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Rolf Wirsing wirsingrolf(at)aol.

com

Krankheit: ihre individuelle Prävention und Selbstbehand-


lung im Südosten der Türkei

Öffentlicher Vortrag gehalten am 22.1.92 an der Universität Hamburg

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich werde in diesem Vortrag
versuchen, das hier vorgetragene Thema hauptsächlich vom Stand-
punkt eines Ethnologen und weniger eines Mediziners oder Epidemio-
logen zu betrachten. In meiner Rolle als Ethnologe bin ich daran
gewöhnt, bei allen Phänomenen, also auch bei Krankheit, Prävention
und Behandlung, innerhalb eines kulturspezifischen Rahmens, der
typisch für eine Gruppe einer spezifischen Region ist, zu suchen.

Abb. 1: Die Feldforschungsregion innerhalb der Türkei

Da ich in diesem Vortrag den Südosten der Türkei, genauer gesagt


die Region Adana mit Schwerpunkt auf die Kleinstadt Feke als Aus-
gangspunkt meiner Betrachtungen gewählt habe, werde ich die
ku1turspezifische Einzigartigkeit und kulturelle Bedingtheit der
von dort berichteten Phänomene betonen. Eine solche Argumentation
setzt eine gute Kenntnis der betrachteten Kultur voraus. Ich habe
versucht, mir eine solche Kenntnis durch das Erlernen der türki-
schen Sprache und einen elfmonatigen Forschungsaufenthalt zwischen
Oktober 1984 und September 1985 in der Türkei zu erwerben. Meine
Forschung stützte sich dabei vor allem auf Information, die ich in
der Kreishauptstadt Feke der Provinz Adana im Südosten der Türkei
gesammelt habe (vgl. Wirsing 1992).

Da das erklärte Ziel meiner damaligen Studie die Beschreibung und


Erklärung der vorherrschenden Verhaltensweisen in Bezug auf Ge-
sundheit und Krankheit war, mussten Methoden gefunden werden, wel-
che sowohl meinen Forschungsinteressen als auch dem Forschungsort
angepasst waren. Der von mir gewählte Ansatz, wie er sich für
Feldforschungen und Gemeindestudien anbietet, bestand hauptsäch-
lich aus der Rekogniszierung des Feldes, aktiver und passiver
teilnehmender Beobachtung, Dokumentenanalyse, strukturierter und
unstrukturierter Befragung, Befragung von Schlüsselinformanten.
Jede Methode musste nicht nur meinen Erkenntnisinteressen angepaßt
werden, sondern mußte auch noch die Eigenheiten der Gemeinde und
die Vor und Nachteile meiner Rolle als Mann, Fremder und Nicht-
Moslem berücksichtigen.

Prävention und Behandlung von Krankheiten, genauer gesagt von


menschlichen Leiden und Verhaltensauffälligkeiten, die in einer
Kultur als Krankheiten gedeutet werden, sind Verhaltensweisen, die
in bewußter Absicht auf ein bestimmtes Ziel hin durchgeführt wer-
den. Präventives Verhalten zielt auf die Verhinderung von Unglück,
Krankheit und menschlichen Leiden; therapeutisches Verhalten hin-
gegen auf die Überwindung des Leidens und die Wiederherstellung
der Gesundheit. Beide Verhaltensweisen setzen ein Wissen voraus,
das erlernbar ist und deswegen immer kulturspezifische Komponenten
haben wird.

Im Falle des präventiven Verhaltens - und das gilt sowohl für in-
dividuelles als auch für staatliches präventives Verhalten spie-
len Vorstellungen von Krankheitsverursachung eine große Rolle. In-
dividuelles präventives Verhalten ist eigenverantwortliches und
auf den Schutz der eigenen Person zielendes Verhalten, staatlich
präventives Verhalten hingegen, wie die Einrichtung von Primary
Health Care Centers, geschieht aus der Initiative des Staates her-
aus, wobei der Schutz der Bevölkerung gilt, auf die hin das prä-
ventive Verhalten ausgerichtet ist. Festzuhalten ist hier, daß im
Falle der Türkei das individuelle und das staatliche präventive
Verhalten auf sehr unterschiedlichen Vorstellungen von Krankheits-
verursachung basiert. Individuelles Verhalten basiert vorrangig
auf traditionellen Krankheitstheorien, das je nach schulischer
Bildung des Handelnden mehr oder weniger stark mit den Ideen des
westlichen medizinischen Denkens durchsetzt sein kann. Staatliches
präventives Verhalten basiert auf den von der WHO 1978 propagier-
ten und von allen Mitgliederstaaten akzeptierten Vorstellungen ei-
nes präventivorientierten Basisgesundheitssystems, also auf den
Ideen einer naturwissenschaftlich ausgerichteten Medizin.

Therapeutisches Handeln zielt, wie ich bereits ausführte, auf die


Wiederherstellung von Gesundheit hin. Dieses Verhalten ist, sozial
gesehen, bedeutend komplexer als das präventive Handeln, da es ne-
ben der Selbstbehandlung des Patienten oft noch die Interaktion
mit Therapeuten und/oder Heilern einschließen kann. Die Logik der
Behandlung folgt dabei zum Teil ähnlichen und zum Teil anderen
Prinzipien als die der Prävention. Ich werde Ihnen deshalb am
Schluß meines Vortrags noch einmal sämtliche Prinzipien der indi-
viduellen Prävention und traditionellen Selbstbehandlung nennen
und dann miteinander vergleichen.
Lassen Sie mich nun auf die von mir in der Türkei angetroffenen
traditionellen Vorstellungen über Krankheitsverursachung eingehen.
Ich mache sie zum Ausgangspunkt meiner Betrachtungen, da sie, wie
ich Ihnen zeigen möchte, zu einem großen Teil das individuelle
präventive Verhalten und auch zu einem gewissen Teil die traditio-
nelle Selbstbehandlung mit prägen. Wie ich Ihnen schon sagte,
liegt mein heutiger Schwerpunkt nur auf überkommenen und tradier-
ten Vorstellungen und weniger auf den Ideen und Verhaltensvor-
schlägen, wie sie von der modernen Gesundheitserziehung nahegelegt
werden. Ich beschränke mich außerdem nur auf das Verhalten von In-
dividuen und vernachlässige das staatliche und professionelle Han-
deln, ignoriere also auch bewußt das therapeutische Verhalten von
Ärzten und Heilern.

Die heute noch in Feke anzutreffenden traditionellen Vorstellungen


lassen sich mindestens vier logisch voneinander unabhängigen
Krankheitstheorien zuordnen. Kranksein wird von der genannten Be-
völkerung dann als das Resultat der folgenden generellen Ursachen
gesehen:
1. mechanischer, auf den Körper einwirkender Kräfte.
2. Übermäßiger oder zu geringen Verzehrs bestimmter Nahrungsmittel;
oder
3. exzessiver Kälte oder Wärme;
4. Übernatürlicher Kräfte beziehungsweise des Wirkens übernatürli-
cher Wesen

1. Mechanische Verursachung

Eine einfache mechanische Ursache wird bei von außen kommenden und
sofort sicht- und spürbaren Messerschnitten, Verbrennungen, Kno-
chenbrüchen, Verstauchungen, Verrenkungen, Zerrungen und Tierbis-
sen angenommen. Die resultierenden Wunden, Blutungen und Schwel-
lungen sind ebenfalls äußerlich erkennbar und schmerzen. Diese
konkrete Erfaßbarkeit von Ursache und einer meist auf der Körper-
oberfläche angesiedelten Auswirkung, verbunden mit einem lokali-
sierten, meist sofort auftretenden und länger anhaltenden Schmerz,
führt zu einer Differenzierung der meisten mechanisch hervorgeru-
fenen Krankheiten von denen, die anders verursacht wurden Eine
Sonderform nehmen die durch mechanische Ursachen im Körper inneren
hervorgerufenen krankhaften Zustände ein, die mit "schmutziges
Blut" (pis kan) und "Blutlosigkeit" (kansizlik) bezeichnet werden.
Der geschwollene, die Haut verfärbende Bluterguß, der, wie jeder
in Feke weiß, das Resultat von Zerrungen, Verstauchungen und Kno-
chenbrüchen ist, besteht, wie angenommen wird, aus schmutzigem
Blut. Schmutziges Blut ist immer im Körper vorhanden. Es sammelt
sich, so die Vorstellung bei Verletzungen an bestimmten Stellen,
kann aber auch ohne äußeren Anlaß zu Anschwellungen von Gelenken
und zu extremen Juckreiz am ganzen Körper führen.

Blutlosigkeit kann nicht nur wie ich noch später ausführen werde
durch eine fehlerhafte Kost sondern auch mechanisch durch den Ver-
lust von Blut durch blutende Wunden oder exzessive Menstruation
entstehen. Da Blut und Samen oft miteinander in Verbindung ge-
bracht werden, laufen auch sexuell aktive Männer Gefahr, blutlos
und schwach zu werden (vgl. Türkdogan 1969:38). Eine weitere Son-
derstellung in der mechanischen Ätiologie nehmen die Vorstellungen
über gefallene, verrutschte oder verknotete innere Organe ein.
Schon die Namen der Krankheiten deuten darauf hin: Fallen des Na-
bels (göbek düsmesi), Fallen des Gaumens (damak düsmesi), Band-
scheibenvorfall (be1 kaymagi) und Verknotung der Eingeweide (bar-
sak dügümlenmesi) (vgl. a. Kroeger u.a. 1986:49). Die Organe fal-
len oder verrutschen, wenn jemand zu hart arbeitet, zu schwere Sa-
chen trägt oder von einem hohen Platz herunterspringt. Bei Frauen,
die zu hart arbeiten, können sich außerdem Blutgefäße im Unterleib
verschieben und zu Kinderlosigkeit führen.

Sinnvolles präventives Verhalten besteht deshalb aus dem vorsich-


tigen Umgang mit Schnitt- und Schlagwerkzeugen, dem Meiden streu-
nender Hunde, der Mäßigung bei der Sexualität, der Verweigerung,
Blut zu spenden und dem Meiden zu harter Arbeit.

Fast alle äußerlich sichtbaren Schnitt- und Brandwunden, Insekten-


stiche und Schwellungen der Haut werden mit traditioneller Selbst-
behandlung angegangen. Blutungen aus offenen Wunden werden durch
das Auflegen oder Aufbinden bestimmter Kräuter, von Kiefernharz,
Honig oder das Aufstreuen von Salz gestoppt. Das Kauterisieren der
Wunde mit einem heißen Eisen soll die Wunde desinfizieren und
schließen. Bei Verbrennungen werden entweder Honig, Tomaten- oder
Sesampaste, Zahnpasta, Eigelb, die Asche eines verbrannten Stoff-
stückes, Wagenschmiere, Olivenöl, oder eine Mischung aus gekochter
Milch mit gemahlener Kiefernrinde aufgetragen bzw. auf gebunden.
Auf Insektenstiche wird Jogurt geschmiert. Wer wegen schwerer Ar-
beit, Barfußlaufens oder einer Fungusinfektion rissige, blasige
oder infizierte Haut an Händen oder Fußsohlen hat, trägt Henna
auf. "Schmutziges Blut" wird durch das Aufritzen des Hämatoms mit
einer Rasierklinge oder durch das Ansetzen eines Blutegels aus den
Körper entfernt, Blutlosigkeit durch die Einnahme von Stärkungs-
mitteln behoben.

Bei Knochenbrüchen, Verrenkungen, Zerrungen oder bei "gefallenen"


oder "verschobenen" Organen hingegen wird ein Heiler aufgesucht Im
ersten Fall wird ein Knochensetzer und im zweiten Fall ein Herba
list konsultiert, die beide mit manuellen Maßnahmen therapieren.

2. Nahrung als Krankheitsursache

Der Verzehr der falschen Menge und/oder Art von Nahrungsmitteln,


Gewürze eingeschlossen, kann ein Gesundheitsrisiko darstellen. Man
glaubt, daß die Aufnahme von zu viel Nahrung nicht nur eine Sünde
sei, sondern auch gefräßig und dumm mache. Der Koran (Sure 7:29)
ermahnt die Gläubigen, sich beim Essen Mäßigung aufzuerlegen: "es-
set und trinket und schweifet nicht aus, siehe, er liebt nicht die
Ausschweifenden." Daneben besteht auch die Ansicht, daß die Auf-
nahme von zu wenig Nahrung ebenfalls nicht gut sei. Kinder sollen
viel essen. Selbst Erwachsene laufen Gefahr, "blutlos" zu werden,
wenn sie nicht genug essen oder keine "stärkende" Nahrung zu sich
nehmen. Blutlos zu sein bedeutet bleich und körperlich und sexuell
schwach zu sein . Es besteht heute die Tendenz, die islamischen
Speiseverbote mit modernen medizinischen Ideen zu begründen. Eine
beliebte Begründung ist, daß mit jedem religiösen Verbot auch die
Gesundheit des Menschen geschützt werde. Der Verbot des Verzehrs
von Schweinefleisch wird von einigen in der Bevölkerung z.B. damit
begründet, daß sein Verzehr Trichinosis und Bandwurmbefall verur-
sache. Nur Leute mit Schulbildung wissen jedoch, daß der religiös
erlaubte Verzehr von Rindfleisch, besonders in der Form von rohem
Schabefleisch, das Teil des beliebten (aber für viele unerschwing-
lichen) Gerichtes çig köfte ist, ebenfalls zu Bandwurmbefall füh-
ren könnte.

Es gibt einige Nahrungsmittel, die als gut und gesund gelten, wenn
sie von Gesunden in Maßen, die jedoch als gefährlich angesehen
werden, wenn sie entweder von Schwachen und Kranken oder sogar von
Gesunden in übergroßen Mengen verzehrt werden. Diese Vorstellung
gilt vor allem fettige Gerichte und für scharfe (aci) und saure
(eksi) Gewürze oder Speisen.

Sinnvolles präventives Verhalten besteht deshalb aus der Mäßigung


beim Essen, aus dem Verzehr der richtigen Menge, der Einhaltung
islamischer Speisegebote und aus dem Einsatz "stärkender" Nah-
rungsmittel bei vermeintlicher "Blutlosigkeit" und "körperlicher
Schwäche".

Im Krankheitsfall wird die Nahrung gemieden, von der angenommen


wird, daß ihr Verzehr die Krankheit ausgelöst hat. Bei vielen
Krankheiten wird, unabhängig von ihrer vermuteten Genese, ohnehin
eine milde Kost bevorzugt, in der vor allem Scharfes, Saueres, Ge-
bratenes und Bulgur gemieden wird.

Dem Meiden bestimmter Arten der Nahrung steht der mit dem Ziel der
therapeutischen Wirkung verbundene Verzehr bestimmter Nahrungsmit-
tel gegenüber ([s. Tabelle 47, ...bitte entfernen] s.a. Beyhan und
Baysal 1985). Darunter befinden sich auch Nahrungsmittel (s.u.),
die im Krankheitsfall immer, d.h. unabhängig von der angenommenen
Krankheitsursache, als gesundheitsfördernd gelten. Die populären
und als Panazea zählenden Hausmittel, wie der meist selbstprodu-
zierte Traubensirup und der nur schwer erhältliche Honig werden
vermehrt bei fast jeder Erkrankung gegessen; Honig kann außerdem
noch äußerlich benutzt werden. Da geglaubt wird, daß sie nach dem
Verzehr sofort in das Blut übergehen, werden sie vor allem bei
körperlicher Schwäche und Blutlosigkeit eingenommen.

Gekochtes Fleisch und seine Brühe zählen als hasta corbasi (Suppe
für Kranke) und können bei allen Krankheiten verabreicht werden.
Fleisch, besonders wenn es roh oder halbroh gegessen wird, verbes-
sert wie angenommen wird alle Zustände körperlicher Schwäche und
steigert die Potenz.

Behandlung mit Heilkräutern und tierischen Stoffen

Darüber hinaus gibt es noch viele pflanzliche und tierische Stof-


fe, die nicht Teil der regulären Nahrung sind und als therapeu-
tisch wirksam eingestuft werden. Eine besondere Kategorie nehmen
hier die Wurzeln, Rinden, Harze, Blätter, Blüten, Früchte und Sa-
men von Kräutern, Büschen und Bäumen ein [(s. Appendix VIII). bit-
te entfernen] Sie sind ein wichtiger Bestandteil der Pharmakopöe
der Herbalisten und sind deshalb als koca kari ilaci (Medizin der
alten Frauen) bekannt. Aber auch die Knochensetzer und spezielle
Kräutergeschäfte (z.B. das nach seinen Besitzer benannte Geschäft
Cerci Yusuf in Adana, das nach den Angaben eines Verkäufers bis zu
1000 verschiedene pflanzliche Mittel anbietet) haben viel Erfah-
rung in der Anwendung pflanzlicher Heilmitteln. Ihr Wissen ist
tradiert und wird von Generation zu Generation weitergegeben. Ein
Teil dieses Wissens kann gelegentlich in Zeitungsartikeln und un-
gefähr in einem Dutzend in türkisch abgefaßten Büchern (z.B. Pamuk
o.J., Baytop 1984, Bayatli 1955, Eyuboglu 1977) nachgelesen wer-
den. Die meisten Leute in Feke glauben an die gesundheitsfördernde
Wirkung dieser pflanzlichen Stoffe und verfügen selbst über Kennt-
nisse über einige von ihnen; sie ziehen sie aber in der Regel
nicht den in der Apotheke gekauften Medikamenten vor.

Wie mir versichert wurde, soll in den oft gehörten Sprüchen: "Gott
gab uns Krankheit, aber er gab uns auch die Medizin", oder "es
gibt eine Medizin für jede Krankheit" der Begriff "Medizin" iden-
tisch mit "Heilpflanze" sein. Auch soll die Tatsache, daß zum au-
genblicklichen Zeitpunkt mit Pflanzen noch nicht jede Krankheit
wirksam behandelt werden kann, nur darauf zurückzuführen sein, daß
die heilende Pflanze dafür noch nicht gefunden worden ist.

Eine ähnliche Vorstellung ist in der Sage eines bekannten Helden


der türkischen Volksmedizin, des Arztes mit dem Namen Lokman zu
finden. Lokman soll nämlich Heilkräuter für die Behandlung aller
Krankheiten, einschließlich des Todes gefunden haben. Der Sage
nach lebte er in der Stadt Misis (innerhalb der heutigen Provinz
Adana). Er verstand die Sprache der Pflanzen, und indem er sich
mit ihnen unterhielt, erfuhr er über deren therapeutische Wirkung.
Eines Abends, als er sich wieder mit seinem Notizbuch in der Natur
befand, offenbarte ihm eine Pflanze, wie sie gegen den Tod benutzt
werden kann. Lokman notierte sich diese Information und entnahm
der Pflanze eine Probe. Auf seinem Heimweg wurde er plötzlich auf
der Brücke über den Seyhan Fluß von einem starken Wind überrascht.
Der Wind entriß ihm sämtliche Notizen und Pflanzenproben und blies
sie in den Fluß, von wo aus er sie nicht wiedergewinnen konnte
(vgl. Anonymus 1973, Stichwort "Adana"). Der Name Lokman Hekim ist
heute ein populärer Name für Apotheken.
Zur traditionellen Selbstbehandlung zählt auch die Einnahme von
Mitteln, die im Normalfall religiös verboten sind oder als unge-
nießbar gelten. z.B. ist der Verzehr des Fleisches von Schweinen,
Schlangen, Igeln und Schildkröten zwar religiös verboten, wird
aber im Krankheitsfall von den Menschen bei Tuberkulose, Erysipel
(yilancik), juckenden Hauterkrankungen, und Stottern als eine the-
rapeutische Möglichkeit betrachtet. Selbst Tierfäkalien werden ge-
nutzt, auch dann, wenn sie von so einem unreinen Tier wie dem Hund
stammen. So wurde mir mehr als einmal versichert, daß die getrock-
neten Fäkalien von Hund und Storch bei Halsschmerzen wirksam sei-
en. Sie werden pulverisiert und mit Hilfe eines aufgerollten
Stücks Papier in den Schlund geblasen. Ein weiteres Beispiel
stellt das Trinken des eigenen Urins zusammen mit Aprikosensaft
dar, das in Feke als eine rational begründete Therapie bei der Be-
handlung von Gelbsucht (vgl. Stern 1903, 1:237) empfohlen wird.
Hier werden Parallelen zur "Dreckapotheke" Europas sichtbar.

Den Menschen in Feke ist bekannt, daß der Koran (Sure 2: 168, 5:5)
den Verzehr verbotener Fleischsorten im Krankheitsfall und bei
Hunger erlaubt, solange er ohne Verlangen und Lust geschieht. Aber
mit Ausnahme eines Vaters, der nach seinen Angaben seinem an yi-
lancik (s.o.) erkrankten Sohn heimlich Schlangenfleisch verab-
reicht hatte, hörte ich von niemandem, daß er verbotene
Fleischsorten therapeutisch genutzt hat.

Hier besteht eine Ähnlichkeit zwischen dem Tier, dessen Fleisch


verzehrt werden soll und der zu behandelnden Krankheit oder genau-
er gesagt, eine magische Analogie, bzw. symbolische Beziehung oder
metaphorische Entsprechung zwischen Heilmittel und Symptom. So be-
steht eine Beziehung zwischen den Nadeln des Igels und dem Stechen
und Jucken der Krankheit mayasil (Hautpilz oder Hämorrhoiden), ge-
gen die Igelfleisch hilfreich sein soll. Ebenso kann eine Ähnlich-
keit gefunden werden zwischen der langsamen Fortbewegung einer
Schildkröte und dem langsamen Sprechen eines Stotterers. Die Be-
ziehung zwischen Schlangen und der Krankheit yilancik (s.o.) zeigt
sich bereits in dem Namen der Krankheit (der Name stellt eine Di-
minutivform des Wortes "Schlange" dar) und in der angenommenen
Krankheitsursache: sie soll durch das Berühren einer toten Schlan-
ge oder durch die mechanische Übertragung von "Mikroben" einer to-
ten Schlange auf den Menschen mittels Fliegen verursacht werden.

Behandlung mit Heilwasser

Den in der Nähe von Feke befindlichen Heilquellen werden präventi-


ve und kurative Kräfte zugesprochen (vgl. zum Thema: Basar 1973).
Nach einer weit verbreiteten Ansicht sollte jeder eine dieser
Quellen mindestens einmal pro Jahr besuchen und eine Kur, die aus
Baden, Trinken und Ruhe während eines Wochenends besteht, durch-
führen. Von einer solchen Kur wird angenommen, daß sie die Gedärme
und die inneren Organe reinige, Nierensteine und intestinale Wür-
mer austreibe, Erkältungen verhindere und Hautkrankheiten heile.
Das Wasser gilt als so wertvoll, daß die Besucher das Wasser in
großen Behältern mit nach Hause nehmen.

3. Übermäßige Kälte oder Hitze

Es wird angenommen, daß ein, Übermaß von Kälte oder von Hitze ge-
folgt von Kälte gesundheitsschädigend wirkt. Wenn also eine Person
schwer gearbeitet und dabei viel geschwitzt oder sich lange in der
Sonne aufgehalten hat, dann hat sie viel "Hitze" im Körper akkumu-
liert. Sie hat damit einen für sie potentiell gefährlichen Zustand
erreicht, dessen augenblickliche Gesundheitsrisiken aus Nasenblu-
ten, Sonnenbrand, Hautinfektionen und Hautallergien bestehen. Ho-
hes Fieber ist auch eine mögliche Konsequenz .Eine noch größere
Gefährdung wird nach Meinung der Informanten erreicht wenn sich
eine so erhitzte Person sofort kalten Dingen, wie kalter Zugluft,
kalter Nahrung und kaltem Wasser aussetzt. Besonders gefährlich
ist das Trinken von kaltem Wasser direkt aus dem Kühlschrank nach
einer warmen Mahlzeit. Ein Informant erklärte es so: Nach einer
warmen Mahlzeit "kocht" das Essen im Magen weiter. Wird darüber
nun kaltes Wasser gegossen, dann könne der Magen wie ein heißes
Eisen bersten. Auch Zahnschmelz könne bersten, wenn eine Person
zusammen mit dem Essen kaltes Wasser trinkt.

Zu den in Feke durch das Trinken von Wasser im erhitzten Zustand


assoziierten Krankheiten zählen Halsschmerzen und Tonsillitis, Hu-
sten und Bronchitis, Bauchschmerzen, Magenulkus und Durchfall.
Ebenso können Schnupfen und andere Erkältungskrankheiten wie Grip-
pe folgen. Bei Durch fall wird z.B. angenommen, daß sich die Ge-
därme erkältet hätten: "barsaklarim üsütmüs" oder einfacher, daß
man erkältet sei: üsütmüs.

Der Aufenthalt in kalter Luft oder in kalten oder feuchten Räumen


oder das Baden im kalten Wasser sei so die Informanten auch in ei-
nem unerhitzten körperlichen Zustand gefährlich. Ebenso risiko-
reich sei das Sitzen auf nassen oder kalten Steinen. Die angenom-
menen Konsequenzen eines solchen Gesundheitsverhaltens sind vor
allem alle mit Erkältung assoziierten Krankheiten wie Tuberkulose
und Masern. Rheumatische Beschwerden gelten als ähnlich verur-
sacht.

Da auch ähnliche Vorstellungen in der deutschen Volksmedizin be-


stehen, mögen Sie denken, daß diese und die darauf basierenden
Vorsichtsmaßnahmen selbstverständlich oder vernünftig sind. Mir
geht es als Ethnologe aber nicht darum, zu urteilen, ob eine Vor-
stellung richtig oder falsch ist, sondern um das Verständlichma-
chen des präventiven Verhaltens, das auf der Grundlage solcher
allgemein akzeptierter Vorstellungen basiert und deshalb als ihre
logische Konsequenz betrachtet werden kann. Es ist in diesem Sinne
durchaus logisch, wenn ein Mensch extreme Kälte oder Hitze meidet,
insbesondere im Zustand äußerster Erhitzung. Eine Schwangere, die
z.B. als extrem heiß aber noch nicht als krank gilt, sollte nicht
im kaltem Wasser baden oder kaltes Wasser trinken. Kurz nach der
Geburt zählt sie, auch wenn sie geschwitzt hat, als kalt und darf
selbstverständlich kein kaltes Wasser, dafür aber heiße Nahrungs-
mittel zu sich nehmen. Ihr wird sofort nach der Geburt von ihren
weiblichen Verwandten eine erhitzte Mischung aus Traubensirup
(pekmez) und Butter oder Ö1 verabreicht.
Entsprechend wird sich auch bei Krankheiten verhalten, von denen
vermutet wird, daß sie durch Kälte oder Hitze verursacht wurden.
Es wird kein Heiler oder Arzt aufgesucht. Es wird auf Mittel und
Methoden der traditionellen Selbstbehandlung zurückgegriffen, die
gelegentlich durch Medikamente aus der Apotheke ergänzt werden.

Bei einer Erkältung müssen Kälte, zügige Luft, kaltes Wasser und
kaltes Essen gemieden werden. Der Kranke zieht sich warm an, ver-
zehrt und trinkt Warmes und macht vieles, von dem angenommen wird,
daß es den Körper erhitzt. Er meidet den Kontakt zu kaltem Wasser,
wäscht ausschließlich Hände und Gesicht, bleibt innerhalb erhitz-
ter Räume und hält die Fenster geschlossen. Zuweilen zieht er sich
zwei bis drei Pullover an und wickelt sich zusätzlich noch in eine
Decke (vgl. Stern 103,1:249). Das Schwitzen gilt dann als gesund.
Wer die Schweißentwicklung noch zusätzlich fördern will, legt sich
in das mit einem heißen Ziegelstein vorgewärmte Bett und wickelt
ein gefaltetes und vorher gewärmtes Halstuch um den Hals. Nach dem
Schwitzen reibt er seinen Körper mit einem zweiten Handtuch tro
ken.

Das Trinker heißer Tees - manchmal mit schwarzem Pfeffer versetzt


- wird bei vielen Erkältungskrankheiten auch als eine wichtige
therapeutische Maßnahme angesehen. Zusätzlich dazu können Öle oder
Fette in die Haut gerieben werden. Bei Rheuma, das ebenfalls als
Erkältung gilt, sind warme Bäder und Massagen beliebt. Behandlung
mit feuchter Hitze, wie das Sitzen über heißem Wasserdampf ist bei
Kinderlosigkeit - einer kalten Krankheit - angezeigt (vgl. Stern
1903 II:230).

Die wenigen, durch Hitze erzeugten Krankheiten, wie hohes Fieber,


Nasenbluten und Sonnenstich, erfordern die Aufnahme kalter Nah-
rungsmittel und Getränke, z.B. Ayran, Wassermelone und Jogurt.
Kaltes Wasser oder Eis, welches äußerlich angewandt wird, z.B. in-
dem ein feuchter Lappen auf die Stirne gelegt wird, gilt dann als
sehr erfrischend.

4. Übernatürliche Wesen oder Kräfte

Krankheit und Tod wird zuweilen als der Wille oder die Bestrafung
Gottes für begangene oder nicht begangene Taten und/oder das Er-
gebnis des Wirkens böser Geister, der Zauberei oder des bösen
Blicks gesehen

Die meisten Moslems stimmen der vom orthodoxen Islam vertretenen


Ansicht zu, daß es Krankheit, Leiden und Tod mit Gottes Zustimmung
oder sogar aus seinem Willen heraus gibt. Nach dem orthodoxen Is-
lam ist der Wille Gottes dem Menschen immer unerklärlich. Gott ist
so der orthodoxe Islam allwissend und habe die Zukunft, ein-
schließlich die Todesstunde eines jeden Menschen vorbestimmt. In
Ausnahmefällen kann er die von ihm geschaffenen Naturgesetze durch
Wunder aussetzen

Ob Krankheiten oder Tod eines Menschen auch eine Bestrafung Gottes


für begangene Übeltaten sind oder ob sie einen anderen Sinn haben,
bleibt für einen orthodoxen Moslem immer ungewiß. Manche Moslems
versuchen Krankheit als eine gutgemeinte Mahnung für jene Menschen
zu sehen, die ihre Gesundheit als selbstverständlich hinnehmen und
dabei vergessen, daß sie ihre Gesundheit nur Gott verdanken. Sie
sehen Krankheit als Gottes "wohltätigen Schlag ins Gesicht" jener,
die Gefahr laufen, von Gottes Pfad abzuweichen. Für andere Moslems
hat Kranksein einen spirituellen Wert; so kann für sie eine Nacht,
die leidend verbracht wird, verdienstvoller sein als ein ganzes
Jahr, das der Anbetung Gottes gewidmet ist (Rahman 1984:591).

Im Volksglauben wird im Gegensatz zum orthodoxen Islam die stra-


fende Absicht Gottes angenommen. Die Menschen vermuten deshalb
hinter vielen Leiden die Strafe Gottes für begangene schwere Sün-
den wie Ehebruch, Gotteslästerung, Diebstahl oder ein Leben in ri-
tueller Unreinheit. Die Strafe Gottes muß dem Glauben nach nicht
unbedingt sofort nach Begehen der Sünde wirksam werden, sondern
kann den Sünder erst Jahre später erreichen, zu einem Zeitpunkt,
an dem er es am wenigsten erwartet. Gott braucht so der Volksglau-
be nicht einmal den Sünder persönlich zu strafen. Er kann auch
seinen Ehegatten oder seine Kinder treffen. Er kann Kinderlosig-
keit bewirken oder geistig und körperlich behinderte Kinder schi
ken.

Der Koran erkennt die Existenz von Geistern (Sure 114), Zauberei
und des bösen Blickes an, verbietet aber jede Beschäftigung mit
diesen Wesen und Kräften (Mershen 1982). Der Volksglaube ignoriert
diese Warnung. Er hat die Vorstellungen darüber elaboriert und
viele Praktiken geschaffen, mit denen diese Wesen und Kräfte im
präventiven und therapeutischen

Interesse manipuliert und kontrolliert werden können. In Feke kur-


sieren viele, auf den Koran nicht zurückführbare Vorstellungen und
Geschichten über die Erscheinungen und das Wirken der Geister
(cin). Menschen mit höherer Schulbildung verneinen die Existenz
der cin und behaupten, sie seien nur eine Fiktion, mit der Eltern
ihren unerzogenen Kindern Furcht einflößen wollen. Die meisten
Menschen in Feke glauben jedoch an die Existenz der cin. Sie sehen
sie als rationale, manchmal unberechenbare und gelegentlich hilf-
reiche, von Gott aus rauchlosem Feuer (vgl. Koran Sure 55:14) ge-
schaffene Wesen. Da Gott alles in Paaren geschaffen hat - so die
Vorstellung - gibt es weibliche und männliche cin. Andere glauben,
daß die cin die Kinder eines ebenfalls von Gott geschaffenen Teu-
fels seien.
Cin sind normalerweise als unsichtbar vorzustellen, können aber
menschliche Form annehmen, wenn sie sich einem nichtsahnenden Men-
schen, meist vom anderen Geschlecht, nähern. Sie können überall
und jederzeit auftauchen, aber haben eine Präferenz für die Nächte
und die Nähe von Friedhöfen, für glühende Asche und Hauseingänge.
Sie vermeiden Wasser und fliehen nach dem Hersagen des bismi11a.
In ihrer sichtbaren Form sind sie am fehlenden Nasenseptum oder an
ihren um 180 Grad verdrehten Füßen zu erkennen. Ihnen werden eine
Reihe von bösen Taten zugeschrieben: Sie können Menschen in der
Nacht namentlich rufen und sie so erschrecken. Sie können in der
Form des Ehegatten erscheinen und die nichtsahnende Person sexuell
verführen. Sie versuchen zuweilen eine Person dazu zu bringen, un-
verantwortliche und ihr schadende Handlungen zu begehen, indem sie
ihr entsprechende Ideen ins Ohr flüstern. Sie können auch die Nah-
rungsmittel und Kleidung benutzen oder verstecken, die von einem
Menschen, ohne das bismillah zu sagen, zurückgelassen wurden.

Respektloses Verhalten gegenüber heiligen Dingen oder an geheilig-


ten Plätzen können durch die cin bestraft werden. Ebenso bestraft
würden Handlungen, die den cin schaden könnten. Menschen, die sich
respektlos gegenüber Nahrungsmitteln, einem Amulett oder glühender
Asche verhalten, oder die sich z.B. in Moscheen, Friedhöfen, Wall-
fahrtsorten im Zustand der rituellen Unreinheit befinden oder sich
dort ungebührend benehmen, begehen eine Sünde und würden eine
strafende Handlung der cin herausfordern. Wer z.B. auf Brot oder
Amulette tritt, auf in glühender Asche lebende Geister an gehei-
ligten Plätzen uriniert, oder heißes Wasser auf die vor dem
Hauseingang sich aufhaltenden Geister schüttet, errege besonders
die Wut der cin.

Die Menschen, die sich - wie oben beschrieben - respektlos verhal-


ten oder den Rufen und Verführungen der cin folgen, laufen Gefahr,
mit bestimmten, meist neurologischen Erkrankungen befallen zu wer-
den. Ihre Erkrankungen weisen dabei eine oder mehrere der folgen-
den typischen Symptome auf: sie fallen zu Boden (wie bei Epilep-
sie, Ohnmacht, Koma), werden paralysiert (wie bei Schlaganfall,
Polio und anderen Lähmungen), verlieren die Sprache (wie bei
Schlaganfall), bekommen Schüttelfrost (wie bei Fieberanfällen),
halluzinieren (wie bei Geisteskrankheiten, Alpträumen und hohem
Fieber) oder ihr Verhalten und ihre Mimik wirken unkontrolliert
und unsymmetrisch (wie beim Hinken und Schielen). Die wichtigsten
präventiven Handlungen, zusätzlich zu einem korrekten Verhalten,
schließen das Hersagen des bismillah und das Tragen von schützen-
den Amuletten ein.

Von den Frauen im Kindbett wird gesagt, daß sie viele Ängste wäh-
rend der 40 Tage dauernden Post-Partum-Periode ausstünden. Während
dieser Zeit gelten sie als rituell unrein und müssen viele, mit
diesem Zustand assoziierten Verbote beachten. Vor allem dürfen sie
nicht beten. In diesem Zustand sind sie, wie angenommen wird, ex-
trem anfällig für Alpträume, in denen ihnen ein besonderer, die
Erscheinung einer alten Frau annehmender Geist erscheint (vgl. Jo-
hansen 1959, Kroeger u.a 1986:47). Es wird angenommen, daß sich
dieser Geist auf die Brust des Opfers setzt und ihm das Atmen er-
schwert. Wenn diese Alpträume zusammen mit hohem Fieber auftreten,
werden sie albasti genannt.

Auch Neugeborene sind durch diese Art von cin gefährdet. Man
schützt Neugeborene und Wöchnerinnen, indem man einen Gegenstand
aus Eisen, wie ein Messer oder eine Schere, oder auch den Koran
unter das Bett legt (vgl. Johansen 1959:303). Eine Frau im Kind-
bett sollte nie alleine gelassen werden, ebenso sollte keine ande-
re, sich im gleichen Zustand befindliche oder menstruierende Frau
zu Besuch kommen. Ein häufig über das Baby gelegtes rotes und
durchsichtiges Tuch schützt vor allem das Kind.

Der enge Kontakt zu menstruierenden Frauen wird immer als gefähr-


lich angesehen. Er ist vor allem von Kranken und Krankheitsanfäl-
ligen zu meiden, da diese Frauen nicht nur als unrein, sondern
auch als mögliche Überträger böser Geister gelten (vgl. Shiloh
1969:375).

Die Existenz von Zauberei (büyü) wird im Koran (Sure 2:96, 113:4)
nicht verneint, ihre Ausübung ist aber ausdrücklich verboten. Zau-
berei ist eine mit guter oder böser Absicht an einen Adressaten
gerichtete, von einer Person selbst oder im Auftrag durchgeführte
magische Handlung, bei der auch magische Sprüche zur Anwendung
kommen. Die Handlung wird dabei oft an einem Gegenstand ausgeübt,
der mit dem Adressaten in Berührung war oder kommen wird. Gut ge-
eignet sind Haare und Fäden aus der Kleidung des Adressaten. Die
Handlungen bestehen z.T. aus Verbrennen, Binden von Knoten, und
Wegwerfen (vgl. Kroeger u.a. 1986:46) und symbolisieren somit das
gewünschte Resultat. Magische Sprüche werden über die bei der Zau-
berei verwendeten Gegenstände gesprochen und/oder auf ein Stück
Papier geschrieben. Im letzten Fall haben sie den Charakter eines
Schriftamuletts, welches in der Wohnung des Adressaten versteckt
(vorzugsweise in seinem Bett), in seinen Brunnen geworfen oder un-
ter einem vom Adressaten oft begangenen Weg vergraben wird .

Schadenszauber wird immer als Sünde gesehen. Seine Ausübung dient


so wird gesagt vor allem dem Erzeugen von Impotenz in der Hoch-
zeitsnacht, Ehekonflikten, Unglück und plötzlicher Krankheit von
Rivalen. Von denen, die Zauberei ausüben oder in Auftrag geben,
wird angenommen, daß sie rituell unrein sind. Es wird gesagt, daß
sie den Koran mit ihren unreinen Körperteilen (z.B. ihrem Gesäß)
berühren und Amulette durch Verändern oder Rückwärtsschreiben von
Koransprüchen erstellen. Die potentiellen Opfer können sich durch
das Tragen eines Schriftamuletts ein wenig, aber nicht sehr effek-
tiv gegen einen Schadenszauber schützen

Die Wirkung des bösen Blicks (nazar) wird ebenfalls vom orthodoxen
Islam nicht verneint (Koran, Sure 113:5). Im Volksglauben gilt der
böse Blick als eine nicht unbedingt tödliche, aber zerstörerische
Kraft, der die jungen, schönen, starken, reichen und erfolgreichen
Menschen treffen kann. Besonders gefährdet sind, wie gesagt wird,
schwangere Frauen und Babys. Unerklärliches Unglück und plötzliche
Krankheit, wie plötzliches hohes Fieber, Schwindel, Magen oder
Kopfschmerz sind demnach die typischen Folgen des bösen Blicks.
Die möglichen Opfer sind nicht nur Menschen, sondern auch gesunde
und produktive Haustiere und Bäume. Sogar materieller Besitz kann
durch den bösen Blick Schaden nehmen.

Jeder kann in der Regel unbeabsichtigt seinen Mitmenschen mit dem


bösen Blick schlagen, indem er ihn bewundernd oder neiderfüllt an-
blickt und seine besonderen Qualitäten lobt. Manche behaupten, daß
Personen mit blauen Augen oder rituell unreine Menschen eher den
bösen Blick haben als andere. Das Risiko, einen anderen Menschen
durch den bösen Blick unbeabsichtigt zu schaden, kann durch das
einem Lob vorangestellte Aussprechen von masallah gemindert wer-
den.

Kulturell sinnvolles präventives Verhalten, das auf den o.g. Vor-


stellungen basiert, besteht deshalb aus einem gottgefälligen Le-
benswandel, aus einem respektvollen Verhalten gegenüber geheilig-
ten Dingen oder an geheiligten Plätzen, aus dem Tragen von
Schriftamuletten und aus der Meidung rituell unreiner Menschen.
Die präventiven Maßnahmen gegen den bösen Blick bestehen zusätz-
lich noch aus dem Tragen von blauen Perlen (boncuk), dem Aufhängen
von Hufeisen und dem wiederholten Zitieren des masallah.

Blaue Perlen sind dabei der populärste Schutz. Sie werden in der
Regel einzeln, zuweilen jedoch auch zu mehreren um den Hals getra-
gen oder mit einer Sicherheitsnadel an der Kleidung befestigt. Sie
werden unauffällig getragen zumeist von Kindern und jungen Mäd-
chen. Sie werden aber auch um den Hals von wertvollen Tieren und
an die Rückspiegel von Autos und Bussen gehängt Sie sind kugelför-
mig und bestehen aus Glas oder Ton. Eine anscheinend moderne Vari-
ante besteht aus blauen runden Glasscheiben mit einem Durchmesser
von 2-4 cm. Handamulette haben gelegentlich auf der Handfläche ein
Auge aufgemalt. Blaue Perlen und Scheiben sind oft mit einem (bzw.
mehreren) stilisierten Auge, d.h. einer von einem weißen oder gel-
ben Ring umgebenen schwarzen Pupille versehen. Das Wort masallah
wird stets über den Fahrersitz des eigenen Autos sowie des jewei-
ligen öffentlichen Fahrzeugs geschrieben. Es ist zudem auf den in-
neren Wänden der Häuser sowie über den jeweiligen Türrahmen zu le-
sen. Es soll Fahrer und Mitfahrer sowie die jeweiligen Hausbewoh-
ner schützen.

Wenden wir uns nun der Selbstbehandlung der Leiden zu, bei denen
vermutet wird, daß sie durch übernatürliche Einwirkung ausgelöst
wurden. Wird geglaubt, daß die Leiden ein Teil des von Gott vorbe-
stimmten Schicksals sind, werden sie oft ohne eigene oder fremde
Intervention akzeptiert. Beten ist dann die einzige Reaktion. In
diesem Fall wird angenommen, daß Gott einem schon gesund macht
falls er es will (vgl. Koran, Sure 26:80)3. Werden die Leiden als
eine Strafe für begangene Sünden gesehen, sind Beten und Bemühun-
gen um ein tugendhaftes Leben die angemessene Reaktion (Theilen
1986: 108). Wird hingegen als Ursache der Krankheit Geisterbefall,
Zauberei oder der böse Blick vermutet, werden neben der Konsulta-
tion traditionaler Heiler auch eigene Maßnahmen mit magischer Qua-
lität ergriffen.

Zu den therapeutischen Maßnahmen magischer Art, die auch ohne die


vorherige Konsultation eines Heilers durchgeführt werden, gehören
die bereits beschriebenen, präventiven Maßnahmen (z.B. das Tragen
von blauen Perlen, das Aufhängen von Hufeisen). Die Wirkungen der
Zauberei und des bösen Blicks können z.B. auch dadurch annulliert
werden, daß heimlich eine Haarlocke oder ein Faden aus der Klei-
dung der als Verursacher verdächtigten Person genommen, Haar oder
Faden dann verbrannt und der Rauch inhaliert wird. Gegen Erkran-
kungen durch den bösen Blick soll auch das Verbrennen der Samen
von özer1ik otu (Peganum hermala) und das Inhalieren des dabei
entstehenden Rauches hilfreich sein.

Maßnahmen mit magischer Qualität werden nicht nur bei den ver-
meintlich übernatürlich verursachten, sondern auch bei vielen an-
ders verursachten Erkrankungen ergriffen. So können bei vielen
Krankheiten unabhängig von ihrer vermuteten Genese heilige Wall-
fahrtsorte besucht und Gelübde abgelegt werden (s.u.). Magische
Sprüche und Handlungen, Zahlen und Farbenmagie und die Präferenz
für die rechte Körperseite spielen sowohl bei der Behandlung als
auch bei der Prävention jeder Art von Krankheit eine wichtige Rol-
le.

Bei chronischen Geisteskrankheiten, neurologischen Defekten oder


Kinderlosigkeit empfiehlt es sich, daß der Kranke zusammen mit
seinen Verwandten einen Wallfahrtsort ( ziyaret ) aufsucht. Wall-
fahrtsorte sind meist in freier Natur (jedoch nicht auf Friedhö-
fen) befindliche Gräber (türbe) national oder religiös verehrter
Menschen. Sie können auch nur aus einem Baum, einen Felsen, einer
Quelle oder Höhle bestehen, von denen geglaubt wird, daß ihnen je-
weils etwas Übernatürliches anhaftet. Wer dorthin geht, reinigt
sich vor dem Besuch. Am Wallfahrtsort selbst reinigt er sich noch-
mals, betet, liest den Koran (oder läßt ihn lesen), zündet Kerzen
an, opfert eventuell ein Tier, pflanzt einen Baum oder macht ein
Picknick. Besonders verdienstvoll ist es, wenn er über Nacht da-
bleibt (Basar 1972a: 188ff., Basar 1972b:62ff., Kriss und Kriss
1960, I:19ff.)5.

Wenn Bäume oder Büsche vorhanden sind, binden Besucher gerne ein
Stück Stoff an einen Ast während sie einen stillen Wunsch äußern
oder ein Gelübde aussprechen. Ein Gelübde (adak) kann auch an je-
dem anderen Ort ausgesprochen werden. Es besteht normalerweise aus
dem Versprechen, Gott ein Tier zu opfern und das Fleisch an Nach-
barn und Arme zu verteilen, falls der damit verbundene Wunsch, wie
die Wiederherstellung der eigenen Gesundheit oder die Geburt eines
Kindes, sich erfüllen sollte.
Ungerade Zahlen, besonders 3 und 7 sind bei vielen religiösen
(z.B. die Zah1 3 bei Waschungen), aber auch bei Heilverfahren be-
deutsam. Reinfried (1915:8f.) bemerkt dazu: "Wie bei Zauberzeremo-
nien, so ist die ungerade Zahl auch wichtig bei Heilmethoden...
Der Heilerfolg ist nicht nur bedingt durch die Heilmittel, sondern
auch durch die Zahl ihrer Anwendungen." Die Zahl drei oder sieben
ist oft die verlangte Häufigkeit, mit der eine therapeutische
Handlung oder ein magischer Spruch wiederholt werden muß, um wirk-
sam werden zu können. Drei oder sieben Maulwürfe müssen mit der
bloßen Hand erwürgt werden, bevor diese Hand, auf den Hals eines
Kranken aufgelegt, Halsschmerzen lindern kann. Kinderlose Frauen
müssen zu sieben verschiedenen Häusern gehen, um ein kleines Stück
Stoff bitten und diese Stücke in ein Kleidungsstück für das ge-
wünschte Kind nähen

Zusammenfassung

In der Zusammenfassung meines Vortrags möchte ich noch einmal die


wichtigsten Prinzipien nennen, die den soeben genannten präventi-
ven und therapeutischen Maßnahmen zugrunde liegen. Ich werde sie
dabei grob nach ihren Grad der Allgemeinheit oder Spezifizität
ordnen, je nachdem, ob nur Gesundheit gewahrt oder wiederherge-
stellt oder eine spezifische Krankheit vermieden oder therapiert
werden soll. Ich spreche von einer generellen Prävention, wenn da-
durch hauptsächlich die Gesundheit oder Konstitution gestärkt, ich
spreche von einer spezifischen Prävention, wenn durch die Meidung
einer bestimmten Krankheitsursache eine spezifische Erkrankung
vermieden werden soll. Entsprechend kann eine generelle Therapie
bei fast jeder Erkrankung angewandt werden, während eine spezifi-
sche auf das vorliegende Leiden abgestimmt ist

Mir fällt auf, daß oft kein Unterschied zwischen den generellen
präventiven und den generellen therapeutischen Maßnahmen besteht,
so daß Prävention und Therapie sich hier der gleichen Prinzipien
bedienen. Zu diesen Prinzipien rechne ich erstens die Schonung der
körperlichen Kräfte - und damit verwandt - die Mäßigung beim Essen
und Geschlechtsverkehr, zweitens die innere rituelle und äußere
Reinigung, drittens die Stärkung des Körpers, viertens den Erwerb
magischen Schutzes und fünftens, die Führung eines gottefälligen
Lebens sowie das bewußte Geben oder Erleiden persönlicher Opfer.

Zur Schonung der körperlichen Kräfte gehört bei Gesundheit und


Krankheit das Meiden schwerer Arbeiten, insbesondere das Heben
schwerer Lasten, das im gesunden Zustand zu gefallenen oder ver-
schobenen Organen führen könnte. Zur Schonung gehört auch soforti-
ge Stoppen jeder größeren Blutung, wie bei Wunden oder Nasenblu-
ten, um so Blutlosigkeit zu vermeiden oder einen durch Krankheit
geschwächten Körper nicht noch weiter zu schwächen.

Mäßigung, d.h. das Finden des richtigen Mittelmaßes, ist beim Es-
sen, aber auch bei der sexuellen Betätigung einzuhalten. So sind
im Krankheitsfall, aber auch schon bei körperlicher Schwäche z.B.
scharfe oder saure Gewürze und der Verzehr großer Mengen von Bul-
gur insbesondere in roher und gequollener Form, wie im Gericht cig
köfte zu meiden. Übermäßige sexuelle Betätigung kann, wie ich be-
reits ausführte, zu Blutlosigkeit führen und ist deshalb auch bei
Krankheit zu meiden.

Monatsblutungen zählen als schmutziges Blut, dessen Ausfluß ebenso


gefördert werden sollte wie das Blut, das sich unter einem Hämatom
angesammelt hat. Die Entfernung jeder Art schmutzigen Blutes wird
von mir der Kategorie der inneren Reinigung, die korrekte Durch-
führung aller rituellen Waschungen den Kategorien der spirituellen
und äußeren Reinigung zugeschrieben. Das Trinken von Heilwasser
gehört ebenfalls hierher und zählt als innere Reinigung, das Baden
im Heilwasser als äußere Reinigung mit hohem allgemein präventiven
und therapeutischen Wert.

Die Stärkung des Körpers ist ein wichtiges präventives sowie the-
rapeutisches Prinzip, die z.B. durch die Einnahme solcher Panazea,
wie Honig und Traubensirup, im Krankheitsfall noch durch den Ver-
zehr von gekochtem Fleisch erreicht werden soll. Der Erwerb und
Besitz magischen Schutzes ist sowohl präventiv als auch therapeu-
tisch sinnvoll. Magischer Schutz wird in dieser Kultur z.B. durch
das Tragen blauer Perlen am Körper, das Aufhängen von Hufeisen im
Haus, das Schlafen auf der rechten Seite und die Bevorzugung un-
gerader Zahlen bei der Wiederholung ritueller und therapeutischer
Maßnahmen erworben. Das Führen eines gottgefälligen Lebens wird
wohl jedem gläubigen Moslem als die wichtigste präventive als auch
therapeutische Maßnahme genereller Art erscheinen. Darunter ist
vor allem eine vermehrte Zuwendung zu Gott, wie das Beten und das
Einhalten religiöser Regeln zu verstehen. Obwohl der Islam seinen
Anhängern im Krankheitsfall z.B. das vorübergehende Aussetzen der
täglichen 5 Gebete, des Fastens, ja sogar des Schweinefleischtabus
gestattet, machen sehr wenige Kranke von diesen Möglichkeiten Ge-
brauch und intensivieren eher ihre religiösen Aktivitäten, soweit
sie es nur körperlich können. Dazu gehört u.a. auch das Erbringen
persönlicher Opfer, wie es z.B. in Wallfahrten und dem Opfern von
Tieren sichtbar wird und für Gesunde wie Kranke einen Verdienst
darstellt.

Spezifisches präventives und spezifisches therapeutisches Verhal-


ten bedienen sich hingegen sehr unterschiedlicher Prinzipien. Spe-
zifisches präventives Verhalten zielt darauf ab, die als Krank-
heitsursache vermuteten und erkennbaren Faktoren zu meiden oder -
falls der Kontakt mit ihnen nicht umgangen werden kann - ihren
vermeintlich schädlichen Einfluß zu neutralisieren. Beispiele sind
das Meiden extremer Kälte oder Wärme und das Sich-Warm-Anziehen
bei kaltem Wetter.

Zu den Prinzipien der eher spezifischen Behandlung die in der spe-


zifischen Prävention nicht angetroffenen werden, zähle ich erstens
die therapeutische Verwendung ekelerregender Heilmittel, zweitens
den Einsatz von Heilmitteln und Prozeduren, die mit dem zu behan-
delnden Leiden oder mit seiner Ursache entweder eine Ähnlichkeit
zeigen oder dazu im Gegensatz stehen, drittens die mechanische Re-
gulierung dysregulierter körperlicher Organe und viertens die auf
laienmedizinische Erfahrung basierende Behandlung mit Heilkräu-
tern.

Der krankheitsspezifische Einsatz von ekelerregenden Heilmitteln,


wie er in dem Verzehr geringer Mengen von Kot, Blut oder Fleisch
zumeist religiös geächteter Tiere, aber auch beim Trinken kleine-
rer Mengen des eigenen Urins oder des Ansetzens von Blutegeln zu
beobachten ist, ist uns bereits aus der Dreckapotheke Europas als
therapeutisches, wenn auch schwer verständliches Prinzip bekannt.
Verständlicher ist uns hingegen ein weiteres Prinzip, das wir aus
der Homöopathie als das Simileprinzip, aus den Schriften des Para-
zelsius als Signaturenlehre der Pflanzen und aus der europäischen
Volksmedizin als Analogiezauber kennen. Dieses Prinzip, das Ähnli-
ches mit Ähnlichem zu heilen sucht, ist in der Türkei in der An-
wendung von Heilmitteln, im Einsatz magischer Prozeduren, selbst
in einigen Elementen der Dreckapotheke zu entdecken. So habe ich
z.B. auf die gelbe Farbe all jener Heilmittel hingewiesen ein Bei-
spiel hier stellt der Urin dar die bei der Behandlung von Gelb-
sucht eine Rolle spielen. Ich habe das Verbrennen einer heimlich
erworbenen Haarlocke genannt, die vom Verursacher des bösen Blicks
stammen muß, um Krankheiten des bösen Blicks zu bannen. Auch habe
ich auf den Verzehr des Fleisches einiger bestimmter Tierarten
hingewiesen, bei denen irgendeine Ähnlichkeit zum Erscheinungsbild
oder zur vermuteten Ursache der behandelten Krankheit auffällt.
Die Anwendender solcher Therapien sind sich meist nicht der der
jeweiligen Therapie inne wohnenden magischen Vorstellung bewußt;
sie stellen vielmehr - wenn gefragt - Argumente rationaler Art in
den Vordergrund.

Im Gegensatz dazu steht das für uns aus der griechischen Humoral-
pathologie bekannte und auch teilweise in unserer Medizin prakti-
zierte Gegensatzprinzip. Seine Logik verlangt, daß die Behandlung
der Krankheitsursache oder der Krankheitserscheinung entgegenge-
setzt sein muß. Es kommt in der Türkei vor allem bei den durch
Kälte verursachten Krankheiten zum Tragen, wo die Förderung des
Schwitzens und die Steigerung der Körperwärme durch z.B. heiße
Tees mit schwarzem Pfeffer, dicke Kleidung oder erwärmte Ziegel-
steine wichtige therapeutische Mittel darstellen. Mit diesem Prin-
zip logisch verknüpft sind solche manuelle Prozeduren, deren Ziel
die Entwirrung verschlungen oder verknotet geglaubter Gedärme, das
Heben oder Zurechtschieben gefallen vermuteter Nabel und Mandeln
aber auch das Schienen und Einrenken nicht nur in der Einbildung
gebrochener Knochen ist.

Als letztes Prinzip spezifischer Krankenbehandlung ist zum Schluß


noch die auf Wissen und Erfahrung basierende Behandlung mit Heil-
kräutern zu nennen, die wahrscheinlich in jahrhundertelanger Er-
fahrung in der Bevölkerung getestet wurde. Sie orientiert sich an
der Krankheitssymptomatik, die sie mit erfolgserprobten Behand-
lungsweisen verknüpft. Nur so läßt sich die von mir entdeckte
Vielfalt des auch in der westlichen Phytotherapie akzeptierten
Wissens über Kräuter, Wurzeln und Beeren erklären, die in mannig-
facher Zubereitung in der traditionellen Selbstbehandlung auch
heute noch eine, wenn auch sich ständig verringernde Rolle spie-
len. Dieses Wissen wird nun mehr und mehr durch die mit westlichen
Medikamenten gemachten Erfahrungen verdrängt, die heute ohne Re-
zept und ärztliche Überwachung bei der Selbstbehandlung zum Ein-
satz kommen.

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--- Lieber Friedie: Unterstrichene Texte stellen Korrekturen und minimale Einfü-
gungen dar. Ich habe auch noch einige Kommafehler entdeckt aber nicht korri-
giert. Vielen Dank, die Du Dir für die Mühen, die Du Dir, - besonders mit der
graphischen Gestaltung - machst. Wenn Dir der Text streckenweise zu lange er-
scheinen sollte, könnte ich Dir Vorschläge zur Kürzung machen ...

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