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Jürgen Franssen
Einführung
Auch in einer Zeit ohne Antibiotika und Computertomographie war der Kranke nicht hilflos seinem
Schicksal ausgeliefert. Archäologische Untersuchungen belegen, dass die Menschen bereits im Neoli-
thikum über erstaunliche medizinische Kenntnisse und Fähigkeiten verfügten. Unsere Kenntnisse
über die medizinische Praxis in vorgeschichtlicher Zeit stammen aus der Paläopathologie und
Anthropologie. Da schriftliche Quellen fehlen, ist man auf alte Darstellungen medizinischer Verfah-
ren sowie die Untersuchung von Knochen und Zähnen und womöglich erhaltenen medizinischen
Geräte angewiesen. Erweiterte Kenntnisse liefern Studien rezenter Naturvölker und auch der Volks-
medizin, da hier gleichsam archaische medizinische Vorstellungen und Verfahren noch fortleben,
von denen man zumindest unter Vorbehalt annehmen kann, dass sie so im Wesentlichen auch in
der Steinzeit durchgeführt wurden.
Methoden
Anhand der Untersuchung von Skelettresten, insbesondere der Zähne, lassen sich etwa degenerative
Erscheinungen feststellen, die u.a. durch Über- oder Fehlbelastung entstanden sind. So können etwa
Links-von Rechthänder unterschieden werden, und aufgrund der anstrengenden und langwierigen
Arbeit des Getreidemahlens weisen zahlreiche weibliche Skelette an den entsprechend stärker belas-
teten Körperstellen, wie etwa Rücken und Knie, signifikante Veränderungen an Knochen und Gelen-
ken auf. Zudem könnte die Abnutzung von Zähnen durch Steingries auf den vermehrten Verzehr
von Produkten zurückzuführen sein, die mit Mehl hergestellt wurden, da beim Mahlen mit Stein-
mühlen Gesteinabrieb mit ins Mehl gelangen könnte. Auch die typischen Zivilisationskrankheiten
Karies und Paradontose, die durch verstärkten Konsum von kohlehdyratreicher, klebriger Nahrung,
wie z.B. Getreide, auftreten oder Mangelerscheinungen, wie Blutarmut und Rachitis, hinterlassen
Spuren im Skelett bzw. Gebiss. Schließlich lassen sich auch der Wachstumsverlauf des Zahnschmel-
zes und bestimmter Knochen dokumentieren, wodurch wichtige Erkenntnisse über die Ernährungs-
und Lebensbedingungen und damit über den Gesundheitszustand der untersuchten Menschen
sowie deren Lebenserwartung gewonnen werden.
Vernunft und Magie
Von Anfang an bis zur Spätantike gehörten empirisch-rationale Heilungsmethoden und Magie eng
zusammen. Körperliches Befinden und das alltägliche Geschehen wurden insbesondere in der Vor-
zeit als von übernatürlichen Kräften bestimmt verstanden. Allerdings hat man natürlich zumindest
bei Leiden, deren Ursache gut erkennbar und bei denen der Krankheitsherd leicht zugänglich war,
wie etwa bei Knochenbrüchen oder offenen Wunden, schon früh ein rationales Verständnis von
Ursache und Wirkung entwickelt. Hier konnte man sich bei der Behandlung noch auf seine Erfah-
rungen und Beobachtungen stützen, die etwa beim Kratzen der Haut, Lecken von Wunden, Öffnen
von Abszessen und Entfernen von Fremdkörpern (z.B. Splittern oder Pfeilspitzen) gemacht wurden.
So war man durchaus in der Lage offene Wunden etwa durch Verbinden, Ausbrennen oder Nähen zu
versorgen, Brüche zu schienen und Verrenkungen einzurichten. Zudem war auch die heilende, anre-
gende oder betäubende Wirkung von Kräutern und Mineralien schon den Wildbeutern bekannt,
schmerzlindernde Tinkturen und Balsam wusste man herzustellen. Bei weniger gut erkennbaren Lei-
den, etwa inneren Verletzungen, organischen oder auch psychischen Krankheiten, suchte man hin-
gegen Hilfe bei Religion und Magie. Dem lag die Vorstellung zu Grunde, dass die Kranken von bösen
Geistern und Dämonen besessen wären. Durch Zaubersprüche, rituelle Tänze, magische Handlun-
gen, Beschwörungen und Talismane versuchte man diese auszutreiben und die Patienten zu reini-
gen.