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Halogen-KW v4 Handout 070815
Halogen-KW v4 Handout 070815
HALOGENKOHLENWASSERSTOFFE
H H
H
Br δ- δ-
Me I Br I Me
Et Me Et
Et
Inversion
Rückseitenangriff
1. HALOGENKOHLENWASSERSTOFFE ........................................................................................... 3
1.1 DEFINITION & EINTEILUNG .............................................................................................3
1.2 NOMENKLATUR ...........................................................................................................4
1.3 PHYSIKO-CHEMISCHE EIGENSCHAFTEN, SPEKTROSKOPIE .............................................................6
1.4 REACTION MAP: HALOGENALKANE ....................................................................................7
2. SUBSTITUTIONS-REAKTIONEN .............................................................................................. 9
2.1 NUCLEOPHILE SUBSTITUTIONSREAKTIONEN (SN) .....................................................................9
2.2 BIMOLEKULARE NUCLEOPHILE SUBSTITUTION (SN2)...............................................................12
2.3 MONOMOLEKULARE NUCLEOPHILE SUBSTITUTION (SN1)...........................................................16
2.4 QUALITÄT DES NUCLEOPHILS .........................................................................................22
2.5 QUALITÄT DER ABGANGSGRUPPE .....................................................................................25
2.6 LÖSUNGSMITTELEFFEKTE BEI DER SN-REAKTION ....................................................................28
2.7 NACHBARGRUPPENEFFEKTE IN DER NUCLEOPHILEN SUBSTITUTION ................................................30
2.8 ALKYLIERUNGEN IN BIOLOGISCHEN SYSTEMEN: S-ADENOSYLMETHIONIN (SAM) ................................32
2.9 SYNTHETISCH WICHTIGE NUCLEOPHILE SUBSTITUTIONS-REAKTIONEN ............................................33
2.10 SUBSTITUTIONSREAKTIONEN VON ALKOHOLEN ......................................................................37
2.11 FINKELSTEIN REAKTION ...............................................................................................41
2.12 ETHERSPALTUNG .......................................................................................................42
2.13 NUCLEOPHILE RINGÖFFNUNG VON OXIRANEN .......................................................................44
2.14 ETHER-SYNTHESE DURCH SN-REAKTIONEN ..........................................................................47
3. ELIMINATIONSREAKTIONEN ZU ALKENEN ................................................................................51
3.1 VON DER SN-REAKTION ZUR ELIMINATION ..........................................................................51
3.2 UNIMOLEKULARE ELIMINATION (E1) ................................................................................53
3.3 BIMOLEKULARE ELIMINATION (E2)..................................................................................54
3.4 DEHYDRATISIERUNG VON ALKOHOLEN ZU ALKENEN.................................................................58
3.5 VARIANTEN DER DEHYDRATISIERUNG: ESTER-PYROLYSE UND TSCHUGAEFF-ELIMINATION ......................60
3.6 HOFMANN-ELIMINATION AUS QUARTÄRER AMMONIUM-SALZEN ...................................................62
3.7 REDUKTIVE DEHALOGENIERUNG VON 1,2-DIHALOGENIDEN ........................................................64
3.8 E1CB-MECHANISMUS ..................................................................................................64
4 SPEZIELLE REAKTIONEN VON/ZU HALOGENALKANEN ..................................................................66
4.1 ABBAU VON CARBONSÄUREN – HUNDSDIECKER REAKTION ........................................................66
5. ANHANG ......................................................................................................................67
5.1 VERSUCHE ZU SN-REAKTIONEN .......................................................................................67
5.2 STEREOCHEMIE: FISCHER PROJEKTION ...............................................................................69
5.3 LÖSUNGSMITTEL........................................................................................................70
Halogenalkane
August 2007, v4, r.marti 2 / 84
6. SELBSTSTUDIUM .............................................................................................................71
6.1 SELBSTSTUDIUM: NOMENKLATUR VON HALOGENALKANEN (SEITE 6) .............................................71
6.2 SELBSTSTUDIUM: NMR VON HALOGENALKANEN (SEITE 8) ........................................................72
6.3 SELBSTSTUDIUM: UMSETZUNG VON OPTISCH AKTIVEN 2-IODOCTAN MIT NA131I (SEITE 13)...................73
6.4 SELBSTSTUDIUM: TRITYLSCHUTZGRUPPE (SEITE 20)...............................................................74
6.5 SELBSTSTUDIUM: DIAZOTIERUNG VON AMINOSÄUREN (SEITE 31)................................................75
6.6 SELBSTSTUDIUM: CHLORIERUNG ÄPFELSÄURE (SEITE 40).........................................................76
6.7 SELBSTSTUDIUM: MITSUNOBU REAKTION (SEITE 41)..............................................................77
6.8 SELBSTSTUDIUM: STEREOCHEMIE DER RINGÖFFNUNG VON OXA-CYCLOALKANEN (SEITE 46) ...................78
6.9 SELBSTSTUDIUM: WILLIAMSON-ETHERSYNTHESE (SEITE 49)....................................................79
6.10 SELBSTSTUDIUM: CYCLISIERUNG AM SECHSRING (SEITE 50) ....................................................80
6.11 SELBSTSTUDIUM: STEREOSELEKTIVITÄT DER ELIMINATION (SEITE 56)...........................................81
6.12 SELBSTSTUDIUM: TSCHUGAEFF-REAKTION (SEITE 61) ............................................................82
6.13 SELBSTSTUDIUM: REDUKTIVE DEHALOGENIERUNG (SEITE 63) ...................................................83
6.14 SELBSTSTUDIUM: HUNDSDIECKER REAKTION (SEITE 66)..........................................................84
Weiterführende Literatur
Internet
• www.chemgapedia.de
• www.organische-chemie.ch
• www.chem.wisc.edu/areas/organic/index-chem.htm
• www.cem.msu.edu/~reusch/VirtualText/intro1.htm
Weitere Übungen
Bitte beachten Sie, dass das vorliegende Skript, Übungen etc. nur eingeschriebenen Studenten der ZHW Winterthur/HSW Wädenswil
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Halogenalkane
August 2007, v4, r.marti 3 / 84
1. Halogenkohlenwasserstoffe
Halogenierte organische Verbindungen haben, obwohl sie in der Natur nur wenig vorkommen, breite
Anwendung, speziell in der Polymer- und Agroindustrie gefunden. Ihre Reaktivität in Substitutions-
und Eliminierungsreaktionen machen sie zu wichtigen Intermediaten in der Synthese.
Lernziele:
Halogenkohlenwasserstoffe
Struktur & Reaktivität, Nomenklatur
Reaction Map
Nucleophile Substitutionsreaktionen
Unterscheidung SN1 und SN2
Nucleophile & Abgangsgruppen
Typische SN-Reaktionen
Eliminierungsreaktionen
Unterscheidung E1 und E2
Dehydratisierung von Alkoholen
Spezielle Eliminierungsreaktionen: Ester-Pyrolyse, Tschugaeff-Reaktion, Hofmann-Reaktion
E1cb-Mechanismus
Es gibt nur wenige in der Natur vorkommende Halogenkohlenwasserstoffe, als Beispiel sind
aufgeführt: Fluoressigsäure, aus der südafrikanischen Giftpflanze Dichapetalum cymosum, 6,6’-
Dibromindigo, das antike Purpur aus der Purpurschnecke, und L-(+)-Thyroxin ein Hormon der
Schilddrüse.
Cl Br
Cl O Cl
F3C
Br
Cl O Cl
Dioxin
O I
O H
N Br I O
F NH2
OH
Br N HO I Cooh
H
Fluoressigsäure O I
6,6'-Dibromindigo L-(+)-Thyroxin
Halogenalkane
August 2007, v4, r.marti 4 / 84
Perchlorierte Verbindungen haben in der Vergangenheit als Insektizide (zBsp. DDT, Lindan),
Lösungsmittel (chemische Reinigung), Isolatoren (PCB’s) eine weite Verbreitung gefunden. Viele
dieser Verbindungen sind biologisch schwer abbaubar und verursachen signifikante gesundheitliche
Schäden (zBsp. Dioxin). Dies führte zu einem Verbot in ihrer Anwendung, aber leider können heute
immer noch viele dieser Verbindungen in der Umwelt nachgewiesen werden.1
1.2 Nomenklatur2
CH2Cl2 Methylenchlorid
1,2-Dichlorethan Ethylenchlorid
CHCl3 Chloroform
CHBr3 Bromoform
CHI3 Iodoform
Eine ältere Nomenklatur bezeichnet Halogenkohlenwasserstoffe auch als Alkyhalogenide mit der
Endung –id (Suffixnomenklatur).
I
sec-Butyliodid 2-Iodbutan
tert-Butylchlorid 2-Chlor-2-methylpropan
Cl
Vinylchlorid Chlorethen
Cl
1
Vollhardt & Schore (4te Ed.), Seite 242 und 1169.
2
Vollhardt & Schore (3te Ed.), Seite 205.
Halogenalkane
August 2007, v4, r.marti 5 / 84
Einschub: Fluorverbindungen
Fluororganische Verbindungen heben sich durch ihre speziellen physikalischen, physiologischen und
chemischen Eigenschaften in vielen Belangen von halogenierten Verbindungen ab. Elementares Fluor
wurde erstmals 1886 von H. Moissan hergestellt und bald darauf für Direktfluorierungen in der
organischen Chemie eingesetzt. Seit den 30iger Jahren sind die fluorhaltigen Kühlmittel (Freon,
Frigen) und Feuerlöschmittel (Halon) bekannt. Während dem 2. Weltkrieg wurden im Rahmen des
Manhattan-Projektes viele neue fluorhaltige Werkstoffe (zBsp Teflon) erforscht um in Anlagen zur
Uran-Isotopentrennung eingesetzt zu werden. Seit den 50iger Jahren finden fluorierte Verbindungen
als Pharmazeutika, Blutersatzmittel und Beatmungsfluide Verwendung. Als neuste Entwicklung sind
fluorierte Flüssigkristalle für Aktiv-Matrix-Displays zu nennen.
• Die C-F-Bindung besitzt eine sehr hohe Bindungsenthalpie (C-F: 116 kcal/mol; C-H: 104; C-C: 85)
und somit schwer zu spalten.
• Bedingt durch die hohe Elektronnegativität von Fluor ist die C-F-Bindung sehr stark polarisiert.
• Fluor hat einen kleinen Van der Waals-Radius, vergleichbar dem von Wasserstoff (F: 135 pm, H:
120 pm) Æ H-Mimik in Pharmazeutika.
• Sehr schwache Van der Waals-Wechselwirkungen bewirken niedrige Oberflächenenergie (Æ
Teflonbratpfanne), hohe Flüchtigkeit (Æ Kühlmittel) und hohe Lipophilie (Æ Pharmazeutika).
Die meisten Fluorverbindungen sind physiologisch innert und finden deshalb Verwendung als
Kühlmittel (FCKW), Inhalationsanästetikas und Röntgenkonstrastmittel, Blutersatzstoffe (hohe
Löslichkeit von Sauerstoff); eine Ausnahme ist die Fluoressigsäure, die hochtoxisch ist (blockiert als
Fluorisocitrat den Citratcyclus).
Fluorierte Verbindungen finden eine breite Anwendung in Pharmazeutika, einerseits durch
verbesserte Eigenschaften wie erhöhte Liphophilie, bessere Bioverfügbarkeit und höhere
metabolische Stabilität durch verlangsamten Abbau oder durch völlig veränderte Reaktivität
gegenüber der nicht-fluorierten Verbindung (Suizid-Inhibitoren, siehe 5-Fluoruracil).
H
O O N
F HO
HN N
H
F3C
O N
H
N CF3
Fluoxetin, Prozac
5-Fluoruracil (Antidepressivum) CF3
(Cytostatiukum) Mefloquin
(Anti-Malaria)
F F F F
F F F
F F
CHF2OCF2CHFCl
F F
F F F Enfluran
F F F F
(Inhalationsanästhetikum)
Perfluordecalin
(Blutersatz)
Halogenalkane
August 2007, v4, r.marti 6 / 84
Br Cl
F3 C
Br
OMe N3 Ethylenchlorid
CHO
F
F
Bromoform
Cl
Eigenschaft Beschreibung
Schmelz- & Siedepunkt Halogenalkane zeigen im Vergleich zu den entsprechenden
Alkanen höhere Siedepunkte.
Die Siedepunkte steigen von F- zu, Cl-, Br-, I- an.
Polarität Die Bindungspolarität (C-X) ist gross und die Halogen-KW sind
polare Verbindungen.
Alle Halogen-KW sind nicht mit Wasser mischbar, aber mit den
meisten organischen Lösungsmitteln.
IR-Spektroskopie (C-F) = 1400-1100 cm-1
(C-Cl) = 800-600 cm-1
(C-Br) = 600-500 cm-1
(C-I) = ∼ 500 cm-1
NMR-Spektroskopie Die chemische Verschiebung von geminalen Protonen in
Halogen-KW (-CHX-) liegt ca. bei 3-4 ppm.
Na Ag
C nH mX X {AgX}
HNO 3
3
Vollhardt & Schore (4te Ed.), Seite 239ff.
Halogenalkane
August 2007, v4, r.marti 7 / 84
H X
NaX, Aceton R OSO2R'
X H
R' = Me, CF3, pTo
H R = OMs, OTf, OTsl
2 ,P
d- a) HX b) HX, AIBN
C
PX
C3X o r H
Base, ΔT
X
a) or b)
4 /PP or R'SO2Cl,
h Base
E 3
X-Y
Y R OH
Br a) or b)
Br H OH
HO H
X=Y = Br: Zn
Br conc. H2SO 4, ΔT
X
E2 E1
a) H2SO 4, H 2O or b) BH3, then
Es Hg(OAc)2 then NaBH4 H2O2/NaOH
t er
O -P
yr
oll
ys
R OOH e
or
Ts
c hu
ga
H ef
O f -R
Ea
kt
ion
OH HO H
H
Nu Nu
Halogenalkane
August 2007, v4, r.marti 8 / 84
Cl
Cl Cl Br Br
Cl Cl Br
Cl Cl Cl Cl
Cl
Cl Cl Cl
NC Cl
Cl
Cl
Cl
Halogenalkane
August 2007, v4, r.marti 9 / 84
2. Substitutions-Reaktionen
X Nu
Nu
R R + X
Als nucleophile Teilchen (Atome, Moleküle, Ionen) bezeichnet man solche, die nach einem
„Nucleus“ (Kerne) suchen; elektrophile Teilchen sind entsprechen solche, welche nach „Elektronen“
suchen. Kerne sind generell positiv, Elektronen negativ geladen, somit „suchen“ Nucleophile
positive Ladungen und vis versa.
Konsistent mit dieser Definition sind Nucleophile generell negativ geladen, haben eine partielle
negative Ladung an ihrer „Reaktionstelle“ oder ein verfügbares freies Elektronenpaar, d.h.
gegenüber einem Elektrophil weist ein Nucleophil elektronenspendene Eigenschaften auf.
Entsprechend ist das Elektrophil im Allgemeinen positiv geladen oder hat eine partiell positive
Ladung an seiner „Reaktionsstelle“. Drückt man das mit Reaktionspfeilen aus, so greift das
Nucleophil das Elektrophil an, d.h. beim zeichnen eines Reaktionsmechanismus („electron
pushing“) bedeutet der Pfeil (Æ) das verschieben von zwei Elektronen und zwar in der Richtung
von Elektronenquelle (Nucleophil/Lewis-Base/Donor) hin zur Elektronensenke (Elektrophil/Lewis-
Säure/Acceptor). Das Elektrophil R-X wird häufig auch als Alkylierungsreagenz bezeichnet.
"Elektronen-Senke"
"Elektronen-Quelle"
El
Reaktionspfeil
Nu
In Vervollständigung5 dazu ist eine Lewis-Säure ein Elektronenpaar-Acceptor und eine Lewis-Base
ein Elektronenpaar-Donor (ein Elektronenpaar sind zwei gepaarte Elektronen, wie zum Beispiel ein
freies Elektronenpaar oder eine σ- oder π-Bindung). Lewis-Säure/Lewis-Basen Reaktionen sind
vergleichbar mit Nucleophil/Elektrophil Reaktionen; beide sind geleitet von elektrostatischen
Wechselwirkungen. Wobei aber in der Diskussion Nucleophil/Elektrophil die kinetische Wechsel-
wirkung im Vordergrund steht.
4
Vollhardt & Schore (4te Ed.), Seiten 241ff. & 283ff; Brückner (3te. Auflage), Seiten 55-104; Sykes (9th Ed.),
Seiten 89-117; Warren (2001), Seiten 407ff.
5
Zum Abrunden noch die Begriffe Brönsted-Säure und Brönsted-Base; eine Brönsted-Säure ist ein Protonen
(H+) Donor und eine Brönsted-Base ein Protonen Acceptor.
Halogenalkane
August 2007, v4, r.marti 10 / 84
Übung:
Zeichnen Sie für die folgenden Reaktionen die Reaktionspfeile richtig ein.
H O C Cl C OH + Cl
C Cl C + Cl
H O C O C OH
O
H
C C C C H
Base S
HS
O
OH
Wie läuft nun eine SN-Reaktion mechanistisch ab und welche Parameter beeinflussen die
Substitutionsreaktion?
Denkbar ist eine schrittweise, respektive eine synchrone Substitution der Abgangsgruppe X durch
das neu eintretende Nucleophil Nu. Je nachdem, schrittweise oder synchron, muss die Eigenschaft
und Qualität des Übergangszustandes, respektiv Zwischenproduktes diskutiert werden. Auch wird
die Reaktion sicher von der Güte der Abgangsgruppe, des Nucleophils, der sterischen Faktoren und
anderen Einflüssen wie Lösungsmittel beeinflusst sein.
Kinetische Untersuchungen helfen bei der Unterscheidung ob eine synchrone oder schrittweise
Reaktion stattfindet. Im Falle der synchronen nucleophilen Substitutionsreaktion SN muss die
Reaktionsgeschwindigkeit von der Konzentration von Edukt und Nucleophil abhängen, d.h. eine
bimolekulare Reaktion. Somit wird diese Reaktion als eine SN2-Reaktion bezeichnet. Umgekehrt
findet man für den schrittweisen Reaktionsmechanismus, dass die Reaktionsgeschwindigkeit nur
von der Eduktkonzentration abhängt, d.h. eine unimolekulare Reaktionordnung und wird somit als
eine SN1-Reaktion bezeichnet.
Halogenalkane
August 2007, v4, r.marti 11 / 84
Nu + R X R X
E E
R X
Nu + R X
R Nu + X R Nu + X
RK RK
Halogenalkane
August 2007, v4, r.marti 12 / 84
Wie bereits gesagt, sind in der SN2-Reaktion am geschwindigkeitsbestimmenden Schritt sind zwei
Moleküle beteiligt, d.h. es liegt eine bimolekulare Reaktion vor. Bindungsbruch und
Bindungsbildung erfolgen gleichzeitig, man spricht von einer konzertierten Reaktion.
Bezüglich der Stereoselektivität der SN2-Reaktion sind zwei Möglichkeiten denkbar, ein
Vorderseitenangriff sowie ein Rückseitenangriff.
-
δ
H H I H
Me Br I
Me - Me
Et δ
Et Br Et
Retention
Vorderseitenangriff
H H
- - H
Br δ δ
Me I Br I Me
Et Me Et
Et
Inversion
Rückseitenangriff
Beobachtet wird aber nur der Rückseitenangriff, d.h. die Reaktion verläuft unter
Umklapplung/Inversion am Stereozentrum. Diese „Umklappung“ – man kann es sich auch bildlich
Vorstellen als ein Umklappen eines Regenschirmes bei starkem Wind – ist auch bekannt als die
Walden’sche Umklapplung.
+
Es ist wichtig zu erkennen, dass mit rein elektrostatischen Argumenten (Kohlenstoff δ -polarisiert,
-
Nucleophil δ -polarisiert) sich der Rückseiten-Angriff nicht erklären lässt. Betrachtet man sich aber
die Reaktion auf der Ebene der Orbitale, d.h. das Nuleophil als Elektronen-Donor - mit einem freien
Elektronenpaar im HOMO - und das Elektrophil als Elektronen-Acceptor - das leere LUMO-Orbital σ*,
so kann der Rückseiten-Angriff durch diese Wechselwirkung gut veranschaulicht werden.
6
Vollhardt & Schore (4te Ed.), Seiten 241ff.; Brückner (3te. Auflage), Seiten 55-104; Sykes (9th Ed.), Seiten
89-117; Warren (2001), Seiten 407ff.
Halogenalkane
August 2007, v4, r.marti 13 / 84
Übung:
Formulieren Sie einen Reaktionsmechanismus und erklären Sie die beobachtete Stereoselektivität.
(S) (R)
OH OTs OAc OH
Selbststudium: Umsetzung von optisch aktivem 2-Iodoctan mit Na131I (Lösung Seite 74)
Optisch aktives 2-Iodoctan, das in einer Acetonlösung von radioaktivem Na131I stehen gelassen
wird, verliert seine optische Aktivität und tauschte sein „gewöhnliches“ Iod gegen radioaktives Iod
-
aus. Die Geschwindigkeit beider Prozesse hängen von der Konzentration [R-I] und [I ] ab, jedoch
verläuft die Racemisierung genau doppelt so schnell wie der Isotopenaustausch. Erklären Sie den
Befund.
Um den Einfluss von Substituenten auf die SN2-Reaktion betrachten wir ein Modell des
Übergangszustandes der SN2-Reaktion:
C
C δ- δ- C
A X Nu X Nu A
B A B
B
Inversion
Rückseitenangriff
Bei der Annäherung des Nucleophils an das Alkyierungsreagenz erhöhen sich die sterischen
Wechselwirkungen am Reaktionszentrum – die Substituenten A, B und C nähern sich der
Abgangsgruppe X von ursprünglichen Tetraederwinkel 109° auf 90° und gleichzeitig nähert sich das
Nucleophil Nu den Substituenten A, B und C auf einen Bindungswinkel von etwa 90°. Diese
erhöhten sterischen Wechselwirkungen destabilisieren den trigonal-bipyrimidalen Übergangszustand
und erhöhen die somit die Aktivierungsenergie Eakt. Diese Destabilisierung wird nicht durch den
grösseren Abstand der Gruppen A, B und C von 109° auf 120° kompensiert!
Halogenalkane
August 2007, v4, r.marti 14 / 84
H H H3 C H 3C
H H 3C
H 3C H 3C
R-X X X X X
H H H H 3C
In die gleiche Richtung geht die nächste Beobachtung, je grösser die Substituenten am
Kohlenstoffatom sind, umso langsamer geht die SN2-Reaktion, respektive nimmt die SN2-Reaktivität
des Alkylierungsmittels ab.
H H H H
H H H H
R-X X X X X
H H
H
H3 C
H CH3
H H CH 3 H3 C CH 3
H 3C
Me-CH2X Et-CH2X iso-Pr-CH2X tert-Bu-CH2X
k(SN2, relativ) 1 0.4 0.03 0.00001
Für den t-Butyl-Rest spricht man in diesem Zusammenhang von Neopentyl-Effekt, der das
Substitutionszentrum in Alkylierungsmittel sterisch abschirmt und die SN2-Reaktion praktisch
verhindert.
Halogenalkane
August 2007, v4, r.marti 15 / 84
Wie wir gesehen haben durchlaufen wir während der Reaktion eine Umhybridisierung von sp3 im
Edukt zu sp2 im Übergangszustand und zurück zu sp3 im Produkt. Effekte, welche eine sp2-
Hybridisierung stabilisieren, respektive erleichtern, sollten somit die SN2-Reaktion beschleunigen.
Zu nennen sind hier speziell Substituenten, welche über ihr π-Elektronensystem mit dem 2p-Orbital
am Kohlenstoffatom überlappen können und somit durch Mesomerie zu einer Stabilisierung
beziehungsweise Erhöhung der Reaktionsgeschwindigkeit betragen können. Allyl- und Benzyl-
halogenide sind aus diesem Grund vergleichbar gute Alkylierungsreagenzien wie Methyliodid.
H H H Übergangszustand:
H H H
R- X X X X
H H H
H H H
CH 3
Vinyl-CH2X Nu X
Me-CH2X H
Phenyl-CH2X H
Übung:
- Ordnen Sie die folgenden drei konstitutionsisomeren Alkylierungsmittel nach ihrer SN2-Reaktivität.
a) Br
Br
Br
Br
b) Br
Br
- Für die drei folgenden Halogenide beobachtet man folgende Reaktivität gegenüber einem
Nucleophil. Geben Sie dazu eine Begründung.
Cl schnelle Reaktion
Cl langsame Reaktion
Cl
keine Reaktion
Halogenalkane
August 2007, v4, r.marti 16 / 84
Im Gegensatz zur SN2-Reaktion verläuft die SN1-Reaktion zweistufig; in einem ersten langsamen
Schritt kommt es zur Heterolyse der R-X-Bindung unter Bildung eines Carbenium-Ions als
kurzlebiges Intermediat. Im zweiten, schnellen Reaktionschritt erfolgt die Addition des Nucleophils
-
Nu and das Elektrophil R+ unter Ausbildung des Substitutionsproduktes R-Nu. Das heisst, das
Nucleophil greift das Alkylierungsmittel nicht aktiv an, sondern erst wenn das Carbenium-Ion
vorliegt.
Für die Betrachtung der Stereochemie der SN1-Reaktion müssen wir uns das reaktive Intermediat
R+ - Carbenium-Ion – betrachten. Es ist sp2 hybridisiert und mit den Substituenten A, B und C
trigonal-planar koordiniert, d.h. es ist achiral (wenn die Substituenten A, B und C nicht ihrerseits
chiral sind). Dieses prochirale Carbenium-Ion A ≠ B ≠ C reagiert nun mit einem Nucleophil Nu zu
einem chiralen Molekül. Da das Reagenz keine Differenzierung der beiden prochiralen Seiten
machen kann, erhält man ein 1:1-Gemisch der beiden Enatiomeren, d.h. ein Racemat.
A X
B
Bei der Solvolyse von enantiomerenreinen R-2-Bromoctan in EtOH/Wasser hat man nun aber nicht
das Racemat gefunden, sondern ein nur teilweises racemisiertes Produkt. Wie lässt sich nun dieser
Befund einordnen?
Kontaktionenpaar
Br
H 13 C 6
CH3
Nu
H H
(R) (S)
C6 H13 Br solvensgetrenntes Nu C 6H 13
H3 C CH3
Ionenpaar
S Br
H13C 6
CH 3
Nu
Solvens-Käfig
(S = Solvensmolekül)
7
Vollhardt & Schore (4te Ed.), Seiten 283ff; Brückner (3te. Auflage), Seiten 55-104; Sykes (9th Ed.), Seiten
89-117; Warren (2001), Seiten 407ff.
Halogenalkane
August 2007, v4, r.marti 17 / 84
Der Mechanismus läuft wieder über ein planares Carbenium-Ion, welches nun aber so reaktiv ist,
-
dass es mit dem Nucleophil H2O reagiert bevor die Abgangsgruppe Br sich vollständig gelöst hat.
In diesem „Kontakt-Ionenpaar“ schirmt nun das Bromid eine Seite partiell ab und das Wasser-
Nucleophil reagiert bevorzugt von der Si-Seite und bildet unter Inversion das S-Enantiomer.
Mit anderen Worten, vollständige Racemisierung findet man dann, wenn das durchlaufene
Carbenium-Ion relativ stabil ist und nicht schon das reaktive „Kontakt-Ionenpaar“ mit dem
Nucleophil abreagiert. Als Beispiel sei hier die Solvolyse von R-1-Brom-1-phenylethan aufgeführt,
das unter vollständiger Racemisierung verläuft. Als Intermediat wird hier das stabilisierte Benzyl-
Carbenium-Ion durchlaufen.
Carbenium-Ionen haben wie Radikale ein nicht komplettes Elektronenoktett und werden durch die
gleichen Faktoren stabilisiert. Die bevorzugte Struktur ist auch sp2-Hybridisiert mit einem leeren
2p-Orbital (trional-bipyrimidal). Die Bildung von Carbenium-Ionen kann generell durch eine
Heteroylse einer polarisierten C-X-Bindung, durch eine Protonierung von C-C-Doppelbindung oder
durch Oxidation einer σ(C-H)-Bindung erfolgt.
Hetereolyse von
R C-X-Bindung
X
R
R
R R
Oxidation von
R C-H-Bindung
H
R
R
Benzyl > Allyl > tert > sec > prim >> Me
Halogenalkane
August 2007, v4, r.marti 18 / 84
Carbenium-Ionen sind starke Elekrophile, da sie kein komplettes Elektronenoktett haben. Alle
Faktoren, welche einen „elektronenliefernden“ Effekt haben, stabilisieren das Carbenium-Ionen:
• Induktiver Effekt
H2 H2 H2 H2
H3C C C C C C CH3
CH2
CH3
• Hyperkonjugation
Kann eine σ(C-H)-Bindung in eine Wechselwirkung mit dem leereren 2p-Orbital des Carbokations
treten, d.h. parallele Anordnung der σ(C-H) mit dem 2p-Orbital, so beobachtet man Stabilisierung
des elektronenarmen Zentrums und man spricht von Hyperkonjugation (siehe Abbildung unten).
D.h. die Alkylgruppen haben eine „elektronenlieferende“ Wirkung und somit einen stabilisierenden
Effekt. Je mehr Alkylgruppen ein elektronenarmes Zentrum hat, umso mehr Stabilisierung erfährt
es, umso stabiler und einfacher kann es gebildet werden.
Dies kann auch durch das Zeichnen von mesomeren Grenzstrukturen unterlegt werden. Eine
Bestätigung des Hyperkonjugationseffekts findet man in der Kristallstruktur des t-Butyl-Kations.
Alle vier Kohlenstoffatome liegen in einer Ebene und bilden einen Winkel von 120°, d.h. es liegt
eine sp2-Hybridisierung vor. Die C-C-Bindungslänge ist mit 144 pm kürzer als in einer normalen
Einfachbindung (154 pm), dies ist auf die Hyperkonjugation zurückzuführen!
Halogenalkane
August 2007, v4, r.marti 19 / 84
Befindet sich in unmittelbarer Nachbarschaft zum 2p-Orbital des elektronenarmen Zentrums eine C-
C-Doppelbindung oder gar ein aromatisches π-System, so können diese miteinander in
stabilisierende Wechselwirkung – sprich Konjugation- treten. Wichtig ist, dass wiederum das 2p-
Orbital des Carbenium-Ions mit dem π-System coplanar steht um maximale Konjugation, d.h.
Stabilität zu erreichen.
Dieser Effekt ist für die hohe Reaktivität der Benzylhalogenide sowie der Allylhalogenide
verantwortlich:
π∗ (C=C)
2p
Ψ2
π (C=C)
Ψ1
Übung:
Br
a) Br
Br
Br
b) Br
Br
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August 2007, v4, r.marti 20 / 84
Übung
- Erklären Sie folgende Beobachtung, dass das Isomer 1 sich rasch zum Acetat 2 umsetzt, das
Isomer 3 hingegen nicht reagiert.
OTs OAc
NaAcO
1 2
TsO
Die Tritylgruppe ist eine wichtige Schutzgruppe für Alkohole. Je nach Substituenten an den
Phenylringen ist die Entschützung sehr langsam oder sehr schnell. Erklären Sie den Befund.
R1 R1
wässrige AcOH
R2 O R2 OH + R-OH
R
R1 R2 R3 Zeit
R3 H H H 48 h R3
MeO H H 8h
MeO MeO H 15 min
MeO MeO MeO 1 min
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August 2007, v4, r.marti 21 / 84
Wann verläuft nun eine nucleophile Substitution nach einem SN2-Mechansimus und wann nach
einem SN1-Mechansismus? Folgende Faustregeln helfen bei der Unterscheidung:
SN1 SN2
Me-X
Rprim-X
Rsec-X
Rtert-X, Aryl3C-X
Benzyl-X, Ally-X
Kinetik
Stereochemie
Lösungsmittel
Sonstiges
CH3CH2OH
Br +
SN1 EtO
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August 2007, v4, r.marti 22 / 84
Eine Frage ist, wie man die nucleophilen Eigenschaften eines Teilchens gegenüber einem
Elektrophil messen kann. Da spielen elektronische, sterische und Umgebungseinflüssen eine grosse
Rolle.
Als Beispielreaktion nehmen wir hier die Methanolyse von Methyliodid und vergleicht die
Geschwindigkeitskonstanten der Methanolyse in einer Konkurrenzreaktion zum Angriff eines
Nucleophils; daraus errechnet man den Nucleophilie-Parameter n:
Nu
H3C I H3C Nu
MeOH, 25 °C
Wie man aus den Zahlen erkennen kann, korreliert das Verhalten des Teilchens als Nucleophil nicht
mit dem als Base (pKa).
Das lässt sich so deuten, dass die Eigenschaft eines Teilchens ob es ein gutes oder schlechtes
Nucleophil ist eine kinetisch Grösse ist, die Basizität hingegen eine thermodynamische Grösse. Das
korreliert auch mit dem Bild, dass nicht elektrostatische Wechselwirkungen die Hauptgrösse bei der
nucleophilen Substitution sind, sondern hauptsächlich Orbital-Wechselwirkungen und zwar von
8
Vollhardt & Schore (4te Ed.), Seiten 264ff; Brückner (3te. Auflage), Seiten 56ff.; Warren (2001), Seiten 437ff
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August 2007, v4, r.marti 23 / 84
HOMO des Nucleophils mit dem LUMO des Elektrophils. Je ähnlicher sich diese HOMO/LUMO-
Energien sind, umso stärker ist die stabilisierende Wechselwirkung, sprich Reaktivität.
El
LUMO
El
LUMO
Nu El Nu Nu
HOMO LUMO HOMO HOMO
Dass die Polarisierung der C-X-Bindung nicht so stark ist und somit eben HOMO/LUMO-
Wechselwirkungen überwiegen, zeigt sich an den Elektronegativitätswerten der Halogene; für die
guten Abgangsgruppen Bromid und Iodid sind sich die Werte für X und C praktisch gleich! Für die
C=O-Gruppe hingegen, ist durch die Konjugation und den starken –I-Effekt die Polarisierung viel
stärker, hier kann man wirklich von einer positiven Ladung auf dem Kohlenstoffatom sprechen -
entsprechend überwiegen in der Reaktion mit Nucleophilen dann auch elektrostatische
Wechselwirkungen.
EN
δ δ
C 2.6
C X Cl 3.2 C O C O
Br 3.0
I 2.7
Da wir nicht einfach nach dem pKa-Wert gehen können, bedeutet das, dass wir die Qualität eines
Nucleophils immer in einer Konkurrenzreaktion zu einem anderen Nucleophil
bestimmen/einordnen müssen. Macht man das, findet man folgende relativen Beziehungen der
verschiedenen Nucleophile:
• Für Nucleophile, die mit gleichen Atom (C, O, N…) am Elektrophil angreifen, nimmt die
Nucleophile mit zunehmender Basizität des Nucleophils zu. Das lässt sich so verstehen, dass
zunehmende Basizität gleichbedeutend ist mit zunehmender Verfügbarkeit eines freien
Elektronpaares für ein Proton H+.
O O O
O
Alkyl O > OH > > > Alkyl OH , H2O > S
R O R O
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August 2007, v4, r.marti 24 / 84
• Diese in obigen Punkt beschriebene Parallelität von Basizität und Nucleophile lässt sich durch
sterische Einflüsse umkehren, d.h. stark basische, sterisch aber anspruchsvolle Nucleophile
reagieren weniger Nucleophil als weniger basische und sterisch wenig anspruchsvolle
Nucleophile.
>> >>
N N
N N
Li Li
>>
N N Rprim OH > Rsec OH > Rtert OH
• Für Nucleophile, die mit unterschiedlichen Atomen (als Beispiel F, Cl, Br, I…) an einem
Elektrophil angreifen, nimmt die Nucleophile mit zunehmender Elektronegativität des
Nucleophils ab. Dies gilt sowohl innerhalb einer Gruppe wie einer Periode des
Periodensystems.
>>
N O
Am Beispiel O vs. S-Nucleophil kann an einem Energieschema nochmals erläutert werden, wieso
das weniger basische Schwefel-Reagenz das bessere Nucleophil ist:
σ(C-X)
HO-O >> HO
Man beachte, dass in SN1-Reaktionen die Qualität des Nucleophils nicht „wichtig“ ist, da der
geschwindigkeitsbestimmende Schritt ja die Heterolyse zum Carbenium-Ion ist und die
Folgereaktion mit den Nucleophil rasch abläuft, d.h. Wasser als Nucleophil ausreichend ist und
nicht das basischere OH- verwendet werden muss.
Wann ist eine funktionelle Gruppe eine Abgangsgruppen und wann nicht? Man kann die Güte als
Abgangsgruppe wie folgt zusammenfassen, starke Brönsted-Basen sind schlechte oder gar keine
Abgangsgruppen, schwache Brönsted-Basen sind gute Abgangsgruppen. Zweitens wird eine
Abgangsgruppe umso einfacher austreten, umso kleiner die Bindungsenergie zum Kohlenstoffatom
ist.
-
Dies zeigt sich schön an der Reihe der Halogenide F, Cl, Br und I; so ist F als starke Base keine
-
Abgangsgruppe und I als schwache Base, respektive als starke Säure eine gute Abgangsgruppe; HI
ionisiert gerne in H+ und I-, d.h. das Iodid-Anion ist „recht“ stabil. Das gleiche Bild ergibt sich
9
Vollhardt & Schore (4te Ed.), Seiten 255ff; Brückner (3te. Auflage), Seiten 60ff.
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August 2007, v4, r.marti 26 / 84
wenn man die Bindungsstärke der C-X-Bindungen betrachtet; die C-F-Bindung ist mehr als doppelt
so stark wie die C-I-Bindung, d.h. Iodid geht viel leichter ab.
Das folgende Schema gibt eine Übersicht über die Qualität von verschiedenen Abgangsgruppen X in
Alkylierungsmitteln an.
Stets Abgangsgruppe
O CF3 O
R S R Tf Triflat
R-Hal und Epoxid zusätzlich mit
O O
Lewis-Säure aktivierbar
O
O R Ts Tosylat
R S
O O
O CH3 O
R S R Ms Mesylat
O O
I Br Cl
R R R
O
Epoxid
R
H
O O
R R' R R'
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Keine Abgangsgruppe
F
R
O O O
SH S S S
R R R' R R' R R'
R'' H
NH2 N N NO2
R R R' R R2 R
CN
R
Übung:
- Welche Produkte erwarten Sie für die folgenden Umsetzungen, wenn Sie ein Alkylierungsmittel mit
zwei unterschiedlichen Nucleophilen umsetzen und geben Sie eine Begründung:
MeS
Br ?
O
NaI
OTs ?
NaF
MeS
NO2 ?
O
I ?
O
- Wie kann Iodid eine gute Abgangsgruppe und gleichzeitig ein gutes Nucleophil sein?
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August 2007, v4, r.marti 28 / 84
10
2.6 Lösungsmitteleffekte bei der SN-Reaktion
Es ist wichtig, Lösungsmittel bei der Diskussion von nucleophilen Substitutionsreaktionen mit
einzubeziehen, da sie mit ihren Eigenschaften die Reaktivität stark beeinflussen können.
Will man die Lösungsmittel in verschiedene Gruppen aufteilen, so unterscheidet man zwischen
protischen/aprotischen und polaren/apolaren Lösungsmitteln. In der folgenden Tabelle sind die
gängigsten Lösungsmittel nach dieser Gliederung aufgeführt.
Apolar
Eine Zahl für die Stärke der polaren/apolaren Eigenschaft eines Lösungsmittels ist die
Dielektrizitätskonstante ε. Je grösser dieser Wert, umso polarer ist das Lösungsmittel. Ein Mass für
die Fähigkeit Wasserstoff-Brücken-Bindungen zu bilden, respektive einzugehen ist der α/β-Wert.
Eine Zusammenstellung dieser Kennzahlen für die wichtigsten Lösungsmittel findet sich im Anhang
auf Seite 71.
Werden wie der SN1-Reaktion ionische Zwischenstufen durchlaufen, werden solche durch
Solvatation stabilisiert. Somit ist die SN1-Reaktion durch polar-protische (H2O, EtOH, MeOH, AcOH)
und polar-aprotische Lösungsmittel (Aceton, Acetonitril, DMF, DMSO, DMPU) generell begünstigt.
10
Vollhardt & Schore (4te Ed.), Seiten 2261ff; Brückner (3te. Auflage), Seiten 77ff.
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August 2007, v4, r.marti 29 / 84
Je nach Substitutionstyp wird dabei die Reaktivität durch polar-protische Lösungsmittel verzögert
(SN2 durch Maskierung des Nucleophils), respektiv beschleunigt (Solvolyse, SN1 durch Stabilisierung
der Abgangsgruppe).
Kleine Anionen (zum Beispiel Fluorid) sind in einem protischen Lösungsmittel stärker solvatisiert
und somit weniger befähigt in einer nucleophilen Substitution teilzunehmen als grosse Anionen
(Iodid). Entsprechend ist nimmt die Reaktivität von Iodid zu Fluorid ab!
Man beachte, dass diese Reaktivitätsreihenfolge nun durch einen Wechsel zu einem aprotischen-
polaren Lösungsmittel wie DMF umgekehrt werden kann! In DMF spielt die Solvatation keine Rolle,
entsprechend reagieren die Halogenide gemäss ihrer Basizität, d.h. Fluorid ist reaktiver als Iodid.
SN2
Cl + H3C I H3C Cl + I
Lösungsmittel ε krel
Polar-protisch Methanol CH3OH 32.6 1
Wasser H2O 78.5 1
Formamid HCONH2 109.5 12
N-Methylformamid HCONHCH3 182.4 45
Polar-aprotisch N,N’-Dimethylformamid HCON(CH3)2 36.7 1.2 x 106
Aceton CH3COCH3 20.7 1.6 x 106
N,N’-Dimethylacetamid CH3CON(CH3)2 37.8 7.4 x 106
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Übung:
Die Umsetzung von n-Butylbromid mit Natriumazid NaN3 nach SN2 ist stark vom verwendeten
Lösungsmittel abhängig.
NaN3
Br N3
Lsm., T = 25 °C
Ist im reagierenden Molekül eine Gruppe vorhanden, die auch als Nucleophil agieren kann und
stimmt der Abstand und die Geometrie zur Abgangsgruppe so tritt dieses interne Nucleophil in
Konkurrenz zur intermolekularen Reaktion. Dieser Effekt wird Nachbargruppeneffekt genannt und
kann oft beobachtet werden.
Das interne Nucleophil verdrängt die Abgangsgruppe stereoselektiv durch einen Rückseitenangriff
unter Inversion am Kohlenstoffzentrum. Als Intermediat wird eine cyclische Zwischenstufe
erhalten, die im Allgemeinen ein positiv geladenes Zentrum enthält, d.h. eine neue Abgangsgruppe.
Das externe Nucleophil Nu’ kann nun das gespannte cyclische Intermediat intermolekular unter
Inversion öffnen und man erhält das Produkt unter vollständiger Retention am beteiligten
Kohlenstoffatom.
Nu C X
Übung:
Senfgas hydrolysiert deutlich rascher als erwartet mit Wasser als 1,5-Dichlorpentan. Erklären Sie
diesen Befund.
H 2O
Cl Cl HO OH
S S
- 2 HCl
Senf gas
O O
NaNO2, HCl
R R
OH OH
H2O
NH2 OH
Übung:
Die Aminolyse von α-Methallylchlorid mit Diethylamin nach SN2 liefert die beiden
konstitutionsisomeren Produkte 1 und 2.
Formulieren Sie einen plausiblen Mechanismus für die Bildung der beiden Produkte 1 & 2 und
geben Sie eine Begründung.
Cl HNEt2
N + N
1 2
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August 2007, v4, r.marti 32 / 84
Muss in biologsichen Systemen eine Methylgruppe über eine SN-Reaktion eingeführt werden, so
kann nicht einfach wie im Labor Methyliodid verwendet werden. Die Natur verwendet hier oftmals
das S-Adenosylmethionin als Alkylierungsreagenz.
NH2
H2N COOH
H2N COOH H N
N
H (S)
ATP
N N
S
- Pi, PPi
S O
Methionin OH OH
S-Methioninadenosyl
Der Schwefel im SAM ist positiv geladen und somit eine sehr gute Abgangsgruppe in einer
nucleophilen Substitutionsreaktion.
Als Beispiel ist hier die enzymatische Methylierung (Transmethylase) von Noradrenalin zu Adrenalin
aufgeführt.
NH2
H2N COOH
OH
H N
N
HO NH2
N N
S
HO H3C
O
Noradrenalin
OH OH
Methyltransferase
NH2
H2N COOH
OH H N
H N
HO N
CH3 N N
S
HO O
Adrenaliin
OH OH
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August 2007, v4, r.marti 33 / 84
Hydrid-Nucleophile:
+LiAlH4
Kohlenstoff-Nucleophile:
O
O
Rprim, sek X + R' Rprim, sek
R'
R
R
Enolate R = Alkyl, COOR
R' = Alkyl, OR
Stickstoff-Nucleophile:
O O
+ -
R X + KN R N R NH2
O
O
R X + NaN3 R N3 R NH2
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August 2007, v4, r.marti 34 / 84
Sauerstoff-Nucleophile:
O
O
(Epoxid)
R X R
Schwefel-Nucleophile:
HCl
R X + Na2S2O3 R S SO3 Na R SH
O O
OH
+ R SH
S Na R S
O
+ R' SO2 R S R'
Na
O
Ambidente Nucleophile
Es gibt Nuclephile, die über zwei oder mehr „nucleophile Zentren“ verfügen, solche nennt man
ambidente Nucleophile. Beispiele für ambidente Nucleophile sind die Nitrat- und Cyanid-Ionen,
welche über zwei mögliche „nucleophile Zentren“ reagieren können. Die Regioselektivität der
Alkylierung kann mit dem HSAB-Prinzip erklärt werden, wie das Beispiele in der folgenden
Abbildung zeigt.
O H N H
O
O δ
O N I Br Ag
H H
H H
O H O N H + AgBr
N O
H H
O H H
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August 2007, v4, r.marti 35 / 84
Zwischenspiel: HSAB-Konzept
Kommend aus der anorganischen Chemie/Komplexchemie entwickelte Pearson 1963 das Hard-Soft-
Acid-Base Konzept (HSAB-Konzept). Pearson beobachtet, dass sich Kationen, wenn sie mehrere
Anionen (Komplexpartner) zur Auswahl haben, gewisse bevorzugen.
Beispiel:
- - -
[Zn(OH)4]2 + S2 Æ ZnS + 4 OH
Aufgrund dieser Beobachtungen teilte Pearson die Lewis-Säuren und Lewis-Basen in harte und
weiche Teilchen ein. Gemäss Pearson’s Konzept reagieren nun Teilchen vergleichbarer „Härte“
bevorzugt miteinander, d.h. harte Nucleophile bevorzugen harte Elektrophile und umgekehrt. Das
HSAB-Konzept von Pearson erlaubt somit eine Vorhersage der „kinetischen Basizität“.
Ein weiches Teilchen weist im Allgemeinen eine hohe Polarisierung und eine geringe
Elektronegativität aus, ein hartes Teilchen hingegeben zeichnet sich durch hohe Ladungsdichte und
eine hohe Elektronegativität aus.
Obwohl aus der anorganische Chemie kommend, kann das HSAB-Konzept auch in der organischen
Chemie als eine Faustregel im Allgemeinen erfolgreich benutzt werden.
So ist das HSAB-Konzept hilfreich beim Verständnis der Problematik der Konkurrenzreaktion zwischen
Substitution und Elimination. Der sp3-hybridisierte Kohlenstoff ist ein weiches Elektrophil, das
Proton ein hartes Elektrophil, d.h. weiche Nucleophile/Anionen/Basen reagieren bevorzugt unter
Substitution, harte Nucleophile/Anionen/ Basen dagegen greifen bevorzugt das harte Proton an und
reagieren unter Elimination.
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August 2007, v4, r.marti 36 / 84
Ein weiteres Beispiel wo das HSAB-Konzept hilft, ist die Reaktivität ambidenter Nucleophile wie
Nitrit oder Cyandid. Für das Cyanidion ist das C-Ende weicher als das elektronegativere N-Ende. Bei
einer Substitution welche nach einem SN2-Mechanismus abläuft, d.h. über ein ungeladenes
Elektrophil/ sp3-hybridisierte Kohlenstoff, d.h. als ein weiches Teilchen, tritt bevorzugt Reaktion mit
dem weichem C-Ende ein, d.h. man erhält ein Nitril als Produkt. Unter SN1-Bedingungen, d.h. die
Reaktion verläuft über ein positiv geladenes Carbenium-Ion, d.h. ein eher hartes Teilchen, tritt
bevorzugt Reaktion mit dem harten N-Ende ein, d.h. man erhält ein Isonitril als Produkt. Durch
Zugabe von Silberionen wird der Carbeniumion-Charakter des Elektrophils gefördert, komplexiert
doch Silber sehr stark mit der Abgangsgruppe, z.Bsp. Brom.
Neuere Untersuchungen11 bezüglich der Cyanid-Reaktivität zeigen, dass das HSAB-Konzept nicht
überstrapaziert werden darf und wirklich als Faustregel verstanden werden soll.
N C
H H
δ
I Br Ag
H H
H H
Ein weiteres Beispiel ist die C- versus O-Alkylierung von Enolaten; das ambidente Nucleophil enthält
ein weiches C-Ende und ein hartes O-Ende. Entsprechend findet man bei der Alkylierung mit einem
weichen Elektrophil wie Methyliodid bevorzugt C-Alkylierung, respektiv mit einem harten Elektrophil
wie Trimethylsilylchlorid, R-OTs/R-OTf oder Me3O+ bevorzugt O-Alkylierung.
H3C I Cl SiMe3
H3C SiMe3
O O O O
Enolat
hart
weich
11
Tishkov & Mayr, Angew. Chem. 2005, 117, 145-148.
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August 2007, v4, r.marti 37 / 84
Übung:
Die Alkoholgruppe OH ist im Allgemeinen keine Abgangsgruppe; OH- ist viel zu basisch und zu
reaktiv! Auch reagieren Alkohole mit sehr basischen Nucleophilen in einer Säure/Base-Reaktion,
d.h. sie werden deprotoniert. Um sie in eine bessere/gute Abgangsgruppe zu machen, muss sie
„aktiviert“ werden. Üblicherweise wird dies durch eine Veresterung mit einer Carbonsäuren oder
einer anorganischen Säuren erreicht. Formal werden Ester durch die Abspaltung von Wasser
gebildet.
O O O O
OH O
R R P R S R N O
O R' O O O
OH R'
als Zwischenstufen: R O O O
O
O R S
R Cr Os
O O O Cl
OH R' O
Speziell die anorganischen Ester wie die Alkylsulfonsäureester finden eine breite Anwendung als
Abgangsgruppen in der organischen Synthese. Die Ester der Phosphorsäure werden in biologischen
Systemen zur „Aktivierung“ der Alkoholgruppe verwendet.
Andere Ester wie zum Beispiel der Chromsäureester oder der Osmiumsäureester sind reaktive
Zwischenstufen in komplexeren Reaktionsmechanismen. Die organischen Ester der Salpetersäure
finden als Sprengstoffe, zBsp. als Nitroglycerin oder Nitrocellulose Anwendung.
12
Vollhardt & Schore (4te Ed.), Seite 392ff.; Brückner (3te. Auflage), Seite 97ff.; Carey & Sundberg (2004),
Seite 869-874.
Halogenalkane
August 2007, v4, r.marti 38 / 84
Methansulfonsäure 2-(3-trifluor-
methylphenyl)ethyl Ester
Alkohole können auch durch Protonierung zu einem Oxonium-Salz R-OH2+ (unter stark sauren
Bedingungen) aktiviert werden. Je nach Reaktionsbedingungen sind „Nebenreaktionen“ der SN-
Reaktion wie Eliminationsreaktionen und/oder Umlagerungsreaktionen mehr oder weniger
ausgeprägt.
R X
+
H3O Nucleophil
R OH2+ R CN
SN
R OR'
X
PX3
R P R SR'
O X
H
R NR'2
R N3
O
SOCl2
R OH R S OH/OX
O Cl R
R'
R'
R
Base
O
R'SO2Cl O Elimination
R S
O E1/E2
R'
SN oder
R' = Me, CF3, pTol Elimination
O Umlagerung R
R'COOH R
R
O R' R' R'
Halogenalkane
August 2007, v4, r.marti 39 / 84
Übung:
a) OH
OH
OH
b)
OH OH
OH
c)
OH
OH
Für die „direkte“ Überführung von Alkoholen in die entsprechenden Halogenide gibt es eine Vielzahl
von Reagenzien:
OH X
R R
• HCl, HBr, HI
• Thionylchlorid SOCl2
• PCl3, PBr3, PCl5
• CX4 & PPh3 (Appel Reaktion)
Primäre, sekundäre und tertiäre Alkohole reagieren einfach in einer SN1-Reaktion mit den
Halogenwasserstoffsäuren zu den entsprechenden Halogeniden. Nachteil dieser Vorschrift ist der
Verlust der Stereochemie und Nebenreaktionen des Carbenium-Ion-Zwischenproduktes (Eliminerung,
Umlagerung). Milder und selektiver sind die Reaktionen mit Thionylchlorid oder den
Phosphorhalogeniden.
HCl:
H
R OH
PX3:
X2P X
R OH
Halogenalkane
August 2007, v4, r.marti 40 / 84
Behandelt man enantiomerenreine Äpfelsäure mit wässriger HCl so erhält man das entsprechende
Chlorid als Racemat. Hingegen wird die Äpfelsäure mit PCl5 umgesetzt, so isoliert man nur ein
Enantiomer. Erklären Sie den Befund.
COOH
PCl5 H Cl
H H
COOH
Die Appel-Reaktion13, d.h. die Umwandlung von Alkoholen mit CCl4 oder CBr4 und Triphenylphosphin
ist eine sehr milde Variante zur Halogenierung und verläuft, da SN2, stereoselektiv unter Inversion
am beteiligten Kohlenstoffzentrum.
HO R
P Cl CCl3
Cl
Ph3P O R Cl R + Ph3P=O
13
Appel, Angew. Chem. 1975, 87, 863-874.
Halogenalkane
August 2007, v4, r.marti 41 / 84
Die Mitsunobu Reaktion erlaubt ein Alkohol mit Triphenylphosphin und Azodicarbonsäure-
diethylester mit einem Nucleophil unter Inversion zu substituieren. Formulieren Sie einen
Mechanismus.
O Ph3 P O O
EtOOC-N=N-COOEt K2 CO 3 /MeOH R
R R
O O O
PhCOOH
OH O O OH
Ph
Nucleophile Substitutionsreaktionen können reversibel sein, das zeigt sich schön an den
Halogeniden Cl, Br und I, die sowohl Nucleophil als auch gute Abgangsgruppen sein können. Für
diese Fälle muss die Gleichgewichtslage experimentell bestimmt werden, da Bindungsstärken alleine
nicht zur Berechnung des thermodynamische Gleichgewichtslage ausreichen – Solvatationsenergien
müssen auch berücksichtig werden.
Das zeigt sich am Beispiel der Reaktion von 1-Chlorbutan mit Lithiumiodid respektive Natriumiodid
in Aceton als Lösungsmittel. Entspricht die Reaktion mit dem Lithiumsalz recht gut den relativen
Bindungsstärken in Edukt und Produkt (ΔHDis(C-I) = 222 kJ/mol, ΔHDis(C-Cl) = 335 kJ/mol) so wird
das Gleichgewicht im Fall der Natriumsalze durch die schlechte Löslichkeit von NaCl in Aceton
vollständig auf die Seite des 4-Iodbutans verschoben.
+ LiI I + LiCl
Cl
Aceton
Cl + NaI I + NaCl
Aceton
unlöslich in Aceton
Durch diesen Trick hat die Halogenaustauschreaktion, auch Finkelstein-Reaktion genannt, eine
präperative Bedeutung in der Synthese von Iodiden und Fluoriden. Fluoride werden durch Umsetzung
von Chloriden oder Bromiden mit AgF oder KF gewonnen, wobei hier die Tatsache ausgenutzt wird,
dass Fluor eine sehr schlechte Abgangsgruppe ist.
Halogenalkane
August 2007, v4, r.marti 42 / 84
Tosylate und Mesylate können analog in die entsprechenden Chloride, Bromide oder Iodide über-
führt werden.
R'SO2Cl
OH O R' + NaX X
R R S R
NEt3 Aceton
O O
2.12 Etherspaltung14
Etherspaltungen können formal auch als Substitutionsreaktion betrachtet werden; RO- selbst ist
keine Abgangsgruppe, aber durch Protonierung der Komplexierung mit eine Lewis-Säure wird die
Qualität als Abgangsgruppe erhöht (siehe Analogie zu Alkoholgruppe):
Als Folge des freien Elektronenpaares am Ether-Sauerstoff bilden Ether sowohl mit Brönstedt- als
auch Lewis-Säuren sogenannte Oxoniumsalze:
Auf Grund dieser Eigenschaften von Oxoniumsalzen können Ether durch Einwirkung starker
Mineralsäuren (z. B. H2SO4, HI, HBr) aber auch Lewis-Säuren (z. B. BF3) gespalten werden. Der
Reaktionsmechanismus hängt dabei stark von der Struktur der Kohlenwasserstoff-Reste des Ethers
ab.
14
Brückner (1998), Seiten 138-142; Carey (2004), Seiten 888-891.
Halogenalkane
August 2007, v4, r.marti 43 / 84
Beispiel: n-Butyl-ethyl-ether 1 resp. tert. Butyl-ethyl-ether 2 werden nach Zeisel mit HBr conc wie
folgt aufgespalten:
Reaktionsmechanismus:
Interpretation:
Beim n-Butyl-ethyl-ether 1 braucht es, da die Spaltung über primäre instabile Carbenium-Ionen
verlaufen würde, drastische Reaktionsbedingungen (90-100 °C). So werden die instabilen prim.
Halogenalkane
August 2007, v4, r.marti 44 / 84
Carbenium-Ionen gar nicht erst gebildet, sondern die Spaltung ergibt direkt den primären Alkohol
sowie das primäres Halogenalkan. Unter den gewählten Bedingungen wird der gebildete primäre
Alkohol direkt weiter zum Bromid umgesetzt.
Beim tert. Butyl-ethyl-ether 2 wird als Zwischenprodukt das stabile tertiäre Carbenium-Ion gebildet,
deswegen auch die milderen Reaktionsbedingungen (RT). Man isoliert das tert.-Halogenalkan und
den primären Alkohol.
Übung:
O BBr 3 OH
CH 3
Oxirane zeigen als Folge des gespannten Dreier-Ringes im Vergleich zu den normalen Ethern eine
um vieles stärkere Reaktivität. Diese äussert sich vorab durch nucleophile Additions-Reaktionen
unter Ringöffnung.
OH
O
Nu
Nu
Man unterscheidet zwischen der säure- und der basenkatalysierten Ringöffnung. Bei der
basenkatalysierten Reaktion greift das Nucleophil im Allgemeinen am sterisch weniger
gehinderten Epoxidkohlenstoff an.
Bei der säurekatalysierten Reaktion wird zuerst in einem vorgelagertem Gleichgewicht der
Epoxidsauerstoff protoniert. Dadurch wird die C-O-Bindung geschwächt und der Bindungsbruch
durch das angreifende Nucleophil erleichtert. Man erhält eine Onium-Ion Zwischenstufe, die sich je
nach Substitutentenmuster im Extremfall zu einem „offenen“ Carbenium-Ion öffnet. Die Verzerrung
eines cyclischen Onium-Ions erfolgt in „Gegenrichtung“ zum stabileren Carbenium-Ions, d.h. im
Sinne der Markovnikov-Regel. Können sich unterschiedliche Carbenium-Ionen ausbilden, so entsteht
bevorzugt das stabilste Carbenium-Ion, d.h. das höher substituierte oder mesomeriestabilisierte
Carbenium-Ion. Man erhält somit das so genannte Markovnikov-Produkt (Hammond-Postulat).
15
Vollhardt & Schore (3te Ed.), Seiten 358-363.
Halogenalkane
August 2007, v4, r.marti 45 / 84
Angriff von Nu von der sterisch weniger Bildung des stabilsten Carbenium-
gehinderten Seite. Iones.
- -
Bsp: R-O , NH3, H (LiAlH4) Bsp: H+/ROH, H-X, LiAlH4 & AlCl3
Halogenalkane
August 2007, v4, r.marti 46 / 84
HCl / MeOH
a) O
Me
Me H
H NaOMe / MeOH
HCl / MeOH
O
b)
NaOMe / MeOH
c) O PhNH2
O HCl, MeOH
d)
Was für Produkte erwarten Sie bei der Umsetzung von 1-Methyl-oxa-cyclohexan mit den folgenden
Reagenzien?
H 2SO4 (Kat)
OH O
Ein Problem der säurekatalysierten Dehydratisierung ist, dass sich diese Synthesemethode im
Allgemeinen nur für symmetrische und flüchtige Ether eignet. Als Nebenreaktion beobachtet man oft
die Eliminationsreaktion zum entsprechenden Alken. Mit sek. und tert. Alkoholen verläuft die
Reaktion über das entsprechende Carbenium-Ion.
Übung:
Ethyl-tert.butylether lässt sich nach dieser Methode bequem herstellen. Geben Sie dazu durch einen
korrekten Reaktionsmechanismus eine Begründung.
?
O
16
Vollhardt & Schore (3te Ed.), Seiten 354-357.
Halogenalkane
August 2007, v4, r.marti 48 / 84
b) Williamson-Ethersynthese17
Allgemeine Formulierung:
SN2
R O + R' X R O R'
- MX
M
Die Reaktion eines Alkoxides mit einem Halogenalkanes zum entsprechenden Ether ist unter dem
Namen Williamson-Ethersynthese bekannt. Sie funktioniert sehr gut mit prim. Halogenalkanen oder
Sulfonsäureestern (R-OSO2R’) und verläuft stereoselektiv nach einem SN2-Mechanismus. Da Alkoxide
auch starke Basen sind kann z.Teil als Nebenreaktion E2-Elimination beobachtet werden.
Die Williamson Ethersynthese eignet sich auch sehr gut zur Herstellung von cyclischen Ethern, dabei
beobachtet man unterschiedliche relative Reaktionsgeschwindigkeiten für die verschiedenen
Ringgrössen. Es zeigt sich, dass 3-Ringe und 5-Ringe am schnellsten gebildet werden, vor den 6-
Ringen, 4-Ringen und den grösseren Ringen. Grund für diesen Effekt ist die Ringspannung und die
Reaktionsentropie. Die Bildung des 3-Ringes ist durch die Reaktionsentropie stark begünstigt, da
-
Nucleophil (RO ) und Abgangsgruppe (R-X) sehr nahe zueinander stehen. Dieser Effekt überwiegt die
starke Ringspannung. Beim Übergang zu den 4-, 5- und 6-Ringen nimmt nun die Ringspannung ab,
aber die Reaktion ist nicht mehr durch einen grossen Entropiebeitrag begünstigt. Bei den grösseren
Ringen nimmt dieser Effekt noch zu, wobei noch ungünstige transannulare und gauche
Wechselwirkungen auftreten.
OH
O
OH O
Benzylpropargylether: NaH (1.114 g, 46.4 mmol, 1.1 eq.) wird in 40 ml THF suspendiert und auf 0
°C abgekühlt. Vorsichtig werden 2.46 ml (42.3 mmol, 1.0 eq.) Propargylalkohol unter H2-Entwicklung
zugegeben. Man rührt 15 min. nach und gibt dann 5.2 ml (43.7 mmol, 1.05 eq.) Benzylbromid zu.
Die Reaktionsmischung wird auf RT aufgewärmt und für 24h gerührt. Zur Aufarbeitung wird mit
gesättigter NH4Cl-Lösung gequencht und mit Ether extrahiert. Nach Trocknen über MgSO4 wird das
Lösungsmittel am Rotationsverdampfer bei vermindertem Druck abdestilliert. Der Rückstand wird
durch Kugelrohrdestillation gereinigt (100 °C, 15 mbar). Ausbeute: 6.1 g (98%) farbloses Öl.
17
Vollhardt & Schore (3te Ed.), Seiten 351-354; Carey (2004), Seiten 881-882.
Halogenalkane
August 2007, v4, r.marti 49 / 84
Übung:
Auf welche Weise würden Sie nach Williamson Ethyl-tert.-butylether bzw. Anisol herstellen?
?
O
? O
CH 3
Bestimmen Sie für die folgenden Reaktionen die Produkte, resp. Edukte.
OH
Br
+
HO
1 eq. TsCl
Pyridin
HO
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August 2007, v4, r.marti 50 / 84
OH
Base
O
Cl
2
1
OH
Base
langsame Reaktion
Produktegemisch
Cl
3
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August 2007, v4, r.marti 51 / 84
3. Eliminationsreaktionen zu Alkenen18
H
Nu Nu/Base X Nu/Base R
R2
R R2 R R2
R1
R1 R1
Wie bei der Substitutionsreaktion unterscheidet man zwischen einem unimolekularen und einem
bimolekularen Mechanismus (E1 und E2). Der E1-Mechanismus geht analog zum SN1-Mechanismus
über ein Carbenium-Ion als Zwischenstufe, der E2-Mechanismus analog zum SN2-Mechanismus als
konzertierte Reaktion.
X X H
anti-Elimination sy n-Elimination
Die gebildeten Alkene können trans- oder cis-Konfiguration einnehmen, wobei die trans-Olefine
stabiler sind als die cis-Olefine. Eine nachträgliche Isomerisierung ist im Allgemeinen nicht möglich,
da die Rotationsbarriere für eine cis/trans-Isomerisierung sehr hoch ist (ca. 270 kJ/mol). Gemäss
18
Vollhardt & Schore (3te Ed.), Seite 259-268; Brückner (1996), Seiten 117-152; Sykes (9th Ed.), Seiten 287-
315.
Halogenalkane
August 2007, v4, r.marti 52 / 84
E Eakt(cis)
Eakt(trans)
cis
trans
RK
Bei der Selektivität unterscheiden sich primäre, sekundäre und tertiäre Halogenalkane deutlich.
Während bei primären Halogenalkanen nur ein Isomeres mit einer endständigen Doppelbindung
entstehen kann, sind es bei sekundären bis zu zwei und bei tertiären bis zu drei konstitutions-
isomeren Olefinen. Bildet sich das Olefin mit der höher alkylierten Doppelbindung, so spricht man
vom Saytzew-Produkt, bildet sich das niedriger alkylierte Doppelbindungssystem so spricht man vom
Hofmann-Produkt. Im Allgemeinen sind die höher alkylierten Saytzew-Produkte stabiler als die
Hofmann-Produkte.
X
H - H-X R
Primär: H
R H R1
R1 β-Elimination
X
H - H-X
Sekundär: H H
bis zu 2 konstitutionsisomere Doppelbindungen
R
R1 R R β-Elimination
Tertiär: R R
X
H - H-X
H
H bis zu 3 konstitutionsisomere Doppelbindungen
R
β-Elimination
R1 R R
Halogenalkane
August 2007, v4, r.marti 53 / 84
Bei der unimolekularen Elimination E1 von Halogenkohlenwasserstoffen ist die Dissoziation zu einer
Carbenium-Ion-Zwischenstufe gleich wie bei der SN1-Reaktion als geschwindigkeitsbestimmender
Schritt vorgelagert. Diese Zwischenstufe kann dann unter Abgabe eines Protons in α-Stellung zum
positiv geladenen Kohlenstoffatomes zum Alken abreagieren.
Durch die Hyperkonjugation ist diese σ(C-H)-Bindung geschwächt und eine Base (oder ein Lösungs-
mittel-Molekül) kann das Proton unter Ausbildung des Alkenes abstrahieren. Da jedes
Wasserstoffatom in der direkten Nachbarschaft abstrahiert werden kann (auch in Rest R und R1), gibt
es häufig Produktmischungen.
In Konkurrenz zur SN-Reaktion ist die E1-Elimination bevorzugt, wenn ein schlechtes Nucleophil
vorhanden ist und/oder wenn die Reaktionstemperatur hoch ist. Bezüglich Regioselektivität werden
im Allgemeinen die Saytzew-Produkte bevorzugt gebildet, der geschwindigkeitsbestimmende Schritt
bleibt die Bildung des Carbenium-Ion.
H
X
R R2
R1
R X
RK
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August 2007, v4, r.marti 54 / 84
Bei der bimolekularen Elimination E2 reagiert das Nucleophil als Base und bildet unter Elimination
von HX das Alken. Man beobachtet in diesem Fall eine Konkurrenz zwischen nucleophilen
Substitution nach SN und Elimination E2. Die Elimination verläuft über einen konzertierten Angriff
der Base auf das Proton anti zur Austrittsgruppe X, Umhybridisierung von sp3 zu sp2 und Ausbildung
der Doppelbindung durch die beiden 2p-Orbitale und Lösen der C-X-Bindung.
H
R1
R R2
Nu + R X
RK
Die Qualität der Abgangsgruppe hat einen deutlichen Einfluss auf die Reaktionsgeschwindigkeit der
E2-Eliminerung, je besser die Abgangsgruppe um so rascher die Eliminierungsreaktion:
In Konkurrenz zur SN-Reaktion ist die Elimination bevorzugt, wenn das Nucleophil als starke Base
agiert und die sterische Hinderung – auf Seite des Substrats wie auf Seite des Reagenz - bedeutend
ist. So werde stark sterisch gehinderte Basen wie DBU, LDA, Phosphazenbasen oder KOt-Bu
eingesetzt – nicht-nucleophile Basen - um chemoselektiv Eliminierungen nach einem E2-
Mechanismus durchzuführen.
OK NMe2 N
N Me2N P N P NMe2
N N
Kalium-t-butoxid Li NMe2 NMe2
Vergleicht man prim.-, sek.- und tert.-Halogenalkane gegenüber der Reaktion mit Natrium-Ethanolat
so beobachtet man für die höher substituierten Verbindungen einen höheren Anteil an Olefin im
Produkt. Neben dem statistischen Faktor (t-Butylbromid hat 9 Wasserstoffatome zur Elimination
gegenüber 3 in Ethylbromid), kommt auch der Effekt zu tragen, dass sich höher substituierte und
somit auch stabilere Olefine bilden.
S N2 E2
> 1M NaOEt
Br OEt +
1%
> 1M NaOEt
Br OEt +
79%
> 1M NaOEt
+
Br OEt
100%
Übung:
Erklären Sie die stereoselektive Bildung des cis-Olefins aus dem (R,R)-Diastereoisomer und die
Bildung des trans-Olefins aus dem (R,S)-Diastereoisomer.
Ph
Me Ph
Me H
Br H
Ph
Ph
(R,R)-1 cis-2
Ph
Me H Me Ph
H Br
Ph Ph
(S,R)-1 trans-2
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August 2007, v4, r.marti 56 / 84
Erklären Sie die Tatsache, dass bei der Elimination von HCl aus sec-Butylchlorid das trans- gegenüber
dem cis-Isomer von 2-Buten im Verhältnis 6 : 1 überwiegt.
Wann verläuft nun eine Reaktion eines Halogenalkanes mit einem Nucleophil/Base unter
Substitution oder unter Elimination? Folgende Faustregeln helfen bei der Unterscheidung:
R-X Nucleophil
- - -
Bsp. H2O, ROH I MeO tBuO
Me-X
Rprim-X
ungehindert
gehindert
Rsec-X
Rtert-X
Br
Br vs.
Br
Br
vs.
vs. Br
Br
Br vs.
Br
NaOEt
od.
EtOH
OTs OTs
1 2
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August 2007, v4, r.marti 58 / 84
Die Dehydratisierung von Alkoholen ist eine wichtige Methode zur Herstellung von Alkenen. Ihre
Rückreaktion ist die säurekatalysierte Addition von Wasser an Doppelbindungen. Die Reaktion wird
sowohl durch Brönsted-Säuren (H2SO4, KHSO4, H3PO4) als auch durch Lewis-Säuren [Al2O3, BF3 u.a.]
katalysiert. Der Mechanismus ist der einer E1-Reaktion, d.h. in einem ersten langsamen Schritt wird
ein Carbenium-Ion gebildet, welches dann im Folgeschritt zum Alken eliminiert.
H
H
C C
HO
Aus experimentellen Resultaten lassen sich folgende Regeln bezüglich Reaktivität, Regio- und
Stereoselektivität formulieren:
• Tertiäre Alkohole reagieren unter gleichen Bedingungen besser als sekundäre, und diese besser
als primäre:
Relative RG: Tertiär > Sekundär > Primär
• Bei tertiären und sekundären Alkoholen ist die Reaktionsgeschwindigkeit (RG) erster Ordnung
bezüglich der korrespondierenden Säure des Alkohols, was den unimolekularen E1-Mechanismus
bestätigt.
RG = k1 [R-OH2+]
Bei primären Alkoholen ist die RG zweiter Ordnung bezüglich der korrespondierenden Säure des
Alkohols und des Alkohols, was auf einen E2-Mechanismus hindeutet.
RG = k2 [R-OH2+] * [R-OH]
• Vorab bei primären Alkoholen beobachtet man als Konkurrenzreaktion die Bildung von Ethern
durch Substitution:
Elimination
+ H2O
OH
Substitution
+ H2O
O
• Hohe Temperatur begünstigt im Allgemeinen die Elimination gegenüber der Substitution: die
Elimination ist gegenüber der Substitution entropisch begünstigt.
19
Vollhardt & Schore (3th Ed.), Seiten 479-483.
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August 2007, v4, r.marti 59 / 84
H-X
OH X + H2O
Substitution
• Gibt es mehrere Möglichkeiten zur Elimination wird bevorzugt die höher substitutierte trans-
konfigurierte Doppelbindung gebildet (Saytzeff-Produkt):
74%
OH 60% H2SO4
29%
25 °C
- H2O
3%
Nebenprod.
86% H3PO4
64%
ΔT
OH - H2O
Nebenprod.
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August 2007, v4, r.marti 60 / 84
„Dehydratisierungen“ aus Alkoholen sind auch möglich, indem man den Alkohol in einen Ester oder
ein Xanthogenate überführt und diese dann pyrolysiert. Die Esterpyrolyse benötigt relativ
drastische Bedingungen (ca. 500 °C), die Tschugaeff-Reaktion kann bei milderen Temperaturen
(ca. 200 °C) durchgeführt werden. Die Pyrolyse erfolgt als konzertierte Reaktion über einen sechs-
gliedrigen Übergangszustand unter Elimination eines β-Wasserstoffatomes.
Die Esterpyrolyse wie die Tschugaeff-Reaktion verlaufen im Allgemeinen über eine syn-Eliminierung,
wobei aber auch Beispiel für anti-Elimination bekannt sind, da der Sechsring konformativ gewisse
Freiheiten hat.
OH
Ac 2O O O > 500 °C O O
H R
R H H - AcOH
R R R1
R1
R1 R1
syn-Eliminierung
SMe SMe
OH
NaH, CS2 , Me I O S > 200 °C O S
H R
R H H - O=C=S
R R - MeSH R1
R1
R1 R1
syn-Eliminierung
Xanthogenat
Übung: Dehydratisierung
OH
a)
OH
OH OH
b)
OH
c) OH
20
Vollhardt & Schore (3th Ed.), Seiten 971.
21
Sykes (9te Ed.), Seiten 313-315; Brückner (1998), Seiten 125-126.
Halogenalkane
August 2007, v4, r.marti 61 / 84
450 °C
CH3 CH3
OAc
650 °C
CH3
CH3
OAc
Tschugaeff-Reaktion
OH
Erklären Sie folgende Beobachtung für die Tschugaeff-Reaktion von Cyclohexanderivaten (Hinweis,
zeichnen Sie die Verbindungen in der Sesselkonformationen).
R R R
R=H 50 50
R = iPr 100 0
Halogenalkane
August 2007, v4, r.marti 62 / 84
Wird eine Aminverbindung mit Überschuss Methyliodid umgesetzt, bildet sich das entsprechende
quarternäre Ammoniumsalz. Behandelt man das Ammoniumsalz mit feuchtem Silberoxid als Quelle
-
von OH erhält man ein Ammoniumhydroxyd, welches durch Erhitzen zum Alken zerfällt. Die
Reaktion ist als Hofmann-Elimination bekannt.
OH
Überschuss MeJ ΔT
+
N N N
H dann Ag2O
Die Reaktion verläuft via einen bimolekularen E2-Mechanismus. Ergeben sich bei der Hofmann-
Eliminierung verschiedene Möglichkeiten der Eliminierung, so wird bevorzugt das Alken mit dem
niedrigsten Alkylierungsgrad gebildet.
Ethen-Bildung Propen-Bildung
Edukt
OH
Anti-ÜZ
Produkte
22
Vollhardt & Schore (3th Ed.), Seiten 1042-1043.
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August 2007, v4, r.marti 63 / 84
Übung: Hoffman-Eliminierung
Doppelte Hoffman-
Eliminierung
N
NMe2
1) MeI, Toluol
2) Ag2O, H2O
3) HOCH2CH2OH, KOH, ΔT
AcO
a) Reduktive 1,2-Debromierungen lassen sich mit Iodiden durchführen. Formulieren Sie eine
Mechanismus für die Reaktion von erythro-2,3-Dibrombutan.
b) Bei Grignard-Reaktionen wird oft 1,2-Dibromethan zur Aktivierung des Magnesium verwendet.
Erklären Sie diesen Trick.
Halogenalkane
August 2007, v4, r.marti 64 / 84
Erythro-Stereoisomer1) Threo-Stereoisomer
Fischer-
Projektion R R
Br H H Br
Br H Br H
R R
Keilstrich
H
R Br
H
R Br
Sägebock
R
H Br
R
H Br
Anti-ÜZ
Zn
Br
R H
H R
Br
Produkt
R H
H R
trans-Alken
1) zur Fischer Projektion, siehe Anhang Seite 69
3.8 E1cb-Mechanismus23
Neben dem E1 und E2-Mechanismus gibt es noch einen weitern Mechanismus, den E1cb. Hier wird
zuerst mit einer externen starken Base in einem vorgelagerten Gleichgewicht ein Proton entfernt (cb
-
= conjugate base) und das gebildete Anion eliminiert dann zum Alken durch Abspaltung von X .
Voraussetzung dafür ist ein relativ acides Proton und die Möglichkeit die negative Ladung zu
23
Sykes (9te Ed.), Seiten 219-293; Brückner (1998), Seiten 143-146.
Halogenalkane
August 2007, v4, r.marti 65 / 84
Stabilisieren. Die Qualität der Abgangsgruppe sollte möglichst schlecht sein, um Nebenreaktionen
durch eine E1/E2-Reaktion zu unterdrücken.
Z Z
Z Base
R R
R H R1
R1
R1 - X
X X
O O O
Z= C N NO2
R OR NR2
Eakt
Zwischenstufe
RK
Als Beispiel sei die Elimination von 1,2-Nitroaloholen24 zu Nitroolefinen aufgeführt. Das Proton α
zur Nitrogruppe ist relativ sauer (pKa ca. 10) und die negative Ladung lässt sich durch Mesomerie
mit der Nitrogruppe stabilisieren. Die Alkoholgruppe ist eine schlechte Abgangsgruppe, was den
E1/E2-Mechanismus unterdrückt.
O O
NO2 NO2 N
NaOMe
R R R R
NO2
- OH
OH OH OH
24
1,2-Nitroalkohole sind einfach aus einem Aldehyd und Nitroalkan zugänglich (Henry-Reaktion).
Halogenalkane
August 2007, v4, r.marti 66 / 84
Der Abbau von Carbonsäuren zu Halogenalkanen ist unter der Hundsdiecker-Reaktion bekannt.
Üblicherweise wird das Silbersalz der Carbonsäure mit Brom unter thermischen oder
photochemischen Bedingungen umgesetzt, dabei bildet sich das entsprechende Kettenverkürzte
Bromalkan, CO2 und Silberbromid. Die Reaktion verläuft über radikalische Zwischenstufen und kann
als Kettenreaktion formuliert werden.
O
X2, hν oder Thermisch
X
R OAg R
- AgX
- CO2
25
Vollhardt & Schore (3te Ed.): Seite 927-928.
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August 2007, v4, r.marti 67 / 84
5. Anhang
Versuch SN2-Reaktion
Lösungen eines primären, sekundären und tertiären Bromides in Aceton (10%-ig) werden mit
gesättigter Natriumiodid-Lösung in Aceton versetzt:
Br
Br Br
Versuch SN1-Reaktion
Lösungen eines primären, sekundären und tertiären Bromides in Ethanol (10%-ig) werden mit
Silbernitrat-Lösung (10% in EtOH/H2O 1:1) versetzt:
Br
Br Br
Von Emil Fischer (1891) ursprünglich für Kohlenhydrate entwickeltes Projektionssystem. Die
Hauptkette wird senkrecht gezeichnet, mit dem Ende oben, das gemäss IUPAC die kleinste Ziffer hat.
Die an einem tetraedrischen Kohlenstoffatom oben und unten angeordneten Substituenten sind
hinter der Projektionsebene (Papierebene), die links und rechts angeordneten Substituenten vor der
Projektionsebene (Papierebene).
COOH COOH
HO H HO H
H H
=
H H
COOH COOH
Das Enantiomer, das bei der Fischer-Projektion die Hydroxylgruppe am weitesten von
Kohlenstoffatom 1 entfernt auf der rechten Seite der Hauptkette liegt wird mit dem Deskriptor D
bezeichnet (von lat. dexter, rechts), das andere Enantiomer als L (von lat. laevus, links).
COOH
HO H CHO
H H H OH
COOH CH2OH
L-Äpfelsäure D-Glycerinaldehyd
Halogenalkane
August 2007, v4, r.marti 70 / 84
5.3 Lösungsmittel
6. Selbststudium
Lösung:
Br Cl
F3 C (S)
Br
OMe
N3
CHO Ethylenchlorid: ClCH2 CH2 Cl
F Bromoform: CHBr 3
Cl F
3-Chloranisol (1R,4S)-4-Azido-3,3-difluorcyclopentancarbaldehyd
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August 2007, v4, r.marti 72 / 84
Cl
Cl Cl Br Br
Cl Cl Br
Cl Cl Cl Cl
Cl
Cl Cl Cl
NC Cl
Cl
Cl
Cl
Lösung:
6.3 Selbststudium: Umsetzung von optisch aktiven 2-Iodoctan mit Na131I (Seite 13)
Optisch aktives 2-Iodoctan, das in einer Acetonlösung von radioaktivem Na131I stehen gelassen
wurde, verlor seine optische Aktivität und tauschte sein gewöhnliches Iod gegen radioaktives Iod
aus. Die Geschwindigkeit beider Prozesse hingen von der Konzentration [R-I] und [I-] ab, jedoch
verlief die Racemisierung genau doppelt so schnell wie der Isotopenaustausch. Erklären Sie den
Befund.
Lösung:
Wenn ein Halogenidmolekül unter Inversion austauscht, entsteht ein Molekül mit anderem
Drehsinn. Dadurch geht durch eine Inversion die optische Aktivität zweier Moleküle verloren, da die
optische Drehung des invertierten Moleküls die optische Drehung eines noch nicht reagierten
Moleküls aufhebt. Entsprechend verläuft die Abnahme der optischen Drehung der Probe doppelt so
schnell.
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August 2007, v4, r.marti 74 / 84
Die Tritylgruppe ist eine wichtige Schutzgruppe für Alkohole. Je nach Substituenten an den
Phenylringen ist die Entschützung sehr langsam oder sehr schnell. Erklären Sie den Befund.
R1 R1
wässrige AcOH
R2 O R2 OH + R-OH
R
R1 R2 R3 Zeit
R3 H H H 48 h R3
MeO H H 8h
MeO MeO H 15 min
MeO MeO MeO 1 min
H H2O
R1 R1
H
R2 O R2
R - R-OH
R3 R3
Die Reaktion verläuft über einen SN1-Mechanismus und der geschwindigkeitsbestimmende Schritt ist
die Bildung des Trityl-Kations. Jede para-ständige Methoxygruppe stabilisiert durch einen Donor-
Effekt das Carbenium-Ion, d.h. je mehr dieser Gruppen umso rascher bildet sich das entsprechend
stabilere Trityl-Kation.
O O
O O weitere mesomere
Grenzstrukturen
O O
Halogenalkane
August 2007, v4, r.marti 75 / 84
O O
NaNO2, HCl
R R
OH OH
H2O
NH2 OH
Lösung:
Dies ist ein Beispiel von Nachbargruppenbeteiligung, die Carbonsäure kann zu einem 3-Ringlacton
cyclisieren, welches dann mit dem Nucleophil zum Produkt öffnet. In der Gesamtreaktion beobachtet
man Retention am Kohlenstoffzentrum.
O H
O O O
NaNO2 H O OH
R R
OH OH H H
HX - N2
NH2 N
R R
N
X
Nu
O O
R R
OH OH
Br OH
Behandelt man enantiomerenreine Äpfelsäure mit wässriger HCl so erhält man das entsprechende
Chlorid als Racemat. Hingegen wird die Äpfelsäure mit PCl5 umgesetzt, so isoliert man nur ein
Enantiomer. Erklären Sie den Befund.
COOH
PCl5 H Cl
H H
COOH
Lösung:
Im Falle der Umsetzung mit wässriger HCl verläuft die Reaktion via SN1-Mechanismus über ein
-
planares Carbenium-Ion, d.h. die Abfangreaktion mit dem Nucleophil Cl kann von beiden Seiten
stattfinden und man findet Racemisierung.
Im Fall der Reaktion mit PCl5 wird die Alkoholgruppe via einen „Phosphatester“ aktiviert und unter
-
Inversion mit Cl stereoselektiv zum enantiomerenreinen Produkt umgesetzt.
Halogenalkane
August 2007, v4, r.marti 77 / 84
Mitsunobu Inversion
O Ph3P O O
EtOOC-N=N-COOEt K2CO3 /MeOH R
R R
O O O
PhCOOH
OH O O OH
Ph
Lösung:
O
R
O
O
H
O
O Ph
R COOMe
O R COOMe O
R H PPh3
O O COOEt
O O PPh3 N N
EtOOC H
Ph H
Ph3P=O COOEt
H COOEt
N N
N N
EtOOC H
EtOOC H
26
Mitsunobu, Synthesis 1981, 1.
Halogenalkane
August 2007, v4, r.marti 78 / 84
Was für Produkte erwarten Sie bei der Umsetzung von 1-Methyl-oxa-cyclohexan mit den folgenden
Reagenzien?
NaN3 OH
O
Aceton
N3
N3
Der Anfriff des Azid-Anions (des Nucleophils) erfolgt von der sterisch wenigsten
gehinderten Seite. Es erfolgt eine Inversion an diesem Stereozentrum.
O Al wässrige OH
LiAlD4
O
Et2O Aufarbeitung
D D
4
Der Anfriff des Deuterids erfolgt von der sterisch wenigsten gehinderten Seite. Man
vergleiche aber, durch Zugabe von AlCl3,einer starken Lewis-Säure verläuft der
Mechanismus über das stabilste Carbenium-Ion, d.h. das andere Regioisomer entsteht.
LiAlD4, AlCl3
O O AlCl3
Et2O
O AlCl3
LiAlD4
OH
Halogenalkane
August 2007, v4, r.marti 79 / 84
Bestimmen Sie für die folgenden Reaktionen die Produkte, resp. Edukte.
OH O Na O
NaH CH3-I
besser als: Br : als Nebenreaktion ist hier Elimination des sek. Halogenides zu
+ H3C ONa
Cyclohexen denkbar. Für die Reaktion des Alkoholates von
Cyclohexanol mit dem prim. Halogenides (Methyliod) ist dies nicht
möglich.
O
K2CO3
OH
Br
+
OH H2SO4 O
ΔT
HO TsO
1 eq. TsCl
O
Pyridin
HO HO
Halogenalkane
August 2007, v4, r.marti 80 / 84
OH Base
O
Cl
2
1
H OH Base O
OH H H
Cl H H
H Cl Cl
OH
Base
langsame Reaktion
Produktegemisch
Cl
Cl
OH
OH
A-Value für: Cl 2.0 kJ/mol
H
Cl OH 2.9 kJ/mol
H H H
H
Eine axiale trans-Anordnung von Cl/OH ist durch die cis-Konfiguration nicht
Base möglich, d.h. unter basischen Bedingungen hauptsächlich Eliminationsreaktion
von H/Cl.
+
OH OH O
Halogenalkane
August 2007, v4, r.marti 81 / 84
Erklären Sie die Tatsache, dass bei der Elimination von HCl aus sec-Butylchlorid das trans-
gegenüber dem cis-Isomer von 2-Buten im Verhältnis 6 : 1 überwiegt.
Cl
+
6 : 1
Lösung:
Betrachtet man die Übergangszustände (anti-Anordnung, Newman-Projektion), die zum trans- und
zum cis-Isomer führen, so kann im im „cis“-Übergangszustand eine störende gauche-
Wechselwirkung beobachtet werden, die diesen destabilisiert, somit wird bevorzugt das trans-
Isomer gebildet.
Cl
Me H
gauche-WeWi cis-Isomer
Me H
H
Base
Cl
H Me
transhh-Isomer
Me H
H
Base
Halogenalkane
August 2007, v4, r.marti 82 / 84
Erklären Sie folgende Beobachtung für die Tschugaeff-Reaktion von Cyclohexanderivaten (Hinweis,
zeichnen Sie die Verbindungen in der Sesselkonformationen).
Für R = Isopropyl ist die Sesselkonformation A viel stabiler als das andere Konformer B. Dadurch
beobachtet man ausschliesslich cis-Eliminierung.
CH3 H SMe
H O
H S
O
CH3
S SMe
A B
Cis-Elimination
CH3
H S
H H SMe H
O O SMe
CH3
H H S H
H CH3 CH3
O
S SMe B
A
Cis-Elimination Anti-Elimination
CH3 CH3
R R
Halogenalkane
August 2007, v4, r.marti 83 / 84
a) Reduktive 1,2-Debromierungen lassen sich mit Iodiden durchführen. Formulieren Sie einen
Mechanismus für die Reaktion von Erythro-2,3-Dibrombutan.
CH3 Br
I
Br H H3C H
H3C H
Br H
H CH3 - Br2I H CH3
CH3
Br
b) Bei Grignard-Reaktionen wird oft 1,2-Dibromethan zur Aktivierung des Magnesiums verwendet.
Erklären Sie diesen Trick.
Br Mg BrMg
Br Br - MgBr2
Das Magnesium reagiert mit dem sehr reaktiven 1,2-Dibromethan zum Grignard-Reagenz, welches in
einer reduktiven 1,2-Debromierung zu Ethen und Magnesiumbromid zerfällt. Auf diese Weise wird
etwelche Oxidschicht weggeätzt und somit das Magnesium für die gewünschte Reaktion aktiviert.
Halogenalkane
August 2007, v4, r.marti 84 / 84
O
X2, hν oder Thermisch
X
R OAg R
- AgX
Lösung:
O Br2 O
AgBr
R O Ag R O Br
Alkanoylhypobromit
O
hν oder ΔT O
R O Br Br
R O
O
R + CO2
R O
O O
R R Br
R O Br R O