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APuZ

Aus Politik und Zeitgeschichte


39/2008 ´ 22. September 2008

Neue Medien ± Internet ± Kommunikation

Christian Stegbauer
Raumzeitliche Struktur im Internet

Andreas Hepp
Globalisierung der Medien und transkulturelle Kommunikation

Miriam Meckel
Wie Web 2.0 unsere Kommunikation veråndert

Rainer Winter
Perspektiven eines alternativen Internet

Kathrin Kissau
Internetnutzung von Migranten ± ein Weg zur Integration?

Uwe Buermann
Kinder und Jugendliche zwischen Virtualitåt und Realitåt

Nicola Dæring
Psychische Folgen der Internetnutzung

Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament


Editorial
1,3 Milliarden Menschen ± ein Fçnftel der Weltbevælkerung ±
nutzen das World Wide Web; allein Deutschland werden mehr
als 42 Millionen Internetnutzer und -nutzerinnen gezåhlt. Das
Internet, das es als Massenmedium erst seit 15 Jahren gibt, und
andere ¹neueª Medien erleichtern und befærdern die weltweite
Ausdehnung von Kommunikationsbeziehungen: die transkultu-
relle Kommunikation. Wissenschaftler sprechen von einer ¹Glo-
balisierung der Medienkommunikationª. Diese erfolgt im Ver-
bund mit traditionellen Medien; es handelt sich dabei weniger
um ¹Weltkommunikationª als um Kommunikation in regionalen
Groûråumen, etwa im ¹Kommunikationsraum Europaª.

Das Internet, internetbasierte Medien, neue Fernsehformate,


die Mobiltelefonie und vernetzte Computerarbeitsplåtze haben
zu einer weitreichenden Informatisierung der Arbeitswelt und
des Alltags gefçhrt: mit positiven wie negativen Auswirkungen.
Insbesondere Kinder und Heranwachsende laufen Gefahr, sich
in der virtuellen (Erwachsenen-)Welt des Netzes zu verlieren.
Kritischen Nutzerinnen und Nutzern bietet das Internet
(¹Web 2.0ª) hingegen enorm viele Informationen und Chancen ±
auch die der politischen Einmischung und Teilhabe.

Tatsåchlich kann sich jeder ± unabhångig von Hierarchien, na-


tionalen Begrenzungen oder institutionellen Anbindungen ± an
globalen Kommunikationsprozessen beteiligen: vorausgesetzt er
hat Zugang zum Internet. Diese Einschrånkung trçbt die Hoff-
nung, das Internet werde die Demokratisierung im Sinne einer
transnationalen Úffentlichkeit rasch vorantreiben. Beteiligungs-
oder Sprachbarrieren versperren nach wie vor einem groûen Teil
der (Welt-)Bevælkerung den Zutritt zur ¹Netzwerkgesellschaftª.

Katharina Belwe
Christian Stegbauer Neuseeland besuchen sollte. Wir fanden die
Listen mit den Lehrerinnen und Lehrern und

Raumzeitliche deren Fotos. Wir haben uns die Schule im Sa-


tellitenbild angesehen und auch das Haus der

Struktur
Gasteltern. Aus dem Weltall konnten wir den
Schulweg unseres Sohnes betrachten und den
Badestrand, an dem er sich verletzte. Man

im Internet
kann schon sagen, dass durch das Internet die
Informationsdichte und die Verbreitungsmæg-
lichkeiten auf eine neue Stufe gestellt werden.
Es hat tatsåchlich den Anschein, als wåren alle
Informationen zu jeder Zeit und von jedem
Ort aus zugånglich.
Wie der Raum medial çberwunden wird, Dass europåische oder amerikanische Un-
das konnten wir kçrzlich erfahren, als unser ternehmen in Indien Belege erfassen lassen
Sohn fçr ein halbes Jahr in Neuseeland zur oder dorthin ihre Softwareproduktion ausge-
Schule ging. Sonntags frçhstçckten wir lagert haben, ist mittlerweile weithin bekannt.
immer zusammen: Wir stellten das Notebook Es ist aber auch mæglich, mit Hilfe von per-
auf den Frçhstçckstisch und damit war die sænlichen Online-Assistenten tågliche Besor-
Familie wieder komplett. Woche fçr Woche gungen von Indien aus erledigen zu lassen. 1
konnten wir çber Der Assistent sitzt in einem Bçro in Bangalo-
Christian Stegbauer Skype und eine Web- re und erledigt Dinge, zu denen gestresste
Dr. phil., geb. 1960; Privatdo- cam beobachten, wie Menschen in den USA oder Europa nicht
zent an der Universität Frankfurt die Haare des Sohnes kommen. Von Indien aus organisieren diese
am Main, Institut für Gesell- långer wurden. Wir neuen outgesourcten Mitarbeiter Partys in
schafts- und Politikanalyse, bekamen die Knie- New York, verschicken Blumen an die Gat-
Robert-Mayer-Str. 5, wunde nach einem tin, besorgen Schuhe, die sie im Internet be-
60054 Frankfurt am Main. Sturz gezeigt und stellen, oder lesen den Kindern Gute-Nacht
stegbauer@soz.uni-frankfurt.de haben uns auf diese Geschichten vor.
Weise so intensiv mit
unserem 17-jåhrigen Jungen unterhalten, wie Dieser kleine Ausschnitt an Mæglichkeiten
lange nicht, als er noch zu Hause war. macht deutlich, dass es sich nicht nur um
Phantasien handelt; es wird aber auch plas-
Wir meinten es zu erleben, wir konnten tisch, dass ein anderer Prozess damit verwo-
Raum und Zeit fçr den Moment vergessen, ben ist: die Globalisierung. Dieser Prozess
aber waren sie wirklich nicht mehr da? Wåh- låuft sicherlich bereits seit dem Zeitalter vor
rend wir in den Tag starteten, war es in Neu- dem Internet. Eigentlich ist er wegen seiner
seeland durch die Zeitverschiebung bereits weltweit verteilten Produktion das Projekt
spåter Abend. Das einzige Zeitfenster in der der Moderne.
Woche, an dem wir auf diese Weise mit unse-
rem Sohn zusammen sein konnten, war der In den vergangenen zwei Dekaden hat sich
Sonntagmorgen. Insofern blieben wir zumin- dieser Prozess beschleunigt. Ein Indikator
dest von der Zeit abhångig. dafçr sind die ¹verlångerten Werkbånkeª in
Låndern mit niedrigerem Lohnniveau. Man
Das Verschwinden von Raum und Zeit kann sich des Eindrucks nicht erwehren, als
habe das Internet dem bereits laufenden
Phantasien darçber, dass mit der Zugånglich- Trend einen wesentlichen Schub verliehen.
keit von Daten und durch interpersonale Zu einfach wåre es, diesen auf die Technolo-
Kommunikation çber das Internet Raum und gie zurçckzufçhren. Mindestens ebenso
Zeit verschwinden wçrden, gab oder gibt es wichtig oder wichtiger ist der politische Um-
zuhauf. Das verwundert auch gar nicht, denn bruch, der in der Zeit stattgefunden hat, wo-
technisch scheint dies ja auch beinahe mæglich durch diese Regionen erst voll in das Welt-
zu sein. Wir kænnen Informationen vom Ende wirtschaftssystem integriert wurden.
der Welt abrufen. So lasen wir die Evaluati-
onsberichte çber die Schule, die unser Sohn in 1 Vgl. www.getfriday.com (24. 6. 2008).

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Durch das Internet wird aber nicht nur der tatsåchlich keine Rolle mehr spielen. In diesem Zusam-
wirtschaftlichen Entwicklung, der Erleichte- menhang kænnen wir uns fragen, was am Raum und
rung von Warenstræmen, der Dienstleistun- der damit verbundenen zeitlichen Relationen so be-
gen und einer Vermehrung der familiåren deutsam ist. Wir leben an einem Ort, arbeiten dort,
Kontakte auch ins Ausland Vorschub geleis- haben unsere sozialen Beziehungen, erledigen hier un-
tet. Es heiût, dass auch der Kontakt zwischen sere Einkåufe und treffen uns mit Freunden. Dieser
einander fremden Menschen unterschiedli- Raum ist physisch vorhanden, wir erleben ihn, wenn
cher Lånder und Kulturen auf ein neues Ni- wir unsere Besorgungen machen, wenn wir ihn çber-
veau gehoben werde. Virtuelle Gemeinschaf- winden, um zur Arbeit zu gelangen. Georg Simmel
ten çberlagerten geographische und politische sprach vom ¹einzigen allgemeinen Raum, von dem alle
Grenzziehungen, argumentiert einer der pu- einzelnen Råume nur Stçcke sindª. 5 Dieser aus-
blizistischen Vorreiter. 2 Auf diese Weise seien schlieûliche Raum ist politisch, also sozial strukturiert:
politische Aktionen unabhångig vom Ort Er ist in Stçcke aufgeteilt, die als Einheiten gelten und
mæglich. Tatsåchlich wird immer wieder auf von Grenzen umrahmt werden. Råumliche Grenzen
die Bedeutung des Internet zur Organisation sind zu dieser Zeit zu weiten Teilen auch soziale Gren-
von politischer Einmischung hingewiesen. zen.

Auch in der Soziologie finden sich zahlrei- Diese Unterscheidung zwischen Raum und Sozialitåt
che Autoren, die dieser Rhetorik folgen. So nimmt Leopold von Wiese explizit in seinen Hauptka-
schreibt Rudolf Stichweh von der ¹Ortsunab- tegorien der Soziologie (neben sozialem Prozess und
hångigkeit von Adressenª. 3 Die Situation sei Abstand) auf. 6 Er nennt dies den sozialen Raum (oder
durch Gleichzeitigkeit und Globalitåt ge- ± im gleichen Sinne ± die soziale Sphåre). Dort spielen
prågt. Die Bewegung, das Surfen im Internet sich die sozialen Prozesse ab, die fçr die Konstitution
sei vom Ort, an dem die Daten aufbewahrt von Beziehungen und im Sinne des Autors der Ab-
werden, vollkommen unabhångig. Das Glei- standsverhåltnisse entscheidend sind. Von Wiese
ten im technischen Netzwerk folge eher As- schreibt, der soziale Raum sei vom ¹physischen
soziationen und angebotenen Links, als dass Raume zu unterscheidenª. Zwar sei auch der physische
es etwas mit Geographie zu tun habe. Die In- Raum fçr das gesellschaftliche Leben von Bedeutung,
formation aus Asien, Amerika oder Europa aber dies sei kein Gegenstand der soziologischen For-
lågen alle auf derselben Ebene, es gebe keine schung. Die sozialen Prozesse spielen sich demnach im
physische Verortung bzw. diese sei vællig un- sozialen Raum ab, explizit nennt von Wiese ¹Verbin-
erheblich, heiût es. 4 Stimmt diese Einschåt- dungen, Trennungen, Bindungen, Læsungen, Brechun-
zung tatsåchlich çber die Beobachtung des gen, Verteilungen, Gesellungenª. 7 Diese seien in so-
technischen Ablaufs hinaus? Dieser Frage zialråumlicher Hinsicht von Bedeutung, wobei der So-
soll im Verlauf des Textes nachgegangen wer- zialraum, so seine Idee, durch die Entfernungen
den. Zunåchst folgen aber ein paar Betrach- zwischen den Personen, beispielsweise nahestehenden
tungen zur Bedeutung von Raum und Zeit und entfernten Bekannten in åhnlicher Weise wie der
fçr die Erstellung von sozialen Beziehungen. physische Raum konstituiert wçrde. Allerdings sei das
¹Metermaûª dabei nicht anwendbar.

Was bedeuten Raum und Zeit?


Fassen wir, was von Wiese als Sozialraum ansieht,
Diese Ûberlegungen legen die Vermutung weit, dann zåhlen die im Internet verfçgbaren Infor-
nahe, dass Raum und Zeit im Internetzeitalter mationen dazu, ebenso die Anwendungen, die explizit
dazu konstruiert wurden, um einen Austausch, mithin
2 Vgl. Howard Rheingold, Virtuelle Gemeinschaft. Beziehungen darin entstehen zu lassen. Man kann in
Soziale Beziehungen im Zeitalter des Computers einem gewissen Sinne auch schematisierte bzw. auto-
(amerik.1993), Bonn u. a. 1994. matisierte Verbindungen dazu rechnen: Um diese han-
3 Vgl. Rudolf Stichweh, Adresse und Lokalisierung in
delt es sich, wenn beispielsweise Bestellungen abgear-
einem globalen Kommunikationssystem, in: ders.
(Hrsg.), Die Weltgesellschaft. Soziologische Analysen,
Frankfurt/M. 2000, S. 220 ± 244. 5 Georg Simmel, Soziologie. Untersuchungen çber die Formen
4 Vgl. Daniela Ahrens, Internet, Nicht-Orte und die der Vergesellschaftung. Gesamtausgabe Band 11, Frankfurt/M.
Mikrophysik des Ortes, in: Alexandra Budke/Detlef 1992 (zuerst 1908), S. 690.
Kanwischer/Andreas Pott (Hrsg.), Internetgeogra- 6 Leopold von Wiese, System der Allgemeinen Soziologie als

phien. Beobachtungen zum Verhåltnis von Internet, Lehre von den sozialen Gebilden der Menschen (Beziehungs-
Raum und Gesellschaft, Stuttgart 2004, S. 163 ± 177, lehre), Berlin 19684, (Original von 1924), S. 110.
hier: S. 163. 7 Ebd., S. 111.

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beitet werden oder Bankgeschåfte getåtigt werden. In- Grillen erlaubt ist, wird man am Wochenende
formationen werden fçr Adressaten nach auûen und fast nur tçrkische Familien finden; in der
innen ins Internet gestellt. Versand und Handel sind Mitte des Pferderennplatzes wurde ein
auf rechtliche Rahmenbedingungen angewiesen, deren Ûbungsgelånde fçr Golfer eingerichtet. Man
Entstehung und Durchsetzung als soziale Prozesse be- kann sich vorstellen, dass es nur wenige
griffen werden kænnen. Auch sie kommen nicht ohne Schnittflåchen zwischen den beiden Bevælke-
Menschen aus, welche die Bestellungen bearbeiten und rungsgruppen gibt, die beide ihre Freizeit an
an den Pforten und Haustçren abliefern. Freilich ge- der frischen Luft verbringen. Da Begegnun-
schieht das In-Kontakt-Treten in einigen der geschil- gen zwischen den geschilderten Gruppen
derten Fålle auf einer solchen Vermittlungsstufe, dass kaum stattfinden, kommt es nur sehr selten
man nur mit Mçhe von ¹sozialen Beziehungenª spre- zu Freundschaften, werden keine Ehen unter-
chen kann. Gleichwohl unterliegen diesen auch soziale einander geschlossen. Man lebt nebeneinan-
Prozesse, nåmlich bei der Herstellung der Infrastruk- der her, durchquert zwar denselben physi-
tur fçr solchen Handel oder solche Produktionspro- schen Raum, kommt aber nicht in Kontakt,
zesse. In anderen Fållen tritt klarer zutage, dass soziale da man es nicht zur selben Zeit tut.
Beziehungen aufgebaut werden.
Die geschilderten Beispiele zeigen, dass
Das Internet låsst sich also als sozialer Raum verste- sich eine Struktur von auûen aufdrångt. Es
hen, in dem auf ganz unterschiedlichen Ebenen soziale gibt aber auch eine ¹innere Strukturª, die
Prozesse ablaufen. Aber bleiben wir noch ein wenig ebenfalls im Zusammenhang mit Zeit und
bei der Bedeutung des Raumes. Ort steht. Raumzeitliche Verortungen spielen
eine Rolle als Strukturierungselemente auch
Der britische Soziologe Anthony Giddens hat eine in einer lebensgeschichtlichen Dimension
Strukturierungstheorie vorgelegt. 8 Darin wird der Zeit eines jeden Einzelnen. Der Discobesuch bei-
und dem Raum eine besondere Bedeutung zugeschrie- spielsweise ist weitgehend auf die Phase der
ben. Insbesondere geht es um die Kopråsenz als Vor- Partnerfindung begrenzt. Øltere sind auf ¹Û-
aussetzung fçr die Herausbildung sozialer Beziehun- Partysª angewiesen, die den Tanztee der Ver-
gen. Die gleichzeitige Anwesenheit an einem Ort ist gangenheit weitgehend abgelæst haben. Die
nicht zufållig und genau darum kann man sie als Mæg- ¹Seniorenwohnanlageª mag fçr die gebrech-
lichkeitsrahmen fçr die Herausbildung von Bezie- lich Werdenden eine Wohnalternative sein;
hungsstrukturen ansehen. junge Menschen hingegen wird man dort nur
als Pfleger oder Besucher finden.

Das begegnet uns çberall in der Gesellschaft: Arbei- Bis hierhin wurde die Kopråsenz, also die
tende in der Produktion beginnen ihren Arbeitstag Mæglichkeit zu gleicher Zeit am gleichen Ort
meist recht frçh oder arbeiten sogar in Schichten. Die zu sein, als begrenzendes Strukturierungs-
Bankangestellten dagegen betreten erst viel spåter das merkmal, Beziehungen einzugehen, einge-
Bçro. Diese Kategorie von Beschåftigten ist allerdings fçhrt. Der physische Raum ist von Bedeu-
immer noch im Bçro, wenn sich die Arbeiter bereits tung, weil an ihn die ¹Begegnungsorteª ge-
auf dem Nachhauseweg befinden, und manche Studie- knçpft sind. Dabei wurde aber auch deutlich,
rende sind zu Veranstaltungsbeginn um 10 Uhr noch dass der physische Raum durch die zeitliche
nicht ausgeschlafen. Alle drei der hier genannten Strukturierung bereits gebrochen wird und
Gruppen haben nur wenige Mæglichkeiten im norma- kaum als eine fçr alle Bevælkerungsschichten
len Tagesablauf miteinander in Kontakt zu kommen. gleichermaûen zugångliche Einheit angesehen
Die æffentlichen Verkehrsmittel transportieren an werden kann.
einem Morgen zwischen Betriebsbeginn und Mittag je
nach Uhrzeit ganz unterschiedliche Berufsgruppen Der physische Raum geråt, wenn wir ge-
und Bevælkerungsschichten. Die Strukturierung der danklich bei der Notwendigkeit von Koprå-
Gesellschaft nach der Zeit setzt sich aber auch in der senz bleiben, durch die Verkehrsmittel noch
Freizeit fort: Die Aktivitåten unterscheiden sich nach weiter durcheinander. Kann man sagen, dass
Bevælkerungsgruppen gewaltig. In einem etwas auûer- sich die Entfernungen beim Durchschreiten
halb von Frankfurt am Main liegenden Park, in dem eines Raumes zu Fuû (abgesehen von natçrli-
chen Hindernissen) in einer einigermaûen
8 Vgl. Anthony Giddens, Die Konsequenzen der Moderne, gleichen Zeit abbilden lassen, wird dies durch
Frankfurt/M. 1995. (zuerst: The Consequences of Modernity, die moderne Verkehrsinfrastruktur neu ge-
Cambridge 1990). ordnet: Autobahnen lassen Regionen ¹nåher

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zusammenrçckenª, Schnellbahntrassen er- An welchen Stellen wird der Raum bedeut-
mæglichen es, tåglich zwischen Orten zu pen- sam? Geographen entwickeln Karten des In-
deln, die in frçheren Zeiten mehrere Tagesrei- ternets, in denen Routerverbindungen aufge-
sen auseinander lagen. Die Verschiebungen zeigt werden. Solche Karten (s. Abbildung)
der ¹Geographieª durch die Schnelligkeit der kænnen als Indikatoren fçr die Beteiligungs-
Verbindung zeigen sich im Verhåltnis der mæglichkeiten angesehen werden. Sie sind
Fernverbindung zum Nahbereich. Plastisch keineswegs unabhångig vom Raum, was auf
gemacht bedeutet das, dass fçr die 23 Kilome- den ersten Blick erkennbar ist. Die Erste,
ter zwischen den Stadtteilen von Frankfurt- Zweite und Dritte Welt werden deutlich
Fechenheim und Frankfurt-Zeilsheim eine sichtbar und mit ihnen die Partizipations-
Stunde und zwanzig Minuten im stådtischen chancen der Bevælkerung. Diese sind nicht
Nahverkehr einzukalkulieren sind. Von unabhångig vom Raum und den damit zu-
Kæln-Deutz zum Frankfurter Hauptbahnhof sammenhångenden sozialen, politischen und
benætigt man zwanzig Minuten weniger. Eine wirtschaftlichen Verhåltnissen. Sie sind sogar
Betrachtung der Wegezeit zeigt, dass die Re- sehr abhångig davon. Die Dritte Welt ist nach
lation der Stådte Kæln und Frankfurt am wie vor abgehångt; die Beteiligungsmæglich-
Main vergleichbar ist mit den Verbindungen keiten sind einer kleinen Elite vorbehalten.
zwischen den beiden genannten Stadtteilen. Nur wenige haben Zugang zur Technik, und
Mit der Art des Verkehrsweges åndern sich kaum jemand besitzt einen Computer mit In-
auch die Bedingungen der Mæglichkeit, mit- ternetanschluss. 9 Ferner stellen Sprach- und
einander in Kontakt zu kommen. Bildungsdefizite in den Låndern eine Beteili-
gungsbarriere dar.
Wozu diese Ûberlegungen zu Raum und
Zeit? Nun, wir sehen, dass es durch den Ein- Die Elite der Drittweltlånder mit Zugang
satz moderner Verkehrsmittel zu Raumver- zum Internet hat dagegen håufig Kontakte in
schiebungen kommt; damit zeigt sich, dass die Erstweltlånder, sei es, dass Familienange-
der physische Raum durch Verkehrstechnolo- hærige dort studieren oder arbeiten, sie selbst
gien gebrochen wird und dass sich dies auf fçr auslåndische Unternehmen arbeiten oder
den Sozialraum auswirkt. Der soziale Raum çber Handelskontakte verfçgen. Was aber,
wird in sehr viele kleine, sich çberlagernde wenn die Sprach- und Bildungsdefizite çber-
Cluster zerlegt, die nur an manchen Stellen wunden wåren? Das wçrde noch nicht viel
miteinander in Verbindung stehen. Nehmen bringen, denn es kommt noch schlimmer:
wir dieses Bild mit in den nåchsten Abschnitt. Diejenigen, die ins Internet kænnen, haben
Dort geht es um die Repråsentation der den Nachteil, dass dortige Angebote kaum an
Raumzeit im Internet. ihre Bedçrfnisse angepasst sind.

Warum? Weil das WeltWeiteWeb einen


Raum und Zeit im Internet Groûteil seines Nutzens in Verbindung mit
und auûerhalb dem sozial definierten Raum auûerhalb und
der dort vorhandenen Infrastruktur entfaltet.
Im Internet stellen Zeit und Raum praktisch Warum sollte man das Kino-Programm nach-
keine Barrieren dar. Orte, die schwerer er- schauen, wenn es kein Kino gibt? Auch
reichbar wåren, wie periphere Stadtviertel, Onlinebankgeschåfte sind ohne Bankkonto
oder gut erreichbar, wie die Zentren der Groû- sinnlos. Navigationsdienste im Internet brin-
stådte, liegen technisch auf einer Ebene. Ohne gen nichts, wenn man kein Auto besitzt und
die Betrachtung von sozialen Beziehungsre- die Informationen çber das Hotelangebot sind
geln kænnte man annehmen, dass diese Unter- unbrauchbar, wenn man nicht verreist oder es
scheidung keinerlei Bedeutung mehr besitzt. keine Hotels gibt, die çber eine Repråsentanz
Das Internet stellt sich zwar stellenweise als im Internet verfçgen.
eine eigene Welt dar, in der es mæglich ist, sich
zu verlieren, sei es als Spieler oder Teilnehmer
in einer Netzwerkcommunity. Man ist aber
trotzdem nicht vællig losgelæst vom ¹norma- 9 Vgl. Uwe Afemann, Die Dritte Welt und das Inter-
lenª Leben. Gerade die Verbindung mit den net (Beitrag fçr e.velop) 2004. http://www.home.uni-
Strukturen auûerhalb des Internet machen die osnabrueck.de/uafemann/Internet_Und_Dritte_Welt/
meisten Anwendungen so wertvoll. Bundespresseamt.pdf (25. 6. 2008)

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Abbildung: Internetgeographie: Routerverbindun- Anwendungen, die sich stårker an diese sozialstruktu-
gen in der Welt relle Gruppe richten, beispielsweise im Gesundheitsbe-
reich. Dort sind es aber auch eher die Gebildeten, wel-
che die Mæglichkeiten nutzen kænnen. Sprachbarrieren
sind ebenfalls vorhanden, da der Groûteil des Internet
auf dem Englischen beruht. Die Zugånglichkeit des In-
ternet als Raum ist also keineswegs gleichmåûig çber
die Bevælkerung verteilt, und Ausschlçsse entstehen an
åhnlichen Grenzen wie im Raum auûerhalb des techni-
schen Netzes auch. Das bedeutet, dass diese sich an-
hand der bekannten sozialstrukturellen Kategorien re-
konstruieren lassen. Nicht alle Råume kænnen von der
Bevælkerung gleichermaûen genutzt werden, und so
Quelle: Die Daten stammen von 2007: verhålt es sich auch mit dem Internet.
www.chrisharrison.net/projects/InternetMap/medium/
worldWhite.jpg (11. 7. 2008). Betrachten wir interpersonale Kontakte im Internet,
so zeigt sich, dass ein Groûteil der Kommunikation
Allerdings ist es keineswegs so, dass in den Låndern, die den vorgångig konstituierten Anschlçssen folgt bzw.
eine Vielzahl von Verbindungen aufweisen, die Beteili- diese den Anlass dazu liefern, bestimmte Anwendun-
gung gleichverteilt wåre. Und so, wie der geographische gen zu installieren und zu benutzen. Dies gilt fçr die
Raum in soziale Cluster zerfållt, fehlen auch hier we- Messaging-Dienste (Skype, MSN oder ICQ) ebenso
sentliche Teile, deren Vorhandensein das Internet noch wie fçr E-Mail und die Netzwerkcommunities. Diese
wertvoller machen wçrde. Zu einem solchen sozialen werden in der Regel in soziale Beziehungen inte-
Cluster zu gehæren, das çber wenige Zugånge verfçgt, griert. 13 Es sind Vereinbarungen notwendig, bei denen
etwa das der ålteren Frauen, ist in der Ersten Welt ausgehandelt oder mitgeteilt wird, welcher Dienst bei
schlimmer als in der Dritten Welt, denn der Nutzen in wem installiert ist, welche Erfahrungen damit gemacht
der Ersten Welt ist weit græûer. Da bei der çberwiegen- wurden, wer im Bekanntenkreis auûerdem noch dar-
den Mehrheit der Menschen im Konsumentenalter ein çber verfçgt etc. Auf diese Weise werden Kommunika-
Computer mit Internetanschluss zu Hause oder am Ar- tionswege festgelegt, die in einem Zusammenhang zur
beitsplatz steht, 10 und vieles sich durch eine Schnittstel- raumzeitlich verankerten Beziehungsstruktur auûer-
le zum Computer produktiver gestalten låsst, wird es halb des Netzes stehen. Die relativ neuen Netzwerk-
zunehmend schwieriger, ohne Internet auszukom- Communities setzen genau an bereits vorhandenen Be-
men. 11 ziehungen an. Meldet man sich beispielsweise bei dem
Dienst Facebook an, so wird man gefragt, ob man sein
Die Nichtnutzung des Internet steht in einem Ver- E-Mail-Adressbuch nach ebenfalls teilnehmenden Be-
håltnis zum sozialen Raum, in dem sich die Nichtbetei- kannten abgleichen lassen mæchte. Um Kommilitonen
ligten bewegen. Dies sind eher Frauen, Øltere und Bil- oder Ehemalige zu finden, wird man nach der Schule
dungsferne. Ein Groûteil der populåren Anwendungen, oder Universitåt sowie dem Abschlussjahrgang ge-
seien es interaktive Spiele oder die bekannten Vernet- fragt. Hierdurch wird an das Beziehungs- und Freund-
zungssites, zielt auf ein wesentlich jçngeres Publi- schaftsnetz angeknçpft, welches sich an einem speziel-
kum. 12 Die Verteilbærsen fçr das Herunterladen von len Ort konstituierte.
Musik und Videos, welche bei Jugendlichen so beliebt
sind, dçrften kaum ein Angebot haben, welches auf den Das heiût keineswegs, dass im Internet nicht auch
Geschmack der Ølteren trifft. Allerdings gibt es auch Beziehungen entstehen wçrden. Dies findet sogar håu-
fig statt. Es gibt eine Reihe von Untersuchungen dar-
10 Vgl. (N)onliner-Atlas, Eine Topographie des digitalen Grabens
çber. So werden Hinweise darauf gefunden, dass die
durch Deutschland, 2008, http://www.initiatived21. de/fileadmin/
åuûere Mæglichkeitsstruktur durch die notwendige
files/08_ NOA/NONLINER2008.pdf (25. 06. 2008).
11 Ein kçrzlich erlebtes Beispiel: Mæchte man eine Prepaidkarte Raum- und Zeitgleichzeitigkeit, wenn nicht auûer
fçr ein Mobiltelefon aktivieren, so ist das çbers Internet, Fax oder Kraft gesetzt, so doch zumindest ein Stçck weit ver-
per Brief mæglich. Verfçgt man çber die erste Mæglichkeit, kann schoben wird. Gustavo S. Mesch und Ilan Talmud
das Telefon in wenigen Stunden genutzt werden; steht nur der haben beispielsweise herausgefunden, dass çber das In-
Postweg zur Verfçgung, dauert dies mehrere Tage, und an einem ternet gewonnene Freunde in Israel hinsichtlich ihres
Wochenende ist die Aktivierung çberhaupt nicht mæglich.
12 Vgl. Gerd Paul/Christian Stegbauer, Is the digital divide be-

tween young and elderly people increasing? First Monday, Okto- 13 Vgl. Christian Stegbauer, E-Mail und Organisation: Partizipa-

ber 2005. www.uic.edu/htbin/cgiwrap/bin/ojs/index. php/fm/ar- tion, Mikropolitik und soziale Integration von Kommunika-
ticle/view/1286 (26. 6. 2008). tionsmedien, Gættingen 1995.

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Alters, des Geschlechts und der Herkunft schaften sind an die Lokalitåt gebunden, also
etwas inhomogener sind, als die im Jugendal- die Infrastruktur, auf die ¹Vor-Ortª zurçck-
ter çblichen Peer-to-Peer Freundschaften. 14 gegriffen wird. Dort sind die sozialen Gebil-
Dies spricht dafçr, dass sich die durch die de, in die man hineinwåchst und in denen
gleichzeitige Anwesenheit an einem Ort rela- sich der Symbolvorrat, also die Mæglichkei-
tiv starren Beziehungsvoraussetzungen lo- ten fçr Interpretation herausbilden. Diesen
ckern. Allerdings bleibt die dort festgestellte wird von Alois Hahn und Herbert Willems
Variation in einem geringen Rahmen. Je die funktionale Differenzierung gegençber
nåher die online gewonnenen Freunde råum- gestellt. Sie ermæglichten Wahlverbindungen.
lich und sozialstrukturell (Alter, Geschlecht) Man muss sich nicht mit den lokal vorhande-
waren, umso enger war die Beziehung. Auf- nen Beziehungen begnçgen, sondern kann,
gehoben ist die Homogenitåt, die in der klas- gerade dann, wenn man in hoch qualifizierten
sischen Soziologie als konstitutiv fçr Freund- Berufen tåtig ist, Kontakte rund um die Welt
schaften gilt, also keinesfalls. 15 Dies kann als aufbauen. Allerdings sind diese ebenfalls
Zeichen dafçr gedeutet werden, dass die nicht beliebig, sondern sehr stark von der Po-
meisten Anwendungen sich ihr Publikum su- sition der Menschen abhångig.
chen und dieses Publikum dann in verschie-
denerlei Hinsicht homogen sein wird. Die Fçr die meisten Menschen spielen die lo-
Studie zeigt auch, dass råumliche Bezçge kalen Zusammenhånge eine Rolle, auch wenn
nicht unwichtig sind. in Modernisierungstheorien 17 immer wieder
von ¹Entbettungª die Rede ist und hierfçr
Durch die Begrenzungen des Raums wer- Argumente angefçhrt werden kænnen, etwa
den politische, kulturelle und soziale Klam- immer stårker werdende berufliche Mobili-
mern erzeugt. Was im Stadtgebiet passiert, tåtserwartungen und eine Ausdifferenzierung
wird in der Lokalpresse aufgegriffen und von der Berufe. Man kænnte auch sagen, dass ge-
den Bçrgern diskutiert. Die Fuûballmann- rade mobile Menschen auf das Internet ange-
schaften treffen in den lokalen Ligen aufein- wiesen sind, um ihre Herkunftszusammen-
ander, alle Stadtteile umfassende Feste, der hånge nicht zu verlieren. Hinweise darauf
Karneval, Tage der offenen Tçr der Stadt, das finden sich in Untersuchungen zur Aufrecht-
kulturelle Angebot, die Schwimmbåder, re- erhaltung der Kontakte zum Herkunftsort
gionale Essensspezialitåten etc. ± all dies trågt per Internet bei Migranten. 18
dazu bei, dass der Raum als eine Identifikati-
onseinheit ihrer Bewohner aufgefasst wird. Es sind nicht nur die sozialen Beziehungen
Die Ereignisse liefern Gespråchsthemen, und zum Herkunftsland, die fçr eine Begrenzung
durch die lokalen Bezçge wird ein Stçck des der Fiktion einer Auflæsung von raumzeitli-
Bewusstseins der Menschen geformt. Eine chen Zusammenhången entgegenstehen: Die
grenzenlose Kommunikation enthebt die Interpretation medial vermittelter Inhalte ist
dort verwurzelten Akteure ihres Kontextes abhångig vom Wissen, den vorgångig vermit-
und damit auch eines græûeren Teils der The- telten Normen und Werten und den Erfah-
men, çber die kommuniziert werden kann. rungen, die die Menschen gemacht haben.
Diese Art der Verwurzelung erinnert an un- Am Export von Fernsehsendungen konnte
moderne Gesellschaftsformen mit segmen- gezeigt werden, dass diese lokal vermittelten
tierter Differenzierung. 16 Segmentåre Gesell- Bezçge die Interpretation von Inhalten we-
sentlich beeinflussen. 19 Auch hier sind Ver-
14 Vgl. Gustavo S. Mesch/Ilan Talmud, Similarity and

the Quality of Online and Offline Social Relationships


Among Adolescents in Israel, in: Journal of Research
on Adolescence, 17 (2007) 4, S. 813±817. 17 Vgl. A. Giddens (Anm. 8).
15 Vgl. Robert K. Merton, Patterns of Influence: Local 18 Vgl. Harry Hiller/Tara M. Franz, New ties, old ties
and Cosmopolitan Influentials, in: ders., Social Theory and lost ties: the use of the internet in diaspora, in: New
and Social Structure, New York 1968, S. 441±474; Paul Media & Society, 6 (2004) 6, S. 731 ±752; Christopher
F. Lazarsfeld/Robert K. Merton, Friendship as Social Helland, Diaspora on the Electronic Frontier: Develo-
Process: A Substantive and Methodological Analyis, ping Virtual Connections with Sacred Homelands, in:
reprinted in: P. L. Kendall, The varied Sociology of Journal of Computer-Mediated Communication, 12
Paul F. Lazarsfeld, New York 1954/1982; S. 298 ± 348. (2007) 3, S. 956 ± 976.
16 Vgl. Alois Hahn/Herbert Willems, Modernitåt und 19 Vgl. Tamara Liebes/Elihu Katz, The Export of

Identitåt, in: Sociologia Internationalis, 34 (1996) 2, S. Meaning. Cross-Cultural Readings of Dallas, New
199 ± 226. York 1990.

8 APuZ 39/2008
bindungen in den Raum vorhanden, die nicht hinter- Andreas Hepp
gangen werden kænnen.

Man kænnte jetzt auf die Idee kommen, dass sich


das Internet in der eher rationalen Geschåftswelt von
Globalisierung der
råumlichen Bezçgen unabhångig machen kann. Unter-
suchungen zeigen jedoch, dass auch virtuelle Unter-
nehmen nicht ohne konkrete Treffen auskommen und
Medien und
damit im Raum gefangen sind. 20 Durch den persænli-
chen Kontakt wird Vertrauen geschaffen, ist doch der transkulturelle
Kommunikation
Umgang mit komplexen Anforderungen nur schwer
durch Medien vermittelbar. Erst wenn man gelegent-
lich einen Wein zusammen trinkt, låsst es sich auch per
E-Mail gut miteinander kommunizieren. Das Vertrau-
ensproblem ist bedeutend, es behindert die Geschåfte
çber das Internet. Dessen ungeachtet sind erhebliche
Wachstumsraten zu verzeichnen. Vor Bestellungen im
Internet, so wird geraten, schaue man sich die Webprå-
I m Jahr 1977 veræffentlichte der britische
Soziologe Jeremy Tunstall das Buch ¹The
Media are Americanª. Wåhrend in Europa
senz des Versenders an. Findet sich eine Abbildung viele technische und kulturelle Innovationen
eines physisch vorhandenen Ladens, eines Lagers oder im Bereich der Massenmedien stattfanden,
der verantwortlichen Personen, so ist man eher ge- wurden diese in den USA erfolgreich ,indus-
neigt, auf das Angebot einzugehen. trialisiert` ± war das Hauptargument des Au-
tors. Rund 30 Jahre
Die Zahl der Beispiele, auf die dies zutrifft, ist Le- spåter, nåmlich 2008,
gion: So zeichnet sich die Online-Enzyklopådie Wiki- erschien nun Tunstalls Andreas Hepp
pedia dadurch aus, dass unterschiedliche Autoren ganz Buch ¹The Media were Dr. phil., geb. 1970; Professor
unabhångig vom Ort, an dem sie sich befinden, an Ar- Americanª. Die Kern- für Kommunikationswissen-
tikeln arbeiten kænnen. In einem Forschungsprojekt these dieses Buchs lau- schaft am Institut für Medien,
zur Kooperation in Wikipedia konnten wir jedoch zei- tet, dass sich seit den Kommunikation und Information
gen, dass der Besuch von Stammtischen und anderen 1980er Jahren so viel (IMKI), Universität Bremen,
Treffen ganz wesentlich dazu beitrågt, in eine Fçh- im Hinblick auf Me- Enrique-Schmidt-Straûe 7,
rungsrolle in der Organisation Wikipedia zu gelangen. dien in ihrem globalen 28359 Bremen.
Ohne dass die Kandidaten einmal gesehen wurden, ist Kontext geåndert hat, Andreas.Hepp@uni-bremen.de
es fast nicht mæglich, dort Administrator zu werden. dass das Argument, die www.imki.uni-bremen.de
¹Prominentª werden auch nur solche Teilnehmer, die Medien seien amerika-
nicht nur einmal auf einem lokalen Treffen waren. nisch, nicht mehr aufrecht erhalten werden
Dies setzt eine ausgiebige Reisetåtigkeit voraus. kann. So hat man eine Zunahme kulturçber-
greifender Kommunikation ± kurz: transkul-
Ein Leben im Internet, welches unabhångig von Raum tureller Kommunikation 1 ±, jedoch wird
und Zeit wåre, ist weder empirisch auffind- noch vor- diese nicht einfach von den USA aus domi-
stellbar. Wir bleiben also, trotz stark gewachsener niert, sondern es bestehen hier wesentlich
Mæglichkeiten des Datenzugriffs und der weltweiten komplexere Kommunikationsbeziehungen.
Arbeitsteilung, an Orte gebunden. Diese Orte, ebenso In der Fernsehserienproduktion haben bei-
wie das Internet selbst, mçssen heute freilich als står- spielsweise Lateinamerika (durch die dortigen
ker differenziert und fragmentiert angesehen werden, Telenovelas) oder Europa (mit seinen Fern-
als dies noch vor einigen Jahrzehnten der Fall war. Un- sehformaten wie Big Brother oder Who wants
sere raumzeitliche Verortung bleibt eine wesentliche to be a Millionaire) bzw. Indien (mit seiner
Konstante, die uns, auch ohne dass wir es unbedingt Filmproduktion) gegenwårtig international
wollen, Orientierung bietet und aus der unser Hand- einen græûeren Stellenwert als amerikanische
lungsrahmen und unsere Beziehungen auch weiterhin Produkte in diesen Låndern. Eine besondere
im Wesentlichen erwachsen werden. Rolle spricht Jeremy Tunstall allerdings digi-

20 Vgl. Gerhard Fuchs, Die Steuerung virtueller Projektnetzwerke: 1 Zur weiterfçhrenden Lektçre empfohlen: Andreas

e-mail und schlæzen, in: Christian Stegbauer (Hrsg.), Netzwerk- Hepp, Transkulturelle Kommunikation. Konstanz
analyse und Netzwerktheorie, Wiesbaden 2008, S. 541 ± 554. 2006 (UVK /UTB).
Informationen zu den erwåhnten Projekten unter:
http://www.imki.uni-bremen.de

APuZ 39/2008 9
talen Medien (WWW, E-Mail, Mobiltelefon Prozess einer fortschreitenden Zunahme
etc.) zu, wenn er formuliert: ¹Telecommuni- weltweiter Kommunikationsbeziehungen. 3
cations (not mass media) has the most global Vielschichtig ist der Prozess insofern, als wir
potential ± since the Internet, consumer cre- ihn nicht auf ein Medium oder eine Gruppe
dit, and plain old phone calls use telecommu- von Medien ± beispielsweise die digitalen Me-
nications networks.ª 2 dien ± reduzieren kænnen. Die Globalisierung
der Medienkommunikation im oben skizzier-
ten Sinne wird von Internet und Mobilkom-
Globalisierung der munikation ebenso ,getragen` wie von (Satel-
Medienkommunikation liten)Fernsehen und Film. Vielschichtig ist
der Prozess aber auch, weil wir beispielsweise
In diesem Beitrag mæchte ich die bemerkens- aus der Dominanz einzelner Konzerne auf
werte Entwicklung, auf die Tunstall hier der Ebene der Produktion keine Schlussfolge-
Bezug nimmt, zum Ausgangspunkt nehmen, rungen in Bezug auf die Medienprodukte
um auf Herausforderungen der Globalisie- oder deren alltågliche Aneignung ziehen kæn-
rung der Medienkommunikation und der nen. Allerdings bleibt die Globalisierung der
transkulturellen Kommunikation einzugehen. Medienkommunikation ± wie die Diskussion
Die einleitenden Bemerkungen machen dabei um den Digital Divide gezeigt hat 4 ± auch
deutlich, dass ich ,neue Medien` und ,Inter- ein in sich hoch ungleicher Prozess.
net` nicht isoliert betrachten mæchte, sondern
im Ensemble mit den ,traditionellen` Medien. Bei einer Betrachtung von transkultureller
Dahinter steht der Gedanke, dass sich unsere Kommunikation geht es nun um eine Ausein-
alltågliche Aneignung von Medien nicht auf andersetzung mit kulturçbergreifenden Kom-
Einzelmedien bezieht, sondern dass wir bei- munikationsbeziehungen in diesem zuneh-
spielsweise im Internet die Webseiten zu Big mend globalen Kommunikationsnetzwerk.
Brother in Bezug auf die gleichnamige Fern- Dass hierbei nicht einfach von interkulturel-
sehsendung nutzen oder wir uns per E-Mail ler oder internationaler Kommunikation ge-
oder am (Mobil)Telefon sowohl çber unseren sprochen wird, verweist darauf, dass mit der
Alltag als auch çber die Inhalte einer letzten Globalisierung der Medienkommunikation
Soap Opera oder Nachrichtensendung aus- verschiedene Kommunikationsråume ent-
tauschen. Wir kænnen also die digitalen Me- standen sind, die sich gerade nicht auf Staaten
dien weder losgelæst von unserem weiteren oder Nationalkulturen herunterbrechen las-
Handeln noch von weiteren traditionellen sen. Exemplarisch kann man hier an den
elektronischen Medien sehen. Dies trifft ge- Kommunikationsraum Europa denken ± der,
rade dann zu, wenn wir uns fçr soziale Bezie- sofern man in ihm eine transnationale euro-
hungen interessieren, fçr die Medienkommu- påische Úffentlichkeit ausmacht, zentral fçr
nikation ja nur ein Aspekt ist. die Legitimation der EU bei den Bçrgerinnen
und Bçrgern ist. Oder man kann an den
Doch was kænnen wir uns genau unter Kommunikationsraum von Diaspora-Ge-
,Globalisierung der Medien` und ,transkultu- meinschaften denken, also von Migrantinnen
relle Kommunikation` vorstellen? Wenn wir und Migranten, die çber verschiedene Lånder
mit dem Ausdruck Globalisierung der Me- hinweg verstreut leben und eine eigenstån-
dien(kommunikation) beginnen, so helfen die dige Vergemeinschaftung (¹Deutschtçrkenª,
zitierten Ûberlegungen von Jeremy Tunstall ¹britische Asiatenª usw.) bilden. ,Transkultu-
bereits weiter. Fasst man seine Argumente im rell` hebt an dieser Stelle also darauf ab, dass
Kern zusammen, so bedeutet Globalisierung kulturelle Kommunikationsråume ,jenseits`
mit Bezug auf Medien nicht, dass hier ein- traditioneller Nationalkulturen betrachtet
zelne (beispielsweise amerikanische) Me- werden, die transnational sein kænnen (bei-
dien(konzerne) ,die Welt kontrollieren`. Eher spielsweise den Kommunikationsraum Euro-
geht es um ,Vernetzung` oder ,Konnektivitåt`
durch Medienkommunikation. Entsprechend 3 Vgl. fçr eine solche Definition Andreas Hepp,
kænnen wir Globalisierung der Medienkom- Transkulturelle Kommunikation, Konstanz 2006,
munikation verstehen als den vielschichtigen S. 67.
4 Vgl. Pippa Norris, Digital Divide. Civic Engage-
2 Vgl. Jeremy Tunstall, The Media Were American: ment, Information Poverty and the Internet World-
U.S. Mass Media in Decline, New York 2007. wide, Cambridge 2001.

10 APuZ 39/2008
pas), aber auch von Nationen abkoppelnde schaftungen ,translokal` ± also çber den eigenen loka-
kulturelle Phånomene (Diasporagemeinschaf- len Lebenskontext hinaus ± aufrechtzuhalten. Dadurch,
ten). dass medienvermittelte translokale Kommunikations-
råume durch die nationalen Sendegebiete des Rund-
Wie zentral eine Beschåftigung mit solchen funks und nationalen Verbreitungsgebiete von Zei-
Fragen der transkulturellen Kommunikation tungen bis in die 1970er Jahre hinein insbesondere
ist, verdeutlichen die genannten Beispiele: In national-territorial waren, galt und gilt fçr viele Men-
der Politik wie auch in der Úkonomie haben schen die Nation bis heute als die zentrale translokale,
wir seit vier Jahrzehnten eine fortschreitende unter anderem durch Medien vermittelte Vergemein-
Europåisierung. Gleichzeitig wird der Ent- schaftungsform. Mit der Globalisierung der Medien-
wicklung einer europåischen Úffentlichkeit kommunikation ist diese Situation allerdings wesent-
aber eine deutliche Trågheit unterstellt. 5 Es lich komplexer geworden. Dies låsst sich anhand von
zeigt sich, wie relevant es ist, danach zu fra- Abbildung 1 veranschaulichen:
gen, was transkulturelle Kommunikation fçr
die Konstitution einer europåischen Úffent-
lichkeit leisten kann. Eine åhnliche Relevanz Abbildung 1: Territoriale und deterritoriale Verge-
der Beschåftigung mit transkultureller Kom- meinschaftungen
munikation wird deutlich, wenn man sich das
Beispiel der Diasporagemeinschaften nåher
anschaut: Geht man von den Daten der ¹In- Translokale
ternational Organization for Migrationª aus, Vergemeinschaftung
so ist jede 35. Person auf der Welt ein Migrant
oder eine Migrantin. Ungefåhr 192 Millionen territorialisiert deterritorialisiert
Menschen leben jenseits ihres Geburtslands Region
Diasporas
(sind also Migranten 1. Generation), wobei ethnische/thematische/politische/
ethnische Aspekte

deterritoriale kulturelle
religiöse Aspekte
territoriale kulturelle

sich die weltweiten Migrationszahlen seit den


Verdichtung

Verdichtung
1960er Jahren um ca. 2,9 Prozent pro Jahr Nation
ethnische/thematische/politische/
Populärkulturelle
Gemeinschaften
steigern. 6 Auch hier rçckt die Frage in den religiöse Aspekte thematische Aspekte

Vordergrund, welchen Beitrag Medienkom- Nationenbund


Soziale Bewegungen
munikation fçr den kulturellen Zusammen- ethnische/thematische/politische/
religiöse Aspekte
politische Aspekte
halt von Diasporagemeinschaften, aber auch
fçr deren Einbezug in die aufnehmenden Religiöse
Vergemeinschaftungen
Lånder leisten kann. Fragen transkultureller religiöse Aspekte
Kommunikation sind damit kein Randphåno-
men, sondern betreffen die zentralen Heraus- Quelle: Eigene Darstellung.
forderungen der Gegenwart. Und bei solchen
Problemlagen ist der Gebrauch digitaler Me-
dien fest mit dem traditioneller Medien ver- Abbildung 1 verdeutlich, dass zwar auch in Zeiten der
woben. Globalisierung von Medienkommunikation die Nati-
on eine entscheidende Bezugsgræûe bleibt. Das be-
Doch wie will man solche komplexen Zu- trifft insbesondere den Bereich der politischen Kom-
sammenhånge systematisch betrachten? Eine munikation, in dem territoriale Nationalstaaten ein
Mæglichkeit ist, bei den Vergemeinschaftun- nach wie vor zentraler Referenzpunkt fçr politische
gen als dauerhafte soziale Beziehungen selbst Entscheidung sind. Daneben haben aber auch andere
anzusetzen ± Nationalgemeinschaften, Mi- Formen der translokalen Vergemeinschaftung an Rele-
grationsgemeinschaften etc. ±, denen wir uns vanz gewonnen. Hierunter finden sich auch die be-
zugehærig fçhlen. Durch Medien ist es allge- reits angefçhrten Beispiele, nåmlich zum einen die
mein einfacher geworden, solche Vergemein- EU als Nationenbund und der ihr entsprechende
Kommunikationsraum, zum anderen die Migrations-
5 Vgl. Jçrgen Gerhards, Europåisierung von Úko- gemeinschaften der Diaspora: Gruppen, die trotz
nomie und Politik und die Trågheit der Entstehung ei- ihrer Verstreuung çber verschiedene Territorien eine
ner europåischen Úffentlichkeit, in: Maurizio Bach (nicht selten medial vermittelte) gemeinsame ethni-
(Hrsg.), Die Europåisierung nationaler Gesellschaften,
sche Identitåt wahren. Um einen tieferen Einblick in
Opladen 2000, S. 277 ±305.
6 Vgl. fçr diese und weitere Informationen zu Migra- Fragen der transkulturellen Kommunikation zu erhal-
tion http://www.iom.int/jahia/Jahia/lang/en/pid/3 ten, sollen im Weiteren beide Beispiele nåher betrach-
(30. 5. 2008). tet werden.

APuZ 39/2008 11
Transkulturelle Groûregion: gionen? Will man diese Frage beantworten,
so wird es notwendig, einzelne Groûregionen
Europåische Úffentlichkeit als Beispiel im Detail anzuschauen. Dies mæchte ich im
Weiteren in Bezug auf den Kommunikations-
Kontextualisiert man das Beispiel Europas raum Europa tun und dies weiter konkretisie-
weiter im Hinblick auf Fragen der Globalisie- ren, nåmlich im Hinblick auf die æffentliche
rung von Medienkommunikation, so wird ± europåische politische Kommunikation ±
jenseits aller bestehenden Besonderheiten Eu- kurz: im Hinblick auf die Etablierung einer
ropas ± ein Muster deutlich: Mit der Globa- transnationalen europåischen Úffentlichkeit.
lisierung geht weniger die Etablierung einer Die Ergebnisse der empirische Forschung,
,Weltkommunikation` oder ,Weltæffentlich- auf die ich mich dabei stçtze, werden im Rah-
keit` einher, wie es manche Theoretiker men des Forschungsprojekts ¹Die Transna-
vermuten, 7 sondern vielmehr die Etab- tionalisierung von Úffentlichkeit am Beispiel
lierung groûregionaler Kommunikations- der EUª erhoben, das Teil des Bremer Son-
råume. Immer wieder genannte Beispiele fçr derforschungsbereichs ¹Staatlichkeit im Wan-
solche groûregionalen Kommunikationsråume delª ist. 11
sind Lateinamerika, der Raum von Nordame-
rika und Australien, der chinesische Groû- Insgesamt weisen unsere Forschungsergeb-
raum sowie ± wie ich hier argumentieren nisse auf den widersprçchlichen Befund einer
mæchte ± der ¹Kommunikationsraum Euro- segmentierten europåischen Úffentlichkeit
paª. 8 Fçr solche transkulturellen Groûråume hin. Konkret wird diese in einer standardi-
wurden verschiedene Namen geprågt, ange- sierten inhaltsanalytischen Auswertung der
fangen von ± bei einer Betonung auf Sprache ± Meinungsbeitråge (Leitartikel, Kommentare,
¹geolinguistischen Regionenª 9 bis hin zu ± in Kolumnen, Gastbeitråge, Interviews und son-
Kritik eines solchen Sprachfokus' und mit stige Beitråge mit meinungsbezogenem In-
einer ækonomischen Betonung ± ¹geokulturel- halt) fçhrender Qualitåtszeitungen aus den
len Mårktenª. 10 Ûber Einzeldifferenzen hin- Låndern Deutschland (FAZ), Groûbritannien
weg kann man als konstitutives Element sol- (The Times), Frankreich (Le Monde), Úster-
cher transkulturellen Groûregionen festhalten, reich (Die Presse) und Dånemark (Politiken).
dass bei ihnen die innere kommunikative Ver- Die Inhaltsanalyse umfasst den Zeitraum von
netzung mittels verschiedener Medien dichter 1982 bis 2003, wobei in Siebenjahresinterval-
ist, wie auch die innere kulturelle Nåhe græûer len je zwei kçnstliche Wochen der Berichter-
ist als die jeweils auûerhalb vorfindbare. Trans- stattung ausgewertet wurden. Die Kodierung
kulturelle Groûregionen bleiben also intern erfolgte im Hinblick auf (a) die Thematisie-
kulturell gebrochen (beispielsweise durch Na- rung nationaler, europåischer und darçber
tionen), grenzen sich jedoch gleichwohl extern hinausgehender inter-/supranationaler Insti-
gegençber anderen Regionen ab. tutionen bzw. die Aufmerksamkeit, die diese
genieûen; (b) die wechselseitige Beobachtung
Doch wie konkretisiert sich transkulturelle der Untersuchungslånder; (c) die Herkunft
Kommunikation innerhalb solcher Groûre- der Sprecher sowie (d) die Wir-Bezçge als In-
dikatoren von geteilter kollektiver Identitåt.
7 Vgl. beispielsweise Norbert Bolz, Weltkommunika-

tion, Mçnchen 2001; Miriam Meckel, Kommunikative


Identitåt und Weltæffentlichkeit, in: Publizistik, 43
(1998), S. 362±375. Anmerkung der Redaktion: Siehe 11 An dem Projekt sind ± neben mir ± folgende Perso-

auch den Beitrag von M. Meckel in dieser Ausgabe. nen beteiligt: Michael Brçggemann, Katharina Klei-
8 Vgl. Hans J. Kleinsteuber/Thorsten Rossmann nen-von Kænigslæw, Swantje Lingenberg, Johanna
(Hrsg.), Europa als Kommunikationsraum. Akteure, Mæller und Hartmut Wessler. Zu den im Weiteren
Strukturen und Konfliktpotenziale in der europåischen umrissenen Forschungsergebnissen vgl. Michael Brçg-
Medienpolitik. Unter Mitarbeit von Arnold C. Kul- gemann/Stefanie Sifft/Katharina Kleinen von Kænigs-
batzki und Barbara Thomaû, Opladen 1994; und die læw/Bernhard Peters/Andreas Wimmel, Segmentierte
Beitråge in Lutz Erbring (Hrsg.), Kommunikations- Europåisierung. Trends und Muster der Trans-
raum Europa, Konstanz 1995. nationalisierung von Úffentlichkeiten in Europa, in: B.
9 Vgl. John Sinclair/Elizabeth Jacka/Stuart Cunning- Peters (Hrsg.), Der Sinn von Úffentichkeit. Frankfurt/
ham, Peripheral Vision, in: dies. (Hrsg.), News Pat- M. 2007, S. 298 ±321, sowie Hartmut Wessler/Bern-
terns in Global Television, Oxford 1996, S. 1 ±32. hard Peters/Michael Brçggemann/Katharina Kleinen
10 David Hesmondhalgh, The Cultural Industries, von Kænigslæw/Stefanie Sifft, Transnationalization of
London ± Thousand Oaks ± New Delhi 2002, S. 180 f. Public Spheres, Basingstoke 2008.

12 APuZ 39/2008
Abbildung 2: Segmentierte europåische Úffentlich- der Segmentierung europåischer Úffentlich-
keit keit hergeleitet: Wåhrend der ¹Blick nach
Brçsselª zunimmt, stagniert der ,Austausch
untereinander`.
Br
Brüssel beobachten
3. Mit Europa identifizieren: Eine Analyse
der Repråsentation von Identitåt in der Mei-
Grenzüberschreitend nungspresse mittels standardisierter inhalts-
diskutieren
analytischer Verfahren ist methodisch nicht
unproblematisch. Eine mægliche Operationa-
lisierung besteht in der Auswertung von Wir-
Mit Europa identifizieren Bezçgen im Hinblick einerseits auf die eigene
Nation, andererseits auf Europa, das heiût die
1980 heute Selbstpositionierung der Sprecher entweder
als Angehærige einer Nation oder als Europå-
Quelle: Eigene Darstellung. er. Hier lassen sich im Untersuchungszeit-
raum geringfçgige Verånderungen einer leich-
Im Kern fasst die Formulierung ¹segmentierte europå- ten Abnahme nationaler Wir-Bezçge (von ca.
ische Úffentlichkeitª den Befund, dass sich zwar eine 43 auf 37 Prozent) bei einer gleichzeitigen
transnationale europåische Úffentlichkeit konstituiert, leichten Zunahme europåischer Wir-Bezçge
diese aber gleichwohl çber die hæheren kommunikativen (von unter einem auf ca. 5 Prozent) ausma-
Verdichtungen nationaler Úffentlichkeiten stark seg- chen. Die Tendenz der Entwicklung einer
mentiert bleibt. Die Befunde im Einzelnen werden im europåischen Identitåt ist ± zumindest im
Folgenden in Stichpunkten formuliert (Abbildung 2): Hinblick auf die Wir-Bezçge in der unter-
suchten Meinungsberichterstattung ± also nur
1. Brçssel beobachten: Fçr den Untersuchungszeit- gering ausgeprågt.
raum låsst sich zeigen, dass sich die æffentliche Auf-
merksamkeit fçr EU-Politik çber alle Untersuchungs- Der bereits angefçhrten fortschreitenden
lånder hinweg von 2 auf 9 Prozent der meinungshalti- Europåisierung von Wirtschaft und Politik
gen Artikel verdreifacht hat. Gleichzeitig bleibt der geht folglich nicht in gleichem Maûe mit der
Fokus auf nationale Politik bei rund 35 Prozent kon- Entstehung einer transnationalen europåi-
stant, der Fokus auf weitergehende internationale Poli- schen Úffentlichkeit einher. Um das in der
tik sinkt leicht von 15 auf gut 10 Prozent. Wenn man Segmentierung europåischer Úffentlichkeit
weitere Befunde wie die steigende Thematisierung von aufscheinende Beharrungsvermægen nationa-
EU-Politiken als Nebenthema einbezieht, so låsst sich ler Úffentlichkeiten im Bereich politischer
argumentieren, dass sich durch einen ,geteilten Blick` Kommunikation zu erklåren, wird in der For-
nach Brçssel eine transnationale Úffentlichkeit konsti- schung auf soziokulturelle Differenz verwie-
tuiert. Im Vergleich dazu fållt allerdings auch auf, dass sen, oder wie es Bernhard Peters formuliert:
der nationale Selbstbezug einen deutlich hæheren und ¹Úffentlichkeiten haben einen sozialen und
auch konstanten Stellenwert hat. Die Transnationali- kulturellen Unterbau, der nicht allein aus Me-
sierung von Úffentlichkeit fçhrt also nicht zu einem dienmårkten und Medienorganisationen be-
¹Abbauª nationaler Úffentlichkeit. steht.ª 12 Die unterschiedlichen nationalen
politischen Diskurskulturen innerhalb Euro-
2. Grenzçberschreitend diskutieren: Ein anderer Be- pas scheinen also zentral fçr die Erklårung
fund ergibt sich, wenn man in den Vordergrund rçckt, der Segmentierung europåischer Úffentlich-
wie sich die wechselseitige Beobachtung der nationalen keit zu sein. Gleichzeitig lassen sich umge-
Úffentlichkeiten in den verschiedenen Zeitungen arti- kehrt Ansåtze der Etablierung einer europå-
kuliert. Hier zeigt sich in der Inhaltsanalyse, dass bis ischen politischen Diskurskultur ausmachen.
2003 keine Zunahme der Diskussion çber andere euro- Doch was kennzeichnet die verschiedenen
påische Lånder in den meinungshaltigen Artikeln zu nationalen politischen Diskurskulturen? Und
verzeichnen war (ca. 20 Prozent gegençber ca. 50 Pro- im Hinblick auf welche Aspekte entwickelt
zent Berichterstattung çber das eigene Land). Øhnliche sich eine europåische politische Diskurskul-
Aussagen (auch im Hinblick auf Prozentanteile) kæn- tur? Diese Fragen untersuchen wir aktuell
nen fçr den Bezug auf Meinungen und Positionen von
Sprechern aus anderen europåischen Staaten gemacht 12 Bernhard Peters, Der Sinn von Úffentlichkeit.

werden. Letztlich ist çber diesen Befund das Konzept Frankfurt /M. 2007, S. 363.

APuZ 39/2008 13
durch verschiedene Lånderstudien. Erst çber Marokkanern in Deutschland zu untersu-
ein besseres Verståndnis dieser politischen chen. 15 Unsere ersten, vorlåufigen und sich
Diskurskulturen ± so unsere Hypothese ± auf ausgewåhlte tçrkische Gruppen beziehen-
låsst sich die Segmentierung der europåischen den Ergebnisse weisen dabei darauf hin, dass
Úffentlichkeit angemessen erklåren. die in der alltåglichen Etablierung digitaler
Medien greifbar werdende Globalisierung der
Deterritoriale Vergemeinschaftungen: Medienkommunikation eine ¹kommunikati-
ve Mobilitåtª in der Diaspora ermæglicht ±
Das Beispiel kommunikativer Mobilitåt kurz: eine mehr oder weniger intensive kom-
in Diasporas munikative Vernetzung, wåhrend man selbst
als Migrant oder Migrantin ,in Bewegung` ist.
Das zweite Beispiel fçr Prozesse transkultu- Dabei scheinen die Vernetzungspraktiken der
reller Kommunikation ± die Medienkommu- Diaspora-Angehærigen insbesondere auf drei
nikation in Migrationsgemeinschaften der Punkte abzuheben, nåmlich erstens auf deren
Diaspora ± ist gånzlich anders gelagert, er- Transmedialitåt, zweitens auf den Druck
scheint aber ebenso zentral fçr ein Verstånd- kommunikativer Mobilitåt und drittens
nis der Globalisierung der Medien bzw. der schlieûlich auf die segmentierte kommunika-
transkulturellen Kommunikation. Innerhalb tive Vernetzung.
der bisherigen Migrationsforschung standen
Massenmedien im Hinblick darauf im Zen- 1. Transmedialitåt der Vernetzung: Von uns
trum, welchen Beitrag sie fçr die ,Integration` bisher gefçhrte qualitative Interviews und
von Migranten in Nationen leisten. 13 Mit qualitative Netzwerkkarten ± Zeichnungen,
fortschreitender Globalisierung der Medien- wie Migrantinnen und Migranten ihre kom-
kommunikation wurde die Lage aber vielfach munikative Vernetzung mit digitalen Medien
komplexer: Einerseits haben seit den 1980er selbst sehen (Abbildung 3) ± zeigen, dass aus
Jahren Angehærige von Diasporagemein- dem Blickwinkel der Befragten unterschiedli-
schaften auch in der ,Fremde` beispielsweise che Gruppen von Kommunikationspartnern
çber Satellitenfernsehen oder Videos einfa- der zentrale Bezugspunkt der kommunikati-
chen Zugriff auf massenmediale Inhalte in ven Vernetzung sind. Es geht um deren per-
ihrer Sprache. Andererseits waren in Diaspo- sænliche Kommunikationsnetzwerke, nicht
ragemeinschaften seit langem ¹neotraditio- um die ,Grenzen` unterschiedlicher Medien.
naleª, ¹kleine Medienª zentral: 14 Zirkulie- Die kommunikative Konnektivitåt zu den
rende Newsletter, selbst fabrizierte Audio- unterschiedlichen Gruppen von Menschen ist
und Videokassetten oder Briefe haben auch ,transmedial` in dem Sinne, dass sie çber ver-
bisher die Diasporagemeinschaften ,zusam- schiedene Medien realisiert wird. Einzelne
men`gehalten ± und an deren Stelle sind nun Medien haben hierfçr unterschiedliche Po-
mit fortschreitender Globalisierung der tenziale.
Medienkommunikation zunehmend digitale
Medien wie WWW, E-Mail, Chat und Mobil- So werden unterschiedliche Medien dazu
telefon getreten. Dieser Wandel hat uns verwendet, verschiedene Aspekte lokaler Mo-
veranlasst, in dem von der Deutschen For- bilitåt zu gestalten. Beispielsweise werden E-
schungsgemeinschaft finanzierten Projekt Mail, WWW und das Telefon tendenziell
¹Integrations- und Segregationspotenziale di- dazu gebraucht, biografische lokale Mobilitåt
gitaler Medien am Beispiel der kommunikati- (ærtliche Mobilitåt im Lebensverlauf) zu ma-
ven Vernetzung von ethnischen Migrations- nagen: Diese Medien machen es einfacher,
gemeinschaftenª die Vernetzung der Diaspo- auch bei bestehenden råumlichen Distanzen
ragemeinschaften von Tçrken, Russen und insbesondere mit Familienmitgliedern und
Freunden ,in Kontakt` zu bleiben, entweder
13 Vgl. beispielsweise Horst Pættker, Soziale Integra-

tion. Ein Schlçsselbegriff fçr die Forschung çber Me- 15 An dem seit Juni 2008 laufenden Projekt sind neben

dien und ethnische Minderheiten, in: Rainer Geiûler/ mir Cigdem Bzdag und Laura Suna beteiligt. Die fol-
ders. (Hrsg.), Massenmedien und die Integration eth- genden Argumente stçtzen sich auf erste vorlåufige
nischer Minderheiten in Deutschland, Bielefeld 2005, Forschungsergebnisse. Vgl. hierzu Andreas Hepp,
S. 25 ±43. Kommunikative Mobilitåt in der Diaspora: Eine Fall-
14 Vgl. Daniel Dayan, Media and Diasporas, in: Jostein studie zur kommunikativen Vernetzung der tçrkischen
Gripsrud (Hrsg.), Television and Common Know- Minderheiten-Gemeinschaft, in: Merz, (2007) 6, S. 36±
ledge, London ± New York 1999, S. 22. 46.

14 APuZ 39/2008
Abbildung 3: Freie Netzwerkkarten von Migrantinnen und Migranten

Quelle: Eigene Darstellung.

auf der Ebene personaler Kommunikation ten-Hip-Hop-Jugendkultur kommen oder


(E-Mail, Telefon) oder auf der Ebene von ge- aus dem beruflichen Umfeld.
meinschaftsbezogener Kommunikation (bei-
spielsweise çber so genannte WWW-Ethno- Wenn wir diese Ergebnisse auf unsere
Portale). Zusammen mit dem Medium E- Ûberlegungen zur kommunikativen Mobili-
Mail erscheint das Mobiltelefon als das Medi- tåt rçckbeziehen, wird deutlich, in welchem
um, mit dem situative lokale Mobilitåt (ærtli- Maûe die Aneignung des Mobiltelefons an lo-
che Mobilitåt im Tages-, Wochen- und Mo- kale Mobilitåt gebunden ist. Hier geht es zu-
natsverlauf) gemanagt wird, indem es die erst einmal um ganz allgemeine Aspekte, wie
Mæglichkeit eræffnet, direkt mit Leuten in den, dass das heutige Berufsleben zunehmend
Kontakt zu sein wåhrend man ,in Bewegung` durch Mobilitåt und die damit verbundene
ist. Eine weitreichende lokale Mobilitåt, wie Notwendigkeit der Erreichbarkeit in Bewe-
wir sie bei Migrantinnen und Migranten fin- gung gekennzeichnet ist. Darçber hinaus
den, wird erleichtert durch die Aneignung scheinen aber auch weitere Aspekte des
verschiedener Medien, um eigene Kommuni- ,Drucks` kommunikativer Mobilitåt fçr die
kationsnetzwerke und damit auch Verge- interviewten Angehærigen der tçrkischen
meinschaftungen translokal aufrecht halten Diaspora zu bestehen, die mit deren kulturel-
zu kænnen. ler Zugehærigkeit zusammenhången: Das
Mobiltelefon ist fçr diese auch eine Technolo-
2. ,Druck` kommunikativer Mobilitåt: Wenn gie, die es ihnen ermæglicht, mit der Familie
wir die unterschiedlichen, von uns bisher un- bzw. (Migranten-)Jugendkultur in einer in-
tersuchten Fålle vergleichen, bekommen wir tensiven kommunikativen Verbindung zu
einen erstaunlichen Einblick, erfahren, was bleiben ± und ein gewisser ,Druck` dazu wird
,Druck` zur kommunikativen Mobilitåt heiût. in diesem kulturellen Kontext mit dem Mo-
Es fållt auf, dass jede interviewte Person seine biltelefon verbunden. Insgesamt kommt dem
oder ihre eigene Motivation, digitale Medien ,Verbunden-Sein` durch das Mobiltelefon
und hierin insbesondere das Mobiltelefon zu eine wichtige Rolle im Alltagsleben der von
besitzen, als durch andere vermittelt be- uns Befragten zu. Digitale Medien sind als
schreibt. Bei diesen kann es sich um die un- Technologien gerade auch verbunden mit der
mittelbare Familie handeln ± die gerade in Erwartung, innerhalb von Diaspora-Gemein-
Migrantengruppen nach wie vor einen sehr schaften kommunikativ vernetzt zu sein, in
hohen Stellenwert einnimmt. ,Druck` kann denen biografische Mobilitåt wie auch lokale
aber auch etwa von Mitgliedern der Migran- Mobilitåt vergleichsweise hoch sind.

APuZ 39/2008 15
3. Segmentierte kommunikative Vernetzung: Bezug auf Vergemeinschaftung nicht sinnvoll
Im Hinblick auf Gesamtfragen der kommuni- ist, digitale Medien isoliert zu betrachten.
kativen Vernetzung verweisen die Ergebnisse Wir kommen weiter, wenn wir deren Analyse
unserer bisherigen Forschung darauf, wel- in die Auseinandersetzung mit anderen Me-
chen Stellenwert kommunikative Mobilitåt dien einbetten. Oder bezogen auf den Titel
fçr jeden der Interviewten hat: Sie wollen ,in des Themenhefts ¹Neue Medien ± Internet ±
Verbindung bleiben`, insbesondere mit ihren Soziale Beziehungenª formuliert: In dem
Freunden, Familien und anderen Mitgliedern Moment, wo wir Fragen der ¹sozialen Bezie-
ihrer Diaspora, die verstreut çber Deutsch- hungenª im Hinblick auf die Globalisierung
land und andere Lånder leben. Mit verschie- der Medien in den Fokus rçcken, sind wir ge-
denen digitalen Medien wird dieses ,in Ver- zwungen, die Betrachtung neuer Medien und
bindung bleiben` zunehmend einfach gestalt- des Internets weiter zu kontextualisieren.
bar.
Die bisherigen Argumente verweisen aber
Vor diesem Hintergrund kænnen wir ± und auch auf konkrete Herausforderungen, die es
dies ist der Punkt, der an dieser Stelle insbe- im Hinblick auf transkulturelle Kommunika-
sondere interessiert ± die oben bereits ange- tion geben (kann). So besteht eine grundlegen-
sprochenen Tendenzen zu einer Segmentie- de Herausforderung darin, existierende kul-
rung der kommunikativen Vernetzung aus- turçbergreifende Kommunikationsbeziehun-
machen. Gemeint ist damit, dass die gen in ihrer Vielfalt ernst zu nehmen und zu
kommunikative Vernetzung nicht fokussiert erfassen. Dabei hat transkulturelle Kommuni-
ist auf einen ,globalen Kosmopolitismus`, der kation ein groûes Potenzial, ist doch mit ihr
als (eine) mægliche Folge einer gerade mit den die Mæglichkeit verbunden, kulturençber-
digitalen Medien fortschreitenden Globalisie- greifende Kommunikationsråume zu schaffen.
rung der Medienkommunikation gerne disku- Diese bieten beispielsweise ± etwa in Bezug
tiert wird. 16 Vielmehr ist sie ausgerichtet auf auf die europåische Úffentlichkeit ± Mæglich-
bestehende kulturelle Segmente wie die Fami- keiten transkultureller Verståndigung oder ±
lie, Freundschaftsnetzwerke oder das Netz- in Bezug auf Diasporas ± die Mæglichkeit der
werk der tçrkischen Diaspora insgesamt. Stabilisierung ethnischer Vergemeinschaftung,
Dabei hat mit den digitalen Medien diese kom- wåhrend man selbst in Bewegung sind. Umge-
munikative Vernetzung einen deterritorialen kehrt kann transkulturelle Kommunikation
Horizont, das heiût sie erstreckt sich çber ver- aber auch Probleme bereiten ± angefangen
schiedene soziokulturelle Territorien hinweg. von (einfachen) Missverståndnissen bis hin zu
ausgewachsenen (Kommunikations)Konflik-
ten. Ein prominentes Beispiel hierfçr war im
Folgerungen: Herausforderungen Jahr 2006 die Karikaturen-Serie ¹Muhammeds
transkultureller Kommunikation ansigtª (¹Das Gesicht Mohammedsª) in der
dånischen Tageszeitung ¹Jyllands-Postenª,
Wie lassen sich nun solche unterschiedlichen die ± verbreitet çber ein im Internet und per-
Forschungsergebnisse, wie sie bisher referiert sænliche Netzwerke zirkulierendes Dossier ±
wurden, insgesamt einordnen? Sie verweisen in verschiedenen muslimischen Låndern, aber
zunåchst einmal auf die Komplexitåt gegen- auch in Europa Proteste auslæste. An diesem
wårtiger transkultureller Kommunikations- Beispiel wird das Konfliktpotenzial deutlich,
beziehungen: Es reicht nicht mehr aus, sich das dadurch entsteht, dass auch an regionale
damit auseinanderzusetzen, wie durch Me- bzw. nationale Publika adressierte Medien-
dien eine kommunikative Integration ,in` produkte prinzipiell transkulturell verfçgbar
einen Nationalstaat erfolgen kann bzw. wie sind. Gerade solche Konflikte zeigen uns, dass
,zwischen` Nationalstaaten kommuniziert wir Medienkommunikation nicht (mehr) in
wird. Mit der Globalisierung der Medien- einem engen nationalen Rahmen denken dçr-
kommunikation haben wir vielfåltige trans- fen. Vielmehr ist ein sorgfåltiger Blick auf
kulturelle Kommunikationsbeziehungen, die transkulturelle Kommunikation notwendig,
es in ihrem Kontext kritisch zu betrachten wenn man den mit der Globalisierung der Me-
gilt. Dabei haben wir gesehen, dass es in dien einhergehenden Herausforderungen an-
gemessen begegnen mæchte.
16 Vgl. John Tomlinson, Globalization and Culture,

Cambridge ± Oxford 1999, S. 181 ±207.

16 APuZ 39/2008
Miriam Meckel Die Netzwerkgesellschaft

Aus Vielen wird Diese Verånderung durch die Vernetzung, die


im Internet zwischen einer endlosen Zahl un-

das Eins gefunden


terschiedlicher Knotenpunkte mæglich ist
und beispielsweise in der redaktionellen Nut-
zung des Netzes çber Weblogs und andere

± wie Web 2.0 Contentsysteme qua Verlinkung und Verweis


funktioniert, bringt langfristig ein gewandel-
tes Gesellschaftsmodell hervor, das sich als

unsere Kommuni- eine Netzwerkgesellschaft beschreiben låsst.


Diese steht fçr einen verånderten Zugriff auf
Informationen, verånderte Wissensstrukturen
kation veråndert und neue Kommunikationsstrategien: Lineare
werden durch reflexive Strukturen ersetzt,
Hierarchien weichen Netzwerken ± und dies
zum Nutzen aller. In einem Papier der

W eb 2.0 beschreibt das Phånomen eines


verånderten Internet, in dem sich Viel-
falt çber die Kreativitåt der vielen Einzelnen
RAND-Corporation çber dezentralisierte
Netzwerke wurden schon 1964 die Vorteile
solch einer Vernetzung beschrieben, die auch
definiert. Das klingt derzeitige rapide gesellschaftliche Durch-
eher technisch, bçro- dringungen von Web 2.0-Angeboten erklårt: 3
Miriam Meckel kratisch und nach Solch dezentrale Netzwerkstrukturen, aus
Dr. phil., geb. 1967; Professorin einem Softwareup- denen das Internet ± wie wir es heute kennen
für Corporate Communications grade als nach einer ± entstand, wurden ursprçnglich entwickelt,
und geschäftsführende Direkto- emergenten neuen um militårischen Zwecken zu dienen und um
rin des Instituts für Medien- und Form des sozialen im Ernstfall den Ausfall eines Netzteils durch
Kommunikationsmanagement Miteinanders. Natçr- andere Teile kompensieren zu kænnen. Ein
an der Universität St. Gallen, lich steckt all dies dezentrales Netzwerk kann schnell auf Ver-
Schweiz. auch im Begriff Web ånderungen im Netzwerk reagieren und Da-
miriam.meckel@unisg.ch 2.0, den Tim O'Reilly tenstræme umleiten. Diese Unsteuerbarkeit
www.miriammeckel.com im Jahre 2004 prågte, und Unangreifbarkeit macht auch im nicht-
um das neue Internet, militårischen Bereich den Reiz des Netzes
die nåchste Entwicklungsstufe des globalen aus: Sie erschwert es, Informations- und
Daten- und Kommunikationsnetzes, zu be- Kommunikationsstræme zu beherrschen oder
schreiben. 1 Aber das zugrunde liegende Phå- zu monopolisieren. Natçrlich gibt es auch im
nomen einer durch technische Innovationen Netz zeitweilig erfolgreiche Versuche der
ermæglichten neuen Form des sozialen Mit- Zensur, etwa in der Volksrepublik China.
einanders mit all seinen Folgen fçr die Kom- Aber sie sind die Ausnahme und werden
munikation in Politik, Wirtschaft und Gesell- immer wieder durch clevere Nutzer durch-
schaft bedarf einer Bestimmung, die nicht nur kreuzt. Das Internet erschwert es dem Souve-
den Verånderungen der Technik, sondern
auch jenen der Kommunikation in den ver- 1 Vgl. Tim O'Reilly, Web 2.0: Compact Definition?,

schiedenen Bereichen der Gesellschaft ge- in: http://radar.oreilly.com/2005/10/web-20-compact-


recht wird. 2 Web 2.0 ermæglicht die selbst or- definition.html (15. 7. 2008).
2 Vgl. Howard Rheingold, Smart mobs. The next so-
ganisierte Interaktion und Kommunikation
cial revolution transforming cultures and communities
der Nutzerinnen und Nutzer durch Herstel-
in the age of instant access, Cambridge 2002; Tim
lung, Tausch und Weiterverarbeitung von O'Reilly, Web 2.0 Compact Definition: Trying again,
nutzerbasierten Inhalten çber Weblogs, Wikis Sebastopol 2006; Raimund Hoegg/Miriam Meckel/
und Social Networks. Ûber kommunikative Katarina Stanoevska-Slabeva/Robert Martignoni,
und soziale Vernetzung veråndern die Nutzer Overview of business models for Web 2.0 communi-
die gesellschaftliche Kommunikation ± weg ties. Paper presented at the GeNeMe, Dresden 2006.
3 Vgl. Paul Baran, On distributed communications:
von den Wenigen, die fçr Viele produzieren, Introduction to distributed communication networks,
hin zu den Vielen, aus denen Eins entsteht: RAND-Corporation Memorandum RM-3420-PR,
das virtuelle Netzwerk der sozial und global August 1964, in: http://www.rand.org/pubs/resear
Verbundenen. ch_memoranda/2006/RM3420.pdf (15. 7. 2008).

APuZ 39/2008 17
rån wie nie zuvor in der Weltgeschichte, sei- renden und emergenten Prozess. Der Wert
nen Untertanen Kreativitåt zu verbieten. Wer dieser Gçter entsteht aus der ihnen in diesem
kommunizieren will, kann dies tun, und wer kollektiven Prozess zugewiesenen Aufmerk-
ein Thema ins Netz einspeisen will, ist auf samkeit. Sie sind nutzerbasiert und folgen
Dauer nicht daran zu hindern. Er oder sie fin- dem Open-Source-Prinzip. Das bedeutet,
det immer einen Zugangs- und Knotenpunkt, jeder kann in den Herstellungsprozessen mit-
çber den die Information durchs Netz diffun- tun, diese mitgestalten, den ¹Codeª der In-
dieren kann. Diese Zugangs- und Nutzungs- formationsgçter weiterschreiben. Yochai
mæglichkeiten sind durch die Aktivierung der Benkler beschreibt die Netzwerkækonomie
Nutzer çber selbst produzierte Inhalte (user als ¹the rise of nonmarket production to
generated content) in einem weiteren wesent- much greater importanceª, in der ¹every (. . .)
lichen Schritt egalisiert und damit demokrati- effort is available to anyone connected to the
siert worden. network, from anywhere, [which] has led to
the emergence of coordinate effects, where
Die Vernetzung ist damit weit mehr als the aggregate effect of individual action (. . .)
eine technische Verbindung zwischen zahlrei- produces the coordinate effect of a new and
chen Computern çberall auf unserer Welt. Sie rich information environmentª. 4 Die neueren
stellt vielmehr eine neue Form der kommuni- Entwicklungen der Netzwerkgesellschaft rei-
kativen Selbstorganisation dar. Die ersten chen çber die Frage der Teilhabe an Mårkten
Ansåtze dazu hatte bereits Web 1.0 gebracht, durch technische Anschlussfåhigkeit weit
das als interaktive Plattform jedem Nutzer hinaus: Es geht also um die Teilnahme am
çber eine IP-Adresse (Internet Protocol) er- Herstellungsprozess dieser Informations-
mæglichte, digitalisierte Informationen zu er- und Kommunikationsgçter in einer ¹culture
halten und mit anderen zu kommunizieren. of participationª, 5 und damit um die Verån-
Im Web 2.0 kænnen die Nutzer diese Infor- derungen der Kommunikationssoziologie
mationen neu zusammensetzen, mit anderen und -ækonomie unserer Gesellschaft.
Nutzern teilen und gemeinsam etwas neues
produzieren. Mit der durch technische Inno-
vation ermæglichten Kapazitåtserweiterung Die Gesetze der Peer Production
des Internets kann sich so auch das Verhåltnis
der Wenigen zu den Vielen åndern, und damit Diese neuen Koordinationsmechanismen
unsere ganze Gesellschaft. charakterisieren auch die verånderten Kom-
munikationsverhåltnisse in der Netzwerkge-
Die Analogie zum Wirtschaftssystem sellschaft. Der Netzphilosoph David Wein-
drångt sich auf, weil es im neuen Netz um berger beschreibt, wie das Web in seiner
einen anderen Umgang mit Informationsgç- Grundstruktur auch unsere Kommunikati-
tern geht, die auf virtuellen Mårkten angebo- onsformen prågt und veråndert. Nachdem die
ten werden, und zwar nicht mehr allein unter zentralen Kontrollpunkte fçr die Verwaltung
den Bedingungen der Regeln, die wir aus un- von Inhalten entfernt wurden, entsteht im
serem analogen Wirtschaftssystem kennen. Web eine locker verbundene Sammlung von
Darin unterscheiden wir bislang grundsåtz- Inhalten und Verbindungen (Links) in einem
lich zwei Organisationsmodi: das Unterneh- Ausmaû, das bislang einmalig und in seiner
men und den Markt. Beide wirken zusam- Entwicklung unabsehbar ist. In diesem Web
men, wenn auch çber unterschiedliche Koor- finden sich unzåhlige Einzeldokumente
dinationsansåtze. Unternehmen koordinieren (¹small pieces loosely joinedª), die beliebig
Ressourcen (wie etwa Mitarbeiter, Kapital), verbunden und zusammengesetzt werden
was in der Regel durch eine hierarchische kænnen. Was das Web mit den Inhalten ge-
Ausgestaltung des Managements erfolgt. macht hat, das macht es nun auch mit unseren
Mårkte koordinieren Angebot und Nachfrage Institutionen und Strukturen ± und mit uns
çber den Preis. Web 2.0 bringt nun einen
neuen Koordinationsmechanismus in Spiel: 4 Yochai Benkler, The Wealth of Networks. How So-

die Koordination çber die Tauschwerte Auf- cial Production Transforms Markets and Freedom,
New Haven 2006, S. 4 f.
merksamkeit und Beachtung. Communities 5 Erick Schonfeld, The Economics of Peer Produc-
(virtuelle Gemeinschaften) koordinieren die tion. Could the culture of participation threaten the
Herstellung informations- und kommunikati- existence of the firm?, in: http://business2.blogs.com
onsbasierter Gçter in einem selbstorganisie- (31. 10. 2005).

18 APuZ 39/2008
selbst: Auch wir Menschen sind flexibel und scheint durch drei Gesetzmåûigkeiten gekennzeich-
in vielen Varianten miteinander verbunden in net:
diesem Netz der kommunikativen Verbin-
dungen. 6 1. Partizipation: Jeder kann sich an allen Kommunika-
tionsprozessen beteiligen ± unabhångig von Hierar-
Dieser Prozess beschleunigt und verstårkt chien oder institutionellen Anbindungen. Fçr viele
sich in den letzten Jahren: Das Web 1.0 war Macher und Nutzer des Netzes bedeutet das die De-
noch aus Seiten zusammengesetzt, die in mokratisierung der Informations- und Medienwelt;
einer bis dahin unbekannten Art und Form
çber Hypertext verlinkt waren, wodurch sich 2. Emergente Vernetzung: Wer etwas Neues ins Netz
eine erste Stufe der dreidimensionalen (hori- einbringt, veråndert mit seinem Beitrag Inhalt und
zontal, vertikal und råumlich) Vernetzung Qualitåt des gesamten Angebots fçr alle Netznutzer.
ergab ± im Vergleich zu heute allerdings in Nach dem Motto: Meine Produktivitåt wåchst, wenn
statischer Form. Das Web 2.0 konstituiert du ins Netz gehst; deine Produktivitåt wåchst, wenn
sich hingegen flexibel daraus, was Menschen ich ins Netz gehe;
im Netz anbieten und wie sie sich miteinan-
der verbinden. Es sind nicht mehr nur die Sei- 3. Transparenz: Diese Prozesse der Herstellung und
ten, die verlinkt sind, sondern auch die Men- Bereitstellung von Informationen und Kommentaren
schen vernetzen sich tåglich neu und anders. im Netz sind absolut transparent, also nachvollziehbar.
Sie bilden in diesen Vernetzungsprozessen Jeder Beitrag kann diskutiert, in seinen Einzelteilen
flexible Communities, die immer neue Inhalte çberprçft, beståtigt oder in Frage gestellt werden.
hervorbringen, indem sie Neues einstellen
oder Bestehendes anders zusammensetzen.
Neu an dieser Verånderung der informationellen
Ein Beispiel hierfçr ist Wikipedia: Die In- Gçter in der Netzwerkgesellschaft ist die Kombinati-
ternet-Enzyklopådie entsteht durch die ge- on individueller Informationen, Bewertungen und
meinschaftliche Produktion von Eintrågen zu Vorlieben zu einem Gesamten ± ein Prozess, der unter
allen vorstellbaren Themen und Fragen dieser dem Begriff der ¹Weisheit der Vielenª bekannt gewor-
Welt. Eine beliebige Zahl von Autoren den ist. Ergebnis der kollaborativen Informationsher-
schreibt an den einzelnen Eintrågen mit und stellung und -verarbeitung durch ein vernetztes Kol-
çberprçft sie permanent. Dieses Verfahren ist lektiv ist eben nicht ein kleinster gemeinsamer Nenner,
schnell und sehr flexibel; das Produkt ist viel sondern Exzellenz, die der Einzelne alleine fçr sich in
aktueller als es beispielweise die gedruckte der Regel nicht herstellen und gewåhrleisten kann.
Ausgabe der ¹Encyclopaedia Britannicaª je- ¹Fçr gewæhnlich bedeutet Durchschnitt Mittelmaû,
mals sein kænnte. Und die Qualitåt der Er- bei Entscheidungsfindungen dagegen oft Leistungen
gebnisse ist ± kçrzlich belegt durch eine Stu- von herausragender Qualitåt. Allem Anschein nach
die der Wissenschaftszeitschrift ¹Natureª ± sind wir Menschen also programmiert, kollektiv klug
interessanterweise nahezu gleichwertig. 7 und weise zu sein.ª 9
Dieser Prozess kann als Peer Production 8
bezeichnet werden: die Kooperation Gleich- Die Kraft des ¹kollektiven Wirª hat sich erst durch
gestellter und Gleichgesinnter in losen Netz- die Entwicklung der digitalen Technologien in Verbin-
werken zur Herstellung von informationsba- dung mit dem Internet voll entfalten kænnen und die
sierten Gçtern und Dienstleistungen. Sie Kommunikationsprozesse in unserer Gesellschaft
sowie deren Produkte, die immateriellen Informati-
ons-, Meinungs- und Kulturgçter, enthierarchisiert
6 Vgl. David Weinberger, Small Pieces Loosely Joined. und dezentralisiert. Das gilt etwa auch fçr die Art und
A Unified Theory of the Web, New York 2002. Weise, in der Themen in den æffentlichen Diskurs ein-
7 Vgl. Jim Giles, Internet encyclopaedias go head to
gebracht und auf die aktuelle Agenda dieses Diskurses
head. Jimmy Wales' Wikipedia comes close to Bri-
gesetzt werden.
tannica in terms of the accuracy of its science entries, a
Nature investigation finds, in: http://www.nat
ure.com/news/2005/051212/full/438900a.html (27. 8.
2007). Anmerkung der Redaktion: Siehe hierzu auch 9 James Surowiecki, Die Weisheit der Vielen. Warum Gruppen

den Beitrag von Christian Stegbauer in dieser Ausgabe. klçger sind als Einzelne und wie wir das kollektive Wissen fçr
8 Vgl. Yochai Benkler, Coase's Penguin, or, Linux and unser wirtschaftliches, soziales und politisches Handeln nçtzen
The Nature of the Firm, in: The Yale Law Journal, 112 kænnen, Mçnchen 2005, S. 33. Vgl. auch Barry Libert/Jon Spector,
(2002/2003), hier in: http://www.yale.edu/yalelj/112/ We are smarter than me. How to unleash the power of crowds in
BenklerWEB.pdf (15. 7. 2008). your business, Upper Saddle River, New Jersey 2008.

APuZ 39/2008 19
Weblogs: Agenda Setting im Web 2.0 Ein Beispiel aus der Wirtschaft: Im Juni 2005 be-
schwerte sich der professionelle US-Blogger Jeff Jar-
Kommunikationsplattformen der ¹Netz- vis in seinem Blog ¹buzzmachineª çber seinen neuen
werkgesellschaftª sind vor allem Weblogs, DELL-Computer. Er hatte beim Kauf zusåtzlich fçr
deren Anzahl inzwischen laut Technorati auf einen Service bezahlt, der garantieren sollte, dass der
weltweit mehr als 70 Millionen gewachsen PC durch einen Techniker im Falle eines Problems
ist. Die Blogosphåre (Gesamtheit aller Web- bei ihm zu Hause repariert wçrde. Die Firma DELL
logs) wåchst mit 120 000 neuen Weblogs pro war offenbar nicht in der Lage, diesen Service zur
Tag ebenso rasant, wie sich das Mitteilungs- Verfçgung zu stellen. Nach einigen Auseinanderset-
bedçrfnis der Teilnehmerinnen und Teilneh- zungen mit DELL begann Jeff Jarvis in seinem Blog
mer (Blogger) entwickelt hat: Sie stellen welt- çber das Problem zu berichten. In seinem zweiten
weit pro Tag etwa 1,4 Millionen Postings Posting çber den mangelhaften Kundenservice von
ein. 10 DELL kreierte Jeff Jarvis den Begriff ¹DELL Hellª.
Eine Abfrage bei Google ergab vier Wochen nach Be-
Weblogs gelten als eigenståndiges Format ginn der Weblog-Debatte çber die Servicequalitåt von
in der neuen Kommunikationsmatrix der DELL 3,5 Millionen Treffer. Inzwischen hatten sich
Netzwerkgesellschaft, weil ihre Inhalte in unzåhlige weitere unzufriedene Kunden der Diskussi-
chronologischer Form geordnet und in dia- on im Blog von Jeff Jarvis, aber auch auf weiteren
logorientierter Weise auf einer Website darge- Kommunikationsplattformen angeschlossen. Eine
stellt werden und die Teilnehmer in einem Diffusionsanalyse der Kommunikationsbeziehungen
zuweilen sehr persænlichen Kommunikati- in der Netz-Community zur Servicequalitåt von
onsstil çber persænliche Einstellungen, Be- DELL zeigt, 13 dass erstens Weblogs die Kommunika-
wertungen und Erfahrungen schreiben kæn- tionsstrukturen rund um das Issue Kundenzufrieden-
nen. Weblogs sind zwar oftmals hochgradig heit bei den Produkten und Services des Unterneh-
subjektiv, haben sich aber vielleicht gerade mens DELL dominieren und zweitens 37 Prozent
deshalb zu einer nachhaltigen kommunikati- aller Verlinkungen der Informationsstræme rund um
ven Einflussgræûe entwickelt. Insofern ist es dieses Issue auf den Blogger Jeff Jarvis zurçckgehen.
nicht erstaunlich, dass ihre wissenschaftliche Fazit: Die beschriebenen Besonderheiten der informa-
Analyse bislang nur kursorisch erfolgt. Viele tions- und kommunikationsbasierten Gçter, herge-
wissenschaftliche Veræffentlichungen aus den stellt in einem Prozess der Peer-Production, ermægli-
vergangenen Jahren konzentrieren sich auf chen es einem einzelnen Kommunikator, im Netz ein
die Beschreibung des Phånomens (Andrew Thema zu setzen und ein Unternehmen zeitweilig
O'Baoill) sowie dessen Klassifizierung (Ans- kråftig unter Druck zu setzen.
gar Zerfass/Dietrich Boelter), 11 wåhrend die
Faszination dieser neuen Kommunikations- In der Politik beobachten wir åhnliche Prozesse: Im
plattformen davon ausgeht, dass sie eben US-Pråsidentschaftswahlkampf musste sich der demo-
nicht klassifizierbar oder steuerbar sind. Den- kratische Pråsidentschaftskandidat Barack Obama mo-
noch macht die Vernetzung der Teilnehmer natelang fçr eine auf einer nicht-æffentlichen Fundrai-
çber Blogs die ¹Mundpropagandaª inzwi- singveranstaltung im April 2008 geåuûerte Bemerkung
schen zu einem wichtigen Multiplikations- verantworten. Er hatte in San Francisco çber Klein-
und Verstårkungsinstrument fçr das Agenda- stadtamerikaner gesprochen, die ob ihrer ækonomi-
Setting im Netz. 12 schen Situation verbitterten und sich an ihre Waffen
klammerten, ihre Religion oder ihre Ablehnung gegen-
çber Menschen, die anders seien als sie selbst. Dies
10 Vgl. www.technorati.com, siehe auch http:// wurde von einer Bloggerin fçr OffTheBus.net aufge-
www.sifry.com/alerts/archives/000493.html (15. 7. griffen, eine Website, die vom populåren Nachrichten-,
2008).
11 Vgl. Andrew O'Baoill, Conceptualizing The Web-
Gerçchte- und Blogportal Huffingtonpost.com veræf-
log: Understanding What It Is In Order To Imagine fentlicht wird. Dieses eine Blogposting diffundierte in-
What It Can Be, in: interfacings ± Journal of Contem- nerhalb von wenigen Stunden in die Medien und geriet
porary Media Studies, vom 8. 2. 2005, http://www.
comm.uiuc.edu/icr/interfacings/OBaoillWeblogs020
805.pdf.; Ansgar Zerfass/Dietrich Boelter, Die neuen The Anatomy of Buzz: How to Create Word-of-Mouth Marke-
Meinungsmacher. Weblogs als Herausforderung fçr ting, New York 2000.
Kampagnen, Marketing, PR und Medien, Graz 2005. 13 Vgl. Market sentinel, onalytica & immediate future, Measuring
12 Vgl. Allan J. Kimmel, Rumors and Rumor Control: the influence of bloggers on corporate reputation, in: http://
A Manager's Guide to Understanding and Combatting www.marketsentinel.com/files/MeasuringBloggerInfluence612
Rumors, Mahway, New Jersey 2004; Emanuel Rosen, 05.pdf (2. 5. 2006).

20 APuZ 39/2008
zur Sensationsnachricht. 14 Alle traditionellen Medien Freundschaft einzugehen, die oftmals nur fçr eine be-
griffen die Obama-Bemerkung auf und bis zur eigent- grenzte Zeit angelegt ist. Da sich Menschen als soziale
lichen Entscheidung çber die Kandidatur Obamas be- und kommunikative Wesen auf diesem Wege unkom-
herrschte sein Zitat die mediale Berichterstattung. pliziert und mit globalem Zugriff vernetzen kænnen,
wåchst die Attraktivitåt dieser Websites seit ihrem
Start ungebremst. So hat Facebook beispielsweise
Social Networking: die Dynamik der mehr als 80 Millionen aktive Nutzerinnen und Nutzer
weltweit. Die Seite steht auf Platz 6 der meist genutz-
Netzwerkkommunikation ten Websites weltweit und ist mit tåglich mehr als 14
Millionen hoch geladenen Fotos die wichtigste und
Die weitgehend unkontrollierte und unsteuerbare In- meistgenutzte Fotoseite im Internet. 15
formation und Kommunikation der Vielen scheint
folglich ein wesentliches Attraktions- und Funktions- Besonders erfolgreich sind weiterhin die Videopor-
kriterium der Netzwerkkommunikation zu sein. Das tale, auf denen jeder Netznutzer Videos hoch laden
zeigt die Vielfalt der entsprechenden Angebote im und einstellen kann. Auf der Videoplattform Youtube
Netz und ihre intensive Nutzung. In der Blogosphåre, werden tåglich mehr als 100 Millionen Videos gezeigt
aber auch auf vielen anderen Seiten im Internet tum- und angeschaut. In jeder Minute werden etwa zehn
meln sich Milliarden von Menschen, um sich selbst Stunden neuen Videomaterials auf der Website einge-
darzustellen, ihren Einstellungen und Meinungen stellt. 16 Das Entwicklungs- und Marktpotential hat
Ausdruck zu verleihen und sie mit anderen zu teilen. auch Google erkannt und Youtube 2006 fçr rund 1,65
Das geschieht in Weblogs ebenso wie auf anderen Milliarden US-Dollar gekauft. 17 Das Konzept der
Plattformen und in anderen Formen des Web 2.0, die Selbstdarstellung im Netz, das Social Networking so
fçr den Einzelnen, fçr Communities, Unternehmen, attraktiv macht, entwickelt Youtube als audiovisuelle
Institutionen oder Parteien neue Informations- und Plattform weiter und reflektiert es in seinem Unter-
Kommunikationsmæglichkeiten bieten. Diese Plattfor- nehmensclaim ¹Broadcast Yourselfª.
men und ihre Vernetzungs- und Kommunikationsan-
gebote werden unter dem Begriff des Social Network- Diese Angebote im Internet wachsen in quantitati-
ing zusammengefasst. Social Networking Websites ver Hinsicht exponentiell und werden in qualitativer
bieten Nutzern die Mæglichkeit, sich in wechselnden Hinsicht gerade fçr die jçngeren Generationen (aber
virtuellen Communities zusammenzuschlieûen, indem nicht nur fçr sie!) von einer Verståndigungs- zu einer
sie individuelle Nutzerprofile einstellen und sich çber Lebensform mit Verånderungspotential fçr die gesell-
verschiedene Kommunikationswege (E-Mail, Chat, schaftliche Kommunikation.
Weblogs, Instant Messaging usw.) austauschen, um so
Gleichgesinnte zu finden, mit denen sie sich çber ge- Kommunikation beschleunigt sich: Ein einzelnes Po-
meinsame Interessen austauschen oder mit denen sie sting in einem Weblog kann ausreichend sein, um eine
einfach kommunizieren kænnen. Resonanzwelle auszulæsen, die betroffene Organisatio-
nen oder Personen vor die Herausforderung stellt,
Im engeren Sinne zåhlen dazu vor allem Vernet- schnell und adåquat zu reagieren. Der gezielte Angriff
zungsseiten wie friendster.com, myspace.com, face- gegen eine Organisation und ihre Marke im Netz
book.com. Auf all diesen Seiten stellen die Nutzerin- (¹Brand Attackª) oder gegen einzelne Nutzer (¹vir-
nen und Nutzer persænliche Profile ein, mit denen sie tuelles Mobbingª) sind Bespiele fçr Gefahren dieser
sich selbst sowie ihr Lebens- und Freundesumfeld umfassenden und unkontrollierbaren Kommunikati-
darstellen. Zu diesen Profilen gehæren detaillierte An- onsmæglichkeiten. Diese Beschleunigung låsst sich al-
gaben zur Person, zu persænlichen Vorlieben und in- lerdings auch positiv nutzen. In der viralen Kommuni-
dividuellen Einstellungen. Auf fast allen Seiten lassen kation 18 bietet die beschleunigte Informationsverbrei-
sich dann Fotos, Videos und sonstige Dateien hoch
laden und einstellen, die das Bild der Person abrunden
und fçr andere Menschen mit åhnlichen Profilen oder 15 Vgl. http://www.facebook.com/press/info.php?statistics
Interessen attraktiv sein sollen. Ziel der aktiven Nut- (15. 7. 2008). Bei den quantitativen Angaben zu einzelnen Web-
sites und zur Nutzungsentwicklung ist Vorsicht geboten, da sta-
zung dieser Websites ist es, sich mit Menschen zu ver-
tistische Nachweise und Vergleichbarkeit oft nur schwer prçfbar
binden, die åhnliche Interessen und Vorlieben haben, sind.
um eine virtuelle oder reale Bekanntschaft oder 16 Angaben nach http://mediatedcultures.net/ksudigg/?p=163

und youtube.com (15. 7. 2008), Einschrånkung siehe Anmerkung


14 Vgl. Katharine Q. Seelye, Blogger Is Surprised by Uproar Over 15.
Obama Story, but Not Bitter, in: New York Times vom 14. 4. 17 Vgl. http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,441 686,00.html

2008, hier http://www.nytimes.com/2008/04/14/us/politics/ (15. 7. 2008).


14web-seelye.html?pagewanted=all (15. 7. 2008). 18 Vgl. Sascha Langner, Viral Marketing, Wiesbaden 2005.

APuZ 39/2008 21
tung im Netz auch die Mæglichkeit, eine wichtige In- ven gemacht wurden, eine dreidimensionale Ansicht
formation, eine neues Produkt oder ein Gerçcht çber des fotografierten Objekts zusammenzusetzen. 21 So
die Plattformen des Social Networking in wenigen kænnen Fotografen aus aller Welt gemeinsam ± und
Stunden oder gar Minuten mehreren hundert Millio- doch getrennt voneinander ± dazu beitragen, ein 3-D-
nen Menschen zugånglich zu machen. So dauerte es Bild des Trevi-Brunnens in Rom oder der Kathedrale
beispielsweise keine dreieinhalb Minuten, bis das Ge- Notre Dame in Paris im Netz zu generieren.
rçcht, Apple werde ein eigenes Mobiltelefon auf den
Markt bringen, sich seinen Weg durch die Netzwelt
gebahnt hatte. 19
Triangulårer Kommunikationsmodus
Ordnungen und Hierarchien verschwinden: In der
Welt des Web 2.0 mçssen wir uns daran gewæhnen, Social Networking veråndert die Rolle und Bedeutung
dass alte Ordnungen nicht mehr zåhlen, Hierarchien von Informationen im Kommunikationsprozess und
keine Bedeutung haben und Formen spontan durch råumt endgçltig mit den Vorstellungen einer ¹Sender-
dezentrale Vernetzung geprågt werden. Nach Ansicht Empfånger-Beziehungª zwischen Kommunikator und
des Internetphilosophen David Weinberger zåhlt jede Rezipient auf. Unter den neuen Regeln der Peer Pro-
Information und jedes digitale Etwas im Netz zur Ka- duction ist jeder, unabhångig von institutioneller An-
tegorie ¹Verschiedenesª. 20 Dadurch entsteht fçr den bindung und Legitimation, ein Kommunikator unter
an die Ordnungsdimensionen der analogen Welt ge- vielen. Er macht Informationsangebote, deren Nut-
wæhnten Menschen zunåchst einmal Chaos, das es zu zung im Prozess der sozialen Vernetzung kaum vor-
strukturieren gilt. Ein Beispiel: Wer eine CD kauft, hersagbar ist. Er sendet nicht einmalig eine Botschaft,
wird sie vermutlich an eine bestimmte Stelle in sein sondern wird zum dauerhaften Kommunikations- und
Musikregal stellen. Die CD hat also einen Platz, der Interaktionspartner mit seinen Communities und einer
geografisch bestimmt ist und in der Regel mit einer undefinierten, nicht abgrenzbaren Úffentlichkeit.
thematischen Zuordnung, wie etwa der Musikrich- Dabei scheint sich zunehmend ein triangulårer Kom-
tung, verbunden wird. In der digitalen Welt kann jedes munikationsmodus herauszukristallisieren, der den
Musikstçck verschiedenen Klassifikationen zugehæren: einzelnen Kommunikator in drei Funktionen im Netz
dem MP3-Musikarchiv ebenso wie den iTunes, der pri- aktiv zeigt:
vaten Partyplaylist ebenso wie dem Musikordner, in
dem die Stçcke verwaltet werden, die man beruflich express: Eine der wichtigsten Funktionen der Netznut-
fçr die Vertonung von Hærspielen oder Fernsehbeitrå- zung besteht darin, sich selbst und den eigenen Interes-
gen braucht. Das Netz offeriert also zunåchst einmal sen Ausdruck zu verleihen. Bei einer Befragung US-
Chaos. Daraus kann wiederum Kreativitåt und Inno- amerikanischer Blogger geben 52 Prozent der Befragten
vation erwachsen, wenn es den Anwendern gelingt, die als Hauptmotiv fçr die Kommunikation im Web an,
(Un)Ordnung des Web zu verstehen und produktiv zu sich selbst kreativ mitteilen zu wollen (¹to express
nutzen. yourself creativelyª). 22 Eine Studie çber deutsche
Blogger kommt zu einem åhnlichen Ergebnis: 66,8 Pro-
Information wird zum kollektiven und kollaborativen zent der Befragten gaben an, Weblogs zu nutzen, ¹weil
Gut: Informationen sind im Web 2.0 ein gemeinschaft- ich was zu sagen habe und selber gerne schreibeª. 23
lich produziertes Gut, das dem Open-source-Prinzip
unterliegt. Das bedeutet, jeder kann die Information connect: Die zweitwichtigste Funktion der Web 2.0 ba-
mitgestalten, an ihrem Code mitschreiben, sie bewer- sierten Kommunikation ist die Vernetzung und der
ten und weiterverbreiten. Diese kollektiven und kolla- Austausch mit anderen Nutzern und mit Gleichge-
borativen Kommunikationsprozesse setzen zuweilen sinnten. Wenn das eindrucksvolle Wachstum und die
enorme Kreativitåt und Innovationen frei, indem In- Erfolgsgeschichte der Social Networking Website
formationen mit anderen Informationen verbunden nicht schon als Beleg dafçr reichen, dass Menschen mit
werden (¹mash upsª), um etwas Neues, Unbekanntes Menschen im Internet in Kontakt treten wollen, dann
hervorzubringen. So erlaubt beispielsweise die Micro- mag die Motivlage der Blogger diese Erkenntnis noch
soft-Software ¹Photosynthª, aus beliebigen Fotos von unterstreichen: In den USA wollen 37 Prozent der
einem Objekt, die von unterschiedlichen Nutzern aus Blogger çber das Netz mit Freunden und Bekannten
unterschiedlichen Winkeln mit verschiedenen Objekti- in Kontakt bleiben, 16 Prozent wollen neue Menschen
21 Vgl. http://labs.live.com/photosynth/default.html (15. 7.
19 Vgl. http://www.youtube.com/watch?v=vXVbxtfJBCk (15. 7. 2008).
2008). 22 http://www.pewinternet.org/pdfs/PIP%20Bloggers%20Re
20 Vgl. David Weinberger, Everything is Miscellaneous. The port%20July%2019 %202006.pdf (15. 7. 2008).
Power of the New Digital Disorder, New York 2007. 23 www.blogstudie2007.de (15. 7. 2008).

22 APuZ 39/2008
çber das Netz kennen lernen. In Deutschland wollen Rainer Winter
sich 55 Prozent mit anderen austauschen, 18 Prozent
wollen mit neuen Leuten in Kontakt kommen. 24

share: Ein drittes wichtiges Moment in der vernetzten


Perspektiven
Kommunikation ist die Teilhabe an Informationen,
Meinungen und Wissen anderer sowie der Drang, an-
deren auch die eigenen fçr wichtig gehaltenen Infor-
eines alternativen
mationen zur Verfçgung zu stellen. Das hinterlegte
Grundprinzip dieser Teilhabe- und Verweisfunktion
der Netzwerkkommunikation geht auch in die im Web
Internet
entstandenen und fortgeschriebenen kollektiven Emp-
fehlungs- und Indexierungsprozesse ein, die unter dem
Begriff der ¹Folksonomyª zusammengefasst wer-
den. 25 Im Web 2.0 wird das relevant, was durch ande-
S eit seinen Anfången ermæglicht das Inter-
net die Herausbildung von spezialisierten
Kulturen und Gemeinschaften bzw. die Ver-
re, zur eigenen Community gehærige oder aus anderen dichtung bereits existierender sozialer und
Grçnden wichtige Personen im Netzwerk empfohlen kultureller Formationen. 1 Eine besondere
und weiterverbreitet wird. Im Web ist daher der Bedeutung kommt in jçngster Zeit den politi-
¹share-buttonª, mit dem man Freunden oder der Peer schen und kulturellen Alternativen zu, die
Group Informationen weiterleiten kann, ein wichtiges durch soziale und kulturelle Praktiken im
Instrument, das çber Verbreitungs- und Kommunika- Kontext des Internet entstehen. Dieses offe-
tionserfolg wesentlich mit entscheidet. riert durch seine technischen Mæglichkeiten
radikale Weisen der Produktion, Distribution
und Organisation von
Individualisierter Ausdruck, Vernetzung und Aus- Medien, die an die ex- Rainer Winter
tausch als neue Formen der Kommunikation sind perimentelle Politik Dr. phil. habil., Soziologe und
wichtige Belege dafçr, dass Web 2.0 eben nicht nur der Alternativpresse, Psychologe, geb. 1960; Profes-
eine technologische Verånderung der Netzwerkkom- der freien Radios und sor für Medien- und Kulturtheo-
munikation im Sinne eines Softwareupgrades darstellt, anderer Formen akti- rie an der Alpen-Adria-Universi-
sondern eine neue Qualitåt in die Funktionen und For- vistischer Medien an- tät Klagenfurt/Österreich.
men gesellschaftlicher Kommunikation eingefçhrt hat. knçpfen. Dabei låsst rainer.winter@uni-klu.ac.at
Es sind nicht mehr allein die ¹Biographien groûer sich die Bedeutung al- www.rainer-winter.net
Månnerª, die Weltgeschichte schreiben, wie es der ternativer Medien und
schottische Philosoph Thomas Carlyle im 19. Jahrhun- der Perspektiven, die sie artikulieren, nur in
dert beschrieben hat. 26 Es ist heute vielmehr jeder Ein- dem gesellschaftlichen und kulturellen Kon-
zelne, der als Teil der Vielen ein Netzwerk ausmacht, text verstehen, auf den sie antworten und in
der vernetzt kommuniziert und dabei die Geschichte dem sie produziert und rezipiert werden. 2
der Mediengesellschaft in die einer Netzwerkgesell-
schaft umschreibt. Aus Vielen wird das Eins gefunden, Zum einen stehen alternative Medien in
das als Prozess der kommunikativen These und Ge- Opposition zu den Produkten der dominan-
genthese die Synthese hervorbringt ± das sich wan- ten Medien: Sie bringen differente Sichtwei-
delnde Eins als die Úffentlichkeit unserer Gesellschaft. sen zum Ausdruck, so zum Beispiel, wenn sie
In den Worten des Internetphilosophen David Wein- fçr soziale Verånderungen eintreten. Zum an-
berger: ¹We are the true ,small pieces` of the Web and
we are loosely joining ourselves in ways that we're still 1 Vgl. Rainer Winter/Roland Eckert, Medien-
inventing.ª 27 geschichte und kulturelle Differenzierung. Zur Her-
ausbildung von Wahlnachbarschaften, Opladen 1990;
24 Vgl. Anm. 22, 23. Roland Eckert/Waldemar Vogelgesang/Thomas A.
25 Matthes Fleck/Lars Kirchhoff, Folksonomy und Tags. Oder Wetzstein/Rainer Winter, Auf digitalen Pfaden. Die
warum es im Web keine Regale gibt, in: Miriam Meckel/Katarina Kulturen von Hackern, Programmierern, Crackern
Stanoevska-Slabeva (Hrsg.), Web 2.0. Die nåchste Generation In- und Spielern, Opladen 1991.
2 Vgl. John D.H. Downing mit Tamara Villareal Ford,
ternet, Baden-Baden 2008, S. 188 ±199.
26 ¹The history of the world is but the biography of great menª, Gen ve Gil und Laura Stein, Radical Media. Rebellious
zit. nach http://www.britannia.com/bios/carlyle.html (15. 7. Communication and Social Movements, Thousand
2008). Oaks et al. 2001; Lawrence Grossberg, Was sind Cul-
27 D. Weinberger (Anm. 6), S. X. tural Studies?, in: Karl H. Hærning/Rainer Winter
(Hrsg.), Widerspenstige Kulturen. Cultural Studies als
Herausforderung, Frankfurt/M. 1999.

APuZ 39/2008 23
deren folgen ihre Organisation und Operati- werde ich vor allem die Rolle von Ezines 6 be-
onsweise in der Regel nicht den kapitalisti- handeln. Eine Schlussbetrachtung, welche die
schen Geschåftsmodellen. So sind etwa die Frage nach der Bedeutung einer transnationa-
von (jugendlichen) Fans produzierten Fanzi- len Úffentlichkeit stellt, steht am Ende des
nes ± wie Fanpraktiken generell ± nicht auf Beitrags.
Profit ausgerichet, lehnen diese Orientierung
sogar explizit ab. 3 Dies gilt selbstverståndlich
auch fçr die politisch motivierten alternativen Cultural Studies und alternative Medien
Medien, die in der neueren Diskussion bis-
weilen als citizens' media 4 bezeichnet wer- Es war vor allem der in den 1960er Jahren in
den, weil sie auf offenem Zugang, Freiwillig- Groûbritannien entstandene Ansatz der Cul-
keit und Non-Profit basieren. Zudem treten tural Studies, der die Rezeption und Aneig-
sie fçr Diversitåt, Pluralitåt und progressiven nung von Medien in unterschiedlichen kultu-
sozialen Wandel ein. rellen und sozialen Kontexten zu einem wich-
tigen Forschungsthema machte. Ihre Studien
So betrachten viele Aktivisten das Internet zu jugendlichen Subkulturen, zur Fernsehre-
als ein Werkzeug, um sich eigene offene zeption und zu Fankulturen zeigen, dass die
Råume zu schaffen, welche die Grundlage fçr Mediennutzung, die oft gemeinschaftlich er-
eine bessere Zukunft sein sollen. Gerade das folgt, produktive, kreative und bisweilen sub-
social web, das auf Web 2.0 basiert, schafft die versive Aspekte haben kann. 7 Diese entfalten
Bedingungen fçr neue digitale Taktiken, die sich gerade in Abgrenzung bzw. in Opposition
auf eine radikale Demokratisierung des Wis- zur dominanten Kultur und ihren Machtstruk-
sens und auf die Pluralisierung von Stimmen, turen. So kann die Aneignung von Fernsehse-
Perspektiven und Quellen zielen. So wird die rien, ihre Integration in das alltågliche Leben,
Wirklichkeit auf vielfåltige Weise neu und an- bisweilen als Widerstand gegen hegemoniale
ders definiert und gerahmt, als dies die domi- Sinnstrukturen begriffen werden, 8 wenn etwa
nanten Medien tun. Damit verbunden sind soziale Rollendefinitionen, Identitåtsmuster
Hoffnungen auf eine Demokratisierung der oder Normalitåtserwartungen subversiv unter-
globalen Gesellschaft, 5 die sich in der Kon- laufen, parodiert oder abgelehnt werden. Den
zeption einer transnationalen Úffentlichkeit Cultural Studies geht es um alltågliche Verån-
verdichten. derungen von Bedeutungen, Einstellungen
und Wertorientierungen, um die Entfaltung
Nach einer kurzen theoretischen Betrach- des produktiven und kreativen Potentials der
tung des Verhåltnisses von Alltagsleben, Kul- Lebenswelt, um die Kritik an Machtverhåltnis-
tur und Medien werde ich die alternativen sen, um Momente der Selbstermåchtigung, die
Dimensionen des Internet genauer betrach- vielleicht schnell vergehen, aber trotzdem prå-
ten. Zunåchst wird es um die Internetnutzung gend und einflussreich sein kænnen. 9
durch die neuen sozialen Bewegungen und
Gemeinschaften gehen, die sich fçr eine de- Offen bleibt bei dieser eher optimistischen
mokratische Globalisierung einsetzen. An- Lesart der Populårkultur, ob und inwiefern
schlieûend werde ich die Schaffung neuer auf die ermåchtigenden Akte der Medienre-
Råume durch den Einsatz taktischer Medien zeption, in denen um Bedeutungen sowie
und die Mæglichkeiten des elektronischen Vergnçgen gerungen wird und in denen sich
Widerstands diskutieren. Eine Analyse der ein Eigensinn entfaltet, kulturelle und gesell-
Bedeutung des Internet fçr (jugendliche) Fan- schaftliche Verånderungen folgen, die çber
gemeinschaften schlieût sich an. Hierbei die Momente von Rezeption und Aneignung
6 Ezines oder Webzines sind Internetportale im Ma-
3 Fanzines sind Magazine, die von Fans fçr Fans ge- gazinstil.
macht werden. Vgl. Rainer Winter, Der produktive 7 Vgl. K. H. Hærning/R.Winter (Anm. 2); R. Winter

Zuschauer. Medienaneignung als kultureller und ås- (Anm. 3).


thetischer Prozess, Mçnchen ± Kæln 1995. 8 Vgl. John Fiske, Die britischen Cultural Studies und
4 Clemencia Rodriguez, Fissures in the Mediascape. das Fernsehen, in: Rainer Winter/Lothar Mikos
An International Study of Citizens' Media, Cresskill/ (Hrsg.), Die Fabrikation des Populåren. Der John Fis-
NJ 2001. ke-Reader, Bielefeld 2001; Rainer Winter, Die Kunst
5 Vgl. Megan Boler, Introduction, in: dies. (Hrsg.) des Eigensinns. Cultural Studies als Kritik der Macht,
Digital Media and Democracy. Tactics in Hard Times, Weilerswist 2001.
Cambridge/MA 2008. 9 Vgl. R. Winter (Anm. 8).

24 APuZ 39/2008
hinausgehen. Die kreativen Alltagspraktiken Um das kommunikative Potential alternati-
im Umgang mit Medien kænnen sich in ihrer ver digitaler Medien nutzen und entfalten zu
Wirkung auch darauf beschrånken, den Han- kænnen, sind allerdings vielfåltige mediale
delnden zu helfen, sich besser zurechtzufin- Kompetenzen erforderlich, die technische und
den oder die Banalitåt des Alltagslebens leich- kulturelle Fertigkeiten beinhalten. Der ameri-
ter zu ertragen, indem man sich zeitweilig kanische Medienpådagoge und Kulturtheore-
von einschrånkenden Erwartungen distan- tiker Douglas Kellner 15 fordert deshalb einen
ziert, sich in Machtstrukturen taktisch verhålt erweiterten Bildungsbegriff, der die neuen Me-
oder kleine Fluchten ergreift. dien beinhaltet und zur Færderung multipler
Kompetenzen, insbesondere bei Jugendlichen
Dagegen lassen sich alternative Medien, zu und sozial benachteiligten Gruppen, beitragen
denen ich die Medien von Protestgruppen, soll. So soll es zu einer Ermåchtigung von Indi-
Aktivisten und Aktivistinnen, sozialen Bewe- viduen und Gruppen kommen, indem sie In-
gungen, Subkulturen, aber manchmal auch formations- und Kommunikationstechnolo-
von Fans und Hobbyisten zåhle, von vorn- gien kompetent und effektiv einsetzen lernen.
herein als ¹channels of resistanceª begreifen, Auf diese Weise kænnen sie ihre Problemlagen
die explizit, absichtlich und mit Engagement und Interessen darstellen, die in den traditio-
hegemoniale Strukturen in Frage stellen und nellen Medien oft nicht repråsentiert werden.
in einem symbolischen Kampf um Bedeutung Im nåchsten Schritt werde ich diesen Prozess
herausfordern. 10 Sie sind weder den Gesetzen am Beispiel der neuen sozialen Bewegungen
der Marktlogik unterworfen noch vom Staat veranschaulichen.
abhångig. Sie operieren im Bereich der sich
konstituierenden (transnationalen) Zivilge-
sellschaft. 11 Nick Couldry weist daraufhin, Globalisierung und neue soziale
dass alternative Medien es einer ¹community Bewegungen
of citizensª erlauben, sich in einer demokrati-
schen Praxis zu engagieren, die auf Dialog, Die Globalisierung, die unsere Gegenwart
weitgehender Kontrolle çber symbolische prågt, ist ein umkåmpfter Prozess. Das haben
Ressourcen und Repråsentationen der Wirk- spåtestens die Proteste gegen das Treffen der
lichkeit sowie auf Offenheit beruht. 12 World Trade Organization 1999 in Seattle
Somit wird im Bereich der Cultural Studies deutlich gemacht, die mittels neuer Medien or-
ein neues Forschungsfeld eræffnet, das zum ganisiert und koordiniert wurden. Der neoli-
einen (digitale) Medienkulturen innerhalb so- beralen Vorstellung von Globalisierung, die
zialer Bewegungen und alternativer Gemein- von einem transnationalen Netzwerk von Po-
schaften untersucht, zum anderen erforscht, litikern, Wirtschaftsbossen und Wissenschaft-
wie sie durch die Kommunikationen in Ge- lern propagiert wird, steht zunehmend eine
meinschaften und Bewegungen erst geschaf- alternative, demokratische Vorstellung ge-
fen werden. 13 Im Sinne von James Carey, gençber, die auf Kooperation, Inklusion,
einem Begrçnder der amerikanischen Cultu- Transparenz und Partizipation aufbaut. 16 Ihre
ral Studies, wird Kommunikation als Kultur Anhånger kritisieren unter anderem, dass die
und Kultur als Kommunikation begriffen. 14 globale Úkonomie demokratische Institutio-
nen unterhæhle und die Macht sich in einer
10 Vgl. Dick Hebdige, Subculture. The Meaning of kleinen Anzahl von Låndern und Konzernen
Style, London-New York 1979; Chris Atton, An Al- konzentriere. Zum einen stçtzt sich die demo-
ternative Internet. Radical Media, Politics and Creati- kratische Globalisierung auf Gruppen und Be-
vity, Edinburgh 2004; Douglas Kellner, Fçr eine kriti- wegungen der Zivilgesellschaft, zum anderen
sche, multikulturelle und multiperspektivische
auf unabhångige (nichtkommerzielle) Medien-
Dimension in den Cultural Studies, in: Rainer Winter
(Hrsg.), Medienkultur, Kritik und Demokratie. Der organisationen und auf Internetwebpages.
Douglas Kellner-Reader, Kæln 2005.
11 Vgl. Ulrich Beck, Macht und Gegenmacht im glo- Ein sehr gutes Beispiel fçr alternative Me-
balen Zeitalter. Neue weltpolitische Úkonomie, dien ist die Schaffung von Independent Media
Frankfurt/M. 2002.
12 Nick Couldry, Inside Culture, Reimagining the 15 Vgl. Douglas Kellner, Neue Medien und neue

Method of Cultural Studies, London 2000. Kompetenzen. Zur Bedeutung von Bildung im 21.
13 Vgl. C. Atton (Anm. 10), S. 3 f. Jahrhundert, in: R. Winter (Anm. 10), S. 264 ff.
14 Vgl. James Carey, Communication as Culture, 16 Vgl. Jackie Smith, Social Movements for Global

London et al. 1989. Democracy, Baltimore 2008.

APuZ 39/2008 25
Center (Indymedia/IMC 17), kollektive, egali- einem weiteren Schritt kænnen die Kampag-
tåre und nicht hierarchische Netzwerke von nen dazu dienen, transnationale Koalitionen
Aktivisten und Aktivistinnen, die mittels Be- zu schmieden. Daneben sollen sie Aktivisten
richten, Fotos und Filmen die Wirklichkeits- und Aktivistinnen helfen, Fertigkeiten und
repråsentationen der dominanten Medien in Kompetenzen in der Medienproduktion und
Frage stellen, kritisieren und alternative Per- der elektronischen Kommunikation zu er-
spektiven offerieren, die der demokratischen werben und zu verfeinern. IMCs sind dem
Globalisierung verpflichtet sind. So versuchen ¹open publishingª-Prinzip verpflichtet und
sie beispielsweise æffentliche Aufmerksamkeit versuchen, autonome Online-Zonen zu
fçr die Folgen der globalen Erderwårmung zu schaffen. Sie knçpfen damit an die Tradition
gewinnen und damit Druck auf Politiker und der Fanzines und der von Jugendlichen ge-
Regierungen auszuçben. Das Internet wird zu prågten DIY-Culture (¹Do-it-yourselfª) an,
einem performativen Raum. Handlungen wer- die grçnen Radikalismus mit direkten politi-
den vollzogen, indem sie geåuûert werden. schen Aktionen, neuen musikalischen Sounds
Auf diese Weise ermæglichen digitale Techno- und Erfahrungen verband. 20 Den IMCs ge-
logien auch weniger dichten und organisierten lingt es, ein anderes, vor allem komplexeres
Netzwerken, Themen zu setzen, alternative Bild von sozialen Bewegungen als die Main-
Perspektiven zu entfalten und ihnen eigen- streammedien zu zeichnen, sie anders und
ståndige Bedeutung zu geben. differenzierter zu rahmen.

Dabei geht es vor allem darum, oft lange Die neuen sozialen Bewegungen nutzen
bestehende, chronisch gewordene Problemla- also das Internet in ihrem Netzwerk ¹aktiver
gen, Gefahren und Risiken in dringende und Beziehungenª, die auf kommunikativen
drångende Angelegenheiten zu verwandeln, sowie interaktiven Praktiken, auf Aushand-
die erledigt werden mçssen, indem sie diesen lungs- und Entscheidungsprozessen beru-
mediale Aufmerksamkeit verschaffen. Hierzu hen. 21 Darçber hinaus zielen die Praktiken
setzen soziale Bewegungen ± etwa Protester- von Indymedia auf eine Demokratisierung
eignisse wie Demonstrationen, æffentliche des Journalismus, weil jeder dazu aufgefor-
Spektakel oder Aktionen im Internet ± ein. dert wird, als Journalist tåtig zu sein und die
Kommerzielle Medien, die der Kultur des technischen Mæglichkeiten hierfçr zur Verfç-
Konsums 18 verpflichtet sind, berichten in der gung gestellt werden. Darçber hinaus werden
Regel nicht çber diese Proteste, die durchaus die Praktiken der traditionellen Journalisten
auch antikapitalistischen Charakter haben und ihre positivistischen Konzeptionen von
kænnen. 19 Der Logik des Konsums, die das Objektivitåt und Unparteilichkeit radikal in
neoliberale Netzwerk stårkt und aufrechter- Frage gestellt. Dem gegençber entwirft der
hålt, stellen die neuen sozialen Bewegungen alternative Online-Journalismus eine der Ge-
die Menschenrechte und die Demokratie ge- meinschaft verpflichtete Ethik, die parteiisch,
gençber, die universal gelten sollen. eingreifend und verbindend ist. 22 In seiner
Die Aufgabe der IMCs, deren Zentrum die sozial kontextuellen und selbstreflexiven
Webpage ist, besteht nun gerade darin, çber Orientierung stellt er den traditionellen Jour-
politischen Aktivismus und globale Kampag- nalismus auf diese Weise grundsåtzlich in
nen zu berichten. Sie verknçpfen die lokale Frage.
Arbeit mit globalen Auseinandersetzungen,
wobei der globale Kontext fçr die Wahrneh-
mung der Bewegung entscheidend ist. In
Taktische Medien und Social Software
Ein weiteres Beispiel, auf das ich eingehen
17 Indymedia liegt das Konzept eines open publishing-
mæchte und das mit der Internetnutzung in
Prinzips zugrunde, demzufolge prinzipiell alle An-
sichten, Meinungen etc. ± ggf. auch radikal vom Main- sozialen Bewegungen verknçpft ist, ist die
stream abweichende Auffassungen ± gleichwertig ne- Konzeption der taktischen Medien, die mit-
beneinander publiziert werden kænnen.
18 Vgl. Leslie Sklair, Social Movements and Global 20 Vgl. Graham Meikle, Future Active. Media Acti-

Capitalism, in: Fredric Jameson/Masao Miyoshi vism and the Internet, New York ± London 2002, S.
(Hrsg.), The Cultures of Globalization, Durham/NC 92 ff.
1998. 21 Vgl. Alberto Melucchi, Challenging Codes. Collec-
19 Vgl. Trebor Scholz, Where the Activism Is, in: M. tive Action in the Information Age, Cambridge 1996.
Boler (Anm. 5). 22 Vgl. C. Atton (Anm. 10), S. 37 ff.

26 APuZ 39/2008
tels kçnstlerischer Praktiken und ¹do it your- gen der Kanåle, mit denen sie arbeiten, zu
selfª-Medien Dissens artikulieren. 23 Im hinterfragen.ª 28
Sinne Michel de Certeaus sind Taktiken von
den Gelegenheiten abhångig, die sich in den In diesem Zusammenhang ist auch auf die
durch Strategien organisierten Råumen und Temporary Media Labs hinzuweisen, die bei
Zeiten auftun. 24 Sie zeichnen sich durch He- Kunstausstellungen wie der Documenta, aber
terogenitåt, Erfindungsgeist, Kunstfertigkeit auch in anderen Bereichen eingerichtet wer-
und das Kombinieren von Mæglichkeiten aus. den, um transnationale Kooperationen zu in-
Der Autor schreibt: ¹Im Gegensatz zu den itiieren und zu færdern sowie zu einer medi-
Strategien (. . .) bezeichne ich als Taktik ein alen Ermåchtigung der Nutzer und Nutzerin-
Handeln aus Berechnung, das durch das Feh- nen beizutragen. Sie schaffen einen Raum fçr
len von etwas Eigenem bestimmt ist (. . .) Die Experimente und Aushandlungen. Darçber
Taktik hat nur den Ort des Anderen (. . .) hinaus ermæglichen taktische Medien die Aus-
Dieser Nicht-Ort ermæglicht ihr zweifellos bildung neuer Subjektivitåten und neuer For-
die Mobilitåt ± aber immer in Abhångigkeit men der Kritik, wie die Arbeit des Critical Art
von den Zeitumstånden ±, um im Fluge die Ensemble zum elektronischen Widerstand
Mæglichkeiten zu ergreifen, die der Augen- veranschaulicht. 29 So inszenieren sie bei-
blick bietet. Sie muss wachsam die Lçcken spielsweise einen elektronischen zivilen Un-
nutzen, die sich in besonderen Situationen gehorsam oder zelebrieren die utopischen
der Ûberwachung durch die Macht der Ei- Mæglichkeiten des Plagiats im Zeitalter des In-
gentçmer auftun. Sie wildert darin und sorgt ternet.
fçr Ûberraschungenª. 25

Anders als politische Aktionen haben Tak- Internet und Fangemeinschaften


tiken deshalb nicht unbedingt eine Zukunfts-
orientierung oder einen klar identifizierbaren Weniger spektakulår als die TM-Aktivisten
Gegner. So sind sie auch nicht in der kollekti- und Aktivistinnen, aber dennoch von groûer
ven Identitåt einer sozialen Bewegung veran- Bedeutung sind die (jugendlichen) Fange-
kert. Eher stellen sie im Sinne Michel Fou- meinschaften und sozialen Welten, die sich
caults Widerstandspunkte im Feld der Macht- mittels des Internet verdichtet haben bzw.
beziehungen dar. 26 Taktische Medien (TM) erst herausbilden. Die bisherige Forschung
bringen sozial konstruierte Råume hervor, in hat gezeigt, dass Fans ± und dies gilt auch fçr
denen mittels kommunikativer Ressourcen, jugendliche Fans ± entgegen weit verbreiteter
einem Austausch von Ideen und imaginativer Vorurteile aktive und kreative Konsumenten
Kråfte zumindest temporår widerståndige und Konsumentinnen sind, die oft ihr erwor-
Diskurse und Subjektivitåten entfaltet wer- benes Wissen in eigene Produktionen von
den. Sie lassen sich auch als Kontaktzonen Texten, Filmen oder Kunstobjekten umsetzen
begreifen, wie Alessandra Renzi zeigt. 27 So mæchten. 30 So låsst sich bei Fans zwischen
kann das Zusammentreffen von Kçnstlern verschiedenen Formen von Produktivitåt un-
und Aktivisten auf einer Mailingliste zu terscheiden: zwischen semiotischer, expressi-
neuen TM-Projekten fçhren. Geert Lovink ver und textueller Produktivitåt 31
stellt fest: ¹Taktische Medien sind niemals
perfekt, immer im Entstehen begriffen, per- Eine groûe Bedeutung kommt in der Ge-
formativ und pragmatisch, involviert in genæffentlichkeit der Fans Fanzines und
einem ståndigen Prozess, die Voraussetzun- Newslettern zu, die auf der Basis textueller
Produktivitåt eine çberlokale Kommunikati-
23 Vgl. Geert Lovink, Dark Fiber. Auf den Spuren ei-
on und auch die Koordination von Fanaktivi-
ner kritischen Internetkultur, Opladen 2004. tåten bewerkstelligen. Sie werden von ¹kom-
24 Vgl. Michel de Certeau, Kunst des Handelns, Berlin petentenª Fans fçr Fans gemacht. Mit ihren
1988.
25 Ebd., S. 89. 28 G. Lovink (Anm. 23), S. 232.
26 Michel Foucault, Das Subjekt und die Macht, in: 29 Vgl. Critical Art Ensemble, Elektronischer Wider-
Hubert Dreyfus/Paul Rabinow, Michel Foucault. Jen- stand, Wien 2007.
seits von Strukturalismus und Hermeneutik, Frank- 30 Vgl. R. Winter (Anm. 3), S. 199± 211.

furt/M. 1987. 31 Vgl. John Fiske, The Cultural Economy of Fandom,


27 Vgl. Alessandra Renzi, The Space of Tactical Media, in: Lisa A. Lewis (Hrsg.), The Adoring Audience. Fan
in: M. Boler (Anm. 5), S. 77. Culture and Popular Media, London ± New York 1992.

APuZ 39/2008 27
Artikeln, die auf einem detaillierten und spezialisierten Gruppen sein, aber auch soziale Bewegungen, die fçr
Wissen beruhen, bewerten, kritisieren und feiern sie einen neuen demokratischen Raum kåmpfen, oder ås-
ihre jeweiligen Kultobjekte wie etwa Fernsehserien, thetische Gemeinschaften wie Fans. Das Beispiel der
Science-Fiction-Filme oder progressiven Rock. Dabei TM-Praktiken zeigt, dass auch neue Mæglichkeiten fçr
ist fçr Fans die Produktion und Zirkulation von neuen Akteure entstehen, sich Freiheitsråume zu erkåmpfen
und alternativen Bedeutungen mit Vergnçgen verbun- und traditionelle Vorstellungen von Copyright und
den und kann gemeinschaftsstiftend wirken. Kreativitåt in Frage zu stellen, indem sie fçr ein ¹digi-
tal commonsª, fçr eine ¹freie Kulturª, 34 kåmpfen, die
Das Ezine, die Internetausgabe des Fanzine, erleich- vor Staat und Wirtschaft geschçtzt werden muss. Es ist
tert zum einen den Zugang zu Informationen, weil deutlich geworden, dass es im Internet kreative Wider-
Fanzines nun weltweit zugånglich sind. Zum anderen standspraktiken im Sinne der Cultural Studies gibt.
werden Vergemeinschaftungen von Fans auf der Basis Deren Ausgangspunkte, Perspektiven und Ziele sind
ihres spezialisierten Interesses und ihres geteilten Wis- in der Regel aber nicht auf das Internet beschrånkt.
sens leichter mæglich. Ezines tragen so zur Reproduk-
tion und Ausdehnung von minoritåren Spezialisierun- Es scheint deshalb gerade aus soziologischer Sicht
gen und Geschmacksrichtungen bei, die von den Main- problematisch zu sein, nur den Bereich des Virtuellen
streammedien nicht oder kaum bedient werden. zu betonen und von einer Online-Vergemeinschaftung
oder von einer Online-Vergesellschaftung zu spre-
Zudem verbessert das Internet die Bedingungen fçr chen. 35 Die alternativen Praktiken im Kontext des In-
Fans, ihr angeeignetes Wissen, das auch çber ihren Sta- ternet veranschaulichen auch, dass das Internet unter-
tus in ihrer Sozialwelt bestimmt, in gemeinsame Pro- schiedlich und komplex gebraucht werden kann. Es
jekte umzusetzen. Fans schåtzen beispielsweise Enzy- gibt nicht das Internet, sondern unterschiedliche Arti-
klopådien, in die sie ihr Wissen als Liebhaber, Sammler kulationsweisen, die ihren Ursprung offline haben.
und Experten einbringen kænnen. So gibt es Webpages,
die fçr diesen Zweck entwickelt wurden. Ein gutes Die Zukunft wird zeigen, ob sich neben bereits be-
Beispiel hierfçr ist die Gibraltar Encyclopedia of Pro- stehenden Gegenæffentlichkeiten eine funktionsfåhige
gressive Rock (www.gepr.net), in der alle Eintråge von transnationale Úffentlichkeit herausbildet, an der alle
Fans geschrieben werden. Ihr erklårtes Ziel ist es, nicht Individuen und Gruppen weltweit partizipieren kæn-
nur bekannte Gruppen aufzunehmen, sondern auch nen, und welche Rolle das Internet dabei spielen
Entdeckungen in diesem Bereich zu beschreiben. Viele wird. 36 Kann es dazu beitragen, dass eine transnatio-
Kçnstler haben auch unterschiedliche Eintråge, so dass nale Úffentlichkeit entsteht, in der emanzipatorische
eine Vielfalt von Kommentaren und Kritiken zur Ver- politische Mæglichkeiten entfaltet werden und die eine
fçgung steht, mit der herkæmmliche Rock-Enzyklopå- Gegenmacht zur neoliberal organisierten Weltwirt-
dien nicht mithalten kænnen. 32 schaft darstellt? 37 Die Hoffnung auf demokratische
und soziale Transformationen im 21. Jahrhundert
Dabei ist zu beachten, dass die Fans in der Regel Au- bleibt eng mit den neuen digitalen Praktiken ver-
todidakten sind, die ihr Wissen nicht durch eine formale knçpft. Im Sinne der Cultural Studies geht es darum,
Ausbildung, sondern durch leidenschaftliches Engage- in der Gewæhnlichkeit des Alltagslebens, in seinen so-
ment und langjåhriges Interesse erworben haben. Wenn zialen und kulturellen Praktiken, diesen Verånderun-
ihr Wissen innerhalb einer Fangemeinschaft zirkuliert, gen nachzuspçren. 38
erhæht dies ihr Ansehen und ihr (populår-)kulturelles
Kapital. Im Idealfall vertiefen die Fans sich im Internet
in ein demokratisches Gespråch, in dem das Objekt
ihrer Begierde gefeiert wird. Dies war auch schon vor-
her in Fangemeinschaften mæglich, 33 aber das Internet 34 Lawrence Lessig, Freie Kultur. Wesen und Zukunft der Krea-

trågt zu einer Verbesserung und Erleichterung dieser tivitåt, Mçnchen 2006.


35 Vgl. Michael Jåckel/Manfred Mai (Hrsg.), Online-Verge-
Form von Kommunikation bei.
sellschaftung? Mediensoziologische Perspektiven auf neue Kom-
munikationstechnologien, Wiesbaden 2005.
Schlussfolgerungen 36 Vgl. Rainer Winter, Widerstand im Netz. Zur Herausbildung

einer transnationalen Úffentlichkeit durch netzbasierte Kom-


Das Internet erlaubt die Artikulation unterschiedlicher munikation, Bielefeld 2008.
37 Vgl. Nancy Fraser, Transnationalising the Public Sphere. On
alternativer Stimmen, Positionen und Perspektiven. Es
the Legitimacy and Efficacy of Public Opinion in a Post-West-
kænnen marginalisierte und minoritåre Individuen und phalian World, in: Theory, Culture & Society, 24 (2007) 4, S. 7 ±30.
38 Vgl. R. Winter (Anm. 8).
32 Vgl. C. Atton (Anm. 10), S. 149.
33 Vgl. R. Winter (Anm. 3), S. 127 ff.

28 APuZ 39/2008
Kathrin Kissau zung befragt. Im Durchschnitt nutzten 22
Prozent der Befragten tåglich das Internet,

Internetnutzung wåhrend dies 28 Prozent der deutschen Ver-


gleichsgruppe ohne Migrationshintergrund
taten. Dieses Medium spielt also auch im All-

von Migranten ± tag vieler Menschen mit Migrationshinter-


grund eine ganz selbstverståndliche und

ein Weg zur


immer wichtigere Rolle. Zugleich geben diese
Zahlen einen Hinweis darauf, dass es quanti-
tative Unterschiede im Zugang und der Nut-

Integration? zung neuer Medien zwischen verschiedenen


Bevælkerungsgruppen gibt.

Relevanz der Internetnutzung

D as Internet durchdringt viele Bereiche


des tåglichen Lebens. Inzwischen grei-
fen çber 42 Millionen Menschen in Deutsch-
Die weltweit gefçhrte Diskussion um die ¹di-
gitale Kluftª 3 låsst erkennen, welche gesell-
schaftliche Bedeutung der Internetnutzung
land auf das Medium zu. Das entspricht inzwischen zugeschrieben wird. Der Zugang
einem Verbreitungsgrad von rund 65 Prozent zum Internet ± allgemeiner: die formale Teil-
der Bevælkerung im Alter von çber 14 Jah- habe an der Informationsgesellschaft ± wird
ren. 1 Auch fçr Menschen mit Migrationshin- als zentral fçr die Chancengleichheit der Be-
tergrund hat das Internet eine zunehmende vælkerung gewertet. Zusåtzliche Relevanz hat
Bedeutung. Deshalb die Internetnutzung fçr benachteiligte Mit-
wird in der Migrati- glieder einer Gesellschaft, zu denen auch Per-
Kathrin Kissau ons- und Integrati-
Dr. phil., geb. 1979; wissen- onsforschung derzeit sonen mit Migrationshintergrund zåhlen ±
schaftliche Mitarbeiterin am In- diskutiert, wie sich insbesondere im Hinblick auf gesellschaftli-
stitut für Politikwissenschaft der die Nutzung des In- che Partizipation und politische Gleichbe-
Universität Münster, Platz der ternet durch Migran- rechtigung. Gerade fçr diese Bevælkerungs-
Weiûen Rose, 48151 Münster. tinnen und Migranten gruppe stellen zusåtzliche Informationsres-
kissau@uni-muenster.de etwa auf deren Inte- sourcen, wie sie das Internet bietet, ein ganz
besonderes Potential zur Erweiterung und
grationsprozess aus- Verbesserung ihrer Handlungsmæglichkeiten
wirkt. Kann das Internet die Integration von dar. 4
Migranten unterstçtzen oder bietet es viel-
leicht sogar neue Mæglichkeiten fçr die ge- Mein Dank gilt der Fritz-Thyssen-Stiftung fçr die Fær-
genseitige Annåherung der Zuwanderer und derung des Forschungsprojektes ¹Politisches Potential
der Bevælkerung der Aufnahmegesellschaft? des Internet. Die virtuelle Diaspora der Migranten aus
Russland und der Tçrkei in Deutschlandª. Einige Er-
gebnisse dieses Projektes werden in diesem Beitrag
Ungeachtet dieser aktuellen Fragen gibt es dargestellt.
nach wie vor nur wenige Informationen dar- 1 Vgl. Initiative D21, (N)Onliner Atlas, Eine Topo-
çber, auf welche Art und Weise Personen mit graphie des digitalen Grabens durch Deutschland, in:
Migrationshintergrund in Deutschland das http://www.initiatived21.de/fileadmin/files/08_NOA/
Internet nutzen. Erstmals wurde im Frçhjahr NONLINER 2008.pdf (28. 6. 2008).
2 Vgl. ARD/ZDF, Migranten und Medien, Ergebnisse
2007 im Auftrag von ARD und ZDF eine re-
einer repråsentativen Studie der ARD/ZDF-Medien-
pråsentative Erhebung 2 der Medien- und In-
kommission, in: www.unternehmen.zdf. de/fileadmin/
ternetnutzung von Migranten durchgefçhrt. files/Download_Dokumente/DD_Das_ZDF/Veranst
Zuvor war in anderen Studien zur Internet- altungsdokumente/ Migranten_und_Medien_ 2007_
nutzung diese Bevælkerungsgruppe çber- -_Handout_neu.pdf (25. 6. 2008).
3 Zur Diskussion siehe auch: BpB-Spezial, UN-Welt-
haupt nicht thematisiert worden.
gipfel zur Informationsgesellschaft, in: http://www.
bpb.de/themen/F54CBN,0,0,UNWeltgipfel_zur_Inf
Rund 3000 Personen mit tçrkischem, italie- ormationsgesellschaft.html (25. 6. 2008).
nischem, polnischem und griechischem Mi- 4 Vgl. William Loges/Joo-Young Jung 2001, Explo-
grationshintergrund sowie Spåtaussiedler ab ring the Digital Divide. Internet Connectedness and
14 Jahren wurden dabei zu ihrer Mediennut- Age. in: Communication Research, 28 (2001) 4, S. 536.

APuZ 39/2008 29
Untersuchungen weisen auch fçr die Bun- Ereignisse, Innovationen oder auch çber ge-
desrepublik auf die Existenz einer ethnischen sellschaftliche Werte bereit. 8 Wird dieses An-
digitalen Spaltung hin: ¹Die oft zitierte ,digi- gebot genutzt, kann es Lernprozesse in Gang
tale Spaltung` verlåuft auch entlang ethni- setzen und so zu einem Vehikel fçr die aktive
scher Grenzen, denn Benachteiligungen im Gestaltung des eigenen Lebens oder auch zur
Zugang zu Medien und in der Mæglichkeit gegenseitigen Hilfe werden. 9 Die anfångliche
zum Medienkompetenzerwerb sind Folgen Abhångigkeit der Migranten in Bezug auf In-
sozialer Benachteiligungen.ª 5 Die mæglichen formationen çber die Gegebenheiten der
Konsequenzen der Nicht-Nutzung des Inter- Aufnahmegesellschaft von Behærden oder
net durch Migranten in einer Gesellschaft, in Bekannten sowie fehlende Sprachkenntnisse
der sich Informationsangebote, ganze Wirt- lassen bei diesen mitunter Gefçhle der Hilflo-
schaftszweige, bçrokratische Verfahren und sigkeit oder Fremdbestimmtheit entstehen. 10
zwischenmenschliche Kontakte zunehmend
ins Internet verlagern, sind absehbar. Je zen- Das Internet kann fçr Migranten ein Ins-
traler Internetkompetenzen fçr die Arbeits- trument darstellen, dieser Situation zu ent-
welt, fçr Bildung sowie fçr politische Teilha- kommen und selbstbestimmte Entscheidun-
be werden, umso græûer und offensichtlicher gen auf Basis eigener Recherchen zu treffen.
werden die Nachteile, die Nichtnutzer des
So kænnen etwa im Internet bereitgestellte,
Internet erleiden kænnten. Einer aktuellen
auch mehrsprachige Informationen sehr hilf-
Studie der Autorin zu Folge sind die gesell-
reich sein. Dieses Empowerment macht Mi-
schaftliche Bedeutung und die Vorteile, die
granten zu gleichberechtigteren Mitgliedern
man durch die Nutzung des Internet in
der Gesellschaft und fçhrt dabei gleichzeitig
Deutschland hat, Nichtnutzern mit Migrati-
onshintergrund zwar durchaus bekannt, aber zu einer Entlastung der staatlichen und sozia-
fehlende Kompetenzen und zu hohe Kosten len Beratungsstellen. 11
fçr die Technik sowie den Internetzugang
sind entscheidende Faktoren fçr die Nicht- Eine Umfrage des Instituts fçr Politikwis-
teilhabe an dieser gesellschaftlichen Sphåre. 6 senschaft der Universitåt Mçnster zur Inter-
An dieser Stelle setzen erst wenige Projekte netnutzung von Migranten aus der Tçrkei
an, die etwa Sprach- und Computerschulun- und Russland in Deutschland belegt, dass
gen oder Integrationskurse mit der Vermitt- eine diesem Potential entsprechende Informa-
lung von Internetkompetenz verbinden. 7 tionssuche sowie -bereitstellung das zentrale
Motiv der Internetnutzung von Migranten
Nicht nur der Zugang zum Internet, son- ist. 12 Migranten aus der ehemaligen Sowjet-
dern auch die Art und Weise der Nutzung ist
entscheidend, wenn es um gesellschaftliche 8 Vgl. Klaus Kamps, Individualisierung und Integra-
Teilhabe geht. Deshalb werden im Folgenden tion durch das Netz? in: Uwe Hasebrink/Patrick
einige Nutzungsformen und -inhalte darge- Ræssler (Hrsg.), Publikumsbindungen, Mçnchen 1999,
stellt, die fçr die Integration von Nutzern mit S. 31.
Migrationshintergrund von besonderer Be- 9 Vgl. Nicola Dæring, Lernen und Lehren im Netz, in:

deutung sind. http://paedpsych.jk.uni-linz.ac.at/PAEDPSYCH/NE


TLEHRE/NETLEHRELITORD/Doering.html
(22. 6. 2008).
Integration durch das Internet 10 Vgl. Martin Seligman, Erlernte Hilflosigkeit, Wein-

heim 1992.
11 Vgl. Ines Michalowski, Ins richtige Netzwerk ge-
Information: Wie kein anderes Massenme-
lotst: Lokale Vernetzung zwischen Einwanderern und
dium zuvor stellt das Internet vielfåltige und Einheimischen: Das Konzept der Stadt Mçnster vor
umfangreiche Informationen çber aktuelle dem Hintergrund der europåischen Integrations-
diskussion, in: Karin Weiss/Dietrich Thrånhardt
5 Ministerium fçr Gesundheit, Soziales, Frauen und (Hrsg.), Selbsthilfe. Wie Migranten Netzwerke knçp-
Familie des Landes NRW, Zuwanderung und Integra- fen und soziales Kapital schaffen, Freiburg 2005,
tion in NRW, in: http://www.mgffi. nrw.de/pdf/inte S. 204.
gration/zuwanderung- integration.pdf (25. 6. 2008). 12 Vgl. Kathrin Kissau, Politische Internetnutzung
6 Vgl. Kathrin Kissau, Das Integrationspotential des von Migranten aus der ehemaligen Sowjetunion. In:
Internet fçr Migranten, Wiesbaden 2008, S. 156. Uwe Hunger/dies. (Hrsg.), PPI-Working Paper, (2007)
7 Vgl. Initiative D21, E-Integration. IT-Roadmap zur 5, in: http://ppi.uni-muenster.de/Mate rialien/work
gesellschaftlichen Integration, in http://www.initiati ingpaper_5.pdf (25. 6. 2008). Weitere Informationen
ved21.de/fileadmin/files/07_E-Integration_IT-Road zum Forschungsprojekt ¹Politisches Potential des In-
map/IT-Roadmap_ FINAL.pdf (28. 6. 2008). ternet. Die virtuelle Diaspora der Migranten aus Russ-

30 APuZ 39/2008
union besuchen im Internet insbesondere Sei- Fçr Migranten haben diese Kommunikationsformen
ten, die lokale Informationsangebote bereit- unverkennbare Vorteile, insbesondere, wenn die
stellen, Mitteilungsseiten von Behærden, Rat- Deutschkenntnisse noch nicht gefestigt sind.
geberseiten zur Arbeitsplatzsuche sowie In-
formationssammlungen çber deutsche Erstens sind aufgrund der mæglichen asynchronen,
Traditionen und Lebensweisen. Gleichzeitig nicht zeitgleichen Interaktion im Internet die Hem-
wird das Internet auch dazu genutzt, um sich mungen geringer, in der Fremdsprache Deutsch zu
çber Geschehnisse im Herkunftsland und in kommunizieren. Die Kommunikationsmæglichkeiten
Deutschland zu informieren, woran die Mi- çber das Internet kænnen folglich auch dazu genutzt
granten gleichermaûen interessiert sind. 13 werden, die deutsche Sprachkompetenz zu trainieren
und zu verbessern. Den tatsåchlichen Erfolg dieser In-
Das Internet bietet aber auch der Bevælke- ternetnutzungsweisen beståtigten kçrzlich Migranten
rung der Aufnahmegesellschaft gute Mæglich- aus der ehemaligen Sowjetunion in einer Befragung. 16
keiten, sich çber die Herkunft, Sitten und
Gebråuche der Zuwanderer zu informieren. Zweitens erleichtern und beschleunigen die zusåtzli-
Wechselseitiges Wissen çber Kultur und Ge- chen Kommunikationswege çber das Internet die Auf-
schichte kann dazu beitragen, soziale Distanz nahme neuer sozialer Kontakte. Jugendliche Migran-
abzubauen und damit den Intergrationspro- ten in Israel nahmen, wie beobachtet werden konnte,
zess zu færdern. 14 Die informationsgeleitete etwa in Chats schneller Kontakte zu einheimischen Ju-
Nutzung des Internet hat also insofern einen gendlichen auf als in einem realen Umfeld. 17 Dabei
positiven Nebeneffekt, als sie zur Erweite- spielen die (mægliche) Anonymitåt im Internet sowie
rung des gemeinsamen Wissensbestands aller die geringeren sozialen Sanktionsmæglichkeiten eine
Nutzer çber die Verhaltensweisen und Werte wichtige Rolle. 18 So kænnen etwa der æffentlichen
beider Seiten fçhrt. Meinung widersprechende Ansichten freier geåuûert
werden, ist doch hier (anders als auûerhalb des Inter-
Kommunikation: Neben der Information net) die Gefahr der gesellschaftlichen Ausgrenzung
sind die mediale sowie die persænliche Kom- weit geringer. Dieser durch das Internet unterstçtzte
munikation entscheidend fçr die Anpassung Aufbau eines neuen sozialen Netzes sowohl zu ande-
von Migranten an die neue Umgebung im ren Migranten als auch zu Deutschen ist fçr Migranten
Aufnahmeland. 15 Das Internet bietet hierfçr von groûer Bedeutung: Das Internet ist fçr sie eine
vielfåltige Mæglichkeiten: Durch das auf den wichtige Ressource fçr praktische Informationen çber
Seiten von Online-Zeitschriften, privaten In- ihr neues Lebensumfeld; zugleich bietet es emotionale
itiativen oder æffentlichen Stellen dargebote- Unterstçtzung. 19 Dies beståtigt jçngst eine Untersu-
ne Wissen und die Thematisierung von aktu- chung der Autorin, wonach zwei Drittel der befragten
ellen Ereignissen schafft es eine gemeinsame Migranten aus der ehemaligen Sowjetunion angaben,
Basis fçr Gespråche und den Austausch mit das Internet habe ihre Handlungsfåhigkeit und ihr Ver-
anderen Bçrgerinnen und Bçrgern (im Sinne ståndnis fçr andere Kulturen erhæht. 20
von Anschlusskommunikation). Darçber
hinaus bietet das Internet neuartige Formen Drittens ermæglichen die neuen Kommunikationsfor-
direkter Kommunikation mit anderen Nutz- men im Internet auch die Beibehaltung und Pflege von
ern etwa per E-Mail, Chat, in Weblogs oder Beziehungen zu weit entfernt lebenden Personen oder
Foren. Familienangehærigen im Herkunftsland. Dabei nutzen

land und der Tçrkei in Deutschlandª unter http:// 16 Vgl. K. Kissau (Anm. 6).
ppi.uni-muenster.de 17 Vgl. Nelly Elias/Dafna Lemish, When all else fails: The Inter-
13 Vgl. K. Kissau (Anm. 6). net and adolescent-immigrants informal learning, in: http://www.
14 Vgl. Hartmut Esser, Assimilation, Integration und dream.dk/uploads/files/Elias%20Nelly%20-%20Dafna%20Lem
ethnische Konflikte. Kænnen sie durch ¹Kom- ish.pdf (25. 6. 2008).
munikationª beeinfluût werden?, in: Heribert Schatz/ 18 Vgl. Kathrin Kissau/Uwe Hunger, The Internet as a means of

Christina Holtz-Bacha/Jærg-Uwe Nieland (Hrsg.), studying Transnationalism and Diaspora?, Paper pråsentiert auf
Migranten und Medien. Neue Herausforderungen an der IMISCOE Konferenz ¹Diaspora and Transnationalism ±
die Integrationsfunktion von Presse und Rundfunk, Conceptual, Theoretical and Methodological Challengesª, 10 ±11.
Opladen 2000, S. 30. April 2008.
15 Vgl. Young Yun Kim, Adapting to an Unfamiliar 19 Vgl. Anabel Quan-Haase/Barry Wellman, How does the In-

Culture. An Interdisciplinary Overview, in: William ternet Affect Social Capital? in: http://www.chass.utoronto.ca/
Gudykunst/Bella Mody (Hrsg.), Handbook of Inter- ~wellman/publicationsinternetsocialcapital/Net_SC-09.PDF.
national and Intercultural Communication, Thousand (26. 6. 2008).
Oaks/CA 2002, S. 260. 20 Vgl. K. Kissau (Anm. 6).

APuZ 39/2008 31
Migranten meist ihre Muttersprache, um diese nicht zu en. Sie haben die Mæglichkeit, sich ebenso
verlernen und so den Bezug zur eigenen Herkunftskul- wie Bçrgerinnen und Bçrger deutscher
tur aufrecht zu halten. Aus Basis solcher Kontakte bil- Staatsangehærigkeit an Abstimmungsverfah-
den sich oftmals Online-Gemeinschaften, die von Mi- ren und Unterschriftensammlungen zu betei-
granten als eine Form virtueller Heimat im Netz erlebt ligen, oder sie kænnen E-Mails an Politiker
werden. 21 Die Zugehærigkeit zu einer solchen Ge- zu schreiben. Internetnutzer mit tçrkischem
meinschaft kann ebenfalls Sicherheit bieten und dazu oder russischem Migrationshintergrund neh-
beitragen, die Migrationserfahrung erfolgreich zu ver- men die beschriebenen Mæglichkeiten zuneh-
arbeiten. mend wahr. Interessant ist, dass sich tçrkisch-
ståmmige Internetnutzer engagierter an Peti-
tionen, Online-Demonstrationen oder
Befragungen von Migranten in Deutschland haben virtuellen politischen Veranstaltungen beteili-
gezeigt, dass sie das Internet eher dazu nutzen, Bezie- gen als andere Gruppen. 25 Gleichwohl gaben
hungen zu anderen Migranten zu pflegen oder aufzu- auch çber 60 Prozent der befragten Migran-
bauen als Kontakt zu Deutschen aufzunehmen, wobei ten aus der ehemaligen Sowjetunion an, das
es Unterschiede zwischen verschiedenen Migranten- Internet trage bei ihnen dazu bei, am æffentli-
gruppen gibt: Tçrkischståmmige Nutzer haben im Ver- chen Leben in Deutschland zu teilzuneh-
gleich zu Nutzern aus Russland håufiger Kontakt zu men. 26
Deutschen und nutzen auch das Internet eher in deut-
scher Sprache. 22 Diese Unterschiede verdeutlichen, Ein Teil der Migranten greift auch auf diese
dass die Internetnutzung individuell, situations- und Partizipationsformen zurçck, um sich an po-
interessenabhångig ist und nicht von einer homogenen litischen Prozessen in ihren Herkunftslån-
Nutzungsweise des Internet durch Migranten ausge- dern zu beteiligen ± ein Engagement, das bei-
gangen werden sollte. Darçber hinaus ist zu bedenken, spielsweise insbesondere bei kurdischen Mi-
dass es fçr interethnische Kontakte auch der Bereit- granten zu beobachten ist, wåhrend die
schaft und des Interesses von deutschen Nutzern im politischen Aktivitåten anderer tçrkeiståm-
Sinne aktiver Akzeptanz bedarf, um solche Kommuni- miger Nutzer vorrangig auf Deutschland aus-
kationsgelegenheiten fçr Migranten zu schaffen. 23 gerichtet sind. 27

Gesellschaftliche Partizipation: Im Internet sind ± Insgesamt kann das Internet dazu dienen,
neben der eher ¹einfachenª Nutzung von Informatio- gesellschaftlichen Gruppen, deren Mæglich-
nen oder der Kommunikation mit Bekannten ± auch keiten der Interessendurchsetzung aufgrund
oder gerade die aktive Teilhabe und ein æffentliches eingeschrånkter politischer Rechte oder gerin-
Engagement mæglich. So veråndert das Internet die ger gesellschaftlicher Selbstorganisation an-
Partizipationsmæglichkeiten von Migranten dahinge- sonsten eher gering sind, Teilhabechancen zu
hend, dass die bislang unzureichende Repråsentation bieten. Solche Partizipationsmæglichkeiten
ihrer Interessen in der deutschen Úffentlichkeit durch wirken integrierend, tragen sie doch dazu bei,
direkte, interaktive Formen der Einflussnahme ergånzt dass ¹politische Entscheidungstråger Positio-
werden kann. 24 Online kænnen Migranten ihre An- nen, Ansprçche und Interessenlagen inner-
sichten nun einem potentiellen Massenpublikum zur halb der Bçrgerschaft als solche erkennen und
Kenntnis bringen, sich Initiativen anschlieûen oder bei der Herstellung allgemeiner Verbindlich-
Netzwerke zur Durchsetzung ihre Interessen aufbau- keiten berçcksichtigenª. 28

21 Vgl. Nelly Elias/Marina Zeltser-Shorer, Russian Diaspora On- In gewisser Hinsicht befærdert das Internet
Line 2006, A Virtual Community of Immigrants from the former auf diese Weise auch die Mobilisierung der
Soviet Union on the www, in: Internet-Zeitschrift fçr Kultur- Nutzer mit Migrationshintergrund. Denn in
wissenschaften, 16, in: http://www.inst.at/trans/16Nr/04_2/elias
16.htm (25. 6. 2008).
22 Vgl. K. Kissau/U. Hunger (Anm. 18). 25 Vgl. K. Kissau/U. Hunger (Anm. 18) sowie K. Kis-
23 Vgl. Rainer Geiûler, Interkulturelle Integration von Migranten sau (Anm. 6).
± ein humaner Mittelweg zwischen Assimilation und Segregation, 26 Vgl. K. Kissau (Anm. 6).

in: Rainer Geiûler/Horst Pættker (Hrsg.), Massenmedien und die 27 Vgl. Kathrin Kissau, Zugang zur politischen Úf-

Integration ethnischer Minderheiten in Deutschland, Bielefeld fentlichkeit finden Deutschtçrken (nur) im Internet.
2005, S. 65. Ergebnisse einer Onlinebefragung, in: Uwe Hunger/
24 Vgl. Vikas Nath, Empowerment and Governance through In- Kathrin Kissau (Hrsg.), PPI-Working Paper (2007) 9,
formation and Communication Technologies: Women's Per- in: http://ppi.uni-muenster.de/Materialien/workingpa
spective, in: International Information & Library Review, (2001) per_9.pdf (28. 6. 2008).
33, S. 329. 28 K. Kamps (Anm. 8).

32 APuZ 39/2008
dem Maûe, in dem durch das Internet der Kommunikationsprozess statt. Das heiût,
Aufwand fçr gesellschaftliche Teilhabe ¹im dass Menschen mit Migrationshintergrund
wirklichen Lebenª abnimmt und die Chan- durch die Nutzung des Internet an gesell-
cen, tatsåchlich Einfluss nehmen zu kænnen schaftlichen Prozessen teilhaben kænnen, die
steigen, wåchst sicher auch die Bereitschaft vielfach online stattfinden. Da Online- und
zur politischen Teilhabe und zum gesell- Offline-Welten miteinander verbunden sind,
schaftlichen Engagement. So gab etwa jeder wirkt sich die gesellschaftliche Teilhabe im
zweite tçrkischståmmige Nutzer an, dass er/ Internet auch auf das Leben auûerhalb dieses
sie sich viel mehr mit politischen Themen so- Mediums aus.
wohl in Deutschland als auch in der Tçrkei
beschåftigt, seitdem er/sie das Internet Im Internet wird durch den individuellen
nutzt. 29 Austausch der Nutzer und die Vernetzung
der Angebote ein gesellschaftliches Netzwerk
Online-Offline: Schlieûlich stellt sich die geschaffen, das eine integrierende Kraft be-
Frage, wie sich das virtuelle Leben in den All- sitzt. Aus diesem Grund ist die individuali-
tag der Migranten auûerhalb des Internet ein- sierte Alltagsgestaltung und Internetnutzung
fçgt. Aufgrund der Øhnlichkeit des sozialen des Einzelnen auch keine Gefahr fçr die ge-
Raums im Internet mit dem des realen Lebens sellschaftliche Integration, und fçhrt auch
wird davon ausgegangen, dass virtuelle und nicht zu einer sozialen Fragmentierung. Viel-
reale Råume miteinander verbunden sind: So- mehr veråndern sich die grundsåtzlichen
ziale Kontakte im Internet werden håufig Strukturprinzipien von gesellschaftlicher In-
durch reale Begegnungen ergånzt ± und um- tegration in feste, abgrenzbare Gruppen hin
gekehrt. 30 Welche Auswirkungen diese Inter- zu einer Integration in flexible Netzwerke. 31
dependenz von Online- und Offline-Sphåren Diese Form der Integration ist jedoch nicht
auf die langfristige, dauerhafte Kontaktpflege stabil und dauerhaft; sie muss durch den Aus-
zu Freunden und Verwandten der Migranten tausch der Nutzer mit anderen aktiv immer
in den Herkunftslåndern hat, wird sich erst in wieder aufrechterhalten werden. 32
den nåchsten Jahren zeigen.
Das Internet spielt insgesamt fçr die Inte-
Insgesamt erweitert und veråndert das In- gration von Migranten eine wichtige Rolle,
ternet schon heute das reale Lebensumfeld indem es diese Gesellschaftsmitglieder çber
von Migranten. Im Internet gesammelte Er- die im Internet mæglichen Prozesse der Infor-
fahrungen, gefundene Informationen, erwor- mation, Kommunikation und Partizipation in
bene Sprachkenntnisse oder geknçpfte soziale die Informationsgesellschaft Deutschland
Kontakte beeinflussen das Leben der Migran- einbindet. Der Zusammenhang zwischen On-
ten auch auûerhalb dieser virtuellen Sphåre. line-Prozessen und gesellschaftlicher Inte-
gration wurde von der Autorin im ¹Triavis-
Integration Modellª beschrieben, wonach Information,
Kommunikation und Partizipation erfolg-
In welchem Zusammenhang steht nun die be- reich zur Integration fçhren. 33 Wer demnach
schriebene Nutzung des Internet durch Per- durch die Nutzung des Internet Teil eines vir-
sonen mit Migrationshintergrund zu ihrer In- tuellen Netzwerkes wird, hat erweiterte
tegration in Deutschland? Mæglichkeiten, sich Informationen zu be-
schaffen, mit anderen Mitgliedern der Gesell-
In Informations- oder Mediengesellschaf- schaft in Kontakt zu treten und sich mit
ten findet Integration formal çber die Einbin- ihnen zusammenzuschlieûen und zu organi-
dung in den medialen Informations- und sieren. Insgesamt fçhrt das Internet auf diese
Weise zu einer Erweiterung der integrativen
29 Vgl. Kathrin Kissau, Politische Internetnutzung

von Migranten aus der ehemaligen Sowjetunion, in:


Uwe Hunger/ Kathrin Kissau (Hrsg.), PPI-Working 31 Vgl. A. Quan-Haase/B. Wellman (Anm. 19).
(2007) 5, in: http://ppi.uni-muenster. de/Materialien/ 32 Vgl. Friedrich Krotz, Die Mediatisierung von All-
workingpaper_ 5.pdf (24. 6. 2008). tag und sozialen Beziehungen und die Formen sozialer
30 Vgl. Keith Hampton, Living the Wired Life in the Integration, in: Kurt Imhof/Otfried Jarren/Roger
wired Suburb: Netville, Glocalization and civil society. Blum (Hrsg.), Integration und Medien, Wiesbaden
Toronto 2001, in: http://www. mysocialnetwork.net/ 2002, S. 197.
downloads/ khampton01.pdf (22. 6. 2008). 33 Vgl. K. Kissau (Anm. 6).

APuZ 39/2008 33
Interaktionsmæglichkeiten fçr Migranten und Uwe Buermann
Mehrheitsgesellschaft.

Abschlieûend soll noch einmal auf die fest-


gestellte vorrangige Nutzung des Internet
Kinder und
durch Migranten zur Kontaktaufnahme zum
Herkunftsland und zu anderen Migranten
sowie auf die Nutzung des Internet in der
Jugendliche zwi-
Muttersprache eingegangen werden. In einer
von der Globalisierung, den neuen Medien
und preisgçnstigen Reisemæglichkeiten ge-
schen Virtualitåt
prågten Gesellschaft erscheint ein Integrati-
onsverståndnis angemessen, das die zuneh-
mende transnationale Vernetzung sowie die
und Realitåt
langfristige Beibehaltung von persænlichen
Beziehungen zur Herkunftskultur der Mi-
granten positiv und nicht als integrationshin-
derlich bewertet . 34 V iele Kinder, mehr noch Jugendliche, sind
heute mit einem Mobiltelefon und
einem Computer ausgestattet; viele verbrin-
Von einer vollståndigen Hinwendung zum gen tåglich bis zu mehrere Stunden vor dem
Aufnahmeland bei gleichzeitiger Abwendung Bildschirm: im Internet. Da die Welt, in der
vom Herkunftsland kann nicht mehr ausge- wir leben, uns prågt,
gangen werden. Mehrfache nationale Zuge- hat auch der Aufent- Uwe Buermann
hærigkeiten von Menschen mit bi-kulturellen halt in den virtuellen geb. 1968;
Identitåten sowie transnationalen Lebenssti- Lebensråumen Aus- Lehrer für Computerkunde
len, wie sie heute oftmals anzutreffen sind, wirkungen auf die an der Waldorfschule Kiel;
verweisen auf differenzierte Integrationspro- Menschen, die sich in Dozent an den Lehrerseminaren
zesse. Die Nutzung des Internet durch Mi- ihnen bewegen. Dies in Hamburg und Kiel;
grantinnen und Migranten besitzt so das Po- gilt insbesondere fçr Wissenschaftlicher Mitarbeiter
tential, ihre Integration im Aufnahmeland zu Heranwachsende. Und bei IPSUM
færdern und gleichzeitig die Kontakte zum je jçnger diese sind, (Institut für Pädagogik,
Herkunftsland weiter zu pflegen, ohne dass umso weniger reale Sinnes- und Medienökologie).
diese doppelte Orientierung ihre Integration Lebenserfahrung be- UweBuermann@T-Online.de
in beide Gesellschaften behindern wçrde. sitzen sie, mit der sie
Vielmehr stellt die virtuelle Sphåre des Inter- die virtuellen Erfahrungen abgleichen kænn-
net einen Raum dar, innerhalb dessen diese ten.
zweifachen Interessensrichtungen und Identi-
tåten ausgehandelt und ausgelebt werden Viele Kinder und Jugendliche kænnen sich
kænnen. ein Leben ohne Internet und Mobiltelefon
nicht mehr vorstellen: Die virtuelle Welt stellt
nicht nur eine Ergånzung zu ihren Erfah-
rungswelten dar, sondern ist långst ein fester
Bestandteil ihres Lebens geworden. Bevor ich
anhand konkreter Beispiele auf Chancen und
Gefahren schauen werde, mæchte ich zu-
nåchst skizzieren, wann und wie die virtuel-
len Welten die Kinderzimmer eroberten.

Wie die virtuellen Welten


zu den Kindern kamen
34 Vgl. Nina Glick Schiller et al., Pathways of Migrant

Incorporation in Germany, in: Transit, 1 (2005) 1, in: Der Einzug der Computertechnik in die Pri-
http://repositories.cdlib.org/cgi/viewcontent.cgi?art
vathaushalte erfolgte von Anfang an çber die
icle=1010&context= ucbgerman/transit (16. 7. 2008).
Jugendlichen und Kinder. Ende der 1970er
Jahre kamen die ersten Spielekonsolen auf

34 APuZ 39/2008
den Markt, die es denjenigen, die sich diese allem daran, dass es nur Textinformationen
neue Technik leisten konnten, mæglich mach- gab. Erst die Erfindung des http 1-Protokolls
ten, am heimischen Fernseher Computer- und der Programmiersprache html 2 durch
spiele zu spielen. Auch oder gerade weil die Tim Berners-Lee im Jahre 1993 fçhrte zum
Spiele in ihrer Gestaltung und Steuerung sehr Durchbruch. In Kombination mit einem ent-
einfach waren, konnten sie viele Menschen sprechenden Programm, dem so genannten
begeistern. Das Spiel ¹Pongª, bei dem der Browser, war es nun mæglich, die Seiten im
Spieler mit Hilfe eines Drehknopfes einen Internet grafisch zu gestalten und Bilder und
horizontalen weiûen Balken auf schwarzem andere Dateien einzubinden.
Grund rauf und runter bewegte und verhin-
dern musste, dass ein quadratischer ¹Ballª Parallel zu dieser bahnbrechenden Erfin-
aus dem Bildschirm flog, schaffte es 1978 dung wurden die Telefonnetze entsprechend
sogar zu einer eigenen, von Thomas Gott- ausgebaut. Auf diese Weise konnten bzw.
schalk moderierten Fernsehshow. Dieser kænnen immer græûere Datenmengen in an-
Umstand war nicht nur Ausdruck des Erfol- nehmbarer Zeit çber das Internet çbertragen
ges dieses Spielklassikers, sondern auch eine werden. Solange die Gebçhren fçr die Nut-
mehr oder weniger ungewollte Werbesen- zung des Internets minutenweise abgerechnet
dung fçr die Computerspiele. wurden, achtete man in vielen Familien dar-
auf, dass die Kinder und Jugendlichen sich
Ein wesentlicher Faktor fçr die Begeiste- nicht zu lange im Internet aufhalten. Seit es
rung der Menschen war, dass sie nun nicht die so genannten Breitbandzugånge (DSL) in
mehr nur passiv vor dem Fernseher saûen, Kombination mit ¹Flatrateª-Tarifen 3 gibt,
sondern mit diesem Geråt interagieren konn- hat sich diese Situation grundlegend geåndert.
ten. Da es sich um Spiele handelt, deren Re-
geln kinderleicht waren und der Fernseher in Ûber einen DSL-Anschluss kænnen mehre-
dieser Zeit bereits ein fester Bestandteil des re Computer mit dem Internet verbunden
Familienlebens war, durften selbstverstånd- werden, so dass es in vielen Familien nicht
lich auch die Kinder mit diesen Geråten han- mehr nur einen Computer mit Internetzu-
tieren. So ist es nicht verwunderlich, dass die gang gibt, sondern jeder Computer im Haus-
ersten Desktop Computer, die nach dem Per- halt Zugang zum Internet hat. Dieser steht
sonal Computer (PC) von IBM 1980 auf den allen Nutzern permanent zur Verfçgung, und
Markt kamen, sich auch eher an ein jugendli- da keine zeitbezogene Abrechnung mehr er-
ches Publikum wandten. Dies waren der C64 folgt, kann zunåchst auch nicht festgestellt
von Commodore und der AtariSt von Atari. werden, wer sich wie lange im Internet auf-
Beide Geråte waren hauptsåchlich als Spiele- hålt und was er dort ¹unternimmtª. Durch
computer ausgelegt; dessen ungeachtet gab es diese technische Entwicklung haben seit
natçrlich auch Anwendungsprogramme, so Ende der 1990er Jahre immer mehr Kinder
dass auch eine anspruchsvolle Arbeit mit und Jugendlichen, einen mehr oder weniger
ihnen mæglich war. unkontrollierten Zugang zum Internet erhal-
ten. Hinzu kommt, dass von unterschiedli-
Im Gegensatz zum AtariSt, der schon eine chen Seiten und damit aus unterschiedlichen
grafische Oberflåche besaû, setzte die Nut- Motiven Angebote im Internet geschaffen
zung des C64 gewisse Grundkenntnisse in wurden, die sich speziell an Kinder und Ju-
der Programmiersprache BASIC und ein gendliche richten.
Grundverståndnis fçr die Funktionsweise des
Computers voraus. Der Nachfolger des C64,
der Amiga500, war dann ebenfalls mit einer
grafischen Oberflåche ausgestattet, was den 1 http = Hyper text transfer protokoll. Dieses Pro-
Umgang mit ihm erheblich vereinfachte. tokoll regelt den Austausch von Daten im Internet
zwischen allen angeschlossenen Computern.
Die Vorlåufer des heutigen Internets, etwa 2 html = Hyper text markup language. Mit Hilfe die-

das BTX-Angebot der deutschen Post (Bild- ser Programmiersprache werden die Daten so aufbe-
reitet, das sie von jedem Computer, unabhångig von
schirmtext), waren fçr die meisten Anwender
seinem Betriebssystem, empfangen und durch den
von geringem Interesse. Das lag nicht nur entsprechenden Browser dargestellt werden kænnen.
daran, dass die Steuerung mçhsam und der 3 Unbeschrånkte Nutzung bei gleichbleibender mo-

Seitenaufbau langsam waren, sondern vor natlicher Grundgebçhr.

APuZ 39/2008 35
Die Bedeutung der Lebensråume heitliche Erlebnisse, da alle Sinnesbereiche im
passenden Kontext angesprochen werden.
fçr die Entwicklung der Kinder Wenn wir ein Tier im Wald beobachten,
haben wir nicht nur einen optischen Ein-
Die Neurobiologie hat in den vergangenen druck, sondern wir riechen und schmecken
Jahren erstaunliche Fortschritte gemacht und die gleiche Luft, wir erleben die gleiche Tem-
interessante Erkenntnisse zu Tage gefærdert. peratur, wir hæren die gleichen Geråusche,
Viele der immer noch landlåufig verbreiteten die auch das Tier wahrnimmt. Schauen wir
Vorstellungen sind långst çberholt, und die uns dagegen einen Tierfilm an, ist dies
gewonnenen Erkenntnisse haben nicht nur zwangslåufig nicht gegeben. Wir sehen zwar
Bedeutung fçr Neurobiologen und Ørzte, das Tier, und wenn wir Glçck haben, hæren
sondern sollten auch pådagogische Konse- wir auch die Geråusche seiner Umgebung,
quenzen nach sich ziehen. Es kann an dieser aber hinzu kommen die Geråusche unserer
Stelle natçrlich nicht darum gehen, alle realen Umgebung und eventuell auch noch
Aspekte der Forschung zusammenzufassen, eine musikalische Untermalung. Wir spçren
aber einiges muss doch hier skizzenhaft zur die Wårme in unserem Zimmer, nehmen un-
Darstellung kommen, weil es fçr unser seren gewohnten Geruch war. Noch deutli-
Thema wichtig ist. cher wird es in Bezug auf die Bewegung.
Wenn wir auf einem Fest sind, auf dem wir
Das Gehirn ist in seiner Bildung und Ent- uns mit verschiedenen Menschen unterhalten,
wicklung nur zu einem sehr geringen Pro- befinden wir uns jeweils im gleichen Kontext
zentsatz durch Vererbung bestimmt, aus- mit den Personen, mit denen wir sprechen.
schlaggebend sind die Lebensbedingungen, Mæchten wir uns in einer solchen Situation in
unter denen ein Mensch heranwåchst. Maû- Ruhe mit jemandem unterhalten, werden wir
geblich fçr die Entwicklung sind vor allem den Trubel verlassen und ein ruhiges Plåtzen
die Bedingungen in der Kindheit und wåh- aufsuchen, sei es einen Nebenraum oder eine
rend des Jugendalters. Bei der Geburt des Terrasse. In jedem Fall teilen wir nicht nur
Menschen sind alle Nervenzellen im Gehirn die Gedanken und Gefçhle miteinander, son-
vorhanden; in den ersten drei Lebensjahren dern auch die Sinneseindrçcke der Umge-
kommt es zu einem wild wuchernden Wachs- bung.
tum der Synapsen und deren Verknçpfungen.
Eine Nervenzelle kann sich dabei mit bis zu Beim Chat im Internet sieht dies ganz an-
çber eintausend anderen verbinden. Im wei- ders aus. Der Weg vom Groûraum, in dem
teren Verlauf der Entwicklung werden jene alle durcheinander reden, ins Separe besteht
Verknçpfungen durch die Bildung der so ge- aus einem getippten Befehl, es bewegen sich
nannten Myelinschicht verstårkt, die durch also nur die Finger. Das einzige, was wir
åuûere (Sinneswahrnehmungen) und innere beim Chat austauschen, sind Gedanken und
(Gedanken, Gefçhle) Stimulation angeregt Gefçhle in Form von Schriftzeichen, unsere
werden. Alle jene Verknçpfungen, die nicht Erfahrungsråume und unsere Sinneswahrneh-
angeregt werden, bilden sich zurçck. Dieser mungen aus dem wirklichen Leben spielen
Prozess findet in den verschiedenen Berei- hier keine Rolle. Und selbst wenn eine Web-
chen des Gehirns zu unterschiedlichen Zeiten cam genutzt wird, bekommen wir lediglich
statt und hålt in manchen Bereichen, vor einen schwachen optischen Eindruck von der
allem dem vorderen Stirnlappen, bis ins Er- realen Umgebung unseres Gespråchspartners.
wachsenenalter an. Dieser Umstand hat verschiedene Konse-
quenzen, wie noch zu zeigen sein wird.
Was bedeutet das fçr die Pådagogik? Je
ganzheitlicher die Lebenserfahrungen sind, An dieser Stelle sei bereits festgehalten,
umso mehr Gehirnareale werden gleichzeitig dass mediale bzw. virtuelle Erfahrungen im
angesprochen und umso differenzierter wird Verhåltnis zu realen Erfahrungen immer
die Gehirnstruktur des Erwachsenen sein, ¹årmerª sind; dementsprechend werden we-
und damit seine organische Grundlage fçr In- niger Bereiche im Gehirn stimuliert. Die Er-
telligenz, Kreativitåt, Empathie, Sozialkom- lebnisse in der virtuellen Welt sind ± anders
petenz und alle anderen Schlçsselqualifikatio- ausgedrçckt ± zum groûen Teil gedacht, dem-
nen. Wenn wir Erfahrungen in der realen nach sind die hier gewonnenen Erfahrungen
Welt machen, handelt es sich immer um ganz- ihrem Wesen nach intellektuell. Dies fçhrt zu

36 APuZ 39/2008
einem wichtigen Grundgesetz der Medien: lohnt sich also der Frage nachzugehen, wor-
Wann immer die Medien eine Ergånzung dar- auf diese Verteilung zurçckzufçhren ist und
stellen, gehen sie mit einer Erweiterung der was es ist, das in den einzelnen Medienange-
menschlichen Erlebnisråume und Fåhigkeiten boten entweder die eine oder die andere
einher; wann immer sie zum Ersatz werden, Gruppe çbermåûig anspricht.
fçhren sie zu einer Verkçmmerung derselben.
Dies gilt umso mehr dann, wenn es sich um Mobiltelefon: Die modernen Kommunika-
Kinder und Jugendliche handelt. Diese Ver- tionsmedien (Handy, Internet) bieten neben
kçmmerung schlågt sich dann sogar physio- vielen interessanten Mæglichkeiten auch jene,
logisch nieder, was sich an einer weniger dif- den Gespråchspartner im Unklaren çber sei-
ferenziert ausgeprågten Gehirnstruktur zeigt. nen Aufenthalt zu lassen bzw. ihn ganz be-
wusst zu belçgen. Wer vor zwanzig Jahren je-
Ein Beispiel soll dies verdeutlichen: Ju- manden anrief, wusste in der Regel einiger-
gendliche, die durch reale Lebenserfahrungen maûen genau, wo sich die angerufene Person
einen Bezug zur råumlichen Wirklichkeit ent- befand. Seit es das Mobiltelefon gibt, ist das
wickelt haben, die also aus Erfahrung wissen, anders. Handy-Besitzer sind ± vorausgesetzt
wie lang fçnfzig Zentimeter und wie lang das Geråt ist eingeschaltet ± permanent er-
zwei Meter sind, kænnen diese Erfahrungen reichbar, der Anrufer weiû allerdings nicht,
auf die virtuellen Welten çbertragen und sich wo sich sein Gespråchspartner gerade befin-
dann auch in virtuellen Råumen orientieren det. Wer wachen Ohres durch die Welt geht,
und zurechtfinden. Kinder und Jugendliche, kann erleben, dass Menschen aller Alters-
die vornehmlich in der virtuellen Welt groû gruppen, keineswegs nur Jugendliche, dies
geworden sind und keinen oder einen wesent- ausnutzen. Immer wieder trifft man Men-
lich geringeren Bezug zur råumlichen Wirk- schen, die ihrem Gespråchspartner Auskunft
lichkeit entwickeln konnten, haben entspre- çber einen Aufenthaltsort geben, an dem sie
chende Probleme, sich in der realen Welt sich gar nicht befinden. Dies hat zweifellos
råumlich zu orientieren, was sich unter ande- eine negative Wirkung auf Kinder und Ju-
rem in grobmotorischen Stærungen nieder- gendliche.
schlagen kann.
Wenn meine Eltern unsicher waren, ob ich
In Kindheit und Jugend kommt es also vor wirklich zu dem angegebenen Freund gegan-
allem auf eine gesunde Mischung des Erwerbs gen war, haben sie dort angerufen und entwe-
von Erfahrungen an: Die realen Erfahrungen der jemanden erreicht, der ihnen Auskunft
sollten reichhaltig sein und den Anteil der vir- çber mich geben konnte, oder sie waren sich
tuellen Erfahrungen deutlich çbertreffen. nun sicher, dass ich geflunkert hatte. Viele El-
tern statten ihre Kinder heute aus einem ver-
ståndlichen Sicherheitsbedçrfnis heraus mit
Chancen und Gefahren Mobiltelefonen aus. Sie wiegen sich damit in
dem Gefçhl, jederzeit Kontakt zu ihren Kin-
Inwieweit die virtuellen Welten zu einer Er- dern aufnehmen und sie damit ein wenig kon-
weiterung des persænlichen Erfahrungshori- trollieren zu kænnen. Umgekehrt gehen sie
zontes beitragen kænnen, wurde oben bereits davon aus, dass diese ± auch oder gerade
ausgefçhrt. Voraussetzung dafçr ist die sinn- wenn sie in Gefahr geraten ± sie jederzeit an-
volle, also wohldosierte Ergånzung eines ge- rufen kænnen. Doch diese Sicherheit ist trç-
sund entwickelten Realitåtsbezugs. Dies gilt gerisch: Zum einen sind die Tåter heute långst
nicht nur fçr die organische Entwicklung, darauf eingestellt, dass ihre Opfer Handys
sondern auch fçr alle im Folgenden anzuspre- haben, zum anderen kænnen sich die Kinder
chenden Aspekte. durch entsprechende Falschaussagen viel ein-
facher der Kontrolle ihrer Eltern entziehen.
Mådchen und Jungen bzw. Frauen und Die Folge dieser Entwicklung sind solche
Månner verhalten sich bei der Mediennut- Angebote wie ¹Track your kidª, 4 die es El-
zung sehr unterschiedlich: Frauen fçhlen sich tern ermæglichen, wann immer sie wollen den
vor allem durch die Kommunikationsmedien Aufenthaltsort des Handys ihres Kindes çber
(Telefon, Handy, Chat, etc.) angesprochen, das Internet abzufragen. Die vermeintliche
nutzen diese Mæglichkeiten sehr intensiv; bei
Månner sind es vor allem Computerspiele. Es 4 Vgl. http://www.trackyourkid.de.

APuZ 39/2008 37
neue Freiheit fçhrt damit allerdings ± umge- sollten. Es gilt daher, einen genaueren Blick
kehrt ± in eine ganz neue Form der Ûberwa- auf die Art und Weise der Kommunikation
chung und Unfreiheit. im Internet und deren Dynamik zu werfen.

Chat im Internet: Ein weiterer Faktor, zu- Es lohnt sich, einmal die Frage zu stellen,
mindest bei textbasierten Kommunikations- mit wem eigentlich beim Chatten wirklich
mitteln ± SMS, E-Mail und Chat ± ist die kommuniziert wird. In der Regel werden die
Anonymitåt. Natçrlich hat diese auch ihre ¹Gespråchspartnerª sehr schnell nach dem
Vorteile und kann eine echte Hilfe und Er- Aussehen des jeweils anderen fragen, denn
leichterung sein: Wenn wir es mit maschinell jede oder jeder mæchte sich von seinem ge-
geschriebenen Mitteilungen zu tun haben, dachten Gegençber ein Bild machen. ¹Ich bin
steht allein der Inhalt im Vordergrund, und 175 cm groû, hab schulterlanges blondes
wir werden nicht durch Øuûerlichkeiten, Haar, grçne Augen und eine sportliche
noch nicht einmal durch eine Handschrift, Figurª ± kænnte die Anwort eines Mådchens
davon abgelenkt. Dies bietet vor allem unsi- lauten. Was stellt sich der oder die Lesende an
cheren Menschen die Mæglichkeit, selbstsi- Hand dieser Beschreibung vor, das Gleiche,
cherer aufzutreten. Voraussetzung ist aller- was sich die Schreibende vorgestellt hat? Ist
dings, dass man etwas mitteilen mæchte, nicht das çberhaupt mæglich? Natçrlich nicht,
nur mit seinen Øuûerungen wahrgenommen denn diese Angaben enthalten nur einen ob-
werden will, und, dass ein echtes Interesse an jektiven Wert: die Kærpergræûe. Was heiût
dem besteht, was andere mitzuteilen haben. schon schulterlanges Haar und ist das Haar
Ist diese Bedingung erfçllt, kann eine Begeg- glatt, oder gelockt, hat es Stråhnen, ist es na-
nung in der virtuellen Welt auch auf die Rea- tçrlich blond oder gefårbt. Mit wem also
litåt çbertragen werden. wird in diesen Chats kommuniziert? Die
Antwort ist ernçchternd: Bei dieser Art der
Wer sich jedoch hinter der Anonymitåt Kommunikation spreche ich zu mindestens
versteckt, vorgibt, jemand anderes zu sein, 60 Prozent mit mir selbst. Das Gegençber
anders auszusehen, anderes zu tun als in dient nur als interaktive Projektionsflåche
Wirklichkeit, der oder die verbaut sich von meiner eigenen Vorstellungen. Hier liegt der
vornherein die Mæglichkeit, die virtuellen Grund dafçr, dass gerade Mådchen beim
Kontakte auch in die Wirklichkeit zu çbertra- Chatten so ungeheuer offen sind: Sie spre-
gen. Dies kann der Ausgangspunkt einer po- chen tatsåchlich von Anfang an mit ihrer al-
tentiellen Internetsucht sein: Wer sich in der lerbesten Freundin, nåmlich mit sich selbst,
realen Begegnung unsicher fçhlt und in der und deshalb geben sie so schnell so vieles von
virtuellen Begegnung mit falschen Angaben sich preis: alle ihre Probleme, die sie mit
auftritt, kann vielleicht viele virtuelle Freunde ihren Eltern, der Schule, realen Freunden,
gewinnen, aber die Unsicherheit, in der realen aber auch jene, die sie vielleicht mit ihrer kær-
Welt Kontakte zu knçpfen, wird noch græûer, perlichen Entwicklung haben.
die Mæglichkeit in der Realitåt zurecht zu
kommen, kann allmåhlich verbaut werden. Wenn beim Chatten zwei Personen aufein-
andertreffen, die beide in dieser ¹Projektions-
¹Projektionsfalleª Chatroom: Die Neti- falleª stecken, dann ist das nicht weiter be-
quetten, also die ungeschriebenen Regeln kor- denklich. Sie werden sich mit sich selber und
rekten Verhaltens im Internet, die auch die ei- dem gedachten Gegençber angeregt unterhal-
gene Sicherheit betreffen, sind den allermeis- ten und vielleicht auch Gewinn aus diesen Ge-
ten Kindern und Jugendlichen, die sich im språchen ziehen, kann es doch hilfreich sein,
Internet bewegen, bekannt. Dennoch kommt Gedanken zu Themen, die einen beschåftigen,
es immer wieder vor, dass sie ± insbesondere niederzuschreiben. Sollte das Gegençber aber
Mådchen ± zu Opfern realer Verbrechen, vor die Situation bewusst oder unbewusst durch-
allem sexuellen Missbrauchs werden. Die fas- schauen, die Projektion erkennen, kann das
sungslosen Angehærigen und Freunde kæn- virtuelle Vertrauen mit Hilfe einfacher Tricks
nen nicht verstehen, wie es dazu kommen schnell ausgebaut und in der Folge virtuell
konnte. Die Kinder wussten doch, dass sie im oder sogar real missbraucht werden.
Internet ± gerade beim Chat mit Unbekann-
ten ± keine persænlichen Informationen, wie Partnersuche im Internet: Im realen Leben
Adressen oder Telefonnummer preisgeben werden die Partner im Zustand akuten Ver-

38 APuZ 39/2008
liebtseins idealisiert. Wenn spåter schrittweise bild, einen so genannten Avatar, 6 seiner Mæchte-
die Ernçchterung eintritt, wird jede Bezie- gernpersænlichkeit schaffen und mit dieser Persænlich-
hung auf eine harte Probe gestellt. Bei Bezie- keit in einer virtuellen Parallelwelt leben.
hungen, die im Chatroom entstehen, kann es
dabei regelrecht zum Absturz kommen, denn
hier verliebt man sich nicht in den anderen Vom Låstern zum Mobbing
Menschen, sondern allein in die Vorstellun-
gen, die man sich von diesem macht. Hier liegt Vor allem Kinder und Jugendliche vergessen immer
der Grund dafçr, dass die allermeisten Bezie- wieder, dass es sich beim Internet um einen æffentli-
hungen, die auf diesem Wege zustande kom- chen Raum handelt. Es ist nicht schwer zu verstehen,
men, nicht lange halten ± vor allem dann nicht, wie es zu dieser Fehleinschåtzung kommt: Viele Kin-
wenn einer oder beide bei den virtuellen Be- der und Jugendlichen haben einen eigenen Computer
gegnungen nicht ehrlich waren. Vorausset- mit Internetzugang im eigenen Zimmer: Wenn sie sich
zung dafçr, dass die Chat-Beziehung sich im ins Internet einloggen, befinden sie sich in ihrer ge-
realen Leben bewåhrt, ist Aufrichtigkeit. Und wohnten Umgebung. Alles, was auf dem Bildschirm
das echte Interesse am Anderen muss das Be- erscheint, bekommt dadurch einen privaten Charakter,
dçrfnis nach Selbstdarstellung çberwiegen. gerade so wie ein Buch oder ein Brief, das oder den
man in seinem Zimmer liest oder schreibt. Diese Aus-
Die zweifellos vorhandenen Vorteile der vir- gangssituation erklårt auch das oftmals fehlende Un-
tuellen Kommunikationsråume kænnen dann rechtsbewusstsein in Bezug auf illegale Downloads
genutzt und die Gefahren entsprechend mini- oder andere illegale Aktivitåten im Internet. Das Inter-
miert werden, wenn sich die Nutzer durch per- net ist ein internationales Medium, aber die Frage da-
sænliche Reife auszeichnen: Ein gesundes nach, was erlaubt ist und was nicht, richtet sich nach
Selbstvertrauen, die Fåhigkeit zur Reflexion der nationalen Gesetzgebung. Um sich immer richtig
des eigenen Handelns und der eigenen An- zu verhalten, bedarf es also des Bewusstseins, dass
sprçche an andere Menschen sowie ein ernst- nicht alles, was im Netz zugånglich ist, auch fçr mich
haftes Interesse am jeweiligen Gegençber und geeignet bzw. erlaubt ist. Und letztendlich mçsste
an den diskutierten Themen mçssen gegeben jeder Nutzer genau çber die nationalen Einschrånkun-
sein. Dann werden die Vorteile çberwiegen. gen und Gesetze informiert sein. 7
Wenn diese Reife nicht erreicht ist, und das gilt
im Grundsatz fçr alle Kinder und Jugendli- Schçlerforen im Internet: In Schçlerforen wie
chen unter 14 Jahren und fçr viele auch noch www.schuelervz.net oder www.schueler.cc wird immer
darçber hinaus, çberwiegen die Gefahren. wieder gegen geltendes Recht verstoûen ± mit nicht
selten weit reichenden Folgen fçr die Betroffenen. In
Dann kann die virtuelle Welt zur Falle wer- diesen Foren kænnen die Schçlerinnen und Schçler
den: Hier trifft man auf Menschen, die einen Profile anlegen, in denen sie sich selbst darstellen.
rundherum beståtigen: Hier kann man sich so Hinzu kommt die Mæglichkeit, eine beliebige Anzahl
darstellen, wie man gerne wåre ± und wird von Bildern von sich und anderen ins Netz zu stellen.
dafçr geachtet und geliebt. Je weiter sich die Vorrangiges Ziel ist es, auf diesem Wege andere Schçler
Selbstdarstellung von der Wirklichkeit entfernt, oder Schçlerinnen kennenzulernen bzw. auf sich auf-
umso schwieriger wird es, die Wirklichkeit zu merksam zu machen. Vielfach geht dies mit einem
akzeptieren. Die Betroffenen ziehen sich dann Buhlen um Aufmerksamkeit einher. Wer daran teil-
nicht selten immer mehr aus realen Beziehun- nimmt, mæchte, dass andere das eigene Profil anschau-
gen zurçck; die selbstkreierte virtuelle Persæn- en und dies durch Eintråge ins Gåstebuch oder gesen-
lichkeit wird fçr sie immer bedeutsamer. dete Nachrichten kommentieren. Neben Lob und An-
erkennung stehen aber schnell auch Demçtigungen,
Anders als in frçheren Generationen, in
denen es auch Stubenhocker und Tagtråumer dern eine Wohnung oder ein Haus. Es werden dort virtuelle Ar-
gab, vermittelt die virtuelle Welt die Illusion, beiten geleistet, mit denen virtuelles Geld verdient werden kann,
man kænne die eigenen Tråume tatsåchlich mit dem dann virtuelle Anschaffungen (Kleider, Mæbel, etc.) ge-
leben. Angebot wie ¹Second Lifeª und On- tåtigt werden kænnen.
6 Avatar kommt aus der indischen Mythologie und bezeichnet
linespiele wie ¹World of Warcraftª sind die
ein von einem hæheren geistigen Wesen besessenes Wesen (Tier
konsequente Fortsetzung dieser Entwick-
oder Mensch), klassischer Weise der Priester, durch den ein Då-
lung: 5 Hier kann man sich ein virtuelles Ab- mon oder Gott spricht und wirkt. Im Computerspiel ist es die
virtuelle Figur, die durch den Spieler ¹beseeltª wird.
5 Second life ist eine virtuelle Parallelwelt, in der die 7 Urheberrecht, Indizierungskriterien, Persænlichkeitsrecht und

Teilnehmer sich nicht nur einen Avatar gestalten, son- Jugendschutzgesetz.

APuZ 39/2008 39
Schmåhungen und Beleidigungen ± mitunter der Das reale Leben funktioniert (leider?) nicht
schlimmsten Art. Såtze wie ¹Du feige Sauª, um einen so: Wer schulische oder Probleme mit seinen
der harmloseren zu zitieren, sind schnell geschrieben, Eltern hat, kann diese nicht einfach dadurch
auch von jenen, die so etwas im realen Gespråch nie læsen, dass er långer im Klassenraum oder im
sagen wçrden. Schnell werden so Kinder und Jugend- Wohnzimmer neben seinen Eltern sitzen
liche zu Opfern. bleibt. Im realen Leben sind Leistungen immer
an innere und åuûere Aktivitåten gebunden.
Da Profile schnell generiert sind, werden solche Wer sich an das Belohnungs- und Erfolgssys-
auch schon mal unter dem Namen anderer Schçler tem von Computerspielen gewæhnt, dem fållt
oder Lehrer erstellt. Das ist meist als Scherz gedacht: es zunehmend schwerer, sich den Herausfor-
Die ¹Tåterª denken dabei nur an ihre Klassenkamera- derungen des wirklichen Lebens zu stellen und
den, Freundinnen und Freunde und lassen auûer Acht, selbst berechtigte Kritik zu ertragen.
dass sie diese ¹Scherzeª weltæffentlich betreiben. Die
Opfer stehen dieser Art Mobbing oft hilflos gegen- Zusammenfassung
çber: Es findet im virtuellen Raum statt, und damit
fehlt der direkte Ansprechpartner. Manch einer weiû Nur wer die notwendigen Voraussetzungen
noch nicht einmal etwas von seiner Verunglimpfung, besitzt, kann die Chancen, welche die die vir-
da er oder sie çberhaupt nicht in diesen Foren vertre- tuellen Welten bereithalten, produktiv nutzen
ten ist. Das Opfer merkt lediglich, dass sich das Ver- und seinen Erfahrungshorizont erweitern.
halten seiner Mitschçler oder ± im Falle des Lehrper- Insbesondere Kinder, aber auch Jugendliche
sonals ± der Schçler, veråndert, dass hinter seinem sind auf Grund ihrer naturgemåû fehlenden
Rçcken getuschelt wird, dass er oder sie einer kriti- persænlichen Reife nicht in der Lage, sich ge-
schen Beobachtung ausgesetzt ist. gençber den Gefahren des Internets zu be-
haupten. Sie benætigen den Schutz der Eltern,
Sogfaktor der Computerspiele Erzieher und Lehrer. Øhnlich wie beim Au-
tofahren oder in Bezug auf Nikotin und Al-
Zum Schluss mæchte ich noch einige Anmerkungen zu kohol gibt es hier eine Sorgfaltspflicht der Er-
der Sogwirkung der Computerspiele machen, allen wachsenen. Computer mit Internetzugang
voran der Onlinerollenspiele wie etwa WOW. 8 Viel- sollten nicht in Kinder- und Jugendzimmer
fach geht es bei Computerspielen um Wettkampf, ein stehen, sondern im Verkehrsbereich des Fa-
Umstand der vor allem die månnlichen Nutzer an- milienlebens (Wohnzimmer, Flur oder
spricht. Die Auflistung der Platzierungen erfolgt ganz Kçche) plaziert werden. Zum einen kænnen
objektiv durch den Computer. Viel wichtiger ist aber die Eltern das Computerverhalten ihrer Kin-
die Erfolgsgarantie. Wenn man Spieler fragt, wie man der so besser im Auge behalten; zum anderen
der Beste wird, sagen sie gerne, man mçsse çben. Das wird den Kindern und Jugendlichen verdeut-
klingt gut, aber wie çbt man am Computer? Anders licht, dass es sich im Internet um einen æf-
als beim Ûben eines Musikinstruments geht die ge- fentlichen Bereich handelt.
dankliche und habituelle Schulung hier vor allem un-
bewusst vonstatten. Erwachsene, welche die Spiele ver- Die beste Erziehung zur Medienkompe-
stehen wollen, messen die Spielablåufe in der Regel an tenz beginnt mit Medienabstinenz. Damit
ihren realen Erfahrungen. Beim Lernprozess am Com- Kinder und Jugendliche sich in der virtuellen
puter handelt es sich jedoch um eine klassische Kondi- Welt zurechtfinden und behaupten kænnen,
tionierung: Je weniger ich beim Spielen denke, je be- gilt es, durch ganzheitliche Erlebnisse erst
denkenloser ich die Vorgaben der Programme adaptie- einmal die physischen und seelischen Grund-
re und je långer ich auf diese Weise spiele, umso besser lagen zu legen. Wichtig ist bei all dem die
werde ich. Darin besteht die ¹soziale Komponenteª Verhåltnismåûigkeit: Je jçnger die Kinder
der Computerspielsucht. Am deutlichsten kann man sind, umso græûer sollte der Anteil der realen
das daran sehen, dass Spieler bei so genannten LAN- im Verhåltnis zu den virtuellen Erfahrungen
Partys oder Onlinespielen erst nach mehreren Stun- sein. Immer mehr Grundschulkinder verbrin-
den, wenn sie sich eigentlich schon leicht ¹im Deliri- gen inzwischen einen groûen Teil ihrer Frei-
umª befinden und kaum noch einen zusammenhån- zeit mit Medien. Eine Aufgabe der Schulen
genden Satz formulieren kænnen, in Hochform sind: sollte daher darin bestehen, fçr den entspre-
Dann haben sie die besten ¹Skillsª. chenden Ausgleich vor allem auch durch Få-
cher wie Sport und Musik zu sorgen.
8 WOW steht fçr ¹World of Warcraftª, das populårste deutsch-

sprachige Onlinerollenspiel.

40 APuZ 39/2008
Nicola Dæring und Weise, wie eine Person das Internet nutzt
(oder eben nicht nutzt) ± und wie sich die In-

Psychische ternetaktivitåten in ihren Alltag einfçgen:


Aus medienpsychologischer und kommuni-
kationswissenschaftlicher Sicht sind weder

Folgen der Jugendliche noch Erwachsene schådlichen


Wirkungen der Medien hilflos ausgeliefert

Internetnutzung
oder stehen diesen passiv gegençber. Die
Nutzer versuchen vielmehr, das Internet (wie
auch andere Medien) aktiv den jeweiligen Be-
dçrfnissen und Lebensumstånden anzupas-
sen. Diese Medienaneignung erweist sich oft

N ur drei Prozent der Frauen und zehn


Prozent der Månner gehærten 1997 zur
privilegierten Minderheit der frçhen Internet-
als nçtzlich, kann aber auch problematische
Formen annehmen.

nutzer. Zehn Jahre spåter ist das Internet ein


Alltagsmedium: 57 Prozent der Frauen und
69 Prozent der Månner nahmen 2007 an der Internetkompetenz
Online-Kommunikation teil ± Tendenz wei-
terhin steigend. 1 Die heutigen Jugendlichen Eine Nichtnutzung des Internet kann sich fçr
gelten zu Recht als Online-Generation bzw. den Einzelnen als ungçnstig erweisen, weil er
Screenager: 95 Pro- oder sie dadurch von zahlreichen Informati-
Nicola Dæring zent der Mådchen ons-, Unterhaltungs-, Kommunikations- und
Dr. phil. habil.; Professorin für und Jungen zwischen Transaktionsmæglichkeiten, die unsere Me-
Medienkonzeption und Medien- 14 und 19 Jahren be- diengesellschaft bietet, ausgeschlossen ist.
psychologie an der Technischen wegen sich im Cyber- Um einer digitalen Spaltung der Gesellschaft
Universität Ilmenau, Institut für space: in der virtuel- in Onliner und ± oftmals sozial schwåchere ±
Medien- und Kommunikations- len Realitåt. Diese Offliner entgegenzuwirken, sind kostenlose
wissenschaft, Ernst Abbe jungen Onliner sind Internetzugånge in æffentlichen Einrichtun-
Zentrum für Forschung und die erwachsenen In- gen und zielgruppengerechte Internetkurse
Transfer (EAZ), ternetnutzer von mor- sinnvoll. Um zum Ausdruck zu bringen, dass
Ehrenbergstr. 29, gen und die Cyberse- sich die Umgangsweisen mit dem Internet in
98693 Ilmenau. nioren bzw. Silver verschiedenen Bevælkerungsgruppen deutlich
nicola.doering@tu-ilmenau.de Surfer von çbermor- unterscheiden, wird innerhalb der Gruppe
www.nicola-doering.de gen. Internetnnutzung der Onlinerinnen und Onliner von digitalen
erfolgt heute långst Ungleichheiten gesprochen. Im Vorteil sind
nicht mehr nur im Rahmen von Arbeits- oder beispielsweise Personen, die im Internet ganz
formalen Bildungsprozessen, sondern ist vor gezielt nach Informationen suchen, und diese
allem Teil der selbst organisierten Pausen- hinsichtlich ihrer Qualitåt und Glaubwçrdig-
und Freizeitgestaltung. 2 keit kritisch bewerten kænnen. In besonderer
Weise profitieren vom Internet auch diejeni-
Wie ist diese Entwicklung aus psychologi- gen, denen ein breites Spektrum an Online-
scher Sicht zu beurteilen? Kænnen wir durch Diensten mit ihren jeweiligen Funktionen,
die Nutzung des Internet unser Leben ver- Chancen und Risiken bekannt ist, sowie jene,
bessern, unser Wohlbefinden und Glçck stei- welche die notwendigen Fertigkeiten mit-
gern? Oder birgt das Internet eher Gefahren bringen, um durch eigene Beitråge aktiv an
fçr das seelische Gleichgewicht ± angefangen der Netzkommunikation teilnehmen zu kæn-
bei Internetsucht çber sexuelle und sonstige nen. Die aufgefçhrten medienspezifischen
Online-Belåstigung, den Verlust der Privat- Fåhigkeiten werden zusammenfassend als In-
sphåre bis hin zu sozialer Isolation? ternetkompetenz bezeichnet.
1 Vgl. Birgit van Eimeren/Beate Frees, ARD/ZDF
Welche psychischen Folgen das Internet
Online-Studie 2007. Internetnutzung zwischen Prag-
fçr die Einzelne oder den Einzelnen hat, wird matismus und YouTube-Euphorie, in: Media Per-
nicht durch die technischen Eigenschaften spektiven, (2007) 8, S. 362 ±378, hier: S. 364. http://
oder verfçgbaren Inhalte des Internet vorbe- www.daserste.de/service/ardonl0107.pdf (12. 7. 2008).
stimmt. Entscheidend ist vielmehr die Art 2 Vgl. ebd., S. 375.

APuZ 39/2008 41
Digitale Ungleichheiten kænnen soziale lichkeiten. 5 Der komfortable und direkte Zu-
Benachteiligungen verstårken, etwa wenn bil- griff auf eine groûe Fçlle von çberwiegend
dungsferne Jugendliche nicht ausreichend seriæsen Gesundheitsinformationen trågt
darçber informiert sind, wie sie auch im In- dazu bei, dass sich Betroffene zeitnah und
ternet Praktikumsplåtze finden oder Online- aktiv mit ihren Krankheiten befassen, zum
Bewerbungen gestalten kænnen. Mit dem Arztbesuch motiviert werden, kompetenter
Ziel, digitalen Ungleichheiten entgegenzuwir- mit medizinischem Personal kommunizieren
ken, sollte der Erwerb von Internetkompe- kænnen, sich entscheidungssicherer fçhlen
tenz nicht allein von kindlichen Selbstver- und zu mçndigeren Patienten und Konsu-
suchen und Hilfen in Elternhaus und Freun- menten auf dem Gesundheitsmarkt werden ±
deskreis abhången, sondern in den Faktoren, die Behandlung und Genesung un-
allgemeinbildenden Schulen systematisch ge- terstçtzen. Mit entsprechender Informations-
færdert werden. Leider stellt Deutschland kompetenz fållt es leicht, aus der Fçlle der
hinsichtlich der schulischen Vermittlung von Angebote zielgerichtet Online-Informationen
Computer- und Internetkompetenz laut zur gesuchten Krankheit auszuwåhlen und
PISA-Studie 2006 im Låndervergleich bislang diese hinsichtlich ihrer Vertrauenswçrdigkeit
das Schlusslicht dar: Weniger als ein Drittel kritisch zu bewerten.
der Schçlerinnen und Schçler in Deutschland
(31 Prozent) werden regelmåûig in der Schule Neben den Informationsangeboten gibt es
in Computernutzung unterrichtet. In Úster- mittlerweile fçr viele gesundheitliche Proble-
reich sind es dagegen fast drei Viertel (73 Pro- me entsprechende Online-Selbsthilfegruppen,
zent); der OECD-Durchschnitt liegt bei 56 etwa fçr Brustkrebspatientinnen, fçr Kinder,
Prozent. 3 die an Diabetes leiden, fçr Angehærige von
Demenzpatienten, ungewollt Kinderlose,
Sich mit dem Internet ¹gut auszukennenª, HIV-Positive, Depressive oder Allergiker. In
reicht indessen nicht aus, um zu einer psy- diesen Foren unterstçtzen sich Betroffene
chisch unschådlichen Gebrauchsweise zu fin- und Angehærige bei Bedarf anonym und un-
den. Darçber hinaus sollten die Nutzer çber abhångig von Ort und Zeit, indem sie einan-
lebenspraktische Kenntnisse verfçgen. Die so der Ratschlåge geben, Trost und Ermutigung
genannte Positive Psychologie beschåftigt sich bei der Krankheitsbewåltigung zusprechen
mit menschlichen Stårken, mit Sinn und usf. 6 Fçr die Lebenszufriedenheit des Patien-
Glçck im Leben, um empirisch fundierte ten ist das subjektive Empfinden, das sich
Maûnahmen zur Verbesserung der Lebens- durch die Einbindung in eine Selbsthilfegrup-
qualitåt zu entwickeln. In diesem Beitrag pe meist verbessert, entscheidender als der
werden im Sinne einer Positiven Internetpsy- tatsåchliche gesundheitliche Zustand. Die
chologie drei Lebensbereiche herausgegriffen, vom heimischen Computer aus jederzeit kon-
die gemåû der Glçcksforschung besonders taktierbaren Online-Selbsthilfegruppen sind
wichtig fçr die Lebenszufriedenheit sind: Ge- vor allem fçr Menschen wichtig, die aus per-
sundheit, Identitåt und soziale Beziehungen. 4 sænlichen, gesundheitlichen oder beruflichen
Grçnden keinen Zugang zu herkæmmlichen
Gesundheit und Internet Offline-Selbsthilfegruppen haben. Online-
Selbsthilfegruppen fçllen also eine psycho-
Die groûe Mehrheit der Onlinerinnen und soziale Versorgungslçcke und werden in
Onliner ± in den USA sind es beispielsweise einer alternden Gesellschaft, in der das Leben
rund 80 Prozent ± informiert sich bei gesund- mit chronischen Krankheiten und Behinde-
heitlichen Beschwerden im Internet çber
Krankheitsbild, Diagnose- und Therapiemæg-
5 Vgl. Susannah Fox, Online Health Search 2006,
3 Vgl. Manfred Prenzel/Cordula Artelt/Jçrgen Bau- PEW Internet Research Report. http://www.pewin
mert/Werner Blum/Marcus Hammann/Eckhard Kie- ternet.org/pdfs/PIP_Online_Health_2006.pdf (12. 7.
me/Reinhard Pekrun (Hrsg.), PISA 2006. Die Ergeb- 2008).
nisse der dritten internationalen Vergleichsstudie, in: 6 Vgl. Shelly Rodgers/Qimei Chen, Internet Com-

http://pisa.ipn.uni-kiel.de/zusammenfassung_PISA munity Group Participation: Psychosocial Benefits for


2006.pdf (12. 7. 2008), S. 17. Women with Breast Cancer., in: Journal of Computer-
4 Vgl. Alan Carr, Positive Psychology. The Science of Mediated Communication, 10 (2005) 4. http://
Happiness and Human Strengths, New York, NY jcmc.indiana.edu/vol10/issue4/rodgers.html (12. 7.
2004, S. 37. 2008).

42 APuZ 39/2008
rungen alltåglicher wird, weiterhin stark an Bedeutung Identitåt und Internet
gewinnen.
Ein zweiter wesentlicher Faktor fçr psychisches Wohl-
Zur Online-Gesundheitspråvention stehen neben befinden ist ein positives Selbstbild. Dieses wiederum
allgemeinen und spezifischen Informationen vor allem kann sich unter anderem dann entwickeln, wenn wir
interaktive Online-Dienste zur Verfçgung, die auf der Erfolgserlebnisse haben, etwas schaffen, worauf wir
Basis individueller Voraussetzungen und Ziele als per- stolz sein kænnen; und wenn wir die Mæglichkeit
sænlicher Gesundheitscoach fungieren: Wer etwa ein haben, das, was uns beschåftigt und ausmacht ± unsere
langfristiges Ernåhrungs-, Fitness-, Stessbewåltigungs- Identitåt mit all ihren Teilidentitåten ±, auszudrçcken
oder Anti-Rauch-Programm absolviert, kann sich und dabei positive Resonanz von anderen erhalten:
durch diese Dienste begleiten lassen; er oder sie erhålt Wenn wir uns gesehen, verstanden und anerkannt fçh-
auf diese Weise Rçckmeldungen çber Erfolge und Hil- len. Das Internet bietet eine neue æffentliche Bçhne fçr
festellung bei Misserfolgen. Entsprechende Online- Identitåtsdarstellungen von Individuen und Gruppen
Coaches werden unter anderem von Publikumszeit- mit gleichberechtigtem Zugang fçr alle Internetnutzer,
schriften und Krankenkassen im World Wide Web an- die entsprechende Kompetenzen mitbringen bzw. er-
geboten. Ihre Akzeptanz, Wirksamkeit und Wirkungs- werben. 9
weise sollten zukçnftig noch genauer untersucht wer-
den. 7 Auf persænlichen Homepages, in Online-Profilen
und Internettagebçchern beantworten Menschen sich
Zusammenfassend låsst sich festhalten, dass gesund- selbst und anderen die Frage ¹Wer bin ich?ª. Bei die-
heitsbezogene Informationen, Selbsthilfegruppen und sen Selbstpråsentationen handelt es sich nicht um fikti-
Coaching-Dienste im Internet den direkten Kontakt ve virtuelle Identitåten. Die Verfasserinnen und Verfas-
zu medizinischen Einrichtungen und Fachleuten zwar ser verweisen in Wort und Bild ± in mehr oder minder
nicht ersetzen kænnen und sollen. Aber sie kænnen be- anspruchsvoller und umfassender Gestaltung ± auf
gleitend und ergånzend zu herkæmmlichen Behand- diverse Aspekte ihrer Identitåt: auf berufliche Tåtig-
lungsprogrammen eingesetzt werden, um die Reich- keiten, Hobbies, Familie und Freunde, Wohn- und
weite und Qualitåt der Gesundheitsversorgung und Urlaubsorte, åuûeres Erscheinungsbild, politisches
damit das Wohlbefinden der Bevælkerung zu verbes- Engagement, kritische Lebensereignisse usw. 10 Die æf-
sern. fentliche und selbstbestimmte Darstellung der eigenen
Identitåt im Internet kann ± durch ihre mediale Gestal-
tung, durch die Vernetzung mit Gleichgesinnten und
Damit die Internetnutzung nicht selbst zum Gesund-
durch positive Resonanz ± das Selbstvertrauen stårken
heitsrisiko wird bzw. das kærperliche und seelische
und ein selbstsicheres Auftreten auûerhalb des Netzes
Wohlbefinden mindert, ist darauf zu achten, dass sich
unterstçtzen. Besonders groûe Bedeutung hat sie im
der allgemeine Bewegungs- und Schlafmangel unserer
Jugendalter, in dem die Suche nach der eigenen Identi-
Zivilisation nicht durch stundenlange nåchtliche Com-
tåt eine zentrale Entwicklungsaufgabe darstellt. 11
putersitzungen weiter verstårkt. In der Regel verzich-
Aber auch fçr Erwachsene, die von kritischen Lebens-
ten Internetnutzer jedoch nicht auf sportliche Betåti-
ereignissen betroffen sind (etwa Trennungen oder To-
gung; eher schrånken sie den Fernsehkonsum ein oder
desfållen), gesellschaftlichen Minderheiten angehæren
nutzen das Fernsehen als Hintergrundmedium, um so
(aufgrund ihrer Ethnizitåt oder sexuellen Orientie-
Zeit fçr Online-Aktivitåten zu gewinnen. Sofern je-
rung) oder kçnstlerisch ambitioniert sind, kann Inter-
doch im Einzelfall die Tendenz zu starker Bewegungs-
netæffentlichkeit bei der Identitåtsarbeit hilfreich
armut besteht, kann im Sinne der Selbstregulation
sein. 12 Damit die eigene Privatsphåre geschçtzt bleibt
sowie durch Erziehung und Bildung darauf hingewirkt
werden, die Gewohnheit zu entwickeln, sich Internet-
zeit durch entsprechende Zeiteinheiten sportlicher Be- 9 Vgl. Nicola Dæring, Sozialpsychologie des Internet. Die Be-

tåtigung ¹zu verdienenª. 8 deutung des Internet fçr Kommunikationsprozesse, Identitåten,


soziale Beziehungen und Gruppen, Gættingen 20032, Kap. 6.
10 Vgl. dies. Nicola Dæring, Personal Home Pages on the Web: A
7 Vgl. Jessica A. Whiteley/Bruce W. Bailey/Kyle J. McInnis, State Review of Research, in: Journal of Computer-Mediated Commu-
of the Art Reviews: Using the Internet to Promote Physical Acti- nication, 7 (2002) 3, o. S.
vity and Healthy Eating in Youth, in: American Journal of Life- 11 Vgl. Kelly Schmitt/Shoshana Dayanim/Stacey Matthias, Per-

style Medicine, (2008) 2, S. 159± 177. sonal homepage construction as an expression of social deve-
8 Vgl. Karen H. Larwin/David A. Larwin, Decreasing Excessive lopment, in: Developmental Psychology, 44 (2008) 2, S. 496 ±506.
Media Usage While Increasing Physical Activity: A Single-Subject 12 Vgl. Jonathan Alexander, Homo-pages and queer sites: Stu-

Research Study, in: Behavior Modification, 2008; (Online first: dying the construction and representation of queer identities on
http://bmo.sagepub.com/cgi/content/abstract/014544550831966 the world wide web, in: International Journal of Sexuality &
8v1 (12. 7. 2008). Gender Studies, 7 (2002), S. 85±106.

APuZ 39/2008 43
und dennoch bei Bedarf heikle Persænlich- wenig vorteilhafter darzustellen und leichter
keitsaspekte thematisiert werden kænnen, mit anderen Menschen in Kontakt zu kom-
werden Online-Selbstdarstellungen ggf. auch men. Manchmal kænnen spielerische Identi-
pseudonym erstellt oder nur fçr bestimmte tåtsexperimente im Internet (so geben sich Ju-
Nutzergruppen freigeschaltet. gendliche im Chatroom mitunter ålter aus als
sie sind) neue Einsichten vermitteln und die
Bei diesen persænlichen Internetpublikatio- Sozialkompetenz verbessern. 13 Dass sich
nen handelt es sich um Nischenmedien, die auch Menschen mit kriminellen Absichten
sich an Freunde und Bekannte, an Mitbetrof- das Internet zunutze machen, sollte zwar An-
fene und Interessierte wenden und von diesen lass zur Vorsicht sein, aber nicht zu çbertrie-
aktiv abgerufen werden. Sie zielen ausdrçck- benem Misstrauen fçhren. Der græûte Teil
lich nicht auf ein Massenpublikum und einen der computervermittelten Kommunikation
Massengeschmack ab, mçssen und wollen findet mit Menschen statt, die wir auch sonst
keine ¹Quoteª machen oder in Inhalt und aus dem Alltag kennen, so dass Identitåtsver-
Form den Trendmedien entsprechen. Ihre schleierungen kaum mæglich sind. Im Gegen-
Stårke liegt in der Authentizitåt des indivi- teil, nicht nur schçchterne Menschen berich-
duellen Ausdrucks, inklusive mæglicher Un- ten, dass sie sich bei der Online-Kommunika-
beholfenheit und Improvisation, die im Kon- tion per E-Mail, Chat oder Instant Messenger
trast zur Hochglanzåsthetik der normierten oft entspannter fçhlen als im direkten Ge-
kommerziellen Medienwirklichkeit steht. språch und dass es ihnen leichter fållt, ihr
Das natçrliche Selbstdarstellungs- und Mit- wahres Ich zu zeigen. 14
teilungsbedçrfnis von Internetnutzern ¹wie
du und ichª, die ihre Belange mit eigener
Stimme artikulieren und mit eigenen Stilmit- Soziale Beziehungen und Internet
teln zum Ausdruck bringen, wird oft vor-
schnell als ¹virtueller Exhibitionismusª diffa- Fragt man Menschen danach, was ihrem
miert. Doch eine demokratische Medienge- Leben Sinn verleiht, so stehen zwischen-
sellschaft sollte die breite Partizipation der menschliche Beziehungen in allen Alters-
Bçrgerinnen und Bçrger an der Produktion gruppen an erster Stelle. 15 Dies spiegelt sich
von Medieninhalten begrçûen. Dass dabei auch in der Art und Weise des Gebrauchs des
auch private Themen eine Rolle spielen, ver- Internet wider. Insbesondere Jugendliche
wundert nicht, da diese doch fçr Identitåt nutzen es, um Kontakt zu ihren Freunden zu
und Lebenszufriedenheit von groûer Bedeu- halten, bevorzugt per Instant Messenger, der
tung sind. Dabei dçrfen die Persænlichkeits- anzeigt, welche Freunde gerade online sind,
rechte Dritter freilich nicht verletzt werden; und schnellen Nachrichtenaustausch erlaubt.
auch ist es verboten, verfassungsfeindliche Verstårkte Internetnutzung geht bei den
Botschaften zu verbreiten, denn ein rechts- meisten Jugendlichen nicht ± wie oft befçrch-
freier Raum ist das Internet nicht. tet wird ± mit sozialer Isolation einher, son-
dern ist eher Ausdruck besonders guter sozia-
Wåhrend persænlichen Online-Publikatio- ler Integration. 16 Auch der Erfolg der Social-
nen wie Homepages, Online-Profilen oder 13 Vgl. Patti M. Valkenburg/Jochen Peter, Adole-
Internettagebçchern oft Exhibitionismus und scents' Identity Experiments on the Internet: Conse-
çbertriebene Selbstoffenbarung vorgeworfen quences for Social Competence and Self-Concept
werden, steht computervermittelte Kommu- Unity, in: Communication Research, (2008) 35, 208±
nikation ± beispielsweise das Chatten ± im 231.
14 Vgl. John A. Bargh/Katelyn Y. A. McKenna/
Verdacht, von Identitåtståuschungen und
Grainne M. Fitzsimons, Can You See the Real Me?
Maskerade geprågt zu sein. Empirische Stu-
Activation and Expression of the ,True self' on the In-
dien zeigen jedoch, dass beliebige Identitåts- ternet, in: Journal of Social Issues, 58 (2002), S. 33 ±48.
tåuschungen eher selten vorkommen: Ent- Anmerkung der Redaktion: Siehe hierzu auch den
sprechende Texte zu verfassen, ist aufwåndig Beitrag von Uwe Buermann in diesem Heft.
und meist wenig lohnend. Auch der viel be- 15 Vgl. Ann Auhagen, On the psychology of meaning

schworene Online-Geschlechterwechsel wird of life, in: Swiss Journal of Psychology, 59 (2000) 1,


S. 34 ±48.
nur von einer winzigen Minderheit der Inter- 16 Vgl. Patti M. Valkenburg/Jochen Peter, Preadole-
netnutzer regelmåûig vollzogen, die meisten scents' and Adolescents' Online Communication and
nutzen die Freiheiten der computervermittel- Their Closeness to Friends, in: Developmental Psy-
ten Kommunikation einfach, um sich ein chology, 43 (2007) 2, S. 267±277.

44 APuZ 39/2008
Networking-Plattformen unterstreicht die kommt. 19 Damit verbunden ist eine Hori-
Bedeutung des Internet fçr die Pflege sozialer zonterweiterung; bei mangelnder Toleranz
Beziehungen. Die Mehrzahl der Studierenden kann es jedoch auch zu massiven Konflikten
in Deutschland nutzt die Plattform StudiVZ kommen.
sowohl zur Kontaktpflege am neuen Studien-
ort als auch, um mit ehemaligen Schulfreun- Bei reinen Online-Beziehungen, die sich
den in Verbindung zu bleiben. 17 In beiden im Internet anbahnen und vor allem per On-
Fållen verdrångt die Online-Kommunikation line-Kommunikation gepflegt werden, han-
nicht das persænliche Gespråch oder Treffen, delt es sich in der Regel um eher schwache
sondern bietet zusåtzliche Kontaktmæglich- Bindungen. Sie sind nicht so umfassend und
keiten. stabil wie herkæmmliche persænliche Bezie-
hungen. Doch genau darin liegt zugleich ihre
Auch Familien- und Verwandtschaftsbe- Stårke: In der modernen Gesellschaft bewe-
ziehungen kænnen von computervermittelter gen sich Menschen in ganz verschiedenen pri-
Kommunikation profitieren, etwa wenn El- vaten und beruflichen Zusammenhången;
tern mit ihren erwachsenen Kindern per E- zudem sind sie geografisch mobiler. Die
Mail in Kontakt bleiben oder entfernt leben- Mæglichkeit, zusåtzlich zu der in der Regel
de Groûeltern per Online-Fotoalbum oder begrenzten Anzahl enger Freundschaften im
Webcam regelmåûig ihre Enkel sehen kæn- råumlichen Umfeld mit relativ geringem Auf-
nen. Wåhrend postalische Briefe heute nur wand ein (groûes) Netzwerk lockerer On-
noch von sehr wenigen Menschen und nur zu line-Kontakte zu pflegen, ist psychologisch
besonderen Anlåssen geschrieben werden, oft vorteilhaft zu bewerten: In Situationen, in
gibt es bei der Online-Kommunikation keine denen Angehærige nicht helfen kænnen, ste-
hohe Schreibbarriere, der Austausch ist weni- hen so weitere Ansprechpartner zur Verfç-
ger floskelhaft und steif, dafçr lebendiger und gung.
åhnelt dem mçndlichen Gespråch. War die
çblicherweise telefonische Kontaktpflege im Das Kennenlernen via Internet beschert
Verwandtschaftskreis frçher in erster Linie aber nicht nur lockere Online-Beziehungen,
Frauensache, so sind durch Online-Kommu- sondern steht oft am Anfang sozialer Bezie-
nikation mittlerweile auch die Månner stårker hungen, die offline weitergefçhrt werden:
einbezogen, indem sie mit Verwandten E- Aus Online-Gemeinschaften bilden sich
Mails austauschen. nicht selten lokale Stammtische, Online-Kon-
taktforen fçhren zu spontanen Verabredun-
Neben der Pflege vorhandener Sozialkon- gen. Neben dem Arbeitsplatz und Freizeit-
takte dient das Internet auch zum Aufbau veranstaltungen ist das Internet långst die
neuer Beziehungen, etwa çber die Teilnahme wichtigste Partnerbærse. Statt in der Kneipe
an Online-Gemeinschaften oder die Nutzung den Blickkontakt zu anonymen Unbekannten
von Online-Kontaktbærsen. 18 Die Befçrch- zu suchen, wird der erste Kontakt in Online-
tung, dass Online-Gemeinschaften zu einer Foren hergestellt oder auf Social-Network-
Cyber-Balkanisierung fçhren, also zu einer ing-Plattformen nach Flirtpartnern in lokaler
Zersplitterung der Gesellschaft in abgeschot- Nåhe gesucht, um sich ggf. mit diesen zu tref-
tete Online-Zirkel, ist empirischen Ergebnis- fen. Dadurch beschrånkt sich die Partnerwahl
sen zufolge unbegrçndet. Vielmehr erwei- nicht auf die åuûere Erscheinung, sondern es
tern Online-Kontakte das soziale Netzwerk, werden von vornherein auch gemeinsame In-
weil man sich nicht nur mit seinesgleichen teressen oder kommunikative Ûbereinstim-
austauscht, sondern an verschiedenen On- mung einbezogen. Es gibt Hinweise darauf,
line-Gemeinschaften teilnimmt und dadurch dass Freundschaften und Partnerschaften, die
verstårkt mit Menschen auûerhalb des ge- sich aus einer langsamen Online-Annåherung
wohnten sozialen Kreises in Kontakt entwickelt haben, besonders tragfåhig sind.

Kritiker warfen der computervermittelten


17 Vgl. Nicole B. Ellison/Charles Steinfield/Cliff Kommunikation zu Beginn der Internetåra
Lampe, The benefits of Facebook ¹friendsª: Social ca-
oft vor, entmenschlicht und gefçhllos zu sein.
pital and college students' use of online social network
sites, in: Journal of Computer-Mediated Communica- Nicht selten ist jedoch eher das Gegenteil der
tion, 12 (2007) 4, o.S..
18 Vgl. N. Dæring (Anm. 9), Kap. 7. 19 Vgl. ebd., Kap. 8.

APuZ 39/2008 45
Fall: Der schriftliche Austausch ermutigt zu Fazit
einer unbefangenen zwischenmenschlichen
Annåherung, persænliche Themen werden ra- Neben den hier angesprochenen Lebensbereichen Ge-
scher angesprochen; es entsteht der Eindruck sundheit, Identitåt, soziale Beziehungen kann das In-
von Nåhe. Komplimente sorgen fçr gute ternet auch in den Bereichen Bildung, Beruf, Konsum,
Stimmung, die mediale Distanz steigert die Freizeit, Spiritualitåt oder Sexualitåt unterstçtzend
Neugier und Sehnsucht nach dem Gegençber. eingesetzt werden. 20 Dabei ist es generell so, dass den
Online-Kommunikation ist nicht selten emo- Chancen des Internet zur Steigerung der Lebensquali-
tional aufgeheizt und erotisierend. Die dis- tåt entsprechende Risiken gegençberstehen, denen
krete Pflege von Online-Affåren und virtuel- durch umsichtiges Verhalten und durch Internetkom-
len Seitensprçngen kann daher einerseits be- petenz weitgehend ausgewichen werden kann, die
stehende Partnerschaften und Ehen manchmal aber unvermeidlich sind. So sind zwischen-
gefåhrden; andererseits kann der virtuelle Sei- menschliche Kontakte im Internet (wie auch sonst im
tensprung auch dabei helfen, aus unbefriedi- Leben) zuweilen eben mit Enttåuschungen verbunden.
genden Lebenssituationen auszubrechen. Auch ist zu beachten, dass die Handlungsmæglichkei-
ten im Internet vielfach zweischneidig erlebt werden:
Internetnutzerinnen und -nutzer entspre- Die vielen unterhaltsamen Internetangebote (etwa
chen heute einem Querschnitt der Gesell- Mehrpersonen-Online-Spiele) bieten einerseits einen
schaft. Daher ist die Befçrchtung, beim On- sehr spannenden Zeitvertreib und psychische Erho-
line-Kontakt in erster Linie an zweifelhafte lung vom Alltagsstress, andererseits werden sie von
Personen zu geraten, unbegrçndet. Trotzdem den Spielern selbst teilweise als Zeitverschwendung
sollte auch bei einem sehr angenehmen On- wahrgenommen. 21 Eine exzessive Internetnutzung,
line-Kontakt vor einer Vertiefung eine ge- die zwanghafte oder suchtåhnliche Zçge annimmt und
wisse Realitåtsprçfung stattfinden (typischer- auf Kosten anderer Lebensbereiche geht, wird nur bei
weise besteht diese im Austausch von Fotos einer Minderheit von Onlinern festgestellt. Diese so
und einem oder mehreren Telefonaten); auch genannte Internetsucht tritt oft im Zusammenhang mit
sollte das erste Treffen an einem æffentlichen anderen problematischen Lebensumstånden auf (etwa
Ort stattfinden. Moderierte Online-Commu- bei Arbeitslosigkeit, bei vorhandenen Depressionen
nities bieten die Mæglichkeit, belåstigende oder bei Alkoholmissbrauch) und ist psychologisch
Botschaften und Nutzer zu melden und diese bislang nicht als eigenes Krankheitsbild anerkannt. 22
bei Bedarf auszuschlieûen. Sie werden insbe- Statt das Internet mit einer Droge gleichzusetzen, ist es
sondere fçr Kinder empfohlen, deren Inter- psychologisch sinnvoller, nach den wahren Ursachen
netnutzung idealerweise von den Eltern zu zu suchen, die zu einem selbst schådigenden Umgang
begleiten ist. mit dem Internet fçhren.

Gerade wegen des groûen Angebots an Fçr die Psychologie steht das Verhalten und Erleben
mæglichen Kontaktpartnern ist auch im Inter- des Individuums im Mittelpunkt. Folgen des Internet
net soziale Kompetenz notwendig, um andere werden vor dem Hintergrund individueller und eben
auf sich aufmerksam zu machen und fçr sich auch verånderbarer Gebrauchsweisen betrachtet ± dies
einzunehmen, sonst wird man schnell ¹weg- ist freilich nur ein kleiner Ausschnitt aus der Vielfalt
geklicktª. Zudem erfordert die Pflege zwi- der Wirkungen des Internet. Unbeachtet bleiben bei-
schenmenschlicher Beziehungen auch im On- spielsweise ækonomische Faktoren, die ausschlagge-
line-Bereich ein entsprechendes Engagement bend dafçr sind, unter welchen Bedingungen Compu-
und den Einsatz von Zeit. Kurze Stippvisiten ter hergestellt werden oder welche Auswirkungen die
in einem Chatroom werden in oberflåchli- Internetnutzung auf Umwelt und Klima hat.
chem Smalltalk steckenbleiben, bedeutungs-
vollere Online-Beziehungen entstehen erst
20 Vgl. Joseph Sirgy/Dong-Jin Lee/Jeannie Bae, Developing a
durch eine regelmåûige Teilnahme. Da im In-
measure of Internet well-being: Nomological (predictive) valida-
ternet nie ¹Feierabendª ist, bedarf es wieder- tion, in: Social Indicators Research, 78 (2007) 2, S. 205±249.
um der Fåhigkeit zu bewusster Selbstregulati- 21 Vgl. Richard Wood/Mark Griffiths/Adrian Parke, Experiences

on, damit die (gerade in der Anfangsphase oft of time loss among videogame players: An empirical study, in:
sehr spannend erlebte) Pflege von Online- CyberPsychology & Behavior, 10 (2007) 1, S. 38±44.
22 Vgl. Martha Shaw/Donald Black, Internet addiction: Defini-
Kontakten nicht auf Kosten anderer Lebens-
bereiche geht. tion, assessment, epidemiology and clinical management, in: CNS
Drugs, 22 (2008), S. 353± 365.

46 APuZ 39/2008
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Dr. Katharina Belwe
(verantwortlich fçr diese Ausgabe)
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Arbeitslosigkeit: Psychologische Perspektive Die Veræffentlichungen
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Gisela Mohr ´ Peter Richter stellen keine Meinungsåuûerung
Psychosoziale Folgen von Erwerbslosigkeit: der Herausgeberin dar; sie dienen
Interventionsmæglichkeiten der Unterrichtung und Urteilsbildung.

P. Færster ´ E. Bråhler ´ Y. Stæbel-Richter ´ H. Berth Fçr Unterrichtszwecke dçrfen


Die ¹Wunde Arbeitslosigkeitª: Junge Ostdeutsche, Jg. 1973 Kopien in Klassensatzstårke herge-
stellt werden.
Theo Wehner
Jenseits der Erwerbsarbeit ISSN 0479-611 X
Neue Medien ± Internet ± Kommunikation APuZ 39/2008

Christian Stegbauer
3-9 Raumzeitliche Struktur im Internet
Raum und Zeit scheinen im Internet abwesend zu sein. Tatsåchlich sind soziale
Bindungen und soziale Netzwerke jedoch sehr stark durch die Verknçpfung in
die Bereiche auûerhalb des Internet gekennzeichnet.

Andreas Hepp
9-16 Globalisierung der Medien und transkulturelle Kommunikation
Die Etablierung digitaler Medien im Kontext der Globalisierung der Medien er-
mæglicht transkulturelle Kommunikation. Am Beispiel der europåischen Úffent-
lichkeit werden die hier liegenden Herausforderungen verdeutlicht.

Miriam Meckel
17-23 Wie Web 2.0 unsere Kommunikation veråndert
Web 2.0 beschreibt das Phånomen eines verånderten Internet, in dem sich Vielfalt
çber die Kreativitåt der Vielen definiert. Die Nutzer kænnen Informationen neu
zusammensetzen, mit anderen teilen und gemeinsam Neues produzieren.

Rainer Winter
23-28 Perspektiven eines alternativen Internet
Analysiert werden die alternativen Dimensionen des Internet; u. a. wird die In-
ternetnutzung in den neuen sozialen Bewegungen und Fangemeinschaften sowie
die Schaffung neuer Råume durch den Einsatz taktischer Medien diskutiert.

Kathrin Kissau
29-34 Internetnutzung von Migranten ± ein Weg zur Integration?
Das Internet spielt im Alltag von Migranten in Deutschland eine immer wichti-
gere Rolle. Es kann Integrationsprozesse unterstçtzen sowie neue Mæglichkeiten
der Annåherung von Aufnahmegesellschaft und Zuwanderern bieten.

Uwe Buermann
34-40 Kinder und Jugendliche zwischen Virtualitåt und Realitåt
Welche Bedeutung haben die realen und virtuellen Lebensråume fçr die kindliche
Entwicklung? Welche Chancen und Gefahren gehen mit den modernen Kommu-
nikationsmedien einher? Wie kann Gefahren begegnet werden?

Nicola Dæring
41-46 Psychische Folgen der Internetnutzung
Nicht das Internet erzeugt positive oder negative Wirkungen, sondern seine Ge-
brauchsweise. Viele Menschen nutzen es bereits im Dienste ihrer Gesundheit,
zur Stårkung ihrer Identitåt, zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen.

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