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Univ.-Prof. DDr.

Rudolf Leeb
SoSe 2009

PS+SA 020020 – Mystik im Protestantismus

Valentin Weigel
-
Mystik im Spiritualismus

Datum: 27.11.2009
Name: Livia Stiller
Matr.-Nr.: 0846522
Studienkennzahl: 041

Adresse: Blumengasse 6/ 301


1180 Wien

Tel. (Handy): 0681 10568605


E-Mail: livia.stiller@googlemail.com
„Wir müssen alle von Gott gelehrt werden. Von innen muß herausquellen die
Erkenntnis … und nicht vom Buche hinein getragen werden.“1

1 Wehr, Gerhard: Valentin Weigel. S. 44.

2
Inhaltsverzeichnis:

1. Einleitung.........................................................................................................4

2. Begriffserklärung: Mystik..............................................................................5

3. Spiritualismus..................................................................................................5

3.1 Definition....................................................................................................5
3.2 Bedeutende Vertreter...................................................................................6

4. Valentin Weigel................................................................................................7
4.1 Leben..........................................................................................................7
4.2 Werke..........................................................................................................9
4.3 Theosophie...............................................................................................10
4.3.1 Allgemeines.......................................................................................10
4.3.2 Der Mensch als Mikrokosmos ..........................................................14
4.3.3 Erkenntnis..........................................................................................16
4.3.4 Stellung der heiligen Schrift..............................................................18
4.3.5 Vom Wesen Gottes.............................................................................20
4.3.6 Das moralische Gesetz in uns............................................................22
4.4 Nachwirkung............................................................................................23

5. Spiritualismus heute.................................................................................24

6. Resümee.....................................................................................................24

Anhang:

I. Abbildungsverzeichnis.............................................................................I
II. Literaturverzeichnis...........................................................................XIV
III. Internetrecherche..............................................................................XVII

3
1. Einleitung

„O mein Schöpfer und Gott, durch dein Licht erkenne ich, wie wunderbarlich ich
gemacht bin. Aus der Welt bin ich gemacht und bin in der Welt und die Welt ist in mir.
Ich bin auch von dir gemacht und ich bleibe in dir und du in mir. Aus der Welt bin ich,
die Welt trägt mich, sie umgreift mich, und ich trage die Welt und umgreife die Welt.
[…]. Denn alles, was in der großen Welt ist, das ist auch alles in mir geistlich, darum
bin ich und sie eins und kann ohne sie nicht sein noch leben.“2

Der Mensch – ein vollkommenes Wesen Gottes. Der Mensch – die Krone der
Schöpfung. Von Gott wurden wir erschaffen. Wir sind in ihm und er ist in uns. In der
Welt, die uns Gott als Lebensraum geschenkt hat, sind wir in der Natur und durch seine
Geschöpfe mit ihm verbunden. Gott ist allgegenwärtig, doch wir können ihn nur in uns
wirklich finden. Wenn man den Geist auf das Innere konzentriert, kann man so zu Gott
und zum Glauben finden. Die Zentralisierung auf das Innere stellt u.a. ein Element des
Spiritualismus dar.
In meiner Proseminararbeit über „Valentin Weigel - Mystik im Spiritualismus“ werde
ich sowohl auf die allgemeinen Merkmale der Mystik und des Spiritualismus eingehen
als auch die Theosophie Valentin Weigels darlegen.
In der Vorarbeit habe ich mich mit einigen Schriften Valentin Weigels intensiv
beschäftigt. Doch aus der Fülle des gesammelten Materials fiel es mir nicht leicht,
Schwerpunkte zu setzen. Es war sehr interessant, sich in Weigels Gedankenwelt
einzulesen. Lange habe ich überlegt, welche Themen ich nun in meiner Arbeit über
Weigel fokussieren möchte. Das Buch von Walter Lehmann „Deutsche Frömmigkeit.
Stimmen deutscher Gottesfreunde.“ half mir dabei, eine Auswahl über bestimmte Werke
Weigels treffen zu können. In diesem Buch stellt Walter Lehmann verschiedene
Schriften von Mystikern zusammen ohne diese allerdings zu erläutern, darunter auch
Meister Eckhardt und Jakob Böhme. Ich habe mich ebenfalls auf die von Walter
Lehman getroffene Auswahl aus der umfangreichen Literatur Weigels konzentriert.
Ich möchte in meiner Proseminararbeit das Leben des Spiritualisten Valentin Weigels
vorstellen, um dann im Anschluss seine Mystik näher zu erläutern. Doch zuvor werde
ich die Begriffe der Mystik und des Spirtualismus kurz erklären.

2 Lehmann,Walter: Deutsche Frömmigkeit. Stimmen deutscher Gottesfreunde. S.164.

4
2. Begriffserklärung: Mystik

Der Begriff „Mystik“ stammt vom griechischen Wort μύω und bedeutet schließen. Im
Besonderen ist das Schließen der Augen gemeint, um sich auf die eigene Innenwelt zu
konzentrieren. An Gott wird nicht nur geglaubt, sondern er wird durch religiöse
Erlebnisse seelisch und körperlich erfahren. „Was andere Mitglieder derselben
Religionsgemeinschaft aufgrund von Lehren der heiligen Schrift und der Priester
glauben, wissen die praktischen Mystiker aufgrund von Erfahrung.“3 Die
Gotteserfahrung kann nicht allein durch ein intensives Studium der Schrift erreicht oder
etwa durch die Lehren oder Predigten einer anderen Person gewonnen werden. Gott
offenbart sich nur der eigenen Seele. Man versteht nun unter „Mystik“ ein oder mehrere
bestimmte religiöse Erfahrungen, die durch eine Vereinigung Gottes mit der
menschlichen Seele entstehen können. „Es besteht in der stets kurzfristigen Aufhebung
des Unterschieds zwischen dem Subjekt des religiösen Strebens, der menschlichen Seele
und dem Objekt, das angestrebt wird, Gott.“4 Mystik umfasst im weiteren Sinne die
gesamte Frömmigkeitshaltung. Summa summarum bezeichnet der Begriff der „Mystik“
das Streben des Menschen nach unmittelbaren Kontakt mit Gott durch persönliche
Erfahrung.

3. Spiritualismus

3.1 Definition

Der Begriff „Spiritualismus“ geht auf den lateinischen Wortstamm spiritus zurück und
bedeutet soviel wie Hauch und Geist. Unter spiritualitas verstand man im Mittelalter
das christliche Leben in einem geistlichen Sinne. Von den theologisch-dogmatischen
Vorgaben löste sich der Begriff der „Spiritualität“ erst in der Mystik und bezeichnete die
unabhängige, unmittelbare Hinwendung des Menschen zu Gott. Der Begriff
„Spiritualismus“ bezeichnet somit eine theologische Haltung, die eine direkte geistige
Beziehung zu Gott in den Vordergrund stellt und eine äußere, dingliche Vermittlung,
beispielsweise durch Sakramente, die Bibel oder das geistliche Amt, abwertet oder
ausschließt. Schrift und Sakramente sind lediglich Zeugen einer inneren Wirklichkeit.

3 Schäfer, Peter: Wege mystischer Gotteserfahrung. S. 114.


4 Ebd.

5
Im radikalen Spiritualismus war ein innerer Abendmahlsgenuss und die innere Taufe
entscheidend, da die äußeren Sakramente und die sichtbare Kirche verworfen wurden.
Darüberhinaus bezog aber der radikale Spiritualismus auch die Heilige Schrift mit ein.
Mittelalterliche Spiritualisten hatten sich auf die Bibel berufen, um die Kirche und die
Sakramente zu umgehen. Die spiritualistische Haltung trägt ihren Ursprung in den
platonischen Schriften, spielte im Spätmittelalter eine entscheidende Rolle und ist bis in
die Gegenwart immer noch von Bedeutung. Seinen Höhepunkt erreichte er während des
16. und 17. Jahrhunderts. Der radikale Spiritualismus war im 16. Jahrhundert eine
protestantische Erscheinung, wobei das innere und das äußere Wort oder Geist und
Buchstaben gegenüber gestellt wurden, um sich den neuen Territorial- oder
Nationalkirchen, die der Schrift unmittelbar normative Geltung zuwiesen, zu entziehen.

3.2 Bedeutende Vertreter

Zwei bedeutende Vertreter der Reformation, auf die sich auch noch spätere
Spiritualisten bezogen, sind Sebastian Franck (1499-1542/43) und Kaspar Schwenkfeld
(1490-1561). Sebastian Franck verwarf die sichtbare Kirche und die dinglichen
Sakramente. Zunehmend stellte er auch den Wert der Schrift in Frage: Sie sei voller
Widersprüche und übersteige oft das menschliche Auffassungsvermögen.5 Somit
verweist die Schrift die Christen auf das innere Wort. Dieses innere Wort besteht aus
Erfahrungen und nicht aus Quellen abstrakter Einsichten und Lehren. Alle Lehrsysteme
und die Kirche bezeichnete Franck als von vornherein unchristlich. Unter den
Spiritualisten des 16. Jahrhunderts war er der Entschiedenste und entfaltete die breiteste
Wirkung. Da sowohl die evangelische als auch die katholische Kirche den
Spiritualismus verurteilte, lässt sich ein genaues Wirkungsgebiet nicht bestimmen.
Immerhin bildeten die Anhänger Schwenkfelds im Herzogtum Liegnitz nahezu eine
Landeskirche und stellten in anderen Teilen Schlesiens eine Mehrheit dar. In
Süddeutschland bildeten die Schwenkfelder ein Netz von Kleingruppen bzw.
untereinander verwandten Familien, v.a. aus der Mittel- und Oberschicht. Die
zahlreichen Schriften Schwenkfelds interessierten aber auch Einzelne und Familien, die
sich keiner größeren Gruppierung anschlossen. Gleiches gilt auch für Sebastian Franck.
Schwenckfeld blieb am engsten dem spätmittelalterlichen, katholischen Denken und der
eher sakramental ausgerichteten, neuplatonischen Tradition verbunden. Das Abendmahl

5 McLaughlin, Robert Emmet: Spiritualismus. S. 703.

6
stand im Mittelpunkt seiner Theologie. Für die vom „Geist Erfassten“6 war die Bibel
klar und lehrreich. Die Schrift blieb der Mittelpunkt der Schwenkfeldischen Gruppen.
Schwenkfeld hielt zwar an der sakramentalen und heilsmittelnden Bedeutung der
katholischen Eucharistie fest, allerdings sollten die als bloße Zeichen aufgefassten
Sakramente nicht mehr vollzogen werden, bis sie Christus selbst wieder einsetzen wird.
John Locke ebenso wie Lessing nahmen spiritualistisches Gedankengut, u.a. von
Schwenkfeld und Franck, auf, um für religiöse Toleranz einzutreten. Auch im
lutherischen Deutschland bezog sich Valentin Weigel auf den Spiritualismus Francks
und Schwenckfelds. Weitere Mystiker, darunter auch Jakob Böhme, verbreiteten den
Spiritualismus Sebastian Francks, Kaspar Schwenckfelds und Valentin Weigels.

4. Valentin Weigel

4.1 Leben

„O EWIGES LIECHT Der du wohnest In dir selber vnd bist selber deine wohnung an
keinem Ort, In keinem TERMINO beschlossen […], Damit Du bezeugest, wie dein
Reich nit gebunden sey an Orter, CEREMONIEN, Speis, Drankh, Sunder daß es Im
geist stehe Inn vns.“7

Ablehnung aller Entstellungen von Religion durch äußere Mittel, Beschränkung der
Religion auf ein inneres seelisches Erleben, Verlegung des Gottesreiches in das innere
Reich der Seele, Überwindung der historischen und dogmatischen Beschränkungen,
innere Frömmigkeit als Antrieb zum sittlichen Handeln, religiöser und praktischer
Idealismus – für all das stand und steht die Mystik von Valentin Weigel.
Weigel lässt sich in der Geschichte der deutschen Frömmigkeit und des deutschen
Idealismus zwischen Meister Eckehart und Fichte einordnen.
In Großenhain bei Meißen in Sachsen wurde Valentin Weigel 1533 geboren. Von 1549
bis 1554 besuchte er die Fürstenschule St. Afra in Meißen und studierte ab 1554
zunächst an der Leipziger Artistenfakultät8 Theologie, Philosophie, Medizin und
6 McLaughlin, Robert Emmet: Spiritualismus. S. 704.
7 Pfefferl, Horst: Valentin Weigel. S. 66.
8 Die Bezeichnung Artistenfakultät kommt aus dem Lateinischen „artes liberales“ (freie Künste). An
dieser Fakultät wurden die sieben freien Künste gelehrt, dazu gehören Grammatik, Rhetorik, Dialektik
und Arithmetik, Geometrie, Musik, Astronomie.

7
Naturwissenschaften. Im Jahr 1558 legte er das Bakkalaureatsexamen ab und erhielt im
Wintersemester 1558/59 den Magistertitel. Ab 1563 studierte er vier Jahre in Wittenberg
Theologie. Weigel wurde 1567 auf die erste und einkommensreiche Pfarrstelle der
evangelischen Stadtkirche zu Zschopau im Erzgebirge berufen und ordiniert. In dieser
Pfarrstelle war er 21 Jahre bis zu seinem Tod tätig. Er war in der Gemeinde ein sehr
beliebter Pfarrer, obwohl er eher etwas zurückgezogener lebte. 1568 heiratete er
Katharina Beich, die Tochter eines nachbarlichen Pfarrers, mit der er später drei Kinder
hatte. Wer ein kirchliches Amt übernehmen wollte, musste die Konkordienformel, die
1577 auf Veranlassung des Kurfürsten August von Sachsen entstand und als Abschluss
der lutherischen Konfessionsbildung gilt, unterschreiben. Auch Weigel erkannte die
Konkordienformel an und unterschrieb.
Als tiefsinniger Philosoph und Schwärmer wurde Weigel von seinen Zeitgenossen
beschrieben. In seinen Schriften wandte er sich gegen das System der herrschenden
Orthodoxie. Meister Eckhardt, Tauler und Franck beeinflussten ihn stark, mit ihnen
wurde er zum Wegbereiter der Deutschen Frömmigkeit. Die Kraft seiner Frömmigkeit
schöpft er in Gott, der im Inneren der Seele zu finden ist. Weigels Mystik im
Spiritualismus steht gegen Entstellungen der Religion durch äußere Mittel und
Symbole. Er steht für das eigene, persönliche Erleben des Glaubens und die
Beschränkung der Religion auf das Innere der Seele, das eine Verlegung des gesamten
Gottesreiches in das innere Reich der Seele bedeutet. Des Weiteren vertritt Weigel die
Ansicht, dass Gott das Leben an sich ist, wie wir es auch schon bei Eckhardt finden. Wir
seien durch Gott im Geist erfüllt und somit sind wir nicht an die Schrift gebunden.
Außerdem lehnt er auch alle historischen und dogmatischen Beschränkungen seiner Zeit
ab, macht sich somit unbeliebt und wird als gewaltiger Ketzer beschimpft. Selbst
Feiertage sollen nicht einfach um des Festes Willen zelebriert werden, sondern viel
mehr im Inneren der Seele verstanden, erlebt und gefühlt werden. Durch Frömmigkeit
soll zum sittlichen Handeln angeregt werden, das ein spirituelles Leben ermöglichen
kann. Mit diesen Kennzeichen der Deutschen Frömmigkeit ebnete Weigel den Weg zu
einem intellektuellen, religiösen und praktischen Idealismus.
Valentin Weigel starb am 10. Juni 1588 in Zschopau. In seinem selbstgewählten
Grabspruch wird der Inhalt seines frommen Denkens sichtbar: „Summa Summarum, o
Mensch, lerne dich selber erkennen, und Gott, so hast du genug, hier und dort.“9

9 Lehmann,Walter: Deutsche Frömmigkeit. Stimmen deutscher Gottesfreunde. S. 151.

8
4.2 Werke

Seit etwa 1570 verfasste Weigel philosophische, theologische und homiletische


Schriften, die er aber nur einem Kreis von Freunden und Bekannten handschriftlich
zugänglich machte. Die Publikation durch Drucke begann erst 21 Jahre nach dem Tod
Weigels und ist relativ unzuverlässig. Ohne erkennbare Differenzierung wurden
Bearbeitungen, in Auseinandersetzung mit seinem Werk entstandene Schriften anderer
Autoren und auch völlig fremde Texte unter Weigels Namen verbreitet. Mit seinem
Namen sind auf diese Weise mehr als 180 unterschiedliche Schriften verbunden, aber
nur weniger als 50 davon zu Recht. Zu den echten Schriften Weigels können aber mit
Sicherheit die „Anleitung zur Deutschen Theologey“, ein Gebetbuch10, „Vom Ort der
Welt“, „Der güldene Griff“11, „Dialogus de christianismo“12, „Von der seligmachenden
Erkenntnis Gottes“ und eine Reihe kleinerer Aufsätze gezählt werden. Die Drucke
stießen auf ein verbreitetes Interesse und wurden auch ins Niederländische13 und ins
Englische übersetzt. Auf der anderen Seite erregten sie Anstoß, so dass auch
Gegenschriften verfasst wurden und es zu Druckverboten kam, mit welchen sich die
offiziellen Kirchen gegen die als abweichend verstandenen Lehren zu wehren
versuchten. So entstand der Begriff „Weigelianismus“, der das gesamte 17. Jahrhundert
hindurch zur Bezeichnung jeglicher Art von Heterodoxie14 bzw. der allgemeinen
Abweichung von der lutherischen Rechtgläubigkeit verwendet wurde. Weigel rang mit
der Frage nach dem Wesen der Erkenntnis Gottes und des Menschen. Wichtige
Anhaltspunkte schöpfte er aus mystischen Überlieferungen. Bei allem Traditionsbezug
entwickelte er originelle Anschauungen zu Themen wie Welt und Schöpfung, Zeit und
Raum, Erkenntnis, Nachfolge Jesu oder Glaube. Neben neuplatonischen Ideen setzte er
sich auch mit der deutschen mittelalterlichen Mystik auseinander, dadurch trug er zur
Verankerung mystischer Denkansätze in der protestantischen Theologie und
Frömmigkeit bei. Oft wurde Weigel bis ins 20. Jahrhundert hinein als Ketzer,
Schwärmer oder Täuscher bezeichnet. Aus heutiger Sicht wird er eher als

10 s. Abb.I. S. I.
11 s. Abb.II. S. II.
12 s. Abb.III. S. IV.
13 s. Abb.IV. S. V.
14 Heterodoxie kommt vom Griechischen ἕτερος (der andere, ungleich) und δὀξα (Meinung) und
bedeutet in diesem Kontext soviel wie Andersgläubigkeit.

9
„Theosoph“15, „protestantischer Mystiker“ oder „spiritualistischer Kirchenkritiker“
bezeichnet.

4.3 Theosophie

4.3.1 Allgemeines

Wie nahe Weigel den Anschauungen Francks steht, geht aus Worten hervor, in denen er
deutlich macht, dass allein der Heilige Geist der wahre Lehrer der Christenheit sei:
„Wir müssen alle von Gott gelehrt werden. Von innen muß herausquellen die
Erkenntnis… und nicht vom Buche hinein getragen werden.“16 Außerdem bekennt sich
Weigel zu einer unsichtbaren Kirche des Geistes – einer Kirche, die durch keine Mauer
begrenzt und durch keine religiöse Dogmatik oder Organisation eingeengt ist.
Sogenannte „Schriftgelehrte“ im Sinne des Evangeliums sind für ihn diejenigen
Theologen, die sich nur an äußeren Formen und Gebräuchen orientieren und dabei ihres
geistlichen Auftrages gar nicht gerecht werden, jedoch auf ihren geistlichen Rang,
Titulatur und Autorität beharren, durch die sie sich von den sog. Laien unterscheiden.
Dabei solle man einsehen, zu lernen, „daß alle Gläubigen in der Freiheit des Geistes
wandeln […]. [...] der Geist regieret sie und nicht die Gesetze“.17 Unser Denken und
Handeln ist durch den Geist geleitet und kann nicht durch Gesetze reglementiert
werden. Weigel spricht von dem Reich Gottes, das weder an Raum und Zeit gebunden
ist, so sagt er: „Wir dürfen Christus oder den Himmel nicht außer uns, sondern in uns
suchen.“ „ [...]in uns werden wir selig, Gott schauen und von Angesicht zu Angesicht
sehen.“18 Weigel legt besonderen Wert darauf, den spirituellen und geistigen Gehalt der
Bibel wahrzunehmen, wie folgende Textstelle unterlegt: „Die Schrift ist ein äußerlicher
Spiegel. Sie zeiget dir an, wie du bist. Sie macht dich aber nicht also. Darum kannst du
den Glauben und das Urteil nicht aus dem Buchstaben der Schrift nehmen, sondern
vom Wort oder Geist. (Ihn) mußt du suchen und erwarten. Denn der Glaube ist nicht ein
menschlich Werk, sondern ein Werk und ein Licht Gottes und ein Geschenk. […] Denn

15 Theosophie kommt aus dem Griechischen θεός (Gott, Göttlichkeit) und σοφία (Weisheit) und bedeutet
göttliche Weisheit. Hier ist eine Weisheit gemeint, die das Leben vom Standpunkt des göttlichen
Bewusstseins aus betrifft.
16 Wehr, Gerhard: Weigel, Valentin – Christus uns sich selbst erkennen. S. 46.
17 a.a.O., S. 47.
18 a.a.O., S. 48.

10
Gott gibt sich selbst ihnen ins Herz durch den Glauben.“19 Weigel will „das Wort in den
Wörtern“20 in sich aufnehmen. Es geht ihm darum, was der Kern bzw. der Inhalt der
Wörter ist, die wir durch die Schrift lesen und aufnehmen. Ein Lesen einzelner
Buchstaben führt nicht zum Glauben. Die Schrift muss in ihrer Intention begriffen
werden. Dazu braucht es den Glauben, der ein Geschenk Gottes ist.
Weigel vertat die Überzeugung, dass der innere Mensch gegenüber allen äußeren
Dingen Vorrang habe. Wie Weigel über den äußeren Menschen dachte und was er von
den beamteten Angestellten der Kirche hielt, zeigte er in einem Dialog zwischen einem
„Laien“ und einem „Priester“. Der Begriff „Laie“ kommt vom griechischen Wort λαός,
welches Volk bedeutet. Mit der Gegenüberstellung von einem Geistlichen und einem
sog. Laien ging es Weigel um die jeweiligen Funktionen und Stellungen in der
Gesellschaft. Der Laie steht stellvertretend für einen nicht ausgebildeten Theologen und
vertritt den Glauben des Volkes, der Geistliche bzw. Priester hingegen repräsentiert
einen theologisch Gelehrten. Weigel stellt die jeweiligen Perspektiven, Konflikte bzw.
Differenzen verschiedener Meinungen zwischen einem signifikanten Geistlichen seiner
Zeit und einem gläubigen Menschen anhand des Dialoges exemplarisch gegenüber.
In vielen Schriften kritisiert Weigel, „[d]as zu diesen Zeiten in gantz Europa bey nahe
kein einiger Stul sey in allen Kirchen vnd Schulen / darauff nicht ein Pseudo-propheta,
ein Pseudo-Christus, ein Verfuhrer deß Volcks / ein falscher Außleger der Schrifft
stehe / vnd der nicht in die Zahl der blinden Leytter gehore.“21 Durch solch
schwerwiegende Vorwürfe stellte sich Weigel gegen die Kirche mit ihren geistlichen
Vertretern. Er beschuldigte die kirchlichen Institutionen immer wieder, sie würden nur
ein Pseudo-Christentum verbreiten und wären sich somit nicht der wahren Bedeutung
des Glaubens bewusst. Damit positioniert er sich auf die Seite des „Laien“. In dem
folgenden Dialog illustriert er beide Positionen, wobei er Pro und Contra beider Seiten
herauskristallisiert.

„Laie:
Die Prediger sind in einem gefährlichen Stande. Man macht sie zu Beichtvätern und
Priestern und schreibt ihnen alleine zu die Gewalt der Kirche, daß sie an Gottes Statt
sollen Sünde vergeben.

19 Wehr, Gerhard: Weigel, Valentin- Christus und sich selbst erkennen. S. 48.
20 Ebd.
21 s. Abb.V. S. VI.

11
Priester:
Der meiste Teil ist wohl zufrieden, nimmt diese Ehre gar gerne an und will herrschen
über der einen Glauben, ist (aber) selbst ungläubig. Aber der es verstehet, hat ein
Mißfallen dran und schmerzet ihn, daß er in einem solchen Netze gefangen lieget.
Doch läuft er nicht daraus (weg), unterstehet sich auch nicht, solchen Greuel
einzuwerfen.“22

In diesem Gespräch zwischen dem Laien und einem Geistlichen will Weigel
ausdrücken, dass es Priester gibt, die aus Rücksicht auf ihre Umwelt gezwungen sind,
ein Doppelleben zu führen. Sie scheinen zu verbergen, was sie im Inneren bewegt.
Weigel veranschaulicht die unterschiedlichen Zugänge und Vorstellungen des Inneseins
Gottes im Menschen. „Der Laie: Ach, welch eine Liebe hat uns Gott der Vater erzeigt,
dass wir Menschen sollen mit ihm leibhaftig vereint sein durch seinen Sohn Jesum
Christum, er in uns und wir in ihm in alle Ewigkeit.“23
Himmlische Güter seien Friede, Freude, Gerechtigkeit, Seligkeit sowie der Himmel
und Christus selbst. Für den Laien sollten diese Güter nicht von außen angerechnet
werden, sondern sie sollten bereits in ihm sein, denn wenn solche Güter nicht in uns
seien, „so wäre es keine leibhaftige Vereinigung oder Verbindung und würde verleugnen
die seligmachende Geburt Jesu Christi aus der Jungfrau, d.i. der Glaube und die Liebe
in uns.“24 Für den Geistlichen sind die himmlischen Güter bereits auf der Erde
vorhanden und können durch die Kirche, von außen, vermittelt werden.
Der Laie bezieht sich auch auf den Geist und erläutert weiter: „Wer ohne Erneuerung
seines Geistes, ohne Bekehrung und Besserung seines Lebens nur glaubt mit der Welt,
dass Christus geboren sei aus der Jungfrau, der verleugnet wahrhaftig die Geburt Jesu
Christi, den Glauben und die Liebe. Denn wir müssen in ihm, mit ihm und durch ihn
neue Kreaturen sein, aus Gott selber geboren […].“25 Der Geistliche trennt hingegen
Glaube, Liebe und schließlich die Geburt Christi. Für den Geistlichen spielen die
Sakramente eine wesentliche Rolle, durch die wir selig werden können. Eine leibhaftige
Einwohnung oder wesentliche Vereinigung mit Christus würde niemanden Seligkeit
bringen. Daraufhin erwidert der Laie, dass eine Betrachtung der Schrift nach einem

22 Wehr, Gerhard: Weigel, Valentin - Christus und sich selbst erkennen. S. 45.
23 Lehmann,Walter: Deutsche Frömmigkeit. Stimmen deutscher Gottesfreunde. S. 166.
24 Ebd.
25 a.a.O., S. 167.

12
seligmachenden Glauben alle Dinge vereint. „Denn die Wiedergeburt in uns ist Christus
[...] und ist der Glaube und die Liebe, die Gerechtigkeit, Friede und Seligkeit. Denn
was wäre das für eine neue Geburt, so wir nicht in Christo oder in der Liebe oder im
Glauben wandelten?“26 Voraussetzung zur Betrachtung der Schrift ist aber auch hier
wieder, dass wir Gott als solchen in uns erkannt haben. Der Geistliche lehnt allerdings
eine Vereinigung aller Dinge streng ab. Nun vertritt der Laie immer impulsiver seine
eigene Position. Christus sei in uns, geistlich und leiblich. „Denn wer den Geist Christi
nicht hat, ist nicht sein, und wer sein Blut und Fleisch nicht hat, und darinnen lebt, der
kann nicht sein aus seinem Gebeine, Fleisch und Blut.“ 27 Den Geist erhalten wir durch
Gott, den Leib durch Christus, so dass wir in Gott bleiben und Gott in uns ist. „Gott ist
unsere Wohnung und Himmel, wir sind seine Wohnung und Himmel, das muß durch die
leibliche Einwohnung Jesu Christi geschehen.“28 Der Laie ermahnt, dass der Geistliche
immer nur von der Person und der Geschichte Christi an sich spreche. Dabei vergesse er
aber die Bedeutung Christi für uns. Das Leben Christi geht uns alle etwas an, betrifft
uns und ist kein Abstraktum. Christus ist für uns und unsere Sünden gestorben.
„Christum crucificum predigen ist nicht die historiam erzählen, von seiner Passion, von
seinem Leiden, Sterben, Auferstehen, […]. Sondern das heißt und ist Christum den
Gekreuzigten predigen, so er in uns ist und wir in ihm dass wir mit ihm gekreuzigt sind
und alles dasjenige in uns geübt werde, was Christus gelehrt, gelitten, gelebt und getan
hatte.“29 Der Geistliche kommt gar nicht mehr dazu, seine Position darzulegen. Weigel
intendiert damit meines Erachtens, dass zum Schluss der Dialog zum Monolog wird und
damit der Laie das letzte Wort behält. Damit akzentuiert Weigel zugleich seine eigene
Position, die er vehement gegenüber den Geistlichen seiner Zeit vertritt. Des Weiteren
kritisiert der Laie die sog. Maulchristen, also die falschen Christen, die nicht im Herzen
und in der Tat christlich handeln. Sie würden nur um des Lohnes Willen predigen und
nicht aus dem Glauben heraus. Der Geist Christi muss „in uns sein, sonst wären wir
nicht seine Erlösten. So muß auch sein Fleisch und Blut leibhaftig in uns sein, dass wir
mit seinem gekreuzigten Leibe vereinigt ein Same zur Auferstehung werden, wie die
ganze Schrift zeugt.“30 Die Kreuzigung Jesu sei also nicht nur passiv zu erzählen,

26 Lehmann,Walter: Deutsche Frömmigkeit. Stimmen deutscher Gottesfreunde. S.167.


27 Ebd.
28 a.a.O., S. 168.
29 a.a.O., S. 175f.
30 Ebd.

13
sondern es geht darum, dass man aktiv begreift, dass wir es sind, für die Christus litt
und gestorben ist.

4.3.2 Der Mensch als Mikrokosmos

Warum hat Gott den Menschen nach allen anderen Geschöpfen zuletzt erschaffen?
Diese Frage beschäftige auch Weigel. In seinem umfangreichen Werk „Informatorium“31
sowie „Das Geheimnis der Schöpfung“32 wird die Erschaffung der Welt in sieben Tagen
detailliert beschrieben. Dazu sind einige Skizzen Weigels erhalten, die das
astronomische Verständnis der damaligen Zeit widerspiegeln. Dabei versucht er nicht
nur die einzelnen Schöpfungstage33 zu illustrieren, sondern bemüht sich auch, einige
möglichst genaue Zeichnungen der Erde mit ihren Kontinenten, gemäß der
zeitgenössischen Vorstellungen, 34 darzustellen.

Nach Weigel ist der Mensch aus dem Himmel und aus allen Kreaturen durch Gott aus
einem großen „Erdenkloß“ formiert worden, d.h. alles, was im Himmel und auf der
Erde ist, dasselbe ist auch im Menschen. Der Mensch ist die Welt, deswegen wird er
auch als Mikrokosmos bezeichnet: „Dann letstlich machte Gott auß dem gantzen
geschöpff den MENSCHEN. Also ward die Groß Welt, sampt Jhren Geschöpfen zum
MENSCHEN, daher Er genant wurt MICROCOSMVS, das Jst DIE KLEINE WELT.“35
Weigel selbst ehrt und schätzt die Schöpfung Gottes, in dem er sich auch selbst
eingesteht, dass er sich nicht imstande sieht, ein so kunstvolles Werk wie den
Mikrokosmos zu beschreiben, welcher über Tiere und Elemente herrscht. Es ist ihm
wichtig, dass sich der Mensch seiner dominierenden Rolle bewusst wird und so auch
verantwortungsvoll handelt. Die ganze Welt hat Gott aus dem Nichts geschaffen und sie
demzufolge ins Nichts gesetzt. Den Menschen aber hat er nicht aus einem Nichts
geschaffen, sondern aus dem Erdenkloß, d. i. die große sichtbare Welt. Gott hatte zuerst
vor, den Menschen zu schaffen und musste dafür zunächst einen Lebensraum als
Grundlage formen.

Der Mensch – ein Wesen, welches alle Geschöpfe in sich beschließt, weswegen

31 s. Abb.VI. S. VII.
32 s. Abb.VII. S. VIII.
33 s. Abb.VIII. S. IX.
34 s. Abb.IX. S. X.
35 Weigel, Valentin: Informatorium. (Hg) Pfeffer, Horst. S. 68.

14
zunächst Himmel und Erde und alle anderen Kreaturen zuvor erschaffen wurden.
Daraus bildete er schließlich das feinste und vollkommenste Wesen aus allen
Geschöpfen und brachte es zusammen in einen Menschen.

Der Mensch – ein Mikrokosmos und Meisterwerk.

„Erkenne dich selbst. Zeiget vnd weiset dahin / daß der Mensch sey ein Microcosmus,
das großte Werck Gottes / vnter dem Himmel / er sey die kleine Welt / vnd tregt alles in
jhme / was da funden wird / in Himmel vnd Erden / vnd auch daruber.“36

Alle Menschen sind aus dem gleichen Material entstanden und haben denselben
Ursprung. Weigel macht darauf aufmerksam, dass das, was in einem Narren ist, auch in
uns sei, da wir alle von Gott aus einem „Erdenkloß“ erschaffen wurden: „Es begibt sich
oftmals, daß ein Krüppel oder Narr geboren wird, welcher von Natur verderbt ist, und
darum wird er von den Unwissenden verachtet und verspottet als ein Narr.“37 Doch die
Seele in allen Menschen bleibt unveränderlich und vollkommen, selbst wenn der
„äußere Mensch“ unvollkommen ist. Alle Menschen werden dadurch auf die gleiche
Stufe gestellt. Sie haben alle den gleichen Ursprung in sich und somit auch die gleichen
Voraussetzungen. In jedem von uns steckt somit auch die Anfälligkeit für Fehler; das ist
eine menschliche Eigenschaft. Niemand ist davor gefeit und ist er noch so gescheit.
Jeder kann auch ganz schnell selbst zum Narren werden. So sollte sich niemand über
jemand anderen stellen und sich nicht als etwas Besseres darstellen.

Weigel unterscheidet zwischen einem äußeren und inneren Menschen. Der innere
Mensch ist durch den Geist bestimmt, den er von Gott erhalten hat. Zum äußeren
Menschen gehören Hände und Füße bzw. der gesamte Körper des Menschen als seine
äußere Hülle, die seinem Verstand und Willen als Werkzeug dient.

„Nun, der äußere Leib ist eine Wohnung, von Lehm gemacht, oder ein Werkzeug, damit
der innere Mensch wirkt. Der natürliche Mensch ist ein Haus der Seele. Die Seele ist
ein Haus oder Wohnung Gottes, ein Tempel Gottes. Die Einfältigen sehen allein auf das
Äußere und Auswendige, das Inwendige achten sie nicht groß […] Also, sage ich,
stellen die Einfältigen gemeiniglich das Äußere über das Inwendige, so doch das
Inwendige alle Zeit köstlicher, edler und gewaltiger ist als das Äußerliche.“38
Es spielt keine Rolle, ob ein Mensch vielleicht nicht den Idealen einer Gesellschaft
36 s. Abb.X. S. XI.
37 Lehmann,Walter: Deutsche Frömmigkeit. Stimmen deutscher Gottesfreunde. S. 157.
38 a.a.O., S. 159.

15
entspricht, denn seine innere Seele, die ihm von Gott geschenkt ist, bleibt beständig und
fest in ihm. Auf diesen inneren Gott können wir vertrauen und bauen. Er ist immer bei
uns und wird uns nie verlassen. Eine schönere und sicherere Garantie im Leben gibt es
wohl sonst nicht. Die findet wir bei Gott.

4.3.3 Erkenntnis

„Dieweil nun alle natürliche Erkenntnis vom Auge vollbracht wird und vom Auge selbst
kommt, und nicht vom Gegenstand, so folgt notwendig, daß sich das Sehen und
Erkennen wandelt und ändert nach Art, Eigenschaft und Geschicklichkeit des Auges,
und nicht nach Art des objecti oder des Gegenstandes.“39

Hier greift Weigel die Ideenlehre Platons auf. Rund 150 Jahre nach Weigel definierte
Immanuel Kant ebenfalls den Anschauungsbegriff. Die Anschauung sei nach Kant
rezeptiv und bereits im anzuschauenden Objekt als solche enthalten.

Wir nehmen immer etwas bereits deutungsimprägniert war und sind somit immer
äußeren Täuschungen unterlegen. Weigel unterscheidet beim Menschen das dreifache
Auge: das sinnliche Auge (carnis), das Auge der Vernunft (rationis), und das Auge des
Verstandes (mentis). Diese Unterscheidung entspricht der sinnlichen Wahrnehmung,
dem Denken und einem religiösen Erleben. Die jeweiligen Eigenschaften können
individuell ausgeprägt sein. „Aus diesem allem siehst du, wie sich das natürliche
Erkennen und Sehen ändern und wandeln muß nach Art und Geschicklichkeit des
Auges, und nicht nach dem unwandelbaren Gegenstand, und daß alle Erkenntnis in der
sichtbaren und unsichtbaren Natur herfließe und komme vom Auge und vom Erkennen
selbst, und nicht vom objecto oder Gegenstand.“40

Die Erkenntis kommt vom Auge selbst und nicht vom zu erkennenden Objekt. Die Bibel
wird von Weigel als ein „unbewegliche[r] Gegenstand alle[r] natürlichen Theologen“41
beschrieben. Wenn die Erkenntnis vom zu erkennenden Gegenstand ausgehen würde
und nicht vom Auge selbst, so müsste die Bibel demzufolge eine einheitliche Auslegung
aller Theologen erfahren. Weigel will zeigen, dass nicht durch die Wörter bzw. der Text
der heiligen Schrift allein zur Erkenntnis führen. Nur durch den Verstand, der uns von

39 Lehmann,Walter: Deutsche Frömmigkeit. Stimmen deutscher Gottesfreunde. S. 158.


40 Ebd.
41 a.a.O., S. 159.

16
Gott gegeben wird, können wir durch, in und mit ihm zur Erkenntnis gelangen.

„Aber wir erfahren das Widerspiel, nämlich daß nicht vom Gegenstande, sondern von
Gott selbst die Erkenntnis fließt, dieweil ein jeder die Schrift erkennt und beurteilt je
nachdem er ein Auge hat. [...] Alsdann wird die dein Erkennen und Lesen aus der Bibel
nütze sein, so tut’s hier nicht der natürliche Mensch, sondern der Neugeborene aus
Christo, es tut’s auch nicht der Buchstabe, sondern der Verstand des Buchstabens soll
uns erretten: Gott wolle unsre Augen erleuchten.“42

Wir leben in einer Welt, in der wir immer wieder durch sichtbare Dinge beeinflusst
werden. Doch wir sollen auf die nicht sichtbaren Dingen aufmerksam werden. „Wie wir
geführt und geleitet werden durch die sichtbaren Dinge zu dem Unsichtigen, und durch
die zeitlichen Dinge gemahnt werden zu trachten nach Ewigem, also hat uns Gott in
seinem Sohn Jesu Christo einen sichtbaren Spiegel gegeben, auf dass wir ausdrücklich
erkennten, fühlten und ergriffen seinen ewigen unwandelbaren Willen.“43 Jesus Christus
soll uns ein Vorbild, ein „sichtbarer Spiegel“, sein. Wir sollen begreifen, dass Gott
seinen Sohn für uns auf die Erde geschickt hat und ihn geopfert hat. Doch Christus ist
auferstanden von den Toten und ist somit in Ewigkeit. Durch Christus wird deutlich, wie
wir uns gegenüber Gott verhalten sollen und wie uns Gott gesinnt ist. „Darum, der da
will zu Gott dem Vater kommen, der muß durch die Menschheit Christi eingehen, d.i.
durch sein Leben.“44 Wir müssen zunächst begreifen, was Christus für uns getan hat und
den Sinn seines Lebens erkennen. Es wird zu wenig oder gar nicht darauf geachtet, was
Christus uns eigentlich lehren wollte. Wir erzählen uns Geschichten über ihn, aber
werden uns zu wenig über deren Bedeutung und Aussagekraft bewusst.

„Wir rühmen uns wohl des Glaubens, aber die Kraft Christi verleugnen wir.“45

Weigel thematisiert in seiner Schrift „Seligmachende Erkenntnis Gottes“ die


Trinität.46 Nach seinem Verständnis umfasst Gott, der unwandelbar ist, 3 Einheiten in
sich –Vater, Sohn und Heiliger Geist. Da Gott in jedem Menschen vorausgesetzt wird,
befindet sich demnach auch die Trinität in jedem Menschen. Doch nicht nur die
Dreieinigkeit Gottes befindet sich in uns, sondern auch der Anfang menschlichen Seins

42 Lehmann,Walter: Deutsche Frömmigkeit. Stimmen deutscher Gottesfreunde. S. 160.


43 a.a.O., S. 177.
44 a.a.O., S. 177.
45 Ebd.
46 s. Abb.XI. S. XII.

17
überhaupt, denn auch Adam sei in uns. „Wie Adam vnd CHRISTVS beyde Inn Vns sein,
Vnd nitt ausser VNS, dahin dann die ganzte Schrifft gerichtet ist.“47 Christus ist der
Menschensohn Gottes und verkörpert die Liebe Gottes auf Erden. Adam war der erste
Mensch, den Gott erschaffen hat und repräsentiert den Anfang der Menschheit. Diese
beiden Vertreter der Schöpfungskraft Gottes seien nun in uns vorhanden.

4.3.4 Stellung der heiligen Schrift

„ [A]lso wird keiner die Schrift verstehen oder mit Frucht lesen noch die wahrhaftigen
Zeugnisse der Bibel annehmen können, er sei denn zuvor von Gott gelehrt und
erleuchtet, so daß er ein reines und lautres Auge bringt und also die heilige Schrift zum
Zeugnis nimmt. Denn alle äußeren Dinge oder sichtbaren Gegenstände zeigen nur,
erwecken, leiten und führen ein, können aber nicht den Verstand oder das judicium48
hineinwirken: das judicium muß zuvor im Auge sein, und nicht vom Objecto oder
Gegenstand genommen werden.“49

Voraussetzung, einen Zugang zur Bibel zu finden, ist ein „von Gott erleuchtetes Auge
zur Schrift“50. Die Erkenntnis kann und soll nicht vom Buchstaben und den Wörtern
allein kommen, sondern vom eigenen Geist im Inneren, d.h. die Erkenntnis ist im von
Gott gegebenen Geist im Menschen bereits vorausgesetzt. Allerdings liegt das
Verständnis der Schrift allein bei Gott, denn er „ist selber das Wort und hat alle
Schriften selber diktiert“51. Weigel geht demnach davon aus, dass die Bibel durch
Verbalinspiration niedergeschrieben wurde und die Worte Gottes enthält. Dabei ist die
Bibel nicht ein Werk verschiedener Menschen, die ihre Erfahrungen mit dem Glauben
beschrieben haben, sondern eine von Gott diktierte heilige Schrift. Deshalb will nach
Weigel Gott selbst auch „der Lehrmeister“52 über der Schrift bleiben. Doch was tun,
wenn das Verständnis der Schrift nicht durch den Geist und Verstand offenbart wird?
Durch „inniges Gebet“53 soll Gott um das Verständnis des Buchstabens gebeten werden,

47 s. Abb. XII. S. XIII.


48 Judicium kommt aus dem Lateinischen judicium und bedeutet Urteil bzw. Urteilsvermögen.
49 Lehmann,Walter: Deutsche Frömmigkeit. Stimmen deutscher Gottesfreunde. S.160.
50 Ebd.
51 a.a.O., S. 161.
52 Ebd.
53 Ebd.

18
„so wird er selbst in dir das Auge sein und dich erleuchten“54. Gott wird den heiligen
Geist schenken, denen die ihn im Gebet aufsuchen. Weigel bezeichnet Gott als
wahrhaftigen Lehrer. Wider betont Weigel das Innesein Gottes im Menschen, denn man
muss notwendig das Verständnis aus dem göttlichen Auge in sich selbst und bei sich
haben.55 Die Bibel dient zur Wahrung, zum Zeugnis und Unterricht, zur Lehre,
Kundschaft und zur Bewahrung des Glaubens oder des Geistes Gottes in uns. Das Wort,
Urteil oder die Erkenntnis muss zuvor in uns Menschen selbst sein und dies geschieht
durch göttliche Erleuchtung. Alle natürliche oder übernatürliche Weisheit oder
Erkenntnis liegt zuvor im Menschen verborgen. Die Bibel dient dazu, uns zu erinnern,
erwecken, ermuntern, unterrichten, lehren, und überzeugen, was bereits in uns
verborgen ist. „Das rechte Buch ist im innersten Grunde des Menschen und ist Gott
selber.“56 Nach Weigel braucht es eigentlich keine Bücher, weil wir alle Erkenntnis
bereits in uns haben. „Aber weil wir äußerlich und fleischlich geworden sind durch die
Sünde, so werden die Bücher geschrieben wegen unserer Schwachheit, Unwissenheit,
Blindheit, da wir uns selber nicht kennen.“57 Wer innerlich nicht durch den Geist gelehrt
wurde, dem bleibt die Erkenntnis auch verborgen; auch das intensive Studium der
Bücher wird nicht zur Erkenntnis führen und wäre vergeblich. Wir können die Botschaft
Jesu und Gottes nicht in den Buchstaben oder in der Schrift finden. Christus ist nicht
außer uns, sondern in uns. Allerdings entdecken die meisten diesen kostbaren Schatz
nicht, da sie ihn an der falschen Stelle suchen. Der Mensch sucht und braucht immer
irgendwelche Zeichen oder andere Dinge, sei es die Schrift, fremde oder eigene
Erfahrung, an die er sich festhalten und klammern kann. Aber genau davor versucht uns
Weigel zu warnen. Wir sollen allen irdischen Täuschungen absagen und uns von allen
Beweiszwängen lösen. Es geht darum, sich selbst zu vertrauen. Sich selbst als Quelle
der Erkenntnis wahrzunehmen und dann wird man zu Gott und Christus gelangen.
Weigel vergleicht das Keimen der Erkenntnis aus einem selbst heraus mit dem
Potenzial, das in einem Weizensamen enthalten ist. In dem Samen ist bereits alles
vorhanden. Nicht die Erde bringt den Weizen hervor, sondern allein der Samen, denn es
„muß ja alle natürliche Kunst zuvor in uns sein.“58 Das Reich Gottes muss nicht erst zu

54 Lehmann,Walter: Deutsche Frömmigkeit. Stimmen deutscher Gottesfreunde. S. 161.


55 Vgl. ebd.
56 Ebd.
57 Ebd.
58 a.a.O., S. 164.

19
uns kommen. Es ist bereits in uns. Wir versuchen durch das Gebet einen Zugang zu
diesem Reich Gottes in uns zu finden. Des Weiteren macht Weigel aber deutlich, dass
das Reich zunächst in uns verborgen und unerkannt liegt, deshalb muss es gesucht und
gefunden werden. Doch man kann es nicht außer sich finden, nur in sich selbst. Aus
diesem Grund suchen, beten und lernen wir. Wenn Gott und Christus jedoch nicht in uns
wären, dann wären all unsere Bemühungen sinnfrei. „Eben darum wird es geschrieben,
gepredigt und gelehrt, weil es zuvor in uns ist und nicht außer uns.“59 Auch das Gesetz
Gottes, dass Mose am Sinai in den Tafeln erhalten hat, ist zuvor bereits in uns, denn
wenn es nicht in uns wäre, dann wäre es nach Weigel auch nicht in den Tafeln gewesen.
Damit wir folglich zur Erkenntnis kommen können, muss diese als Bedingung bereits in
uns sein.

4.3.5 Vom Wesen Gottes

„Gott ist in sich selber einig und hat keinen Namen.“60 Für Weigel ist Gottes Wesen
gut. Gott kann auf zweierlei Weise betrachtet werden. Er kann entweder als absolut
stehen oder als Einigkeit aller von ihm erschaffenen Geschöpfe gelten. Gott ist weder
von Personen, der Zeit, Orten noch von Wirkung, Willen oder Affekten abhängig.
„Denn was sollte er wirken, begehren oder wollen? Ist er doch mit seiner seligen Ruhe
und Ewigkeit das vollkommene All“61. Wie kann Gott bei Weigel also wirkungslos sein?
Weigel erklärt das, indem er Gott nur in die Gegenwart setzt. Es ist aber nichts in Gott
zukünftig noch vergangen. Deswegen wirkt, begehrt, hofft und will er auch nichts, denn
er besitzt alles bereits in sich selbst und ist keines Dinges bedürftig. Gott ist die
Ewigkeit. Er ist an jedem Ort und „wohnt in sich selber“62. „Deus potentia quidem
semper, sed affectu non semper pater fuit, et antequam genuerat non erat pater, sed
omnipotens Deus.“63 64
Folglich ist Gott die Realisierung oder Verwirklichung aller
Möglichkeiten; die Potenz, die Kraft, die alles schaffen kann und allmächtig ist. In, mit
und durch den Menschen ist diese allmächtige Potenz wirkend, affektvoll, wollend und

59 Lehmann,Walter: Deutsche Frömmigkeit. Stimmen deutscher Gottesfreunde. S. 164.


60 Ebd.
61 Ebd.
62 Ebd.
63 Ebd.
64 „Gott war von seiner Potentialität her immer, doch vom Affekt her nicht immer Vater, und bevor er
(den Sohn) zeugte, war er nicht Vater, sondern allmächtiger Gott.“

20
zielorientiert. Dann wird er zum Vater und wirkt in allen Dingen. Gott „schafft alle
Dinge und ist alle Dinge, er ist aller Wesen Wesen, aller Lebendigen Leben, aller
Lichter Licht, aller Weisen Weisheit, aller Vermögenden Vermögen.“65 Gott ist der
Ursprung, das Wesen und der Wille aller Dinge. Er fasst aber auch in sich selbst alle
Geschöpfe zusammen und ist doch explizit keines davon. „Denn ob er wohl ein Begriff
und Wesen aller Kreaturen ist, so ist er doch nicht eine Kreatur.“66 Wie kann er auch ein
Ding oder Geschöpf sein, wenn er doch selbst weder an Raum noch Zeit gebunden ist,
„denn der Ungeborene kann nicht geboren sein, und das Unendliche kann nicht endlich
sein, und das Ewige kann nicht zeitlich sein.“67 Gott kann demzufolge nicht als etwas
dargestellt oder als jemand bezeichnet werden. Er ist allmächtig und damit auch
ungreifbar. Das ist sein Geheimnis. Wir können ihn nicht sehen, aber trotzdem können
wir ihn in uns fühlen und wahrnehmen. Wenn wir Gott in uns fühlen, können wir ihn
auch hören? Ja, denn er ist die Liebe in uns, die uns im Leben begleitet und
Anweisungen für ein gottgerechtes Handeln gibt.

Alle Geschöpfe bestehen durch und in Gott und können ohne ihn nicht sein. Er gibt
seinen Kreaturen Leben und das Wesen. Den freien Willen lässt er aber jedem
Individuum. Die erschaffenen Geschöpfe sind in ihrem Willen frei. Doch Gott ist nicht
nur im Guten, sondern auch im Bösen. Nicht nur „den Guten und Gläubigen“68 schenkt
er das Leben, sondern er bewirkt auch „in den Teufeln das Leben und die Bewegung,
welche ohne Gott und außerhalb Gottes ebenso wenig sein, leben oder sich bewegen
können als die Engel im Himmel.“69 Die Teufel, d.i. die Bösen in der Welt, sind ebenso
machtlos ohne den Schöpfer wie die Guten. Doch „Gott ist und bleibt alles in allem –
aber den Bösen zur Verdammnis.“70 Das Böse lehnt er ab, doch er lässt es den Menschen
frei, wie sie sich entscheiden; jeder kann entweder einen guten Weg, nach den
Maßstäben des Schöpfers gehen oder den ungewissen Weg des Bösen wählen. Es sind
nach Weigel die guten und frommen Menschen allein selig und nicht die bösen und dem
Guten abgewandten Menschen. Nur in einem „gehorsamen Herzen […] ist Gott
wahrlich alle Dinge in, mit und durch die Gläubigen, wie in Christo ausdrücklich

65 Lehmann,Walter: Deutsche Frömmigkeit. Stimmen deutscher Gottesfreunde. S. 164.


66 Ebd.
67 Ebd.
68 Ebd.
69 Ebd.
70 Ebd.

21
ersehen wird.“71

Weigel betrachtet den Schöpfer nun auf zweierlei Weise: auf der einen Seite als
absoluten Gott und auf der anderen Seite als Vatergott, der immer in Beziehung zu
seinen Kindern gesetzt wird. Mit dieser Sicht sei nun die ganze heilige Schrift zu lesen,
zu analysieren und zu verstehen.

4.3.6 Das moralische Gesetz in uns

Gott hat den Menschen nach seinem Ebenbild erschaffen. Wir stehen als Geschöpfe
Gottes in seinem göttlichen Gesetz mit dem Ergo: „ Non concupiscet, laß dich nicht
gelüsten“72 bzw. verführen. Dies sei auch das Gebot, mit welchem Christus in seiner
Offenbarung und die Schrift als solches verbunden sei. Weigel bezieht sich aber auch
auf das Gebot aus Gen. 3,3: „Nur von den Früchten des Baumes der mitten im Garten
steht, hat Gott gesagt: Ihr sollt nicht davon essen und nicht daran rühren, damit ihr
nicht sterbet.“73 Doch Weigel fokussiert nicht nur den Sündenfall, sondern auch das
erste Gebot aus Ex 20, 3f sowie das Nächstenliebegebot aus Lev 19,18: „Non habebis
Deos alienos oder liebe Gott und deinen Nächsten“74. Vor allem das Nächstenliebegebot
ist bei Weigel von besonderer Bedeutung. Da wir alle aus einem großen Ganzen, wie es
Weigel als „Erdkloß“ bezeichnet, gemacht worden sind, so haben wir doch alle den
gleichen Ursprung bei und in Gott; wir alle sollen Gottes Schöpfung wertschätzen und
dazu gehört auch, seinen Nächsten zu achten, zu schätzen und zu lieben. Selbst wenn
uns unsere Feinde gegenüberstehen, sollen wir alle Unstimmigkeiten und Zwiste im
Angesicht Gottes vergessen, vergeben und uns unserem Nächsten unvoreingenommen
zuwenden.

Obwohl uns Gott einen freien Willen gegeben hat und uns somit selbst über unser
Leben bestimmen lässt, „so will doch Gott in der Kreatur und durch dieselbige das
Gesetz sein und ist’s auch, denn das Gesetz Gottes ist Gott selbst“75. Gott ist weder
Wille noch Gesetz. Nur mit, aus, durch und in der „Kreatur“ wird er zum Wort, Willen,
Gesetz und zur Liebe. Gottes Wort ist demzufolge im Willen, Gesetz und in der Liebe

71 Lehmann,Walter: Deutsche Frömmigkeit. Stimmen deutscher Gottesfreunde. S. 164.


72 a.a.O., S. 165.
73 Arenhoevel, Diego (u.a.): Die Bibel. S. 15.
74 Lehmann,Walter: Deutsche Frömmigkeit. Stimmen deutscher Gottesfreunde. S. 165.
75 Ebd.

22
durch bzw. in der Kreatur verwirklicht. Somit will Gott nur unser Bestes, denn er „sucht
[...] nichts anderes als unsere Freude, Wonne, Leben und Seligkeit. [Gott] gebiert sich
[…] selbst, daß wir alles haben und sein sollen von Gnade in ihm, mit ihm und bei ihm.
[...] Gott selber sei der Mensch.“76.

Im Vaterunser beten wir: dein Reich komme, dein Wille geschehe usw.. Auf diese
Weise nehmen wir ganz deutlich Stellung zu Gott und Christus ein. Wir vertrauen auf
Gott und fühlen uns in seinem Gesetz und in seinem Willen geborgen und sicher. Das
Gesetz Gottes ist auch der Wille Gottes und Christi. Dieses Gesetz kommt nur in, mit
und durch den Menschen zum tragen. Weiter meint Weigel: „Wer dies nicht vernimmt,
hat Christus weder gesehen noch erkannt, wühlet nur im Buchstaben ohne Kraft und
Saft.“77 Es geht ihm also darum, nicht nur die Bibel als solche zu lesen, sondern eben
auch Gott und sein Gesetz in sich selbst wahrzunehmen.

Wie der Theosoph Weigel sich auch auf bekannte Mystiker, wie Johannes Tauler oder
Schwenkfeld in seiner Mystik bezog, so hatte auch er Einfluss auf folgende
Generationen.

4.4 Nachwirkung

Weigel kommt eine Vermittlerrolle an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert zu. Auf
der Grundlage einer lutherisch-reformatorischen Frömmigkeit vereinen sie unter
anderem neuplatonische und mittelalterlich-mystische Einflüsse mit Ideen des
Renaissancehumanismus, des mystischen Spiritualismus und der Philosophie des
Paracelsus. Durch die nachhaltige Wirkung auf spätere geistige Strömungen wie das
Rosenkreuzertum, der Pietismus und der deutsche Idealismus kommt Weigel eine
Schlüsselstellung in der Geistes- und Ideengeschichte der frühen Neuzeit zu. Weigels
Überlegungen zum Gebet, die von der individuellen Aneignung des durch Christus
erworbenen Heils ausgehen, haben die Gebetsliteratur des Pietismus mitgeprägt und zu
einer Verinnerlichung des Gebets in der protestantischen Christenheit beigetragen. Über
den Geist seines konfessionellen Jahrhunderts hinaus trat Weigel für eine die

76 Lehmann,Walter: Deutsche Frömmigkeit. Stimmen deutscher Gottesfreunde. S. 165.


77 Ebd.

23
unterschiedlichen Konfessionen und sogar Religionen umfassende, religiöse Toleranz
ein.

5. Spiritualismus heute

Im Wechselspiel mit der geistigen Haltung der Neuzeit entfaltet der Spiritualismus eine
bestimmte Wirkung und Kraft für das einzelne Individuum. In Amerika entwickelten
sich dazu neue Ausdrucksformen. Der Swedenborgianismus entfaltete eine neue Art des
Spiritualismus, der sowohl religiöse wie paranormale Erfahrungen, wie z.B.
Okkultismus, pflegte. Die modere Theosophie und das Rosenkreutzertum schlossen sich
an. Auch der Pietismus entwickelte sich aus dem Spiritualismus. Auf neuplatonische,
mystische und esoterische Quellen greifen schließlich auch die Spiritualisten des New
Age zurück.
Meiner Meinung nach brauchen Christen spirituelle Glaubenszugänge, um Bezüge zu
ihrem eigenen Leben herstellen zu können. Besonders in Gottesdiensten hat der/die
Pfarrer/in die Möglichkeit durch die Predigt solche Gefühle in der Gemeinde zu
wecken.
Theologie ohne Spiritualität wird trocken und zu kritisch, Spiritualität ohne Theologie
wird weich und unkritisch. Spiritualität ermöglicht geistliche Unterscheidungen und
Entscheidungen in Theologie und Kirchenleitung. Durch den Spiritualismus lernen wir,
dass der Glaube unabhängig von Büchern, Reliquien und Sakramente sein kann. In uns
können wir ihn finden.

6. Resümee

In einer schnell lebigen Welt, in einer Welt der Hektik, des persönlichen Erfolgsdrucks,
der Karrieresucht, in der jeder nur an sich selbst zu glauben versucht, den Nächsten
kaum noch wahrnimmt und schon gar nicht mit Nächstenliebe bedenkt, ist die
Sehnsucht nach Glück sehr groß. Jeder macht sich täglich auf den Weg, um
Anerkennung zu erhaschen, um akzeptiert zu werden, vielleicht sogar geliebt zu
werden. Alle Anstrengungen werden unternommen, das eigene Image aufzubessern –
durch Kosmetik, durch die neueste Mode, durch das Anpassen an bestimmte Klischees –
alles nur, um mitzuhalten, um nicht ausgeschlossen zu werden. Dabei sehnt sich jeder

24
Mensch nach Halt, nach etwas Festem und Beständigem, nach etwas, wo man wieder
auftanken kann. Jeder Mensch sucht nach etwas Zuverlässigem, auf das man vertrauen
kann. Erfolg im Beruf kann diese Sehnsucht nicht dauerhaft befriedigen. Sehr schnell
stürzt man aus den Höhen wieder ab. Befriedigung weilt meistens nur kurz, wenn man
eine Partnerschaft eingeht und in diese Beziehung die ganze Sehnsucht wirft. Solche
Erfahrungen haben sicherlich die meisten von uns schon leidvoll gespürt. Man verlässt
und wird verlassen. Dass selbst bei guten Freundschaften Irrtümer, Unzuverlässigkeit,
Missverständnisse, Enttäuschungen vorprogrammiert sind – keine Frage. Gefühle sind
vergänglich. Glück und Erfolg sind vergänglich.

Wo finden wir d e n Halt, den wir ständig suchen?

Ich behaupte: nur bei Gott. Indem wir glauben, ihn ganz in unser Innerstes einlassen,
zulassen, seine Maßstäbe zu unseren werden lassen, kommen wir zu dieser inneren
Ruhe, haben wir eine sichere Plattform, von der aus wir alles meistern können – die
Höhen und die Tiefen des Lebens. Nur in Gott finden wir immer und zu jeder Zeit Halt.
Er ist nicht in weltlichen Dingen zu finden, sondern in uns. Er ist unser ständiger
Begleiter – im Glück und Unglück, bei Kummer und Sorgen sowie Freud und Leid. Auf
ihn können wir bauen. Ihm können wir vertrauen. Wir haben Gott von vornherein in
uns, doch erkennen ihn nicht gleich als solchen. Viele Wege führen zum Glauben. Wer
weiß denn, wodurch ein Mensch zum Glauben kommt. Manche finden gerade durch die
Bibel den Weg zu Gott und erkennen ihn. Manchen offenbart sich Gott in der Schrift
oder in einem Sakrament – wer kennt denn die Wege Gottes? Glauben können wir
sowieso nicht erfinden oder erzwingen – es ist ein Geschenk und eine Gabe glauben zu
können, an etwas, was sich unserem menschlichen Auffassungsvermögen vollkommen
entzieht und was schon so viele Wissenschaftler, Philosophen und Theologen versucht
haben, zu begreifen.

Gott ist in einem selbst zu finden. Das bedeutet für mich: wenn ich ganz nach Innen
höre, finde ich Gott in mir und erkenne ihn. Er gibt mir die göttlichen Maßstäbe vor, er
ist in Christus mein Vorbild, durch Gott ist mir erhalten geblieben, was ich eigentlich
unter Menschen gut finde. Gott setzt immer wieder, trotz der vielen Grausamkeiten, die
Menschen sich antun, die Überschriften, auf die ich zähle, die ich anstrebe, die ich um
keinen Preis der Welt verlassen will, sonst wäre mein Leben leer, sinnlos, alle Visionen
wären verschwunden. Ich glaube so fest an diesen Gott, oder diese Kraft, dass er i n
mir ist. Aber für mich ist Gott und der Glaube keinesfalls nur i n mir!!! Ich habe Gott

25
durch äußere Situationen gefunden, nämlich durch Menschen, die mich in Gottes Nähe
gebracht haben. Bei mir kam alles von außen. Durch meine Mutter, von außen also,
habe ich erkannt und erfahren, dass es da etwas gibt, wo ich wirklich aufschauen kann
und mich immer wieder daran aufrichten kann. Ich sehe Gott im Frühling, Sommer,
Herbst, Winter, in der Liebe, in den Dingen, die mir Menschen Gutes tun bzw. auch
Schlechtes, denn daran soll ich wachsen. Gott ist in mir; dies bildet für mich die
Voraussetzung, dass ich das so alles sehen, fühlen und erleben kann. Ich denke auch,
dass bei allem, was ich erlebe, was mir Menschen antun, in welche Situationen ich
gerate, welche Probleme ich zu lösen habe, Gott in mir wirkt und bei mir ist. Meiner
Meinung nach ist eine gewisse Grundreligiosität in einem vorhanden, d.i. die Sehnsucht
nach wirklich Gutem, nach Zuverlässigem, nach Halt, nach Hoffnung, nach einer
Kraftquelle, so dass ich die Regeln/Gebote, die Gott vorgibt, leichter erkenne und
akzeptiere – eben aus dieser Sehnsucht heraus. Man hat insofern schon etwas in sich,
was das Erkennen des Wesens Gottes hervorbringen kann. Gott ist die Sehnsucht nach
wirklich Gutem, nach Zuverlässigem, nach Halt, nach Hoffnung; er ist für mich die
Kraftquelle. Ich glaube allerdings auch nicht, dass Gott nur bei den frommen und
gehorsamen Menschen ist. Vielmehr denke ich, dass Gott auch und gerade bei den
Menschen ist, die sich von ihm abwenden. Er ist auch für sie da und bereit, sie jederzeit
mit seinen liebenden Händen aufzufangen. Dass Gott in mir ist, bildet die
Voraussetzung, dass ich mit diesem Glauben an ihn, meinen Mitmenschen in seinem
Sinne begegnen kann. Schon Paulus, der von Verbalinspiration der Gottesworte
überzeugt war, machte seine Gemeinde in Thessalonich darauf aufmerksam, dass das
Wort Gottes im Inneren des Menschen Wirkung trägt und nicht außerhalb zu finden sei
(1. Thes 2, 13): „Darum danken wir auch Gott ohne Unterlaß, daß ihr das Wort
göttlicher Predigt […] nicht aufnahmet als Menschenwort, sondern, wie es das in
Wahrheit ist, als Gottes Wort, welches auch wirkt in euch, die ihr glaubet.“78

78 Arenhoevel, Diego (u.a.): Die Bibel. S. 1703.

26
„Ach Erleichte mich du Wahres Liecht daß Ich erkenne vnd befinde, wie Ich soll deine
Wohnung sein, wie du wilt In mir pleiben, vnd Ich In dir. So werde Ich CHRISTVM vnd
sein Reich nit von aussen zu suchen, Sunder In mir selber Im geist erwarten vnd
befinden. Amen.“79

79 Weigel, Valentin: Informatorium. (Hg.) Pfefferl, Horst. S.66.

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