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Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung – die Standardtheorie der Generizität 5


1.1 Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
1.2 Regeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
1.3 Die Standardtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
1.4 Prädikatsgenerizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
1.5 Nominale Generizität I: die Standardtheorie . . . . . . . . . . . 15
1.6 Nominale Generizität II: der 2-Domänen Ansatz . . . . . . . . . 18

2 Arten als sortale Konzepte – die kognitionspsychologische Perspek-


tive 21
2.1 Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
2.2 Dinge in der Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
2.3 Kategorisierung und Individuierung . . . . . . . . . . . . . . . 24
2.4 Artbasierte Objektindividuierung . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
2.5 Sprachlicher Input als Auslöser? . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
2.6 Entwicklungsphasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
2.7 Arten als sortale Konzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
2.8 Wie Arten existieren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

3 Arten als ontologische Primitiva – die semantische Perspektive 41


3.1 Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
3.2 Artreferenz und Objektreferenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
3.3 Arten als taxonomische Kategorien . . . . . . . . . . . . . . . . 46
3.4 Arten und Konzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48
3.5 Arten und Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
3.6 Chierchia’s (1998) Artbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
3.7 Lexikalische und formale Semantik . . . . . . . . . . . . . . . 57

4 Raumzeitliche Lokalisierung – Type-Token Theorien der Generi-


zität 59
4.1 Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
INHALTSVERZEICHNIS 2

4.2 Drei-Klassen-Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
4.3 Zwei-Klassen-Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
4.4 Zum Begriff der Referentialität . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
4.5 Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70

5 Indefinite Artreferenz – das Problem mit dem Kürbiscrusher 73


5.1 Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73
5.2 Unterartreferenz und der Kürbiscrusher . . . . . . . . . . . . . 73
5.3 Indefinite NPn in Carlsonschen Objektprädikationen . . . . . . 75
5.4 Indefinite NPn in Carlsonschen Artprädikationen . . . . . . . . 77
5.5 Zwei Arten von Artprädikaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
5.6 Erfinden versus Aussterben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
5.7 Zur taxonomischen Lesart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
5.8 Wohletabliertheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87
5.9 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88

6 Lexikalische Prädikatsklassen – normale und Carlsonsche Art-


prädikate 91
6.1 Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
6.2 Prädikatsklassen in der Standardtheorie . . . . . . . . . . . . . 92
6.3 Im Lexikon stehen nur generische Prädikate . . . . . . . . . . . 94
6.4 Die Stellvertreter-Lesart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96
6.5 Kategorisierende Aussagen als Stellvertreter-Interpretationen . . 100
6.6 Kein Artbezug ohne Objektbezug . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
6.7 Carlsonsche Stadienprädikate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
6.8 Raumzeitliche Lokalisierbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 112
6.9 Die lexikalische Besonderheit Carlsonscher Artprädikate . . . . 114
6.10 Carlsonsche Artprädikate als Existenzprädikate . . . . . . . . . 118
6.11 Generische indefinite NPn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
6.12 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121

7 Overte und koverte Artikel – die Semantik von NPn im Rahmen


einer artbasierten DRT 123
7.1 Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
7.2 Die Rolle overter Artikel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124
7.3 Bildung komplexer Prädikate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130
7.4 Interne und externe Modifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
7.5 Attributive Adjektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136
7.6 Die Funktion einer NP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140
7.7 Der Nullartikel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142
7.8 Raumzeitliche Lokalisierung und frühstmögliche Anwendung . 144
INHALTSVERZEICHNIS 3

7.9 Existentiell interpretierte Bare plural NPn . . . . . . . . . . . . 147


7.10 Der Beitrag token-restringierender Modifikatoren . . . . . . . . 149
7.11 Chierchia’s und Krifka’s Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . 152
7.12 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155

8 Generic and episodic copular sentences – kinds, objects and the se-
mantics of the copular verb 159
8.1 Overview . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
8.2 Referential and non-referential noun phrases . . . . . . . . . . . 160
8.3 Two meanings for the copular but only one lexical entry . . . . . 162
8.4 Geist on Russian identity sentences . . . . . . . . . . . . . . . . 165
8.5 The copular verb as a predicate maker . . . . . . . . . . . . . . 167
8.6 Nouns denote at two different ontological levels . . . . . . . . . 169
8.7 Examples of object-referring and kind-referring NPs . . . . . . 171
8.8 Kind-level predications and the Moby Dick problem . . . . . . 173
8.9 Predicational sentences . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180
8.10 Identificational sentences . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187
8.11 Specificational sentences . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189
8.12 Identity sentences . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198
8.13 Conclusions . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204

9 Generic and episodic copular sentences – two copular constructions


in Modern Hebrew 207
9.1 Overview . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207
9.2 The general situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208
9.3 The distribution of the two constructions . . . . . . . . . . . . . 210
9.4 Greenberg’s (2002) analysis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214
9.5 The problem of kind-level predicates . . . . . . . . . . . . . . . 219
9.6 My alternative: a kind-based analysis . . . . . . . . . . . . . . . 224
9.7 Conclusions . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229
INHALTSVERZEICHNIS 4
Kapitel 1

Einleitung – die Standardtheorie der


Generizität

1.1 Überblick

Dieses Einleitungskapitel hat den Zweck, einen Überblick über die semanti-
sche(n) Theorie(n) zu geben, auf die ich mich im Rahmen dieser Arbeit als die
“Standardtheorie” der Generizität beziehe. In Auseinandersetzung mit diesen
semantischen Positionen werde ich in den darauf folgenden Kapiteln meine ei-
genen Thesen entwickeln und darstellen.
Als Einstieg in dieses Kapitel dient die offensichtliche Beobachtung, dass,
wenigstens in einem intuitiven Sinn, durch generische Aussagen Regeln zum
Ausdruck gebracht werden (Abschnitt 2). Es stellt bekanntlich eine großes Pro-
blem dar, die Wahrheitsbedingungen solcher Regeln zu formulieren (Abschnitt
3). Die Standardtheorie unterteilt den Phänomenbereich der Generizität in den
Bereich der Prädikatsgenerizität (Abschnitt 4) und in den Bereich der nomi-
nalen Generizität (Abschnitt 5). Bezüglich der nominalen Generizität hat sich
in jüngerer Zeit eine theoretische Position etabliert, die sich “2-way distincti-
on approach” (Zamparelli) nennt, was ich auf deutsch als “2-Domänen Ansatz”
vorstelle (Abschnitt 6).

1.2 Regeln

Nicht selten begegnen einem Sprichwörter wie die Folgenden. Man beachte
die verschiedenen Typen von Nominalphrasen, die in diesen Sätzen jeweils das
Subjekt bilden:
(1) a. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein.
b. Ein Indianer kennt keinen Schmerz.
c. Die Männer sind alle Verbrecher.
1.2. REGELN 6

d. Böse Menschen kennen keine Lieder.


Was bedeuten diese Sätze? Diese Sätze sind im allgemeinen Sprachge-
brauch, weil sie für die Sprecher (in diesem Fall des Deutschen) relevante Bot-
schaften ausdrücken. Offensichtlich jedoch erschließen sich ihre Botschaften
nicht dadurch, dass man die Satzstrukturen dekomponiert und aus den jeweili-
gen wortwörtlichen Teilbedeutungen die Wahrheitsbedingungen rekonstruiert.
Wenn Sätze wie unter (1) geäußert werden, dann normalerweise nicht, um ih-
re wörtliche Bedeutung zu kommunizieren. Mit (1a) soll nicht behauptet wer-
den, dass Menschen, die ausschließlich Brot essen, wegen Mangelernährung er-
kranken und bald versterben. (1b) besagt nicht, dass Indianer keine Schmerzen
empfinden können. Ebensowenig besagt (1c), dass alle Männer das Strafgesetz
überschritten haben. Und mit (1d) soll natürlich nicht gesagt werden, dass böse
Menschen über kein Liedgut verfügen. Um beurteilen zu können, ob ein Satz
wie in (1) wahr oder falsch ist, darf man ihn nicht wörtlich verstehen.
Unter welchen Bedingungen sind diese Sätze wahr? Intuitiv gesagt bringen
Sprichwörter wie die unter (1) Regeln zum Ausdruck. Ob die Sprecher des Deut-
schen die Sätze für wahr oder falsch halten hängt davon ab, ob sie die behaupte-
ten Regeln als gültige Regeln akzeptieren oder nicht. Die durch ein Sprichwort
ausgedrückte Regel erschließt sich nicht durch wortwörtliche Dekomposition.
Betrachten wir die Beispiele. Die durch (1a) ausgedrückte Regel besagt, dass
Menschen nicht nur materielle Bedürfnisse haben, sondern auch spirituelle. (1b)
besagt, dass Menschen, die keine Schmerzen zeigen, wenn sie welche erleiden,
tapfer sind. Die durch (1c) ausgedrückte Regel besagt, dass Männer von Natur
aus moralisch verwerflich sind. (1d) drückt die Regel aus, dass wer singt ein
guter Mensch sein muss. In der Notation von Cohen (2001) k önnten die Regeln,
d.i. die Bedeutungen der Sprichwörter, etwa wie folgt formuliert werden1:
(2) a. !(Mensch(x) ⇒ hat-spirituelle-Bedürfnisse(x))
b. !(unterdrückt-Schmerzen(x) ⇒ tapfer(x))
c. !(Mann(x) ⇒ unmoralisch(x))
d. !(singt(x) ⇒ gut(x))
Sprichwörter sind also Sätze, die Alltagsregeln zum Ausdruck bringen. So
wie ein physikalisches Gesetz wahr ist, wenn sich die Prozesse der physika-
lischen Welt an dieses Naturgesetz halten, so kann eine Alltagsregel dann als
wahr angesehen werden, wenn sich die Prozesse der Erfahrungswelt des Men-
schen an diese Regel halten und ihr nicht widersprechen. Im Gegensatz zur
physikalischen Welt ist die Welt der Alltagserfahrung des Menschen allerdings
1
Cohen unterscheidet potentielle Regeln, die er als Implikation formuliert, von akti-
ven Regeln. Das Ausrufezeichen symbolisiert einen Operator, der eine Implikation auf
eine aktive Regel abbildet.
1.2. REGELN 7

nicht objektiv messbar. Deswegen handelt es sich bei den Gesetzen, die die All-
tagswelt regeln, auch nicht um Naturgesetze, sondern um soziale Normen (vgl.
Cohen 2001:196). Dies ist auch der Grund, warum es Ereignisse geben kann,
die den Regeln der Alltagserfahrung widersprechen, ohne dass es sich dabei um
Wunder handeln muss2. Dass sie an der objektiven Welt nicht direkt überprüft
werden können, ist ferner der Grund dafür, dass Sätze, die Alltagsregeln aus-
drücken, ideologisch ge- bzw. missbraucht werden können.
Sprichwörter wie in (1) drücken also Regeln aus, nach denen sich (angeblich)
der Lauf der Alltagserfahrungswelt des Menschen richtet. Charakteristisch f ür
Sprichwörter ist, dass sich die bezeichnete Regel nicht kompositional aus den
Bedeutungen der syntaktischen Konstituenten des betreffenden Satzes ergibt. Es
sind jedoch nicht nur Sprichwörter, die Alltagsregeln kodieren. Auch Sätze, de-
ren Bedeutungen sich sehr wohl durch Dekomposition in wortw örtliche Teilbe-
deutungen rekonstruieren lassen, können Regeln zum Ausdruck bringen. Man
kann dabei grundsätzlich zwei Sorten von Regeln unterscheiden. Die erste Sorte
betrifft solche Regeln, die auf der Basis von tatsächlich beobachtetem Verhalten
induziert werden. Bei diesen Regeln handelt es sich also um statistische Gene-
ralisierungen:
(3) a. Der Koalabär ernährt sich von Eukalyptusblättern.
b. Ein Indianer reitet ohne Sattel.
c. Die guten Anwälte sind teuer.
d. Kinder singen gerne.
Beobachtet man die Lebensweise von Koalabären, so stellt man fest, dass sie
sich ausschließlich von den Blättern des Eukalyptusbaums ernähren. Beobach-
tet man, wie Indianer reiten, so stellt man fest, dass sie dabei in der Regel (sic!)
keinen Sattel benutzen. Überprüft man verschiedene Anwälte in Hinblick dar-
auf, wie erfolgreich sie ihren Beruf ausüben, so stellt man fest, dass auch dort,
wo es um Gerechtigkeit geht, Qualität ihren Preis hat. Beobachtet man das Ver-
halten von Kindern, so stellt man fest, dass auffallend viele Kinder gerne und
häufig singen. Was die Sätze unter (3) ausdrücken sind eben diese festgestellten
Generalisierungen:
(4) a. !(Koalabär(x) ⇒ ernährt-sich-von-Eukalyptus(x))
b. !(Indianer(x) ⇒ reitet-ohne-Sattel(x))
c. !(guter Anwalt(x) ⇒ teuer(x))
d. !(Kind(x) ⇒ singt-gerne(x))
2 Als“Wunder” bezeichne ich hier Ereignisse, die physikalischen Naturgesetzen
zuwiderlaufen.
1.2. REGELN 8

Die zweite Sorte von Regeln sind keine Regeln, die aus dem konkret be-
obachteten Verhalten von Dingen in der Welt abstrahiert werden. Stattdessen
handelt es sich um Regeln, die mit der Schaffung einer neuen Dingkategorie
(einer neuen Züchtung, einer neuen Erfindung, einer neuen fiktionalen Figur,
etc.) “in diese hineingelegt” werden. Die Regeln dieser zweiten Sorte konstitu-
ieren die neue Kategorie und folgen deswegen per definitionem aus dem Wesen
der betreffenden neuen Kategorie:
(5) a. Die 50-Liter-Kuh gibt 50 Liter Milch pro Tag.
b. Eine Meerjunggfrau ist eine Frau mit einem Fischschwanz.
c. Die guten Menschen kommen in den Himmel.
d. Läufer ziehen diagonal.
Als Paradebeispiel kann (5d) gelten (vgl. Carlson 1995, Cohen 2002). Die
beobachtbare Bewegung eines Läufers wird durch eine Regel des Schachspiels
definiert. Es ist diese Regel, die der Satz ausdrückt. Wenn bei statistischen Ge-
neralisierungen gilt “aus dem Verhalten folgt die Regel”, dann gilt bei Defini-
tionen “aus der Regel folgt das Verhalten”. Die durch (5a) ausgedrückte Regel
besagt, dass Milchkühe einer bestimmten neuen, unter ökonomischem Druck
gezüchteten Art in der Laktationszeit bis zu 50 Liter Milch pro Tag geben. Auf-
grund dieser Eigenschaft, die ja der Zweck der Züchtung war, wird diese Milch-
kuhart 50-Liter-Kuh oder auch Turbokuh genannt. Bei (5b) handelt es sich um
eine linguistische Definition. Meerjungfrau ist wie Schimmel oder Junggeselle
ein Nomen, dessen Referenzbereich man sich nicht durch Anschauung des Ver-
haltens von Individuen in der Welt erschließt, sondern dadurch, dass man die
durch (5b) ausgedrückte Regel lernt. Noch nie konnte beobachtet werden, wie
jemand in den Himmel kommt. Deswegen kann es sich auch bei der durch (5c)
ausgedrückten Regel um keine statistische Generalisierung handeln. Stattdessen
haben wir es hier mit einer Regel zu tun, die die christliche Lehre bereithält, um
im Weltbild ihrer Anhänger die Kategorien ‘guter Mensch’ und ‘böser Mensch’
zu etablieren.
(6) a. !(50-Liter-Kuh(x) ⇒ gibt-50-Liter-pro-Tag(x))
b. !(Meerjungfrau(x) ⇒ Frau(x) & hat-Fischwanz(x))
c. !(guter Mensch(x) ⇒ kommt-in-den-Himmel(x))
d. !(Läufer(x) ⇒ zieht-diagonal(x))
Die Beispiele unter (3) bzw. (5) illustrieren zwei verschiedene Sorten von Re-
geln. Während es sich bei den Regeln in (4) um statistische Generalisierungen
handelt, handelt es sich bei den Regeln in (6) um Definitionen. Der Vorschlag,
den ich in dieser Arbeit machen möchte, ist nun folgender:
1.3. DIE STANDARDTHEORIE 9

Es ist für linguistische Fragestellungen irrelevant, ob eine Regel per


statistischer Generalisierung induziert wird oder ob sie als Definiti-
on postuliert wird. Linguistisch relevant ist lediglich, dass es Sätze
gibt, generische Sätze nämlich, die Regeln (dieser oder jener Sorte)
ausdrücken. Ich werde dafür argumentieren, eine Regel als eine Art-
prädikation aufzufassen.
Meine Sichtweise steht in gewissem Widerspruch zu dem, was man als
die gegenwärtige Standardauffassung der Generizitätsforschung nennen könnte.
Deswegen werde ich in dem verbleibenden Teil dieser Einleitung zunächst ein-
mal die Standardauffassung darstellen, bevor ich dann in den folgenden Kapi-
teln erläutere, was ich unter “Arten” verstehe und wie ich meinen Vorschlag,
Regeln als Artprädikationen zu betrachten, verstanden wissen will.

1.3 Die Standardtheorie

Die Grundidee der Wahrheitsbedingungssemantik lautet bekanntlich: Die Be-


deutung eines Satzes zu kennen heißt die Bedingungen zu kennen, unter de-
nen der Satz wahr ist. Kraft seiner Bedeutung diktiert jeder Satz demnach die
Umstände, unter denen er als wahr gilt. Ein kompetenter Sprecher beherrscht
das Regelsystem seiner Sprache so gut, dass er in der Lage ist, Sätze zu produ-
zieren, deren Wahrheitsbedingungen denen entsprechen, die er auch intendiert
hat. Wenn der Sprecher Sätze formt, dann komponiert er dabei, grob gesagt, aus
lexikalisch fixierten Wortbedeutungen Satzbedeutungen. Der kompetente Hörer
seinerseits beherrscht die Kunst, fertige Satzstrukturen semantisch zu dekompo-
nieren: er rekonstruiert Wahrheitsbedingungen dadurch, dass er die Satzstruktur
in ihre syntaktischen Teile zergliedert, sich die Bedeutungen dieser Teile aus
seinem lexikalischen Wissen erschließt und diese Bedeutungen dann nach Maß-
gabe ihrer syntaktischen Verknüpfung miteinander zur Satzbedeutung verrech-
net. Mit anderen Worten, die Fähigkeit des kompetenten Sprechers/Hörers zur
Komposition bzw. Dekomposition von Satzbedeutungen folgt dem sogenannten
“Fregeschen Kompositionalitätsprinzip” (hier in der Version von Krifka 2003):
The meaning of a complex expression is a function of the meanings of
its immediate syntactic parts and the way in which they are combined.
Doch generische Sätze stellen für die Wahrheitsbedingungssemantik ein no-
torisches Problem dar. Man betrachte die folgenden Sätze:
(7) a. Wellensittiche sind Papageienvögel.
b. Wellensittiche sind sprachbegabt.
c. Mein Wellensittich kann Englisch sprechen.
1.3. DIE STANDARDTHEORIE 10

d. Mein Nachbar kann Englisch sprechen.


Wenn man (7a) und (7b) vergleicht, stellt man fest, dass derselbe Ausdruck
Wellensittiche jeweils verschieden umfangreiche Mengen von Objekten deno-
tiert. In (7a) bezieht er sich auf ausnahmslos alle Wellensittiche, in (7b) hin-
gegen nur auf einen Teil, tatsächlich auf eine Minderheit aller Wellensitti-
che. Gleichzeitig sind beide Sätze wahr. Dass derselbe Ausdruck in so unter-
schiedlicher Weise denotiert, stellt eine der Voraussetzungen in Frage, auf de-
nen das Kompositionalitätsprinzips aufbaut. Einfach gesagt: damit die seman-
tische Komposition von Wortbedeutungen zu Satzbedeutungen vorhersagbaren
Bahnen folgen kann, müssen Wortbedeutungen über verschiedene syntaktische
Kontexte hinweg stabil sein. Offensichtlich beeinflusst jedoch der linguistische
Kontext in den Sätzen unter (7) die Interpretation des Ausdrucks: als Subjekt
des Prädikats sind Papageienvögel denotiert Wellensittiche anders als als Sub-
jekt des Prädikats sind sprachbegabt 3. Der Vergleich von (7c) und (7d) ergibt
etwas ganz Ähnliches. Wenn mein Wellensittich nur “Hallo” sagen kann, dann
freue ich mich und erzähle stolz, dass mein Wellensittich Englisch sprechen
kann. Wenn mein Nachbar auf Englisch nur “Hallo” sagen kann, dann sollte er
es aber besser gar nicht erst versuchen, sich auf eine Arbeitsstelle zu bewerben,
für die Englischkenntnisse Voraussetzung sind. Abstrahieren wir aus (7c) und
(7d) die Satzstruktur in (8):
(8) Er kann Englisch sprechen.
Wenn sich er auf einen Vogel bezieht, reicht die Fähigkeit, ein einziges eng-
lisches Wort auszusprechen aus, um den Satz (8) wahr zu machen 4 Wenn sich
er auf einen (erwachsenen) Menschen bezieht, reicht das nicht aus. Das zeigt,
auch hier beeinflusst der linguistische Kontext die Interpretation des Ausdrucks,
in diesem Fall des Prädikats. Abermals ist die kompositionale Semantik vor ein
Problem gestellt. Wie wird nun mit diesem Phänomen umgegangen?
Die Standardtheorie (Krifka et al. 1995) unterscheidet grundsätzlich zwei
Manifestationen von Generizität in natürlichen Sprachen:
3 Diese Beobachtung ist Carlson’s (1977) Hauptargument gegen eine Analyse von
Bare Plurals als Nominalphrasen mit einem koverten Quantifizierer G: “[I]n order to
know how to construe G, we must have knowledge of the particular predicate that is
being applied. No other quantifier in English behaves even remotely in a similar fashion”
(Carlson 1977:75).
4 Wem ein “Hallo” zu wenig ist, um einen Vogel als englischsprechenden Vogel anzu-
erkennen, der möge das Vokabular des Vogels in dem Beispiel entsprechend ergänzen.
Für das Argument ist nur entscheidend, dass wir unterschiedliche Maßstäbe dafür an-
legen, ob jemand Englisch sprechen kann oder nicht, je nachdem was dieser jemand
ist: ein Kind oder ein Erwachsener, ein Japaner oder ein Engländer, ein Vogel oder ein
Mensch.
1.4. PRÄDIKATSGENERIZITÄT 11

In the history both of philosophy of language and of linguistics, there


have been two quite distinct phenomena that have been referred to or
classified as ‘genericity’. The first is reference to a kind [. . . ] In this
usage a generic NP is an NP that does not refer to an “ordinary” in-
dividual or object, but instead refers to a kind [. . . ] The second phe-
nomenon commonly associated with genericity are propositions which
do not express specific episodes or isolated facts, but instead report a
kind of general property, that is, report a regularity which summarizes
groups of particular episodes or facts. (Krifka et al. 1995:2)
Katz & Zamparelli (2005) sprechen in diesem Zusammenhang von “nomi-
nal genericity” im Gegensatz zu “predicate genericity”. Die Subjekte in (7a)
und (7b) zeigen Fälle von nominaler Generizität, die Prädikate in (7c) und
(7d) zeigen Fälle von Prädikatsgenerizität. Während das Phänomen der nomi-
nalen Generizität also auf die ontologische Unterscheidung zwischen Arten und
“gewöhnlichen” Objekten zurückgeführt wird, macht die Standardtheorie im
Falle der Prädikatsgenerizität die Existenz eines koverten generischen Quan-
tors in der semantischen Struktur des betreffenden Prädikats für dessen generi-
sche Interpretation verantwortlich. Wenden wir uns zunächst dem Bereich der
Prädikatsgenerizität zu.

1.4 Prädikatsgenerizität

Nichtgenerische Prädikationen werden episodische Prädikationen genannt. (9)


zeigt einige englische Beispiele (nach Katz & Zamparelli 2005):
(9) a. Tweety is flying.
b. After he will have finished his dissertation, John will smoke a cigar.
c. A lion is eating raw meat.
d. John must smoke a pipe if he wants to play the role of Sherlock
Holmes.
Der Satz John must smoke a pipe in (9d) kann auch generisch verstanden
werden. In diesem Fall müsste John schon ein gewohnheitsmäßiger Pfeifen-
raucher sein, um die Rolle von Sherlock Holmes übernehmen zu können. Die
natürlichere Lesart ist aber die, nach der John lediglich auf der Bühne eine Pfei-
fe rauchen muss, um Sherlock Homes spielen zu können, also ohne dass er auch
selbst, d.h. außerhalb der Rolle, ein Pfeifenraucher sein muss. Dies illustriert,
dass episodische Prädikationen nicht auf indikative Kontexte beschränkt sind,
sondern prinzipiell auch in modalen (hier: deontisch-modalen) Kontexten auf-
treten können.
1.4. PRÄDIKATSGENERIZITÄT 12

Generische Prädikationen werden auch charakterisierende Prädikationen ge-


nannt. (10) zeigt Beispiele (eingebettet in einen epistemisch-modalen Kontext
wie in (10d) muss John must smoke a pipe generisch, d.h. als charakterisierende
Prädikation, verstanden werden):
(10) a. Birds fly.
b. John will smoke when he grows up.
c. A lion eats raw meat.
d. John must smoke a pipe given the type of ashes in the ash tray.
Innerhalb der charakterisierenden Sätze unterscheidet die Standardtheorie
wiederum zwei Sorten von Prädikationen. Die Beispiele in (10) exemplifizieren
sogenannte Gewohnheiten (“habituals”). Habituelle Prädikate in diesem Sinne
werden (fast) immer von einem Aktionsverb wie fly, eat, smoke etc. gebildet.
Hier ist die Annahme, dass das Verb kraft seiner lexikalischen Bedeutung par-
tikuläre Ereignisse denotiert, so dass es per Default zu einer episodischen In-
terpretation kommt. Unter besonderen Bedingungen jedoch, nämlich in generi-
schen Kontexten, kann dieser Default überschrieben werden. Dann erscheint ein
Generizitätsoperator in der semantischen Struktur des Prädikats und bindet das
Ereignisargument des Aktionsverbs, so dass das Pr ädikat nicht mehr episodisch,
sondern generisch interpretiert wird. Da das Auftreten des Generizitätsoperators
von keinerlei morphosyntaktischen Signalen begleitet wird, ist allein der Form
grundsätzlich nicht anzusehen, ob man es mit einem episodischen oder generi-
schen Prädikat zu tun hat.
Die zweite Sorte von charakterisierenden Prädikaten bilden sogenannte
lexikalisch-charakterisierende Prädikate. Katz & Zamparelli führen die folgen-
den Beispiele an:
(11) a. John knows French.
b. Fido is a dog.
c. Fido likes meat.
d. Dogs have four legs.
Auch diese Sätze berichten von einer Art allgemeiner Eigenschaft (“gene-
ral property”, vgl. das Zitat auf Seite 6), die den Subjektreferenten charakteri-
siert. Allerdings ist in diesen Fällen die Annahme unplausibel, dass die cha-
rakterisierende Interpretation durch eine Quantifikationsoperation über einer
einzelnen Episode zustandekommt. Was mit Aktionsverben funktioniert (die
Annahme einzelner Rauch-, Flieg- oder Ess-Ereignisse in der Ontologie ist
seit Davidson (1967) mehr oder weniger akzeptiert), ist für stative Verbalphra-
sen wie Französisch können, Hund sein, Fleisch mögen oder vier Beine ha-
ben problematisch. Was sollen wir uns z.B. unter einem einzelnen Französisch-
können-Ereignis vorstellen, dessen Habitualisierung uns zu der Bedeutung von
1.4. PRÄDIKATSGENERIZITÄT 13

Französisch können führt? Nicht zufällig gibt es kein Verb, dass auf solch ein
Ereignis referieren würde:
There is no episodic predicate which is morphologically related to
know French (this would be an episodic verb which denotes events and
which provides evidence that someone knows French), so the sentence
Italians know French is a lexical characterizing sentence. (Krifka et al.
1995:17)
Die Idee ist, dass im Falle lexikalisch-charakterisierender Sätze das Prädikat
von einem Verb (bzw. von einer Verbalphrase) gestellt wird, das seinem Argu-
ment in irgendeiner Weise automatisch eine charakterisierende Eigenschaft zu-
weist, so dass es nie zu einer episodischen Interpretation kommen kann. Chier-
chia (1995) hat sich diesbezüglich die raffinierte Analyse ausgedacht, wonach
die betreffenden stativen Prädikate kraft ihrer lexikalischen Bedeutung ein be-
stimmtes morphologisches Merkmal tragen, welches das Erscheinen des Gene-
rizitätsoperators in ihrer lokalen syntaktischen Umgebung erzwingt, so dass die
resultierenden Verbalphrasen immer nur generisch interpretiert werden können.
Fassen wir zusammen, wie die Standardtheorie das Phänomen der
Prädikatsgenerizität handhabt. Es wird davon ausgegangen, dass Prädikate im
“Normalfall” episodisch denotieren. Generisch interpretierte Prädikationen stel-
len Abweichungen vom Normalfall dar. Verantwortlich für die Abweichung
vom Normalfall ist immer die Anwesenheit eines Generizitätsoperators, zumeist
“GEN” genannt, in der semantischen Struktur. Allerdings gibt es für die Anwe-
senheit von GEN (zumindest im Englischen und Deutschen) keinerlei morpho-
syntaktische Evidenz. Als Quelle von GEN gilt entweder der Kontext (im Falle
von Aktionsverben) oder ein morphologisches Merkmal im Lexikoneintrag (im
Falle von stativen Prädikaten).
Wie wird durch die Annahme von GEN das Problem der Wahrheitsbedin-
gungen generischer Sätze gelöst? Die Antwort lautet: gar nicht. Wieviele engli-
sche Wörter oder Sätze müsste jemand sagen, damit wir ihm zubilligen würden,
dass er Englisch sprechen kann? Diese Frage wird nicht dadurch beantwortet,
dass man einen Generizitätsquantor postuliert. Sie wird erst dann beantwortet,
wenn man angibt, wie dieser Operator quantifiziert. Diese Information bleibt
die Standardtheorie jedoch schuldig, so dass generische Prädikationen für die
Wahrheitsbedingungssemantik nach wie vor ein ungelöstes Rätsel bleiben. Be-
trachten wir hierzu noch ein anderes, viel diskutiertes Beispiel:
(12) Fred raucht.
Der Satz soll generisch im Sinne von Fred ist ein Raucher (englisch: Fred
smokes) verstanden werden. Ich gehe davon aus, dass die generische Verbal-
phrase raucht und die Kopula-Prädikativ Konstruktion ist ein Raucher be-
deutungsidentisch sind. Was sind die Wahrheitsbedingungen von (12)? Wie
1.4. PRÄDIKATSGENERIZITÄT 14

oft muss Fred eine Zigarette rauchen, damit wir ihn als Raucher bezeichnen
würden? Einmal? Zehnmal? Jeden Tag einmal? Jeden Tag eine Schachtel?
Chierchia (1995) gibt die Wahrheitsbedingungen wie folgt an:
(13)  e [C(f,
GEN e) ] [ SMOKE(f, e) ]
    
Quantor Restriktor Nuklearer Skopus

Die Interpretation wird als dreigeteilte Quantifikationsstruktur aufgefasst.


Der Quantor ist der generische Quantor GEN, der über Ereignissen operiert,
und zwar über solchen Ereignissen, welche die im Restriktor angegebenen Be-
dingungen erfüllen. Die Struktur drückt aus, dass es sich immer dann, wenn
ein solches Ereignis vorliegt, um ein Rauchen-Ereignis mit Fred als Raucher
handeln muss. Letztere Information ist im Nuklearen Skopus notiert. Das Ge-
heimnisvolle sind die im Restriktor angegebenen Bedingungen, die sogenannten
Erfolgsbedingungen (“felicity conditions”) eines Ereignisses:
[W]e must bear in mind that each activity or state comes with a set
of “felicity” conditions. For example, in order for Fred to engage in
smoking, he must feel like it; that is, he must intend, or perhaps feel
compelled, to do it; he also must be in a place where there is enough
oxygen, he must not be asleep or disabled, and so on. So in evalua-
ting (12), we have to look at worlds similar to ours where the felicity
conditions for smoking are met. These felicity conditions are what pro-
vides a value for the variable C in the restriction. (12) is true iff in all
the worlds maximally similar to ours where the felicity conditions for
Fred’s smoking are met, he does smoke. (Chierchia 1995: 195; Num-
merierung angepasst)
Zwar haben die Wahrheitsbedingungen des Satzes jetzt eine Formalisierung
erhalten, wenn man jedoch ehrlich ist, muss man zugeben, dass damit kei-
ne besonders tiefgehenden Erkenntnisse verbunden sind. Was die Analyse be-
sagt ist: der charakterisierende Satz Fred raucht ist wahr genau dann, wenn
Fred immer dann raucht, wenn ihn nichts davon abhält – weder physikalische
Schranken noch die eigene Unlust. Das Interessante an einer charakterisieren-
den Prädikation ist aber damit überhaupt nicht erfasst. Ob ich Fred als Raucher
ansehe oder nicht, hängt davon ab, ob Fred mit seinem Verhalten die Bedin-
gungen erfüllt, die ein Mensch nach Maßgabe meiner Vorstellungen erfüllen
muss, um als Raucher zu gelten. Der Versuch, objektive Wahrheitsbedingun-
gen zu formulieren, ist sinnlos, weil es keine objektiven Kriterien für das Kon-
zept ‘Raucher’ gibt. Alles, was es gibt, sind konkrete reale Rauchen-Ereignisse
(Episoden) und Sprecher, die ihre Mitmenschen, abhängig davon, ob diese in
Rauchen-Ereignisse involviert sind oder nicht, in Raucher und Nichtraucher
einteilen. Wenn ein Sprecher zu dem Schluss gelangt, dass Fred ein Raucher
1.5. NOMINALE GENERIZIT ÄT I: DIE STANDARDTHEORIE 15

ist, dann hat das nichts damit zu tun, dass Fred eventuell manchmal keine Lust
hat zu rauchen oder dass er, wenn er schläft, nicht rauchen kann. Vielmehr hat
es was mit den subjektiven Kriterien des Sprechers zu tun und diese können
von Sprecher zu Sprecher variieren. Man stelle sich zwei Mütter vor, die ihre
Söhne (die beide Fred heißen) zufällig beim Rauchen erwischen. Für die ei-
ne bricht möglicherweise eine Welt zusammen, weil sie auf der Basis von nur
einem Rauchen-Ereignis das generalisierende Urteil fällt, dass ihr Fred ein Rau-
cher ist. Die andere weiß, dass das fast jeder Jugendliche mal ausprobieren will.
Sie schließt aus der beobachteten Episode nicht, dass ihr Fred ein Raucher wäre.
Mit anderen Worten, die Schwierigkeit, die die Wahrheitsbedingungsseman-
tik mit generischen Prädikationen hat, liegt darin begründet, dass sie sprachliche
Bedeutungen in reale Bedingungen übersetzen will, dass aber die Bedeutungen
generischer Ausdrücke gerade Abstraktionen von konkreten realen Bedingun-
gen sind.

1.5 Nominale Generizität I: die Standardtheorie

Im Bereich der nominalen Generizität verfolgt die Standardtheorie (Krifka et


al. 1995) einen gänzlich anderen Weg, um die Besonderheiten generischer Aus-
drücke zu erklären. Während eine generische Prädikation, wie gesehen, als
quantifizierende Struktur betrachtet wird, die einfach gesagt dadurch entsteht,
dass zusätzlich zu dem an sich nicht-generischen Ausdruck (dem Verb) ein Ge-
nerizitätsoperator erscheint, wird die Generizität einer Nominalphrase so er-
klärt, dass die betreffende Nominalphrase nicht auf ein gewöhnliches Objekt,
sondern auf eine Art referiert. Mit anderen Worten, nominale Generizität wird
auf einen ontologischen Unterschied zurückgeführt. Was ist das für ein Unter-
schied zwischen “gewöhnlichen” und “ungewöhnlichen” Entitäten? Um das zu
sehen, betrachte man Beispiel (14). Auf die Frage (14a) gibt der Berliner My-
kologe Dr. Ewald Gerhardt in einem Interview5 die sehr präzise Antwort (14b):
(14) a. Gibt es denn viele giftige Pilze?
b. Artenmäßig nicht, wir haben vielleicht zehn bis zwölf wirklich
tödlich giftige Pilzarten, aber die können individuenmäßig in einem
Wald häufig vorkommen.
Dr. Gerhardt hat bemerkt, dass die ihm gestellte Frage zweideutig ist, und be-
antwortet kurzerhand beide Lesarten. Man kann die Frage nach der Anzahl der
Entitäten der Kategorie ‘giftiger Pilz’ nämlich entweder “artenmäßig” oder “in-
dividuenmäßig” verstehen. Dr. Gerhardt erklärt, dass es relativ wenige giftige
Pilzarten gibt (gemessen an der Menge der bekannten Pilzarten), aber mitunter
5 Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 6. Nov. 2005, Nr. 44, S.16.
1.5. NOMINALE GENERIZIT ÄT I: DIE STANDARDTHEORIE 16

relativ viele giftige Pilzindividuen (gemessen an der Menge der Pilzindividuen


in einem Wald). Was der Pilzforscher verstanden hat, haben auch die Sprach-
wissenschaftler verstanden: Nominalphrasen können ihr Denotat grundsätzlich
sowohl in der Domäne der Objektindividuen, als auch in der Domäne der Arten
bestimmen. Wie man sich Artreferenz im Gegensatz zu Objektreferenz aller-
dings vorzustellen hat, darüber gehen die Meinungen auseinander. Als “Stan-
dardtheorie” werde ich hier weiterhin die Position von Krifka et al. (1995) dar-
stellen.
Die Standardtheorie folgt Carlson (1977) in der Annahme, dass es bestimm-
te Prädikate gibt, die Arten syntaktisch selegieren und diesen semantisch eine
Eigenschaft zuweisen. Das Paradebeispiel für ein solches Carlsonsches Art-
prädikat ist wohl das Verb aussterben. Eine wichtige Beobachtung, auf der
standardtheoretische Generalisierungen aufbauen, ist, dass definite und indefi-
nite Singular NPn im Argumentslot von aussterben unterschiedlich interpretiert
werden:
(15) a. Der Neandertaler ist ausgestorben.
b. Ein Neandertaler ist ausgestorben.
c. The dodo became extinct in the 17th century. [Krifka 2001]
d. A dodo became extinct in the 17th century.
Während mit (15a) eine Aussage über die Art ‘Neandertaler’ an sich gemacht
wird, muss (15b) offenbar so verstanden werden, dass eine Unterart der Art
‘Neandertaler’ ausgestorben ist. Dasselbe kann für das englische Beispielpaar
(15c) versus (15d) beobachtet werden. Aus diesem Unterschied leitet die Stan-
dardtheorie eine grundsätzliche Einteilung in zwei Klassen von artreferierenden
Nominalphrasen ab. Bezieht sich die NP auf die Art-an-sich, so hat man es mit
nicht-taxonomischer Artreferenz zu tun; bezieht sich die NP auf eine Unterart,
so hat man es mit taxonomischer Artreferenz zu tun. Im Englischen k önnen
nicht-taxonomisch referierende Artterme von definiten Singular-NPn oder von
Bare Plural-NPn gebildet werden (16), außerdem von Bare Singular Masseno-
men und Artnamen wie etwa homo sapiens. Als taxonomisch referierende Art-
terme treten hingegen indefinite Singular NPn, modifizierte definite Singular
NPn und Syntagmen aus Numeral plus Nomen, Demonstrativum plus Nomen
oder Quantor plus Nomen auf (17). Krifka et al. (1995) illustrieren dies anhand
der folgenden Beispiele:
(16) a. The panda will become extinct soon.
b. Pandas will become extinct soon.
(17) a. The dolphin is a whale.
b. The whale which was most recently put under protection is the
blue whale.
1.5. NOMINALE GENERIZIT ÄT I: DIE STANDARDTHEORIE 17

c. Two whales, namely the blue whale and the fin whale, were put
under protection.
d. This whale, namely the blue whale, is nearly extinct.
e. Every whale (from the pygmy whale to the blue whale) is protected
by law.
Für die Standardtheorie stellt diese Verteilung der Formen auf die Funktionen
die englische Variante eines übereinzelsprachlichen Prinzips dar; abhängig von
ihren jeweiligen grammatischen Regeln bilden andere Sprachen andere Muster.
Worin dieses Prinzip besteht beschreibt Krifka (2001) wie folgt. Man beachte,
dass auch hier wieder, wie im Bereich der Prädikatsgenerizität, die nichtgeneri-
sche Verwendung eines Ausdrucks als primär (“basically”) angesehen wird:
[T]ypically, natural languages use expressions that basically apply to
specimens of a kind (common nouns, also called appellativa) also to
refer to the kind itself. [. . . ] Also, natural languages use expressions
that basically apply to specimens of a kind to refer to subkinds. This
re-use of common nouns appears to be widespread in human languages.
But the specific ways how languages make use of common nouns to re-
fer to kinds (or subkinds) depend on general features of their grammar,
and can vary considerably. (Krifka 2001:1-2)
Ein zum Zwecke der Artreferenz benutztes Nomen ist nach Krifka’s Mei-
nung also so was wie ein recyceltes Nomen: eigentlich dem Zweck der Ob-
jektreferenz dienend, können Nomen, wenn sie schon mal da sind, auch als
Mittel zur Artreferenz “wiederbenutzt” (re-use) werden. Natürlich sind es nicht
Nomen, sondern Nominalphrasen, die als referierende Ausdr ücke benutzt wer-
den. Nominalphrasen zeichnen sich durch eine mehr oder weniger komplexe
morphosyntaktische Struktur aus, welche durch die grammatischen Regeln ei-
ner gegebenen Sprache bestimmt ist. Nach Krifka’s Vorstellung ist es nun so,
dass sich die grammatische Form einer Nominalphrase, d.h. die morphosyntak-
tischen Markierungen, die ein Nomen “begleiten”, zu ihrem eigentlichen Zweck
der Objektreferenz herausgebildet haben. Dieser Umstand, dass die Form ei-
ner Nominalphrase einerseits an den Bedingungen der Objektdenotation aus-
gerichtet ist, andererseits jedoch – quasi zweckentfremdet – auch artbezogen
verwendet werden kann, führt dazu, dass sich bestimmte morphosyntaktische
NP-Typen mit bestimmten artreferentiellen Funktionen nicht vertragen. So ist
z.B. die Referenz auf die Art ‘Neandertaler’ mittels der indefiniten NP ein Ne-
andertaler ausgeschlossen und es muss auf eine andere Interpretation, n ämlich
auf die taxonomische Interpretation, ausgewichen werden. Um auf die Art ‘Ne-
andertaler’ zu referieren bleiben nur die definite Singular-NP der Neandertaler
und die Bare Plural-NP Neandertaler.
1.6. NOMINALE GENERIZIT ÄT II: DER 2-DOMÄNEN ANSATZ 18

1.6 Nominale Generizität II: der 2-Domänen Ansatz

In jüngerer Zeit wurden vereinzelt Zweifel an diesem Bild laut. Speziell Zampa-
relli (1998) und Dayal (2004) treten für eine “Emanzipierung” der Artdomäne
ein. Ihre Idee ist, dass Nomen grunds ätzlich entweder Mengen von Objekten
oder Mengen von Arten denotieren können. Objektbezug wird nicht länger als
primär betrachtet. Stattdessen stehen die Artdomäne und die Objektdomäne
gleichberechtigt als mögliche semantische Bezugsdomänen für ein Nomen be-
reit. Der Vorteil dieser Sichtweise ist, dass so eine einheitliche semantische Ana-
lyse des definiten Artikels im Englischen möglich wird. Die Standardtheorie ist
gezwungen, eine “normale”, objektbezogene Verwendung des definiten Artikels
von einer “besonderen”, artbezogenen Verwendung zu unterscheiden. Neben
dem normalen definiten Artikel, dessen Bedeutung darin besteht, eine Menge
von Objekten auf ein Element dieser Menge, nämlich das maximale Element,
abzubilden, muss ein homomorpher generischer Artikel angenommen werden 6 .
In Zamparelli’s und Dayal’s System gibt es dagegen nur einen definiten Artikel,
dessen Bedeutung darin besteht, eine Menge von Entitäten – seien es Objek-
te oder Arten – auf ihr maximales Element abzubilden. Eine solche Analyse
setzt voraus, dass ein jedes Nomen das semantische Potential hat, entweder ei-
ne Menge von Objekten oder eine Menge von Arten zu charakterisieren.
Welche Artenmenge denotiert nun ein Nomen? Katz & Zamparelli (2005)
schlagen vor, von den folgenden zwei Annahmen auszugehen:
(i) Nouns can denote (more or less salient) sets of subkinds.
(ii) The set of subkinds includes the superkind.
Akzeptiert man diese Annahmen, dann kann die semantische Komposition
einer generisch verwendeten definiten Singular-NP so verstanden werden, dass
der definite Artikel die durch das Nomen charakterisierte Menge der Unterarten
(die ja die Superart enthält) auf ihr maximales Element, die Superart, abbildet.
Im Ergebnis steht eine definite Nominalphrase, die sich im Einklang mit den
Tatsachen auf die Art-an-sich bezieht:
(18) a. [[tiger]] = {‘tiger’, ‘Caspian tiger’, ‘Sumatra tiger’, ‘Bengali tiger’,
‘Amur tiger’, . . . }
b. [[the tiger]] = ‘tiger’
Diese Analyse erfasst die artreferierenden Verwendungen der Nominalphrase
the tiger in Beispielen wie den folgenden:
6
Einer unter Syntaktikern verbreiteten Meinung nach verfügt der generische defini-
te Artikel über keine eigene lexikalische Bedeutung, sondern fungiert als syntaktisches
Explitivum (vgl. Vergnaud & Zubizarreta 1992; Longobardi 1994).
1.6. NOMINALE GENERIZIT ÄT II: DER 2-DOMÄNEN ANSATZ 19

(19) a. The tiger is a tiger.


b. *The tiger is a subkind of tiger.
c. The tiger is a (subkind of) mammal.
d. The tiger is nearly extinct.
Darüber hinaus ist diese semantische Analyse ohne Schwierigkeiten auch auf
definite Plural-NPn anwendbar. Man muss lediglich das Pluralmorphem als syn-
taktische Manifestation eines Operators auffassen, der eine Menge von Singu-
laritäten (hier: Subarten) auf eine Menge von Pluralitäten abbildet (vgl. z.B.
Chierchia 1998). Als maximales Element einer durch ein Pluralnomen charak-
terisierten Menge kann dann plausiblerweise die maximale Pluralität, d.i. dieje-
nige, die die meisten Singularitäten umfasst, gelten. Diese Pluralität von Subar-
ten stellt dann den Referenten einer Nominalphrase wie der Subjekt-NP in (20)
dar:
(20) The tigers belong to the cat family.
Der von Zamparelli und Dayal vertretene “2-way distinction approach”
(Zamparelli 2002) erlaubt eine kompositionale Analyse, bei der der semantische
Beitrag des definiten Artikels stets ein- und derselbe ist, unabhängig davon, ob
die definite NP objektbezogen oder generisch interpretiert wird. Weil “2-way
distinction approach” etwas umständlich klingt, spreche ich im Folgenden vom
“2-Domänen Ansatz”. Dayal beschreibt diesen Ansatz so:
The proposal I make in connection to the definite singular generic is
that there is nothing special about the determiner. It is the common
noun that has two possible denotations, one in the object domain, the
other in the taxonomic domain. (Dayal 2004:396)
Wenn man Referenz auf die Art-an-sich als Referenz auf die Oberart einer
durch das Nomen charakterisierten Artenmenge modelliert, wird die von Krif-
ka et al. (1995) getroffene Unterscheidung zwischen nicht-taxonomischer und
taxonomischer Artreferenz hinfällig. Jede Artreferenz ist taxonomische Refe-
renz; Referenz auf die Art-an-sich stellt lediglich einen Spezialfall dar. Dies
ist der Grund, weshalb Dayal von der Artdomäne auch als der “taxonomischen
Domäne” spricht. Dayals Vorschlag geht noch weiter als der Zamparelli’s. Sie
möchte nicht nur den definiten Artikel, sondern gleich alle Determinierer im
Rahmen des 2-Domänen Ansatzes analysieren:
All determiners can combine with both meanings of the common noun.
In the first case they yield the familiar readings, in the second case
the taxonomic readings. The singular kind is simply an instance of a
taxonomic noun phrase. It is therefore to be expected that it can occur
1.6. NOMINALE GENERIZIT ÄT II: DER 2-DOMÄNEN ANSATZ 20

with definite as well as indefinite determiners in English, depending on


its status as a familiar or novel entity in the discourse. (Dayal 2004:396)
Dass jeder morphosyntaktische NP-Typ im Englischen eine artbezogene In-
terpretation erlaubt, illustriert Dayal mit den folgenden Beispielen:
(21) a. The whale is a mammal.
b. A lion roars.
c. The crustaceans evolved simultaneously.
d. Crustaceans can evolve simultaneously.
Dayal’s Erwartung, dass “singular kinds” (=Referenz auf die Art-an-sich) im
Englischen auch mit einer indefiniten NP möglich ist, steht im Widerspruch zu
der Meinung der Standardtheorie, die sich durch solche Daten wie (15b) oder
(15d) begründet. Dayal bleibt die Antwort schuldig, warum in (15b) und (15d)
der Bezug auf die Art ‘Neandertaler’ bzw. ‘Dodo’ mittels einer indefiniten NP
ausgeschlossen ist. Die Standardtheorie läßt sich zudem durch ein Beispiel wie
(21b) nicht überzeugen, weil sie das Subjekt a lion in diesem Fall als Objektterm
im Skopus eines Generizitätsquantors ansieht. Dieser Themenkomplex wird im
Detail in Kapitel 5 wiederaufgenommen.
Kapitel 2

Arten als sortale Konzepte – die


kognitionspsychologische Perspektive

2.1 Überblick

Die Möglichkeit einer generischen Verwendung sprachlicher Ausdrücke, insbe-


sondere nominaler Ausdrücke, wird in bestehenden Semantiktheorien dadurch
erklärt, dass man außer von konkreten Entitäten auch von abstrakten Entitäten,
Arten, als möglichen Referenten sprachlicher Ausdrücke ausgeht (vgl. Kapitel
1). Ich plädiere in dieser Arbeit dafür, Arten als sortale Konzepte aufzufassen.
Diese Position zu motivieren dient das vorliegende Kapitel. Darin berichte ich
aus der aktuellen kognitionspsychologischen Forschung, um darauf hinzuwei-
sen, wie und zu welchem Zweck Arten als sortale Konzepte entstehen – nämlich
gewissermaßen als “mentaler Katalog”, um die real existierenden Objekte zu
kategorisieren und zu individuieren (Abschnitte 3 bis 7). Arten als mentale,
d.h. nicht raumzeitlich lokalisierte Entitäten “existieren” folglich in einer ande-
ren Weise als reale, raumzeitliche Objektentitäten existieren. Objekte existieren
raumzeitlich, sortale Konzepte jedoch existieren nicht in Raum und Zeit. Inter-
essanterweise ist die Bedeutung des natürlichsprachlichen Prädikats existieren
auf raumzeitliches Existieren beschränkt. So versteht es sich, dass Objekte in
diesem allgemeinsprachlichen Sinne existieren können (ich, zum Beispiel, exi-
stiere). Was aber heißt es, wenn gesagt wird, eine Art existiere? Die Beantwor-
tung dieser Frage bildet den Rahmen dieses Kapitels (Abschnitte 2 und 8).

2.2 Dinge in der Welt

Der Zweck sprachlicher Äußerungen liegt in der Kommunikation von Sachver-


halten. Das jedenfalls ist eine Annahme, von der ich in der vorliegenden Arbeit
ausgehe. Der Sprecher formuliert einen Satz in der Absicht, den Hörer über
2.2. DINGE IN DER WELT 22

eine bestimmte, berichtenswerte Konstellation der Dinge in der Welt zu infor-


mieren1. Wenn die Bedeutung eines Satzes eine Konstellation von Dingen bein-
haltet, dann muss sich die Satzbedeutung aus zwei semantischen Komponenten
zusammensetzen. Die erste Komponente liefert die Information über ein Ding
(oder mehrere Dinge), die zweite Komponente liefert die Information darüber,
in welcher Konstellation dieses Ding (oder diese Dinge) zu anderen Dingen
in der Welt stehen. Die erste Komponente informiert über den Redegegenstand
(auch Topik genannt). Die zweite Komponente informiert über eine Eigenschaft.
Mit der Wahl der Eigenschaft behauptet der Sprecher, dass der Redegegenstand
diese Eigenschaft nach Maßgabe der Welt trägt. Auf der Seite der sprachlichen
Struktur ergibt sich daraus die Aristotelische Auffassung, wonach ein Aussa-
gesatz stets aus mindestens zwei Konstituenten besteht: einem Ausdruck, der
den Redegegenstand symbolisiert und einem Ausdruck, der eine Eigenschaft
symbolisiert. Mit anderen Worten, Sätze sind durch eine Prädikat-Argument-
Struktur gekennzeichnet.
Ein mittels eines Satzes kommunizierter Sachverhalt besteht also zumindest
aus einem Ding und einer Eigenschaft, die dieses Ding trägt. Betrachtet man
nun konkrete Sätze, z.B. des Deutschen, so stellt man sehr bald einen seltsa-
men Kontrast fest: was formal gesehen ein und derselbe Argumentausdruck zu
sein scheint, bezieht sich in manchen Fällen auf ein reales, raumzeitlich lokali-
siertes Ding und in anderen Fällen auf ein abstraktes, nicht raumzeitlich loka-
lisiertes Ding. Sprechen wir im zweiten Fall provisorisch von Referenz auf das
“Ding-an-sich”, unabhängig von jeglicher konkreten situativen Einbettung. Die
Sätze unter (1) werden im Normalfall so verstanden, dass sie jeweils über einen
konkreten Hund bzw. einen konkreten Indianer berichten. Im Gegensatz dazu
werden die Sätze unter (2) im Normalfall so verstanden, dass sie sich auf den
Hund-an-sich bzw. den Indianer-an-sich beziehen.
(22) a. Der Hund gehört zur Familie Butenschön.
b. Ein Indianer reitet gerade durch die Prärie.
(23) a. Der Hund gehört zur Familie der Canidae.
b. Ein Indianer reitet ohne Sattel.
Innerhalb der gegenwärtigen Semantiktheorien nennt man raumzeitlich loka-
lisierte Dinge üblicherweise “Objekte”, während Dinge-an-sich ohne konkre-
ten Raum-Zeit-Bezug als “Arten” bezeichnet werden. So unterscheidet Krif-
1 Genauer muss es heißen: einen Deklarativsatz. Ich lasse Fragesätze (die der Spre-
cher formuliert um zu erreichen, dass der Hörer ihn über eine bestimmte ihm zumin-
dest nicht vollständig einsehbare Konstellation der Dinge in der Welt informiert) und
Imparativsätze (die der Sprecher formuliert, um den Hörer zu einer Manipulation der
Konstellation der Dinge in der Welt zu bewegen) außer Betracht.
2.2. DINGE IN DER WELT 23

ka (1995) beispielsweise terminologisch zwischen “realen Objekten” und “ab-


strakten Arten”. Eine Komplikation ergibt sich daraus, dass ausgerechnet der
Pionier der theoretisch-linguistischen Artforschung eine etwas andere Termino-
logie vertritt: für Carlson (1977) sind “Objekte” nicht raumzeitlich lokalisierte
Entitäten, sondern bilden zusammen mit den “Arten” die Domäne der abstrak-
ten “Individuen”. Diesen abstrakten “Individuen” stehen als raumzeitlich loka-
lisierte Entitäten die sogenannten “Stadien” gegenüber. Carlson’s Theorie wird
im Detail in Kapitel 2 diskutiert. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit folge ich
der Krifkaschen Terminologie.
Es ist eine unter Semantikern verbreitete Auffassung, dass der in (1) ver-
sus (2) beobachtete Kontrast darauf zurückzuführen ist, dass es grunds ätzlich
zwei Sorten von Dingen gibt, die ein Sprecher zum Redegegenstand seiner
Aussage machen kann, nämlich erstens Objekte und zweitens Arten. Diese Er-
klärungsstrategie besteht, mit anderen Worten, darin, den Bedeutungskontrast
durch einen ontologischen Kontrast zu erklären. Ich werde mich dieser Position
anschließen. Weit weniger Einvernehmen herrscht jedoch darüber, was für En-
titäten Arten im Gegensatz zu Objekten eigentlich sind. Was bedeutet es, wenn
behauptet wird, eine bestimmte Art würde in der Welt “existieren”?

(24) a. Das Schnabeltier existiert wirklich. Es lebt im Osten Australiens


und in Tasmanien, einer großen Insel s üdlich von Australien.
b. Loriots “Steinlaus” existiert tatsächlich - dies behauptet zumindest
ein deutscher Mikrobiologe.
c. Tim Davenport, ein Zoologe von der Wildlife Conservation Socie-
ty in Tansania, war sich nicht sicher, ob er den Erz ählungen von
den laut rufenden Affen trauen sollte, denn die einheimischen Jäger
kennen viele Geschichten von tierartigen Spukwesen. Doch dieser
Affe existierte tatsächlich. Die Forscher übernahmen den Namen,
den die Bewohner des Hochlandes im Süden Tansanias dem Tier
gegeben hatten, und nannten die Affenart “Lophocebus kipunji”.
d. Die Fünfzig-Cent-Münze existiert tatsächlich, ist aber so etwas
wie ein Phantom. Kein Automat nimmt sie und man kann sein gan-
zes Leben verbringen ohne je eine in der Tasche gehabt zu haben.

Was bedeutet es für eine Art zu existieren? Diese Frage ist keine genuin lin-
guistische Frage mehr. Ihre Beantwortung hat jedoch Konsequenzen f ür die Be-
wertung jeder artbasierten Theorie, die sich zum Ziel setzt, semantische Kon-
traste wie in (1) und (2) zu erklären. Deshalb ist es zweckmäßig, wenn ich an
dieser Stelle zumindest kurz darstelle, welchen Art- bzw. Objektbegriff ich mei-
ner Arbeit zugrunde lege.
2.3. KATEGORISIERUNG UND INDIVIDUIERUNG 24

2.3 Kategorisierung und Individuierung

Carlson beschreibt in seiner Dissertation folgende Situation:


You are on a picnic and have begun to eat. Out of the bushes pops a
ground squirrel, which you throw a scrap of food to. It eats and disap-
pears into the bushes. A few moments later, from another direction, a
ground squirrel pops out of the bushes. Since all ground squirrels look
pretty much alike (at least to me), there is no way of telling whether or
not this second appearance of a ground squirrel is another one, or the
same as before. In any event, you feed the second one (the first one?),
and it scambers off into the bushes. This process is repeated several
times, with only one ground squirrel appearing at a given time, and all
appearances seeming quite alike. At this point, you might become cu-
rious as to whether or not you have been witnessing appearances of the
same ground squirrel, or of several. (Carlson 1977:113)
“Erscheinungen” sind trivialerweise immer raumzeitlicher Natur: Wenn ei-
nem etwas erscheint, so stets eingebettet in die spezifische Situation (in den
spezifischen Raumzeitausschnitt), in der man sich gerade befindet. Dabei kann
es sich z.B. um ein Picknik an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten
Zeit handeln. Eine Erscheinung als ein Eichhörnchen zu erkennen resultiert
aus der kognitiven Leistung der (Objekt-) Kategorisierung. Handelt es sich bei
der Erscheinung tatsächlich um ein Eichhörnchen, so hat man erfolgreich, d.h.
in Übereinstimmung mit den Tatsachen, kategorisiert und ist nicht etwa einer
Täuschung aufgesessen. Eine Erscheinung zu kategorisieren bedeutet ein raum-
zeitliches Individuum als Instanz einer bestimmten Art zu identifizieren.
Eine andere kognitive Leistung besteht darin, zwei als Instanzen derselben
Art kategorisierte Erscheinungen als ein- und dieselbe Instanz zu identifizie-
ren. Die durch Carlson’s Beschreibung der Picknikszene aufgeworfene Frage
– ob es sich bei den immer neuen Eichhörnchenerscheinungen um dasselbe
Eichhörnchen handelt oder um verschiedene – ist die Frage nach der Objekt-
Individuierung (object individuation, vgl. Xu 2005).
Gelangt man zu dem Schluss, dass es sich immer wieder um ein- und dasselbe
Eichhörnchen handeln muss, so hat man ein Objekt individuiert. Handelt es sich
tatsächlich um ein- und dasselbe Eichhörnchen, so hat man in Übereinstimmung
mit den Tatsachen individuiert. Kategorisierung bedeutet, die Identität eines Ob-
jekts als Instanz einer Art zu erkennen. Individuierung bedeutet, die Identität
eines Objekts als Objekt wiederzuerkennen. Es versteht sich von selbst, dass
die Fähigkeit, ein Objekt wiederzuerkennen, für uns Menschen von zentraler
Bedeutung ist. Einen nicht unwesentlichen Teil unserer Erfahrungswelt bilden
Objekte, deren Existenzdauer viel größer als jene Zeitspanne ist, während der
2.3. KATEGORISIERUNG UND INDIVIDUIERUNG 25

wir ihnen im Alltag typischerweise begegnen. Ein Objekt, dessen Existenzzeit


(viel) größer als die “typische Begegnungszeit” ist, kann einem im Laufe des
Lebens (der eigenen Existenzzeit) mehrfach begegnen. Genau das passiert im
Menschenleben sehr oft2:
[H]uman adults are commited to a world populated with individuals
(people, objects, or events) that persist – we may encounter Joe Schmoe
on both Monday and Wednesday; we may sit in the same office chair
everyday of the week; and we may go to the first and ninth innings of
the same baseball game (Xu 2005:4)
Carlson (1977) benutzt die Picknikszene, um die ontologischen Basiskate-
gorien einzuführen, auf denen er seine semantische Theorie begründet. Die Er-
scheinungen eines Eichhörnchens nennt er “Stadien” (stages). Stadien sind für
Carlson die einzigen wahrhaften, raumzeitlichen Entitäten: die Welt manife-
stiert sich in Raum und Zeit in Form von Stadien. “Objekte” sind für Carlson
das Ergebnis einer kognitiven Abstraktionsleistung. Indem der Mensch Serien
von Stadien zu Individuen höherer Abstraktionsstufe zusammenfasst, konstru-
iert er Dinge, die neben den Dingen der realen, raumzeitlichen Welt, d.i. den
Stadien, eine eigene ontologische Domäne bilden – und dadurch zu möglichen
Referenten sprachlicher Ausdrücke werden. Die Domäne der “Arten” schließ-
lich ist für Carlson das Ergebnis einer weiteren Abstraktion, bei der eine Menge
von Stadien und Objekten zu einem neuen Ding, einer Art, zusammengefasst
werden.
Welche Stadien genau zu einem Objekt zusammengefasst werden bzw. wel-
che Stadien und Objekte zu einer Art zusammengefasst werden, das ist laut
Carlson kein sprachliches Problem und braucht den Semantiker deswegen
streng genommen nicht zu interessieren (vgl. Carlson 1977:104). Entschei-
dend für den (Wahrheitsbedingungs-)Semantiker ist nicht, wie ontologische
Domänen zustande kommen, sondern einzig und allein, dass sie zustande kom-
men. Es gibt eine Stadiendomäne, eine Objektdomäne und eine Artdomäne und
die Sachverhalte, auf die sich Sätze semantisch beziehen, können als Konstella-
tionen von Stadien und/oder Objekten und/oder Arten beschrieben werden. Mit
anderen Worten, in der für sprachliche Bezugnahme relevanten Carlsonschen
Ontologie (“Welt”) existieren Stadien, Objekte und Arten Seite an Seite. Was
ein Satz wie z.B. das Schnabeltier existiert zum Ausdruck bringt ist demnach,
dass in der für den sprachlichen Bezug relevanten Welt ein Individuum der on-
tologischen Sorte Art, speziell die Art ‘Schnabeltier’, existiert.
Meine Grundannahmen weichen von denen Carlsons in wesentlichen Punk-
ten ab. Ich gehe davon aus, dass sich die Welt in Raum und Zeit in Form von
2 Wenn ich Xu (2005) zitiere, gebe ich Seitenzahlen gemäß des Aufsatzes an, der auf
Fei Xu’s Homepage verfügbar ist.
2.4. ARTBASIERTE OBJEKTINDIVIDUIERUNG 26

Objekten manifestiert. Objekte entstehen zu einem Zeitpunkt an einem Ort, exi-


stieren für eine Weile entlang eines kontinuierlichen räumlichen Pfades und ver-
schwinden zu einem späteren Zeitpunkt wieder. Selbst ein Objekt, navigieren
wir unser Leben lang durch diese Welt der Objekte. Als vorteilhaft für unser
Überleben hat sich ein “Objekterkennungssystem” erwiesen, welches es uns
ermöglicht, die Dinge der realen Welt – die Objekte – zu erkennen (Katego-
risierung) und wiederzuerkennen (Individuierung).

2.4 Artbasierte Objektindividuierung

Eine Reihe von psychologischen Studien deutet darauf hin, dass es mindestens
eine Art gibt, die bereits zu einem sehr frühen Entwicklungsstadium eines Men-
schen, im Alter von zwei Monaten, zu seinem kognitiven Rüstzeug gehört3: die
Art ‘Objekt’ (vgl. Carey 1995:127). Es ist die Verfügbarkeit dieser Art, die es
dem Kind ermöglicht, im Fluss der Sinneseindrücke, dem es ausgesetzt ist, Ob-
jekte zu erkennen4. Ein Objekt zu erkennen bedeutet demnach, eine Erschei-
nung als Instanz der Art ‘Objekt’ zu kategorisieren. Das Objektkonzept (=die
Art ‘Objekt’) beinhaltet Wissen über mögliche Objekte. So “weiß” das Kind,
dass die Bewegung eines Objekts entlang eines raumzeitlich kontinuierlichen
Pfades verlaufen muss und dass niemals zwei Objekte gleichzeitig denselben
Raum okkupieren können (Spelke 1990, Spelke et al. 1992)5.
Der Mensch ist demnach zumindest von einem sehr frühen Zeitpunkt sei-
nes Lebens an in der Lage, in der Welt existierende Objekte zu erkennen. Auf
der Basis dieser Fähigkeit lernt er im Laufe der Zeit, die Existenz eines Ob-
jekts durch Raum und Zeit zu verfolgen, d.h. es zu individuieren. Anhaltspunkte
3 Spelke, Carey u.a. vermuten, dass ein solches Objektkonzept angeboren ist. Da der
gegenwärtige Forschungsstand diesen Schluss jedoch nicht erzwingt – es könnte auch
sein, dass das Kind die Art ‘Objekt’ in Interaktion mit seiner Umwelt im Laufe der
ersten zwei Lebensmonate oder gar noch im Mutterleib erlernt (Spelke et al. 1992:627)
–, habe ich hier die schwächere Formulierung gewählt. Linguistisch relevant ist ohnehin
nur die Tatsache, dass die Fähigkeit zur Objekterkennung bereits vorhanden ist noch
bevor die Sprachkompetenz ihren merklichen Ausdruck findet.
4 Ich spreche so, als existierten Objekte in der Welt unabhängig vom menschlichen
Betrachter. Ob das wirklich der Fall ist, darüber mögen die Philosophen diskutieren.
Mein Punkt ist, dass weite Bereiche semantischer Strukturen auf eine Commonsense
Ontologie (vgl. Dölling 1993, Bach 1986) zurückzuführen sind, die die autonome Exi-
stenz von Objekten beinhaltet.
5
Genauer gesagt handelt es sich bei dieser vorab verfügbaren Art um die Art ‘phy-
sikalisches Objekt’ (Xu 1997). Diese Art ist Voraussetzung für die Herausbildung von
basic-level Kategorien. Dazu mehr in Abschnitt 6.
2.4. ARTBASIERTE OBJEKTINDIVIDUIERUNG 27

dafür, ob es sich bei einem zu einem späteren Zeitpunkt wahrgenommenen Ob-


jekt um dasselbe oder um ein anderes Objekt handelt, lassen sich grundsätzlich
aus drei Quellen gewinnen: aus Informationen über die raumzeitliche Lokali-
siertheit der neuen Objekterscheinung relativ zur alten Objekterscheinung, aus
Informationen über Eigenschaften des “neuen Objekts” im Vergleich zum “alten
Objekt” (wie Größe, Farbe, Oberflächenstruktur etc.) sowie aus Informationen
über die Artzugehörigkeit des “neuen Objekts” im Vergleich mit dem “alten
Objekt” (Xu, Carey & Quint 2004; Xu 2005). Befindet sich das “neue Objekt”
am selben Ort, trägt dieselben Eigenschaften und gehört zur selben Art wie das
“alte Objekt”, so legt das den Schluss nahe, es handele sich in beiden Fällen um
dasselbe Objekt.
Hinreichende Evidenz für die Identität zweier zu verschiedenen Zeiten wahr-
genommener Objekte können raumzeitliche Informationen liefern: ist einsich-
tig, dass das “neue Objekt” über einen kontinuierlichen raumzeitlichen Pfad mit
dem “alten Objekt” verbunden ist, so kann mit Sicherheit auf ihre Identität ge-
schlossen werden. Wie nun aber, wenn die Frage nach der Objektindividuierung
wie in Carlson’s Picknikszene nicht durch raumzeitliche Evidenz entscheidbar
ist? Hierzu berichtet Xu (2005) von einer Serie von Verhaltensexperimenten, de-
ren Ergebnisse sie wie folgt interpretiert: Der Mensch verfügt prinzipiell über
zwei Strategien der Objektindividuierung. Zum einen über ein, wie sie es nennt,
“objektbasiertes System”. Hierbei entscheidet sich die Frage, ob man es mit ei-
nem oder mit zwei Objekten zu tun hat, primär an raumzeitlichen Informationen
sowie – in schwächerem Maße – an Informationen über wahrnehmbare Eigen-
schaften. Zum zweiten über ein “artbasiertes System”. In diesem Fall liefert die
Artzugehörigkeit das Kriterium dafür, ob man sich entscheidet, zwei Objekter-
scheinungen als Erscheinungen identischer oder verschiedener Objekte anzu-
sehen. Abermals können Informationen über wahrnehmbare Eigenschaften die
Entscheidung bis zu einem gewissen Grad mitbeeinflussen.
Dass Xu diese beiden Strategien unterscheidet liegt darin begründet, dass
Kinder, die jünger als 10 Monate sind, zwar auf der Basis von raumzeitli-
cher Evidenz Objekte individuieren können, nicht jedoch im Rückgriff auf Art-
zugehörigkeit. Im Gegensatz zu dieser Testgruppe benutzen Kinder im Alter
von ca. 12 Monaten (so wie Erwachsene) auch Informationen über die Art-
zugehörigkeit um Objekte zu individuieren. Sehen wir uns die einschlägigen
Experimente dazu näher an.
Bietet man Zehnmonatigen ausreichend raumzeitliche Evidenz für die Nicht-
identität von zwei Objekten (d.h. zeigt man ihnen die zwei Objekte gleichzei-
tig), so schließen sie genau wie Zwölfmonatige als auch wie Erwachsene auf
die Existenz von zwei Objekten. Ich schematisiere den entsprechenden Experi-
2.4. ARTBASIERTE OBJEKTINDIVIDUIERUNG 28

mentstyp6:
1. Man präsentiert dem Probanden auf einer Bühne zwei Objekte
2. Man stellt einen Schirm auf, der dem Probanden den Blick auf die Objekte
versperrt
3. Auf der vom Probanden aus gesehen linken Seite zeigt sich ein Objekt und
verschwindet wieder hinter dem Schirm
4. Auf der vom Probanden aus gesehen rechten Seite zeigt sich ein Objekt und
verschwindet wieder hinter dem Schirm
5. Die Schritte 3 und 4 wiederholen sich mehrfach
6. Der Schirm wird entfernt
7. 1. Auf der Bühne befindet sich ein Objekt
7. 2. Auf der Bühne befinden sich zwei Objekte
Abbildung 1 illustriert die Schritte 3 bis 4 in zeitlicher Abfolge von oben
nach unten.

•←

→•

Abbildung 2.1: Experimentschema

Ergebnis 7.1., das Vorfinden von nur einem Objekt, wäre aus Sicht eines Er-
wachsenen eine Überraschung. Ergebnis 7.2., das Vorfinden von zwei Objekten,
wäre dagegen aus Sicht eines Erwachsenen zu erwarten. Daraus, dass das zehn
Monate alte Kind dem Ergebnis 7.1. wesentlich mehr Aufmerksamkeit widmet
(es länger betrachtet) als dem Ergebnis 7.2., kann geschlossen werden, dass sich
seine Erwartungen nach Ablauf der Schritte 1 bis 6 mit denen des Erwachsenen
decken. Offenbar macht es sich dieselben Informationen zu nutze:
6 Für Details zu den einzelnen Experimenten, vgl. Xu 2005; Xu, Carey & Quint
2004).
2.4. ARTBASIERTE OBJEKTINDIVIDUIERUNG 29

[E]ven very young infants employ spatiotemporal criteria in the service


of object individuation (Xu 2005:7)
[I]nfants as young as 2 months of age use spatiotemporal information in
establishing object identity. When spatiotemporal discontinuity is de-
tected, very young infants establish a representation of two numerically
distinct objects (Xu, Carey & Quint 2004:156)
Was passiert nun, wenn das Experiment ohne Schritt 1 durchgef ührt wird,
wenn dem Probanden also raumzeitliche Evidenz für die Existenz von zwei
Objekten vorenthalten wird? Unter das Schema dieses neuen Experimentstyps
fällt auch Carlson’s Picknikszene (das Gebüsch übernimmt hier die Funktion
des Schirms):
1. Auf einer Bühne steht ein Schirm
2. Auf der vom Probanden aus gesehen linken Seite zeigt sich ein Objekt und
verschwindet wieder hinter dem Schirm
3. Auf der vom Probanden aus gesehen rechten Seite zeigt sich ein Objekt und
verschwindet wieder hinter dem Schirm
4. Die Schritte 2 und 3 wiederholen sich mehrfach
5. Der Schirm wird entfernt
6. 1. Auf der Bühne befindet sich ein Objekt
6. 2. Auf der Bühne befinden sich zwei Objekte
Xu, Carey & Quint (2004) haben Experimente dieses Typs mit 12 Monate
alten Probanden durchgeführt und dabei die Objekterscheinungen zur Linken
und zur Rechten in systematischer Weise variiert. Ich fasse ihre Ergebnisse und
Interpretationen in aller Kürze zusammen.
Als sich die links und rechts erscheinenden Objekte in allen wahrnehmbaren
Eigenschaften glichen, zeigten sich 12 Monate alte Kinder weder von Ausgang
6.1. noch von Ausgang 6.2. besonders überrascht. Offenbar waren beide Resul-
tate mit den Erwartungen dieser Testgruppe vereinbar. Xu, Carey & Quint haben
dieses Verhalten auch dann beobachten können, als sich das links erscheinende
Objekt und das rechts erscheinende Objekt hinsichtlich einer Eigenschaft un-
terschieden. Als z.B. links ein grüner Ball erschien und rechts ein roter Ball
(derselben Grösse und Oberflächenstruktur) oder als links ein kleiner Ball er-
schien und rechts ein großer Ball (derselben Farbe und Oberflächenstruktur),
stets zeigten sich 12 Monate alte Kinder weder von Ausgang 6.1. noch von Aus-
gang 6.2. besonders überrascht. In einem weiteren Experiment wurde der Grad
der Unterschiedlichkeit der Objekte in Bezug auf ihre Eigenschaften erhöht.
2.4. ARTBASIERTE OBJEKTINDIVIDUIERUNG 30

Doch selbst als z.B. links ein kleiner buntgefleckter Ball erschien und rechts ein
großer rot glitzernder Ball, zeigten die Kinder keine Anzeichen dafür, dass sie
überrascht gewesen wären, als sie nach dem Entfernen des Schirms nur einen
großen rot glitzernden Ball vorfanden. Genausowenig dann, als links eine Ba-
byschnabeltasse mit Deckel und zwei Henkeln und rechts eine gleichgroße und
gleichfarbige normale Tasse ohne Deckel mit nur einem Henkel erschien.
Bei einem bestimmten Experiment jedoch zeigten 12 Monate alte Kinder
plötzlich erhöhte Aufmerksamkeit, als sie nach dem Entfernen des Schirms auf
der Bühne nur ein Objekt erblicken konnten. Dies geschah z.B., als es sich bei
dem links erscheinenden Objekt um einen Ball und bei dem rechts erscheinen-
den Objekt um eine Tasse handelte, obwohl die Tasse und der Ball in etwa die-
selbe Größe und dieselbe Farbe hatten7 .
Xu, Carey & Quint interpretieren dieses Verhalten dahingehend, dass 12 Mo-
nate alte Kinder ohne Zugriff auf raumzeitliche Evidenz dann auf die Existenz
von zwei verschiedenen Objekten schließen, wenn die Gestaltunterschiede der
wahrgenommenen Objekterscheinungen so sind, dass ein Erwachsener sie in
unterschiedliche basic-level Kategorien einordnen würde:
[T]hey only succeeded in establishing a representation of two distinct
objects when the shape differences were (what for adults) cross-basic-
level-kind differences and failed to do so when the shape differences
were (what for adults) within-basic-kind-level differences. (Xu, Carey
& Quint 2004:180)
In einer älteren Studie hatten Xu & Carey (1996) nachgewiesen, dass 10 Mo-
nate alte Kinder für Artunterschiede nicht sensitiv sind: sie schenken dem Er-
gebnis 6.1. auch dann keine erhöhte Aufmerksamkeit, wenn links und rechts des
Schirms zwei so verschiedene Objekte wie z.B. eine Gummiente und ein Ball
erscheinen. Die Forscherinnen schließen aus all diesen Beobachtungen, dass
Kinder im Alter von ca. 12 Monaten beginnen, basic-level Arten mental zu re-
präsentieren (Xu, Carey & Quint 2004:180). Xu fasst ihr Bild der fr ühkindlichen
kognitiven Entwicklung des Menschen insgesamt wie folgt zusammen:
On the one hand, I am sympathic to the view that human infants are
born with a mechanism – the object based attention system – that carves
up the world into distinct units. On the other hand, I also suggest that
infants’ worldview undergoes fundamental changes: They begin with
a world populated with objects and substances. By the end of the first
year of life, they begin to conceptualize a world populated with sortal
7
“The cup was 8 cm tall and 9 cm at its widest; the ball was 8,5 cm in diameter. The
cup was a sippy cup with two handles. Both the cup and the ball were painted with pink
and yellow stripes” (Xu, Carey & Quint 2004:176)
2.5. SPRACHLICHER INPUT ALS AUSLÖSER? 31

kinds (and perhaps substance kinds as well). In this new world, objects
are thought of not as “qua object” but rather “qua dog” or “qua table”.
(Xu 2005:33)

2.5 Sprachlicher Input als Auslöser?

Die Aufgabe der Entwicklungspsychologie besteht nicht nur darin, Entwick-


lungslinien zu beschreiben, sondern auch darin, diejenigen Prozesse zu iden-
tifizieren, die die beschriebenen Entwicklungen ursächlich bedingen. Was die
Genese des objektbasierten Individuierungssystems angeht, so schließt sich Xu
der Position von Spelke (1990) an und betrachtet es als angeboren (vgl. aber
Fussnote 2). Was das artbasierte System angeht, so macht sie folgenden Vor-
schlag:
Many have noted that infants begin to comprehend and produce their
first words by the end of the first year, and many of their first words are
nouns for object categories. I suggest that it is not a coincidence that
along with acquiring their first words, infants also begin to develop
a kind-based system of individuation. Some recent studies from my
laboratory provide some initial evidence that perhaps language plays a
causal role in this process. (Xu 2005:24)
Bei den Studien, die sie hier erwähnt, handelt es sich um erneute Variationen
des bekannten Experimentstyps (Abb.1). Den Hintergrund bildet abermals Xu
& Carey’s (1996) Nachweis, dass 10 Monate alte Kinder bei fehlender raum-
zeitlicher Evidenz auf der Basis von eindeutig verschiedener Artzugehörigkeit
keine zwei Objekte individuieren. Das neue Experiment wurde mit 9 (!) Monate
alten Kindern durchgeführt. Die Besonderheit der neuen Studie bestand darin,
dass die links und rechts des Schirms erscheinenden artverschiedenen Objek-
te diesmal von einem auf den Probanden gerichteten sprachlichen Lautereignis
begleitet wurden. Mal – unter der Zwei-Wort-Bedingung – unterschieden sich
die Lautereignisse, die die Objekte zur Linken und zur Rechten jeweils beglei-
teten (z.B. “Look, a duck!” versus “Look, a ball!”), mal – unter der Ein-Wort-
Bedingung – glichen sie sich (jeweils: “Look, a toy!”). Die interessante Beob-
achtung ist, dass die Kinder unter der Zwei-Wort-Bedingung länger auf das (für
Erwachsene) unerwartete Ergebnis mit nur einem Objekt auf der Bühne schau-
ten, nicht jedoch unter der Ein-Wort-Bedingung. Offenbar werteten die Kinder
die verschiedenen sprachlichen Signale als Hinweis auf die Verschiedenheit der
Objekte. Dieser Effekt stellte sich auch dann ein, wenn es sich bei den ver-
lauteten Wörtern nicht um die “korrekten” Bezeichnungen handelte: auch zwei
verschiedene Nonsenswörter (z.B. “Look, a fendle!” versus “Look, a toma!”)
2.5. SPRACHLICHER INPUT ALS AUSLÖSER? 32

dienten den Kindern als Hinweis darauf, es mit zwei verschiedenen Objekten
zu tun zu haben. Es zeigte sich also, dass bereits 9 Monate alte Kinder in der
Lage sind, zwei artverschiedene Objekte zu individuieren, sofern sie bei der
Präsentation der Objekte nur verschiedene sprachliche Zeichen hören8.
Aus den Ergebnissen dieser (u.a.) Experimente leitet Xu ihre These ab, wo-
nach sprachliche Referenzakte bei der Herausbildung von Artrepräsentationen
eine ursächliche Rolle spielen. Wie kann man sich das vorstellen? Ich versuche
hier eine ganz einfache Skizze, die, gemessen an kognitionspsychologischen
Maßstäben, natürlich viel zu einfach formuliert ist und viele Fragen offen lässt:
Über das Wissen um die Art ‘Objekt’ verfügt das Kind von Anfang oder zu-
mindest fast von Anfang seines Lebens an. Dies erm öglicht es ihm, Objekte in
seiner Umwelt zu erkennen. Das Wissen um spezifischere Arten (basic-level ca-
tegories, vgl. Rosch et al. 1976) erwirbt das Kind dadurch, dass es feststellt, dass
die Objekte, die es erlebt, häufig von Wörtern, die es hört, begleitet werden. Im
Laufe der Zeit sammelt das Kind gleichsam Paare von gleichzeitig wahrgenom-
menen Objekt- und Wortgestalten. Dabei bemerkt es, dass die Objektgestalten
mit den Wortgestalten nicht willkürlich korreliert sind. Es vergleicht die unter
einer bestimmten Wortgestalt akkumulierte Serie von Objektperzepten mit der
unter einer anderen Wortgestalt akkumulierten Serie und stellt fest, dass die ein-
zelnen Serien nicht nur durch die gemeinsame Wortgestalt zusammengehalten
werden. Vielmehr weisen die Objekterscheinungen in einer Serie untereinander
auch eine gewisse Ähnlichkeit hinsichtlich ihrer Gestalt auf9. So weisen, um
ein triviales Beispiel zu nehmen, alle zusammen mit dem Wort Ball registrierten
Objekte die Eigenschaft auf, (mehr oder weniger) rund zu sein, im Gegensatz
zu den zusammen mit dem Wort Ente registrierten Objekten, die nicht rund,
sondern eben “entenförmig” sind.
Sobald das Kind erkennt, dass die unter einem Wort versammelten Objek-
terscheinungen einander perzeptuell ähnlich sind (relativ zu den unter einem
anderen Wort versammelten Objekterscheinungen), wird die so identifizierte
Ähnlichkeit zum Maßstab für eigene Kategorisierungen. Das Kind entwickelt
die Erwartung, dass das betreffende Wort nur in Verbindung mit einem Ob-
jekt fällt, dessen Gestalt in Hinblick auf seine Eigenschaften den Eigenschaften
der bereits unter dem Wort akkumulierten Objektperzepte “ähnlich genug” ist.
8 Begleiten verschiedene nichtsprachliche akustische Signale die Objekterscheinun-
gen, so stellt sich der Effekt nicht ein. Weder wenn es sich um zwei Geräusche handelt
(z.B. “Look, [Tatütata]” versus “Look, [Klingelgeräusch]”), noch wenn es sich um zwei
emotionale Artikulationen handelt (z.B. [positiv:] “Ah!” versus [negativ:] “Ewy!”), vgl.
Xu 2005:26.
9 “Ähnlichkeit” zwischen den Objekten unter einem Begriff kann als relative “Nähe
im konzeptuellen Raum” beschrieben werden (vgl. Gärdenfors 2000).
2.6. ENTWICKLUNGSPHASEN 33

Das Kind hat also eine Hypothese über mögliche Objekte, die ein bestimmtes
Wort begleiten kann, gebildet. Häufig wird das Kind Erfahrungen machen, die
seine Hypothese bestätigen. Mitunter jedoch wird es mit Wort-Objekt-Paaren
konfrontiert werden, die eine mehr oder weniger starke Adjustierung seiner Hy-
pothese erzwingen. Anders gesagt: das Kind beobachtet, in Bezug auf welche
Objekte ein Wort tatsächlich verwendet worden ist und entwickelt auf der Basis
dieser Daten eine Theorie darüber, in Bezug auf welche Objekte das Wort po-
tentiell verwendet werden kann; es etabliert in Anbetracht einer Serie von z.B.
Balltoken die mentale Repräsentation (=das Konzept10 ) eines Balltyps.

2.6 Entwicklungsphasen

Was sich in den Experimenten zeigt ist gemäß der Interpretation von Xu und
Kollegen, dass das Kind in verschiedenen Stadien seiner Entwicklung über qua-
litativ unterschiedliches Wissen über seine Umwelt verfügt, speziell über den
Zusammenhang von Objektwelt und Sprache. Etwas über die Schlussfolgerun-
gen von Xu hinausgehend (vgl. Fussnote 11) spekuliere ich hier, dass es minde-
stens drei zu unterscheidende Entwicklungsphasen gibt, wobei jede Phase durch
einen anderen “Blick des Kindes” auf den Kontext, in dem ihm ein Objekt be-
gegnet, gekennzeichnet ist.
Bereits während der frühen, ersten Phase registriert das Kind Objekterschei-
nungen zusammen mit ihren jeweiligen “Begleiterscheinungen”, zu denen (man
könnte auch von der “Kulisse” sprechen) der Ort der Begegnung mit dem Ob-
jekt, andere in dem Moment existierende, aber weniger wichtige Objekte, be-
gleitendende Gerüche, Geräusche usw. und somit auch begleitende sprachliche
Lautereignisse gehören. Welche Elemente die Kulisse einer Objekterscheinung
ausmachen, das scheint dem Kind in seiner ersten Entwicklungsphase jedoch
noch keiner Regelhaftigkeit zu folgen.
Die zweite Phase beginnt, sobald das Kind eine ganz bestimmte Entdeckung
gemacht hat: während die übrigen Elemente der Kulisse von den wahrnehmba-
ren Eigenschaften einer Objekterscheinung offenbar unabhängig sind, scheint
die Form sprachlicher Lautereignisse, die das Erscheinen eines Objekts beglei-
ten, einer gewissen Regelhaftigkeit zu folgen. Bestimmte Wortgestalten ver-
nimmt das Kind signifikant häufig in Verbindung mit bestimmten Objektgestal-
ten – das kann kein Zufall sein! Das Kind generalisiert, dass es einen Zusam-
menhang zwischen Wortgestalten und Objektgestalten gibt. Diese statistische
Generalisierung markiert den Eintritt in die zweite Entwicklungsphase.
10 “A concept is the accumulated knowledge about a type of thing in the world” (Bar-
salou 2000)
2.6. ENTWICKLUNGSPHASEN 34

Einmal sensibilisiert für die sprachlichen Begleiterscheinungen einer Objek-


terscheinung beginnt das Kind gleichsam Paare von Wortgestalt und Objekt-
gestalt zu sammeln. Es beobachtet in gewissem Sinne die Gebrauchsbedin-
gungen einer Wortgestalt. Hat es eine ausreichende Serie von Objektperzep-
ten unter einer Wortform gesammelt, wird es auf der Basis dieser beobachteten
tatsächlichen Verwendungen eine Hypothese über mögliche Verwendungen der
Wortform bilden. Der Beginn dieser Hypothesenbildung markiert den Eintritt in
die dritte Entwicklungsphase.
Während das Kind in der zweiten Phase also registriert, dass Wörter Sym-
bole sind, registriert es in der dritten Phase, was Wörter symbolisieren. Aus
der Serie der unter einer Wortform akkumulierten Objektgestalten wird eine
Objektart abstrahiert. Jedes Wort wird so zu einem Symbol für eine Art. Nach
und nach erwirbt das Kind einen immer größeren (nominalen) Wortschatz, wo-
bei jedes Wort für eine Art steht, zu der ein gegebenes Objekt nach Maßgabe
seiner Eigenschaften gehören kann oder nicht. Das nominale Lexikon besteht
aus Symbolen für Arten. Erfüllt das Objekt die Bedingungen, um zu einer Art
zu gehören, dann kann das Kind, erst einmal zum Sprecher gereift, sich zum
Zwecke der sprachlichen Bezugnahme auf dieses Objekt den entsprechenden
Artbegriff zunutze machen.
Die ersten Wörter, die erworben werden, bezeichnen bekanntlich perzeptuell
definierte Arten (basic-level categories, vgl. Rosch et al. 1976). Das ist natürlich
kein Zufall. Schließlich handelt es sich bei den ersten Objekten, die das Kind
erkennt, um physikalische Objekte. Erinnern wir uns (Abschnitt 4): seine ersten
Objekte erkennt das Kind als Instanzen der Art ‘physikalisches Objekt’.
A physical object is defined as any three-dimensional, bounded entity
that moves on a spatiotemporally continuous path (Spelke, 1990; see
also Jackendoff, 1983). The English word ‘object’ has multiple senses;
this concept of physical object corresponds to one of the senses.
(Xu 1997:369-370)
Die ersten Wörter, die das Kind lernt, sortieren die physikalische Objektwelt
in Objektklassen, genauer gesagt in basic-level Kategorien. Weil der Zweck der
Etablierung von basic-level Arten in der Sortierung der Objekte in verschiedene
Klassen besteht, zeichnen sich basic-level Arten durch ein wichtiges Charak-
teristikum: sie sind äquipollent. Das bedeutet, dass jede basic-level Art über
mindestens ein Merkmal (=eine Eigenschaft) verfügen muss, über die die an-
deren basic-level Arten nicht verfügen. Es ist dieses Charakteristikum, das es
erlaubt, aus der Existenz von verschiedenen basic-level Arten auf die Existenz
von verschiedenen Objekten zu schließen. Es ist genau deswegen auch nicht
zu erwarten, dass ein Objekt seine Gestalt in einer Weise wandelt, dass es eine
basic-level Kategoriengrenze wechselt (wenngleich so etwas in der Natur vor-
2.7. ARTEN ALS SORTALE KONZEPTE 35

kommt: von der Raupe zum Schmetterling, von der Kaulquappe zum Frosch,
etc.). Wie lassen sich nun vor diesem Hintergrund die Ergebnisse der vorge-
stellten kognitionspsychologischen Experimente verstehen?
Sobald das Kind über basic-level Arten verfügt, wird es, wenn es nacheinan-
der mit zwei Erscheinungen konfrontiert wird, die die Kriterien zweier verschie-
dener Arten erfüllen, auf die Existenz von zwei Objekten schließen. Ein Objekt,
das alle Eigenschaften trägt, die z.B. einen Ball ausmachen, ehedem jedoch alle
Eigenschaften trug, die z.B. eine Tasse ausmachen, passt sozusagen nicht ins
Weltbild des Kindes und ruft Verwunderung hervor, die in den beschriebenen
Studien bei der Testgruppe der 12 Monate alten Kinder als längere Hinguck-
zeit messbar wird. Bevor das Kind jedoch Hypothesen über potentielle Tassen,
Bälle, Enten usw. gebildet hat, wird es sich über eine solche Metamorphose
nicht wundern, was das Verhalten der Testgruppe der 10 Monate alten Kinder
erklärt. Und obwohl sie noch über keine Artrepräsentationen verfügen, können
sich auch neun Monate alte Kinder angesichts von Metamorphosen von Art zu
Art verblüfft zeigen, nämlich dann, wenn – wie oben beschrieben – auf ver-
schiedene Objekterscheinungen bei der Präsentation mittels verschiedener No-
men referiert wird. Eine mögliche Erklärung ist, dass die Kinder in diesem Fall
zwar die Bedeutung des Nomens (=die symbolisierte Art) noch nicht kennen,
wohl aber wissen, dass verschiedene Nomen für verschiedene Arten stehen11 .

2.7 Arten als sortale Konzepte

In den Abschnitten 3 bis 6 habe ich verschiedene kognitionspsychologische Stu-


dien vorgestellt. Der Zweck bestand darin, den Artbegriff zu fixieren, von dem
ich in den weiteren Kapiteln dieser Arbeit ausgehen werde. Wie gesehen kann
mittels sprachlicher Ausdrücke grundsätzlich einerseits auf Objektindividuen,
andererseits auf Artindividuen Bezug genommen werden. Ich fasse meine Po-
sition, die man mit dem Slogan “Arten sind Konzepte” (vgl. Krifka 1995) cha-
rakterisieren könnte, hier noch einmal kurz zusammen.
Die (für die sprachliche Strukturbildung relevante) reale Lebenswelt des
Menschen ist konkreter, raumzeitlicher Natur. Man kann sich die reale Welt
11 In dem von mir oben beschriebenen “Drei-Phasen-Modell” entspricht dieser Zu-
stand der zweiten Entwicklungsphase. Demgegenüber spekuliert Xu, dass Kinder von
Beginn an über das Wissen verfügen, dass Wörter Symbole für Arten sind. Für Xu ist,
mit anderen Worten, meine Unterscheidung zwischen der ersten und der zweiten Phase
entbehrlich: “I am inclined to endow the human infant with certain expectations about
words at the beginning of language acquisition such that in a “dubbing event” (e.g., “That
is a dog!”), a word (in this case “dog”) serves as a pointer to a particular sortal-kind in
the environment” (Xu 2005:32-33).
2.7. ARTEN ALS SORTALE KONZEPTE 36

als Konstellation von Objekten vorstellen. Diese Konstellation von Objek-


ten unterliegt Veränderungen in der Zeit, wobei sich verschiedene Typen von
Veränderungen unterscheiden lassen: ein neues Objekt entsteht, wenn ich z.B.
einen Kuchen backe; ein Objekt wechselt eine Eigenschaft, wenn ich z.B. einen
Apfel schäle; ein Objekt ändert seine Relation zu einem anderen Objekt, wenn
ich z.B. einen Teller aus dem Schrank nehme; ein Objekt verschwindet, wenn
ich z.B. einen Apfel verspeise. Der Mensch nimmt die Objekte seiner Umwelt in
seinen ersten Lebensmonaten als Objekte wahr, d.h. als Instanzen der generel-
len, vorab verfügbaren Art ‘physikalisches Objekt’. Später, mit ca. einem Jahr,
lernt er diese (physikalischen) Objekte in Objektarten zu sortieren. Sein erstes
nominales Lexikon besteht aus sprachlichen Symbolen für basic-level Objektar-
ten. Der Erwerb eines Nomens geht also mit der Etablierung einer mentalen
Artrepräsentation einher, was eine gewisse Kenntnis des Referenzbereichs des
Nomens voraussetzt. Das nötige Wissen um den Referenzbereich wird, grob
gesagt, aus “Begegnungen” mit Paaren von sprachlichen Äußerungen und Ob-
jektkonfigurationen gewonnen (vgl. Bartsch 1998). Mit der Etablierung von im-
mer mehr Arten entsteht so neben der realen Objektdomäne im “Weltbild” des
Menschen eine abstrakte, gewissermaßen nicht-reale Artdomäne. Die Kennt-
nis von basic-level Arten wie ‘Hund’, ‘Tisch’, ‘Baum’ usw. ist die Grundlage
für den Erwerb von Nomen, die für Oberarten wie ‘Säugetier’, ‘Möbelstück’,
‘Pflanze’, usw. stehen (eine solche Oberart charakterisiert die Vereinigungsmen-
ge von durch verschiedene basic-level Arten charakterisierten Objektmengen),
ebenso wie für den Erwerb von Nomen, die für Unterarten wie ‘Schäferhund’,
‘Nachttisch’, ‘Pflaumenbaum’ usw. stehen (eine solche Unterart charakterisiert
eine Teilmenge der durch eine basic-level Art charakterisierten Objektmenge).
So erweitert sich nach und nach das nominale Lexikon, das aus Symbolen für
Arten besteht, die nach Maßgabe ihrer Eigenschaften taxonomische Strukturen
bilden. Letzteres ist der Grund, warum manche Semantiker (z.B. Dayal 2004)
die Artdomäne auch als “taxonomische Domäne” bezeichnen.
Fazit: Konfrontiert mit der realen Objektwelt, entwickelt der Mensch in sei-
ner kognitiven Genese die mentale Repräsentation einer abstrakten “Artwelt”.
Dass man mit einer deutschen Nominalphrase wie der Hund oder ein India-
ner zum einen konkrete Dinge bezeichnen kann (1) und zum anderen abstrakte
Dinge-an-sich (2), liegt daran, dass Dinge beider dieser Welten in der sprach-
lichen Kommunikation zum Redegegenstand gemacht werden können. Wenn
in Abschnitt 2 gesagt wurde, dass Sätze geäußert werden, um Sachverhalte
zu kommunizieren, und dass Sachverhalte “Konfigurationen von Dingen in der
Welt” sind, dann muss das jetzt konkretisiert werden. Zum einen kann ein Satz
geäußert werden, um Relationen zwischen Objekten (in der realen Welt) zum
Ausdruck zu bringen (4a), zum anderen, um Relationen zwischen Arten (in der
taxonomischen Domäne) zum Ausdruck zu bringen (4b). Es bleibt jedoch, wie
2.8. WIE ARTEN EXISTIEREN. . . 37

wir sehen werden, nicht dabei. Mancher Satz drückt eine Relation zwischen ei-
ner Art und einem Objekt (4c) bzw. zwischen einem Objekt und einer Art aus
(4d).
(25) a. Die Kartoffel liegt auf dem Teller.
b. Die Kartoffel ist mit der Tomate verwandt.
c. Die Kartoffel stammt aus Südamerika.
d. Die Kartoffel da sieht aus wie ein Gesicht.

2.8 Wie Arten existieren. . .

Kommen wir damit zu der in Abschnitt 2 aufgeworfenen Frage: was heißt es,
wenn behauptet wird, eine bestimmte Art existiere?
(26) Das Schnabeltier existiert.
Die naheliegende Anwort lautet: ein Satz wie (5) drückt die Proposition aus,
dass es in der Welt die Art ‘Schnabeltier’ gibt. Diese Antwort greift jedoch
zu kurz, denn es bleibt unklar, was in diesem Zusammenhang “in der Welt”
bedeuten soll. Wir hatten gesehen, dass die sprachlichen Strukturen zugrun-
deliegende Ontologie systematisch zweigeteilt ist, in eine reale, raumzeitliche
Objektdomäne und in eine abstrakte, konzeptuelle Artdomäne. Wenn man aber
zwischen einer Objektwelt und einer “Artwelt” unterscheiden muss, dann er-
laubt das Lokaladverbial in der Welt grundsätzlich mindestens die folgenden
drei Interpretationen: (i) in der Welt bezieht sich auf die Objektwelt, (ii) in der
Welt bezieht sich auf die Artwelt, (iii) in der Welt bezieht sich auf die Verei-
nigung der Objektwelt und der Artwelt. Möglichkeit (i) scheidet von vornher-
ein aus. Eine Art kann per definitionem nicht in der Objektdomäne existieren.
Möglichkeit (ii) erscheint auf den ersten Blick plausibel, birgt in sich jedoch ein
Problem, das sichtbar wird, sobald es zu negierten Existenzsätzen kommt:
(27) Das Schnabeltier existiert nicht.
Angenommen, (6) drückt im Einklang mit (ii) aus, dass in der Artdomäne kei-
ne Art ‘Schnabeltier’ existiert. Wenn (6) wahr ist, dann kann sich sein Subjekt
nicht auf die Art ‘Schnabeltier’ beziehen, denn die existiert ja nicht. Worauf aber
sonst? Was ist der Redegegenstand, wenn jemand (6) äußert? Mit Möglichkeit
(iii) ist genau dasselbe Problem verbunden: wie kann etwas zum Redegegen-
stand werden, das es nicht gibt?
Um letztere Frage in vernünftiger Weise zu beantworten, muss man die Be-
sonderheit des Existenzprädikats durchschauen. Um es vorwegzunehmen: Was
ein Satz wie (5) ausdrückt ist die Proposition, dass es in der Objektwelt In-
stanzen der Art ‘Schnabeltier’ gibt. Mein Vorschlag besteht also darin, dass
2.8. WIE ARTEN EXISTIEREN. . . 38

Existenzprädikat als ein Prädikat anzusehen, welches syntaktisch einen Artterm


selegiert und welches semantisch dem Referenten dieses Artterms, der denotier-
ten Art, die Eigenschaft zuweist, Instanzen in der realen Welt zu haben.
Zu einer ganz ähnlichen, aber doch etwas anderen Schlussfolgerung ist
McNally (1997) gelangt. Ich werde ihre Überlegungen hier in aller Kürze dar-
stellen. McNally formuliert die Besonderheit des Existenzprädikats wie folgt:
The existential predicate in English is interpreted as a property of a
description of an entity, specifically the property that the description is
instantiated by some entity at some index. (McNally 1997:4)
Was ist hier mit der Individuenbeschreibung (“description of an entity”) ge-
meint? Dazu erfahren wir etwas später Folgendes:
. . . description of an entity, by which I intend an object that corresponds
most closely to Chierchia and Turner’s notion of a nominalized function
(Chierchia and Turner 1988; it is equivalent to Chierchia’s 1984 notion
of the entity correlate of a property) (McNally 1997:4)
Eigenschaften-als-Individuen (entity correlates of a property) sind abstrakte
Individuen, die aus der Anwendung einer von Chierchia (und Turner) definier-
ten sogenannten Nominalisierungsfunktion auf Eigenschaften-als-Funktionen
resultieren. Als abstrakte Entitäten haben Eigenschaften-als-Individuen mit Ar-
ten gemeinsam, dass sie sich von “gewöhnlichen”, realen Objekten durch ihre
Nichtlokalisiertheit in Raum und Zeit auszeichnen. Dabei sind Eigenschaften-
als-Individuen genau wie Arten in systematischer Weise auf die Objektdomäne
bezogen. So wie für jedes reale Objekt angegeben werden kann, ob es eine ge-
gebene Art instantiiert oder nicht, so kann für jedes Objekt angegeben werden,
ob es eine gegebene Eigenschaft besitzt oder nicht. Das Konzept einer Art ist
jedoch restriktiver als das einer Eigenschaft-als-Individuum. Gemäß Chierchia
(1984) denotiert jedes der Subjekte in (7) eine Eigenschaft-als-Individuum. Als
artreferierend kann aber nur das Subjekt in (7c) angesehen werden. Die Men-
ge der Arten stellt demnach eine Teilmenge der Menge der Eigenschaften-als-
Individuen dar12 :
(28) a. Rot ist eine Farbe.
b. Rauchen ist ungesund.
c. Wale sind Säugetiere.
Für McNally (1997) selegiert das Existenzprädikat syntaktisch einen Aus-
druck, der eine Eigenschaft-als-Individuum denotiert, und weist diesem abstrak-
12 Eine andere Teilmenge bildet die Menge der Aktionsarten wie durch den Subjektre-
ferenten von (7b) exemplifiziert.
2.8. WIE ARTEN EXISTIEREN. . . 39

ten Individuum semantisch die Eigenschaft zu, Instanzen zu haben. Das Beson-
dere des Existenzprädikats besteht also darin, dass es eine Relation zwischen
Individuen verschiedener ontologischer Ebenen herstellt und genau dies l öst
dann auch das mit negierten Existenzsätzen verbundene Problem: Wer (6) äußert
macht die Eigenschaft-als-Individuum ‘Schnabeltier’ zum Redegegenstand und
behauptet die Nichtexistenz von Objekten in Raum und Zeit (“at some index”),
die diese Schnabeltier-Eigenschaft haben.
Was die Essenz ihres Vorschlags angeht gebe ich McNally recht. Man soll-
te allerdings doch besser davon ausgehen, dass das Existenzpr ädikat nicht
Eigenschaften-als-Individuen, sondern Arten selegiert. Das hat den Vorteil, dass
sich auf einfache Weise erklären lässt, warum die Sätze (8a) und (8b) im Ge-
gensatz zu (8c) inakzeptabel sind:
(29) a. *Rot existiert.
b. *Rauchen existiert.
c. Wale existieren.
Was Satz (6) also ausdrückt ist die Proposition, dass die Art ‘Schnabeltier’
keine Objektinstanzen hat. Wer diesen Satz äußert macht die Art ‘Schnabeltier’
zum Redegegenstand und behauptet die Nichtexistenz von Objekten in Raum
und Zeit, die diese Art instantiieren. Mit Satz (5) demgegenüber wird behauptet,
dass es in der realen Objektwelt Entitäten gibt, die eine Entität der abstrakten
“Artwelt”, nämlich das sortale Konzept ‘Schnabeltier’, instantiieren.
2.8. WIE ARTEN EXISTIEREN. . . 40
Kapitel 3

Arten als ontologische Primitiva – die


semantische Perspektive

3.1 Überblick

Nach referenzsemantischer Auffassung können die Bedeutungen


natürlichsprachlicher Ausdrücke als Denotate aufgefasst werden, d.h. - grob
gesagt - als diejenigen Aspekte der Welt, auf die sich die jeweiligen Aus-
drücke beziehen. Das impliziert, dass sich in sprachlichen Strukturen die
Strukturiertheit der Substanz, aus der die Welt besteht, in mittelbarer oder
sogar unmittelbarer Weise widerspiegelt. Sprachliche Kategorien reflektieren,
wenigstens teilweise, ontologische Kategorien. Das ist der Grund dafür, dass
jede (referentielle) Semantiktheorie mit einer Ontologie unterlegt werden muss.
Anders gesagt, mit der Formulierung einer referentiell-semantischen Analyse
verpflichtet sich der Semantiker automatisch zu bestimmten ontologischen
Annahmen. Tatsächlich ist dieser Zusammenhang zwischen ontologischen
und semantischen Kategorien eine Trivialität: Wenn man davon ausgeht, dass
die Bedeutung des Eigenamens Maria das Objektindividuum Maria ist, dann
verpflichtet man sich damit zu der Annahme, dass es in der Ontologie eine
Domäne der Objektindividuen gibt (welche das Element Maria enthält).
Das Ziel des vorliegenden Kapitels besteht darin, den Begriff der Art unter re-
ferenzsemantischem Gesichtspunkt zu diskutieren. Ich werde dabei drei Aspek-
te fokussieren: (i) die taxonomische Organisation der ontologischen Artdomäne
(Abschnitte 2 und 3); (ii) den Zusammenhang von lexikalisch-konzeptuellem
Gehalt und Arten (Abschnitt 4); (iii) das Verhältnis von Arten und Eigenschaf-
ten (Abschnitte 5 und 6). In einer allgemeinen Bemerkung über Arten als wis-
senschaftlichen Untersuchungsgegenstand charakterisiere ich die Artdomäne
abschliessend als “Brückenkopf” zwischen kognitiver Psychologie und Lingui-
stik.
3.2. ARTREFERENZ UND OBJEKTREFERENZ 42

3.2 Artreferenz und Objektreferenz

Carlson (1977) hat auf die Tatsache aufmerksam gemacht, dass es f ür eine
adäquate Beschreibung des referenzsemantischen Verhaltens von sprachlichen
Ausdrücken wie aussterben, weitverbreitet sein, selten sein, zahlreich sein etc.
unverzichtbar ist, eine Artdomäne in die Ontologie aufzunehmen. Ich werde
Carlson in der Annahme folgen, dass Arten ontologische Primitiva darstellen.
Neben einer Objektdomäne existiert in der Ontologie also eine Artdomäne1 .
Zamparelli (1998) und Dayal (2004) teilen diese Ansicht und schlagen vor,
dass jedes Englische Gattungsnomen (common noun) systematisch ambig ist.
Es kann seinen Referenzbereich entweder innerhalb der Domäne der Objekte
oder innerhalb der Domäne der Arten bestimmen. Betrachten wir genauer, wie
sich das Denotat eines Gattungsnomens in den jeweiligen Fällen bestimmt.
Für Objektreferenz wurde argumentiert (Chierchia 1998), dass Referenten
von Singular-NPn singuläre Individuen sein müssen, während Pluralnomen ihr
Denotat innerhalb der Menge der pluralischen Individuen bestimmen. Seien f,
b und s die drei (Hunde-) Objekte Fido, Barky und Spotty. Das Singularnomen
Hund bestimmt relativ zu diesem übersichtlichen Universum sein Denotat im
Bereich der Singularitäten (Atome), im folgenden Schema durch die Zeile 1
repräsentiert:

3. {f,b,s} ...

2. {f,b} {f,s} {b,s} ...

1. f b s ...

Abbildung 3.1: Hundeobjekte

Pluralisierung wird als eine morphologische Operation aufgefasst, die den


Referenzbereich von Mengen von Singularitäten in Mengen von Pluralitäten
überführt. Das Pluralnomen Hunde bestimmt sein Denotat folglich innerhalb
des Objektuniversums im Bereich der Pluralitäten, der in Abbildung 3.1 durch
die Zeilen 2 und 3 angedeutet ist.
Wenden wir uns damit den artreferierenden Nomen zu. Die ontologische
Domäne der Arten wird von Dayal (2004) auch taxonomische Domäne genannt.
Der Grund besteht darin, dass Arten, geordnet durch die Subart-von Relation, in
ihrer Domäne taxonomische Hierarchien bilden (s. Krifka et al. 1995:76). Seien
1 Neben der Artdomäne und der Objektdomäne setzt Carlson (1977) in seiner Onto-
logie noch eine Stadiendomäne an.
3.2. ARTREFERENZ UND OBJEKTREFERENZ 43

F, B und S die drei (Wal-)Arten ‘Finnwal’, ‘Blauwal’ und ‘Schwertwal’, sei W


die Art ‘Wal’, H die Art ‘Hund’ und T die Art ‘Tier’. Diese sechs Arten formen,
bezogen auf die aktuale Welt, die folgende Taxonomie2 :

> T _@@
}}} @@
}} @@
}} @
> WO `@@ H
~~~ @@
~~ @@
~ @@
~~
F S B

Abbildung 3.2: Taxonomie


Wenn das ontologische Bezugssystem, relativ zu dem die Gültigkeit oder
Ungültigkeit einer sprachlichen Aussage evaluiert wird, eine Artdomäne
enthält, die wie in Abbildung 2 organisiert ist, dann sind die folgenden Aus-
sagen relativ zu diesem Artuniversum wahr:
(30) a. Die Art ‘Finnwal’ ist eine Walart.
b. Die Art ‘Schwertwal’ ist eine Walart.
c. Die Art ‘Blauwal’ ist eine Walart.
d. Die Art ‘Finnwal’ ist eine Tierart.
e. Die Art ‘Schwertwal’ ist eine Tierart.
f. Die Art ‘Blauwal’ ist eine Tierart.
g. Die Art ‘Wal’ ist eine Tierart.
h. Die Art ‘Hund’ ist eine Tierart.
Mit anderen Worten, die in Abbildung 2 angegebene taxonomische Struktur
repräsentiert die Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit die Sätze unter
(1) wahr sind. Alternativ können die Wahrheitsbedingungen dieser Sätze mit T
als Symbol für die Subart-von Relation (Krifka et al. 1995:77) auch wie folgt
formuliert werden:
(31) a. [[(1a)]]=1 iff there is a relation T(F,W).
b. [[(1b)]]=1 iff there is a relation T(S,W).
2 Pfeilesymbolisieren Subart-von Relationen. Es gilt Transitivität: Wenn ein Pfeil
von F zu W führt und ein anderer von W zu T führt, dann führt auch einer von F zu T.
Der Übersichtlichkeit wegen sind Pfeile, die auf der Grundlage des Transitivitätsprinzips
berechnet werden können, nicht dargestellt.
3.2. ARTREFERENZ UND OBJEKTREFERENZ 44

c. [[(1c)]]=1 iff there is a relation T(B,W).


d. [[(1d)]]=1 iff there is a relation T(F,T).
e. [[(1e)]]=1 iff there is a relation T(S,T).
f. [[(1f)]]=1 iff there is a relation T(B,T).
g. [[(1g)]]=1 iff there is a relation T(W,T).
h. [[(1h)]]=1 iff there is a relation T(H,T).
Der Referenzbereich eines artbezogen verwendeten Singularnomens umfasst
die Menge aller singulären Arten innerhalb der Taxonomie, die die deskriptiven
Bedingungen des Nomens erfüllen. Mit Katz & Zamparelli (2005) sei ange-
nommen, dass die Extension von N die Art N sowie sämtliche Subarten von N
umfasst. Die Extension des Singularnomens Hund umfasst z.B., bezogen auf
die oben gegebene Artdomäne, lediglich das Element H, die Extension von Wal
umfasst die Elemente W, F, B und S, das Nomen Tier denotiert die Menge der
Arten T, W, H, F, B und S3 , etc.
Welche Artenmenge wird nun durch ein Pluralnomen charakterisiert? Zam-
parelli’s und Dayal’s Idee ist, dass - analog zur Situation bei Objektreferenz -
Pluralisierung den Referenzbereich von Mengen von Singularitäten in Mengen
von Pluralitäten überführt. Während der Referenzbereich des Singularnomens
Wal der Zeile 1 des folgenden Schemas entspricht, entspricht der Referenzbe-
reich des Pluralnomens Wale somit den Zeilen 2, 3 und 44.

4. {F,B,S,W} ...

3. {F,B,S} {F,B,W} {F,S,W} {B,S,W} ...

2. {F,B} {F,S} {B,S} {F,W} {B,W} {S,W} ...

1. F B S W ...

Abbildung 3.3: Walarten

Die Ontologie, die sprachlichen Strukturen zugrundeliegt, beinhaltet also ei-


ne Artdomäne derart, dass die Individuen innerhalb dieser Artdomäne eine be-
3 Alternativ könnte man annehmen, dass die Artenextension von N zwar sämtliche
Unterarten von N umfasst, nicht aber N selbst. Das ist die Position Dayal’s, wenngleich
sie in einer Fussnote Evidenz für die Position aufführt, wonach auch die Oberart in die
Denotation gehört (Dayal 2004:426).
4 Folgt man Dayal und klammert W aus der Denotation des Singularnomens aus (vgl.
Fussnote 3), dann entfallen alle Pluralitäten, in denen W vorkommt.
3.2. ARTREFERENZ UND OBJEKTREFERENZ 45

stimmte Struktur ausbilden, die durch die Subart-von Relation T beschreibbar


ist. Man kann sich die Architektur der Artdomäne als eine grosse Taxonomie
vorstellen, mit der Art ‘Objekt’ als Superkategorie5 . Mit Ausnahme der Art
‘Objekt’ ist jedes Element innerhalb der Artdomäne eine Subart der Art ‘Ob-
jekt’. Innerhalb der taxonomischen Hierachie gilt das Gesetz der Transitivität:
(32) [T(X,Y) & T(Y,Z) ⇒ T(X,Z)]
Zum Beispiel: Wenn die Art ‘Schwertwal’ eine Subart der Art ‘Wal’ ist und
wenn die Art ‘Wal’ eine Subart der Art ‘Tier’ ist, dann ist die Art ‘Schwertwal’
eine Subart der Art ‘Tier’.
Neben der Artdomäne existiert innerhalb der Ontologie eine Objektdomäne.
Objekte können als raumzeitliche Manifestationen bzw. Instanzen von Arten
aufgefasst werden. Krifka et al. (1995) halten zur Formalisierung der Beziehung
zwischen Objektindividuen und Artindividuen den Relator R bereit. R(x,X)
symbolisiert, dass das Objekt x eine Instanz (=Realisierung) der Art X ist6 . Zwi-
schen T und R besteht die folgende Relation (s. Krifka et al. 1995:77):
(33) [R(x,X) & T(X,Y) ⇒ R(x,Y)]
Zum Beispiel: Wenn das Objektindividuum namens Orca eine Instanz der Art
‘Schwertwal’ ist und wenn die Art ‘Schwertwal’ eine Unterart der Art ‘Wal’ ist,
dann folgt, dass das Objekt Orca eine Instanz der Art ‘Wal’ ist.
Fassen wir zusammen: Die Individuendomäne der Ontologie besteht aus
(mindestens) zwei Ebenen, nämlich der Artdomäne (Typenebene) und der Ob-
jektdomäne (Tokenebene). Die Elemente der Artdomäne sind durch die Subart
Relation T aufeinander bezogen und bilden deswegen eine taxonomische Hier-
archie. Zwischen Elementen der Objektdomäne und Elementen der Artdomäne
vermittelt die Realisierungsrelation R. Jedes Element der Objektdomäne ist ei-
ne Realisierung eines Elements der Artdomäne (und aller Oberarten dieses Ele-
ments), aber nicht jedes Element der Artdomäne hat Realisierungen innerhalb
der Objektdomäne7 .
5
Vgl. Kapitel 2, in dem ich dafür plädiere, Arten als sortale Konzepte anzusehen,
d.h. als mentale Representationen, die ursprünglich Mittel zum Zweck der Objektindi-
viduierung sind. Dies würde erklären, warum die Art ‘Objekt’ die Superkategorie der
taxonomischen Domäne darstellt.
6 Hier und im Weiteren werde ich Arten durch Grossbuchstaben und Objekte durch
Kleinbuchstaben symbolisieren.
7 Dass nicht jede Art zwingend Instanzen hat scheint nicht selbstverständlich zu sein.
So basiert Gatt (2004) seine Erklärung der Distribution zweier Possessiv-Konstruktionen
im Maltesischen, wonach im einen Fall die Possessor-NP objektbezogen interpretiert
wird (“reguläre Possession”) und im anderen Fall artbezogen (“generische Possession”),
3.3. ARTEN ALS TAXONOMISCHE KATEGORIEN 46

3.3 Arten als taxonomische Kategorien

Ich werde im Folgenden dafür argumentieren, Inhaltswörter, speziell Nomen,


sowohl als Artnamen (Kategoriennamen) als auch als Artprädikate anzuse-
hen. Dieser “hybride” lexikalisch-semantische Status ist auf die intrinsisch
taxonomische Organisation der Artdomäne zurückzuführen. Deswegen ist es
zweckmäßig, dass wir uns an dieser Stelle die Struktur der taxonomischen
Domäne etwas genauer ansehen.
Jede taxonomische Klassifikation kann als Default-Vererbungssystem gele-
sen werden (Corbett & Fraser 1999:57, s.a. Corbett & Fraser 1993). In Default-
Vererbungssystemen werden alle mit einer gegebenen Kategorie assoziierten
semantischen Informationen, die man sich als Attribut-Werte Paare vorstellen
kann, automatisch an alle Subkategorien der betreffenden Kategorie vererbt.
Wenn eine Subkategorie allerdings bereits einen eigenen Wert für das vererbte
Attribut besitzt, so wird der vererbte Wert überschrieben. Daraus ergibt sich,
dass, wenn eine Art (z.B. ‘Hund’) beim Namen genannt wird, automatisch alle
Unterarten der benannten Art charakterisiert sind.
Betrachten wir ein einfaches Beispiel. Angenommen, die Arten ‘Eu-
ropäischer Schwan’ und ‘Australischer Schwan’ sind Subarten der Art
‘Schwan’. Für ‘Schwan’ ist das Attribut FARBE durch den Wert ‘weiss’ spe-
zifiziert. Diese Spezifikation vererbt sich per default an die Subarten. Aber, für
die Art ‘Australischer Schwan’ ist das Attribut FARBE explizit durch den Wert
‘schwarz’ spezifiziert:

auf der Annahme, dass jede Art die Existenz einer sie realisierenden Instanz enthält:
∀x[KIND(x)→∃y[OBJECT(y)&R(y,x)]] (nach Gatt 2004:207). Gültig ist jedoch nur die
umgekehrte Implikation (vgl. Dölling 1995:79): ∀x[OBJECT(x)→∃y[KIND(y)&R(x,y)]].
Dass Arten ohne Instanzen vorkommen können ist durch die Wahrheit von Sätzen wie
z.B. Quadratische Kreise existieren nicht leicht zu belegen.
3.3. ARTEN ALS TAXONOMISCHE KATEGORIEN 47

VOGEL

FLAMINGO SCHWAN
[FARBE : rosa] [FARBE : weiss]

EUROPÄISCHER SCHWAN AUSTRALISCHER


 SCHWAN 
[H ERKUNFT: Europa] H ERKUNFT: Australien
FARBE : schwarz

Abbildung 3.4: Default Vererbung

Da die spezifischere Information gewinnt, sind die folgenden Sätze relativ zu


diesem taxonomischen System wahr:
(34) a. Schwäne sind weiss.
b. In Australien sind Schwäne schwarz.
Die Tatsache, dass eine Art/Kategorie sämtliche Merkmale (Attribut-Werte
Paare) der ihr übergeordneten Kategorie erbt (von denen möglicherweise ein-
zelne überschrieben werden), hat zur Folge, dass die Beschreibung einer Art
immer auch eine adäquate Beschreibung ihrer Subarten ist. Man könnte sagen,
eine Subart besitzt sämtliche semantischen Merkmale seiner Superart plus noch
einige mehr. Die Art ‘Schwan’ besitzt zum Beispiel sämtliche Merkmale der Art
‘Vogel’ plus noch einige mehr. Die Art ‘Australischer Schwan’ besitzt sämtliche
Merkmale der Art ‘Schwan’ (und somit der Art ‘Vogel’) plus noch einige mehr.
Unter diesen “einige mehr” können sich Merkmale befinden, die mit geerbten
Merkmalen um die Wertbelegung eines Attributs konkurrieren. In diesem Fall
gewinnt der spezifischere Wert, wobei der exklusive Wert einer Subart immer
spezifischer ist als der von der Superart geerbte Wert. Wenn die Beschreibung ei-
ner Art also automatisch auch eine adäquate Beschreibung aller ihrer Unterarten
ist, dann folgt daraus, dass die folgenden zwei semantischen Repräsentationen
informationsidentisch sind. (10a) formalisiert die artreferierende Dimension des
Gattungsnomens Hund, (10b) formalisiert seine artprädizierende Dimension als
charakterisierende Funktion8:
8 “D
k” steht für die Artdomäne.
3.4. ARTEN UND KONZEPTE 48

(35) a. [[Hund]] = H ∈ Dk
b. [[Hund]] = λ X ∈ Dk . HUND(X)
Fassen wir zusammen: Bedingt dadurch, dass Arten in taxonomischen Hier-
archien organisiert sind, besitzen nominale Ausdrücke, die sich auf die Art-
domäne beziehen, eine hybride lexikalisch-semantische Natur. Einerseits ist ein
Artausdruck der Name einer Art (10a), andererseits charakterisiert er eine Men-
ge von Arten, nämlich die Menge aller Subarten der beim Namen genannten Art
plus die beim Namen genannte Art selbst (10b).

3.4 Arten und Konzepte

Angenommen, ein Englisches oder Deutsches Gattungsnomen ist f ür sich ge-
nommen ein Prädikat9 und charakterisiert als solches eine Menge von Indivi-
duen, entweder Artindividuen oder Objektindividuen. Maßgabe dafür, welche
Individuen durch das Prädikat charakterisiert werden und welche nicht, ist der
deskriptive Gehalt, mit dem das Nomen assoziiert ist, auch “Deskription”, “le-
xikalischer Gehalt”, “Konzept” oder einfach “Beschreibung” genannt:
Wenn Sie nun die Bedeutung des Wortes Hund erklären sollten, würden
Sie wahrscheinlich antworten, dass Hunde eine bestimmte Art von mit-
telgroßen Tieren sind, mit vier Beinen und einem Schwanz, dass sie
meistens als Haustiere gehalten werden, dass sie bellen, beißen können
usw. Mit anderen Worten: Sie würden wahrscheinlich eine allgemeine
Beschreibung von Hunden geben. Das ist eine durchaus angemessene
Antwort: man kann die allgemeine Beschreibung eines Hundes als Er-
klärung der Bedeutung des Wortes Hund ansehen. Im wesentlichen ist
die Bedeutung eines Inhaltswortes eine Beschreibung der Art von En-
titäten, auf die man mit dem Wort referieren kann. (Löbner 2003:24;
eigene Hervorhebung)
Halten wir soweit fest, dass jedes Nomen mit einer Beschreibung einer Art
assoziiert ist. Diese Artbeschreibung trifft auf manche Entitäten zu, auf andere
nicht. Die Entität, auf die die Beschreibung zutrifft, sind die potentiellen Re-
ferenten einer Nominalphrase, die auf der Basis des betreffenden Nomens ge-
bildet werden kann. Häufig spricht man davon, dass die Entitäten, auf die die
9 Ob primär oder abgeleitet, das sei an dieser Stelle offen gelassen. So sind Gat-
tungsnomen z.B. für Dölling (1992) primär Namen von Arten, also Terme, von denen
Prädikate erst noch abgeleitet werden müssen. Chierchia (1998) stellt sich vor, dass ver-
schiedene Sprachen dahingehend variieren, ob ihre Nomen primär Argumente (Terme)
oder Prädikate sind.
3.4. ARTEN UND KONZEPTE 49

Beschreibung zutrifft, “unter das Konzept fallen”. Diese Redeweise impliziert,


dass die Beschreibungen, von denen hier die Rede ist, Konzepte sind. Dieser
Meinung ist auch Löbner (2003), denn er schreibt weiter:
[D]ie Bedeutung des Wortes Hund ist [. . . ] eine mentale Beschrei-
bung. Mentale Beschreibungen werden allgemein Konzepte genannt.
Ein Konzept für eine Art, oder “Kategorie”, von Entitäten ist Wissen,
das es uns erlaubt, Entitäten dieser Art von Entitäten anderer Art zu
unterscheiden. (Löbner 2003:24-25)
Nun sei auf Folgendes hingewiesen: Wenn neben Objekten Arten als onto-
logische Primitiva angenommen werden, wie in der vorliegenden Arbeit, dann
entsteht eine auf den ersten Blick verwirrende Situation. Die Entitäten, die un-
ter ein Konzept fallen können oder nicht, sind nicht mehr nur Objekte, sondern
können auch Arten sein. Fällt eine bestimmte Art unter ein Konzept, dann heisst
das wohl, dass die “mentale Beschreibung der Art” auf diese Art zutrifft. Man
ersetze im letzten Satz des ersten Löbnerzitats “Entität” mit “Art”:
Die Bedeutung eines Inhaltswortes ist eine Beschreibung der Art von
Arten, auf die man mit dem Wort referieren kann.
Wem das paradox erscheint (wie mir lange Zeit), der muss sich vor Augen
führen, dass die “Art von Arten” nichts anderes ist als die Oberart innerhalb ei-
ner taxonomischen Hierarchie. Die Art ‘Wal’ ist die Art der Arten ‘Schwertwal’,
‘Narwal’, ‘Delphin’ etc. Wir sehen also: Die Bedeutung des Wortes Wal als
Prädikat zu repräsentieren, das die Menge aller Walarten inklusive der Art ‘Wal’
charakterisiert, ist die referenzsemantische Variante der Löbnerschen Sicht auf
Bedeutungen als konzeptuelle Beschreibungen von Arten von Entitäten. Die Po-
sition von Löbner stimmt mit der Barsalous überein:
A concept is the accumulated knowledge about a type [=kind, OMR]
of thing in the world. (Barsalou 2000)
Arten einerseits und konzeptuelle Beschreibungen von Arten andererseits
sind folglich verschiedene Wesensheiten. Man könnte sagen, dass Arten Reifi-
kationen von Artbeschreibungen sind10 . Das Verhältnis von Arten zu Konzepten
kann wie folgt dargestellt werden:

Das Bemerkenswerte ist, dass, obwohl Arten und Konzepte verschiedene


Wesensheiten sind, sie dieselben Informationen kodieren. Das erinnert sehr an
die Fregesche Idee von der Doppelnatur von Eigenschaften, für die Chierchia
10 “Reification, also called hypostatisation, is treating an abstract concept as if it were
a real, concrete thing” (Wikipedia, 01.12.04)
3.5. ARTEN UND EIGENSCHAFTEN 50

beschreibt
−−−−−−→
Konzept ←−−−−− Art/Kategorie
reifiziert

Abbildung 3.5: Arten als reifizierte Konzepte

(1984) und Chierchia & Turner (1988) eine formalsemantische Modellierung


entwickelt haben. Diesem Thema ist der nächste Abschnitt gewidmet.

3.5 Arten und Eigenschaften

Als Eigenschaftswörter par excellence gelten traditionellerweise Adjektive. Die


Bedeutung des Adjektivs rot beispielsweise ist, prätheoretisch gesprochen, die
Eigenschaft ‘rot’, die von rund ist die Eigenschaft ‘rund’, die von sicher ist die
Eigenschaft ‘sicher’ etc. Man kann versuchen, dieser intuitiv plausiblen Annah-
me dadurch Substanz zu geben, dass man den referentiellen Effekt beschreibt,
den Eigenschaften haben. So kann die Eigenschaft ‘rot’ als ein “mentales Mu-
ster” aufgefasst werden, relativ zu dem man überprüfen kann, ob ein gegebener
Gegenstand (ein gegebenes Individuum) diese Eigenschaft trägt oder nicht. Ein-
fach gesagt vergleicht man die Farbe des Gegenstandes mit dem Musterrot und
gelangt entweder zu dem Schluss, der Gegenstand ist rot, oder zu dem Schluss,
der Gegenstand ist nicht rot. Diese referenzsemantische Perspektive nimmt die
formale Semantik ein, indem sie Eigenschaften als Funktionen betrachtet. In ih-
rer extensionalen Variante ist zum Beispiel die Eigenschaft ‘rot’ eine Funktion,
die Individuen als Input nimmt und auf einen der zwei Wahrheitswerte wahr
oder falsch abbildet. In ihrer intensionalen Variante ist ‘rot’ eine Funktion, die
Welten als Input nimmt und auf eine Funktion abbildet, die Individuen als In-
put nimmt und auf einen der zwei Wahrheitswerte wahr oder falsch abbildet.
Dasselbe gilt entsprechend für andere Adjektive wie rund, sicher etc.11
Die formalsemantische Sichtweise auf Bedeutungen hat eine interessante
Konsequenz. Wenn man die sprachliche Bedeutung eines Ausdrucks über sei-
nen referentiellen Effekt erfasst, dann wird der Bedeutungsunterschied, der tra-
ditionell zwischen Adjektiven, Verben und Nomen gemacht wird, irrelevant.
Traditionell werden Adjektive als Eigenschaftswörter, Nomen als Dingwörter
und Verben als Handlungswörter charakterisiert. Aus formalsemantischer Per-
spektive besteht aber zunächst einmal kein Grund für diese Unterscheidung. Die
Bedeutung eines Nomens wie Hund und die Bedeutung eines Verbs wie gehen
11 . . . aber
nicht für sämtliche Adjektive. Solche Adjektive wie angeblich oder ehema-
lig entziehen sich dieser Behandlung (s. Partee 1995, Heim & Kratzer 1998).
3.5. ARTEN UND EIGENSCHAFTEN 51

kann genauso wie die Bedeutung eines Adjektivs als “Muster” aufgefasst wer-
den, mittels dessen man bestimmt, ob ein gegebenes Individuum ein Hund ist
oder ob ein gegebenes Individuum geht. Tatsächlich scheint nichts dagegen zu
sprechen, Adjektive, Nomen und Verben semantisch über einen Kamm zu sche-
ren. Die Bedeutung eines Adjektivs, Nomens oder Verbs ist stets (eine Funktion
von Welten in) eine Funktion von Individuen in Wahrheitswerte12 . Typentheo-
retisch gesprochen heißt das, dass Adjektive, (nicht-relationale) Nomen und (in-
transitive) Verben vom semantischen Typ <e,t> (extensional) bzw. <s<e,t>>
(intensional) sind13.
Die beschriebene Konsequenz bleibt nicht ohne Folgen, denn die formalse-
mantische Strategie, Eigenschaften als Funktionen zu modellieren, wird mit ei-
nem sehr fundamentalen Problem konfrontiert, für das Chierchia (1984) und in
der Folge Chierchia und Turner (1988) eine Lösung entwickeln. Ich rekapitu-
liere das Problem hier in aller Kürze mit eigenen Beispielen:
(36) a. Die Bank von England ist sicher.
b. Sicher ist sicher.
Das grammatische Subjekt von (7a) denotiert ein Objektindividuum und ist
somit ein Ausdruck des semantischen Typs <e>. Das grammatische Prädikat
von (7a) denotiert eine Eigenschaft und ist dementsprechend vom semantischen
Typ <e,t>. Unter diesen Annahmen kann das Subjekt die Argumentstelle des
Prädikats saturieren und im Ergebnis steht die Bedeutung des Satzes als Propo-
sition, semantischer Typ <t>. Aber mit was für einem semantischen Typen hat
man es dann bei dem grammatischen Subjekt von (7b) zu tun? Das grammati-
sche Subjekt von (7b) und die grammatischen Prädikate von (7a) und (7b) wer-
den durch denselben Ausdruck gestellt. Nichtsdestoweniger k önnen sie nicht al-
le vom selben semantischen Typ sein. Wenn das Subjekt und das Prädikat in (7b)
beide vom Typ <e,t> wären, dann würde die semantische Komposition nicht
funktionieren. Will man an der Typisierung des grammatischen Prädikats in (7b)
als <e,t> festhalten, dann müsste das Subjekt entweder <e> oder <<e,t>,t>
sein. Will man das Subjekt in (7b) wie das grammatische Prädikat in (7a) als
Ausdruck des Typs <e,t> behandeln, so m üsste das grammatische Prädikat in
(7b) vom semantischen Typ <<e,t>,t> sein. Wie könnte eine Lösung ausse-
hen?
Chierchia und Turner schlagen das einzig Vernünftige vor, nämlich dass das
Subjekt in (7b) vom semantischen Typ <e> ist. Ihre Idee besteht darin, die on-
tologische Domäne der Objektindividuen zu partitionieren. Eine Sorte von Indi-
12 Die Darstellung abstrahiert hier natürlich von mehrstelligen Prädikaten wie relatio-
nalen Nomen, transitiven Verben, etc.; ebenso von referentiellen Situationsargumenten.
13 “e” steht für Individuen, “s” für Welten und “t” für Wahrheitswerte.
3.5. ARTEN UND EIGENSCHAFTEN 52

viduen bilden kanonische Objekte, wozu zum Beispiel der Referent des Subjek-
tausdrucks von (7a) gehört. Eine andere Sorte von Individuen bilden sogenann-
te “Nominalisierte Funktionen”. Der Name ist Programm: Eine nominalisierte
Funktion wird als ein Abbild (image) einer Funktion, also einer Instanz des
Bedeutungstyps <e,t>, aufgefasst. Ein Beispiel f ür ein Individuum der Sorte
Nominalisierte Funktion ist der Referent des Subjektausdrucks von (7b). Die
Idee ist, dass jede Funktion ein Abbild in der Individuendomäne hat. Jeder
Eigenschaft-als-Funktion entspricht also eine Eigenschaft-als-Individuum.
Die Klasse der Ausdrücke des semantischen Typs <e> umfasst folglich (mit
“o” als Index für Objekte und “nf” für Nominalisierte Funktionen) Ausdrücke
des Typs <eo > und Ausdrücke des Typs <enf >. Formal werden zwei Opera-
toren definiert, um zwischen den beiden Eigenschaftsformaten zu vermitteln.
Der Operator “∩”, der Eigenschaften-als-Funktionen auf Eigenschaften-als-
Individuen abbildet, wurde (leider) Nominalisierer (oder down-Operator) ge-
tauft. Sein Pendant “∪ ” heisst entsprechend Prädikativierer (oder up-Operator)
und überführt Eigenschaften-als-Individuen in Eigenschaften-als-Funktionen:


−−−−→
Eigenschaft-als-Funktion ←−−−− Eigenschaft-als-Individuum

Abbildung 3.6: Doppelnatur von Eigenschaften

Fassen wir zusammen: Satz (7b) stellt prima facie ein Problem für die
(dem Kompositionalitätsprinzip geschuldete) Annahme dar, wonach ein und
derselbe Ausdruck in verschiedenen Aktualisierungen denselben Bedeutungs-
typ in die semantische Komposition einbringen muss. Wenn Eigenschaften-als-
Funktionen jedoch systematisch mit Eigenschaften-als-Individuen (=Nominali-
sierten Funktionen) korreliert sind, dann verflüchtigt sich das Problem. In der
Extension des Prädikats sicher befinden sich nicht nur Objekte wie die Bank von
England, sondern auch Nominalisierte Funktionen wie die Eigenschaft ‘sicher’.
Da im Rahmen der formalen Semantik nicht nur adjektivische Bedeutungen,
sondern auch verbale und nominale Bedeutungen als Eigenschaften aufgefasst
werden, eignet sich Chierchia und Turner’s Vorschlag automatisch auch f ür eine
semantische Analyse der folgenden Subjektausdrücke:
(37) a. Atomkraftwerke sind sicher.
b. Fliegen ist sicher.
Man betrachte zunächst Beispiel (8b). Wenn ein Verb wie flieg- ein Prädikat
(semantischer Typ <e,t>) ist, so kann es via ∩ in einen Term (semantischer Typ
<e>) überführt werden. Dieser denotiert dann die Eigenschaft-als-Individuum
3.6. CHIERCHIA’S (1998) ARTBEGRIFF 53

‘fliegen’. Nach Chierchia und Turner (1988:294-295) manifestiert sich diese


Operation in vielen Sprachen als Infinitivmorphologie. Entsprechend ist in Hin-
blick auf (8a) zu erwarten, dass nominale Prädikate sich durch ∩ in Terme
überführen lassen, mittels derer man auf eine Eigenschaft-als-Individuum (z.B.
‘Atomkraftwerk’) referieren kann.
Das Beispiel (8a) gibt allerdings ein linguistisches Rätsel auf. Warum steht
das Subjekt im Plural? Und es muss im Plural stehen, wie (9) zeigt. So wie die
Theorie bisher steht bleibt unklar, warum das so ist:
(38) *Atomkraftwerk ist sicher.
Chierchia (1998) löst dieses Rätsel, indem er von Nomen bezeichnete
Eigenschaften-als-Individuen als besondere Eigenschaften-von-Individuen in-
terpretiert, genannt “Arten”. Weil der spezielle Artbegriff, den Chierchia dabei
voraussetzt, die Anwendung des down-Operators auf solche Eigenschaften-als-
Funktionen, die nur Singularitäten charakterisieren, verbietet, werden artikello-
se Singularnomen als artreferierende Ausdrücke ausgeschlossen. Sehen wir uns
das näher an.

3.6 Chierchia’s (1998) Artbegriff

Chierchia (1998) widmet sich einer Teilklasse von Eigenschaften-als-


Individuen, nämlich jenen Individuen, die mit von Nomen denotierten
Eigenschaften-als-Funktionen korrelieren. Diese werden als “Arten” be-
zeichnet. Eine Art ist für Chierchia also das Abbild einer durch ein Nomen
denotierten Eigenschaft-als-Funktion innerhalb der ontologischen Individuen-
domäne. Das Abbild einer durch ein Verb denotierten Eigenschaft-als-Funktion
bezeichnet Chierchia als “Aktionstyp” (action type). Ich verstehe Chierchia so,
dass Arten und Aktionstypen Spezialfälle von Eigenschaften-als-Individuen
sind. Das Abbild einer durch ein Adjektiv denotierten Eigenschaft-als-Funktion
ist dann eine Eigenschaft-als-Individuum im engeren Sinne.

Eigenschaft

Art Aktionstyp Eigenschaft(i.e.S.)


Abbildung 3.7: Eigenschaften-als-Individuen nach Chierchia
3.6. CHIERCHIA’S (1998) ARTBEGRIFF 54

Ein Ausdruck, der sich auf Eigenschaften-als-Individuen im engeren Sin-


ne bezieht, ist z.B. das (7b) Subjekt sicher. Ein Beispiel für einen Ausdruck,
der einen Aktionstypen denotiert, ist das (8b) Subjekt fliegen. Das Subjekt von
(8a) exemplifiziert einen artreferierenden Ausdruck, genau wie die Subjektaus-
drücke in den folgenden Beispielen:
(39) a. Blauwale sind Wale.
b. Wale sind Säugetiere.
Wenn Wale in (10a) und Säugetiere in (10b) jeweils Prädikate vom seman-
tischen Typ <e,t> sind, dann muss Wale in (10b) wohl ein Argument vom se-
mantischen Typ <e> sein14 . Nach Chierchia (1998:349) wird ein Argumentaus-
druck wie Wale von einem Prädikatausdruck Wale mittels des down-Operators ∩
abgeleitet. Chierchia geht davon aus, dass ein Artterm wie Wale oder Hunde und
ein Eigenname wie Moby Dick oder Fido sich darin gleichen, dass sie jeweils
ein Individuum bezeichnen. Im Unterschied zu einem Eigennamen bezieht sich
ein Artterm aber (üblicherweise) auf ein “diskontinuierliches Individuum”. Art-
terme und Eigennamen könnten ähnlicher nicht sein, denn beide werden von
Chierchia semantisch als Funktion, die möglichen Welten Individuen zuweist,
repräsentiert:
It seems natural to identify a kind in any given world (or situation)
with the totality of its instances. Thus, the dog-kind in our world can be
identified with the totality of dogs, the scattered entity that comprises
all dogs, or the fusion of all dogs around. In our framework, this entity
is modeled by the set of dogs. This means that we can model kinds as
individual concepts of a certain sort: functions from worlds (or situa-
tions) into pluralities, the sum of all instances of the kind. (Chierchia
1998:349)
In Chierchia’s System nimmt der down-Operator ∩ als Input eine Funktion
von Welten in Mengen von Individuen und bildet sie auf eine Funktion von
Welten in das jeweils unique maximale Individuum der Inputmenge ab. Letzte-
res Individuum verteilt sich in der Regel diskontinuierlich im Raum. Der Input
und der Output des down-Operators gelten als informationsidentisch:
[K]inds and [. . . ] properties can in a way be seen as two modes of
packaging the same information. Using Frege’s (1891) metaphor, pro-
perties are unsaturated, something that (at a world) is true or false of
14
Es sei denn, man sieht Satz (10b) als generische Quantifikationsstruktur an, wie z.B.
Greenberg (2002) es tut. Dann kann das Subjekt ein Prädikat vom Typ <e,t> sein, das
die Quantifikationsdomäne restringiert.
3.6. CHIERCHIA’S (1998) ARTBEGRIFF 55

individuals. Kinds are saturated, something that at a world has concre-


te, if possibly spatiotemporal discontinuous, manifestations. (Chierchia
1998:354)
Chierchia (1998:349) visualisiert das Verhältnis von Arten und Eigenschaften
wie folgt:

−−−−→
Eigenschaft ←−−−− Art

<s,<e,t>> <e>

Abbildung 3.8: Doppelnatur von Eigenschaften


Doch ∩ ist nicht auf jede Eigenschaft anwendbar. Eine Eigenschaft-als-
Funktion lässt sich nur dann in eine Art transformieren, wenn die von ihr cha-
rakterisierten Objektindividuen sich durch ein “ausreichend regelmäßiges Ver-
halten” auszeichnen. Diese Bedingung erfüllen sowohl natürliche Arten wie
‘Hund’, ‘Löwe’ oder ‘Baum’ als auch Artefakte wie ‘Tisch’ oder ‘Auto’, als
auch “komplexe Dinge” wie ‘intelligenter Student’ oder ‘Tintenfleck’. Unwahr-
scheinlich ist dagegen eine Art ‘alter kaputter von Leo weggeworfener Schuh’,
da alte kaputte von Leo weggeworfene Schuhe für kein ausreichend regelhaftes
Verhalten bekannt sind:
NPs can be modified, and not every modified NP is going to be associa-
ted with a kind. This will depend on whether it picks a class of objects
that display a sufficiently regular behavior. What counts as sufficiently
regular is determined by the shared knowledge and beliefs in the com-
munity of speakers (and is thus subject to a certain degree of variation).
(Chierchia 1998:372)
Ausreichend regelmässiges Verhalten stellt allerdings keine hinreichende Be-
dingung für Arten dar. Zusätzlich muss eine Art immer mit einer solchen Instan-
zenmenge assoziiert sein, deren Kardinalität ungleich eins ist:
Moreover, kinds [. . . ] will generally have a plurality of instances (even
though sometimes they may have just one or none). But something that
is necessarily instantiated by just one individual [. . . ] would not qualify
as a kind. (Chierchia 1998:350)
Diese Beschränkung hat zwei wichtige Konsequenzen. Erstens werden ‘Mo-
by Dick’, ‘Fido’ etc. als potentielle Arten ausgeschlossen. Zweitens scheiden
bare singular Nomen damit als Artterme aus. Erinnern wir uns (Abschnitt 2):
Chierchia geht davon aus, dass sich in der Extension eines Singularnomens nur
3.6. CHIERCHIA’S (1998) ARTBEGRIFF 56

atomische Objekte befinden. Wenn ein Singularnomen in einer Welt mehr als
ein Element charakterisiert, wie etwa Hund relativ zur Welt von Abbildung 1,
dann gibt es kein uniques maximales Individuum und der down-Operator ist
nicht definiert; diese Ausdrücke können folglich nicht als Artterme fungieren.
Wenn ein Singularnomen in einer Welt genau ein (atomisches) Element charak-
terisiert, wie zum Beispiel Himmel relativ zu unserer aktualen Welt, dann gibt
es zwar ein einziges maximales Element, dennoch eignet sich Himmel nicht als
Artterm, weil Arten - per Stipulation - eben nicht mit genau einem Objekt korre-
spondieren dürfen. Auf diese Weise wird in Chierchia’s System dafür Rechnung
getragen, dass bare singulars (im Englischen) keine Artterme sein k önnen.
Krifka (2004) weist diesbezüglich auf das Problem hin, dass eine adäquate
Theorie auch Terme für Arten ohne Instanzen (z.B. ausgestorbene Arten) be-
reithalten muss. In Chierchia’s System ist nicht klar, wieso mit Einermengen
assoziierte Arten ausgeschlossen sind, mit leeren Mengen assoziierte Arten aber
wieder akzeptabel sein sollen.
Fassen wir zusammen: Weil Prädikate wie selten, weitverbreitet, ausgestor-
ben etc. die Aufnahme von Artindividuen in die Ontologie nötig machen, stellt
sich die Frage nach der Natur von Arten. Schnell wird klar, dass der Artbegriff
sehr eng an den Begriff des Konzepts gekoppelt ist. Chierchia (1998) modelliert
Arten direkt als Konzepte15 (man beachte, dass Chierchia den Begriff “Indivi-
duum” im Sinne von Objektindividuum benutzt):
[W]e can model kinds as individual concepts of a certain sort: functions
from worlds (or situations) into pluralities, the sum of all instances of
the kind. (Chierchia 1998:349)
Unabhängig von allen technischen Details unterscheidet sich Chierchia’s Art-
konzeption in einem wesentlichen Punkt von dem Artbegriff, von dem ich in
dieser Arbeit ausgehe. Für Chierchia sind Artterme und Eigennamen vom sel-
ben semantischen Format, d.h. vom selben semantischen Typ (nämlich <s,e>).
Der Unterschied besteht lediglich darin, dass eine Art typischerweise diskon-
tinuierlich im Raum verteilt ist, während der Träger eines Eigennamens ty-
pischerweise ein räumliches Kontinuum darstellt. Sowohl für Arten als auch
für Objektindividuen gilt, dass sie (intensionalisierte) räumlich lokalisierte En-
titäten sind. In dem System, von dem ich ausgehe, ist es aber gerade entschei-
dend, dass sich Arten und Objekte hinsichtlich des Kriteriums der raumzeitli-
chen Lokalisiertheit unterscheiden (vgl. Kapitel 4). Während Objekte raumzeit-
lokalisiert sind, sind Arten eben nicht in Raum und Zeit lokalisierte Entitäten.
15
...wobei “Konzept” hier nicht mentalistisch, sondern mathematisch zu verstehen ist
(s. Löbner 2003:355). Vergleiche in diesem Zusammenhang de Swart (1998): “[A] con-
cept [. . . ] is a function from possible worlds to individuals” (de Swart 1998:213)
3.7. LEXIKALISCHE UND FORMALE SEMANTIK 57

Für mich unterscheiden sich Arten und Objekte dahingehend, ob sie raumzeit-
lich lokalisiert sind. Für Chierchia dahingehend, wie sie raumzeitlich lokalisiert
sind16.

3.7 Lexikalische und formale Semantik

Die Position, Arten als sortale Konzepte anzusehen, für die ich im Kapitel 2
kognitionspsychologische Argumente angeführt hatte, wurde im vorliegenden
Kapitel aus semantischer Sicht diskutiert. Arten stehen als ontologische Basis-
kategorien als potentielle Referenten sprachlicher Ausdrücke zur Verfügung. Es
wurde dafür argumentiert, diese Kategorien der taxonomischen Artdomäne als
reifizierte Konzepte (Typen) aufzufassen. Zum Abschluss des Kapitels möchte
ich noch einmal die Rolle von Arten als “Brückenköpfe” zwischen dem kon-
zeptuellen System und dem grammatischen System herausstellen.
Für einen formalen Semantiker ist die Bedeutung eines Inhaltsworts, z.B. des
Nomens Hund, eine Funktion, die eine Menge von Entitäten relativ zu einer
Situation charakterisiert. Aus Sicht eines lexikalischen Semantikers ist die Be-
deutung eines Inhaltsworts ein mentales Muster (Konzept), von dem Gebrauch
gemacht werden kann, um Entitäten relativ zu Situationen zu charakterisieren.
Als referentielle Theorie ist die formale Semantik an der internen Struktur von
Konzepten nicht interessiert. Für einen formalen Semantiker ist dies keine lin-
guistische Frage, sondern eine psychologische. Ein lexikalischer Semantiker
würde dem widersprechen und sagen, dass, sobald sich ein Konzept in einer
Sprache als Symbol niederschlägt, es die Aufgabe des Linguisten ist, die Natur
dieses Konzepts zu ergründen.
Nun ist es wie diskutiert so, dass Sprecher sich sprachlich nicht nur auf rea-
le, raumzeitliche Entitäten (Objekte) beziehen, sondern ebenso auf abstrakte,
konzeptuelle Entitäten (Arten). Was folgt daraus für die formale Semantik und
für die lexikalische Semantik? Aus formalsemantischer Sicht entspricht die Be-
deutung des artbezogen verwendeten Nomens Hund einer Funktion, die eine
Menge von Arten charakterisiert. Aus lexikalisch-semantischer Sicht sind No-
men Symbole für Arten. Sind diese zwei Ansätze kompatibel? Natürlich sind
sie das. Worin sich die Positionen unterscheiden ist lediglich der jeweilige Un-
tersuchungsgegenstand.
Um das zu sehen nehmen wir die Perspektive eines allgemeinen Naturwissen-
schaftlers ein. Für ihn ist all das Gegenstand der Forschung, was in der Natur
16 Auch für Longobardi unterscheiden sich Arten und Objekte nur dahingehend, wie
sie in einem Raumzeitausschnitt (in einer Situation) jeweils vorkommen: Arten werden
wie bei Chierchia als Mengen einander ähnlicher Objekte aufgefasst: “maximal sets of
entities sharing some properties across all possible worlds” (Longobardi 2005:12).
3.7. LEXIKALISCHE UND FORMALE SEMANTIK 58

existiert. Das beinhaltet, neben vielen anderen Dingen, Menschen, die mitein-
ander und mit ihrer Umwelt interagieren. Bei genauerer Betrachtung stellt sich
heraus, dass Menschen über gewisse kognitive Fähigkeiten verfügen, die ein er-
folgreiches Navigieren in der Welt erst ermöglichen. Dazu gehört nicht zuletzt
die Fähigkeit Objekte zu individuieren. Voraussetzung für Objektindividuierung
ist das Vorhandensein eines Systems von Arten, mit dem sich die reale Objekt-
welt sortieren lässt17. Dieses mental repräsentierte konzeptuelle System18 unter-
scheidet sich mehr oder weniger von Mensch zu Mensch. Wenn unser Naturwis-
senschaftler sich diesen kognitiven Fähigkeiten widmet, ist er ein Psychologe.
Weiter zeigt sich, dass sich, wenn Menschen über sehr lange Zeiträume hinweg
miteinander interagieren, verschiedenste Kommunikationsformen entwickeln.
Darunter eine sehr effektive Kommunikationsform: Sprechen. Wenn unser Na-
turwissenschaftler sich dem Phänomen Sprache zuwendet, ist er ein Linguist.
Wenn er sich dabei auf den Bedeutungsaspekt konzentriert, ist er Semantiker.
Worauf ich aufmerksam machen will ist, dass das konzeptuelle Artsystem
nicht nur die Basis für Objektkategorisierung und Objektindividuierung ist, son-
dern ebenso das Fundament, auf welchem die Strukturen aufbauen, die sich in
einzelnen Sprachen grammatikalisiert haben. So kommt es, dass sich die Ge-
genstandsbereiche der kognitiven Psychologie und der Linguistik im Bereich
der Arten überschneiden. Einerseits sind Arten sortale Konzepte, die eine Teil-
menge des allgemeinen Konzeptsystems ausmachen. Andererseits sind Arten
ontologische Primitiva, also mögliche Referenten sprachlicher Ausdrücke.
Die Aufgabe der kognitiven Psychologie besteht u.a. darin, das Wesen und
die Struktur von Konzepten zu erforschen. Die Aufgabe der lexikalischen Se-
mantik besteht u.a. darin, die Struktur von denjenigen Konzepten zu erforschen,
die sich versprachlicht als Name einer Art (Inhaltswort) im mentalen Lexikon
eines Sprechers niederschlagen. Als ein Ziel der lexikalischen Semantik kann
man sich die Rekonstruktion der Taxonomie der Artdomäne vorstellen. Die Auf-
gabe der referentiellen Semantik besteht darin zu erforschen, wie man sich auf
der Basis eines gegebenen lexikalischen Ausdrucks sprachlich auf ontologische
Entitäten bezieht. Sie beantwortet die Frage, wie ein Inhaltswort morphosyntak-
tisch aufbereitet werden muss, um als referierender Ausdruck benutzt werden
zu können bzw. welche morphosyntaktische Aufbereitung sich für welche Refe-
renzweise eignet. Die formale Semantik kann als sehr weit entwickelte Variante
einer referentiellen Semantik verstanden werden.
17 Genauer muss es heißen, für artbasierte Objektindividuierung (vgl. Kapitel 2).
18 Man beachte: “konzeptuelles System” ist hier nicht im spezifischen Sinne der Zwei-
Ebenen Semantik (also im Gegensatz zu einem semantischen System) gemeint (z.B.
Bierwisch & Schreuder 1992), sondern im allgemeineren Sinne als “außersprachli-
ches Begriffssystem, auf das die Bedeutung sprachlicher Einheiten rekurriert” (Wiese
1999:92).
Kapitel 4

Raumzeitliche Lokalisierung – Type-Token


Theorien der Generizität

4.1 Überblick

Carlson’s (1977) Generizitätstheorie beruht im Wesentlichen auf einer Unter-


scheidung zwischen zwei Sorten von ontologischen Entitäten: Stadien und In-
dividuen. Während Stadien als raumzeitliche Entitäten aufgefasst werden, sind
Individuen bei Carlson nicht raumzeitlicher, sondern abstrakter Natur.
Ein Ziel des vorliegenden Kapitels ist es, die Grundzüge der Carlsonschen
Theorie vorzustellen. Dies ist der Bedeutung geschuldet, die diese Theorie für
die Generizitätsforschung hat. Der Hauptzweck dieses Kapitels besteht jedoch
in etwas anderem: es soll herausgearbeitet werden, dass sich in Carlson’s spe-
zifischer Theorie ein allgemeiner Theorientyp realisiert. Wie Carlson’s Vari-
ante, so ist jede Realisierung dieses Typs von Generizitätstheorie dadurch ge-
kennzeichnet, dass eine Unterscheidung zwischen raumzeitlichen Entitäten (To-
ken) einerseits und nicht-raumzeitlichen Entitäten (Typen) andererseits getrof-
fen wird. Generische Ausdrücke werden in solchen, wie ich es hier nennen
möchte, “Typ-Token-Theorien” dann dadurch erklärt, dass sie sich auf nicht-
raumzeitliche Entitäten beziehen.
Zu diesem Zweck werde ich im Folgenden verschiedene Typ-Token-Theorien
vorstellen und miteinander vergleichen. In Abschnitt 2 begegnen uns zwei
Theorien, die jeweils auf einer zugrundeliegenden Dreiteilung der Ontologie
beruhen. Da ist zum einen Carlson’s (1977) klassische Theorie, in der raum-
zeitliche Stadien von nicht-raumzeitlichen Individuen, die wiederum in Objekte
und Arten zerfallen, unterschieden werden. Da ist zum anderen ihr russisches
Pendant, die Theorie von Šmelev (1996). Šmelev’s Theorie lehnt sich zwar stark
an Carlson’s Original an, unterscheidet sich jedoch – nicht nur terminologisch
– in einigen Details. So geht Šmelev von inhärent nicht-raumzeitlichen Klassen
einerseits und von Individuen andererseits aus, wobei es von letzteren nicht-
4.2. DREI-KLASSEN-SYSTEME 60

raumzeitliche Varianten (abstrakte Individuen) und raumzeitliche Varianten (In-


stanzen) gibt1.
In Abschnitt 3 wenden wir uns dann Theorien zu, die mit einer ontologi-
schen Zweiteilung auskommen. Bulygina (1982) unterscheidet raumzeitlich lo-
kalisierte Prädikate von raumzeitlich nicht-lokalisierten Prädikaten und identifi-
ziert, damit korrespondierend, zwei Sorten von Nominalphrasen, nämlich kon-
kretreferierende und nicht-konkretreferierende. Ich werde dafür argumentieren,
letztere im Sinne von Krifka (1995) als objektreferierende bzw. artreferieren-
de Nominalphrasen zu reinterpretieren. Zudem soll auf Kratzer’s (1989/1995)
Unterscheidung zwischen Prädikaten ohne und mit einem raumzeitlichen Loka-
lisierungsargument eingegangen und die Ähnlichkeit dieser Idee mit Bulygina’s
Ansatz herausgestellt werden.
Abschnitt 4 weise ich auf eine terminologische Unklarheit hin, die die Lite-
ratur durchzieht. Es zeigt sich nämlich, dass für viele Semantiker der Begriff
der “Referentialität” auf objektreferierende Ausdrücke beschränkt ist, während
andere auch artreferierende Ausdrücke als referentiell bezeichnen.
Am Ende werde ich für eine Typ-Token-Theorie plädieren, die auf zwei onto-
logischen Kategorien basiert. Die Richtigkeit einer solchen Theorie vorausge-
setzt, ist auf der sprachlichen Ausdrucksebene eine Unterscheidung zwischen
tokenreferierenden und typenreferierenden Termen sowie eine Unterscheidung
zwischen token-level und typen-level Prädikaten zu erwarten. Mit Krifka (1995)
sollen als Token Objekte und als Typen Arten (sortale Konzepte, vgl. Kapitel 2)
angesehen werden – auf Stadien wird also verzichtet. Mit “nominaler Generi-
zität” (vgl. Kapitel 1) hat man es zu tun, wenn eine NP nicht objektbezogen,
sondern artbezogen verwendet wird. Mit “Prädikatsgenerizität” hat man es zu
tun, wenn das Prädikat nicht einem Objekt, sondern einer Art eine Eigenschaft
zuweist.

4.2 Drei-Klassen-Systeme

Den Kern von Carlson’s (1977) einflussreicher Semantiktheorie bildet eine sy-
stematische Zweiteilung der Ontologie. Carlson nimmt an, dass jede ontologi-
sche Entität doppelt vorkommt, wobei die eine Variante “a spatially and tem-
1 Dass ich semantische Theorien aus dem russischen Wissenschaftsraum mit solchen
aus dem angloamerikanischen Wissenschaftsraum vergleiche, ist der Tatsache geschul-
det, dass wesentliche Teile dieses Kapitels auf einem Vortrag beruhen, den ich im Rah-
men des Workshops “Formal Semantics in Moscow” (23. April 2005, Moskauer Staatli-
chen Universität MGU) gehalten habe. Ein Hauptziel des Workshops bestand darin “to
help strengthen bridges between “western” and “Russian” approaches to semantics” (B.
Partee).
4.2. DREI-KLASSEN-SYSTEME 61

porally bounded manifestation” (Carlson 1977:115) der anderen ist. Genau die-
se Unterscheidung auf der ontologischen Ebene erm öglicht es Carlson dann
im Weiteren, das unterschiedliche Verhalten von Bare plural Nominalphrasen
auf der sprachlichen Ebene zu erklären. Raumzeitliche Manifestationen wer-
den “Stadien” (stages) genannt und stehen den “Individuen” (individuals) ge-
genüber. Carlson beschreibt ein Individuum als das raumzeitlich ungebundene
“whatever-it-is that ties a series of stages together to make them stages of the
same thing” (Carlson 1977:115). Darüberhinaus sieht Carlson zwei Subtypen
von Individuen vor, nämlich “Objekte” (objects) einerseits und “Arten” (kinds)
andererseits. Abbildung 1 fasst Carlson’s Ontologie zusammen.
Entitäten

[+raumzeitlich] [-raumzeitlich]

Stadien Individuen

Objekte Arten
Abbildung 4.1: Carlson’s Ontologie

Für seine Analyse der verschiedenen Interpretationen russischer Nominal-


phrasen folgt Šmelev (1996) Carlson in der Annahme einer dreigeteilten En-
titätendomäne. Entscheidend ist auch für Šmelev die Unterscheidung zwi-
schen konkreten raumzeitlichen Manifestationen eines Objekts (“konkretna-
ja prostranstvenno-vremennaja manifestacija ob”ekta”) und einem Objekt als
solchen, d.h. als Abstraktion über konkreten raumzeitlichen Manifestationen
(“ob”ekt kak takovyj, vzjatyj v otvlečenii ot konkretnych prostranstvenno-
vremennych manifestacij”) ( Šmelev (1996:44-45). Mit diesen zwei Objektva-
rianten, auch “Individuen” genannt, kontrastieren “Klassen”, die als inhärent
nicht-raumzeitlich angesehen werden. Abbildung 2 zeigt das ontologische Sy-
stem von Šmelev:
Sowohl Carlson als auch Šmelev gehen also davon aus, dass Nominalphra-
sen grundsätzlich zur Referenz auf drei verschiedene Entitäten benutzt werden
können. Mit der Annahme von drei Sorten von NP-Referenten geht die Voraus-
sage von drei Möglichkeiten von Eigenschaftszuweisungen einher. Betrachten
wir zunächst wieder Carlson’s System.
Es ist zu erwarten, dass Sprachen über Ausdrucksmittel verfügen, Eigen-
schaften zum einen Stadien, zum anderen Objekten und zum dritten Arten zuzu-
weisen. Konsequenterweise behauptet Carlson (1977) denn auch, dass das eng-
lische Lexikon über Stadienprädikate (a), Objektprädikate (b) und Artprädikate
4.2. DREI-KLASSEN-SYSTEME 62

Entitäten

individy klassy
[-spatiotemporal]

[+spatiotemporal] [-spatiotemporal]
abstraktnye
konkretnye abstraktnye klassy
instanty individy
Abbildung 4.2: Šmelev’s Ontologie

(c) verfügt:
(40) a. be available, be hungry, be drunk, be dead, run, . . .
b. be altruistic, be intelligent, be a doctor, be a mammal, . . .
c. be widespread, be common, be rare, be extinct, . . .
Die lexikalische Bedeutung eines Stadienprädikats besteht darin, einem Sta-
dium eine Eigenschaft zuzuweisen, die eines Objektprädikats besteht in der Ei-
genschaftszuweisung an ein Objekt und die eines Artprädikats in der Eigen-
schaftszuweisung an eine Art. Damit eine Prädikation gelingen kann ist se-
mantische Kompatibilität erforderlich. Darunter ist zu verstehen, dass eine NP,
die die syntaktische Argumentposition eines Stadienprädikats besetzt, ein Sta-
dium in die semantische Komposition einspeisen muss, dass eine NP, die die
syntaktische Argumentposition eines Objektprädikats besetzt, ein Objekt in die
semantische Komposition einspeisen muss und dass eine NP, die die syntakti-
sche Argumentposition eines Artprädikats besetzt, eine Art in die semantische
Komposition einspeisen muss. Wäre es anders, könnten die Bedeutungen der
jeweiligen Ausdrücke nicht miteinander verrechnet werden.
Ein Kennzeichen von Carlson’s System besteht darin, dass es keine Aus-
drücke gibt, die von Hause aus (d.h. kraft ihrer lexikalischen Bedeutung) auf
Stadien referieren würden. Stattdessen werden Stadienterme immer mittels ko-
verter semantischer Operationen abgeleitet, die Objektterme oder Artterme in
Stadienterme überführen. Speziell schlägt Carlson zwei solche koverten Ope-
ratoren vor, R und R’. R überführt die NP-Denotation eines Objektterms im-
mer dann von einem raumzeitlich nicht-lokalisierten Objekt in eine konkrete
raumzeitliche Manifestation des Objekts, wenn der Objektterm im Arguments-
lot eines Stadienprädikats erscheint. In ähnlicher Weise bildet R’ eine Art auf
konkrete raumzeitliche Manifestationen der Art ab, wenn ein Artterm im Argu-
mentslot eines Stadienprädikats erscheint.
4.2. DREI-KLASSEN-SYSTEME 63

Beispiel (2) illustriert die semantische Komposition der Sätze Bill is running
und Dogs are running nach Carlson. F ür Carlson ist ein Eigenname wie Bill der
Name des Objekts Bill und der Bare plural dogs ist der Name der Art DOG (xs
steht für eine auf Stadien beschränkte Variable):
(41) a. [[ Bill is running ]] = [λ xs .RUN(xs )](R(Bill))
b. [[ Dogs are running ]] = [λ x s .RUN(xs )](R’(DOG))
Wie in (2) zu sehen, besteht ein weiteres Kennzeichen von Carlson’s Theo-
rie darin, dass (dynamische) Verben lexikalisch als Stadienprädikate aufge-
fasst werden. Aus dieser Annahme folgt, dass die generische Verwendung ei-
nes Verbs wie z.B. run oder smoke eine Operation erforderlich macht, die
seine primär stadienbezogene Bedeutung in eine individuenbezogene Bedeu-
tung überführt. Erst damit erfüllt das verbale Prädikat die semantische Vor-
aussetzung, um mit einem Individuenterm (Objektterm oder Artterm) kom-
ponieren zu können. Diese Aufgabe wird von einem koverten Operator “G”
erfüllt, vgl. (3a,b). Neben G setzt Carlson darüberhinaus einen zweiten Opera-
tor G’ an. G’ überführt lexikalisch objektbezogene Prädikate (wie beispielhaft
in (1b) angegeben) in artbezogene Prädikate, was ihre Komposition mit Artter-
men gewährleistet, vgl. (3c):
(42) a. [[ Bill smokes ]] = G([λ xs .SMOKE(xs )])(Bill)
b. [[ Sailors smoke ]] = G([λ xs .SMOKE(xs )])(SAILOR)
c. [[Dogs are four-legged]] =G’([λ xo.FOUR-LEGGED(xo )])(DOGS)
Šmelev vertritt in bezug auf die lexikalische Basisbedeutung eines Prädikats
eine etwas andere Position als Carlson. Ein (dynamisches) Verb wie kurit’
wird als semantisch unterspezifiziert hinsichtlich dessen betrachtet, ob es ei-
ner abstrakten Entität eine Eigenschaft zuweist (was zu einer generischen In-
terpretation führt) oder einer raumzeitlichen Manifestation von ihr (was zu ei-
ner episodischen Interpretation führt). Erst die Einbettung in einen sprachli-
chen Kontext entscheidet darüber, welche Interpretation aktualisiert wird (cf.
Šmelev 1996:48). Andere Prädikate sind nach Šmelev’s Meinung jedoch im Le-
xikon auf eine der drei vorausgesagten Bedeutungskategorien festgeschrieben.
(4) zeigt entsprechende Beispiele für russische Prädikate. Nach Šmelev wei-
sen die Prädikate in (a) konkreten Instanzen (aka Stadien), die in (b) abstrakten
Individuen (aka Objekten) und die in (c) abstrakten Klassen (aka Arten) eine
Eigenschaft zu:
(43) a. (byt’) pjanym, bolen, rad, (byt’) v razdraženii, . . .
b. (byt’) pjanicej, bol’noj, umnyj, ljubit’ Ivana, . . .
c. (byt’) redkost’ju, vymeret’, polučit’ bol’šoe rasprostranenie, . . .
4.3. ZWEI-KLASSEN-SYSTEME 64

Croft (1986) kritisiert Carlson’s System dahingehend, dass es zwei (von Carl-
son selbst bemerkte) “Asymmetrien” enthält, für die Carlson eine Erklärung
schuldig bleibt. Die erste betrifft das erwähnte Fehlen von Stadientermen im
Englischen. Während es Objektterme (Bill, this car over there, my uncle) und
Artterme (dogs, the computer (as such), Hippopotamus Amphibius) gibt, exi-
stieren Stadienterme nur “virtuell” in dem Sinne, dass sie stets aus der seman-
tischen Verrechnung eines Objekt- oder Artterms im Argumentslot eines Sta-
dienprädikats resultieren2. Die zweite Asymmetrie betrifft die Tatsache, dass
objektbezogene Prädikate ohne Ausnahme eine artbezogene Verwendung er-
lauben. Mit Carlson’s Worten: “whatever may be meaningfully predicated of an
object may also be meaningfully said of a kind” (Carlson 1977:248). Gemäß
den ontologischen Grundannahmen von Carlson’s Theorie w ären lexikalische
Prädikate zu erwarten, die auf Objektbezug spezialisiert sind. Tatsächlich lässt
sich empirisch jedoch kein einziges derartiges exklusives object-level Prädikat
nachweisen. Erst durch die ad hoc Postulierung des Operators G’ gelingt es
Carlson, objektbezogene Prädikate im Englischen, so wie sie von seinem drei-
geteilten System vorausgesagt werden, “nachzuweisen”:
“[T]here appear to be no specifically object-level predicates in the lan-
guage. In actuality, there are many, but every one of them may be app-
lied to a kind via the G’ operator” (Carlson 1977:280).
Wenn faktisch jedes Objektprädikat als Artprädikat fungieren kann, stellt
sich die Frage, warum die Grammatik überhaupt einen solchen unrestringier-
ten koverten Operator wie G’ bereitstellt. Croft vermutet “too many levels” in
Carlson’s Theorie und skizziert ein System, das auf nur zwei Sorten von En-
titäten (“closed-classes” versus “open-classes”) basiert und entsprechend auch
nur zwei Prädikatsklassen erwarten lässt.

4.3 Zwei-Klassen-Systeme

Wenngleich Bulygina (1982) nicht besonders explizit ist in bezug auf die Struk-
tur der vorausgesetzten ontologischen Domäne, so kann ihr Ansatz dennoch
als ein Zwei-Klassen-System ähnlich dem von Croft eingeforderten verstan-
den werden. Bei Bulygina werden zwei Prädikatsklassen unterschieden. Die
eine umfasst solche Prädikate, welche jeweils einer Entität eine akzidentelle
Eigenschaft zuweisen, die andere umfasst solche Prädikate, welche jeweils ei-
2
Carlson könnte versuchen, diese lexikalische Lücke dadurch zu erklären, dass es in
der Natur lexikalischer Bedeutungen liegt, kontextunabhängig, d.h. lösgelöst von spezi-
fischen Bedingungen einer konkreten raumzeitlichen Lokation, zu sein.
4.3. ZWEI-KLASSEN-SYSTEME 65

ner Entität eine essentielle Eigenschaft zuweisen. Bulygina beschreibt erstere


als “zeitlokalisierte” Prädikate und letztere als nicht-zeitlokalisiert.
Die von nicht-zeitlokalisierten Prädikaten beschriebenen Sachverhalte wer-
den “Qualitäten” (kačestva) genannt, die von zeitlokalisierten Prädikaten be-
schriebenen Sachverhalte heißen “Erscheinungen” (javlenija). Die Klasse der
Prädikate, welche Erscheinungen beschreiben, (=episodische Prädikate) sub-
sumiert die feineren lexikalisch-semantischen Prädikatsklassen, die jeweils
Zustände, Prozesse oder Ereignisse beschreiben (s. Bulygina 1982) 3:
Sachverhaltsbeschreibung

charakterisierend episodisch
[-zeitlich lokalisiert] [+zeitlich lokalisiert]

Qualitäten
Erscheinungen

Zustände, Prozesse, Ereignisse, ...


Abbildung 4.3: Bulygina’s Prädikatsklassifikation
In Hinblick auf die möglichen Verwendungen von Nominalphrasen unter-
scheidet Bulygina zwischen “referentiellen” und “nicht referentiellen” Nomi-
nalphrasen, wobei letztere an verschiedenen Stellen auch als “nicht spezi-
fisch”, “artreferierend” oder “nicht konkret-referierend” beschrieben werden.
Darüberhinaus prägt Bulygina den nützlichen Begriff der “semantischen Kon-
gruenz”. Mit dieser Terminologie wird der bekannte Zusammenhang bezeich-
net, dass der referentielle Status einer morphosyntaktisch unterspezifizierten
Argument-NP (nicht nur im Russischen) zum Teil dadurch bestimmt wird, ob
es sich bei dem jeweiligen Prädikat um ein episodisches oder um ein charak-
terisierendes Prädikat handelt (s.a. Mehlig 1983 und Weiss 1983). Ein episodi-
sches grammatisches Prädikat erfordert stets ein konkretreferierendes Subjekt,
während ein charakterisierendes (=generisches) Prädikat sowohl ein konkretre-
3 Zustände-als-Erscheinungen entsprechen Bach’s (1986) “dynamic states”, die mit
den “stative states” kontrastieren, welche in Bulygina’s System zu den Qualitäten
zu rechnen wären. Eine sehr ähnliche Unterscheidung zwischen solchen verbalen
Prädikaten, die “außerzeitliche Eigenschaften und Relationen” (vnevremennye svojstva i
sootnošenija) beschreiben und solchen, die Zustände, Prozesse und Ereignisse beschrei-
ben, wird von Padučeva (1996) vertreten.
4.3. ZWEI-KLASSEN-SYSTEME 66

ferierendes als auch ein nicht konkretreferierendes Subjekt zulässt:


“Aktual’noe” upotreblenie predikata i nereferentnost’ imen vzaimno
nesovmestimy, no “neaktual’nost”’ (vremennaja nelokalizovannost’)
ne izključaet referentnosti imeni. (Bulygina 1982:29)
Aber um was für eine (ontologische) Sorte von Entitäten handelt es sich, auf
die sich “konkretreferierende” bzw. “nicht-konkretreferierende” Nominalphra-
sen beziehen? Mir scheint, dass Bulygina’s Dichotomie mit der Unterscheidung
zwischen “realen Objekten” und “abstrakten Konzepten” kompatibel ist, wie sie
von Krifka (1995) vertreten wird. Reale Objekte werden von Krifka als Exem-
plare oder – um den Begriff wiederaufzunehmen – raumzeitliche Manifestatio-
nen von abstrakten Konzepten angesehen. Konzepte können konventionalisiert
sein und ein solches konventionalisiertes Konzept bezeichnet Krifka dann als
eine “Art”:
[K]inds are considered to be abstract entities that are well-established
in the background knowledge of speaker and hearer and can be referred
to by definite NPs like the bear, which [are] in the extension of kind
predicates like be extinct or be a mammal, and which [are] organised
in taxonomic hierarchies. [. . . ] Similar to kinds, concepts are abstract
entities related to real objects. However, they need not be well establis-
hed, but could be construed from scratch. [...][K]inds form a subset of
the more comprehensive sets of of concepts. (Krifka 1995:402)
Die systematische Beziehung zwischen Arten und Objekten wird von Krifka
et al. (1995) durch die sog. Realisierungsrelation R formalisiert: Die Formel
R(x,k) bringt zum Ausdruck, dass x ein Objekt (=ein Token) der Art (=des
Typs) k ist. Krifka et al. schreiben, R sei “similar to Carlson’s realization re-
lation [. . . ] with the exception that we do not consider stages here” (Krifka et
al. 1995:66). Leider aber führen die Autoren nicht weiter aus, in welcher Hin-
sicht ihre Relation R den Carlsonschen Operatoren R und R’ ähnelt. Erinnern
wir uns: Carlson’s Realisierungsoperatoren wurde konzipiert, um von Termen,
die sich auf abstrakte Entitäten beziehen, Terme abzuleiten, die sich auf raum-
zeitliche Entitäten beziehen. Dass diese Operatoren zur Anwendung kommen
ist Carlson’s Erklärung dafür, dass die betreffenden Nominalphrasen nicht ge-
nerisch, sondern existentiell interpretiert werden. Wenn nun Krifka et al.’s R
eine “ähnliche” Rolle spielt, dann muss man schlussfolgern, dass auch R nicht-
raumzeitliche Entitäten auf raumzeitliche Entitäten abbildet. Man beachte, dass,
wenn das so ist, dies einen wesentlichen Unterschied zwischen Carlson’s und
Krifka et al.’s semantischen Konzeptionen impliziert.
Speziell unterscheiden sich die zwei Ansätze hinsichtlich des ontologischen
Status, der jeweils den Objekten zugesprochen wird: Für Carlson sind Ob-
jekte keine raumzeitlichen Entitäten, sondern Abstraktionen (dasselbe gilt für
4.3. ZWEI-KLASSEN-SYSTEME 67

Šmelev’s “abstraktnye individy”). Für Krifka et al. hingegen sind Objekte raum-
zeitliche Manifestationen von jenen abstrakten Entitäten, die sie Arten bzw.
Konzepte nennen. Mit anderen Worten, während Carlson Stadien als Token und
Individuen (Objekte und Arten) als Typen ansieht, betrachten Krifka et al. Ob-
jekte als Token und Arten als Typen – und verzichten gänzlich auf Stadien.
Abbildung 4 fasst Krifka’s ontologische Annahmen zusammen.
Entitäten

[+raumzeitlich] [-raumzeitlich]

reale Objekte abstrakte Konzepte

[+wohletabliert] [-wohletabliert]

Arten
Abbildung 4.4: Krifka’s Ontologie

Bulygina (1982) kommt ebenfalls ohne Stadien als ontologische Basiskatego-


rie aus. Dass Prädikationen häufig nur für die Dauer eines Stadiums der Existenz
eines Individuums gültig sind, beschreibt sie wie folgt:
V otličie ot “charakterizujuščich” predikatov, pripisyvajuščich pred-
metu kačestvo, [. . . ] predikaty sostojanija opisyvajut vremennye “sta-
dii” suščestvovanija predmeta (lica), pripisyvaja emu imenno kak in-
dividuumu priznak, aktual’nyj dlja dannogo otrezka vremeni (ili dl-
ja neskol’kich vremennych otrezkov), i v ėtom smysle – priznak
prechodjaščij, “slučajnyj”. (Bulygina 1982:33)
Die Frage, warum in den Sätzen unter (2) eine Eigenschaft jeweils nur für
ein bestimmtes Stadium der Existenz eines Individuums gilt, wird von Bulygina
und Carlson auf gänzlich unterschiedliche Weise beantwortet.
Carlson geht von Stadien, d.h. zeitlichen Ausschnitten (time-slices) eines
Individuums, als ontologischen Primitiva aus. Diese Position impliziert, dass
es eine lexikalische Klasse von Stadienprädikaten gibt. Die Prädikate, die
nicht zu dieser Klasse gehören, sind die Individuenprädikate. Die Klassenzu-
gehörigkeit eines Prädikats spiegelt sich in seinen Selektionsrestriktionen wider.
Folglich ist die entscheidende Information darüber, ob eine Prädikation tem-
porär/akzidentell verstanden wird oder nicht, in den jeweiligen lexikalischen
Selektionsrestriktionen des Prädikatsausdrucks verortet.
4.3. ZWEI-KLASSEN-SYSTEME 68

Für Bulygina hingegen sind zeitliche Ausschnitte von Individuen (Stadien)


Interpretationseffekte, die sich normalerweise dann einstellen, wenn ein zeit-
lokalisiertes Prädikat, dessen lexikalischer Gehalt einen Sachverhaltstypen be-
schreibt, der typischerweise nur für eine sehr kurze Zeitspanne gültig ist, mit
einem Individuenterm verbindet. Es ist in ihrer Theorie nicht so, dass Prädikate
wie bei Carlson lexikalisch als stadienbezogen oder nicht-stadienbezogen vor-
sortiert sind. Mit anderen Worten, die Information darüber, ob eine Prädikation
nur für die Dauer eines Stadiums des Argumentreferenten gilt, ist bei Buly-
gina keine semantische Information, sondern eine pragmatische. Der deskrip-
tive Gehalt des Prädikats bestimmt, ob eine Verwendung mit Bezug auf die
gesamte Existenzzeit des Argumentreferenten oder lediglich mit Bezug auf
ein Stadium wahrscheinlicher ist. Wie das Prädikat dann tatsächlich verwen-
det wird, entscheidet sich jedoch erst im Kontext. Lexikalisch vorsortiert sind
Prädikate bei Bulygina aber hinsichtlich des Merkmals der zeitlichen Lokali-
siertheit. Daran, ob es sich um ein zeitlokalisiertes (episodisches) oder um ein
nicht-zeitlokalisiertes (generisches) Prädikat handelt, entscheidet sich, ob das
jeweilge Argument des Prädikats objektreferierend (konkretreferierend) inter-
pretiert werden muss oder artreferierend (nicht-konkretreferierend) interpretiert
werden kann.
Kratzer’s (1989/1995) Theorie ähnelt dem Ansatz von Bulygina dahinge-
hend, dass auch Kratzer Stadien nicht als ontologische Primitiva, sondern als Ef-
fekte ansieht. Wie Bulygina führt auch Kratzer nicht-generische Prädikationen
darauf zurück, dass das betreffende Prädikat auf eine (raum)zeitlokalisierte
Interpretation festgelegt ist. Kratzer unterscheidet ebenfalls lexikalisch
(raum)zeitlokalisierte und nicht-(raum)zeitlokalisierte Prädikate. Da sind zum
einen die Prädikate, die in ihrer Argumentstruktur ein referentielles Situations-
argument tragen (die von Kratzer leider “Stadienprädikate” genannt werden),
und da sind zum anderen die übrigen Prädikate, die kein solches referentielles
Argument tragen (die entsprechend “Individuenprädikate” heißen). Die Präsenz
eines (Davidsonschen) Situationsarguments hat den Effekt, dass die G ültigkeit
der Prädikation in jedem Fall an eine raumzeitliche Lokation gebunden wird –
was auch immer seine genaue Natur sein mag:
I don’t want to commit myself to a particular view with respect to the
precise nature of the Davidsonian argument. It may not be an event
argument. It may simply be an argument for spatiotemporal location.
This is the minimal assumption necessary to explain the data
(Kratzer 1995:128)
Es ist wichtig herauszustellen, dass Kratzer’s Unterscheidung zwischen ge-
nerischen und episodischen Prädikaten nicht wie bei Carlson auf einer ontolo-
gischen Unterscheidung zwischen Individuen und Stadien beruht, sondern wie
4.4. ZUM BEGRIFF DER REFERENTIALIT ÄT 69

bei Bulygina auf der Idee, dass Prädikate mit oder ohne Raumzeitbezug daher-
kommen können. Nur wenn ein Prädikat auf eine konkrete raumzeitliche Lo-
kation bezogen wird, wird die betreffende Eigenschaftszuweisung akzidentell
verstanden. Wenn nicht, muss die Eigenschaftszuweisung essentiell interpre-
tiert werden. (5) zeigt die Bedeutungsrepräsentation des Satzes Bill is running
nach Kratzer (“l” ist eine Variable über raumzeitliche Lokationen):
(44) [[ Bill is running ]] = ∃l.RUN(Bill,l)
Sowohl Bulygina (1982) als auch Kratzer (1989/1995) gehen von
einer lexikalischen Klassifikation natürlichsprachlicher Prädikate in
(raum)zeitlokalisierte und nicht-(raum)zeitlokalisierte Prädikate aus. Im Ge-
gensatz dazu werde ich vorschlagen (Kapitel 6), sämtliche Prädikate lexikalisch
als nicht-raumzeitlokalisiert anzusehen.
Das beschließt unseren kurzen Vergleich ontologischer und lexikalischer
Klassifikationen, wie sie von verschiedenen Semantikern des angloamerikani-
schen und des russischen Wissenschaftsraums vertreten werden. Bevor ich zur
Zusammenfassung der Ergebnisse komme, sei noch auf einen wichtigen termi-
nologischen Aspekt hingewiesen.

4.4 Zum Begriff der Referentialität

Das Attribut “referentiell” wird von den hier diskutierten “westlichen” und
russischen Linguisten in unterschiedlicher Weise verwendet: Während erste-
re sowohl Objektterme (nicht-generische NPs) als auch Artterme (generische
NPs) als referentiell kennzeichnen, verdienen für letztere nur Objektterme das
Attribut “referentiell” – Artterme werden als nichtreferentiell kategorisiert.
Diese terminologische Uneinigkeit durchzieht die einschlägige Literatur, was
natürlich die Gefahr von Missverständnissen birgt. Man beachte jedoch, dass
es mitnichten so ist, dass sich die Praxis, ausschließlich Objektterme als refe-
rentiell zu bezeichnen, nur auf den russischen Wissenschaftsraum beschr änken
würde4, vergleiche z.B. Givón:
In the terms used here, referentiality is a semantic property of nomi-
nals. It involves, roughly, the speaker’s intent to ‘refer to’ or ‘mean’
a nominal expression to have non-empty references – i.e. to ‘exist’ –
within a particular universe of discourse. Conversely, if a nominal is
‘non-referential’ or ‘generic’, the speaker does not have a commitment
to its existence within the relevant universe of discourse. Rather, in the
4 So dass wir endlich auch die mehr Schaden als Nutzen bringende Konstruktion eines
“westlichen Forschers” ad acta legen können.
4.5. SCHLUSS 70

latter case the speaker is engaged in discussing the genus or its proper-
ties, but does not commit him/herself to the existence of any specific
individual member of that genus. (Givón 1978:293-294)

Wir sehen, auch für Givón ist ein Ausdruck, der sich auf eine Art (“genus”)
bezieht, kein referentieller Ausdruck. Wenn Givón hier davon spricht, dass Re-
ferenten im Diskursuniversum “existieren”, dann meint er damit, dass das Dis-
kursuniversum mindestens eine Objektinstanz der betreffenden Art (“member
of that genus”) enthält. Ein nominaler Ausdruck ist in diesem Sinne “referen-
tiell”, wenn seine Interpretation die Existenz von Objekten enthält. Das heißt,
nur object-level Nominalphrasen gelten als referentiell.
An anderer Stelle (Givón 1978:323) ist auch davon die Rede, dass sich nicht-
referentielle (generische) nominale Ausdrücke auf ein “Typenuniversum” und
referentielle nominale Ausdrücke auf ein “Tokenuniversum” beziehen. Dies ent-
spricht wiederum genau der Position, die ich, Krifka (1995) folgend, in dieser
Arbeit vertrete: die Entitätendomäne ist partitioniert in eine Artdomäne (=Ty-
penuniversum) und eine Objektdomäne (=Tokenuniversum).
Weil es mir gerechtfertigt zu sein scheint, immer dann von einem “referen-
tiell” verwendeten Ausdruck zu sprechen, wenn sich dieser Ausdruck auf eine
Entität bezieht, sei es nun ein Typ oder ein Token, werde ich weiterhin der termi-
nologischen Konvention folgen, wonach auch Artterme referentielle Ausdrücke
sind.

4.5 Schluss

In diesem Kapitel wurden verschiedene von mir als Typ-Token-Theorien be-


zeichnete Generizitätstheorien vorgestellt. Allen gemeinsam ist eine Grundein-
teilung der zugrundeliegenden Ontologie in zwei Sorten von Entitäten, von de-
nen eine Entitätssorte als raumzeitlich lokalisiert und die andere als raumzeit-
lich nicht lokalisiert angesehen wird. Aus dieser vorausgesetzten ontologischen
Unterscheidung gewinnen diese Theorien ihre Potenz, den in den sprachlichen
Daten beobachtbaren semantischen Kontrast zwischen nicht-generischen und
generischen Termen (nominale Generizität) und nicht-generischen und generi-
schen Prädikaten (Prädikatsgenerizität) zu erklären: eine Nominalphrase wird
generisch verwendet, wenn man mit ihr auf eine raumzeitlich nicht lokalisier-
te Entität referiert; ein Prädikatsausdruck wird generisch verwendet, wenn man
mittels dieses Ausdrucks einer raumzeitlich nicht lokalisierten Entität eine Ei-
genschaft zuweist.
Carlson’s spezifische Theorie stellt sozusagen den Prototypen einer Type-
Token-Theorie dar, die von Chierchia (1989) wie folgt charakterisiert wird:
4.5. SCHLUSS 71

Carlson [. . . ] has strongly argued for the fruitfulness of a type/token


distinction that cuts across the whole domain of individuals [. . . ] So
the domain of entities is articulated into individuals and kinds, on the
one hand, and their stages on the other. This classification leads to a
striking simple notion of genericity. A generic statement is about an
“intensional” entity, namely an ordinary individual or a kind. A non
generic statement is about stages, i.e. specific, spatiotemporally loca-
ted, “extensional” entities. (Chierchia 1989:11-12)
Die vorgestellten Type-Token-Theorien unterscheiden sich dahingehend, wie
der Kontrast zwischen raumzeitlichen und nicht-raumzeitlichen Entitäten im je-
weiligen Fall implementiert wird. Interessant ist in diesem Zusammenhang die
unterschiedliche Rolle, die den Objekten zugeschrieben wird.
Keine semantische Theorie kommt ohne Objekte in der Ontologie aus. Der
Grund hierfür ist, dass Objekte diejenigen Entitäten sind, die durch Eigenamen
wie Maria, Moby Dick, Helgoland, etc. bezeichnet werden. Während Carlson
(1977) nun aber Objekte als nicht-raumzeitliche Entitäten klassifiziert, d.h. zu
den Typen zählt, übernehmen Objekte in anderen Theorien (z.B. Krifka et al.
1995) die Rolle der raumzeitlichen Entitäten, d.h. der Token.
Der gesunde Menschenverstand sagt uns, dass Objekte (die Tr äger von Ei-
gennamen) dreidimensional sind und dass sie in der Zeit existieren. Wie k önnten
Objekte also nicht raumzeitlicher Natur sein? Ich vermute, dass der Grund dafür,
dass Carlson den kontraintuitiven Weg gewählt hat, Objekte als raumzeitlich
nicht lokalisierte Entitäten anzusehen, in linguistischen Fakten begründet liegt:
(45) a. Der Pottwal ist ein Wal
b. Moby Dick ist ein Wal
In den beiden Sätzen unter (6) tritt das Prädikat ist ein Wal in generischer Ver-
wendung auf. In einem Fall, (6a), wird die essentielle Eigenschaft, ein Wal zu
sein, einer Art zugewiesen, nämlich der Art ‘Pottwal’. Im anderen Fall jedoch
wird dieselbe essentielle Eigenschaft, ein Wal zu sein, einem Objekt zugewie-
sen, dem Pottwal namens Moby Dick. Dieses Datum führt zu einem Problem.
Wenn einerseits generische Prädikate als Eigenschaftszuweisungen an nicht-
raumzeitlokalisierte Entitäten modelliert werden und wenn andererseits Objekte
als raumzeitlokalisierte Entitäten aufgefasst werden, wie soll dann die semanti-
sche Komposition eines Satzes wie (6b) funktionieren? Die Bedeutungsstruktur
dieses Satzes läuft auf eine semantische Diskrepanz (mismatch) hinaus5. Carl-
son löst dieses Problem eben dadurch, dass er Arten und Objekte unter einer
5 Man könnte natürlich einen Sortenverschieber postulieren, der die Komposition ret-
tet, indem er das Artprädikate ist ein Wal in ein Objektprädikat überführt (vgl. Dölling
1992). Das Problem mit Sortenverschiebern ist aber, dass sie häufig nicht vorhersagbar
sind. Solange man keine weitere Motivation für das Erscheinen eines Sortenverschiebers
4.5. SCHLUSS 72

ontologischen Sorte zusammenfasst, nämlich als nicht-raumzeitlokalisierte In-


dividuen.
Bei meinem eigenen Ansatz, den ich in den folgenden Kapiteln vorstellen
werde, handelt es sich ebenfalls um eine Typ-Token-Theorie. Ich folge Krifka
(1995) dahingehend, Objekte als raumzeitliche Entitäten den Arten als nicht-
raumzeitlichen Entitäten gegenüberzustellen. Generische Nominalphrasen sind
Artterme – generische Verbalphrasen sind Artprädikate. Die Frage, wie ich das
mit (6) verbundene Problem löse, beantworte ich in den folgenden Kapiteln.

anbieten kann, außer dass er eine formale “Lösung” der semantischen Diskrepanz leistet,
müssen Sortenverschieber als ad hoc Lösungen gelten.
Kapitel 5

Indefinite Artreferenz – das Problem mit


dem Kürbiscrusher

5.1 Übersicht

Das Thema dieses Kapitels ist die Semantik der indefiniten Nominalphrase.
Speziell geht es um die Frage nach dem semantischen Potential generischer
indefiniter NPn. Nach standardtheoretischer Auffassung kann mittels einer in-
definiten NP wie ein Wal prinzipiell nicht auf die Art ‘Wal’ referiert werden.
Diese Position werde ich, einem Vorschlag von Dayal (2004) folgend, als zu
kategorisch zurückweisen. Wir werden sehen, dass indefinite NPn sehr wohl
das semantische Potential für nicht-taxonomische Artreferenz haben, dass es
allerdings sehr häufig vorkommt, dass diese Referenzweise aus pragmatischen
Gründen blockiert ist.

5.2 Unterartreferenz und der Kürbiscrusher

Carlson (1977) hat eine Klasse von Prädikaten idenitifiziert, deren Argumentslot
für Artterme reserviert ist. Bei manchen ist es das Subjekt, das lexikalisch auf
Arten festgelegt ist (be extinct, die out, be widespread, etc.), bei anderen das
direkte Objekt (invent, exterminate, etc.). Krifka et al. (1995:10) benutzen diese
Carlsonschen Artprädikate als Testumgebungen, um zu bestimmen, ob eine NP
das Potential für Artreferenz hat oder nicht.
(46) a. The lion will become extinct soon.
b. Lions will become extinct soon.
c. A lion will become extinct soon.
Ihre Beobachtung: Während mittels der definiten NP in (1a) und mittels der
Bare Plural-NP in (1b) Referenz auf die Art ‘Löwe’ möglich ist, kann mittels
5.2. UNTERARTREFERENZ UND DER KÜRBISCRUSHER 74

der indefiniten NP in (1c) nicht auf die Art ‘Löwe’ referiert werden. Stattdessen
muss (1c) so verstanden werden, dass eine Unterart der Art ‘L öwe’ bald aus-
stirbt. Dasselbe Muster zeigt sich auch, wenn NPn im Objektslot von Prädikaten
wie invent oder exterminate erscheinen. (2b) kann offenbar nur so verstanden
werden, dass Babbage eine Unterart der Art ‘Computer’ erfunden hat (z.B. ein
spezielles Computermodell):
(47) a. Babbage invented the computer.
b. Babbage invented a computer.
Dayal (2004:396) zweifelt an der Zwangsläufigkeit der Schlussfolgerung,
dass indefinite NPn nicht auf die beim Namen genannte Art referieren können.
Als Gegenevidenz präsentiert sie ein Beispiel von Bart Geurts:
(48) Fred invented a pumpkin crusher.
Worauf bezieht sich in diesem Beispiel die NP a pumpkin crusher?
Eine Möglichkeit ist zweifellos, dass sie sich auf eine Unterart der Art
‘Kürbiscrusher’ bezieht (z.B. auf die Art ‘hydraulischer K ürbiscrusher’). Das
Besondere an (3) ist jedoch, dass sich a pumpkin crusher auch auf die Art
‘Kürbiscrusher’ selbst beziehen kann. Dies widerspricht der von Krifka et al.
(1995) vertretenen Regel, welche ich hier in abstrakter Form als zweiteilige “K-
Regel” formuliere:
K1: Eine NP der Form a N kann artbezogen interpretiert so verstanden werden,
dass sie sich auf eine Unterart von ‘N’ bezieht.
K2: Sie kann nicht so verstanden werden, dass sie sich auf die Art ‘N’ selbst
bezieht.
Das Beispiel (3) steht offenbar im Widerspruch zur zweiten K-Regel (=K2):
Wenn als N der Ausdruck pumpkin crusher erscheint, dann sollte sich a pumpkin
crusher nicht auf die Art ‘Kürbiscrusher’ beziehen können. Doch das kann es
offensichtlich. Dayal (2004) weist deswegen die Gültigkeit einer Regel wie K2
zurück. Was sie stattdessen vorschlägt formuliere ich als dreiteilige “D-Regel”:
D1: Sowohl NPn der Form the N als auch NPn der Form a N können sich auf
die Art ‘N’ beziehen.
D2: NPn der Form the N beziehen sich auf diskurs-alte (“familiar”) Arten.
D3: NPn der Form a N beziehen sich auf diskurs-neue (“novel”) Arten.
Wer hat Recht, Krifka und Kollegen oder Dayal? Welche Regel ist angemes-
sen, die K-Regel oder die D-Regel?
5.3. INDEFINITE NPN IN CARLSONSCHEN OBJEKTPR ÄDIKATIONEN 75

5.3 Indefinite NPn in Carlsonschen Objektprädikationen

Generische indefinite NPn treten nicht nur als Argumente von Carlsonschen
Artprädikaten auf. Bevor wir uns Carlsonschen Artprädikationen mit indefiniten
Argument-NPn zuwenden, soll in diesem Abschnitt deswegen kurz auf generi-
sche indefinite Subjekt-NPn von Carlsonschen Objektprädikaten eingegangen
werden.
Weil sich Prädikate wie die in (4) mit einem objektreferierenden Eigennamen
verbinden, werden sie von Carlson (1977) als “object-level” Prädikate klassifi-
ziert1 :
(49) a. Moby Dick ist intelligent.
b. Moby Dick hat Flossen.
c. Moby Dick ist ein Säugetier.
Carlsonsche Objektprädikate können wie folgt definiert werden:

Ein Carlsonsches Objektprädikat ist ein Prädikat, das syntaktisch


einen Objektterm als Argument selegiert und semantisch einem Objekt
(nämlich dem Referenten des Arguments) eine Eigenschaft zuweist.

Diese Prädikate erlauben jedoch nicht nur objektreferierende, sondern auch


generische Subjekte. Letztere können von Bare Plural NPn (5) und definiten
Singular-NPn (6) sowie von indefiniten NPn (7) gebildet werden:
(50) a. Delphine sind intelligent.
b. Narwale haben ein Horn.
c. Wale sind Säugetiere.
(51) a. Der Delphin ist intelligent.
b. Der Narwal hat ein Horn.
c. Der Wal ist ein Säugetier.
(52) a. Ein Delphin ist intelligent.
b. Ein Narwal hat ein Horn.
c. Ein Wal ist ein Säugetier.
1
Auch Carlsonsche Stadienprädikate können mit Objekttermen kombiniert werden.
Nach Carlson weisen sie aber nicht dem Objekt im Ganzen eine Eigenschaft zu, wie die
Prädikate in (4), sondern lediglich einem seiner Stadien.
5.3. INDEFINITE NPN IN CARLSONSCHEN OBJEKTPR ÄDIKATIONEN 76

Wie erklärt man die generische Interpretation der Subjekte in (5) bis (7)?
In Carlson’s (1977) System folgt die Generizität aus den ontologischen Kate-
gorien, die seiner semantischen Theorie zugrunde liegen: Objekte bilden ge-
meinsam mit den Arten die ontologische Klasse der Individuen, die als abstrak-
te Entitäten den raumzeitlich gebundenen Stadien gegenüberstehen2. Abstrakte
Entitäten sind per definitionem generische Entitäten (=Individuen). Nur mit Sta-
dienprädikationen können Aussagen über nichtgenerische Entitäten (=Stadien
von Individuen) gemacht werden.
Krifka et al. (1995) folgen Carlson darin, Prädikate wie die unter (4) als
Prädikate anzusehen, deren Argumentslot für Objekte reserviert ist3 . Allerdings
treffen sie andere ontologische Grundannahmen als Carlson. Sie verzichten auf
Stadien und sehen stattdessen Objekte als partikuläre, raumzeitliche Entitäten
an. Diesen “realen Objekten” stehen als “abstrakte Konzepte” die Arten ge-
genüber (vgl. Krifka 1995). Weil nun Objekte bei Krifka et al. keine abstrakten
Entitäten mehr sind, entfällt die Möglichkeit, die Generizität der Subjekte in
(5) bis (7) auf Eigenschaftszuweisungen an abstrakte Entitäten (d.h. auf Carl-
sonsche Individuenprädikationen) zurückzuführen. Eine alternative Erklärung
muss her.
Für Krifka et al. (1995) resultiert die Generizität der Sätze daraus, dass die
auf die syntaktischen Konstituenten des jeweiligen Satzes verteilten semanti-
schen Komponenten eingebettet in eine dreigeteilte Quantifikationsstruktur in-
terpretiert werden, wobei der beteiligte Quantor der Generizitätsoperator GEN
ist. Betrachten wir ein Beispiel: Eine semantische Repräsentation von (7a) im
Sinne der Standardtheorie4 könnte etwa wie in (8) aussehen, wobei “x” eine Va-
riable über Objekte und “s” eine Variable über Situationen (hier: Zustände) ist
(vgl. Chierchia 1995)5:

(53) a. Ein Delphin ist intelligent.


b. GEN x, s [ C(x, s) & DELPHIN(x) ] [ INTELLIGENT (x, s) ]

Demnach wäre der Satz wahr, wenn in allen Situationen, die die Erfolgs-
2
Vgl. die Diskussion in Kapitel 2.
3 Krifka et al. (1995:10) zählen ein Prädikat wie ist ein Säugetier allerdings im Ge-
gensatz zu Carlson zu einer besonderen gemischten Prädikatsklasse. Mitglieder dieser
Klasse werden zwar auch “Artprädikate” genannt, haben aber die Besonderheit, dass
sie auch Objektterme als Argumente zulassen. Ich werde auf diese Mischlingsklasse in
Abschnitt 9 noch zurückkommen.
4 Damit meine ich die Theorie(n) zur Generizität, wie sie in Carlson & Pelletier
(1995), speziell Krifka et al. (1995), präsentiert werden.
5 Vergleiche die Diskussion im Einleitungskapitel.
5.4. INDEFINITE NPN IN CARLSONSCHEN ARTPR ÄDIKATIONEN 77

bedingungen (“felicity conditions”) des Prädikats intelligent sein erfüllen6, ein


jedes Objekt, das ein Delphin ist, auch ein Objekt ist, das intelligent ist. Cha-
rakteristisch für diese Analyse ist, dass die indefinite NP ein Delphin für sich
betrachtet den semantischen Status eines (nichtgenerischen) Objektterms hat.
Seine generische Interpretation kommt erst durch die Einbettung in eine be-
stimmte syntaktische Umgebung zustande.
Fassen wir soweit zusammen: Generisch interpretierte indefinite Singular-
NPn treten in Prädikationen auf, die von Carlson (1977) als object-level
Prädikationen bezeichnet werden. Nach Krifka et al. (1995) ist ihre Generizität
Konsequenz eines koverten Generizitätsoperators in der semantischen Satz-
struktur.

5.4 Indefinite NPn in Carlsonschen Artprädikationen

Neben den Objektprädikaten identifiziert Carlson eine Klasse von Prädikaten,


die er “kind-level” Prädikate nennt. Sie lassen sich wie folgt definieren:
Ein Carlsonsches Artpr ädikat ist ein Prädikat, das syntaktisch einen
Artterm als Argument selegiert und semantisch einer Art (nämlich dem
Referenten des Arguments) eine Eigenschaft zuweist.
Wie bereits in Abschnitt 2 erwähnt beobachten Krifka et al. (1995), dass
indefinite NPn als Argumente von Carlsonschen Artprädikaten eine besonde-
re Interpretation erfahren, die sie “taxonomisch” nennen: während sich Bare
Plural-NPn (9) und definite Singular-NPn (10) jeweils auf die durch das Nomen
beim Namen genannte Art (hier: ‘Blauwal’) beziehen, können sich indefinite
NPn nur auf eine Unterart dieser Art (hier: eine Unterart der Art ‘Blauwal’)
beziehen; vgl. die oben formulierte K-Regel:
(54) a. Blauwale sind vom Aussterben bedroht.
b. Blauwale kommen in dieser Gegend selten vor.
(55) a. Der Blauwal ist vom Aussterben bedroht.
b. Der Blauwal kommt in dieser Gegend selten vor.
(56) a. Ein Blauwal ist vom Aussterben bedroht.
b. Ein Blauwal kommt in dieser Gegend selten vor.
Ein auf den ersten Blick überraschendes Datum ist nun (12), denn in diesen
Beispielen ist Referenz auf die Art ‘Blauwal’ mittels der indefiniten Subjekt-NP
sehr wohl möglich:
6 Eine Situation, in der ein Delphin an Altersdemenz leidet, gehört z.B. nicht dazu.
5.4. INDEFINITE NPN IN CARLSONSCHEN ARTPR ÄDIKATIONEN 78

(57) a. Ein Blauwal ist ein seltenes Tier.


b. Ein Blauwal ist ein vom Aussterben bedrohtes Tier.
Will man an der K-Regel festhalten, so muss man angesichts von (12) argu-
mentieren, dass die Prädikate ist ein seltenes Tier und ist ein vom Aussterben
bedrohtes Tier im Gegensatz zu ist vom Aussterben bedroht und ist selten keine
Artprädikate sind, sondern Objektprädikate7 . Dann könnte man die Generizität
der indefiniten Subjekte in (12) analog zu (8) durch Quantifikation über Situa-
tionen mit involvierten Objekten erklären. Aber: Sätze wie die unter (13) wären
dann als akzeptabel vorausgesagt und ich bin skeptisch, dass ich sie akzeptieren
würde8:
(58) a. ? Lora ist ein seltener Papagei.
b. ?? Lora ist ein vom Aussterben bedrohter Vogel.

Aber zurück zu Sätzen wie (11) und der Frage, warum in diesen Fällen Re-
ferenz auf die beim Namen genannte Art ausgeschlossen ist. Es sind zwei Al-
ternativen im Angebot. Krifka et al. (1995) bieten eine semantische Erklärung
an: Referenz auf die beim Namen genannte Art ist ausgeschlossen, weil eine
indefinite NP nicht über das semantische Potential verfügt, die beim Namen ge-
nannte Art zu bezeichnen. Zu den Regeln der Syntax-Semantik-Abbildung im
Englischen und Deutschen gehört ganz einfach auch die K-Regel. Dayal (2004)
bietet eine pragmatische Erklärung an: Referenz auf die beim Namen genannte
Art mittels einer indefiniten NP ist möglich, sofern die bezeichnete Art die Neu-
heitsbedingung (novelty condition) erfüllt. In Beispielen wie (11) ist das nicht
gegeben, deshalb muss auf eine andere Interpretation – die Unterart-Lesart –
ausgewichen werden. In einem Beispiel wie (3) dagegen ist die Neuheitsbedin-
gung erfüllt und die Art ‘Kürbiscrusher’ kann mittels der indefiniten NP pro-
blemlos in den Diskurs eingeführt werden.
Zusammenfassung: Mit Prädikaten wie ist vom Aussterben bedroht, die Carl-
son (1977) als kind-level Prädikationen behandelt, müssen indefinite Singular-
NPn “taxonomisch”, d.h. unterartreferierend, verstanden werden. Transformiert
man diese Prädikate in nominale Prädikate (ist vom Aussterben bedroht → ist
ein vom Aussterben bedrohtes Tier), so ist Referenz auf die beim Namen ge-
nannte Art allerdings möglich.
7 Oder sie gehören zu der seltsamen Klasse von Artprädikaten, die Eigenschaften
denotieren, die gleichzeitig über Objekte prädiziert werden können (vgl. Fussnote 3).
8 (13a) ist akzeptabel, wenn man selten so versteht, dass es individuelle Eigenschaf-
ten von Lora sind, die sie zu einer Seltenheit machen, d.h. wenn Lora sich durch Eigen-
schaften auszeichnet, die für Papageien ihrer möglicherweise gar nicht so seltenen Art
ungewöhnlich sind.
5.5. ZWEI ARTEN VON ARTPRÄDIKATEN 79

5.5 Zwei Arten von Artprädikaten

Führen wir uns noch einmal vor Augen, was es zu erklären gilt: Wieso ist (14a)
(mit intendierter Referenz auf die Art ‘Trullala’ selbst) nicht sprachgerecht,
(14b) aber sehr wohl?
(59) a. *Ein Trullala ist ausgestorben.
b. Fred hat heute ein Trullala erfunden.
Man könnte auf die Idee kommen, dass vielleicht die satzinitiale Position
in (14a) aus irgendeinem Grund mit einem indefiniten Artterm unverträglich ist.
Wie (15) jedoch zeigt, muss diese These sogleich wieder fallengelassen werden:
(60) Ein Trullala ist erfunden worden.
Versuchen wir lieber, den von Dayal (2004) vorgeschlagenen Weg zu gehen.
Ausgangspunkt war die Überlegung, dass die Verwendung des indefiniten Arti-
kels an die Bedingung geknüpft ist, dass der durch die Nominalphrase bezeich-
nete Referent als neu in den Diskurs einführt wird. Im Falle einer objektbezoge-
nen Interpretation der indefiniten NP gilt dies für den Objektreferenten, im Falle
einer artbezogenen Interpretation entsprechend für den Artreferenten. Dass man
(1c), (11a) und (14a) (in ihrer nicht-taxonomischen Lesart) zur ückweist, sollte
demnach darauf zurückzuführen sein, dass es sich bei dem jeweiligen Argu-
mentslot der Artprädikate will become extinct soon, ist vom Aussterben bedroht
und ist ausgestorben um eine syntaktische Position handelt, die die von einer
indefiniten NP eingeforderte Neuheitsbedingung nicht erfüllen kann. Im Gegen-
satz dazu steht der Realisierung des Arguments eines Prädikats wie ist erfunden
worden durch eine indefinite NP nichts im Wege. Warum?
Es gibt keine erschöpfende Liste der Prädikate, die die Klasse der Carlson-
schen Artprädikate bilden. Zwar besteht Einigkeit, dass man eine solche lexi-
kalische Klasse isolieren muss. Welche konkreten Beispiele jedoch als Carlson-
sche Artprädikat gelten und welche nicht, das steht zur Diskussion. Als Parade-
beispiel für ein Artprädikat gilt (be) extinct inklusive aller seiner Varianten: is
extinct, has died out, will become extinct soon, is in danger of extinction, etc.
Gerade diese Beispiele werden dann auch immer wieder benutzt, wenn es zu be-
stimmen gilt, ob eine Nominalphrase artbezogen interpretiert werden kann oder
nicht. Andere Prädikate, die Carlson (1977) als Artprädikate aufführt, sind um-
strittener. So wird z.B. vorgeschlagen, (be) common und (be) numerous nicht als
Artprädikate, sondern als Frequenzprädikate zu behandeln (vgl. Katz & Zam-
parelli 2005). Auch Krifka (p.c.) gelangt angesichts der Tatsache, dass ein Satz
wie ein weisser Elefant ist selten völlig akzeptabel ist, zu der Überzeugung, dass
selten sein besser aus der Klasse der Artprädikate auszuklammern ist.
5.5. ZWEI ARTEN VON ARTPRÄDIKATEN 80

Die Sätze unter (16) zeigen Artprädikationen, die im Einklang mit der K-
Regel keine Referenz auf die durch das Kopfnomen benannte Art zulassen.
Die Beurteilungen (Stern) beziehen sich also weder auf die in allen Beispielen
mögliche unterartreferierende Lesart, noch auf die teilweise mögliche objektre-
ferierende Lesart:
(61) a. *Ein Universalgelehrter ist heutzutage so gut wie ausgestorben.
b. *Ein Blauwal ist vom Aussterben bedroht.
c. *Ein arktischer Grauwal wurde ausgerottet.
d. *Ein Feldhase steht auf der Roten Liste der bedrohten Arten.
e. *Eine Mähnenrobbe wurde auf den GaLApagosinseln entdeckt. 9
f. *Ein Wolf wird größer, je weiter man nach Norden fährt.
g. *Ein H5N1-Virus grassiert jetzt auch in Europa.
Die Sätze unter (17) zeigen ebenfalls Artprädikationen mit indefiniten
Subjekt-NPn. In diesen Fällen ist Bezug auf die durch das Kopfnomen benann-
te Art jedoch möglich (die in Klammern angegebenen Ergänzungen verhindern
ein Ausweichen auf die objektreferierende Interpretation):
(62) a. Ein Kürbiscrusher ist erfunden worden.
b. Ein Trabbi begegnet einem in Leipzig noch relativ häufig.
c. Eine Schiege ist (an zwei Orten gleichzeitig) gezüchtet worden.
d. Ein Royal Flush ist selten.
e. Eine indefinite NP kommt im Maori in zwei Varianten vor.
f. Ein Knurrhahn wird Knurrhahn genannt, weil er immer knurrt.
g. Eine Schachfigur ist entweder schwarz oder weiss.
h. Ein H5N1-Virus hat sich (an zwei Orten gleichzeitig) entwickelt.
i. Ein Schnuller geht von Zeit zu Zeit unwiederbringlich verloren.
Was die Beispiele unter (17) zeigen ist, dass die K-Regel eine zu starke theo-
retische Generalisierung ist. Sie muss entsprechend qualifiziert werden:
Es ist nicht so, dass Carlsonsche Artprädikate generell indefinite Artar-
gumente (in nicht-taxonomischer Lesart) ausschließen. Vielmehr ist es
so, dass es innerhalb der Klasse der Carlsonschen Artpr ädikate eine
Reihe von Prädikaten gibt, die in ihrer lexikalischen Bedeutung eine
Komponente tragen, die indefinite Artreferenz (in nicht-taxonomischer
Lesart) ausschließt. Zu letzteren gehört das Paradebeispiel aussterben.
9
Die intendierte Lesart ist jene, in der mit “Entdeckung” die erstmalige Entdeckung
der Spezies Mähnenrobbe überhaupt gemeint ist und der Ort dieser Entdeckung, die
Galapagosinseln, bei der Äußerung fokussiert ist.
5.6. ERFINDEN VERSUS AUSSTERBEN 81

Die Idee ist, dass besagte lexikalische Komponente die Bekanntheit (familia-
rity) des Artreferenten erforderlich macht, so dass indefinite NPn als Argumente
ausgeschlossen werden, weil der indefinite Artikel ja mit einer Neuheitsbedin-
gung assoziiert ist (z.B. Heim 1983). Das wäre dann eine Erklärung im Sinne
der D-Regel (s.o.). Die Frage lautet also: Was ist das für eine “lexikalische Kom-
ponente”?
Fassen wir zusammen: Es gibt offenbar Artprädikate, die indefinite
Argument-NPn mit nicht-taxonomischer Referenz zulassen. Dieses Referenz-
verhalten auszuschließen kann deswegen kein kategoriales Merkmal von Art-
prädikaten sein, wie es die K-Regel unterstellt.

5.6 Erfinden versus Aussterben

Wir können die Artprädikate, die in (16) erscheinen, provisorisch unter dem Be-
griff der “Aussterben-Klasse” zusammenfassen und die in (17) demgegen über
als “Erfinden-Prädikate” bezeichnen. Allerdings sollen zwei Prädikationen aus
(17) aus der Erfinden-Klasse ausgeklammert werden, nämlich (18a) und (18b):
(63) a. Ein Knurrhahn wird Knurrhahn genannt, weil er immer knurrt.
b. Eine Schachfigur ist entweder schwarz oder weiss.
Der Grund für diese Sonderbehandlung ist, dass die Sätze in (18) nicht die
Existenz von Objektinstanzen enthalten. Satz (18a) ist selbst dann wahr, wenn
Knurrhähne ausgestorben sein sollten, und auch (18b) stellt nicht die Wahrheits-
bedingung, dass in der realen Welt tatsächlich Schachfiguren existieren. Die Re-
de ist vielmehr von potentiellen Knurrhähnen und Schachfiguren. Für alle ande-
ren Sätze in (17) dagegen gilt: Wenn sie wahr sind, dann müssen Kürbiscrusher,
Trabbis, H5N1-Viren etc. real existieren oder real existiert haben. Hier ist die
Rede also von aktualen Individuen.
Aussterben- und Erfinden-Prädikate haben gemeinsam, dass sie episodisch
sind. “Episodisch” bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Wahrheits-
bedingungen dieser Prädikationen, im Gegensatz zu denen der Prädikationen
in (18), auch Bedingungen der realen (“aktualen”) Welt umfassen m üssen.
Aussterben- und Erfinden-Prädikate unterscheiden sich dahingehend, dass nur
die Beispiele der Aussterben-Klasse die K-Regel bestätigen, während die Bei-
spiele der Erfinden-Klasse sie widerlegen. Wer an der K-Regel festhalten will,
der müsste zeigen, dass die Prädikate der Erfinden-Klasse gar keine Art-
prädikate sind. Betrachten wir die einzelnen Erfinden-Prädikate einmal genauer:
(64) a. X ist erfunden worden.
b. X ist gezüchtet worden.
5.6. ERFINDEN VERSUS AUSSTERBEN 82

c. X hat sich entwickelt.


d. X ist selten.
e. X begegnet einem relativ häufig.
f. X kommt in zwei Varianten vor.
g. X geht von Zeit zu Zeit unwiederbringlich verloren.
Für diese Prädikate lassen sich die folgenden semantischen Paraphrasen an-
geben. Mit diesen Paraphrasen sollen und können keine präzisen lexikalisch-
semantischen Charakterisierungen gegeben werden. Die angegebenen seman-
tischen Beschreibungen sind sehr vereinfacht und zumindest teilweise auch
falsch, für den für unsere Diskussion relevanten Punkt aber vollkommen aus-
reichend:
(65) a. ‘es existieren Instanzen der Art X, weil ein Erfinden-Ereignis statt-
gefunden hat’
b. ‘es existieren Instanzen der Art X, weil ein Züchtungs-Ereignis
stattgefunden hat’
c. ‘es existieren Instanzen der Art X, weil ein Entwicklungs-Ereignis
stattgefunden hat’
d. ‘es existieren Instanzen der Art X, und zwar in geringer Zahl’
e. ‘es existieren Instanzen der Art X, und zwar in relativ großer Zahl’
f. ‘es existieren Instanzen der Art X, und zwar in zwei Varianten’
g. ‘es existieren Instanzen der Art X, von denen manche aus dem Zu-
griffsbereich ihres jeweiligen Besitzers verschwinden’
Betrachten wir demgegenüber die einzelnen Aussterben-Prädikate. Die
Prädikate in (21) können wie in (22) paraphrasiert werden:
(66) a. X ist ausgestorben.
b. X ist vom Aussterben bedroht.
c. X wurde ausgerottet.
d. X grassiert in Europa.
e. X wird größer, je weiter man nach Norden fährt.
f. X wurde auf den GaLApagosinseln entdeckt.
(67) a. ‘die Anzahl der Instanzen der Art X ist bis auf Null
zurückgegangen’
b. ‘die Anzahl der Instanzen der Art X wird bis auf Null zurückgehen,
wenn sich die gegenwärtige Entwicklung fortsetzt’
c. ‘die Anzahl der Instanzen der Art X ist durch Gewalteinwirkung bis
auf Null zurückgegangen’
5.7. ZUR TAXONOMISCHEN LESART 83

d. ‘Instanzen der Art X übertragen sich zur Zeit in Europa auf immer
mehr Lebewesen’
e. ‘die Instanzen der Art X im Norden sind größer als die Instanzen
der Art X im Süden’ (stark vereinfacht)
f. ‘Instanzen der Art X wurden erstmals auf den Galapagosinseln re-
gistriert’
Was die Paraphrasen sichtbar machen sollen ist, dass die Information über
die Existenz von Objektinstanzen der (durch das Nomen) genannten Art nur in
(19) Teil der jeweils zugewiesenen Eigenschaft ist; nur Erfinden-Prädikate ent-
halten die semantische Komponente ‘es existieren Instanzen der Art X’ als Teil
ihrer lexikalischen Bedeutung. Die durch ein Aussterben-Prädikat zugewiesene
Eigenschaft betrifft zwar ebenfalls Instanzen der genannten Art, doch ist die In-
formation darüber, dass es Instanzen der Art X gibt, nicht Teil der assertierten
Eigenschaft. Dass es Instanzen der Art X gibt, wird vom Sprecher als eine dem
Hörer bekannte Tatsache vorausgesetzt.
Zusammenfassung: Mit Erfinden-Prädikaten wird die Existenz von Instan-
zen der Art, über die eine Aussage gemacht wird, assertiert, während mit
Aussterben-Prädikaten die Existenz von Instanzen der Art, über die eine Aussa-
ge gemacht wird, präsupponiert wird. Die Interpretation von Prädikationen wie
in (18) ist dagegen unabhängig von der Existenz von Instanzen der bezeichneten
Art.

5.7 Zur taxonomischen Lesart

Wenn zwei syntaktisch kombinierte Ausdrücke aufgrund ihrer jeweiligen lexi-


kalischen Bedeutungen miteinander unvereinbare Bedingungen an ihre Verwen-
dung stellen, dann führt das dazu, dass der durch diese Kombination gebildete
komplexe Ausdruck als nicht sprachgerecht zurückgewiesen wird. Es sei denn,
es lässt sich eine (Re-)Interpretation finden derart, dass die beiden prima fa-
cie gegensätzlichen Bedingungen doch nebeneinander her existieren können.
Die mögliche taxonomische Interpretation der Sätze in (16), so schlage ich in
diesem Abschnitt vor, resultiert aus einer solchen Auflösung eines Bedeutungs-
konflikts, speziell des Konflikts zwischen den Gebrauchsbedingungen des inde-
finiten Artikels einerseits und denen des Aussterben-Prädikats andererseits.
Gemäß den oben gemachten Überlegungen präsupponieren Aussterben-
Prädikate kraft ihrer lexikalischen Bedeutung die Existenz von Instanzen der
Art, die das Kopfnomen ihrer Argument-NP beim Namen nennt. Weil das Wis-
sen um die Existenz von Instanzen einer Art trivialerweise die Bekanntheit der
Art erfordert, erhält der Hörer mit dem Aussterben-Prädikat also u.a. die In-
formation, dass der betreffende Artreferent entweder vorerwähnt oder zumin-
5.7. ZUR TAXONOMISCHEN LESART 84

dest erschliessbar ist. Unter Umständen gerät diese lexikalische Präsupposition


des Aussterben-Prädikats mit den Verwendungsbedingungen der Nominalphra-
se in Konflikt, die den zugehörigen Argumentausdruck bildet. Unter welchen
Umständen?
Morphosyntaktische NP-Typen – gemeint sind z.B. von einem definiten Arti-
kel begleitete NPn (wie im Deutschen der Rabe), von einem indefiniten Artikel
begleitete NPn (wie im Deutschen ein Rabe) oder artikellose NPn (wie im Deut-
schen der Bare plural Raben oder im Neuhebräischen der Bare singular ‘orev)
– bringen ihre eigenen Gebrauchsbedingungen mit. Welche das sind, das resul-
tiert aus der lexikalischen Bedeutung des Artikels, sofern ein solcher vorhanden
ist: die syntaktische Präsenz eines Artikels schränkt die Möglichkeiten der Ver-
wendung der jeweiligen Nominalphrase ein.
Einen definiten Artikel kann der Sprecher nur dann wählen, wenn der Refe-
rent der NP entweder explizit vorerwähnt oder kontextuell erschließbar ist. Ist
er es nicht und der Sprecher wählt dennoch eine definite NP, so zwingt er damit
den Hörer, einen passenden Referenten zu akkommodieren. Mit anderen Wor-
ten, eine definite NP präsupponiert die Existenz ihres Referenten (vgl. Geurts
1999). Deswegen bietet es sich an, eine definite NP zu benutzen, wenn Refe-
renz auf eine bekannte Entität intendiert ist; definite NPn sind sozusagen das
Spezialwerkzeug, um auf bekannte Entitäten zu referieren.
Auch mit artikellosen NPn kann man sich auf bekannte Entitäten beziehen.
Da sie, ja artikellos, von keinem Funktionswort begleitet werden, welches Be-
dingungen an ihren Gebrauch stellen könnte, unterliegt ihre Verwendung keiner
lexikalischen Beschränkung bezüglich der Bekanntheit oder Neuheit möglicher
Referenten. Zwar müssen artikellose NPn nicht (wie definite NPn) zur Referenz
auf bekannte Entitäten benutzt werden, sie können es aber10 .
Indefinite NPn dagegen können nicht zur Referenz auf bekannte Entitäten
benutzt werden. Hier tritt nämlich wieder ein overter Artikel in Erscheinung,
der seine lexikalische Bedeutung mitbringt – mit entsprechenden Konsequen-
zen für die Verwendungsmöglichkeiten der indefiniten NP. Einen indefiniten
Artikel kann der Sprecher nur dann wählen, wenn der Referent der NP mit der
Äußerung neu in den Diskurs eingeführt wird. Um das oben gebrauchte Bild
noch einmal zu bemühen: NPn mit overtem indefiniten Artikel sind das Spezi-
alwerkzeug für Referenz auf neue Entitäten.
Die Tabelle in Abbildung 1 fasst das Gesagte zusammen. Mit Dayal (2004)
sei angenommen, dass diese lexikalischen Beschränkungen jeweils sowohl für
10 In Sprachen wie dem Deutschen oder Englischen, die über einen grammatikalisier-
ten definiten Artikel verfügen, werden Bare nominals nicht benutzt, um sich auf bekann-
te Entitäten zu beziehen. Der Grund hierfür ist, dass die Verfügbarkeit eines Spezialisten,
die definite NP, den Gebrauch eines Allrounders, die artikellose NP, blockiert (cf. Chier-
chia 1998, Krifka 2004).
5.7. ZUR TAXONOMISCHEN LESART 85

objektreferierende als auch für artreferierende NPn gelten. In der vorletzten Zei-
le der Tabelle ist der “Präsuppositionskonflikt” notiert, zu dem eine indefini-
te NP im Subjektslot eines Aussterben-Prädikats führen muss. Dass die durch
den Argumentausdruck des Aussterben-Prädikats bezeichnete Art bekannt sein
muss steht nämlich im Konflikt damit, dass die durch eine indefinite NP be-
zeichnete Art neu sein muss.
Ausdruck lexikalische Beschränkung
X ist ausgestorben X muss bekannt sein
der X X muss bekannt sein
ein X X muss neu sein
X-pl keine Beschränkung
der X ist ausgestorben okay
ein X ist ausgestorben Präsuppositionskonflikt
X-pl sind ausgestorben okay

Abbildung 5.1: lexikalische Beschränkungen

Das ganze noch einmal in einfachen Worten: Um zu verstehen, dass eine


Art ausgestorben ist, muss der Hörer wissen, dass es zuvor Instanzen der Art
gegeben hat. Wenn der Hörer weiss, dass es Instanzen der Art gegeben hat, dann
muss ihm die Art bekannt sein (wie hätte er sonst die Instanzen als Instanzen der
Art kategorisieren können?). Wenn die Art dem Hörer aber bereits bekannt ist,
dann kann sich der Sprecher auf sie nicht mittels einer indefiniten NP beziehen.
(68) Ein Blauwal ist ausgestorben.
Vor diesem Hintergrund ergibt sich nun eine sehr einfache Erklärung für das
Zustandekommen der unterartreferierenden Lesart indefiniter NPn in Verbin-
dung mit Aussterben-Prädikaten. Nehmen wir (23) als Beispiel und wiederho-
len noch einmal, worin der Konflikt besteht.
Das Prädikat ist ausgestorben verlangt kraft seiner lexikalischen Semantik
von seinem Argument zweierlei: Erstens, es muss sich auf eine Art beziehen.
Zweitens, die Existenz von Instanzen dieser Art muss vom Hörer als Tatsache
akzeptiert sein. Aus der zweiten Bedingung folgt zwingend, dass der Hörer mit
der betreffenden Art vertraut ist. Das heißt, der Satz kann nur in solchen Situa-
tionen adäquat geäußert werden, in denen die Art ‘Blauwal’ dem Hörer bekannt
ist. Diese Anforderung läuft nun der “normalen” artbezogenen Interpretation
der NP ein Blauwal zuwider, unter der die NP auf die durch das Kopfnomen
benannte Art ‘Blauwal’ referiert und diese dem Hörer als neu präsentiert wird.
So führt die Kombination der indefiniten NP mit dem Aussterben-Prädikat zu
einem scheinbar unüberwindbaren Konflikt zwischen zwei Bedingungen: die
5.7. ZUR TAXONOMISCHEN LESART 86

indefinite NP verlangt die Neuheit eines Artreferenten, das Aussterben-Prädikat


verlangt die Bekanntheit eines Artreferenten.
Tatsächlich ist dieser Konflikt aber auflösbar. Was dazu geschehen muss ist,
dass man den Referenten der kind-level NP kurzerhand verdoppelt, so dass ei-
ne der nun zwei Arten, als hörer-neu präsentiert, die Bedingung der indefiniten
NP ein Blauwal erfüllt und die andere, als hörer-bekannt präsentiert, die Bedin-
gung des Prädikats ist ausgestorben erfüllt. Und genau dies geschieht bei der
taxonomischen Interpretation!
Um zu verstehen, wie dies geschieht, muss man sich die besondere Binnen-
struktur der Artdomäne vor Augen führen. Das Nomen Blauwal ist einerseits
das sprachliche Symbol für eine Art, nämlich für die Art ‘Blauwal’. Bedingt
durch die taxonomische Architektur der Artdomäne ist das Nomen Blauwal
jedoch gleichzeitig ein Prädikat, welches die Menge aller Unterarten der Art
‘Blauwal’ inklusive der Art ‘Blauwal’ selbst charakterisiert11. Wenn wir den
indefiniten Artikel semantisch als Auswahlfunktion (choice function) ansehen,
die eine Menge auf eines ihrer Elemente abbildet (unter der pragmatischen Auf-
lage, dass das ausgewählte Element hörer-neu ist), dann ist also prinzipiell nicht
nur die durch das Nomen symbolisierte Art, sondern auch jede ihrer Unterarten
potentieller Referent einer indefiniten NP. Dieser Tatbestand wird nun im Falle
der sogenannten taxonomischen Interpretation ausgenutzt.
Das Prädikat ist ausgestorben präsupponiert die Existenz von Instanzen der
durch sein nominales Argument symbolisierten Art. Wird das Argument von der
indefiniten NP ein Blauwal gebildet, so wird – aus Sicht des Hörers – also die
Existenz von Blauwal-Instanzen zur Voraussetzung der Interpretation gemacht.
Daraus folgt: die Art ‘Blauwal’ muss bekannt sein. Weil die Art ‘Blauwal’ be-
kannt sein muss, kann sie nicht der Referent der indefiniten NP sein, denn in-
definite NPn beziehen sich ja auf neue Entitäten. Der Hörer/Interpret folgert,
dass sich die NP ein Blauwal auf einen anderen Artreferenten als die Art ‘Blau-
wal’ beziehen muss – auf einen, welcher weder im Diskurskontext vorerwähnt
noch aus dem Diskurskontext erschließbar ist. Die Frage ist, ob sich solch ein
Referent finden lässt.
Solch ein Referent lässt sich finden. Und zwar deswegen, weil ja – wie
oben ausgeführt – auch die Unterarten der durch das Kopfnomen benannten
Art mögliche Referenten einer indefiniten NP sind. Das Kopfnomen Blauwal
nennt weiterhin in seiner Eigenschaft als Symbol für eine Art die Art ‘Blau-
wal’ beim Namen, zum Referenten der NP ein Blauwal wird jedoch ein anderes
(hörer-neues) Element aus der durch das nominale Prädikat Blauwal charakte-
risierten Artenmenge. Diese Art der Konfliktauflösung ist möglich, weil jede
11 Vergleiche
im Einleitungskapitel den Abschnitt “Nominale Generizität II: der 2-
Domänen Ansatz”.
5.8. WOHLETABLIERTHEIT 87

Instanz einer Unterart automatisch auch eine Instanz der Oberart ist. Wenn sich
ein Blauwal in (23) also z.B. auf die Art ‘Zwergblauwal’ bezieht, dann kann die
Bedingung des Artprädikats, dass Instanzen der Art ‘Blauwal’ existieren, erfüllt
sein, obwohl die Art ‘Zwergblauwal’ dem Hörer unbekannt ist, was wiederum
die Verwendung des indefiniten Artikels legitimiert.
Fassen wir zusammen: Weil die Artdomäne taxonomisch organisiert ist, lässt
sich für einen Satz wie (23) eine Interpretation finden, obwohl sich hier die
durch die indefinite NP und das Aussterben-Prädikat eingebrachten Bedingun-
gen scheinbar gegenseitig ausschließen. Weicht man nämlich auf eine Unter-
art der durch das Kopfnomen der indefiniten NP benannten Art aus, so kann
die Präsupposition des Prädikats (es muss bekannt sein, dass Instanzen der Art
‘Blauwal’ existieren) und die des Arguments (der Referent der indefiniten NP
muss hörer-neu sein) gleichzeitig erfüllt sein.

5.8 Wohletabliertheit

Wofür ich argumentiere ist also, dass man mit einer indefiniten NP grundsätzlich
sehr wohl auf die Art referieren kann, die vom Kopfnomen der NP beim Namen
genannt wird. Der (falsche) Eindruck, dass indefinite NPn artbezogen nur unter-
artreferierend vorkommen können, entsteht, weil indefinite NPn tatsächlich sehr
häufig nur unterartreferierend vorkommen. In vielen Fällen ist die Möglichkeit
der (nicht-taxonomischen) Artreferenz blockiert. Der Grund ist die mit dem
indefiniten Artikel assoziierte Neuheitsbedingung. Diese steht beispielswei-
se einer (nicht-taxonomischen) Interpretation als Argument eines Aussterben-
Prädikats im Wege. Es bleibt nur ein Ausweichen auf die taxonomische Inter-
pretation. Wie wir gesehen hatten kann sich eine indefinite NP jedoch als Argu-
ment eines Erfinden-Prädikats ohne weiteres auf die “oberste Art” beziehen.
Nun ist es aber so, dass wir auch im Slot von Erfinden-Prädikaten mitunter
Unterartreferenz registrieren: Während (24a) sich auf die durch das Kopfnomen
benannte Art ‘Kürbiscrusher’ bezieht, bezieht sich (24b) auf eine Unterart der
durch das Kopfnomen benannten Art ‘Computer’. (24b) wird normalerweise so
verstanden, dass Fred ein neues Computermodell erfunden hat (vgl. (2)):
(69) a. Fred hat einen Kürbiscrusher erfunden.
b. Fred hat einen Computer erfunden.
Diese Beobachtung widerspricht meiner Analyse nur vordergündig. Der ent-
scheidende Unterschied zwischen den Beispielen ist, dass die Art, auf die das
direkte Objekt in (24b) Bezug nimmt im Gegensatz zu der in (24a) im Welt-
wissen des durchschnittlichen Sprechers des Deutschen wohletabliert (“well-
established in the background knowledge of speaker and hearer” (Krifka 1995))
5.9. ZUSAMMENFASSUNG 88

ist12 . Was bedeutet die Wohletabliertheit im Hintergrundwissen von Sprecher


und Hörer? Ich denke, eine vernünftige Definition ist die folgende:
Eine Art gilt dann als wohletabliert, wenn Sprecher und Hörer es ge-
meinsam als zweckmäßig erachten, eine Menge von Objekten unter der
betreffenden Art zusammenzufassen (=als Instanzen der betreffenden
Art zu kategorisieren).
Man beachte: Gemäß dieser Definition geht mit der Wohletabliertheit einer
Art das Wissen um die Existenz von Objekten einher, die eine bestimmte Eigen-
schaft, nämlich die Arteigenschaft, teilen. Wenn die vorgeschlagene Definition
richtig ist, dann liefert sie die Erklärung dafür, warum indefinite NPn, deren
Kopfnomen eine wohletablierte Art beim Namen nennt, nur unterartreferierend
verwendet werden können. Die Erklärung ist dann exakt dieselbe wie im Fal-
le von indefiniten Argumenten von Aussterben-Prädikaten. Die Generalisierung
lautet:
Wenn die Existenz von Instanzen der vom Kopfnomen benannten Art
Voraussetzung für die Interpretation der syntaktisch voll ausgebildeten
NP ist, dann führt die Verwendung einer indefiniten NP automatisch
zu einer unterartreferierenden Lesart, weil der indefinite Artikel nur
dann benutzt werden kann, wenn der NP-Referent neu in den Diskurs
eingeführt wird. Nur die Unterart, auf die sich die indefinite NP dann
bezieht, kann diese Neuheitsbedingung erfüllen.
Zusammenfassung: Eine indefinite NP verfügt über das semantische Poten-
tial zur nicht-taxonomischen Artreferenz. Allerdings bringt es die Neuheitsbe-
dingung des indefiniten Artikels mit sich, dass diese Möglichkeit immer dann
blockiert ist, wenn die Existenz von Instanzen der Art vorausgesetzt werden
muss. Dies ist der Fall, (i) wenn die indefinite NP im Slot eines Aussterben-
Prädikats erscheint und (ii) wenn das Kopfnomen der NP für eine wohletablierte
Art steht.

5.9 Zusammenfassung

Zum Abschluss dieses Kapitels sei noch einmal die Bedeutung der K-Regel f ür
die Art und Weise, wie die Standardtheorie die syntaktische Kategorie inde-
finiter Nominalphrasen in generischer Verwendung erklärt, herausgestellt. Wir
12
Krifka (1995) bezeichnet nur wohletablierte Kategorien als Arten. Ich weiche an
dieser Stelle terminologisch von ihm ab, da ich auch ad hoc Kategorien als Arten
bezeichne.
5.9. ZUSAMMENFASSUNG 89

hatten gesehen, dass die Standardtheorie (Krifka et al. 1995) ganz verschiedene
Sorten von generischen indefiniten NPn unterscheidet. Mit welcher Sorte man
es zu tun hat, hängt von den Eigenschaften des Prädikatsausdrucks ab, als des-
sen Argument die jeweilige indefinite NP erscheint.
Als Subjekt eines Carlsonschen Objektprädikats wird eine für sich betrachtet
objektdenotierende indefinite NP generisch verstanden, wenn sie eingebettet in
eine (durch einen koverten Operator induzierte) generalisierte Quantifikations-
struktur interpretiert wird:
(70) Ein Hund hat vier Beine.
Als Subjekt eines Frequenzprädikats wird ebenfalls eine für sich betrachtet
objektdenotierende indefinite NP deswegen generisch interpretiert, weil sie im
syntaktischen Kontext eines “Multiplizierers”, nämlich des Frequenzprädikats,
erscheint:
(71) Ein weisser Elefant ist selten.
Als Subjekt eines Carlsonschen Artprädikats wie aussterben wird eine inde-
finite NP nicht objektbezogen, sondern artbezogen interpretiert, referiert aber
gemäß der K-Regel auf eine Unterart. Hier wird die Quelle der Generizität al-
so darin gesehen, dass die indefinite NP nicht innerhalb der “gewöhnlichen”
Objektdomäne, sondern innerhalb der Artdomäne denotiert:
(72) Ein Blauwal ist vom Aussterben bedroht.
Schließlich unterscheiden Krifka et al. (1995) noch einen besonderen
Prädikatstyp (vgl. Fussnote 3):
With some other predicates, such as be a mammal, be domesticated,
and be protected by law, the kind-referring interpretation of the subject
is not the only one; indeed, a proper name referring to a particular ani-
mal can also be used as subject with these. Yet when a general term is
used as subject NP, the kind-referring interpretation has at least priority
over the object-referring interpretation. We call predicates which favor
a kind-referring interpretation of an argument kind predicates. (Krifka
et al. 1995:10)
Prädikate dieses Typs sind sowohl mit Objekttermen als auch mit Arttermen
kompatibel. Das Zitat suggeriert, dass ihre Verbindung mit einem artreferieren-
den Ausdruck natürlicher ist als ihre Verbindung mit einem objektreferierenden
Ausdruck. Wenn ich es richtig verstehe, ist es nun so: Erscheint ein Artterm im
Slot dieser Prädikate, wird er artreferierend verstanden, ohne dass Unterartrefe-
renz erzwungen wäre:
5.9. ZUSAMMENFASSUNG 90

(73) Ein Wellensittich ist ein Vogel.


Damit ist (28) der einzige Fall, wo die Generizität der indefiniten NP auf
nicht-taxonomische Artreferenz zurückgeführt wird. Ansonsten verbietet die
Gültigkeit der K-Regel eine solche Analyse. Warum in (28) nicht-taxonomische
Artreferenz durch die K-Regel nicht ausgeschlossen wird, ist mir nicht ganz
klar. Krifka et al. (1995) scheinen “gemischte” Artprädikate wie be a mam-
mal, be domesticated oder be protected by law als Sonderfälle zu betrachten
(“some other predicates”), für die besondere Regeln gelten – und die K-Regel
eben nicht. Abgesehen von dieser Ausnahme gilt jedoch die K-Regel, so dass
mit einer indefiniten NP nicht nicht-taxonomisch artreferiert werden kann. Dies
erzwingt dann alternative Analysen.
Wenn die Argumentation in diesem Kapitel jedoch richtig ist, dann muss die
K-Regel fallengelassen werden. Dies würde die Möglichkeit eröffnen, die Gene-
rizität aller indefiniter NPn in (25) bis (28) auf eine Quelle zurückzuführen: auf
Artreferenz. Normalerweise auf nicht-taxonomische Artreferenz, in (27) aber
aufgrund der lexikalischen Besonderheit des Aussterben-Prädikats auf taxono-
mische Artreferenz.
Zu Beginn des Kapitels hatte ich gefragt, welche Regel angemessen ist, die
K(rifka)-Regel oder die D(ayal)-Regel. Die Antwort muss lauten: die D-Regel.
Hier ist sie noch einmal:
D1: Sowohl NPn der Form the N als auch NPn der Form a N können sich auf
die Art ‘N’ beziehen.
D2: NPn der Form the N beziehen sich auf hörer-bekannte Arten.
D3: NPn der Form a N beziehen sich auf hörer-neue Arten.
Kapitel 6

Lexikalische Prädikatsklassen – normale


und Carlsonsche Artprädikate

6.1 Übersicht

In Kapitel 5 hatten wir gesehen, dass die Standardtheorie (Krifka et al.


1995) ein heterogenes Bild zeichnet, wenn es darum geht, den kompositio-
nalsemantischen Beitrag eines Syntagmas aus indefinitem Artikel und No-
men in generischer Verwendung zu bestimmen. Ich hatte versucht zu zeigen,
dass dieses Vorgehen eine Konsequenz der theoretischen Voraussetzungen ist,
von denen ausgegangen wird, und zwar insbesondere eine Konsequenz der
Prädikatsklassifikation, die die Standardtheorie zwar nicht vollständig aber sehr
wohl in wesentlichen Teilen von Carlson (1977) übernimmt.
Der Zweck des vorliegenden Kapitels besteht darin, eine alternative lexikali-
sche Prädikatsklassifikation vorzustellen und den Nachweis zu führen, wie auf
ihrer Grundlage die aufgezeigten Schwierigkeiten überwunden werden. Die re-
vidierte Prädikatsklassifikation, die ich vorstelle, behält Carlson’s Grundidee,
eine systematische ontologische Unterscheidung zwischen Typen und Token,
bei. Anders als bei Carlson übernehmen in meinem System aber Objekte die
Rolle der Token, während nur Arten die Rolle von Typen spielen; auf Stadien
wird gänzlich verzichtet (vgl. Kapitel 4).
Prädikate, die Carlson als Objektprädikate und Stadienprädikate behandelt,
werden zu einer gemeinsamen lexikalischen Klasse zusammengefasst. Sie sind
im Lexikon als reine Artprädikate registriert, die jedoch bei entsprechendem
kommunikativen Bedarf durch eine Operation namens raumzeitliche Loka-
lisierung in Objektprädikate überführt werden können. Carlsonsche Stadien-
prädikate zeichnen sich, grob gesagt, gegenüber Carlsonschen Objektprädikaten
zudem dadurch aus, dass ihre raumzeitliche Lokalisierung mit Bezug auf David-
sonsche Ereignisse einhergeht. Ein Carlsonsches Artpr ädikat ist demgegenüber
kein reines Artprädikat, weil mit seiner Eigenschaftszuweisung immer Exi-
6.2. PRÄDIKATSKLASSEN IN DER STANDARDTHEORIE 92

stenzbedingungen an Objekte gestellt werden, die die Art instantiieren. Ent-


sprechend werden Carlsonsche Artprädikate von mir als komplexe Existenz-
prädikate analysiert.
Um den Ausgangspunkt meiner Diskussion zu fixieren sei in Abschnitt 2
noch einmal die Prädikatsklassifikation dargestellt, die hinter standardtheoreti-
schen Analysen steht, so beispielsweise hinter den Analysen verschiedener ge-
nerisch verwendeter indefiniter NPn. Abschnitt 3 stellt, gewissermaßen zur gro-
ben Orientierung, die Grundstruktur der Carlsonschen Prädikatsklassifikation
und die Grundstruktur meinen alternativen Klassifikation in einer sehr allge-
meinen Form dar. Die Auseinandersetzung mit den Details der Empirie beginnt
in Abschnitt 4, wo ich die “representative object interpretation” (Krifka et al.
1995) objektreferierender Nominalphrasen vorstelle, die für meine Argumen-
tation eine zentrale Rolle spielt. Wie ich in Abschnitt 5 ausführe, handelt es
sich nämlich bei allen generischen Aussagen über Objekte um Stellvertreter-
Lesarten. Unter der Voraussetzung, dass Arten als sortale Konzepte verstanden
werden (vgl. Kapitel 2), sind Objekte schließlich nichts anderes als Vertreter von
Arten in der realen Welt. Daraus folgt, dass jeder Objektbezug notwendigerwei-
se mit Artbezug einhergeht – eine “sortalistische” Position, die ich in Abschnitt
6 verteidige. In Abschnitt 7 wird sodann gezeigt, dass sich auch Carlsonsche
Stadienprädikate ohne Probleme in das vorgeschlagene System integrieren las-
sen. In Abschnitt 8 gehe ich kurz darauf ein, dass sich verschiedene Artpr ädikate
aus pragmatischen Gründen unterschiedlich leicht raumzeitlich lokalisieren las-
sen. Schließlich, in Abschnitt 9, komme ich auf die lexikalische Besonderheit
der Klasse der Carlsonscher Artprädikate zu sprechen, die deren raumzeitli-
che Lokalisierung verhindert. Carlsonsche Artprädikate sind, so das Fazit von
Abschnitt 10, komplexe Existenzprädikate. Abschnitt 11 fasst die Ergebnisse
dieses Kapitels zusammen.

6.2 Prädikatsklassen in der Standardtheorie

Wir sahen im vorigen Kapitel, dass die Standardtheorie verschiedene Sorten


von generischen indefiniten Nominalphrasen unterscheidet. Mit welcher Sorte
man es zu tun hat, hängt von den Eigenschaften des Prädikatsausdrucks ab, als
dessen Argument die indefinite NP erscheint.
Als Subjekt eines Carlsonschen Objektprädikats wird eine für sich betrachtet
objektdenotierende indefinite NP generisch verstanden, wenn sie eingebettet in
eine (durch koverte Struktur induzierte) generalisierte Quantifikationsstruktur
interpretiert wird:

(74) Ein Hund hat vier Beine.


6.2. PRÄDIKATSKLASSEN IN DER STANDARDTHEORIE 93

Als Subjekt eines Frequenzprädikats wird ebenfalls eine für sich betrachtet
objektdenotierende indefinite NP deswegen generisch interpretiert, weil sie im
syntaktischen Kontext eines “Multiplizierers”, nämlich des Frequenzprädikats,
erscheint:
(75) Ein weisser Elefant ist selten.
Als Subjekt eines Carlsonschen Artprädikats wie aussterben wird eine inde-
finite NP nicht objektbezogen, sondern artbezogen interpretiert, referiert aber
gemäß der K-Regel1 auf eine Unterart. Hier wird die Quelle der Generizität
also darin gesehen, dass die indefinite NP nicht innerhalb der “gewöhnlichen”
Objektdomäne, sondern innerhalb der Artdomäne denotiert:
(76) Ein Blauwal ist vom Aussterben bedroht.
Schließlich unterscheiden Krifka et al. (1995) noch einen besonderen
Prädikatstyp:
With some other predicates, such as be a mammal, be domesticated,
and be protected by law, the kind-referring interpretation of the subject
is not the only one; indeed, a proper name referring to a particular ani-
mal can also be used as subject with these. Yet when a general term is
used as subject NP, the kind-referring interpretation has at least priority
over the object-referring interpretation. We call predicates which favor
a kind-referring interpretation of an argument kind predicates.
(Krifka et al. 1995:10)
Prädikate dieses Typs sind sowohl mit Objekttermen als auch mit Arttermen
kompatibel. Das Zitat suggeriert, dass ihre Verbindung mit einem artreferieren-
den Ausdruck natürlicher ist als ihre Verbindung mit einem objektreferierenden
Ausdruck. Erscheint eine indefinite NP im Slot dieser Prädikate, wird sie artre-
ferierend verstanden, ohne dass Unterartreferenz erzwungen wäre:
(77) Ein Wellensittich ist ein Vogel.
Das Bild, das sich aus diesen standardtheoretischen Annahmen ergibt, wirft
einige Fragen auf. Wie überzeugend ist es, vier verschiedene Quellen für aus in-
tuitiver Sicht ein- und dieselbe generische Interpretation verantwortlich zu ma-
chen? Was ist das für ein seltsamer Prädikatstyp, in dessen Slot sowohl Artterme
als auch Objektterme erscheinen können? Warum ist, wenn ein solches Misch-
prädikat wie in (4) als Artprädikat fungiert, keine Unterartreferenz erzwungen?
Noch deutlicher wird dieses Problem, wenn man den Status des Prädikats des-
ambiguiert, wie in (5):
1 D.i. die Regel, wonach indefinite NPn artbezogen nur taxonomisch interpretiert wer-
den können, vgl. Kapitel 5.
6.3. IM LEXIKON STEHEN NUR GENERISCHE PR ÄDIKATE 94

(78) Ein Wellensittich ist eine Vogelart.


Obwohl das Prädikat in (5) eindeutig ein Artprädikat ist, bezieht sich sein
Subjekt nicht auf eine Unterart der Art ‘Wellensittich’, sondern auf die Art
‘Wellensittich’ selbst. Dies steht im klaren Widerspruch zur K-Regel. Warum
greift die K-Regel in diesem Fall nicht?
Last not least ist die Standardtheorie mit dem Problem konfrontiert, wel-
ches das Thema des vorigen Kapitels war: Warum müssen indefinite NPn als
Argumente von Erfinden-Prädikaten nicht unterartreferierend interpretiert wer-
den? Die Standardtheorie muss sich fragen lassen, ob sie entweder Erfinden-
Prädikate nicht zu den Artprädikaten zählt oder ob sie Ausnahmen von der K-
Regel zulässt. Im letzteren Fall müsste dann deren Vorhandensein erklärt wer-
den.
Die Kritik zusammenfassend muss festgestellt werden, dass die Standard-
theorie ein sehr heterogenes Bild generischer indefiniter NPn entwirft und zu-
dem bestimmte empirische Daten nicht korrekt erfasst. Wünschenswert wäre
eine Theorie, die die Generizität indefiniter NPn auf eine einheitliche Quelle
zurückführt und dabei die geschilderten empirischen Schwierigkeiten vermei-
det (ohne neue zu schaffen, versteht sich). In diesem Kapitel versuche ich eine
solche Theorie zu entwickeln, indem ich von einer anderen lexikalischen Basis-
klassifikation ausgehe als in der Standardtheorie üblich. Einen Überblick über
die Prädikatsklassen, wie sie standardtheoretischen Analysen zugrunde liegen,
bietet Abbildung 1.
Lexikalische Klasse selegiert. . . Prädikation über. . . Beispiele
vier Beine haben,
Objektprädikat Objektterm Objekt
intelligent sein, . . .
aussterben, in verschiedenen
Artprädikat Artterm Art
Varianten vorkommen, . . .
Objektterm Objekt gesetzlich geschützt sein,
Mischprädikat
Artterm Art ein Vogel sein, . . .

Abbildung 6.1: Prädikatsklassen gemäß der Standardtheorie

6.3 Im Lexikon stehen nur generische Prädikate

Krifka et al. (1995) übernehmen die Partitionierung des Lexikons in Objekt-


prädikate und Artprädikate direkt von Carlson (1977). Wie in Kapitel 4 disku-
tiert ist mit dieser kategorischen Unterscheidung jedoch ein Problem verbunden,
6.3. IM LEXIKON STEHEN NUR GENERISCHE PR ÄDIKATE 95

auf das Croft (1986) aufmerksam macht. Croft weist darauf hin, dass ausnahms-
los jedes Prädikat, dessen lexikalische Bedeutung Carlson als Eigenschaftszu-
weisung an ein Objekt analysiert, auch zum Zwecke der Eigenschaftszuweisung
an eine Art verwendet werden kann. Carlson selbst ist sich dessen sehr wohl
bewusst und formuliert es so: “whatever may be meaningfully predicated of an
object may also be meaningfully said of a kind” (Carlson 1977:248). Angesichts
dieser Beobachtung, dass restlos alle Carlsonschen Objektprädikate als Carlson-
sche Artprädikate fungieren können, kommen Zweifel an der Nützlichkeit von
Carlson’s Entscheidung auf, Prädikate wie vier Beine haben, intelligent sein
etc. lexikalisch als Objektprädikate zu klassifizieren und dann eine grammati-
sche (Generalisierungs-) Operation zu postulieren, die Objektprädikate in Art-
prädikate überführt (vgl. Kapitel 4).
Tatsache ist also: Alles, was sinnvoll über ein Objekt gesagt werden kann,
kann sinnvoll über eine Art gesagt werden. Aber nicht alles, was sinnvoll über
eine Art gesagt werden kann, kann sinnvoll über ein Objekt gesagt werden.
Beispielsweise kann nicht sinnvoll über ein Objekt gesagt werden, es sei am
Aussterben. Angesichts dieser Situation trifft Carlson die folgenden Annahmen:

• im Lexikon manifestieren sich als Prädikate: (i) Eigenschaftszuweisungen


an Arten und (ii) Eigenschaftszuweisungen an Objekte
• Objektprädikate können durch eine grammatische Operation in Art-
prädikate transformiert werden (“Generalisierung”)

Hinzu kommen bei Carlson dann noch Eigenschaftszuweisungen an Stadien,


die sich als Stadienprädikate im Lexikon niederschlagen. Alternativ könnte man
jedoch auch von den folgenden Annahmen ausgehen:

• im Lexikon manifestieren sich als Prädikate ausschließlich Eigenschaftszu-


weisungen an Arten
• Artprädikate können durch eine grammatische Operation in Objekt-
prädikate transformiert werden (“Raumzeitliche Lokalisierung”)
• für eine Teilmenge der lexikalischen Artprädikate gilt, dass ihre Mitglieder
über eine semantische Komponente verfügen, die ihre raumzeitliche Loka-
lisierung verhindert

Dies sind die Grundannahmen hinter der Prädikatsklassifikation, für die ich
argumentieren werde. Man beachte: Dadurch, dass alle lexikalischen Prädikate
Artprädikate sind, sind in einem generischen Bedeutungsformat abgespeichert.
Ich werde nun versuchen, diese alternative Sichtweise zu motivieren.
6.4. DIE STELLVERTRETER-LESART 96

6.4 Die Stellvertreter-Lesart

Beginnen wir damit, dass wir uns noch einmal sorgfältig die Daten vor Augen
führen. Das erste, was wir festhalten können, ist, dass sich Carlsonsche Objekt-
prädikate (6) genau wie Krifka et al.’s Mischprädikate (7) sowohl mit Artter-
men, als auch mit Objekttermen verbinden. Man beachte, dass es sich stets um
generische Sätze handelt:
(79) a. Fido hat vier Beine.
b. Ein Pudel hat vier Beine.
c. Fido ist intelligent.
d. Ein Pudel ist intelligent.
(80) a. Fido ist ein Hund.
b. Ein Pudel ist ein Hund.
Prädikate, die Carlson als Stadienprädikate analysiert, kommen syntaktisch
ebenfalls mit Objekttermen oder Arttermen vor. Auch sie haben zwar nicht nur,
aber auch eine generische Interpretation:
(81) a. Fido bellt.
b. Ein Pudel bellt.
Ich werde Stadienprädikate zunächst, bis zu Abschnitt 7, aus der Diskussion
ausklammern. Im Gegensatz dazu lassen sich Carlsonsche Artprädikate, auf den
ersten Blick zumindest, nur mit Arttermen verbinden:
(82) a. Der Pottwal ist vom Aussterben bedroht.
b. *Moby Dick ist vom Aussterben bedroht.
c. Ein Wellensittich ist eine Vogelart.
d. *Hansi ist eine Vogelart.
e. Im Watt lebt in großer Zahl ein bis zu einem Zentimeter dicker und
bis zu 30 Zentimeter langer Ringelwurm.
f. *Im Watt lebt in großer Zahl ein ein Zentimeter dicker und 30 Zen-
timeter langer Ringelwurm, den ich gestern gesehen habe.
g. Der Hirschkäfer bevölkert den Kelsterbacher Wald.
h. *Der Hirschkäfer Harry bevölkert den Kelsterbacher Wald.
i. Die Colaflasche gibt es in verschiedenen Größen.
j. *Die Colaflasche, die ich mir gekauft habe, gibt es in verschiedenen
Größen.
6.4. DIE STELLVERTRETER-LESART 97

Die Beobachtungen zusammengefasst: Alle Prädikatssorten können generi-


sche Prädikationen zum Ausdruck bringen und verbinden sich dabei sowohl mit
Arttermen, als auch mit Objekttermen. Die Ausnahme von dieser Regel stel-
len Carlsonsche Artprädikate dar, da sie sich offenbar nicht mit Objekttermen
kombinieren lassen.
Dass Carlsonsche Artprädikate nur mit Arttermen kompatibel sind, wird von
der Standardtheorie als Tatsache erachtet:
There are some predicates with argument places that can be filled only
with kind-referring NPs. Examples are the subject argument of die out
or be extinct and the object argument of invent or exterminate. The
reason is, of course, that only kinds (not objects) can die out or be
invented. (Krifka et al. 1995:10)
Nur Arten können aussterben, erfunden werden, etc. Die folgenden Beispiele
bestätigen diese Auffassung noch einmal:
(83) a. *Fritz Walter ist ausgestorben.
b. *Die Armee hat King Kong ausgerottet.
Wie kommt es aber, dass die folgenden Sätze völlig akzeptabel sind? Schließ-
lich werden auch hier offenkundig objektreferierende Eigennamen im Argu-
mentslot eines Carlsonschen Artprädikats realisiert:
(84) a. Weizenbaum hat Eliza erfunden.
b. Mein Nachbar hat Fido erfunden, einen Roboterhund, der ihm
täglich die Zeitung holt.
c. Wilmut hat Dolly gezüchtet.
Worauf sich die Eigennamen Eliza, Fido und Dolly hier beziehen ist jeweils
der Prototyp einer neugeschaffenen Art. In (11b) ist sogar explizit gemacht, um
welche neugeschaffene Art es sich handelt, nämlich um die Art ‘Roboterhund,
der meinem Nachbarn täglich die Zeitung holt’. Prototypen sind reale Objekte,
denen die Besonderheit zu eigen ist, dass sie als erste Exemplare stellvertretend
für eine ganze Art stehen. In diesem Sinne unterstützen auch die Beispiele un-
ter (11) die Position der Standardtheorie: Eigennamen sind dann im Slot eines
Carlsonschen Artprädikats erlaubt, wenn der Träger des Eigennamens als Stell-
vertreter einer Art fungiert, wie es z.B. ein Prototyp tut. Krifka et al. (1995:85)
sprechen in diesem Zusammenhang von der “representative object interpretati-
on”. Ein illustratives Beispiel (aus dem Internet) ist folgendes:
(85) Die Nachfrage nach Anemonenfischen, die in “Findet Nemo” die
Hauptrollen spielen, steigt deutlich. In amerikanischen Zoohandlungen
6.4. DIE STELLVERTRETER-LESART 98

war es nach dem Start des Films im Mai 2003 zu einem regelrech-
ten Boom gekommen. Roland Melisch bittet um Vorsicht. “Der Han-
del mit Meerwasserfischen ist problematisch. Sie stammen meistens aus
der Wildnis. Manche Arten werden sogar als bedroht eingestuft. Vertret-
bar ist allenfalls der Kauf von Meerwasserfischen, deren Herkunft nach
den Kriterien des Marine Aquarium Council (MAC) zertifiziert ist.” So
kannst du sicher sein, dass Nemo nicht ausstirbt.
Nemo, der Held aus dem Film “Findet Nemo”, ist kein Prototyp einer neu
geschaffenen Art. Er hat seinen Status als Symbol für eine ganze Art vielmehr
durch seine “Medienpräsenz” erlangt. Weil Nemo ein Symbol für die Art ‘Ane-
monenfisch’ geworden ist, referiert der Name Nemo hier nicht nur auf das Ob-
jektindividuum Nemo, sondern auch auf die Art ‘Anemonenfisch’.
Schaut man sich weiter um, so zeigt sich, dass der Gebrauch von Objektter-
men in Stellvertreterfunktion für eine Art nicht nur auf Eigennamen beschränkt
ist. Bei entsprechender kontextueller Einbettung können auch objektreferieren-
de deskriptive NPn in dieser Weise gebraucht werden. Prädestiniert für diesen
Fall sind beispielsweise Zoo-Kontexte, denn ein Zoo ist im Wesentlichen genau
das: eine Sammlung von Objektindividuen als Stellvertreter für Arten. Machen
wir also einen kurzen Rundgang im Zoo:
(86) a. [vor dem Löwengehege:] Look kids, this is the lion. [Krifka et al. 1995]
b. [vor dem Tigergehege:] Der Tiger, den ihr hier seht, ist vom Aus-
sterben bedroht.
c. [in der Vogelhalle, auf ein Exemplar zeigend:] Dieser Vogel wurde
von Darwin auf den Galapagosinseln entdeckt.
d. [angesichts des Schnabeltiers:] Unglaublich, aber wahr: dieses ko-
mische Tier dort ist tatsächlich eine Säugetierart.
Die Stellvertreter-Lesart kann sich immer dann einstellen, wenn ein Objekt-
term im Argumentslot eines Artprädikats erscheint und der Referent des Ob-
jektterms aus irgendeinem Grund den semiotischen Status eines Symbols für
eine Art innehat. Dann nämlich kann der Objektterm als Artterm fungieren: Re-
ferenz auf die Art wird über den Umweg der Referenz auf den Stellvertreter der
Art hergestellt.
Die Objektindividuen Dolly und Eliza haben den Status eines Artsymbols
dadurch erlangt, dass sie die ersten (und einzigen?) Exemplare einer neuen Art
sind. Hinzu kommt, dass diese neue Art von ausreichender gesellschaftlicher
Bedeutung ist, um in das gemeinsame Wissen der Sprechergemeinschaft ein-
zugehen. Darin unterscheiden sie sich von Fido aus (11b), der zum Leidwesen
meines Nachbarn niemals wirklich bekannt geworden ist. Ich habe die mit Fido
geschaffene neue Art, für die Fido als Prototyp ein Symbol ist, deswegen durch
6.4. DIE STELLVERTRETER-LESART 99

die Ergänzung einen Roboterhund, der ihm täglich die Zeitung holt explizit ge-
macht. In Zoo-Kontexten weisen üblicherweise Schilder am Gehege bzw. Käfig
darauf hin, welche Art die ausgestellten Exemplare jeweils stellvertreten.
Man kann die berechtigte Frage stellen, warum denn dann die Beispiele (10)
gesternt und somit als uninterpretierbar angesehen werden. Warum sollte es in
diesen Fällen nicht möglich sein, dass die betreffende Arteigenschaft einer Art
zugewiesen wird, die über den Umweg der Referenz auf ihren Stellvertreter,
Fritz Walter bzw. King Kong, bezeichnet wird? Tatsächlich ist dieser Einwand
berechtigt. Die Sätze in (10) sind aus pragmatischen Gründen zurückzuweisen,
semantisch sind sie jedoch sehr wohl interpretierbar. Dazu müsste man sich
aber Fritz Walter als Stellvertreter für eine Art vorstellen, etwa als Stellvertreter
für die Art ‘Fussballprofi, der nicht nur ans Geld denkt’. In ähnlicher Weise
müsste King Kong der Repräsentant einer Art sein, die von der betreffenden
Armee ausgerottet worden ist. Dann hätte man es mit Interpretationen analog
zu Beispiel (12) zu tun.
Nun, wo wir unsere Sinne für die Stellvertreter-Interpretation geschärft ha-
ben, müssen nicht nur die Beispiele aus (10), sondern auch die Beispiele aus (8)
neu beuteilt werden. Die Sätze in (14) sind alle interpretierbar, wenngleich sie
unsere Imaginationskraft mitunter stark fordern. Wir m üssen uns nämlich Wel-
ten vorstellen, in denen die Objekte Fritz Walter, King Kong, Moby Dick, etc.
Symbole für Arten sind:
(87) a. # Fritz Walter ist ausgestorben.
b. # Die Armee hat King Kong ausgerottet.
c. # Moby Dick ist vom Aussterben bedroht.
d. # Hansi ist eine Vogelart.
e. # Im Watt lebt in großer Zahl ein Ringelwurm, den ich gestern ge-
sehen habe.
f. # Der Hirschkäfer Harry bevölkert den Kelsterbacher Wald.
g. # Die Colaflasche, die ich mir gekauft habe, gibt es in verschiedenen
Grössen.
Die Stellvertreter-Lesart zeigt zweierlei: Erstens, auch Carlsonsche Art-
prädikate können syntaktisch mit Objekttermen verbunden werden. Zweitens,
diese Möglichkeit widerspricht nicht der Feststellung von Krifka et al. (1995),
dass nur Arten aussterben können, erfunden werden können, usw. Im Gegenteil:
Weil bei der Stellvertreter-Interpretation Objektterme als Artterme gebraucht
werden, bestätigt sich diese Diagnose.
In diesem Abschnitt wurde nicht zuletzt anhand der Klasse der Carlsonschen
Artprädikate die Stellvertreter-Interpretation eingeführt. Wir werden die Dis-
kussion Carlsonscher Artprädikate an dieser Stelle unterbrechen und uns statt-
dessen zunächst einmal, vor dem Hintergrund der Stellvertreter-Interpretation,
6.5. KATEGORISIERENDE AUSSAGEN ALS STELLVERTRETER-INTERPRETATIONEN 100

den übrigen Prädikatsklassen widmen. In Abschnitt 8 kehrt die Diskussion dann


zu Carlsonschen Artprädikaten zurück.

6.5 Kategorisierende Aussagen als Stellvertreter-Interpretationen

Die Stellvertreter-Interpretation lässt sich wie folgt beschreiben: (i) Ein Ob-
jektterm erscheint im Argumentslot eines Artprädikats. (ii) Dadurch, dass das
Objekt, auf das der Objektterm referiert, als Repräsentant einer Art fungiert,
bezieht sich der Objektterm, sozusagen indirekt, auch auf eine Art, der das Art-
prädikat seine Eigenschaft zuweisen kann. In diesem Abschnitt möchte ich auf
die Ähnlichkeit hinweisen, die die oben präsentierten Stellvertreter-Lesarten mit
Beispielen wie (15) haben. Diese werden in der Literatur häufig auch als “kate-
gorisierende Aussagen” bezeichnet.
(88) a. Chomsky ist ein Anarchist.
b. Dieser Vogel ist ein Storch.
c. Ich bin ein Berliner.
Mit der Äußerung von (15a) wird zum Ausdruck gebracht, dass das Objek-
tindividuum Noam Chomsky eine Instanz der Art ‘Anarchist’ ist. Der kommu-
nikative Zweck dieser Sätze besteht also darin, den Hörer über eine Kategori-
sierung des betreffenden Objektindividuums zu informieren. Bei den Sätzen in
(15) wird die Art, als deren Instanz der Subjektreferent ausgewiesen wird, durch
den indefiniten Artikel als hörer-neu markiert. Das heißt, dass der Hörer die be-
treffende Art als nicht bereits im Common Ground etablierte Art zu verstehen
hat. Kategorisierende Sätze begegnen einem jedoch auch mit definiten Artikeln:
(89) a. Look kids, this is the lion. [=(13a)]
b. Nur Muhammed ist der Auserw ählte.
c. Hello Mister! – Ich bin nicht der Mister, ich bin der Melker.
Wie gesehen drückt Satz (16a) für Krifka et al. (1995) eine Stellvertreter-
Interpretation aus. Handelt es sich bei den übrigen Sätzen in (16) dann ebenfalls
um Stellvertreter-Interpretationen? Wenn ja, wie sind dann die kategorisieren-
den Sätze in (15) zu beurteilen? Bedeutet ein Objekt als Instanz einer Art zu
klassifizieren nicht fast dasselbe wie ein Objekt als Repräsentanten einer Art
vorzustellen? Was sind die Unterschiede, was die Gemeinsamkeiten?
Das Gemeinsame ist, dass sowohl in (15) als auch in (16) Objekte als Instan-
zen von Arten ausgewiesen werden. Der erste Unterschied besteht darin, dass
es offenbar nur in (15) noch andere Objekte geben kann, die ebenfalls Instanzen
der betreffenden Art sind, vergleiche:
6.5. KATEGORISIERENDE AUSSAGEN ALS STELLVERTRETER-INTERPRETATIONEN 101

(90) a. Chomsky ist ein Anarchist, meine Nachbarin auch.


b. Dieser Vogel ist ein Storch, jener auch.
c. Ich bin ein Berliner, du auch.
d. ? Dieser hier ist der Löwe, jener dort auch.
e. ? Muhammed ist der Auserwählte, Jesus auch.
f. ? Ich bin der Melker, du auch.
Allerdings kann man auch Beispiele finden, in denen die Art, auf die sich
die definite NP bezieht, zwei (oder mehr) Instanzen zulässt. Diese Möglichkeit
eröffnet sich, wenn eine Art, von der erwartet wird, dass sie nur eine Instanz hat,
sich überaschenderweise als eine Art entpuppt, die zwei (oder mehr) Instanzen
hat.
(91) a. Sherlock Holmes fand schließlich heraus, dass der G ärtner und der
Butler der Mörder sind.
b. Nicht nur Muhammed ist der Auserw ählte, auch Jesus.
c. Herbert ist der Liebhaber von Auguste, Klaus auch, Hans-Werner
auch, Theo auch und Walter auch.
Woher kommt die Erwartung, dass sich der M örder, der Auserwählte und der
Liebhaber hier auf Arten beziehen, die auf Einer-Instanzenmengen beschränkt
sind? Obwohl die Nomen Mörder, Auserwählter und Liebhaber aus lexikali-
scher Sicht keine funktionalen, d.h. auf Einer-Instanzenmengen beschränkten,
Konzepte bezeichnen, können sie ohne Schwierigkeiten als solche verwendet
werden, denn typischerweise gehört zu einem Mord ein Mörder, handeln reli-
giöse Mythen von einem Auserwählten und haben Menschen einen Liebhaber
(zur Zeit). Der Gebrauch eines solchen Nomens als funktionales Konzept läuft
unseren Erwartungen also nicht zuwider. Will der Sprecher ein Nomen als funk-
tionales Konzept verwenden, so muss er es mit dem definiten Artikel markieren
(Löbner 1985). Mit anderen Worten, an der Präsenz des definiten Artikels lässt
sich ablesen, dass der nominale Ausdruck eindeutig referiert – es kann also
nur einen Objektreferenten geben, zumindest wenn der Ausdruck objektbezo-
gen interpretiert wird. Der Clou ist nun, dass die Postkopula-NPn in (18) gar
nicht objektbezogen, sondern artbezogen interpretiert wird.
Die Eindeutigkeit der Referenz ist auch bei Artbezug gewährleistet, denn der
Ausdruck bezieht sich ja auf eine im Common Ground etablierte und somit
eindeutig identifizierbare Art. Wenn Eindeutigkeit jedoch an die Artebene ge-
bunden wird, dann muss sie nicht länger auf der Objektebene gelten. Deswegen
sind die Sätze in (18) auch keine Kontradiktionen. Ganz im Gegenteil: Dadurch,
dass das Subjekt in (18a) zwei Objekte bezeichnet, ist eine artbezogene Inter-
pretation der Singular-NP, die auf die Kopula folgt, sogar die einzige (plausible)
Interpretationsmöglichkeit.
6.5. KATEGORISIERENDE AUSSAGEN ALS STELLVERTRETER-INTERPRETATIONEN 102

Im Gegensatz dazu können die definiten NP in (17d-f) nicht nur artbezo-


gen, sondern auch objektbezogen verstanden werden. Im letzteren Fall hat man
es dann aber nicht mehr mit kategorisierenden Aussagen, sondern mit Iden-
titätsaussagen zu tun (vgl. Kapitel 8). Also mit Sätzen, mittels derer der Spre-
cher den Hörer darüber informiert, dass zwei dem Hörer vorab als verschiedene
Entitäten bekannte Objekte in Wirklichkeit ein und dasselbe Objekt sind.
Die Beispiele (17d-f) sind also ambig2 . In der Interpretation als Iden-
titätsaussage sorgt der jeweilige Nachsatz für Irritationen: wenn das Objekt Mu-
hammed mit dem Objekt identisch ist, das man der Auserwählte nennt, und
wenn das Objekt Jesus ebenfalls mit diesem sogenannten Auserwählten iden-
tisch ist, dann muss logischerweise Muhammed mit Jesus identisch sein. Ana-
log für die anderen Beispiele: wenn die definiten Postkopula-NPn objektbezo-
gen verstanden werden, müssen in (17e) dieser Löwe hier und jener Löwe dort
bzw. in (17f) der Sprecher und der Hörer identisch sein3. Das ist sehr unwahr-
scheinlich bis unmöglich und, so nehme ich an, deswegen werden die Sätze
zurückgewiesen. Wenn die definiten NPn in (17d-f) allerdings artbezogen ver-
standen werden, kann es unter Umständen auch zwei oder mehr Instanzen der
bezeichneten Art geben, so wie in (18). Diese Möglichkeit ist zwar pragmatisch
markiert, aber nicht logisch-semantisch ausgeschlossen.
Eine semantische Beschränkung auf Einer-Instanzenmengen ist es also nicht,
was die Sätze in (15) von denen in (16) unterscheidet. Der entscheidende Unter-
schied betrifft vielmehr die Bekanntheit bzw. Neuheit der denotierten Art, d.h.
ihre Anwesenheit oder Abwesenheit im Common Ground von Sprecher und
Hörer. Im Unterschied zu (15) wird in (16) die Art, als deren Instanz der Sub-
jektreferent ausgewiesen wird, als eine dem Hörer bekannte Art vorausgesetzt,
also als eine im Common Ground etablierte Kategorie präsentiert. Entsprechend
umfasst die Neuinformation, die der Hörer erhält, lediglich die Zuordnung des
bekannten Objekts zu der bekannten Art. Deshalb werden diese Sätze in sol-
chen Kontexten geäußert, in denen zuvor sowohl die Arten als auch die Objekte
im Common Ground etabliert worden sind. Der Sprecher kann dann den Hörer
über bestehende Relationen zwischen diesen Objekten und Arten informieren.
Man könnte sich z.B. ein Quiz vorstellen. Die Aufgabe des Kandidaten be-
steht darin, die Sportlernamen Muhammed Ali, Robby Nash und John McEnroe
den Sportlerkategorien ‘Tennisspieler’, ‘Windsurfer’ und ‘Boxer’ in korrekter
Weise zuzuordnen. Der Kandidat hätte gewonnen, wenn er auf folgende Lösung
kommt:
2 In Kapitel 8 argumentiere ich, dass auch (17a-c) je zwei Lesarten haben, je nachdem
ob die indefinite Postkopula-NP artbezogen oder objektbezogen interpretiert wird.
3 Dies widerspricht direkt den Identitätsbedingungen für Objekte: ein Objekt kann
nicht zur selben Zeit an zwei Orten sein, vgl. Kapitel 2.
6.5. KATEGORISIERENDE AUSSAGEN ALS STELLVERTRETER-INTERPRETATIONEN 103

(92) Muhammed Ali ist der Boxer, John McEnroe ist der Tennisspieler und
Robby Nash ist der Windsurfer.
Wenn Sätze wie in (16), mit artbezogen interpretierter definiter NP,
Stellvertreter-Lesarten aktualisieren, was spricht dann dagegen auch katego-
risierende Aussagen wie in (15) als Stellvertreter-Interpretationen anzusehen?
Der einzige Unterschied ist, dass die Objekte in (15) neue Arten repräsentieren,
während die in (16) für bekannte Arten stehen.
Ziehen wir eine Zwischenbilanz. Einerseits: Nur Arten können erfunden wer-
den, aussterben etc. Deswegen können sich Carlsonsche Artprädikate prinzipiell
nur mit Arttermen verbinden. Die systematische Ausnahme von dieser Regel be-
trifft Objektterme in Stellvertreterfunktion. Wenn Objekte als Stellvertreter für
Arten verstanden werden, können auch Objektterme in der Argumentposition
eines Prädikats wie ist ausgestorben oder ist erfunden worden erscheinen. Denn
dann referiert der Objektterm nicht nur auf ein Objekt, sondern gleichzeitig auch
auf eine Art. Andererseits: Prädikate wie ist ein Löwe oder ist der Löwe können
sich mit Arttermen verbinden. Dies führt zu Aussagen über Arten, von denen be-
hauptet wird, sie trügen die Arteigenschaften, ein Löwe zu sein bzw. der Löwe
zu sein. Diese Prädikate können sich jedoch auch mit einem Objektterm verbin-
den. Dann ergibt sich eine Aussage über ein Objekt. Von diesem Objekt wird
behauptet, es sei eine Instanz der Art ‘Löwe’. Wenn die Postkopula-NP als de-
finit markiert ist, muss die Art ‘Löwe’ als im Common Ground vorausgesetzte
Kategorie verstanden werden. Wenn die Postkopula-NP hingegen als indefinit
markiert ist, wird die Art ‘Löwe’ als neu eingeführte Kategorie präsentiert.
Möglicherweise überdehne ich den Wortsinn von “Stellvertreter” etwas,
wenn ich nun vorschlage, dass auch kategorisierende Sätze mit indefiniten
Postkopula-NPn Stellvertreter-Interpretationen ausdrücken. Wofür ich argu-
mentiere ist folgendes: Stellvertreter-Interpretationen im engeren Sinne stellen
sich ein, wenn das bezeichnete Objekt unabhängig von der Äußerung in der rea-
len Welt für Sprecher und Hörer den Status eines Symbols für eine Art innehat.
Beispiele sind z.B. Dolly als Stellvertreter für Klonschafe, Nemo als Stellvertre-
ter für Anemonenfische oder auch Bin Laden als Stellvertreter für islamistische
Terroristen.
Stellvertreter-Interpretationen im weiteren Sinne ergeben sich, wenn der
Hörer durch die Äußerung darüber informiert wird, dass das bezeichnete Ob-
jekt eine bestimmte Art repräsentiert. Hier hat man es mit kategorisierenden
Aussagen zu tun. Die Kategorie, als deren Vertreter in der realen Welt ein Ob-
jekt ausgewiesen wird4 , kann als bekannt oder neu präsentiert werden. Mit an-
4
Vergleiche in diesem Zusammenhang das Verhältnis von “specimen” und “species”
im folgenden Zitat: “In biology, specimen is an individual animal or plant or a microor-
ganism that is used as a representative to study the properties of the whole population of
6.6. KEIN ARTBEZUG OHNE OBJEKTBEZUG 104

deren Worten, Instanzen sind per se nichts anderes als die sich manifestierenden
Stellvertreter von Arten in der realen Welt.
Zusammenfassung: Solange wir unseren Blick auf Eigenschaftszuweisungen
an Arten beschränken, d.h. auf generische Prädikationen, stellen wir keinen
prinzipiellen Unterschied zwischen Carlsonschen Artprädikaten und allen an-
deren Prädikaten fest. Alle Prädikate können mit Arttermen kombiniert werden,
um der durch den Artterm denotierten Art eine Eigenschaft zuzuweisen. Au-
ßerdem können alle Prädikate mit Objekttermen kombiniert werden. Die Art-
eigenschaft wird dann der Art zugewiesen, die durch das Objekt repräsentiert
wird, auf welches der Objektterm referiert. Wie ich im folgenden Abschnitt ar-
gumentieren werde, ist im Falle kategorisierender Sätze die Art, die das Objekt
vor der Äußerung repräsentiert, unterspezifiziert. Der Zweck dieser Äußerungen
besteht ja gerade darin, eine Art zu spezifizieren (Kategorisierung).

6.6 Kein Artbezug ohne Objektbezug

Sätze wie die unter (20) werden von mir als Artprädikationen analysiert. Der
Weg für eine solche Analyse wurde dadurch frei, dass ich in Kapitel 5 (mei-
ner Meinung nach) nachweisen konnte, dass indefinite NPn sich entgegen ei-
ner weitverbreiteten Meinung sehr wohl auf die durch das Kopfnomen der NP
beim Namen genannte Art beziehen können. Demnach verbindet sich in diesen
Sätzen jeweils ein Artterm mit einem Artprädikat:
(93) a. Ein Pudel hat vier Beine.
b. Ein Pudel ist intelligent.
c. Ein Pudel ist ein Hund.
Im Ergebnis steht stets ein Satz, der geäußert werden kann, um einer Art
(dem Referenten der Subjekt-NP, der in diesem Fall den Redegegenstand dar-
stellt) eine Arteigenschaft zuzuweisen. Man beachte, dass gemäß dieser Analyse
mit diesen Sätzen nicht über Objekte gesprochen wird. Oder, anders gesagt, mit
der Analyse einher geht die Vorhersage, dass diese Sätze keine Wahrheitsbedin-
gungen an die reale Objektwelt stellen. Dies ist ein wünschenswertes Ergebnis,
denn es erklärt jene Eigentümlichkeit generischer Prädikationen, die der wahr-
heitskonditionalen Semantik so große Probleme bereitet: die Existenz von “Aus-
nahmen”, d.i. von Objektindividuen, die die bezeichnete Prädikatseigenschaft
nicht tragen (vgl. Krifka et al. 1995, Cohen 2002). Im Extremfall geht das so-
weit, dass diese Sätze selbst dann wahr sind, wenn sämtliche Objektindividuen
die durch das Prädikat bezeichnete Eigenschaft nicht tragen. So ist z.B. (20a)
that species” (Wikipedia).
6.6. KEIN ARTBEZUG OHNE OBJEKTBEZUG 105

auch dann wahr, wenn zufällig alle real existierenden Pudel (=alle Pudelobjek-
te) jeweils ein Bein verloren haben (vgl. Krifka et al. 1995:44).
In Bezug auf Sätze wie die unter (21) behaupte ich nun, dass es sich hier um
Artprädikationen handelt, obwohl der Subjektausdruck von einem Objektterm
gestellt wird:
(94) a. Fido ist ein Hund.
b. Fido hat vier Beine.
c. Fido ist intelligent.
Hier verbindet sich ein Objektterm, in diesem Fall ein Eigenname, mit ei-
nem Artprädikat. Die Funktion dieser Sätze besteht darin, den Referenten des
Objektterms als Instanz einer Art zu kategorisieren, die durch das Prädikat be-
schrieben wird. Damit stellt sich aber sofort die Frage nach der semantischen
Komposition: wie kann eine Arteigenschaft an ein Objekt zugewiesen werden?
Meine Analyse dieser Sätze läuft offenbar in einen Widerspruch. Einerseits ist
der Redegegenstand ein Objekt. Mit den Sätzen werden also Aussagen über Ob-
jekte gemacht. Andererseits erfolgt die Eigenschaftszuweisung an eine Art. Mit
den Sätzen werden also Aussagen über Arten gemacht. Wie soll das zusammen-
gehen?
Man könnte einfach von einer systematischen Mehrdeutigkeit der Kopula
ausgehen, die Instanz-von-Relation zwischen einem Objekt und einer Art als
eine der Kopulabedeutungen ansehen und dann annehmen, dass die spezifische
Kopula in (21a) eben gerade diese Bedeutung aktualisiert (vgl. die Diskussion
in Dölling 1997). Eine solche Analyse kann jedoch Sätze wie (21b) nicht er-
fassen5. Abgesehen davon möchte ich an der Idee festhalten, dass das Prädikat
ist ein Hund – also inklusive der Kopula – ein Artprädikat ist. Denn nur dann
kann es eine einheitliche Semantik für die formal identischen Prädikate in (20c)
und (21a) geben, was aus theoretischer Sicht zweifellos wünschenswert ist. Ich
muss also einen anderen Weg einschlagen und bin zu der scheinbar zweifelhaf-
ten Annahme gezwungen, dass der Eigenname sich in geheimnisvoller Weise
auf eine Art bezieht, der das (Art-)Prädikat dann seine Eigenschaft zuweisen
kann.
Ich löse das beschriebene Problem der semantischen Komposition von Ob-
jekttermen mit Artprädikaten dadurch, dass ich in Rechnung stelle, dass jede
Referenz auf ein Objekt automatisch mit der Referenz auf eine (oftmals) un-
terspezifizierte Art einhergeht. Wenn der Sprecher einen Objektterm benutzt,
um die Aufmerksamkeit des Hörers auf ein bestimmtes Objekt zu lenken, und
wenn dieser Referenzakt gelingt, dann müssen Sprecher und Hörer das bezeich-
nete Objekt in irgendeiner Weise kategorisiert haben. Man kann sich nicht auf
5 Ebensowenig generische Sätze wie Fido bellt, die ich, um es vorwegzunehmen, auch
als Artprädikationen analysieren werde (vgl. Abschnitt 6).
6.6. KEIN ARTBEZUG OHNE OBJEKTBEZUG 106

ein Objekt beziehen ohne eine bestimmte Perspektive auf dieses Objekt einzu-
nehmen, d.h. ohne es zu kategorisieren (Tomasello 1999:118). D ölling (1992)
formuliert das so:
Arten [scheinen] in konzeptueller und damit in ontologischer Hinsicht
das Primat gegenüber ihren Realisierungen zu haben. Denn offensicht-
lich setzt die kognitive Identifizierung eines gewöhnlichen Objekts
stets einen Rückgriff auf die betreffende Art voraus, während eine
Aussage über letztere möglich ist, ohne daß man sich dabei zugleich
auf Instanzen der Exemplare dieser Art bezieht. (Dölling 1992:31; ei-
gene Hervorhebung)
Folglich ist der Bezug eines Eigennamens auf eine Art in keinster Weise
geheimnisvoll, sondern vielmehr eine Selbstverständlichkeit (“offensichtlich”),
die direkt aus den (nichtlinguistischen) Hintergrundannahmen folgt, die meiner
Analyse zugrundliegen (vgl. Kapitel 2) und jeder Analyse zugrundeliegen soll-
ten. Ich fasse die in dieser Arbeit vorausgesetzten Hintergrundannahmen hier
noch einmal in aller Kürze zusammen:
Der Mensch ist ein (mobiles) Objektindividuum in einer Welt voller ande-
rer Objekte. Um erfolgreich durch diese Objektwelt zu navigieren, muss der
Mensch u.a. die Fähigkeit besitzen, Objekte zu erkennen. Ein Objekt zu er-
kennen bedeutet trivialerweise, dass der Mensch eine Erscheinung als Objekt
erkennt. Und dies bedeutet nichts anderes als eine Erscheinung als Objekt zu
kategorisieren, was wiederum die Verfügbarkeit einer entsprechenden Katego-
rie, des Objektkonzepts, voraussetzt. Das heißt, jedes erkannte Objekt – ob man
ihm einen Namen gibt oder nicht – muss notwendigerweise die Instanz eines
sortalen Konzepts (=einer Art) sein, und sei es der allgemeinsten Art ‘Objekt’.
Die Art ‘Objekt’ ist die Oberart eines enormen konzeptuellen Systems von Ar-
ten (der Artdomäne), die der Mensch im Laufe seines Lebens als konzeptuelles
Wissen akkumuliert, um die Objektwelt, in der er real existiert, zu sortieren.
Sprachlich, so stellt sich heraus, kann der Mensch sich entweder auf die kon-
kreten Objekte der realen Welt (inklusive sich selbst) beziehen oder aber auf die
abstrakten Konzepte (Arten), mittels derer er die Objektwelt sortiert.
Akzeptiert man dieses Bild als Tatsache, so verpflichtet man sich zu einer be-
stimmten Annahme: Weil das Wissen um eine Art Voraussetzung für das Wissen
um ein Objekt ist, muss sprachlicher Objektbezug immer automatisch mit Art-
bezug einhergehen. Diesen Umstand diskutiere ich unter dem Namen “duale
Referenz”. Ich vertrete damit eine sog. sortalistische Position (vgl. Blok, New-
man & Rips 2005).
Vor dem Hintergrund der dualen Referenz von Objekttermen löst sich der
Widerspruch auf, mit dem meine Analyse der Sätze (21) scheinbar konfrontiert
ist. Die Subjekt-NPn dieser Sätze sind objektreferierende Ausdrücke. Sie bezie-
6.6. KEIN ARTBEZUG OHNE OBJEKTBEZUG 107

hen sich jeweils auf ein reales Objekt, in diesem Fall stets auf dasselbe, nämlich
Fido. Aber, weil gemäß dem Prinzip der dualen Referenz jeder Objektbezug
mit Artbezug einhergehen muss, beziehen sich diese Subjekt-NPn gleichzeitig
jeweils auch auf eine Art, nämlich auf diejenige Art, als die das bezeichnete
Objekt in der jeweiligen Äußerungssituation kategorisiert (perspektiviert) wird.
Dies ist im allgemeinstmöglichen Fall die Art ‘Objekt’, Welt- und/oder Kontext-
wissen kann diese “zugrundeliegende Art” (Macnamara et al. 1994) jedoch spe-
zifischer machen (in Bezug auf Fido z.B. ‘Hund’ oder ‘Nachbarshund’). Diese
doppelte Referenz – zum einen auf das Objekt, zum anderen auf die zugrun-
deliegende Art – bringt es nun mit sich, dass in (21a) zwar ein Objekt, Fido,
zum Redegegenstand gemacht wird, sich die Prädikation aber nichtsdestotrotz
auf eine Art beziehen kann.
Die berechtigte Frage ist nun: welche Art genau liegt dem Objektreferenten
des Eigennamens in (21a) zugrunde? Nähern wir uns der Beantwortung dieser
Frage dadurch, dass wir uns nochmals vor Augen f ühren, was der Satz zum Aus-
druck bringt, nämlich dass Fido eine Objektinstanz der Art ‘Hund’ ist. Was die
Artprädikation in (21a) leistet, so lautet mein Vorschlag, ist eine Spezifikation
der dem Objekt Fido zugrundeliegenden Art X auf die Art ‘Hund’. Mit ande-
ren Worten, der pragmatische Sinn einer solchen Äußerung besteht darin, die
Art, als deren Instanz ein Objekt (hier: Fido) dem Hörer bekannt ist, näher zu
spezifizieren, wobei “näher spezifizieren” die Ersetzung der Art X durch eine
Unterart von X bedeutet. Deswegen ist eine Äußerung von (21a) auch nur dann
informativ, wenn dem Hörer Fido bis zum Äußerungszeitpunkt lediglich als In-
dividuum, Tier oder Haustier (o.ä.) bekannt ist, nicht jedoch bereits als Hund
(und erst recht nicht, spezifischer, als Pudel oder Zwergpudel).
Es ist ohne weiteres möglich, den Analysevorschlag, den ich soeben f ür
ein nominales Prädikat wie ist ein Hund unterbreitet habe, auf adjektivische
Prädikate wie ist intelligent oder komplexe Prädikate wie hat vier Beine zu
übertragen. Das Prädikat ist ein Hund in (21a) wurde als Artprädikat betrachtet,
welches die dem Objektreferenten des Eigennamens Fido zugrundeliegende Art
für den Hörer spezifischer macht. Gehen wir von ‘Tier’ als die zugrundeliegen-
de Art aus, so ergibt sich für den Informationsstand des Hörers: aus “Fido als
Tier” wird durch die mit (21a) gelieferte Neuinformation “Fido als Hund”. Das-
selbe lässt sich nun für die Prädikate in (21b) und (21c) sagen. Auch hier wird
die zugrundeliegende Art durch die jeweilige Prädikation näher spezifiziert: aus
“Fido als Tier” wird “Fido als intelligentes Tier” bzw. “Fido als Tier, das vier
Beine hat”. Das heißt, auch mit adjektivischen oder komplexen Prädikaten zielt
der Sprecher in diesen Fällen darauf ab, innerhalb des konzeptuellen Wissens
des Hörers die Ersetzung der einem bekannten Objekt zugrundeliegenden Art
X durch eine Unterart von X zu bewirken – schließlich sind ‘intelligentes Tier’
und ‘Tier, das vier Beine hat’ Unterarten der Art ‘Tier’.
6.7. CARLSONSCHE STADIENPRÄDIKATE 108

Zusammenfassung: Artprädikate können sich selbstverständlich mit Artter-


men verbinden. Daneben können sie sich aber grundsätzlich auch mit Objekt-
termen verbinden. Dies liegt in der Natur von Arten als sortalen Konzepten be-
gründet: Weil es keine Objektindividuierung ohne Kategorisierung geben kann,
liegt jedem Objekt, auf das ich sprachlich referiere, eine Art zugrunde, als deren
Instanz ich das Objekt in der gegebenen Äußerungssituation betrachte (dua-
le Referenz). Erscheint ein Objektterm im Argumentslot eines Artprädikats,
so wird die Eigenschaft des Artprädikats dieser zugrundeliegenden Art zuge-
wiesen. Im Falle kategorisierender Aussagen wird die dem Objekt zugrundelie-
gende unterspezifizierte Art mit der durch die Postkopula-NP bezeichneten Art
identifiziert.

6.7 Carlsonsche Stadienprädikate

Eine Gruppe von Prädikaten blieb bisher unberücksichtigt. Es handelt sich um


jene Prädikate, die im Gegensatz zu allen anderen bisher diskutierten Prädikaten
(i.d.R.) dynamische Sachverhalte beschreiben. Für Carlson (1977) unterschei-
den sich diese Prädikate von den übrigen dahingehend, dass sie im Lexikon als
Eigenschaftszuweisungen an raumzeitliche Entitäten registriert sind. Da in Carl-
son’s Ontologie die Rolle raumzeitlicher Entitäten von Stadien übernommen
wird (die den nicht-raumzeitlichen Individuen, d.h. Objekten und Arten, ge-
genüberstehen), nennt er die betreffenden Prädikate “Stadienprädikate”. Stadi-
enprädikate weisen ihre Eigenschaft nicht einem Individuum zu, sondern einem
Stadium eines Individuums. Allerdings, um korrekt zu sein, auch viele nicht
dynamische Prädikate werden von Carlson als Stadienprädikate angesehen.
Auf der Grundlage der Unterscheidung zwischen raumzeitlichen und
nicht-raumzeitlichen Entitäten erklärt Carlson dann generische Prädikationen
als Eigenschaftszuweisungen an nicht-raumzeitliche Entitäten (Individuen-
prädikationen) und episodische Prädikationen als Eigenschaftszuweisungen an
raum