Mc Sex
„Generation Porno“ - so werden sie seit einiger Zeit immer wieder von den
Medien betitelt, Jugendliche, die im Internet immer früher Zugang zu
pornografischen Videos und Bildern haben. Viele geraten unabsichtlich
durch ein paar zufällige Klicks auf solche Pornoseiten, andere schauen sie
absichtlich an. Einige schon bevor sie zwölf Jahre alt sind, bevor sie
überhaupt erste eigene sexuelle Erfahrungen gemacht haben. Doch was
genau bedeutet das? Wächst hier tatsächlich eine Generation heran, die
von Liebe und Zärtlichkeit keine Vorstellung mehr hat und Beziehungen
auf puren Geschlechtsverkehr reduziert?
Darüber streiten die Experten. Die Porno-Debatte ist wieder eröffnet –
allerdings mit neuer Schärfe. Denn diesmal geht es um die Generation der
Söhne und Töchter der Feministinnen, um Pornokonsumenten, die beinahe
noch Kinder sind. Und allzu leicht wird dabei fast vergessen, dass diese
Bilder für sie eigentlich verboten sind.
Die junge niederländische Buchautorin Myrthe Hilkens meint: Ja. Sie hat
der massiven Verbreitung der Pornobilder den Kampf angesagt – auch weil
sie fürchtet, dass Jungen und Mädchen im Teenageralter genau hier
lernen, Frauen seien bloße Sexualobjekte im Dienste der Männer.
Myrthe Hilkens entschied sich ein Buch darüber zu schreiben - und löste
damit in ihrer Heimat heftige Diskussionen über vermeintliche sexuelle
Freiheit aus: Unsere Gesellschaft sei „pornofiziert“, so die These ihres
Buches. Als 31-Jährige gehört sie selbst zu der Generation, die unter dem
Einfluss immer leichter zugänglicher Pornobilder aufwuchs. Sie meint:
Jugendliche werden mit solchen Bildern heute regelrecht bombardiert –
und das nicht nur im Internet. „Selbstverständlich finden wir die Bilder im
2
Internet“, sagt Myrthe Hilkens, „aber eigentlich sind die überall. Das ist
es, warum ich auch sage, dass unsere Gesellschaft pornofiziert. Die sind
auf Werbeplakaten, in Musikvideos, die sind auf Partys.“
„Bei den 12- bis 19-Jährigen findet man Angaben, dass knapp die Hälfte
der Jugendlichen schon mal unwillentlich auf Pornoseiten gestoßen sind,
die haben irgendwas aufgemacht oder so. Bei den 16- bis 19-Jährigen
haben über die Hälfte der Mädchen und über 90 % der Jungs schon
bewusst Pornoseiten aufgesucht“, bilanziert Sabine Tolkmitt die
Verbreitung von Pornos unter Teenagern. „Durch das Internet ist
Pornografie leichter zugänglich. Da ist ganz deutlich, dass Mädchen sich
da weniger für interessieren als die Jungs. Und manche von denen
beziehen da halt auch ihr Wissen über Sexualität drüber und tragen das
auch an die Mädchen heran. Also Erwartungen an Oralverkehr oder an
andere Formen, auch an Analverkehr.“
Generation ist genau wie die Jugendlichen heute“, meint Hilkens. „Ich
dachte der Anti-Porno-Feminismus ist überholt. Ich dachte, ich kann
wählen, ich kann studieren, so, was will ich eigentlich noch mehr. Aber
dann, wenn ich mit Freundinnen allein war, und wir waren ehrlich, dann
sind die sexuellen Freiheiten eigentlich meistens Freiheiten die Männern
zugehören – weil wir immer noch zu ängstlich waren zu sagen, was wir
gerne wollten. Unsere Wünsche sind nicht so wichtig wie die Wünsche
eines Mannes.“
Ihre Wut über diese Doppelmoral wuchs mit den Jahren, denn mehr und
mehr wurde sie im Alltag damit konfrontiert. Auch bei ihrer Arbeit als
Musikjournalistin. Lange schwieg sie hier über Hip-Hop-Stücke, die Frauen
als Huren darstellen und teils gar aufrufen sie zu schlagen. Doch
irgendwann wollte sie das nicht mehr: „Dann gab es auch die Videos mit
den nackten Frauen, die immer machen was der Mann gerne möchte und
ich konnte meinen Mund nicht mehr halten. Das war ein ganz schwieriger
Schritt für mich, weil ich wusste, dass Feministin sein nicht modern oder
hip ist“, beschreibt Myrthe Hilkens ihre damalige Situation, „aber trotzdem
dachte ich, das muss gesagt werden.“
In ihrem Buch „Mc Sex“ kritisierte sie schließlich die Frauen verachtende
sexuelle „Fastfood-Kultur“, in der Liebe und Respekt keine Rolle spielen.
Dafür wurde sie öffentlich massiv angefeindet. Einige beschimpften sie gar
als verklemmte, frustrierte Emanze. Bremsen lässt sie sich davon nicht.
Erst recht, weil sie nicht will, dass ihr Kind später unter dem Einfluss
solcher Bilder steht. Denn mit ein, zwei Clicks kommt heute jeder
Teenager kinderleicht - auch unabsichtlich - auf Gratis-Pornoseiten. Und
immer mehr präsentieren sich selbst so im Netz.
„Jugendliche haben Sex, filmen einander mit webcam und dann setzen sie
die Filme online“, beschreibt Hilkens die Ergebnisse ihrer Recherchen zu
„Mc Sex“. „Und es gibt auch eine kleine Gruppe hier in Amsterdam, das
sind Mädchen, für die Sex ein Tausch- und Bezahlungsmittel geworden ist.
Die denken, sie brauchen etwas, vielleicht ein neues Handy oder einen
Drink und sie haben Sex und bekommen das. Und ich bin froh, es ist nur
eine ganz kleine Gruppe, aber trotzdem denke ich, es zeigt einen neuen
Trend.“
Jeder zweite niederländische Teenager hat bis 18 mehr als 100 Pornos
gesehen. Ähnlich in Deutschland. Über die Folgen sind die Experten
uneinig. Aber Studien deuten darauf hin, dass Jugendliche mit häufigem
Pornokonsum unter anderem Analsex, Gruppensex oder Gewalt gegen
Frauen eher für normal halten. Noch ist das die Minderheit. Und in den
Augen von Sexualpädagogin Sabine Tolkmitt spricht einiges dafür, dass es
auch so bleibt. Denn nicht alle Jugendlichen sind dem Einfluss der Bilder
hilflos ausgeliefert: „Ich denke hier muss man keine Panik machen“,
erklärt Tolkmitt; „der allergrößte Teil der Jugendlichen kann das
unterscheiden, das sind Bilder aus Pornos und die Realität ist etwas
anderes. Vielleicht so 10 % lassen sich verunsichern, nehmen das als
Gebrauchsanweisung und entwickeln ein verzerrtes Bild von Sexualität.
Dass sie denken es müsste so sein, also alle Mädchen machen Oralverkehr
und machen Analverkehr oder solche Methoden, und sie fühlen sich dann
möglicherweise unter Druck, wenn sie das nicht machen, wenn der Freund
dann möglicherweise sagt, wenn Du das nicht machst, dann trenn ich
mich.“
Sabine Tolkmitt sieht neben den Pädagogen auch die Eltern in der Pflicht.
Sie sollen ihre Kindern im Netz auf sinnvolle Aufklärungsangebote
hinweisen und nicht so tun, als sähen ihre Kinder in den Medien nur eine
„heile Welt“. Tolkmitt betont, es sei wichtig schon früh mit den Kindern
darüber zu reden, auf welche Bilder sie im Internet stoßen können: „Wenn
das erst in der Pubertät den Eltern auffällt, dann ist es im Grunde
5
Buchtipps
Quelle: http://www.wdr.de/tv/frautv/sendungsbeitraege/2010/0408/thema_2.jsp