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nachrichten g 3336 13.12.2007 23. jahrg./issn 0945-3946 1,30 ¤
www.antifaschistische-nachrichten.de
siehe auch S. 7
D
er bisherige Wahlkampf der NPD
in Niedersachsen zeigt, dass die
Abgrenzung des Parteivorstandes
NPD hofft auf weitere
zum „Schwarzen Block“ vom 15. August
in der Realität schnell vergessen ist. Beim
Parlamentssitze
Wahlkampfauftakt am 15.9. in Hannover anderer Kulturkreise“. Demagogisch den Gleisen des „Richters Gnadenlos“
wurden die ‚freien“ Nationalisten offen heißt es, da die Integration gescheitert sei, Ronald Schill, wenn auch die Forderung,
hofiert. Ganz offensichtlich braucht die dürften deutsche und ausländische Kinder ‚Bettler und Penner“ hätten auf Hamburgs
NPD gerade diese Gruppen, um ihr ange- nicht länger die Leidtragenden sein. Straßen nichts verloren, auf dem Pro-
strebtes Ziel zum Einzug in den Landtag Durch die Einrichtung von Sonderklassen grammparteitag sprachlich gemildert
ihres „Stammlandes“ – 6 plus x der Stim- sollten die ausländischen Kinder „bei ih- wurde. Forderungen nach Abschaffung
men – zu erreichen. So waren nicht nur rer Rückführung“ einen leichteren Start in des Jugendstrafrechts, nach Kopftuchver-
ganze Gruppen der „autonomen“ Natio- ihrem Heimatland haben. Weitere natio- bot in öffentlichen Gebäuden und nach
nalisten aus Dortmund, Essen und Hamm nalistische Forderungen sind die nach genetischem Fingerabdruck von allen
angereist, auch auffällig viele Kamerad- Prämien für jeden Betrieb in Hessen, der Asylbewerbern führten dennoch dazu,
schaftsaktivisten aus dem „Sozialen und bevorzugt Deutsche einstellt (das eigene dass die „lächelnde Guillotine“ (so
Nationalen Bündnis Pommern“ spielten Volk muss im eigenen Land bevorzugt Kuschs Spitzname) bei der Veranstaltung
eine wichtige Rolle. Ihnen war aus der werden“), nach Ehestandsdarlehen für vom „Schwarzen Block“ mit massiven
Seele gesprochen, als neben Spitzenkan- deutsche Paare und nach ‚Begrüßungs- „Schill junior“-Rufen gestört wurde.
didat Molau auch Bundesvorsitzender geld“, wenn diese dann deutsche Kinder Auch die Veranstaltungen des EX-Schil-
Udo Voigt die zuvor verkündete Ausgren- zeugen sowie nach einem Schulfach lianers Dirk Nockemann (früher Innense-
zung durch die Bundespartei aufhob und (deutsche) „Volkskunde/Kultur“. nator) mit seiner ‚Deutschen Zentrums-
den „Black Block“ zur Unterstützung des Für die Bürgerschaftswahl in Hamburg partei“ gerieten zum Debakel, gingen in
Wahlkampfes begrüßte. Dieter Riefling, haben wieder mehrere Gruppierungen das einem Meer von Seifenblasen, Luft-
verurteilter ‚Blood & Honour“-Aktivist Wählerpotenzial rechts von der CDU im schlangen, Spottgesängen, in Gejohle und
und Anführer der Freien Nationalisten Blick. Entsprechend dem Wahlpakt zwi- Handyton-Gedudel unter.
Niedersachsen, erklärte dann demonstra- schen DVU und NPD ist es hier die DVU, Das rechtsextreme „Nationale Bünd-
tiv: „Wir brauchen jeden Mann und jede die die rechtsextreme Liste aufstellt, was nis“ Dresden hat beschlossen, bei der
Frau“. Er kann als Direktkandidat für die NPD-Vertreter nicht ausschließt. Die Un- Stadtratswahl 2009 nicht mehr selbst an-
NPD im Landtagswahlkampf antreten terstützung der „Freien Nationalisten“ zutreten, sondern die offenen Listen der
und versprach schon: „Im Landtag wer- dürfte sich dagegen schwieriger gestalten. NPD zu unterstützen. Bei der Vorstands-
den wir für neue Zeiten sorgen!“ Bereits im Sommer versuchten des weite- wahl im September wurden alle Vor-
Mit einem aktualisierten „Sofortpro- ren zwei ehemalige Senatoren auf Schills standsmitglieder in ihren Ämtern bestä-
gramm“ will eine NPD-Fraktion bei Ein- Spuren mit populistisch-nationalistischen tigt. Holger Apfel, stellvertretender Vor-
zug in den hessischen Landtag punkten. Parolen in den beginnenden Wahlkampf sitzender der NPD und Fraktionsvorsit-
Nach der populistischen Forderung „Sen- einzusteigen. Ex-Senator und Ex-CDU- zender der NPD im sächsischen Landtag
kung der Abgeordnetendiäten auf 50 %“ Mitglied Roger Kusch (früher Justizchef) bleibt auch da Chef.
kommt man ähnlich wie Andreas Molau wagte eine Neugründung unter dem Na- aus Newsletter Die Linke / BAG
in Hannover gleich zur Sache und fordert men „KUSCH – rechte Mitte Heimat Rechtsextremismus/Antifaschismus, Anti-
„Sonderklassen für ausländische Kinder Hamburg“. Er fährt dabei weitgehend auf fa aktuell 10/2007 ■
München, 22. November. Pres- Ausstellungsstücke nicht auf Reisen Menschen verhungern sollten, um „Le-
sekonferenz in der Chefetage schicken kann (vor München wurde die bensraum im Osten“ für den deutschen
des Bayerischen Hauptstaatsar- Wanderausstellung in diesem Sommer in Herrenmenschen zu schaffen. 27 Millio-
chivs. In einer Stunde soll ein Stock- Frankfurt/Main gezeigt). Und auch in- nen Tote hatte die Sowjetunion durch
werk tiefer die Ausstellung „Erzwunge- haltliche Änderungen. Der Abschnitt den deutschen Überfall zu beklagen. Sol-
ne Wege“ der Stiftung Zentrum gegen über die Vertreibung von Ungarn aus der che Zahlen werfen ein grelles Licht auf
Vertreibungen eröffnet werden. Auf Slowakei sei ausgeweitet, der Teil über Sätze wie diesen: „Die Vertreibung, die
Wunsch „der Staatskanzlei“, d.h. auf Italien dafür zusammengefasst worden. Deportation und auch die Flucht Millio-
Wunsch des bisherigen bayerischen Das leuchtet ein: Ungarn war während nen Deutscher aus der Heimat war in Art
Ministerpräsidenten Stoiber, wurde des Zweiten Weltkriegs mit Deutschland und Umfang ein Verbrechen gegen die
die Ausstellung kurzfristig ins Pro- Menschlichkeit von ganz einzigartigem
verbündet und stellt jetzt ähnliche Forde-
gramm des Archivs genommen. Ausmaß.“ Diesen Satz hat Erika
Steinbach am 1.6.1995 vor dem
Die Pressekonferenz ist dünn be- Deutschen Bundestag gesprochen.
sucht, und Fragen der Journalis- Ähnlich der Ausstellungstext:
ten sind offenbar nicht vorgese- „Flucht und Vertreibung von 12 bis
hen. Nach den einleitenden Flos- 14 Millionen Deutschen am Ende
keln von Prof. Dr. Rumschöttel, des Zweiten Weltkrieges aus den
Generaldirektor der staatlichen deutschen Ostgebieten und aus den
bayerischen Archive, und Erika deutschsprachigen Regionen au-
Steinbach, Präsidentin der Stif- ßerhalb Deutschlands stellten die
tung und des Bundes der Vertrie- größte Zwangsmigration in der eu-
benen, soll man eigentlich gleich ropäischen Geschichte dar.“
hinausgeschickt werden zu einer Aber nicht die Furcht davor, sich
Führung durch die Ausstellung Eröffnung der Müncher Ausstellung am 22.11., Günther Beck- selbst Lügen zu strafen, sei der
unter Anleitung der Kuratorin, stein und Erika Steinbach(1. und 2. von rechts) Grund für die auffällige Lücke in
Frau Dr. Klotz. der Ausstellung, erfahre ich. Die
Ich habe mir die Ausstellung schon im rungen an die Slowakei wie die deut- Gründe seien ganz einfach: Erstens habe
vorigen Jahr im Berliner Kronprinzenpa- schen Vertriebenenverbände an Tsche- man eben eine Auswahl treffen müssen,
lais gründlich angesehen und festgestellt, chien. Gerade vor ein paar Tagen fand in zweitens hätten sie niemanden gehabt,
dass sie alle Befürchtungen bestätigt. Die Budapest ein Staatsakt unter dem Motto der Russisch konnte, und drittens seien
verschiedensten historischen Gescheh- „60 Jahre Unrecht der Vertreibung“ statt. die Russen ohnehin nicht sehr kooperativ
nisse werden in eine Reihe gestellt und Frau Steinbach war dazu eingeladen. gewesen. Außerdem enthalte die Ausstel-
gleichermaßen als „ethnische Säuberun- Prof. Rumschöttl und Frau Steinbach lung doch Vieles über die Sowjetunion,
gen“ mit dem Ziel der Schaffung homo- verbreiten sich jetzt über die Vielzahl der z.B. über das Baltikum. (In der Tat gibt
gener Nationalstaaten interpretiert. Die Völker, die als Opfer von Vertreibungen es einen Abschnitt über die „Umsiede-
unterschiedlichen Vorgeschichten wer- Aufnahme in die Ausstellung gefunden lung“ (!) der Deutschbalten und der Li-
den dabei gleichgültig. Nach dem Motto haben. Ja, sage ich, nur die Russen feh- tauendeutschen ins besetzte Polen durch
„Das Leiden des Individuums ist überall len. In der Berliner Ausstellung waren Hitler).
gleich“ braucht man sich dafür nicht sie nicht einmal in der Aufzählung ge- Bevor noch peinlichere Sätze fallen,
mehr zu interessieren. Auch die Umsie- nannt, die den Prolog der ganzen Schau mahnt Prof. Rumschöttl zum Rundgang.
delung von Deutschen am und nach dem bildete. (Die entsprechende Tafel fehlt in Draußen spricht mich Dr. Wilfrid Ro-
Ende des Zweiten Weltkrieges wird zu München). Dabei gehörte die Vertrei- gasch an. Er ist Historiker, Mitarbeiter
einer angeblichen „ethnischen Säube- bung der Zivilbevölkerung ausdrücklich des Deutschen Historischen Museums in
rung“ – Deutsche mussten leiden, „nur zur Kriegsstrategie der deutschen Wehr- Berlin und einer der Kuratoren und Ma-
weil sie Deutsche waren“ und Polen und macht in der Sowjetunion. „Die Flucht cher dieser Ausstellung. Er möchte gern
Tschechen sie einfach loswerden woll- der Bevölkerung bei und nach der Beset- eine gute Presse für das Werk und appel-
ten. Schon seit dem 19. Jahrhundert sei- zung der Stadt nach Osten ist zu för- liert an meine Nachsicht. Sie hätten ja
en rigorose Vertreibungspläne geschmie- dern“, heißt es beispielsweise mit Blick viele Tage in polnischen, aber keinen Tag
det worden, Hitler habe dann – so hat es auf die ukrainische Stadt Charkow in ei- in russischen Archiven zugebracht. Und
Frau Steinbach mehrfach verkündet – nem Eintrag in das Kriegstagebuch der 6. vielleicht kann man ja irgendwann meine
nur die willkommene Gelegenheit zur deutschen Armee vom 10. Oktober 1941. „Anregungen“ noch aufnehmen. Mei-
Verwirklichung der Pläne gegeben. Mit Eine riesige Vertreibungs- und Flucht- nem Einwand, dass der Vernichtungs-
seriöser Geschichtsdarstellung hat das welle von 14 Millionen Menschen habe feldzug der deutschen Wehrmacht in der
alles nichts zu tun. die Wehrmacht schon 1941 bei ihrem Sowjetunion sich wohl schwerlich in das
Aber ist die in München gezeigte Vormarsch vor sich her geschoben, Konzept von den ethnischen Säuberun-
„Wander- Variante“ der Ausstellung schreibt der Historiker Peter Jahn, ehe- gen zwecks Schaffung eines homogenen
identisch mit der, die ich in Berlin gese- maliger Direktor des Deutsch-Russi- Nationalstaates einpassen lassen würde,
hen habe? Oder hat die Kritik an der Ber- schen Museums in Berlin-Karlshorst in begegnet er mit Optimismus: „Doch, das
liner Urfassung vielleicht zu Veränderun- einem Artikel, der nicht zufällig gerade kriegen wir schon hin.“ Ich fürchte, da
gen geführt? zum Zeitpunkt der Eröffnung der „Er- hat er recht.
Das will ich doch noch wissen, bevor zwungenen Wege“ in Frankfurt in der Renate Hennecke ist Redakeurin der
die Führung beginnt. Ja, es habe Ände- ZEIT erschien. Ausdrücklich ging die Deutsch-Tschechischen Nachrichten ■
rungen gegeben, erfahre ich. Solche deutsche Führung davon aus, dass noch Download, Bezugsbedingungen unter
praktischer Art, weil man die kostbaren weit mehr als 14 Millionen sowjetische www.deutsch-tschechische-Nachrichten.de