wort akkumulierten Objektperzepte “ähnlich genug” ist.
8 Begleiten verschiedene nichtsprachliche akustische Signale die Objekterscheinun-
gen, so stellt sich der Effekt nicht ein. Weder wenn es sich um zwei Geräusche handelt
(z.B. “Look, [Tatütata]” versus “Look, [Klingelgeräusch]”), noch wenn es sich um zwei
emotionale Artikulationen handelt (z.B. [positiv:] “Ah!” versus [negativ:] “Ewy!”), vgl.
Xu 2005:26.
9 “Ähnlichkeit” zwischen den Objekten unter einem Begriff kann als relative “Nähe
im konzeptuellen Raum” beschrieben werden (vgl. Gärdenfors 2000).
2.6. ENTWICKLUNGSPHASEN 33
Das Kind hat also eine Hypothese über mögliche Objekte, die ein bestimmtes
Wort begleiten kann, gebildet. Häufig wird das Kind Erfahrungen machen, die
seine Hypothese bestätigen. Mitunter jedoch wird es mit Wort-Objekt-Paaren
konfrontiert werden, die eine mehr oder weniger starke Adjustierung seiner Hy-
pothese erzwingen. Anders gesagt: das Kind beobachtet, in Bezug auf welche
Objekte ein Wort tatsächlich verwendet worden ist und entwickelt auf der Basis
dieser Daten eine Theorie darüber, in Bezug auf welche Objekte das Wort po-
tentiell verwendet werden kann; es etabliert in Anbetracht einer Serie von z.B.
Balltoken die mentale Repräsentation (=das Konzept10 ) eines Balltyps.
2.6 Entwicklungsphasen
Was sich in den Experimenten zeigt ist gemäß der Interpretation von Xu und
Kollegen, dass das Kind in verschiedenen Stadien seiner Entwicklung über qua-
litativ unterschiedliches Wissen über seine Umwelt verfügt, speziell über den
Zusammenhang von Objektwelt und Sprache. Etwas über die Schlussfolgerun-
gen von Xu hinausgehend (vgl. Fussnote 11) spekuliere ich hier, dass es minde-
stens drei zu unterscheidende Entwicklungsphasen gibt, wobei jede Phase durch
einen anderen “Blick des Kindes” auf den Kontext, in dem ihm ein Objekt be-
gegnet, gekennzeichnet ist.
Bereits während der frühen, ersten Phase registriert das Kind Objekterschei-
nungen zusammen mit ihren jeweiligen “Begleiterscheinungen”, zu denen (man
könnte auch von der “Kulisse” sprechen) der Ort der Begegnung mit dem Ob-
jekt, andere in dem Moment existierende, aber weniger wichtige Objekte, be-
gleitendende Gerüche, Geräusche usw. und somit auch begleitende sprachliche
Lautereignisse gehören. Welche Elemente die Kulisse einer Objekterscheinung
ausmachen, das scheint dem Kind in seiner ersten Entwicklungsphase jedoch
noch keiner Regelhaftigkeit zu folgen.
Die zweite Phase beginnt, sobald das Kind eine ganz bestimmte Entdeckung
gemacht hat: während die übrigen Elemente der Kulisse von den wahrnehmba-
ren Eigenschaften einer Objekterscheinung offenbar unabhängig sind, scheint
die Form sprachlicher Lautereignisse, die das Erscheinen eines Objekts beglei-
ten, einer gewissen Regelhaftigkeit zu folgen. Bestimmte Wortgestalten ver-
nimmt das Kind signifikant häufig in Verbindung mit bestimmten Objektgestal-
ten – das kann kein Zufall sein! Das Kind generalisiert, dass es einen Zusam-
menhang zwischen Wortgestalten und Objektgestalten gibt. Diese statistische
Generalisierung markiert den Eintritt in die zweite Entwicklungsphase.
10 “A concept is the accumulated knowledge about a type of thing in the world” (Bar-
salou 2000)
2.6. ENTWICKLUNGSPHASEN 34
kommt: von der Raupe zum Schmetterling, von der Kaulquappe zum Frosch,
etc.). Wie lassen sich nun vor diesem Hintergrund die Ergebnisse der vorge-
stellten kognitionspsychologischen Experimente verstehen?
Sobald das Kind über basic-level Arten verfügt, wird es, wenn es nacheinan-
der mit zwei Erscheinungen konfrontiert wird, die die Kriterien zweier verschie-
dener Arten erfüllen, auf die Existenz von zwei Objekten schließen. Ein Objekt,
das alle Eigenschaften trägt, die z.B. einen Ball ausmachen, ehedem jedoch alle
Eigenschaften trug, die z.B. eine Tasse ausmachen, passt sozusagen nicht ins
Weltbild des Kindes und ruft Verwunderung hervor, die in den beschriebenen
Studien bei der Testgruppe der 12 Monate alten Kinder als längere Hinguck-
zeit messbar wird. Bevor das Kind jedoch Hypothesen über potentielle Tassen,
Bälle, Enten usw. gebildet hat, wird es sich über eine solche Metamorphose
nicht wundern, was das Verhalten der Testgruppe der 10 Monate alten Kinder
erklärt. Und obwohl sie noch über keine Artrepräsentationen verfügen, können
sich auch neun Monate alte Kinder angesichts von Metamorphosen von Art zu
Art verblüfft zeigen, nämlich dann, wenn – wie oben beschrieben – auf ver-
schiedene Objekterscheinungen bei der Präsentation mittels verschiedener No-
men referiert wird. Eine mögliche Erklärung ist, dass die Kinder in diesem Fall
zwar die Bedeutung des Nomens (=die symbolisierte Art) noch nicht kennen,
wohl aber wissen, dass verschiedene Nomen für verschiedene Arten stehen11 .
wir sehen werden, nicht dabei. Mancher Satz drückt eine Relation zwischen ei-
ner Art und einem Objekt (4c) bzw. zwischen einem Objekt und einer Art aus
(4d).
(25) a. Die Kartoffel liegt auf dem Teller.
b. Die Kartoffel ist mit der Tomate verwandt.
c. Die Kartoffel stammt aus Südamerika.
d. Die Kartoffel da sieht aus wie ein Gesicht.
Kommen wir damit zu der in Abschnitt 2 aufgeworfenen Frage: was heißt es,
wenn behauptet wird, eine bestimmte Art existiere?
(26) Das Schnabeltier existiert.
Die naheliegende Anwort lautet: ein Satz wie (5) drückt die Proposition aus,
dass es in der Welt die Art ‘Schnabeltier’ gibt. Diese Antwort greift jedoch
zu kurz, denn es bleibt unklar, was in diesem Zusammenhang “in der Welt”
bedeuten soll. Wir hatten gesehen, dass die sprachlichen Strukturen zugrun-
deliegende Ontologie systematisch zweigeteilt ist, in eine reale, raumzeitliche
Objektdomäne und in eine abstrakte, konzeptuelle Artdomäne. Wenn man aber
zwischen einer Objektwelt und einer “Artwelt” unterscheiden muss, dann er-
laubt das Lokaladverbial in der Welt grundsätzlich mindestens die folgenden
drei Interpretationen: (i) in der Welt bezieht sich auf die Objektwelt, (ii) in der
Welt bezieht sich auf die Artwelt, (iii) in der Welt bezieht sich auf die Verei-
nigung der Objektwelt und der Artwelt. Möglichkeit (i) scheidet von vornher-
ein aus. Eine Art kann per definitionem nicht in der Objektdomäne existieren.
Möglichkeit (ii) erscheint auf den ersten Blick plausibel, birgt in sich jedoch ein
Problem, das sichtbar wird, sobald es zu negierten Existenzsätzen kommt:
(27) Das Schnabeltier existiert nicht.
Angenommen, (6) drückt im Einklang mit (ii) aus, dass in der Artdomäne kei-
ne Art ‘Schnabeltier’ existiert. Wenn (6) wahr ist, dann kann sich sein Subjekt
nicht auf die Art ‘Schnabeltier’ beziehen, denn die existiert ja nicht. Worauf aber
sonst? Was ist der Redegegenstand, wenn jemand (6) äußert? Mit Möglichkeit
(iii) ist genau dasselbe Problem verbunden: wie kann etwas zum Redegegen-
stand werden, das es nicht gibt?
Um letztere Frage in vernünftiger Weise zu beantworten, muss man die Be-
sonderheit des Existenzprädikats durchschauen. Um es vorwegzunehmen: Was
ein Satz wie (5) ausdrückt ist die Proposition, dass es in der Objektwelt In-
stanzen der Art ‘Schnabeltier’ gibt. Mein Vorschlag besteht also darin, dass
2.8. WIE ARTEN EXISTIEREN. . . 38
ten Individuum semantisch die Eigenschaft zu, Instanzen zu haben. Das Beson-
dere des Existenzprädikats besteht also darin, dass es eine Relation zwischen
Individuen verschiedener ontologischer Ebenen herstellt und genau dies l öst
dann auch das mit negierten Existenzsätzen verbundene Problem: Wer (6) äußert
macht die Eigenschaft-als-Individuum ‘Schnabeltier’ zum Redegegenstand und
behauptet die Nichtexistenz von Objekten in Raum und Zeit (“at some index”),
die diese Schnabeltier-Eigenschaft haben.
Was die Essenz ihres Vorschlags angeht gebe ich McNally recht. Man soll-
te allerdings doch besser davon ausgehen, dass das Existenzpr ädikat nicht
Eigenschaften-als-Individuen, sondern Arten selegiert. Das hat den Vorteil, dass
sich auf einfache Weise erklären lässt, warum die Sätze (8a) und (8b) im Ge-
gensatz zu (8c) inakzeptabel sind:
(29) a. *Rot existiert.
b. *Rauchen existiert.
c. Wale existieren.
Was Satz (6) also ausdrückt ist die Proposition, dass die Art ‘Schnabeltier’
keine Objektinstanzen hat. Wer diesen Satz äußert macht die Art ‘Schnabeltier’
zum Redegegenstand und behauptet die Nichtexistenz von Objekten in Raum
und Zeit, die diese Art instantiieren. Mit Satz (5) demgegenüber wird behauptet,
dass es in der realen Objektwelt Entitäten gibt, die eine Entität der abstrakten
“Artwelt”, nämlich das sortale Konzept ‘Schnabeltier’, instantiieren.
2.8. WIE ARTEN EXISTIEREN. . . 40
Kapitel 3
3.1 Überblick
Carlson (1977) hat auf die Tatsache aufmerksam gemacht, dass es f ür eine
adäquate Beschreibung des referenzsemantischen Verhaltens von sprachlichen
Ausdrücken wie aussterben, weitverbreitet sein, selten sein, zahlreich sein etc.
unverzichtbar ist, eine Artdomäne in die Ontologie aufzunehmen. Ich werde
Carlson in der Annahme folgen, dass Arten ontologische Primitiva darstellen.
Neben einer Objektdomäne existiert in der Ontologie also eine Artdomäne1 .
Zamparelli (1998) und Dayal (2004) teilen diese Ansicht und schlagen vor,
dass jedes Englische Gattungsnomen (common noun) systematisch ambig ist.
Es kann seinen Referenzbereich entweder innerhalb der Domäne der Objekte
oder innerhalb der Domäne der Arten bestimmen. Betrachten wir genauer, wie
sich das Denotat eines Gattungsnomens in den jeweiligen Fällen bestimmt.
Für Objektreferenz wurde argumentiert (Chierchia 1998), dass Referenten
von Singular-NPn singuläre Individuen sein müssen, während Pluralnomen ihr
Denotat innerhalb der Menge der pluralischen Individuen bestimmen. Seien f,
b und s die drei (Hunde-) Objekte Fido, Barky und Spotty. Das Singularnomen
Hund bestimmt relativ zu diesem übersichtlichen Universum sein Denotat im
Bereich der Singularitäten (Atome), im folgenden Schema durch die Zeile 1
repräsentiert:
3. {f,b,s} ...
1. f b s ...
> T _@@
}}} @@
}} @@
}} @
> WO `@@ H
~~~ @@
~~ @@
~ @@
~~
F S B
4. {F,B,S,W} ...
1. F B S W ...
auf der Annahme, dass jede Art die Existenz einer sie realisierenden Instanz enthält:
∀x[KIND(x)→∃y[OBJECT(y)&R(y,x)]] (nach Gatt 2004:207). Gültig ist jedoch nur die
umgekehrte Implikation (vgl. Dölling 1995:79): ∀x[OBJECT(x)→∃y[KIND(y)&R(x,y)]].
Dass Arten ohne Instanzen vorkommen können ist durch die Wahrheit von Sätzen wie
z.B. Quadratische Kreise existieren nicht leicht zu belegen.
3.3. ARTEN ALS TAXONOMISCHE KATEGORIEN 47
VOGEL
FLAMINGO SCHWAN
[FARBE : rosa] [FARBE : weiss]
(35) a. [[Hund]] = H ∈ Dk
b. [[Hund]] = λ X ∈ Dk . HUND(X)
Fassen wir zusammen: Bedingt dadurch, dass Arten in taxonomischen Hier-
archien organisiert sind, besitzen nominale Ausdrücke, die sich auf die Art-
domäne beziehen, eine hybride lexikalisch-semantische Natur. Einerseits ist ein
Artausdruck der Name einer Art (10a), andererseits charakterisiert er eine Men-
ge von Arten, nämlich die Menge aller Subarten der beim Namen genannten Art
plus die beim Namen genannte Art selbst (10b).
Angenommen, ein Englisches oder Deutsches Gattungsnomen ist f ür sich ge-
nommen ein Prädikat9 und charakterisiert als solches eine Menge von Indivi-
duen, entweder Artindividuen oder Objektindividuen. Maßgabe dafür, welche
Individuen durch das Prädikat charakterisiert werden und welche nicht, ist der
deskriptive Gehalt, mit dem das Nomen assoziiert ist, auch “Deskription”, “le-
xikalischer Gehalt”, “Konzept” oder einfach “Beschreibung” genannt:
Wenn Sie nun die Bedeutung des Wortes Hund erklären sollten, würden
Sie wahrscheinlich antworten, dass Hunde eine bestimmte Art von mit-
telgroßen Tieren sind, mit vier Beinen und einem Schwanz, dass sie
meistens als Haustiere gehalten werden, dass sie bellen, beißen können
usw. Mit anderen Worten: Sie würden wahrscheinlich eine allgemeine
Beschreibung von Hunden geben. Das ist eine durchaus angemessene
Antwort: man kann die allgemeine Beschreibung eines Hundes als Er-
klärung der Bedeutung des Wortes Hund ansehen. Im wesentlichen ist
die Bedeutung eines Inhaltswortes eine Beschreibung der Art von En-
titäten, auf die man mit dem Wort referieren kann. (Löbner 2003:24;
eigene Hervorhebung)
Halten wir soweit fest, dass jedes Nomen mit einer Beschreibung einer Art
assoziiert ist. Diese Artbeschreibung trifft auf manche Entitäten zu, auf andere
nicht. Die Entität, auf die die Beschreibung zutrifft, sind die potentiellen Re-
ferenten einer Nominalphrase, die auf der Basis des betreffenden Nomens ge-
bildet werden kann. Häufig spricht man davon, dass die Entitäten, auf die die
9 Ob primär oder abgeleitet, das sei an dieser Stelle offen gelassen. So sind Gat-
tungsnomen z.B. für Dölling (1992) primär Namen von Arten, also Terme, von denen
Prädikate erst noch abgeleitet werden müssen. Chierchia (1998) stellt sich vor, dass ver-
schiedene Sprachen dahingehend variieren, ob ihre Nomen primär Argumente (Terme)
oder Prädikate sind.
3.4. ARTEN UND KONZEPTE 49
beschreibt
−−−−−−→
Konzept ←−−−−− Art/Kategorie
reifiziert
kann genauso wie die Bedeutung eines Adjektivs als “Muster” aufgefasst wer-
den, mittels dessen man bestimmt, ob ein gegebenes Individuum ein Hund ist
oder ob ein gegebenes Individuum geht. Tatsächlich scheint nichts dagegen zu
sprechen, Adjektive, Nomen und Verben semantisch über einen Kamm zu sche-
ren. Die Bedeutung eines Adjektivs, Nomens oder Verbs ist stets (eine Funktion
von Welten in) eine Funktion von Individuen in Wahrheitswerte12 . Typentheo-
retisch gesprochen heißt das, dass Adjektive, (nicht-relationale) Nomen und (in-
transitive) Verben vom semantischen Typ <e,t> (extensional) bzw. <s<e,t>>
(intensional) sind13.
Die beschriebene Konsequenz bleibt nicht ohne Folgen, denn die formalse-
mantische Strategie, Eigenschaften als Funktionen zu modellieren, wird mit ei-
nem sehr fundamentalen Problem konfrontiert, für das Chierchia (1984) und in
der Folge Chierchia und Turner (1988) eine Lösung entwickeln. Ich rekapitu-
liere das Problem hier in aller Kürze mit eigenen Beispielen:
(36) a. Die Bank von England ist sicher.
b. Sicher ist sicher.
Das grammatische Subjekt von (7a) denotiert ein Objektindividuum und ist
somit ein Ausdruck des semantischen Typs <e>. Das grammatische Prädikat
von (7a) denotiert eine Eigenschaft und ist dementsprechend vom semantischen
Typ <e,t>. Unter diesen Annahmen kann das Subjekt die Argumentstelle des
Prädikats saturieren und im Ergebnis steht die Bedeutung des Satzes als Propo-
sition, semantischer Typ <t>. Aber mit was für einem semantischen Typen hat
man es dann bei dem grammatischen Subjekt von (7b) zu tun? Das grammati-
sche Subjekt von (7b) und die grammatischen Prädikate von (7a) und (7b) wer-
den durch denselben Ausdruck gestellt. Nichtsdestoweniger k önnen sie nicht al-
le vom selben semantischen Typ sein. Wenn das Subjekt und das Prädikat in (7b)
beide vom Typ <e,t> wären, dann würde die semantische Komposition nicht
funktionieren. Will man an der Typisierung des grammatischen Prädikats in (7b)
als <e,t> festhalten, dann müsste das Subjekt entweder <e> oder <<e,t>,t>
sein. Will man das Subjekt in (7b) wie das grammatische Prädikat in (7a) als
Ausdruck des Typs <e,t> behandeln, so m üsste das grammatische Prädikat in
(7b) vom semantischen Typ <<e,t>,t> sein. Wie könnte eine Lösung ausse-
hen?
Chierchia und Turner schlagen das einzig Vernünftige vor, nämlich dass das
Subjekt in (7b) vom semantischen Typ <e> ist. Ihre Idee besteht darin, die on-
tologische Domäne der Objektindividuen zu partitionieren. Eine Sorte von Indi-
12 Die Darstellung abstrahiert hier natürlich von mehrstelligen Prädikaten wie relatio-
nalen Nomen, transitiven Verben, etc.; ebenso von referentiellen Situationsargumenten.
13 “e” steht für Individuen, “s” für Welten und “t” für Wahrheitswerte.
3.5. ARTEN UND EIGENSCHAFTEN 52
viduen bilden kanonische Objekte, wozu zum Beispiel der Referent des Subjek-
tausdrucks von (7a) gehört. Eine andere Sorte von Individuen bilden sogenann-
te “Nominalisierte Funktionen”. Der Name ist Programm: Eine nominalisierte
Funktion wird als ein Abbild (image) einer Funktion, also einer Instanz des
Bedeutungstyps <e,t>, aufgefasst. Ein Beispiel f ür ein Individuum der Sorte
Nominalisierte Funktion ist der Referent des Subjektausdrucks von (7b). Die
Idee ist, dass jede Funktion ein Abbild in der Individuendomäne hat. Jeder
Eigenschaft-als-Funktion entspricht also eine Eigenschaft-als-Individuum.
Die Klasse der Ausdrücke des semantischen Typs <e> umfasst folglich (mit
“o” als Index für Objekte und “nf” für Nominalisierte Funktionen) Ausdrücke
des Typs <eo > und Ausdrücke des Typs <enf >. Formal werden zwei Opera-
toren definiert, um zwischen den beiden Eigenschaftsformaten zu vermitteln.
Der Operator “∩”, der Eigenschaften-als-Funktionen auf Eigenschaften-als-
Individuen abbildet, wurde (leider) Nominalisierer (oder down-Operator) ge-
tauft. Sein Pendant “∪ ” heisst entsprechend Prädikativierer (oder up-Operator)
und überführt Eigenschaften-als-Individuen in Eigenschaften-als-Funktionen:
∩
−−−−→
Eigenschaft-als-Funktion ←−−−− Eigenschaft-als-Individuum
∪
Fassen wir zusammen: Satz (7b) stellt prima facie ein Problem für die
(dem Kompositionalitätsprinzip geschuldete) Annahme dar, wonach ein und
derselbe Ausdruck in verschiedenen Aktualisierungen denselben Bedeutungs-
typ in die semantische Komposition einbringen muss. Wenn Eigenschaften-als-
Funktionen jedoch systematisch mit Eigenschaften-als-Individuen (=Nominali-
sierten Funktionen) korreliert sind, dann verflüchtigt sich das Problem. In der
Extension des Prädikats sicher befinden sich nicht nur Objekte wie die Bank von
England, sondern auch Nominalisierte Funktionen wie die Eigenschaft ‘sicher’.
Da im Rahmen der formalen Semantik nicht nur adjektivische Bedeutungen,
sondern auch verbale und nominale Bedeutungen als Eigenschaften aufgefasst
werden, eignet sich Chierchia und Turner’s Vorschlag automatisch auch f ür eine
semantische Analyse der folgenden Subjektausdrücke:
(37) a. Atomkraftwerke sind sicher.
b. Fliegen ist sicher.
Man betrachte zunächst Beispiel (8b). Wenn ein Verb wie flieg- ein Prädikat
(semantischer Typ <e,t>) ist, so kann es via ∩ in einen Term (semantischer Typ
<e>) überführt werden. Dieser denotiert dann die Eigenschaft-als-Individuum
3.6. CHIERCHIA’S (1998) ARTBEGRIFF 53
Eigenschaft
atomische Objekte befinden. Wenn ein Singularnomen in einer Welt mehr als
ein Element charakterisiert, wie etwa Hund relativ zur Welt von Abbildung 1,
dann gibt es kein uniques maximales Individuum und der down-Operator ist
nicht definiert; diese Ausdrücke können folglich nicht als Artterme fungieren.
Wenn ein Singularnomen in einer Welt genau ein (atomisches) Element charak-
terisiert, wie zum Beispiel Himmel relativ zu unserer aktualen Welt, dann gibt
es zwar ein einziges maximales Element, dennoch eignet sich Himmel nicht als
Artterm, weil Arten - per Stipulation - eben nicht mit genau einem Objekt korre-
spondieren dürfen. Auf diese Weise wird in Chierchia’s System dafür Rechnung
getragen, dass bare singulars (im Englischen) keine Artterme sein k önnen.
Krifka (2004) weist diesbezüglich auf das Problem hin, dass eine adäquate
Theorie auch Terme für Arten ohne Instanzen (z.B. ausgestorbene Arten) be-
reithalten muss. In Chierchia’s System ist nicht klar, wieso mit Einermengen
assoziierte Arten ausgeschlossen sind, mit leeren Mengen assoziierte Arten aber
wieder akzeptabel sein sollen.
Fassen wir zusammen: Weil Prädikate wie selten, weitverbreitet, ausgestor-
ben etc. die Aufnahme von Artindividuen in die Ontologie nötig machen, stellt
sich die Frage nach der Natur von Arten. Schnell wird klar, dass der Artbegriff
sehr eng an den Begriff des Konzepts gekoppelt ist. Chierchia (1998) modelliert
Arten direkt als Konzepte15 (man beachte, dass Chierchia den Begriff “Indivi-
duum” im Sinne von Objektindividuum benutzt):
[W]e can model kinds as individual concepts of a certain sort: functions
from worlds (or situations) into pluralities, the sum of all instances of
the kind. (Chierchia 1998:349)
Unabhängig von allen technischen Details unterscheidet sich Chierchia’s Art-
konzeption in einem wesentlichen Punkt von dem Artbegriff, von dem ich in
dieser Arbeit ausgehe. Für Chierchia sind Artterme und Eigennamen vom sel-
ben semantischen Format, d.h. vom selben semantischen Typ (nämlich <s,e>).
Der Unterschied besteht lediglich darin, dass eine Art typischerweise diskon-
tinuierlich im Raum verteilt ist, während der Träger eines Eigennamens ty-
pischerweise ein räumliches Kontinuum darstellt. Sowohl für Arten als auch
für Objektindividuen gilt, dass sie (intensionalisierte) räumlich lokalisierte En-
titäten sind. In dem System, von dem ich ausgehe, ist es aber gerade entschei-
dend, dass sich Arten und Objekte hinsichtlich des Kriteriums der raumzeitli-
chen Lokalisiertheit unterscheiden (vgl. Kapitel 4). Während Objekte raumzeit-
lokalisiert sind, sind Arten eben nicht in Raum und Zeit lokalisierte Entitäten.
15
...wobei “Konzept” hier nicht mentalistisch, sondern mathematisch zu verstehen ist
(s. Löbner 2003:355). Vergleiche in diesem Zusammenhang de Swart (1998): “[A] con-
cept [. . . ] is a function from possible worlds to individuals” (de Swart 1998:213)
3.7. LEXIKALISCHE UND FORMALE SEMANTIK 57
Für mich unterscheiden sich Arten und Objekte dahingehend, ob sie raumzeit-
lich lokalisiert sind. Für Chierchia dahingehend, wie sie raumzeitlich lokalisiert
sind16.
Die Position, Arten als sortale Konzepte anzusehen, für die ich im Kapitel 2
kognitionspsychologische Argumente angeführt hatte, wurde im vorliegenden
Kapitel aus semantischer Sicht diskutiert. Arten stehen als ontologische Basis-
kategorien als potentielle Referenten sprachlicher Ausdrücke zur Verfügung. Es
wurde dafür argumentiert, diese Kategorien der taxonomischen Artdomäne als
reifizierte Konzepte (Typen) aufzufassen. Zum Abschluss des Kapitels möchte
ich noch einmal die Rolle von Arten als “Brückenköpfe” zwischen dem kon-
zeptuellen System und dem grammatischen System herausstellen.
Für einen formalen Semantiker ist die Bedeutung eines Inhaltsworts, z.B. des
Nomens Hund, eine Funktion, die eine Menge von Entitäten relativ zu einer
Situation charakterisiert. Aus Sicht eines lexikalischen Semantikers ist die Be-
deutung eines Inhaltsworts ein mentales Muster (Konzept), von dem Gebrauch
gemacht werden kann, um Entitäten relativ zu Situationen zu charakterisieren.
Als referentielle Theorie ist die formale Semantik an der internen Struktur von
Konzepten nicht interessiert. Für einen formalen Semantiker ist dies keine lin-
guistische Frage, sondern eine psychologische. Ein lexikalischer Semantiker
würde dem widersprechen und sagen, dass, sobald sich ein Konzept in einer
Sprache als Symbol niederschlägt, es die Aufgabe des Linguisten ist, die Natur
dieses Konzepts zu ergründen.
Nun ist es wie diskutiert so, dass Sprecher sich sprachlich nicht nur auf rea-
le, raumzeitliche Entitäten (Objekte) beziehen, sondern ebenso auf abstrakte,
konzeptuelle Entitäten (Arten). Was folgt daraus für die formale Semantik und
für die lexikalische Semantik? Aus formalsemantischer Sicht entspricht die Be-
deutung des artbezogen verwendeten Nomens Hund einer Funktion, die eine
Menge von Arten charakterisiert. Aus lexikalisch-semantischer Sicht sind No-
men Symbole für Arten. Sind diese zwei Ansätze kompatibel? Natürlich sind
sie das. Worin sich die Positionen unterscheiden ist lediglich der jeweilige Un-
tersuchungsgegenstand.
Um das zu sehen nehmen wir die Perspektive eines allgemeinen Naturwissen-
schaftlers ein. Für ihn ist all das Gegenstand der Forschung, was in der Natur
16 Auch für Longobardi unterscheiden sich Arten und Objekte nur dahingehend, wie
sie in einem Raumzeitausschnitt (in einer Situation) jeweils vorkommen: Arten werden
wie bei Chierchia als Mengen einander ähnlicher Objekte aufgefasst: “maximal sets of
entities sharing some properties across all possible worlds” (Longobardi 2005:12).
3.7. LEXIKALISCHE UND FORMALE SEMANTIK 58
existiert. Das beinhaltet, neben vielen anderen Dingen, Menschen, die mitein-
ander und mit ihrer Umwelt interagieren. Bei genauerer Betrachtung stellt sich
heraus, dass Menschen über gewisse kognitive Fähigkeiten verfügen, die ein er-
folgreiches Navigieren in der Welt erst ermöglichen. Dazu gehört nicht zuletzt
die Fähigkeit Objekte zu individuieren. Voraussetzung für Objektindividuierung
ist das Vorhandensein eines Systems von Arten, mit dem sich die reale Objekt-
welt sortieren lässt17. Dieses mental repräsentierte konzeptuelle System18 unter-
scheidet sich mehr oder weniger von Mensch zu Mensch. Wenn unser Naturwis-
senschaftler sich diesen kognitiven Fähigkeiten widmet, ist er ein Psychologe.
Weiter zeigt sich, dass sich, wenn Menschen über sehr lange Zeiträume hinweg
miteinander interagieren, verschiedenste Kommunikationsformen entwickeln.
Darunter eine sehr effektive Kommunikationsform: Sprechen. Wenn unser Na-
turwissenschaftler sich dem Phänomen Sprache zuwendet, ist er ein Linguist.
Wenn er sich dabei auf den Bedeutungsaspekt konzentriert, ist er Semantiker.
Worauf ich aufmerksam machen will ist, dass das konzeptuelle Artsystem
nicht nur die Basis für Objektkategorisierung und Objektindividuierung ist, son-
dern ebenso das Fundament, auf welchem die Strukturen aufbauen, die sich in
einzelnen Sprachen grammatikalisiert haben. So kommt es, dass sich die Ge-
genstandsbereiche der kognitiven Psychologie und der Linguistik im Bereich
der Arten überschneiden. Einerseits sind Arten sortale Konzepte, die eine Teil-
menge des allgemeinen Konzeptsystems ausmachen. Andererseits sind Arten
ontologische Primitiva, also mögliche Referenten sprachlicher Ausdrücke.
Die Aufgabe der kognitiven Psychologie besteht u.a. darin, das Wesen und
die Struktur von Konzepten zu erforschen. Die Aufgabe der lexikalischen Se-
mantik besteht u.a. darin, die Struktur von denjenigen Konzepten zu erforschen,
die sich versprachlicht als Name einer Art (Inhaltswort) im mentalen Lexikon
eines Sprechers niederschlagen. Als ein Ziel der lexikalischen Semantik kann
man sich die Rekonstruktion der Taxonomie der Artdomäne vorstellen. Die Auf-
gabe der referentiellen Semantik besteht darin zu erforschen, wie man sich auf
der Basis eines gegebenen lexikalischen Ausdrucks sprachlich auf ontologische
Entitäten bezieht. Sie beantwortet die Frage, wie ein Inhaltswort morphosyntak-
tisch aufbereitet werden muss, um als referierender Ausdruck benutzt werden
zu können bzw. welche morphosyntaktische Aufbereitung sich für welche Refe-
renzweise eignet. Die formale Semantik kann als sehr weit entwickelte Variante
einer referentiellen Semantik verstanden werden.
17 Genauer muss es heißen, für artbasierte Objektindividuierung (vgl. Kapitel 2).
18 Man beachte: “konzeptuelles System” ist hier nicht im spezifischen Sinne der Zwei-
Ebenen Semantik (also im Gegensatz zu einem semantischen System) gemeint (z.B.
Bierwisch & Schreuder 1992), sondern im allgemeineren Sinne als “außersprachli-
ches Begriffssystem, auf das die Bedeutung sprachlicher Einheiten rekurriert” (Wiese
1999:92).
Kapitel 4
4.1 Überblick
4.2 Drei-Klassen-Systeme
Den Kern von Carlson’s (1977) einflussreicher Semantiktheorie bildet eine sy-
stematische Zweiteilung der Ontologie. Carlson nimmt an, dass jede ontologi-
sche Entität doppelt vorkommt, wobei die eine Variante “a spatially and tem-
1 Dass ich semantische Theorien aus dem russischen Wissenschaftsraum mit solchen
aus dem angloamerikanischen Wissenschaftsraum vergleiche, ist der Tatsache geschul-
det, dass wesentliche Teile dieses Kapitels auf einem Vortrag beruhen, den ich im Rah-
men des Workshops “Formal Semantics in Moscow” (23. April 2005, Moskauer Staatli-
chen Universität MGU) gehalten habe. Ein Hauptziel des Workshops bestand darin “to
help strengthen bridges between “western” and “Russian” approaches to semantics” (B.
Partee).
4.2. DREI-KLASSEN-SYSTEME 61
porally bounded manifestation” (Carlson 1977:115) der anderen ist. Genau die-
se Unterscheidung auf der ontologischen Ebene erm öglicht es Carlson dann
im Weiteren, das unterschiedliche Verhalten von Bare plural Nominalphrasen
auf der sprachlichen Ebene zu erklären. Raumzeitliche Manifestationen wer-
den “Stadien” (stages) genannt und stehen den “Individuen” (individuals) ge-
genüber. Carlson beschreibt ein Individuum als das raumzeitlich ungebundene
“whatever-it-is that ties a series of stages together to make them stages of the
same thing” (Carlson 1977:115). Darüberhinaus sieht Carlson zwei Subtypen
von Individuen vor, nämlich “Objekte” (objects) einerseits und “Arten” (kinds)
andererseits. Abbildung 1 fasst Carlson’s Ontologie zusammen.
Entitäten
[+raumzeitlich] [-raumzeitlich]
Stadien Individuen
Objekte Arten
Abbildung 4.1: Carlson’s Ontologie
Entitäten
individy klassy
[-spatiotemporal]
[+spatiotemporal] [-spatiotemporal]
abstraktnye
konkretnye abstraktnye klassy
instanty individy
Abbildung 4.2: Šmelev’s Ontologie
(c) verfügt:
(40) a. be available, be hungry, be drunk, be dead, run, . . .
b. be altruistic, be intelligent, be a doctor, be a mammal, . . .
c. be widespread, be common, be rare, be extinct, . . .
Die lexikalische Bedeutung eines Stadienprädikats besteht darin, einem Sta-
dium eine Eigenschaft zuzuweisen, die eines Objektprädikats besteht in der Ei-
genschaftszuweisung an ein Objekt und die eines Artprädikats in der Eigen-
schaftszuweisung an eine Art. Damit eine Prädikation gelingen kann ist se-
mantische Kompatibilität erforderlich. Darunter ist zu verstehen, dass eine NP,
die die syntaktische Argumentposition eines Stadienprädikats besetzt, ein Sta-
dium in die semantische Komposition einspeisen muss, dass eine NP, die die
syntaktische Argumentposition eines Objektprädikats besetzt, ein Objekt in die
semantische Komposition einspeisen muss und dass eine NP, die die syntakti-
sche Argumentposition eines Artprädikats besetzt, eine Art in die semantische
Komposition einspeisen muss. Wäre es anders, könnten die Bedeutungen der
jeweiligen Ausdrücke nicht miteinander verrechnet werden.
Ein Kennzeichen von Carlson’s System besteht darin, dass es keine Aus-
drücke gibt, die von Hause aus (d.h. kraft ihrer lexikalischen Bedeutung) auf
Stadien referieren würden. Stattdessen werden Stadienterme immer mittels ko-
verter semantischer Operationen abgeleitet, die Objektterme oder Artterme in
Stadienterme überführen. Speziell schlägt Carlson zwei solche koverten Ope-
ratoren vor, R und R’. R überführt die NP-Denotation eines Objektterms im-
mer dann von einem raumzeitlich nicht-lokalisierten Objekt in eine konkrete
raumzeitliche Manifestation des Objekts, wenn der Objektterm im Arguments-
lot eines Stadienprädikats erscheint. In ähnlicher Weise bildet R’ eine Art auf
konkrete raumzeitliche Manifestationen der Art ab, wenn ein Artterm im Argu-
mentslot eines Stadienprädikats erscheint.
4.2. DREI-KLASSEN-SYSTEME 63
Beispiel (2) illustriert die semantische Komposition der Sätze Bill is running
und Dogs are running nach Carlson. F ür Carlson ist ein Eigenname wie Bill der
Name des Objekts Bill und der Bare plural dogs ist der Name der Art DOG (xs
steht für eine auf Stadien beschränkte Variable):
(41) a. [[ Bill is running ]] = [λ xs .RUN(xs )](R(Bill))
b. [[ Dogs are running ]] = [λ x s .RUN(xs )](R’(DOG))
Wie in (2) zu sehen, besteht ein weiteres Kennzeichen von Carlson’s Theo-
rie darin, dass (dynamische) Verben lexikalisch als Stadienprädikate aufge-
fasst werden. Aus dieser Annahme folgt, dass die generische Verwendung ei-
nes Verbs wie z.B. run oder smoke eine Operation erforderlich macht, die
seine primär stadienbezogene Bedeutung in eine individuenbezogene Bedeu-
tung überführt. Erst damit erfüllt das verbale Prädikat die semantische Vor-
aussetzung, um mit einem Individuenterm (Objektterm oder Artterm) kom-
ponieren zu können. Diese Aufgabe wird von einem koverten Operator “G”
erfüllt, vgl. (3a,b). Neben G setzt Carlson darüberhinaus einen zweiten Opera-
tor G’ an. G’ überführt lexikalisch objektbezogene Prädikate (wie beispielhaft
in (1b) angegeben) in artbezogene Prädikate, was ihre Komposition mit Artter-
men gewährleistet, vgl. (3c):
(42) a. [[ Bill smokes ]] = G([λ xs .SMOKE(xs )])(Bill)
b. [[ Sailors smoke ]] = G([λ xs .SMOKE(xs )])(SAILOR)
c. [[Dogs are four-legged]] =G’([λ xo.FOUR-LEGGED(xo )])(DOGS)
Šmelev vertritt in bezug auf die lexikalische Basisbedeutung eines Prädikats
eine etwas andere Position als Carlson. Ein (dynamisches) Verb wie kurit’
wird als semantisch unterspezifiziert hinsichtlich dessen betrachtet, ob es ei-
ner abstrakten Entität eine Eigenschaft zuweist (was zu einer generischen In-
terpretation führt) oder einer raumzeitlichen Manifestation von ihr (was zu ei-
ner episodischen Interpretation führt). Erst die Einbettung in einen sprachli-
chen Kontext entscheidet darüber, welche Interpretation aktualisiert wird (cf.
Šmelev 1996:48). Andere Prädikate sind nach Šmelev’s Meinung jedoch im Le-
xikon auf eine der drei vorausgesagten Bedeutungskategorien festgeschrieben.
(4) zeigt entsprechende Beispiele für russische Prädikate. Nach Šmelev wei-
sen die Prädikate in (a) konkreten Instanzen (aka Stadien), die in (b) abstrakten
Individuen (aka Objekten) und die in (c) abstrakten Klassen (aka Arten) eine
Eigenschaft zu:
(43) a. (byt’) pjanym, bolen, rad, (byt’) v razdraženii, . . .
b. (byt’) pjanicej, bol’noj, umnyj, ljubit’ Ivana, . . .
c. (byt’) redkost’ju, vymeret’, polučit’ bol’šoe rasprostranenie, . . .
4.3. ZWEI-KLASSEN-SYSTEME 64
Croft (1986) kritisiert Carlson’s System dahingehend, dass es zwei (von Carl-
son selbst bemerkte) “Asymmetrien” enthält, für die Carlson eine Erklärung
schuldig bleibt. Die erste betrifft das erwähnte Fehlen von Stadientermen im
Englischen. Während es Objektterme (Bill, this car over there, my uncle) und
Artterme (dogs, the computer (as such), Hippopotamus Amphibius) gibt, exi-
stieren Stadienterme nur “virtuell” in dem Sinne, dass sie stets aus der seman-
tischen Verrechnung eines Objekt- oder Artterms im Argumentslot eines Sta-
dienprädikats resultieren2. Die zweite Asymmetrie betrifft die Tatsache, dass
objektbezogene Prädikate ohne Ausnahme eine artbezogene Verwendung er-
lauben. Mit Carlson’s Worten: “whatever may be meaningfully predicated of an
object may also be meaningfully said of a kind” (Carlson 1977:248). Gemäß
den ontologischen Grundannahmen von Carlson’s Theorie w ären lexikalische
Prädikate zu erwarten, die auf Objektbezug spezialisiert sind. Tatsächlich lässt
sich empirisch jedoch kein einziges derartiges exklusives object-level Prädikat
nachweisen. Erst durch die ad hoc Postulierung des Operators G’ gelingt es
Carlson, objektbezogene Prädikate im Englischen, so wie sie von seinem drei-
geteilten System vorausgesagt werden, “nachzuweisen”:
“[T]here appear to be no specifically object-level predicates in the lan-
guage. In actuality, there are many, but every one of them may be app-
lied to a kind via the G’ operator” (Carlson 1977:280).
Wenn faktisch jedes Objektprädikat als Artprädikat fungieren kann, stellt
sich die Frage, warum die Grammatik überhaupt einen solchen unrestringier-
ten koverten Operator wie G’ bereitstellt. Croft vermutet “too many levels” in
Carlson’s Theorie und skizziert ein System, das auf nur zwei Sorten von En-
titäten (“closed-classes” versus “open-classes”) basiert und entsprechend auch
nur zwei Prädikatsklassen erwarten lässt.
4.3 Zwei-Klassen-Systeme
Wenngleich Bulygina (1982) nicht besonders explizit ist in bezug auf die Struk-
tur der vorausgesetzten ontologischen Domäne, so kann ihr Ansatz dennoch
als ein Zwei-Klassen-System ähnlich dem von Croft eingeforderten verstan-
den werden. Bei Bulygina werden zwei Prädikatsklassen unterschieden. Die
eine umfasst solche Prädikate, welche jeweils einer Entität eine akzidentelle
Eigenschaft zuweisen, die andere umfasst solche Prädikate, welche jeweils ei-
2
Carlson könnte versuchen, diese lexikalische Lücke dadurch zu erklären, dass es in
der Natur lexikalischer Bedeutungen liegt, kontextunabhängig, d.h. lösgelöst von spezi-
fischen Bedingungen einer konkreten raumzeitlichen Lokation, zu sein.
4.3. ZWEI-KLASSEN-SYSTEME 65
charakterisierend episodisch
[-zeitlich lokalisiert] [+zeitlich lokalisiert]
Qualitäten
Erscheinungen
Šmelev’s “abstraktnye individy”). Für Krifka et al. hingegen sind Objekte raum-
zeitliche Manifestationen von jenen abstrakten Entitäten, die sie Arten bzw.
Konzepte nennen. Mit anderen Worten, während Carlson Stadien als Token und
Individuen (Objekte und Arten) als Typen ansieht, betrachten Krifka et al. Ob-
jekte als Token und Arten als Typen – und verzichten gänzlich auf Stadien.
Abbildung 4 fasst Krifka’s ontologische Annahmen zusammen.
Entitäten
[+raumzeitlich] [-raumzeitlich]
[+wohletabliert] [-wohletabliert]
Arten
Abbildung 4.4: Krifka’s Ontologie
bei Bulygina auf der Idee, dass Prädikate mit oder ohne Raumzeitbezug daher-
kommen können. Nur wenn ein Prädikat auf eine konkrete raumzeitliche Lo-
kation bezogen wird, wird die betreffende Eigenschaftszuweisung akzidentell
verstanden. Wenn nicht, muss die Eigenschaftszuweisung essentiell interpre-
tiert werden. (5) zeigt die Bedeutungsrepräsentation des Satzes Bill is running
nach Kratzer (“l” ist eine Variable über raumzeitliche Lokationen):
(44) [[ Bill is running ]] = ∃l.RUN(Bill,l)
Sowohl Bulygina (1982) als auch Kratzer (1989/1995) gehen von
einer lexikalischen Klassifikation natürlichsprachlicher Prädikate in
(raum)zeitlokalisierte und nicht-(raum)zeitlokalisierte Prädikate aus. Im Ge-
gensatz dazu werde ich vorschlagen (Kapitel 6), sämtliche Prädikate lexikalisch
als nicht-raumzeitlokalisiert anzusehen.
Das beschließt unseren kurzen Vergleich ontologischer und lexikalischer
Klassifikationen, wie sie von verschiedenen Semantikern des angloamerikani-
schen und des russischen Wissenschaftsraums vertreten werden. Bevor ich zur
Zusammenfassung der Ergebnisse komme, sei noch auf einen wichtigen termi-
nologischen Aspekt hingewiesen.
Das Attribut “referentiell” wird von den hier diskutierten “westlichen” und
russischen Linguisten in unterschiedlicher Weise verwendet: Während erste-
re sowohl Objektterme (nicht-generische NPs) als auch Artterme (generische
NPs) als referentiell kennzeichnen, verdienen für letztere nur Objektterme das
Attribut “referentiell” – Artterme werden als nichtreferentiell kategorisiert.
Diese terminologische Uneinigkeit durchzieht die einschlägige Literatur, was
natürlich die Gefahr von Missverständnissen birgt. Man beachte jedoch, dass
es mitnichten so ist, dass sich die Praxis, ausschließlich Objektterme als refe-
rentiell zu bezeichnen, nur auf den russischen Wissenschaftsraum beschr änken
würde4, vergleiche z.B. Givón:
In the terms used here, referentiality is a semantic property of nomi-
nals. It involves, roughly, the speaker’s intent to ‘refer to’ or ‘mean’
a nominal expression to have non-empty references – i.e. to ‘exist’ –
within a particular universe of discourse. Conversely, if a nominal is
‘non-referential’ or ‘generic’, the speaker does not have a commitment
to its existence within the relevant universe of discourse. Rather, in the
4 So dass wir endlich auch die mehr Schaden als Nutzen bringende Konstruktion eines
“westlichen Forschers” ad acta legen können.
4.5. SCHLUSS 70
latter case the speaker is engaged in discussing the genus or its proper-
ties, but does not commit him/herself to the existence of any specific
individual member of that genus. (Givón 1978:293-294)
Wir sehen, auch für Givón ist ein Ausdruck, der sich auf eine Art (“genus”)
bezieht, kein referentieller Ausdruck. Wenn Givón hier davon spricht, dass Re-
ferenten im Diskursuniversum “existieren”, dann meint er damit, dass das Dis-
kursuniversum mindestens eine Objektinstanz der betreffenden Art (“member
of that genus”) enthält. Ein nominaler Ausdruck ist in diesem Sinne “referen-
tiell”, wenn seine Interpretation die Existenz von Objekten enthält. Das heißt,
nur object-level Nominalphrasen gelten als referentiell.
An anderer Stelle (Givón 1978:323) ist auch davon die Rede, dass sich nicht-
referentielle (generische) nominale Ausdrücke auf ein “Typenuniversum” und
referentielle nominale Ausdrücke auf ein “Tokenuniversum” beziehen. Dies ent-
spricht wiederum genau der Position, die ich, Krifka (1995) folgend, in dieser
Arbeit vertrete: die Entitätendomäne ist partitioniert in eine Artdomäne (=Ty-
penuniversum) und eine Objektdomäne (=Tokenuniversum).
Weil es mir gerechtfertigt zu sein scheint, immer dann von einem “referen-
tiell” verwendeten Ausdruck zu sprechen, wenn sich dieser Ausdruck auf eine
Entität bezieht, sei es nun ein Typ oder ein Token, werde ich weiterhin der termi-
nologischen Konvention folgen, wonach auch Artterme referentielle Ausdrücke
sind.
4.5 Schluss
anbieten kann, außer dass er eine formale “Lösung” der semantischen Diskrepanz leistet,
müssen Sortenverschieber als ad hoc Lösungen gelten.
Kapitel 5
5.1 Übersicht
Das Thema dieses Kapitels ist die Semantik der indefiniten Nominalphrase.
Speziell geht es um die Frage nach dem semantischen Potential generischer
indefiniter NPn. Nach standardtheoretischer Auffassung kann mittels einer in-
definiten NP wie ein Wal prinzipiell nicht auf die Art ‘Wal’ referiert werden.
Diese Position werde ich, einem Vorschlag von Dayal (2004) folgend, als zu
kategorisch zurückweisen. Wir werden sehen, dass indefinite NPn sehr wohl
das semantische Potential für nicht-taxonomische Artreferenz haben, dass es
allerdings sehr häufig vorkommt, dass diese Referenzweise aus pragmatischen
Gründen blockiert ist.
Carlson (1977) hat eine Klasse von Prädikaten idenitifiziert, deren Argumentslot
für Artterme reserviert ist. Bei manchen ist es das Subjekt, das lexikalisch auf
Arten festgelegt ist (be extinct, die out, be widespread, etc.), bei anderen das
direkte Objekt (invent, exterminate, etc.). Krifka et al. (1995:10) benutzen diese
Carlsonschen Artprädikate als Testumgebungen, um zu bestimmen, ob eine NP
das Potential für Artreferenz hat oder nicht.
(46) a. The lion will become extinct soon.
b. Lions will become extinct soon.
c. A lion will become extinct soon.
Ihre Beobachtung: Während mittels der definiten NP in (1a) und mittels der
Bare Plural-NP in (1b) Referenz auf die Art ‘Löwe’ möglich ist, kann mittels
5.2. UNTERARTREFERENZ UND DER KÜRBISCRUSHER 74
der indefiniten NP in (1c) nicht auf die Art ‘Löwe’ referiert werden. Stattdessen
muss (1c) so verstanden werden, dass eine Unterart der Art ‘L öwe’ bald aus-
stirbt. Dasselbe Muster zeigt sich auch, wenn NPn im Objektslot von Prädikaten
wie invent oder exterminate erscheinen. (2b) kann offenbar nur so verstanden
werden, dass Babbage eine Unterart der Art ‘Computer’ erfunden hat (z.B. ein
spezielles Computermodell):
(47) a. Babbage invented the computer.
b. Babbage invented a computer.
Dayal (2004:396) zweifelt an der Zwangsläufigkeit der Schlussfolgerung,
dass indefinite NPn nicht auf die beim Namen genannte Art referieren können.
Als Gegenevidenz präsentiert sie ein Beispiel von Bart Geurts:
(48) Fred invented a pumpkin crusher.
Worauf bezieht sich in diesem Beispiel die NP a pumpkin crusher?
Eine Möglichkeit ist zweifellos, dass sie sich auf eine Unterart der Art
‘Kürbiscrusher’ bezieht (z.B. auf die Art ‘hydraulischer K ürbiscrusher’). Das
Besondere an (3) ist jedoch, dass sich a pumpkin crusher auch auf die Art
‘Kürbiscrusher’ selbst beziehen kann. Dies widerspricht der von Krifka et al.
(1995) vertretenen Regel, welche ich hier in abstrakter Form als zweiteilige “K-
Regel” formuliere:
K1: Eine NP der Form a N kann artbezogen interpretiert so verstanden werden,
dass sie sich auf eine Unterart von ‘N’ bezieht.
K2: Sie kann nicht so verstanden werden, dass sie sich auf die Art ‘N’ selbst
bezieht.
Das Beispiel (3) steht offenbar im Widerspruch zur zweiten K-Regel (=K2):
Wenn als N der Ausdruck pumpkin crusher erscheint, dann sollte sich a pumpkin
crusher nicht auf die Art ‘Kürbiscrusher’ beziehen können. Doch das kann es
offensichtlich. Dayal (2004) weist deswegen die Gültigkeit einer Regel wie K2
zurück. Was sie stattdessen vorschlägt formuliere ich als dreiteilige “D-Regel”:
D1: Sowohl NPn der Form the N als auch NPn der Form a N können sich auf
die Art ‘N’ beziehen.
D2: NPn der Form the N beziehen sich auf diskurs-alte (“familiar”) Arten.
D3: NPn der Form a N beziehen sich auf diskurs-neue (“novel”) Arten.
Wer hat Recht, Krifka und Kollegen oder Dayal? Welche Regel ist angemes-
sen, die K-Regel oder die D-Regel?
5.3. INDEFINITE NPN IN CARLSONSCHEN OBJEKTPR ÄDIKATIONEN 75
Generische indefinite NPn treten nicht nur als Argumente von Carlsonschen
Artprädikaten auf. Bevor wir uns Carlsonschen Artprädikationen mit indefiniten
Argument-NPn zuwenden, soll in diesem Abschnitt deswegen kurz auf generi-
sche indefinite Subjekt-NPn von Carlsonschen Objektprädikaten eingegangen
werden.
Weil sich Prädikate wie die in (4) mit einem objektreferierenden Eigennamen
verbinden, werden sie von Carlson (1977) als “object-level” Prädikate klassifi-
ziert1 :
(49) a. Moby Dick ist intelligent.
b. Moby Dick hat Flossen.
c. Moby Dick ist ein Säugetier.
Carlsonsche Objektprädikate können wie folgt definiert werden:
Wie erklärt man die generische Interpretation der Subjekte in (5) bis (7)?
In Carlson’s (1977) System folgt die Generizität aus den ontologischen Kate-
gorien, die seiner semantischen Theorie zugrunde liegen: Objekte bilden ge-
meinsam mit den Arten die ontologische Klasse der Individuen, die als abstrak-
te Entitäten den raumzeitlich gebundenen Stadien gegenüberstehen2. Abstrakte
Entitäten sind per definitionem generische Entitäten (=Individuen). Nur mit Sta-
dienprädikationen können Aussagen über nichtgenerische Entitäten (=Stadien
von Individuen) gemacht werden.
Krifka et al. (1995) folgen Carlson darin, Prädikate wie die unter (4) als
Prädikate anzusehen, deren Argumentslot für Objekte reserviert ist3 . Allerdings
treffen sie andere ontologische Grundannahmen als Carlson. Sie verzichten auf
Stadien und sehen stattdessen Objekte als partikuläre, raumzeitliche Entitäten
an. Diesen “realen Objekten” stehen als “abstrakte Konzepte” die Arten ge-
genüber (vgl. Krifka 1995). Weil nun Objekte bei Krifka et al. keine abstrakten
Entitäten mehr sind, entfällt die Möglichkeit, die Generizität der Subjekte in
(5) bis (7) auf Eigenschaftszuweisungen an abstrakte Entitäten (d.h. auf Carl-
sonsche Individuenprädikationen) zurückzuführen. Eine alternative Erklärung
muss her.
Für Krifka et al. (1995) resultiert die Generizität der Sätze daraus, dass die
auf die syntaktischen Konstituenten des jeweiligen Satzes verteilten semanti-
schen Komponenten eingebettet in eine dreigeteilte Quantifikationsstruktur in-
terpretiert werden, wobei der beteiligte Quantor der Generizitätsoperator GEN
ist. Betrachten wir ein Beispiel: Eine semantische Repräsentation von (7a) im
Sinne der Standardtheorie4 könnte etwa wie in (8) aussehen, wobei “x” eine Va-
riable über Objekte und “s” eine Variable über Situationen (hier: Zustände) ist
(vgl. Chierchia 1995)5:
Demnach wäre der Satz wahr, wenn in allen Situationen, die die Erfolgs-
2
Vgl. die Diskussion in Kapitel 2.
3 Krifka et al. (1995:10) zählen ein Prädikat wie ist ein Säugetier allerdings im Ge-
gensatz zu Carlson zu einer besonderen gemischten Prädikatsklasse. Mitglieder dieser
Klasse werden zwar auch “Artprädikate” genannt, haben aber die Besonderheit, dass
sie auch Objektterme als Argumente zulassen. Ich werde auf diese Mischlingsklasse in
Abschnitt 9 noch zurückkommen.
4 Damit meine ich die Theorie(n) zur Generizität, wie sie in Carlson & Pelletier
(1995), speziell Krifka et al. (1995), präsentiert werden.
5 Vergleiche die Diskussion im Einleitungskapitel.
5.4. INDEFINITE NPN IN CARLSONSCHEN ARTPR ÄDIKATIONEN 77
Aber zurück zu Sätzen wie (11) und der Frage, warum in diesen Fällen Re-
ferenz auf die beim Namen genannte Art ausgeschlossen ist. Es sind zwei Al-
ternativen im Angebot. Krifka et al. (1995) bieten eine semantische Erklärung
an: Referenz auf die beim Namen genannte Art ist ausgeschlossen, weil eine
indefinite NP nicht über das semantische Potential verfügt, die beim Namen ge-
nannte Art zu bezeichnen. Zu den Regeln der Syntax-Semantik-Abbildung im
Englischen und Deutschen gehört ganz einfach auch die K-Regel. Dayal (2004)
bietet eine pragmatische Erklärung an: Referenz auf die beim Namen genannte
Art mittels einer indefiniten NP ist möglich, sofern die bezeichnete Art die Neu-
heitsbedingung (novelty condition) erfüllt. In Beispielen wie (11) ist das nicht
gegeben, deshalb muss auf eine andere Interpretation – die Unterart-Lesart –
ausgewichen werden. In einem Beispiel wie (3) dagegen ist die Neuheitsbedin-
gung erfüllt und die Art ‘Kürbiscrusher’ kann mittels der indefiniten NP pro-
blemlos in den Diskurs eingeführt werden.
Zusammenfassung: Mit Prädikaten wie ist vom Aussterben bedroht, die Carl-
son (1977) als kind-level Prädikationen behandelt, müssen indefinite Singular-
NPn “taxonomisch”, d.h. unterartreferierend, verstanden werden. Transformiert
man diese Prädikate in nominale Prädikate (ist vom Aussterben bedroht → ist
ein vom Aussterben bedrohtes Tier), so ist Referenz auf die beim Namen ge-
nannte Art allerdings möglich.
7 Oder sie gehören zu der seltsamen Klasse von Artprädikaten, die Eigenschaften
denotieren, die gleichzeitig über Objekte prädiziert werden können (vgl. Fussnote 3).
8 (13a) ist akzeptabel, wenn man selten so versteht, dass es individuelle Eigenschaf-
ten von Lora sind, die sie zu einer Seltenheit machen, d.h. wenn Lora sich durch Eigen-
schaften auszeichnet, die für Papageien ihrer möglicherweise gar nicht so seltenen Art
ungewöhnlich sind.
5.5. ZWEI ARTEN VON ARTPRÄDIKATEN 79
Führen wir uns noch einmal vor Augen, was es zu erklären gilt: Wieso ist (14a)
(mit intendierter Referenz auf die Art ‘Trullala’ selbst) nicht sprachgerecht,
(14b) aber sehr wohl?
(59) a. *Ein Trullala ist ausgestorben.
b. Fred hat heute ein Trullala erfunden.
Man könnte auf die Idee kommen, dass vielleicht die satzinitiale Position
in (14a) aus irgendeinem Grund mit einem indefiniten Artterm unverträglich ist.
Wie (15) jedoch zeigt, muss diese These sogleich wieder fallengelassen werden:
(60) Ein Trullala ist erfunden worden.
Versuchen wir lieber, den von Dayal (2004) vorgeschlagenen Weg zu gehen.
Ausgangspunkt war die Überlegung, dass die Verwendung des indefiniten Arti-
kels an die Bedingung geknüpft ist, dass der durch die Nominalphrase bezeich-
nete Referent als neu in den Diskurs einführt wird. Im Falle einer objektbezoge-
nen Interpretation der indefiniten NP gilt dies für den Objektreferenten, im Falle
einer artbezogenen Interpretation entsprechend für den Artreferenten. Dass man
(1c), (11a) und (14a) (in ihrer nicht-taxonomischen Lesart) zur ückweist, sollte
demnach darauf zurückzuführen sein, dass es sich bei dem jeweiligen Argu-
mentslot der Artprädikate will become extinct soon, ist vom Aussterben bedroht
und ist ausgestorben um eine syntaktische Position handelt, die die von einer
indefiniten NP eingeforderte Neuheitsbedingung nicht erfüllen kann. Im Gegen-
satz dazu steht der Realisierung des Arguments eines Prädikats wie ist erfunden
worden durch eine indefinite NP nichts im Wege. Warum?
Es gibt keine erschöpfende Liste der Prädikate, die die Klasse der Carlson-
schen Artprädikate bilden. Zwar besteht Einigkeit, dass man eine solche lexi-
kalische Klasse isolieren muss. Welche konkreten Beispiele jedoch als Carlson-
sche Artprädikat gelten und welche nicht, das steht zur Diskussion. Als Parade-
beispiel für ein Artprädikat gilt (be) extinct inklusive aller seiner Varianten: is
extinct, has died out, will become extinct soon, is in danger of extinction, etc.
Gerade diese Beispiele werden dann auch immer wieder benutzt, wenn es zu be-
stimmen gilt, ob eine Nominalphrase artbezogen interpretiert werden kann oder
nicht. Andere Prädikate, die Carlson (1977) als Artprädikate aufführt, sind um-
strittener. So wird z.B. vorgeschlagen, (be) common und (be) numerous nicht als
Artprädikate, sondern als Frequenzprädikate zu behandeln (vgl. Katz & Zam-
parelli 2005). Auch Krifka (p.c.) gelangt angesichts der Tatsache, dass ein Satz
wie ein weisser Elefant ist selten völlig akzeptabel ist, zu der Überzeugung, dass
selten sein besser aus der Klasse der Artprädikate auszuklammern ist.
5.5. ZWEI ARTEN VON ARTPRÄDIKATEN 80
Die Sätze unter (16) zeigen Artprädikationen, die im Einklang mit der K-
Regel keine Referenz auf die durch das Kopfnomen benannte Art zulassen.
Die Beurteilungen (Stern) beziehen sich also weder auf die in allen Beispielen
mögliche unterartreferierende Lesart, noch auf die teilweise mögliche objektre-
ferierende Lesart:
(61) a. *Ein Universalgelehrter ist heutzutage so gut wie ausgestorben.
b. *Ein Blauwal ist vom Aussterben bedroht.
c. *Ein arktischer Grauwal wurde ausgerottet.
d. *Ein Feldhase steht auf der Roten Liste der bedrohten Arten.
e. *Eine Mähnenrobbe wurde auf den GaLApagosinseln entdeckt. 9
f. *Ein Wolf wird größer, je weiter man nach Norden fährt.
g. *Ein H5N1-Virus grassiert jetzt auch in Europa.
Die Sätze unter (17) zeigen ebenfalls Artprädikationen mit indefiniten
Subjekt-NPn. In diesen Fällen ist Bezug auf die durch das Kopfnomen benann-
te Art jedoch möglich (die in Klammern angegebenen Ergänzungen verhindern
ein Ausweichen auf die objektreferierende Interpretation):
(62) a. Ein Kürbiscrusher ist erfunden worden.
b. Ein Trabbi begegnet einem in Leipzig noch relativ häufig.
c. Eine Schiege ist (an zwei Orten gleichzeitig) gezüchtet worden.
d. Ein Royal Flush ist selten.
e. Eine indefinite NP kommt im Maori in zwei Varianten vor.
f. Ein Knurrhahn wird Knurrhahn genannt, weil er immer knurrt.
g. Eine Schachfigur ist entweder schwarz oder weiss.
h. Ein H5N1-Virus hat sich (an zwei Orten gleichzeitig) entwickelt.
i. Ein Schnuller geht von Zeit zu Zeit unwiederbringlich verloren.
Was die Beispiele unter (17) zeigen ist, dass die K-Regel eine zu starke theo-
retische Generalisierung ist. Sie muss entsprechend qualifiziert werden:
Es ist nicht so, dass Carlsonsche Artprädikate generell indefinite Artar-
gumente (in nicht-taxonomischer Lesart) ausschließen. Vielmehr ist es
so, dass es innerhalb der Klasse der Carlsonschen Artpr ädikate eine
Reihe von Prädikaten gibt, die in ihrer lexikalischen Bedeutung eine
Komponente tragen, die indefinite Artreferenz (in nicht-taxonomischer
Lesart) ausschließt. Zu letzteren gehört das Paradebeispiel aussterben.
9
Die intendierte Lesart ist jene, in der mit “Entdeckung” die erstmalige Entdeckung
der Spezies Mähnenrobbe überhaupt gemeint ist und der Ort dieser Entdeckung, die
Galapagosinseln, bei der Äußerung fokussiert ist.
5.6. ERFINDEN VERSUS AUSSTERBEN 81
Die Idee ist, dass besagte lexikalische Komponente die Bekanntheit (familia-
rity) des Artreferenten erforderlich macht, so dass indefinite NPn als Argumente
ausgeschlossen werden, weil der indefinite Artikel ja mit einer Neuheitsbedin-
gung assoziiert ist (z.B. Heim 1983). Das wäre dann eine Erklärung im Sinne
der D-Regel (s.o.). Die Frage lautet also: Was ist das für eine “lexikalische Kom-
ponente”?
Fassen wir zusammen: Es gibt offenbar Artprädikate, die indefinite
Argument-NPn mit nicht-taxonomischer Referenz zulassen. Dieses Referenz-
verhalten auszuschließen kann deswegen kein kategoriales Merkmal von Art-
prädikaten sein, wie es die K-Regel unterstellt.
Wir können die Artprädikate, die in (16) erscheinen, provisorisch unter dem Be-
griff der “Aussterben-Klasse” zusammenfassen und die in (17) demgegen über
als “Erfinden-Prädikate” bezeichnen. Allerdings sollen zwei Prädikationen aus
(17) aus der Erfinden-Klasse ausgeklammert werden, nämlich (18a) und (18b):
(63) a. Ein Knurrhahn wird Knurrhahn genannt, weil er immer knurrt.
b. Eine Schachfigur ist entweder schwarz oder weiss.
Der Grund für diese Sonderbehandlung ist, dass die Sätze in (18) nicht die
Existenz von Objektinstanzen enthalten. Satz (18a) ist selbst dann wahr, wenn
Knurrhähne ausgestorben sein sollten, und auch (18b) stellt nicht die Wahrheits-
bedingung, dass in der realen Welt tatsächlich Schachfiguren existieren. Die Re-
de ist vielmehr von potentiellen Knurrhähnen und Schachfiguren. Für alle ande-
ren Sätze in (17) dagegen gilt: Wenn sie wahr sind, dann müssen Kürbiscrusher,
Trabbis, H5N1-Viren etc. real existieren oder real existiert haben. Hier ist die
Rede also von aktualen Individuen.
Aussterben- und Erfinden-Prädikate haben gemeinsam, dass sie episodisch
sind. “Episodisch” bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Wahrheits-
bedingungen dieser Prädikationen, im Gegensatz zu denen der Prädikationen
in (18), auch Bedingungen der realen (“aktualen”) Welt umfassen m üssen.
Aussterben- und Erfinden-Prädikate unterscheiden sich dahingehend, dass nur
die Beispiele der Aussterben-Klasse die K-Regel bestätigen, während die Bei-
spiele der Erfinden-Klasse sie widerlegen. Wer an der K-Regel festhalten will,
der müsste zeigen, dass die Prädikate der Erfinden-Klasse gar keine Art-
prädikate sind. Betrachten wir die einzelnen Erfinden-Prädikate einmal genauer:
(64) a. X ist erfunden worden.
b. X ist gezüchtet worden.
5.6. ERFINDEN VERSUS AUSSTERBEN 82
d. ‘Instanzen der Art X übertragen sich zur Zeit in Europa auf immer
mehr Lebewesen’
e. ‘die Instanzen der Art X im Norden sind größer als die Instanzen
der Art X im Süden’ (stark vereinfacht)
f. ‘Instanzen der Art X wurden erstmals auf den Galapagosinseln re-
gistriert’
Was die Paraphrasen sichtbar machen sollen ist, dass die Information über
die Existenz von Objektinstanzen der (durch das Nomen) genannten Art nur in
(19) Teil der jeweils zugewiesenen Eigenschaft ist; nur Erfinden-Prädikate ent-
halten die semantische Komponente ‘es existieren Instanzen der Art X’ als Teil
ihrer lexikalischen Bedeutung. Die durch ein Aussterben-Prädikat zugewiesene
Eigenschaft betrifft zwar ebenfalls Instanzen der genannten Art, doch ist die In-
formation darüber, dass es Instanzen der Art X gibt, nicht Teil der assertierten
Eigenschaft. Dass es Instanzen der Art X gibt, wird vom Sprecher als eine dem
Hörer bekannte Tatsache vorausgesetzt.
Zusammenfassung: Mit Erfinden-Prädikaten wird die Existenz von Instan-
zen der Art, über die eine Aussage gemacht wird, assertiert, während mit
Aussterben-Prädikaten die Existenz von Instanzen der Art, über die eine Aussa-
ge gemacht wird, präsupponiert wird. Die Interpretation von Prädikationen wie
in (18) ist dagegen unabhängig von der Existenz von Instanzen der bezeichneten
Art.
objektreferierende als auch für artreferierende NPn gelten. In der vorletzten Zei-
le der Tabelle ist der “Präsuppositionskonflikt” notiert, zu dem eine indefini-
te NP im Subjektslot eines Aussterben-Prädikats führen muss. Dass die durch
den Argumentausdruck des Aussterben-Prädikats bezeichnete Art bekannt sein
muss steht nämlich im Konflikt damit, dass die durch eine indefinite NP be-
zeichnete Art neu sein muss.
Ausdruck lexikalische Beschränkung
X ist ausgestorben X muss bekannt sein
der X X muss bekannt sein
ein X X muss neu sein
X-pl keine Beschränkung
der X ist ausgestorben okay
ein X ist ausgestorben Präsuppositionskonflikt
X-pl sind ausgestorben okay
Instanz einer Unterart automatisch auch eine Instanz der Oberart ist. Wenn sich
ein Blauwal in (23) also z.B. auf die Art ‘Zwergblauwal’ bezieht, dann kann die
Bedingung des Artprädikats, dass Instanzen der Art ‘Blauwal’ existieren, erfüllt
sein, obwohl die Art ‘Zwergblauwal’ dem Hörer unbekannt ist, was wiederum
die Verwendung des indefiniten Artikels legitimiert.
Fassen wir zusammen: Weil die Artdomäne taxonomisch organisiert ist, lässt
sich für einen Satz wie (23) eine Interpretation finden, obwohl sich hier die
durch die indefinite NP und das Aussterben-Prädikat eingebrachten Bedingun-
gen scheinbar gegenseitig ausschließen. Weicht man nämlich auf eine Unter-
art der durch das Kopfnomen der indefiniten NP benannten Art aus, so kann
die Präsupposition des Prädikats (es muss bekannt sein, dass Instanzen der Art
‘Blauwal’ existieren) und die des Arguments (der Referent der indefiniten NP
muss hörer-neu sein) gleichzeitig erfüllt sein.
5.8 Wohletabliertheit
Wofür ich argumentiere ist also, dass man mit einer indefiniten NP grundsätzlich
sehr wohl auf die Art referieren kann, die vom Kopfnomen der NP beim Namen
genannt wird. Der (falsche) Eindruck, dass indefinite NPn artbezogen nur unter-
artreferierend vorkommen können, entsteht, weil indefinite NPn tatsächlich sehr
häufig nur unterartreferierend vorkommen. In vielen Fällen ist die Möglichkeit
der (nicht-taxonomischen) Artreferenz blockiert. Der Grund ist die mit dem
indefiniten Artikel assoziierte Neuheitsbedingung. Diese steht beispielswei-
se einer (nicht-taxonomischen) Interpretation als Argument eines Aussterben-
Prädikats im Wege. Es bleibt nur ein Ausweichen auf die taxonomische Inter-
pretation. Wie wir gesehen hatten kann sich eine indefinite NP jedoch als Argu-
ment eines Erfinden-Prädikats ohne weiteres auf die “oberste Art” beziehen.
Nun ist es aber so, dass wir auch im Slot von Erfinden-Prädikaten mitunter
Unterartreferenz registrieren: Während (24a) sich auf die durch das Kopfnomen
benannte Art ‘Kürbiscrusher’ bezieht, bezieht sich (24b) auf eine Unterart der
durch das Kopfnomen benannten Art ‘Computer’. (24b) wird normalerweise so
verstanden, dass Fred ein neues Computermodell erfunden hat (vgl. (2)):
(69) a. Fred hat einen Kürbiscrusher erfunden.
b. Fred hat einen Computer erfunden.
Diese Beobachtung widerspricht meiner Analyse nur vordergündig. Der ent-
scheidende Unterschied zwischen den Beispielen ist, dass die Art, auf die das
direkte Objekt in (24b) Bezug nimmt im Gegensatz zu der in (24a) im Welt-
wissen des durchschnittlichen Sprechers des Deutschen wohletabliert (“well-
established in the background knowledge of speaker and hearer” (Krifka 1995))
5.9. ZUSAMMENFASSUNG 88
5.9 Zusammenfassung
Zum Abschluss dieses Kapitels sei noch einmal die Bedeutung der K-Regel f ür
die Art und Weise, wie die Standardtheorie die syntaktische Kategorie inde-
finiter Nominalphrasen in generischer Verwendung erklärt, herausgestellt. Wir
12
Krifka (1995) bezeichnet nur wohletablierte Kategorien als Arten. Ich weiche an
dieser Stelle terminologisch von ihm ab, da ich auch ad hoc Kategorien als Arten
bezeichne.
5.9. ZUSAMMENFASSUNG 89
hatten gesehen, dass die Standardtheorie (Krifka et al. 1995) ganz verschiedene
Sorten von generischen indefiniten NPn unterscheidet. Mit welcher Sorte man
es zu tun hat, hängt von den Eigenschaften des Prädikatsausdrucks ab, als des-
sen Argument die jeweilige indefinite NP erscheint.
Als Subjekt eines Carlsonschen Objektprädikats wird eine für sich betrachtet
objektdenotierende indefinite NP generisch verstanden, wenn sie eingebettet in
eine (durch einen koverten Operator induzierte) generalisierte Quantifikations-
struktur interpretiert wird:
(70) Ein Hund hat vier Beine.
Als Subjekt eines Frequenzprädikats wird ebenfalls eine für sich betrachtet
objektdenotierende indefinite NP deswegen generisch interpretiert, weil sie im
syntaktischen Kontext eines “Multiplizierers”, nämlich des Frequenzprädikats,
erscheint:
(71) Ein weisser Elefant ist selten.
Als Subjekt eines Carlsonschen Artprädikats wie aussterben wird eine inde-
finite NP nicht objektbezogen, sondern artbezogen interpretiert, referiert aber
gemäß der K-Regel auf eine Unterart. Hier wird die Quelle der Generizität al-
so darin gesehen, dass die indefinite NP nicht innerhalb der “gewöhnlichen”
Objektdomäne, sondern innerhalb der Artdomäne denotiert:
(72) Ein Blauwal ist vom Aussterben bedroht.
Schließlich unterscheiden Krifka et al. (1995) noch einen besonderen
Prädikatstyp (vgl. Fussnote 3):
With some other predicates, such as be a mammal, be domesticated,
and be protected by law, the kind-referring interpretation of the subject
is not the only one; indeed, a proper name referring to a particular ani-
mal can also be used as subject with these. Yet when a general term is
used as subject NP, the kind-referring interpretation has at least priority
over the object-referring interpretation. We call predicates which favor
a kind-referring interpretation of an argument kind predicates. (Krifka
et al. 1995:10)
Prädikate dieses Typs sind sowohl mit Objekttermen als auch mit Arttermen
kompatibel. Das Zitat suggeriert, dass ihre Verbindung mit einem artreferieren-
den Ausdruck natürlicher ist als ihre Verbindung mit einem objektreferierenden
Ausdruck. Wenn ich es richtig verstehe, ist es nun so: Erscheint ein Artterm im
Slot dieser Prädikate, wird er artreferierend verstanden, ohne dass Unterartrefe-
renz erzwungen wäre:
5.9. ZUSAMMENFASSUNG 90
6.1 Übersicht
Als Subjekt eines Frequenzprädikats wird ebenfalls eine für sich betrachtet
objektdenotierende indefinite NP deswegen generisch interpretiert, weil sie im
syntaktischen Kontext eines “Multiplizierers”, nämlich des Frequenzprädikats,
erscheint:
(75) Ein weisser Elefant ist selten.
Als Subjekt eines Carlsonschen Artprädikats wie aussterben wird eine inde-
finite NP nicht objektbezogen, sondern artbezogen interpretiert, referiert aber
gemäß der K-Regel1 auf eine Unterart. Hier wird die Quelle der Generizität
also darin gesehen, dass die indefinite NP nicht innerhalb der “gewöhnlichen”
Objektdomäne, sondern innerhalb der Artdomäne denotiert:
(76) Ein Blauwal ist vom Aussterben bedroht.
Schließlich unterscheiden Krifka et al. (1995) noch einen besonderen
Prädikatstyp:
With some other predicates, such as be a mammal, be domesticated,
and be protected by law, the kind-referring interpretation of the subject
is not the only one; indeed, a proper name referring to a particular ani-
mal can also be used as subject with these. Yet when a general term is
used as subject NP, the kind-referring interpretation has at least priority
over the object-referring interpretation. We call predicates which favor
a kind-referring interpretation of an argument kind predicates.
(Krifka et al. 1995:10)
Prädikate dieses Typs sind sowohl mit Objekttermen als auch mit Arttermen
kompatibel. Das Zitat suggeriert, dass ihre Verbindung mit einem artreferieren-
den Ausdruck natürlicher ist als ihre Verbindung mit einem objektreferierenden
Ausdruck. Erscheint eine indefinite NP im Slot dieser Prädikate, wird sie artre-
ferierend verstanden, ohne dass Unterartreferenz erzwungen wäre:
(77) Ein Wellensittich ist ein Vogel.
Das Bild, das sich aus diesen standardtheoretischen Annahmen ergibt, wirft
einige Fragen auf. Wie überzeugend ist es, vier verschiedene Quellen für aus in-
tuitiver Sicht ein- und dieselbe generische Interpretation verantwortlich zu ma-
chen? Was ist das für ein seltsamer Prädikatstyp, in dessen Slot sowohl Artterme
als auch Objektterme erscheinen können? Warum ist, wenn ein solches Misch-
prädikat wie in (4) als Artprädikat fungiert, keine Unterartreferenz erzwungen?
Noch deutlicher wird dieses Problem, wenn man den Status des Prädikats des-
ambiguiert, wie in (5):
1 D.i. die Regel, wonach indefinite NPn artbezogen nur taxonomisch interpretiert wer-
den können, vgl. Kapitel 5.
6.3. IM LEXIKON STEHEN NUR GENERISCHE PR ÄDIKATE 94
auf das Croft (1986) aufmerksam macht. Croft weist darauf hin, dass ausnahms-
los jedes Prädikat, dessen lexikalische Bedeutung Carlson als Eigenschaftszu-
weisung an ein Objekt analysiert, auch zum Zwecke der Eigenschaftszuweisung
an eine Art verwendet werden kann. Carlson selbst ist sich dessen sehr wohl
bewusst und formuliert es so: “whatever may be meaningfully predicated of an
object may also be meaningfully said of a kind” (Carlson 1977:248). Angesichts
dieser Beobachtung, dass restlos alle Carlsonschen Objektprädikate als Carlson-
sche Artprädikate fungieren können, kommen Zweifel an der Nützlichkeit von
Carlson’s Entscheidung auf, Prädikate wie vier Beine haben, intelligent sein
etc. lexikalisch als Objektprädikate zu klassifizieren und dann eine grammati-
sche (Generalisierungs-) Operation zu postulieren, die Objektprädikate in Art-
prädikate überführt (vgl. Kapitel 4).
Tatsache ist also: Alles, was sinnvoll über ein Objekt gesagt werden kann,
kann sinnvoll über eine Art gesagt werden. Aber nicht alles, was sinnvoll über
eine Art gesagt werden kann, kann sinnvoll über ein Objekt gesagt werden.
Beispielsweise kann nicht sinnvoll über ein Objekt gesagt werden, es sei am
Aussterben. Angesichts dieser Situation trifft Carlson die folgenden Annahmen:
Dies sind die Grundannahmen hinter der Prädikatsklassifikation, für die ich
argumentieren werde. Man beachte: Dadurch, dass alle lexikalischen Prädikate
Artprädikate sind, sind in einem generischen Bedeutungsformat abgespeichert.
Ich werde nun versuchen, diese alternative Sichtweise zu motivieren.
6.4. DIE STELLVERTRETER-LESART 96
Beginnen wir damit, dass wir uns noch einmal sorgfältig die Daten vor Augen
führen. Das erste, was wir festhalten können, ist, dass sich Carlsonsche Objekt-
prädikate (6) genau wie Krifka et al.’s Mischprädikate (7) sowohl mit Artter-
men, als auch mit Objekttermen verbinden. Man beachte, dass es sich stets um
generische Sätze handelt:
(79) a. Fido hat vier Beine.
b. Ein Pudel hat vier Beine.
c. Fido ist intelligent.
d. Ein Pudel ist intelligent.
(80) a. Fido ist ein Hund.
b. Ein Pudel ist ein Hund.
Prädikate, die Carlson als Stadienprädikate analysiert, kommen syntaktisch
ebenfalls mit Objekttermen oder Arttermen vor. Auch sie haben zwar nicht nur,
aber auch eine generische Interpretation:
(81) a. Fido bellt.
b. Ein Pudel bellt.
Ich werde Stadienprädikate zunächst, bis zu Abschnitt 7, aus der Diskussion
ausklammern. Im Gegensatz dazu lassen sich Carlsonsche Artprädikate, auf den
ersten Blick zumindest, nur mit Arttermen verbinden:
(82) a. Der Pottwal ist vom Aussterben bedroht.
b. *Moby Dick ist vom Aussterben bedroht.
c. Ein Wellensittich ist eine Vogelart.
d. *Hansi ist eine Vogelart.
e. Im Watt lebt in großer Zahl ein bis zu einem Zentimeter dicker und
bis zu 30 Zentimeter langer Ringelwurm.
f. *Im Watt lebt in großer Zahl ein ein Zentimeter dicker und 30 Zen-
timeter langer Ringelwurm, den ich gestern gesehen habe.
g. Der Hirschkäfer bevölkert den Kelsterbacher Wald.
h. *Der Hirschkäfer Harry bevölkert den Kelsterbacher Wald.
i. Die Colaflasche gibt es in verschiedenen Größen.
j. *Die Colaflasche, die ich mir gekauft habe, gibt es in verschiedenen
Größen.
6.4. DIE STELLVERTRETER-LESART 97
war es nach dem Start des Films im Mai 2003 zu einem regelrech-
ten Boom gekommen. Roland Melisch bittet um Vorsicht. “Der Han-
del mit Meerwasserfischen ist problematisch. Sie stammen meistens aus
der Wildnis. Manche Arten werden sogar als bedroht eingestuft. Vertret-
bar ist allenfalls der Kauf von Meerwasserfischen, deren Herkunft nach
den Kriterien des Marine Aquarium Council (MAC) zertifiziert ist.” So
kannst du sicher sein, dass Nemo nicht ausstirbt.
Nemo, der Held aus dem Film “Findet Nemo”, ist kein Prototyp einer neu
geschaffenen Art. Er hat seinen Status als Symbol für eine ganze Art vielmehr
durch seine “Medienpräsenz” erlangt. Weil Nemo ein Symbol für die Art ‘Ane-
monenfisch’ geworden ist, referiert der Name Nemo hier nicht nur auf das Ob-
jektindividuum Nemo, sondern auch auf die Art ‘Anemonenfisch’.
Schaut man sich weiter um, so zeigt sich, dass der Gebrauch von Objektter-
men in Stellvertreterfunktion für eine Art nicht nur auf Eigennamen beschränkt
ist. Bei entsprechender kontextueller Einbettung können auch objektreferieren-
de deskriptive NPn in dieser Weise gebraucht werden. Prädestiniert für diesen
Fall sind beispielsweise Zoo-Kontexte, denn ein Zoo ist im Wesentlichen genau
das: eine Sammlung von Objektindividuen als Stellvertreter für Arten. Machen
wir also einen kurzen Rundgang im Zoo:
(86) a. [vor dem Löwengehege:] Look kids, this is the lion. [Krifka et al. 1995]
b. [vor dem Tigergehege:] Der Tiger, den ihr hier seht, ist vom Aus-
sterben bedroht.
c. [in der Vogelhalle, auf ein Exemplar zeigend:] Dieser Vogel wurde
von Darwin auf den Galapagosinseln entdeckt.
d. [angesichts des Schnabeltiers:] Unglaublich, aber wahr: dieses ko-
mische Tier dort ist tatsächlich eine Säugetierart.
Die Stellvertreter-Lesart kann sich immer dann einstellen, wenn ein Objekt-
term im Argumentslot eines Artprädikats erscheint und der Referent des Ob-
jektterms aus irgendeinem Grund den semiotischen Status eines Symbols für
eine Art innehat. Dann nämlich kann der Objektterm als Artterm fungieren: Re-
ferenz auf die Art wird über den Umweg der Referenz auf den Stellvertreter der
Art hergestellt.
Die Objektindividuen Dolly und Eliza haben den Status eines Artsymbols
dadurch erlangt, dass sie die ersten (und einzigen?) Exemplare einer neuen Art
sind. Hinzu kommt, dass diese neue Art von ausreichender gesellschaftlicher
Bedeutung ist, um in das gemeinsame Wissen der Sprechergemeinschaft ein-
zugehen. Darin unterscheiden sie sich von Fido aus (11b), der zum Leidwesen
meines Nachbarn niemals wirklich bekannt geworden ist. Ich habe die mit Fido
geschaffene neue Art, für die Fido als Prototyp ein Symbol ist, deswegen durch
6.4. DIE STELLVERTRETER-LESART 99
die Ergänzung einen Roboterhund, der ihm täglich die Zeitung holt explizit ge-
macht. In Zoo-Kontexten weisen üblicherweise Schilder am Gehege bzw. Käfig
darauf hin, welche Art die ausgestellten Exemplare jeweils stellvertreten.
Man kann die berechtigte Frage stellen, warum denn dann die Beispiele (10)
gesternt und somit als uninterpretierbar angesehen werden. Warum sollte es in
diesen Fällen nicht möglich sein, dass die betreffende Arteigenschaft einer Art
zugewiesen wird, die über den Umweg der Referenz auf ihren Stellvertreter,
Fritz Walter bzw. King Kong, bezeichnet wird? Tatsächlich ist dieser Einwand
berechtigt. Die Sätze in (10) sind aus pragmatischen Gründen zurückzuweisen,
semantisch sind sie jedoch sehr wohl interpretierbar. Dazu müsste man sich
aber Fritz Walter als Stellvertreter für eine Art vorstellen, etwa als Stellvertreter
für die Art ‘Fussballprofi, der nicht nur ans Geld denkt’. In ähnlicher Weise
müsste King Kong der Repräsentant einer Art sein, die von der betreffenden
Armee ausgerottet worden ist. Dann hätte man es mit Interpretationen analog
zu Beispiel (12) zu tun.
Nun, wo wir unsere Sinne für die Stellvertreter-Interpretation geschärft ha-
ben, müssen nicht nur die Beispiele aus (10), sondern auch die Beispiele aus (8)
neu beuteilt werden. Die Sätze in (14) sind alle interpretierbar, wenngleich sie
unsere Imaginationskraft mitunter stark fordern. Wir m üssen uns nämlich Wel-
ten vorstellen, in denen die Objekte Fritz Walter, King Kong, Moby Dick, etc.
Symbole für Arten sind:
(87) a. # Fritz Walter ist ausgestorben.
b. # Die Armee hat King Kong ausgerottet.
c. # Moby Dick ist vom Aussterben bedroht.
d. # Hansi ist eine Vogelart.
e. # Im Watt lebt in großer Zahl ein Ringelwurm, den ich gestern ge-
sehen habe.
f. # Der Hirschkäfer Harry bevölkert den Kelsterbacher Wald.
g. # Die Colaflasche, die ich mir gekauft habe, gibt es in verschiedenen
Grössen.
Die Stellvertreter-Lesart zeigt zweierlei: Erstens, auch Carlsonsche Art-
prädikate können syntaktisch mit Objekttermen verbunden werden. Zweitens,
diese Möglichkeit widerspricht nicht der Feststellung von Krifka et al. (1995),
dass nur Arten aussterben können, erfunden werden können, usw. Im Gegenteil:
Weil bei der Stellvertreter-Interpretation Objektterme als Artterme gebraucht
werden, bestätigt sich diese Diagnose.
In diesem Abschnitt wurde nicht zuletzt anhand der Klasse der Carlsonschen
Artprädikate die Stellvertreter-Interpretation eingeführt. Wir werden die Dis-
kussion Carlsonscher Artprädikate an dieser Stelle unterbrechen und uns statt-
dessen zunächst einmal, vor dem Hintergrund der Stellvertreter-Interpretation,
6.5. KATEGORISIERENDE AUSSAGEN ALS STELLVERTRETER-INTERPRETATIONEN 100
Die Stellvertreter-Interpretation lässt sich wie folgt beschreiben: (i) Ein Ob-
jektterm erscheint im Argumentslot eines Artprädikats. (ii) Dadurch, dass das
Objekt, auf das der Objektterm referiert, als Repräsentant einer Art fungiert,
bezieht sich der Objektterm, sozusagen indirekt, auch auf eine Art, der das Art-
prädikat seine Eigenschaft zuweisen kann. In diesem Abschnitt möchte ich auf
die Ähnlichkeit hinweisen, die die oben präsentierten Stellvertreter-Lesarten mit
Beispielen wie (15) haben. Diese werden in der Literatur häufig auch als “kate-
gorisierende Aussagen” bezeichnet.
(88) a. Chomsky ist ein Anarchist.
b. Dieser Vogel ist ein Storch.
c. Ich bin ein Berliner.
Mit der Äußerung von (15a) wird zum Ausdruck gebracht, dass das Objek-
tindividuum Noam Chomsky eine Instanz der Art ‘Anarchist’ ist. Der kommu-
nikative Zweck dieser Sätze besteht also darin, den Hörer über eine Kategori-
sierung des betreffenden Objektindividuums zu informieren. Bei den Sätzen in
(15) wird die Art, als deren Instanz der Subjektreferent ausgewiesen wird, durch
den indefiniten Artikel als hörer-neu markiert. Das heißt, dass der Hörer die be-
treffende Art als nicht bereits im Common Ground etablierte Art zu verstehen
hat. Kategorisierende Sätze begegnen einem jedoch auch mit definiten Artikeln:
(89) a. Look kids, this is the lion. [=(13a)]
b. Nur Muhammed ist der Auserw ählte.
c. Hello Mister! – Ich bin nicht der Mister, ich bin der Melker.
Wie gesehen drückt Satz (16a) für Krifka et al. (1995) eine Stellvertreter-
Interpretation aus. Handelt es sich bei den übrigen Sätzen in (16) dann ebenfalls
um Stellvertreter-Interpretationen? Wenn ja, wie sind dann die kategorisieren-
den Sätze in (15) zu beurteilen? Bedeutet ein Objekt als Instanz einer Art zu
klassifizieren nicht fast dasselbe wie ein Objekt als Repräsentanten einer Art
vorzustellen? Was sind die Unterschiede, was die Gemeinsamkeiten?
Das Gemeinsame ist, dass sowohl in (15) als auch in (16) Objekte als Instan-
zen von Arten ausgewiesen werden. Der erste Unterschied besteht darin, dass
es offenbar nur in (15) noch andere Objekte geben kann, die ebenfalls Instanzen
der betreffenden Art sind, vergleiche:
6.5. KATEGORISIERENDE AUSSAGEN ALS STELLVERTRETER-INTERPRETATIONEN 101
(92) Muhammed Ali ist der Boxer, John McEnroe ist der Tennisspieler und
Robby Nash ist der Windsurfer.
Wenn Sätze wie in (16), mit artbezogen interpretierter definiter NP,
Stellvertreter-Lesarten aktualisieren, was spricht dann dagegen auch katego-
risierende Aussagen wie in (15) als Stellvertreter-Interpretationen anzusehen?
Der einzige Unterschied ist, dass die Objekte in (15) neue Arten repräsentieren,
während die in (16) für bekannte Arten stehen.
Ziehen wir eine Zwischenbilanz. Einerseits: Nur Arten können erfunden wer-
den, aussterben etc. Deswegen können sich Carlsonsche Artprädikate prinzipiell
nur mit Arttermen verbinden. Die systematische Ausnahme von dieser Regel be-
trifft Objektterme in Stellvertreterfunktion. Wenn Objekte als Stellvertreter für
Arten verstanden werden, können auch Objektterme in der Argumentposition
eines Prädikats wie ist ausgestorben oder ist erfunden worden erscheinen. Denn
dann referiert der Objektterm nicht nur auf ein Objekt, sondern gleichzeitig auch
auf eine Art. Andererseits: Prädikate wie ist ein Löwe oder ist der Löwe können
sich mit Arttermen verbinden. Dies führt zu Aussagen über Arten, von denen be-
hauptet wird, sie trügen die Arteigenschaften, ein Löwe zu sein bzw. der Löwe
zu sein. Diese Prädikate können sich jedoch auch mit einem Objektterm verbin-
den. Dann ergibt sich eine Aussage über ein Objekt. Von diesem Objekt wird
behauptet, es sei eine Instanz der Art ‘Löwe’. Wenn die Postkopula-NP als de-
finit markiert ist, muss die Art ‘Löwe’ als im Common Ground vorausgesetzte
Kategorie verstanden werden. Wenn die Postkopula-NP hingegen als indefinit
markiert ist, wird die Art ‘Löwe’ als neu eingeführte Kategorie präsentiert.
Möglicherweise überdehne ich den Wortsinn von “Stellvertreter” etwas,
wenn ich nun vorschlage, dass auch kategorisierende Sätze mit indefiniten
Postkopula-NPn Stellvertreter-Interpretationen ausdrücken. Wofür ich argu-
mentiere ist folgendes: Stellvertreter-Interpretationen im engeren Sinne stellen
sich ein, wenn das bezeichnete Objekt unabhängig von der Äußerung in der rea-
len Welt für Sprecher und Hörer den Status eines Symbols für eine Art innehat.
Beispiele sind z.B. Dolly als Stellvertreter für Klonschafe, Nemo als Stellvertre-
ter für Anemonenfische oder auch Bin Laden als Stellvertreter für islamistische
Terroristen.
Stellvertreter-Interpretationen im weiteren Sinne ergeben sich, wenn der
Hörer durch die Äußerung darüber informiert wird, dass das bezeichnete Ob-
jekt eine bestimmte Art repräsentiert. Hier hat man es mit kategorisierenden
Aussagen zu tun. Die Kategorie, als deren Vertreter in der realen Welt ein Ob-
jekt ausgewiesen wird4 , kann als bekannt oder neu präsentiert werden. Mit an-
4
Vergleiche in diesem Zusammenhang das Verhältnis von “specimen” und “species”
im folgenden Zitat: “In biology, specimen is an individual animal or plant or a microor-
ganism that is used as a representative to study the properties of the whole population of
6.6. KEIN ARTBEZUG OHNE OBJEKTBEZUG 104
deren Worten, Instanzen sind per se nichts anderes als die sich manifestierenden
Stellvertreter von Arten in der realen Welt.
Zusammenfassung: Solange wir unseren Blick auf Eigenschaftszuweisungen
an Arten beschränken, d.h. auf generische Prädikationen, stellen wir keinen
prinzipiellen Unterschied zwischen Carlsonschen Artprädikaten und allen an-
deren Prädikaten fest. Alle Prädikate können mit Arttermen kombiniert werden,
um der durch den Artterm denotierten Art eine Eigenschaft zuzuweisen. Au-
ßerdem können alle Prädikate mit Objekttermen kombiniert werden. Die Art-
eigenschaft wird dann der Art zugewiesen, die durch das Objekt repräsentiert
wird, auf welches der Objektterm referiert. Wie ich im folgenden Abschnitt ar-
gumentieren werde, ist im Falle kategorisierender Sätze die Art, die das Objekt
vor der Äußerung repräsentiert, unterspezifiziert. Der Zweck dieser Äußerungen
besteht ja gerade darin, eine Art zu spezifizieren (Kategorisierung).
Sätze wie die unter (20) werden von mir als Artprädikationen analysiert. Der
Weg für eine solche Analyse wurde dadurch frei, dass ich in Kapitel 5 (mei-
ner Meinung nach) nachweisen konnte, dass indefinite NPn sich entgegen ei-
ner weitverbreiteten Meinung sehr wohl auf die durch das Kopfnomen der NP
beim Namen genannte Art beziehen können. Demnach verbindet sich in diesen
Sätzen jeweils ein Artterm mit einem Artprädikat:
(93) a. Ein Pudel hat vier Beine.
b. Ein Pudel ist intelligent.
c. Ein Pudel ist ein Hund.
Im Ergebnis steht stets ein Satz, der geäußert werden kann, um einer Art
(dem Referenten der Subjekt-NP, der in diesem Fall den Redegegenstand dar-
stellt) eine Arteigenschaft zuzuweisen. Man beachte, dass gemäß dieser Analyse
mit diesen Sätzen nicht über Objekte gesprochen wird. Oder, anders gesagt, mit
der Analyse einher geht die Vorhersage, dass diese Sätze keine Wahrheitsbedin-
gungen an die reale Objektwelt stellen. Dies ist ein wünschenswertes Ergebnis,
denn es erklärt jene Eigentümlichkeit generischer Prädikationen, die der wahr-
heitskonditionalen Semantik so große Probleme bereitet: die Existenz von “Aus-
nahmen”, d.i. von Objektindividuen, die die bezeichnete Prädikatseigenschaft
nicht tragen (vgl. Krifka et al. 1995, Cohen 2002). Im Extremfall geht das so-
weit, dass diese Sätze selbst dann wahr sind, wenn sämtliche Objektindividuen
die durch das Prädikat bezeichnete Eigenschaft nicht tragen. So ist z.B. (20a)
that species” (Wikipedia).
6.6. KEIN ARTBEZUG OHNE OBJEKTBEZUG 105
auch dann wahr, wenn zufällig alle real existierenden Pudel (=alle Pudelobjek-
te) jeweils ein Bein verloren haben (vgl. Krifka et al. 1995:44).
In Bezug auf Sätze wie die unter (21) behaupte ich nun, dass es sich hier um
Artprädikationen handelt, obwohl der Subjektausdruck von einem Objektterm
gestellt wird:
(94) a. Fido ist ein Hund.
b. Fido hat vier Beine.
c. Fido ist intelligent.
Hier verbindet sich ein Objektterm, in diesem Fall ein Eigenname, mit ei-
nem Artprädikat. Die Funktion dieser Sätze besteht darin, den Referenten des
Objektterms als Instanz einer Art zu kategorisieren, die durch das Prädikat be-
schrieben wird. Damit stellt sich aber sofort die Frage nach der semantischen
Komposition: wie kann eine Arteigenschaft an ein Objekt zugewiesen werden?
Meine Analyse dieser Sätze läuft offenbar in einen Widerspruch. Einerseits ist
der Redegegenstand ein Objekt. Mit den Sätzen werden also Aussagen über Ob-
jekte gemacht. Andererseits erfolgt die Eigenschaftszuweisung an eine Art. Mit
den Sätzen werden also Aussagen über Arten gemacht. Wie soll das zusammen-
gehen?
Man könnte einfach von einer systematischen Mehrdeutigkeit der Kopula
ausgehen, die Instanz-von-Relation zwischen einem Objekt und einer Art als
eine der Kopulabedeutungen ansehen und dann annehmen, dass die spezifische
Kopula in (21a) eben gerade diese Bedeutung aktualisiert (vgl. die Diskussion
in Dölling 1997). Eine solche Analyse kann jedoch Sätze wie (21b) nicht er-
fassen5. Abgesehen davon möchte ich an der Idee festhalten, dass das Prädikat
ist ein Hund – also inklusive der Kopula – ein Artprädikat ist. Denn nur dann
kann es eine einheitliche Semantik für die formal identischen Prädikate in (20c)
und (21a) geben, was aus theoretischer Sicht zweifellos wünschenswert ist. Ich
muss also einen anderen Weg einschlagen und bin zu der scheinbar zweifelhaf-
ten Annahme gezwungen, dass der Eigenname sich in geheimnisvoller Weise
auf eine Art bezieht, der das (Art-)Prädikat dann seine Eigenschaft zuweisen
kann.
Ich löse das beschriebene Problem der semantischen Komposition von Ob-
jekttermen mit Artprädikaten dadurch, dass ich in Rechnung stelle, dass jede
Referenz auf ein Objekt automatisch mit der Referenz auf eine (oftmals) un-
terspezifizierte Art einhergeht. Wenn der Sprecher einen Objektterm benutzt,
um die Aufmerksamkeit des Hörers auf ein bestimmtes Objekt zu lenken, und
wenn dieser Referenzakt gelingt, dann müssen Sprecher und Hörer das bezeich-
nete Objekt in irgendeiner Weise kategorisiert haben. Man kann sich nicht auf
5 Ebensowenig generische Sätze wie Fido bellt, die ich, um es vorwegzunehmen, auch
als Artprädikationen analysieren werde (vgl. Abschnitt 6).
6.6. KEIN ARTBEZUG OHNE OBJEKTBEZUG 106
ein Objekt beziehen ohne eine bestimmte Perspektive auf dieses Objekt einzu-
nehmen, d.h. ohne es zu kategorisieren (Tomasello 1999:118). D ölling (1992)
formuliert das so:
Arten [scheinen] in konzeptueller und damit in ontologischer Hinsicht
das Primat gegenüber ihren Realisierungen zu haben. Denn offensicht-
lich setzt die kognitive Identifizierung eines gewöhnlichen Objekts
stets einen Rückgriff auf die betreffende Art voraus, während eine
Aussage über letztere möglich ist, ohne daß man sich dabei zugleich
auf Instanzen der Exemplare dieser Art bezieht. (Dölling 1992:31; ei-
gene Hervorhebung)
Folglich ist der Bezug eines Eigennamens auf eine Art in keinster Weise
geheimnisvoll, sondern vielmehr eine Selbstverständlichkeit (“offensichtlich”),
die direkt aus den (nichtlinguistischen) Hintergrundannahmen folgt, die meiner
Analyse zugrundliegen (vgl. Kapitel 2) und jeder Analyse zugrundeliegen soll-
ten. Ich fasse die in dieser Arbeit vorausgesetzten Hintergrundannahmen hier
noch einmal in aller Kürze zusammen:
Der Mensch ist ein (mobiles) Objektindividuum in einer Welt voller ande-
rer Objekte. Um erfolgreich durch diese Objektwelt zu navigieren, muss der
Mensch u.a. die Fähigkeit besitzen, Objekte zu erkennen. Ein Objekt zu er-
kennen bedeutet trivialerweise, dass der Mensch eine Erscheinung als Objekt
erkennt. Und dies bedeutet nichts anderes als eine Erscheinung als Objekt zu
kategorisieren, was wiederum die Verfügbarkeit einer entsprechenden Katego-
rie, des Objektkonzepts, voraussetzt. Das heißt, jedes erkannte Objekt – ob man
ihm einen Namen gibt oder nicht – muss notwendigerweise die Instanz eines
sortalen Konzepts (=einer Art) sein, und sei es der allgemeinsten Art ‘Objekt’.
Die Art ‘Objekt’ ist die Oberart eines enormen konzeptuellen Systems von Ar-
ten (der Artdomäne), die der Mensch im Laufe seines Lebens als konzeptuelles
Wissen akkumuliert, um die Objektwelt, in der er real existiert, zu sortieren.
Sprachlich, so stellt sich heraus, kann der Mensch sich entweder auf die kon-
kreten Objekte der realen Welt (inklusive sich selbst) beziehen oder aber auf die
abstrakten Konzepte (Arten), mittels derer er die Objektwelt sortiert.
Akzeptiert man dieses Bild als Tatsache, so verpflichtet man sich zu einer be-
stimmten Annahme: Weil das Wissen um eine Art Voraussetzung für das Wissen
um ein Objekt ist, muss sprachlicher Objektbezug immer automatisch mit Art-
bezug einhergehen. Diesen Umstand diskutiere ich unter dem Namen “duale
Referenz”. Ich vertrete damit eine sog. sortalistische Position (vgl. Blok, New-
man & Rips 2005).
Vor dem Hintergrund der dualen Referenz von Objekttermen löst sich der
Widerspruch auf, mit dem meine Analyse der Sätze (21) scheinbar konfrontiert
ist. Die Subjekt-NPn dieser Sätze sind objektreferierende Ausdrücke. Sie bezie-
6.6. KEIN ARTBEZUG OHNE OBJEKTBEZUG 107
hen sich jeweils auf ein reales Objekt, in diesem Fall stets auf dasselbe, nämlich
Fido. Aber, weil gemäß dem Prinzip der dualen Referenz jeder Objektbezug
mit Artbezug einhergehen muss, beziehen sich diese Subjekt-NPn gleichzeitig
jeweils auch auf eine Art, nämlich auf diejenige Art, als die das bezeichnete
Objekt in der jeweiligen Äußerungssituation kategorisiert (perspektiviert) wird.
Dies ist im allgemeinstmöglichen Fall die Art ‘Objekt’, Welt- und/oder Kontext-
wissen kann diese “zugrundeliegende Art” (Macnamara et al. 1994) jedoch spe-
zifischer machen (in Bezug auf Fido z.B. ‘Hund’ oder ‘Nachbarshund’). Diese
doppelte Referenz – zum einen auf das Objekt, zum anderen auf die zugrun-
deliegende Art – bringt es nun mit sich, dass in (21a) zwar ein Objekt, Fido,
zum Redegegenstand gemacht wird, sich die Prädikation aber nichtsdestotrotz
auf eine Art beziehen kann.
Die berechtigte Frage ist nun: welche Art genau liegt dem Objektreferenten
des Eigennamens in (21a) zugrunde? Nähern wir uns der Beantwortung dieser
Frage dadurch, dass wir uns nochmals vor Augen f ühren, was der Satz zum Aus-
druck bringt, nämlich dass Fido eine Objektinstanz der Art ‘Hund’ ist. Was die
Artprädikation in (21a) leistet, so lautet mein Vorschlag, ist eine Spezifikation
der dem Objekt Fido zugrundeliegenden Art X auf die Art ‘Hund’. Mit ande-
ren Worten, der pragmatische Sinn einer solchen Äußerung besteht darin, die
Art, als deren Instanz ein Objekt (hier: Fido) dem Hörer bekannt ist, näher zu
spezifizieren, wobei “näher spezifizieren” die Ersetzung der Art X durch eine
Unterart von X bedeutet. Deswegen ist eine Äußerung von (21a) auch nur dann
informativ, wenn dem Hörer Fido bis zum Äußerungszeitpunkt lediglich als In-
dividuum, Tier oder Haustier (o.ä.) bekannt ist, nicht jedoch bereits als Hund
(und erst recht nicht, spezifischer, als Pudel oder Zwergpudel).
Es ist ohne weiteres möglich, den Analysevorschlag, den ich soeben f ür
ein nominales Prädikat wie ist ein Hund unterbreitet habe, auf adjektivische
Prädikate wie ist intelligent oder komplexe Prädikate wie hat vier Beine zu
übertragen. Das Prädikat ist ein Hund in (21a) wurde als Artprädikat betrachtet,
welches die dem Objektreferenten des Eigennamens Fido zugrundeliegende Art
für den Hörer spezifischer macht. Gehen wir von ‘Tier’ als die zugrundeliegen-
de Art aus, so ergibt sich für den Informationsstand des Hörers: aus “Fido als
Tier” wird durch die mit (21a) gelieferte Neuinformation “Fido als Hund”. Das-
selbe lässt sich nun für die Prädikate in (21b) und (21c) sagen. Auch hier wird
die zugrundeliegende Art durch die jeweilige Prädikation näher spezifiziert: aus
“Fido als Tier” wird “Fido als intelligentes Tier” bzw. “Fido als Tier, das vier
Beine hat”. Das heißt, auch mit adjektivischen oder komplexen Prädikaten zielt
der Sprecher in diesen Fällen darauf ab, innerhalb des konzeptuellen Wissens
des Hörers die Ersetzung der einem bekannten Objekt zugrundeliegenden Art
X durch eine Unterart von X zu bewirken – schließlich sind ‘intelligentes Tier’
und ‘Tier, das vier Beine hat’ Unterarten der Art ‘Tier’.
6.7. CARLSONSCHE STADIENPRÄDIKATE 108