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Alarmierende Zahlen
Die Welt ächzt unter historischem
Schuldenberg
Von A. Ettel, M. Greive und T. Kaiser 22. Mai 2010, 16:34 Uhr
Es sind die Schulden eines einzigen kleinen Landes, die Europa und die ganze Weltwirtschaft in
Atem halten. Dabei machen die griechischen Verbindlichkeiten nicht einmal ein Prozent der
weltweiten Staatsverschuldung aus. Die belaufen sich auf sagenhafte 52 Billionen Dollar. Die bange
Frage lautet: Was passiert, wenn erst die großen Staaten zahlungsunfähig werden?
Griechenland ist fast überall. Natürlich haben die Hellenen ganz besonders über ihre Verhältnisse
gelebt. Aber die Staaten insgesamt sind in einem fast unvorstellbaren Ausmaß verschuldet. In diesem
Jahr werden allein die Staatsschulden von 82 großen Volkswirtschaften der Welt zusammen mehr als
48 Billionen Dollar erreichen. Dies geht aus Datenreihen hervor, das der "Welt am Sonntag" von dem
amerikanischen Wirtschaftsforschungsinstitut Global Insight zur Verfügung gestellt wurde.
Im kommenden Jahr dürfte es noch einmal fast ein Zehntel mehr sein, nämlich 52 Billionen Dollar.
Das ist eine 52 mit zwölf Nullen hinten dran – und entspricht nach gegenwärtigem Wechselkurs mehr
als 41 Billionen Euro. Eine Summe, die nicht nur schier unvorstellbar groß ist – sondern von der auch
niemand sagen kann, wie sie jemals auf geordnetem Wege auch nur halbwegs abgetragen werden
kann.
Das Vermögen der hundert reichsten Menschen der Welt zum Beispiel – dem amerikanischen
Wirtschaftsmagazin „Forbes“ zufolge zusammengenommen aktuell rund 350 Milliarden Dollar –
würde für kaum mehr als die fälligen Zinsen eines einzigen Jahres reichen, von Tilgung ganz zu
schweigen. „Wir erleben eine bisher einmalige Situation. Nie zuvor war in Friedenszeiten der
weltweite Schuldenstand so hoch wie heute“, sagt der renommierte deutsche Finanzwissenschaftler
Kai Konrad. Nur im Zuge der beiden Weltkriege war die Last, gemessen an der jeweiligen
Wirtschaftsleistung, höher.
Und der Trend ist ungebrochen. Die Neuverschuldung der 82 Staaten lag 2007 schon bei 247
Milliarden Dollar. In diesem Jahr wird sie auf einen Rekordwert von 3667 Milliarden Dollar klettern.
Und selbst im Jahr 2014 dürfte den Experten von Global Insight zufolge ein Niveau erreicht werden,
das mit 1737 Milliarden Dollar viel höher ist als zu Vorkrisenzeiten.
Sorgen müssen sich vor allem die USA machen, auf die allein mehr als ein Drittel der
Staatsverschuldung aller 82 Länder entfällt. Binnen von nur fünf Jahren hat sich der Schuldenstand
des amerikanischen Fiskus verdoppelt. „Aus fiskalpolitischer Sicht ist die Volkswirtschaft in einer
Situation, als hätte sie gerade den Dritten Weltkrieg überstanden“, schreibt Spyros Andreopoulos in
einer Analyse der US-Investmentbank Morgan Stanley.
Was diese Krise auch besonders macht: Es sind gerade die traditionellen Schwergewichte der
Weltwirtschaft, die Probleme haben – anders als Anfang der 80er-Jahre, als Lateinamerika taumelte,
oder Ende der 90er-Jahre, als es in Südostasien krachte. Heute schaffen es gerade die aufstrebenden
Wirtschaftsmächte, was auch in diesem Jahr praktisch keinem Land in Westeuropa gelingt: beim
Budgetdefizit die Maastricht-Grenze einzuhalten. In Ländern wie Brasilien, Mexiko, China und
Russland liegt die Nettoneuverschuldung unter drei Prozent, Südkorea dürfte sogar einen Überschuss
erwirtschaften.
Das heißt aber nicht, dass die Schwellen- und Entwicklungsländer unbedingt von der Schuldenkrise
der Industrienationen profitieren werden. Schließlich stecken erstmals alle drei der großen alten
Wirtschaftsblöcke – die USA, Europa und Japan – in der Schuldenfalle. „Trotz der hohen
Verschuldung gerade der westlichen Industrienationen rechne ich nicht damit, dass es zu einer
Machtverschiebung hin zu den Schwellen- und Entwicklungsländern kommen wird“, sagt Ökonom
Konrad. „Es besteht eine wechselseitige Abhängigkeit, weshalb China ganz sicher kein Interesse
daran hat, dass die USA in Bedrängnis geraten.“

FOTO: WELT ONLINE INFOGRAFIK


Schuldenstand Teil 1
Ein Grund, sich zurückzulehnen, ist das noch lange nicht. Im Gegenteil, die Uhr tickt. Mit jedem Jahr,
das ungenutzt verstreicht, wird es schwieriger, aus der Schuldenfalle herauszukommen. Das liegt zum
einen an der sogenannten impliziten Staatsverschuldung: Vor allem auf die meisten Industrieländer
kommen in den nächsten Jahrzehnten wegen der demografischen Alterung ungeheure Lasten zu –
weil sie dann die Rentenversprechen einlösen sollen, die sie den heutigen Arbeitnehmern machen.
Und mehr noch: Hat die (explizite) Staatsverschuldung erst mal die Schwelle von 90 Prozent der
jährlichen Wirtschaftsleistung erreicht, beginnt ein Teufelskreislauf. Die beiden Ökonomen Kenneth
Rogoff und Carmen Reinhart haben errechnet, dass dann das Wirtschaftswachstum um mehr als einen
Prozentpunkt nach unten gedrückt wird – was es nur noch schwerer macht, das Geld aufzubringen für
Zins und Tilgung.

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Schulden Teil 2
Deutschland liegt noch ein ganzes Stück darunter, 2011 dürften 74 Prozent erreicht werden. Doch
schon jetzt hat eine ganze Reihe von Ländern die 90-Prozent-Grenze überschritten, darunter Belgien,
Griechenland, Italien und auch die USA. In Japan dürfte die öffentliche Verschuldung im kommenden
Jahr sogar sagenhafte 226 Prozent der Wirtschaftsleistung erreichen.
Japan hat dabei noch zwei große, miteinander zusammenhängende Vorteile: Der Staat ist vor allem
beim heimischen Privatsektor verschuldet – und der wiederum steht relativ solide da, in keinem
anderen der größten Industrieländer ist den jüngsten verfügbaren Statistiken der OECD zufolge das
Nettofinanzvermögen der privaten Haushalte so groß wie in Japan.
In einer ganz anderen Situation stecken Länder wie Griechenland oder Portugal, die stark bei
ausländischen Investoren in der Kreide stehen. „Hier ist die Abhängigkeit der staatlichen
Finanzierung vom Ausland recht hoch, sodass eine Leistungsbilanzkrise schnell zu Problemen der
öffentlichen Refinanzierung führen kann“, heißt es in einer Studie des Instituts der deutschen
Wirtschaft Köln.
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Wann Länder die 60-Prozent-Grenze erreichenUnd in Spanien ist es die Verschuldung der Bürger,

Düstere Prognose: So lange dauert es, bis die jeweiligen Länder ihre Veschuldung auf 60 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts (BIP) zurück gefahren haben...
die aktuell zu einer großen Bedrohung geworden ist. Seit den 90er-Jahren ist die private
Verschuldung in Spanien gemessen an der Wirtschaftskraft von 30 auf 80 Prozent gestiegen,
besonders Häuserkäufe finanzierten viele Iberer auf Pump.
Leichte Auswege gibt es für die meisten Länder kaum: Sparen hilft, kann aber, wenn es übertrieben
wird, das Wachstum weiter abwürgen und so sogar kontraproduktiv wirken. Ein Staatsbankrott kann
einen Neuanfang unter Schmerzen ermöglichen – hat aber den Nachteil, dass Investoren nachhaltig
das Vertrauen in ein Land verlieren.
Bleibt schließlich noch die Inflation. Wenn Zentralbanken eine rasche Geldentwertung zulassen,
schrumpfen auch Schuldenberge zusammen. Das Risiko einer solchen Strategie ist immens. Doch die
Versuchung wird groß sein. Und immer größer werden.
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