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Die Hörsäle, Seminarräume und Bibliotheken unserer Universitäten als herkömmliche Räume
der Wissensvermittlung erfahren durch den virtuellen Raum eine Erweiterung und Ergänzung.
Das Internet eröffnet der institutionellen Wissensvermittlung neue Umgebungen und
Interaktionsmöglichkeiten. Integriert in formelle Bildungsveranstaltungen und eingerichtet als
Lernumgebungen folgen sie methodisch-didaktischen Konzepten, die diese Interaktivität mit
dem Ziel einsetzten, dem Lernenden praktisch relevante Kompetenzen und
situationsübergreifende Qualifikationen zu vermitteln.
Die Neuen Medien ermöglichen neue Formen der Kommunikation und des
Zusammenwirkens und so auch neue Formen des Lernens. Lernen in multimedialen
Umgebungen ist heute interaktiv – interaktiv im Sinne eines gemeinsamen Wissensaufbaus
im sozialen Miteinander. Die digitalisierte Form von Bild, Schrift und Sprache erfordert
andere Werkzeuge und findet andere Ausdrucksformen als herkömmliche Lehr- und
Lernmedien. Die Vernetzung der digitalisierten Informationen erweitert unsere
Interaktionsmöglichkeiten nicht nur, sie verändert sie auch. Diese Virtualisierung ist heute
selbstverständliche Alltagserfahrung in vielen Lebensbereichen.
Das Internet, als gängigster Agent dieser Virtualisierung vollzieht derzeit einen raschen
Wandel mit einem klaren Innovationstrend hin zu einer direkteren Partizipation der
NutzerInnen. Die technologische Entwicklungen im Zusammenspiel mit einer veränderten
Wahrnehmung und Nutzung des Internets (vgl. Kerres, 2006) bringt eine Vielzahl neuer
Anwendungen und Services hervor, die alle auf die Erschließung eines neuen breiten
Spektrums an Interaktivität abzielen. Speziell Social Software Anwendungen - also
Anwendungen und Internetservices, die es sich zur Aufgabe machen, soziale Tauschprozesse
zu unterstützen, erweisen sich für die Wissensvermittlung und das Wissensmanagement als
besonders interessant und vielversprechend.
Wikis, Weblogs und e-Portfolios sind die in diesem Zusammenhang bisher am häufigsten
eingesetzten Formate. Sie bilden eine offene Lernumgebung und bieten somit eine Alternative
zu bisherigen webbasierten Trainingseinheiten (WBT) oder auch zu kostspieligen
Lernmanagementsystemen, die sich an stark instruktionspsychologischen Implikationen
orientierten.
Die hier vorgestellte Lernumgebung nutzt als technische Grundlagen ein Wiki-System, also
eine Software, die zur kollaborativen Textgestaltung, als Wissensaggregator und
Diskussionsplattform programmiert wurde und später auch die technische Plattform der
Online-Enzyklopädie Wikipedia1 wurde.
Die kursierende Legende, wie Wikis zu ihrem Namen kamen, wird auch von „Wiki-Erfinder“
Ward Cunnigham in Interviews regelmäßig bestätigt2. Sein erstes Wikisystem 3(1995)
benannte er WikiWiki nach der Flughafen-Shuttle Buslinie wiki-wiki Chance RT-524 am
Honolulu International Airport in Hawaii. "I chose wiki-wiki as an alliterative substitute for
'quick' and thereby avoided naming this stuff quick-web." 5 In der hawaiianischen Sprache
bedeutet wiki wiki so viel wie schnell schnell oder eifrig, wird aber auch als Diskurspartikel
für So weit ich weiß… bzw. was ich weiß, ist... verwendet6 . Und das erfasst bereits treffend
die Funktion von Wikis: Rasch und einfach kann zur Diskussion gestellt werden, was der/die
Schreibende zu wissen glaubt oder zu glauben weiß und im Wiki beitragen will.
Das Prinzip des webbasierten Content-Management-Systems erlaubt allen Besuchern neue
Wikiseiten zu erstellen, zu verlinken, zu löschen oder zu korrigieren, wobei alle Änderungen
abrufbar und nachvollziehbar bleiben. „The simplest thing that probably works”7 – wie
Cunnigham kommentierte. Trotzdem bedienen sich Erklärungsversuche bisher einer ganzen
1
http://www.wikipedia.org
2
http://www.gridsummit.com/Multimedia/WardC_24K.mp3
3
http://c2.com/cgi/wiki
4
Bo Leuf, Ward Cunningham: The Wiki way: quick collaboration on the Web. Addison-Wesley, London 2001
5
http://en.wikipedia.org/wiki/Wiki
6
http://en.wikipedia.org/wiki/Wiki
7
http://www.gridsummit.com/Multimedia/WardC_24K.mp3
2
Reihe hinkender Vergleiche, um zu vermitteln, was ein Wiki ist oder sein könnte. Wikis seien
wie eine leere Tafel, auf die alle InternetnutzerInnen schreiben dürfen, wie eine Wandzeitung
auf der jeder Veröffentlichen dürfe, eine Art riesiger Schmierzettel und die Welt halte den
Rotstift bereit, eine Strandgutsammlung kollektiver Intelligenz u.s.w.
Wesentlich an allen diesen Metaphern ist die Perspektive einer internetgestützten globalen
Zusammenarbeit. Für diese Zusammenarbeit bieten Wikis eine brauchbare Tauschplattform
für Meinungen und Erkenntnisse, deren Besonderheit vor allem darin zu sehen ist, dass sie
institutionelle, politische und nationale Grenzen durch die Distribution via Internet
überwinden kann.
Diese technischen Voraussetzungen eröffnen ein Interaktionspotential, gewährleisten jedoch
nicht ihre Nutzung als solche. So gibt Cunnigham bereits von der ersten Stunde an zu
bedenken: „...it probably works“, denn „it's a web of people, projects and patterns“8 – das
Gelingen eines Wiki-Projekt steht und fällt also mit den Menschen, die sich daran beteiligen.
Wiki bedeutet das jede/r alles schreiben darf. Wenn jede/r alles darf, entwickeln sich mitunter
Missbrauchstendenzen (Wiki-Spam, Edit-Wars, Vandalismus etc.). Die durch den Fall von
Zugangshürden beinahe uneingeschränkte Möglichkeit, im Internet zu publizieren und Inhalte
kreativ mitzugestalten, macht Wikisysteme fragil und anfällig für Missbrauch. Ihre „Soft
Security“ – Philosophie, der zu Folge jede/r in der Gemeinschaft korrigierend eingreifen und
das Projekt wieder auf Kurs, in Richtung des gemeinsamen Zieles setzten kann, erfordert eine
wache und engagierte Gemeinschaft von Mitwirkenden. Natürlich können Schreibrechte auf
eingeschränkte Benutzerkreise reduziert werden. Im hier vorgestellten Projekt wurde dies
auch ausdrücklich von den Lerngruppen gefordert und durch Abstimmung beschlossen.
Inzwischen sind zahlreiche und vielfältige Software-Applikationen erhältlich, die mit dem
Wiki-Prinzip operieren. Die meisten verstehen sich als Open Source Projekte und sind unter
freien Lizenzen erhältlich. Das hier dargestellte Wiki-Projekt verwendet Media-Wiki©
Software und ist ab der Version 1.4. mit einem einfach handzuhabenden und sicheren
Userright-Management ausgestattet.
Für Wikis als technische Plattform einer konstruktivistischen Lernumgebung spricht vor
allem, dass sie einfach handhabbar, leicht zugänglich und offen für dynamische
8
E-Mail von Ward Cunningham an seinen Freund, Benachrichtigung über das erste laufende Wiki-System
http://c2.com/wiki/mail-history.txt-
3
Veränderungen der Inhalte und Inhaltsstrukturen sind. Wikis fordern von den UserInnen
kreatives Engagement, sie ermöglichen lebendige Kommunikation und unterstützen somit
kollaboratives Lernen im Netz (CSCL).
Öffentlichkeit beschreibt laut Jürgen Habermas einen allen BürgerInnen zugänglichen Raum,
in dem diese über ihre gemeinsamen Angelegenheiten beraten. Sie ist ein Ort der Produktion
und Zirkulation von Diskursen, die dem Staat prinzipiell kritisch gegenüberstehen (Habermas
1990, 54). Die Sphäre der Öffentlichkeit ist strikt von der Sphäre der Privatheit getrennt;
öffentliches Leben spielt sich auf dem Marktplatz, der agora, ab, ist aber, was im Hinblick auf
virtuelle Diskurse von Bedeutung ist, nicht lokal gebunden (a.a.O., 56). Öffentlichkeit
konstituiert sich Habermas zufolge im Gespräch und im gemeinsamen Tun.
4
von Öffentlichkeit und Privatheit führt Fraser aus, dass das, was als öffentliche Angelegenheit
gilt, Ergebnis eines diskursiven Prozesses ist und nicht etwa per se feststeht, wie der
Habermas’sche Begriff suggeriert (Fraser 2001, 137 ff.). Die Art und Weise der Grenzziehung
hat Fraser zufolge politischen Charakter, denn öffentliche Angelegenheiten genießen
öffentliches Interesse und öffentliche Unterstützung, während die Regelung privater Dinge in
den Privatbereich verwiesen ist.
Ein wichtiger Faktor, der erlaubt, von einer Alternative zu sprechen, ist das in der virtuellen
Öffentlichkeit verhandelte Thema Frieden. Der in den beiden Online-Projekten initiierte
Friedensdiskurs kontrastiert zur Kriegsberichterstattung in den etablierten Massenmedien.
Während dort die Veröffentlichung aggressiven Handelns dominiert, werden im Peacewiki
und im österreichisch-amerikanischen Diskurs Strategien und Modelle der Friedenssicherung
vorgestellt und bewertet. Die Alternative entwickelt sich einerseits als kritische Position
gegenüber dem Staat, aber auch – dies in Abweichung vom Habermas’schen
Öffentlichkeitsbegriff – gegen die mediale bürgerliche Öffentlichkeit. Mit Hilfe der Neuen
Medien können solche Diskurse eine bislang so nicht gekannte globale Dimension erreichen,
was ich anhand des threads ‚Pax Americana’ aus dem österreichisch-amerikanischen
Friedensdiskurs exemplarisch verdeutlichen möchte. Ausgangspunkt des Diskurses war ein
Aufsatz von Sorensen, in dem dieser die Friedensstrategie des ehemaligen amerikanischen
Präsidenten John F. Kennedy als eine Strategie der Diplomatie beschrieb (Sorensen 2003).
5
Der Diskus fokussierte zwei Themen: die Rolle der USA in der Welt und die Legitimität des
Einsatzes von Waffen zur Friedenssicherung. Es war von deutlichen Differenzen zwischen
den österreichischen und amerikanischen DiskutantInnen gekennzeichnet. Während die
amerikanischen DiskutantInnen zwar durchaus Kritik am gegenwärtigen Engagement der
USA im Irak hatten, sahen sie tendenziell den Einsatz von Waffen unter bestimmten
Bedingungen als mögliches Mittel zur Herstellung von Frieden an; die österreichischen
Studierenden sprachen sich dagegen strikt gegen Waffen aus und setzten allein auf
Diplomatie als Mittel der Konfliktregelung. Während die österreichischen Studierenden den
USA die Verfolgung ökonomischer Interessen als Motor bei den aktuellen Kriegshandlungen
unterstellten, werden für die amerikanischen Studierenden diese Kriege zumindest auch im
Interesse der Verbreitung von Freiheit geführt. In den Positionen der österreichischen
Studierenden zeigte sich kaum Veränderung, während die amerikanischen Studierenden
teilweise ihre Positionen unter dem Einfluss der entstandenen Kontroverse relativierten.
Es ist neu, dass weltpolitische Ergebnisse auf der Ebene des Diskurses zwischen BürgerInnen
verschiedener Länder eine öffentliche Kommentierung erfahren. Dies zeigt nicht nur eine
Erweiterung der Teilhabe an Öffentlichkeit auf, sondern auch neue Möglichkeiten
interkultureller Auseinandersetzung und Verständigung, unabhängig von den jeweiligen
Regierungen eines Landes und unabhängig von den etablierten Medien Fernsehen, Rundfunk,
Print.
Von einer alternativen virtuellen Öffentlichkeit kann man im Zusammenhang mit dem
Peacewiki-Projekt auch deshalb sprechen, weil Themen als öffentliche Themen verhandelt
werden, wie z.B. Training von Friedenskompetenz sowie die Lebenssituation von
MigrantInnen, Roma und kriegstraumatisierten Kindern, die sonst allenfalls an der Peripherie
als Randthemen öffentlicher Diskurse erscheinen, aber weitgehend aus der öffentlichen
Sphäre verbannt sind. Die Grenze zwischen öffentlich und privat erfährt im virtuellen Diskurs
eine Verflüssigung. Schließlich werden, und auch das begründet den alternativen Charakter,
Frauen als politische Aktivistinnen vorgestellt, die als solche in den etablierten politischen
Arenen unterrepräsentiert sind und deren Tätigkeit oft nur Schattenarbeit unter caritativem
Vorzeichen bleibt.
6
„Was benötigt ein Mensch, der heute geboren wird, an Kompetenzen, um mit den Problemen
einer Gesellschaft des ausgehenden Jahrhunderts im Interesse einer befriedigenden eigenen
Lebensgestaltung zurechtzukommen?“, fragt Oskar Negt im Jahre 1998. Mit dieser Frage
wird Bildung mit einem gesellschaftspolitischen Anspruch konfrontiert, der auch nach der
Jahrhundertwende seine Gültigkeit hat und deshalb in den beiden hier vorgestellten virtuellen
Bildungsprojekten als Leitlinie dient. Bildung ist Negt zufolge doppelsinnig anzulegen. Sie
soll den Erwerb instrumenteller Qualifikation und die Entwicklung von
Orientierungskompetenz im gesellschaftlichen und individuellen Sinn fördern. Menschen, die
sich in der Gegenwartsgesellschaft zurecht finden müssen, benötigen
Schlüsselqualifikationen, eine Forderung, die auch Wolfgang Klafki (1998) vertritt. Wir
werden im Folgenden unter Bezug auf Klafki und Negt Schlüsselqualifikationen definieren
und zeigen, wie diese im Kontext von Peacewiki und Global Modules erworben werden
können.
7
Identitätskompetenz
Das Argument der eben zitierten Studentin korrespondiert der Überlegung von Oskar Negt,
dass Identitäten im Zuge der Vertreibung aus gewachsenen Lebensverhältnissen, wie sie für
moderne Gesellschaft typisch sei, brüchig und instabil werden (Negt 1998, 34).
Anerkennung ist der zentrale Mechanismus für die Entwicklung eines Identitätsgefühls, wie
wir von Jessica Benjamin wissen, denn Anerkennung sagt mir, dass ich bin und wer ich bin
(Benjamin 1990, 24 ff.). Wechselseitige Anerkennung spielte beim kollaborativen Arbeiten
im Zuge der Erstellung des Peacewiki eine zentrale Rolle, wie die Studierenden berichten:
‚ Supi Idee, N.!’. das war ein Lob, über das sich eine Studentin aufgrund der ungewöhnlichen
Formulierung besonders freute. Anerkennung drückte sich im österreichisch-amerikanischen
Dialog in Reaktionen aus wie ‚great point, Lauren!’ oder ‚that’s an interesting question.’.
Anerkennung manifestiert sich schließlich auch im Peacewiki, dem selbst geschaffenen, für
alle sichtbaren Produkt. Es sagt den einzelnen, ich bin jemand, der über kognitive, ästhetische,
kommunikative Kompetenzen verfügt, mit denen ich etwas zustande bringen kann.
Technologische Kompetenz
Wir leben in einer durch Technik konstituierten Welt und nicht nur in einer von Technik
geprägten Welt, konstatiert Negt (19gt 1998, 35). Antitechnische Effekte, die sich leicht in
moralische Widerstandshaltungen verwandeln, helfen uns nicht, das Vermögen auszubilden,
zwischen technischen Gefährdungen und dem technischen Nutzen zu unterscheiden.
Technologische Kompetenz umfasst die Fähigkeiten, technische Entwicklungen kritisch zu
reflektieren und zugleich Technik menschlich handhabbar zu machen und zur Verbesserung
von Lebensverhältnissen zu nutzen.
Zukunftsphantasie
8
Menschen der Gegenwart befinden sich in einer Situation, in der tradierte Werte und
etablierte Strukturen obsolet geworden sind und in der es folglich darauf ankommt, Neues zu
entwickeln. Kreativität, verstanden als Mut und Fähigkeit, sich etwas Neues einfallen zu
lassen, querzudenken, eingefahrene Denkbahnen zu verlassen, stelle laut Wolfgang Klafki
wichtige Schlüsselqualifikationen dar (Klafki 1998, 246). Eindrucksvoll schildern zwei
StudentInnen, wie sie im Gespräch mit einer Friedensaktivistin in diesem Sinn ermutigt
wurden. Sie beziehen sich auf eine slowenische Aktivistin, die in Kriegsgebieten wie Bosnien,
Tschechien und im Irak mit traumatisierten Kindern arbeitet und der es gelungen ist, eine
diese Arbeit unterstützende Organisation unter Beteiligung von Nationalregierungen
aufzubauen: „Ich glaube, je mehr Anfänge gewagt werden, umso besser. Und die können auch
scheitern, das ist kein Problem, wichtig, wie wir schon früher gesagt haben, zu sagen: Das hat
geklappt, das ist anders sowie ich bin anders und das zu akzeptieren. Und was Neues
auszuprobieren.“ (Auszug aus Reflexionsgespräch).
Es ist den beiden Studierenden am Beispiel der Biografie dieser Ärztin vorgeführt wurden,
dass es möglich ist, aus dem Gewohnten auszuscheren und dass dies eine positive Erfahrung
sein kann, die Begeisterung erzeugt, die auch andere ansteckt. Sie sind, mit Robert Musil
ausgedrückt, auf den Möglichkeitssinn gestoßen.
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Rekonstruktive Akte vollzogen sich z.B. bei der Erstellung der Enzyklopädie des Friedens im
Rahmen des Peacewiki-Projekts in der Auseinandersetzung mit existierenden
Friedensbegriffen, im Versuch, deren Sinn zu erfassen und sie in das eigene Begriffs- und
Deutungsreservoir zu integrieren. Im Rahmen von Global Modules waren die
TeilnehmerInnen gefordert, Argumente und Positionen von Menschen einer anderen Kultur
nachzuvollziehen und dazu Stellung zu nehmen. Dekonstruktive Akte, die darauf abzielen,
Wirklichkeit aus ihrer Umhüllung zu wickeln, nicht sofort offensichtliche Strukturen
aufzudecken, zeigten sich in den beschriebenen Versuchen, sich die Entstehung von Kriegen
einerseits und die Genese von Friedensfähigkeit andererseits zu erklären. Dekonstruktivistisch
agierten die TeilnehmerInnen in dem österreichisch-amerikanischen Diskurs, wenn sie
versuchten, den Ursachen für den aktuellen Krieg im Irak auf die Spur zu kommen. Als
KonstruktivistInnen waren sie beim Recherchieren, Bündeln, Systematisieren von
Informationen und als GestalterInnen der virtuellen Lernplattform tätig.
Die Studierenden haben sich im Zuge von Rekonstruktion, Konstruktion, Dekonstruktion eine
Wirklichkeit erschlossen und wurden dadurch selbst für diese Wirklichkeit erschlossen, was
sich nicht nur in ihrer Begeisterung zeigt, sondern auch in Entscheidungen, sich im Rahmen
von Qualifikationsarbeiten noch intensiver mit dem Thema Frieden zu beschäftigen.
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Wir lernen umso engagierter und erfolgreicher, wenn wir unser Thema gefunden haben, ein
Thema, für das wir „brennen“. Dies sollte bei der Entwicklung des Peacewiki dadurch
gefördert werden, dass die Studierenden wählen konnten, mit welchen Aspekten des
Friedensthemas sie sich beschäftigen wollten und welche inhaltlichen Akzente sie setzen
wollten. Sie waren darüber hinaus völlig frei bei der Art und Weise der Bearbeitung der
gewählten Themen und bei der Auswahl der Materialien, die sie für die Darstellung des
Themas benutzten. Auch im österreichisch-amerikanischen Friedensdialog online gab es
Wahlmöglichkeiten, auch wenn den Ausgangspunkt dieses Dialoges zwei vorgegebene Texte
bildeten. Die Dynamik der daran anknüpfenden Kommunikation konnte sich jedoch frei
entfalten, zudem machten die TeilnehmerInnen des Diskurses von der Möglichkeit Gebrauch,
neue Kommunikationsmodule zu eröffnen.
Kooperative Lernformen
Lernen ist, konstruktivistisch betrachtet, ein höchst individueller, eigenwilliger Prozess und
zugleich erfolgt Lernen in sozialen Kontexten (Siebert 2003, 15). Eine an der Erstellung von
Peacewiki beteiligte Studentin sieht dies genauso und nannte die Vorteile kooperativen
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Lernens: „Wenn ein Mensch allein etwas erarbeitet, das ist auch interessant. Aber es ist nie
von so vielen Perspektiven her beleuchtet, als wenn man das in einer Gruppe macht, wenn
einfach jeder einen anderen Zugang dazu hat“. Die im kooperativen Lernen gegebene
Perspektivenvielfalt erhöht die Chancen, ein Thema, eine Entwicklung von verschiedenen
Seiten zu betrachten, wodurch nicht offenkundige Zusammenhänge erkennbarer werden.
können. Die Lernenden können darüber hinaus im Sinne der Rekonstruktion die Perspektiven
anderer ganz oder teilweise adaptieren und dadurch ihre Deutungs- und Erklärungsbasis
erweitern oder sie können existierende eigenen Perspektiven in der Abgrenzung von anderen
Perspektiven schärfen. Im Rahmen des Peacewiki-Projektes wäre es technisch möglich,
Meinungen, die einem nicht passen, zu löschen; dies nicht zu vernichten, nicht zu bekriegen,
sondern einfach zu sagen ‚Okay, das ist seine/ihre Meinung’ und sie stehen zu lassen,
bedeutet, Friedenskompetenz zu erwerben.
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Sollen sich Konstruktion, Rekonstruktion, Dekonstruktion im Lernprozess lebendig entfalten,
so ist hierfür die Ergänzung der Online-Kommunikation durch Präsenzsitzungen in
zweifacher Hinsicht eine wichtige Bedingung: Die Face-to-face-Begegnung umfasst im
Unterschied zur Online-Begegnung die Körpersprache, die erweiterte Informationen über die
Befindlichkeit und Motivation der beteiligten KommunikationspartnerInnen liefert, was das
Ingang-Setzen eines Lern- und Kommunikationsprozesses erleichtert, weil Unterschiede,
Verständnisschwierigkeiten, ungleiche Beteiligungen rascher erkennbar sind und dadurch
ansprechbar werden.
Die Informationen, die Mimik, Gestik, körperliche Haltung liefern, unterstützen die
Herstellung von Vertrauen und Verbindlichkeit, auf die im Gemeinschaftsprojekt nicht
verzichtet werden kann. Aus diesem Grund hatte z.B. das Peacewiki-Projekt einen langen
zeitlichen Vorlauf an Präsenzsitzungen, in denen die theoretischen Grundlagen und die
Grundlagen des Miteinander-Kooperierens erarbeitet wurden. Diese Sitzungen nahmen
während der Durchführung des Projekts etwas ab, wurden aber dennoch fortgesetzt. Im
österreichisch-amerikanischen Projekt war die Möglichkeit der Präsenzsitzungen aufgrund der
großen geografischen Entfernung nicht möglich. Dass die geplante Videokonferenz, die eine
Kompensation darstellen sollte, aufgrund mangelnder technischer Voraussetzungen auf
amerikanischer Seite ausfallen musste, haben die Studierenden sehr bedauert.
Das auf der Lernplattform zusammengetragene Wissen in Form von Text, Bild, Sound kann
von den mit Unterstützung dieser Lernplattform Lernenden erweitert und modifiziert werden;
neue thematische Bereiche und Funktionen können in die Lernplattform integriert werden.
Die Lernenden haben es nicht mit einer abgeschlossenen Wissenseinheit zu tun, sondern mit
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einem veränderbaren Wissensfeld, das einen schöpferischen Umgang mit den einzelnen
Wissenspartikeln anregen soll. Sie können ihre eigenen Lernwege kreieren, was ein
exploratives, an der eigenen biografischen Erfordernissen anschließendes Lernen fördert.
Aktives Handeln ist daher nicht nur bei der Erstellung der Lernumgebung, sondern auch bei
ihrer Nutzung erforderlich. Durch Handeln, das auch ein Sprechen oder Schreiben sein kann,
legen sich die Lernenden fest, denn Handeln kann zwar widerrufen, aber nicht rückgängig
gemacht werden (Klafki 1979, 51 f.). Dadurch lernt man, Verantwortung zu übernehmen.
Handeln ist eine Form der Aktivität, in der der Mensch, wie Wolfgang Klafki bemerkt, in den
Raum des Mit-anderen-Menschen-Seins hineinwirkt (ebd.). Die das Peacewiki Nutzenden
wirken in einen existierenden sozial hergestellten Wissensraum hinein, indem sie sich das
Wissen aneignen, modifizieren und erweitern, sind sie rekonstruktiv, dekonstruktiv oder
konstruktiv tätig. Die Wiki-Technologie setzt dem Konstruktionsspiel keine Grenzen, und
kommt damit einem konstruktivistischen Bildungsverständnis in besonderer Weise entgegen.
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Lernhorizont, in dem sich ein neue Perspektiven eröffnendes Konstruktionsspiel entfalten
kann. Lehren bedeutet aus konstruktivistischer Sicht aber vor allem, Strukturen und
Arrangements bereit zu stellen, die das Lernen anregen sowie ein intensives Beobachten des
Lernprozesses und der einzelnen Lernenden, um im richtigen Augenblick lernstimulierend zu
intervenieren.
4.3 Was wirft das für mögliche weiterführende Forschungsfragen auf, in welche Richtung
könnte weitere Forschung daher fortsetzten, (=Schlussbemerkung)
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insofern der Verhaltensdisposition der Studierenden, als die Durchführung des Projekts
Peacewiki auf Potentiale zurückgreift, die in der Alltagskultur bzw. Lernkultur der Lernenden
bereits vorhanden sind: Die Verwendung von virtuellen Interaktionsformen ist
selbstverständlicher Bestandteil des Alltags der Internetgeneration. Zumal diese
Fruchtbarmachung von vorhandenem Potential von traditionellen Lehrmethoden nicht
geleistet werden kann, kann auch in Hinblick auf die Institution von einem Lerneffekt
gesprochen werden. Die Institutionen sehen sich nicht mehr als die alleinigen Exekutanten
eines Lehrplans, sondern schaffen durch konkrete Anwendungskonzepte von Neuen Medien
die Vorraussetzungen, Bildung und Lernen als einen lebenslang fortschreitenden,
selbstgesteuerten Prozess zu vermitteln, den sie gezielt anstoßen. Aus institutioneller
Perspektive erwächst der Eisatz von Wikis wie im hier beschriebenen Konzept zusätzlich
insofern eine Bedeutung, als sie einen Wissenstransfer ermöglichen. Da Peacewiki öffentlich
zugänglich ist, schafft es Transparenz, wo sich sonst Türen und Mauern um den
wissenschaftlichen Diskurs in Seminaren schließen.
4. 2 Transferierbarkeit
Die Überlegungen zur Transferierbarkeit des Wikikonzeptes konzentireren sich auf folgende
Bereiche:
• Intersubjektive Wissensfindung durch lebendige Erfahrung in virtueller Öffentlichkeit
• Prädestiernierung für die Anwendung in der interkulturellen Kommunikation,
• praktische Umsetzung theoretischer Inhalte und
• Organisation von sozialem Miteinander im virtuellen Raum.
Diesen Merkmalen erwächst der Nutzen dieser Konzeption, der auch für andere Lehr- bzw.
Lernunternehmungen fruchtbar gemacht werden kann.
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konstruierbar und flexibler (Turkle, u.a. ...) . Indem sie sich Zuschreibungen entziehen,
begünstigen sie eine Verflüssigung von kulturellen, sozialen und emotionale Grenzziehungen
(Hering u. a. ..), die dazu führt, dass Barrieren, die in der non-virtuellen Kommunikation
Befangenheit verursachen können, nicht in dieser Weise auftreten. Dem Umgang mit
Diversität werden so neue Perspektiven verliehen. Darüber hinaus vereinfacht die
Ortsungebundenheit virtueller Kommunikation, wie im österreichisch-amerikanischen
Friedensdiskurs bestätigt, die Organisation interkulturelle Kontakte.
Ein Wiki als Lernumgebung eignet sich besonders für Lehrveranstaltungen mit Seminar- bzw.
Workshopcharakter, die die intersubjektive Wissensfindung zum Ziele haben. Unsere
Konzeption verschränkt sich zwar mit der Friedensthematik, kontextuelle Synergien sind aber
auch mit anderen Themengebieten denkbar. Nicht nur in den Sozial- und
Geisteswissenschaften, sondern auch in anderen Bereichen und hier vor allem unter dem
Aspekt der Vermittlung arbeitsorganisatorischer Vernetzungsleistungen ( im Sinne von
computergestütztem, kollaborativem Arbeiten CSCW) finden konstruktivistisch orientierte
Wiki-Konzepte in vielen Wissenschafts- und Arbeitsgebieten ihr ideales Anwendungsgebiet.
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Peacewiki ist in dieser Form nur dort oportune wo Wissen, Standpukte und Ergebnisse zur
Diskussion gestellt werden, also die Interaktivität der Plattform für themenbezogenen Diskurs
genutzt wird. Es ist Fehl am Platz, wo definierte Inhalte in einem Wissenscontainer gepunkert
und dem Lernenden nur distribuiert werden sollen. Nicht der vordefinierte Inhalt bestimmt
das gemeinsam Geschaffene, die Lernumgebung sammelt Diskussionsstandpunkte und
dokumentiert die Genese eines Wissen konstruierenden Prozesses, den die beteiligte
Community auf ihrem Erkenntnisweg zurücklegt. In welchen Aus- und
Weiterbildungsbestrebungen dies anwendbar ist, bestimmt auch die institutionelle
Verankerung. So determinert das didaktische Konzept bereits die Organisation von Lernen als
“Lernen in einer Gemeinschaft” und impliziert die Bildung einer Learning-Community die
entsprechend in die institutionellen Gegebenheiten eingebettet sein muß. Das entscheidet
letzlich ob Peacewiki als adaptionsfähige Konzeption in Aus- und
Weiterbildungsunternehmen dienen kann oder nicht.
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