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Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich werde in diesem Vortrag
versuchen, das hier vorgetragene Thema hauptsächlich vom Stand-
punkt eines Ethnologen und weniger eines Mediziners oder Epidemio-
logen zu betrachten. In meiner Rolle als Ethnologe bin ich daran
gewöhnt, bei allen Phänomenen, also auch bei Krankheit, Prävention
und Behandlung, innerhalb eines kulturspezifischen Rahmens, der
typisch für eine Gruppe einer spezifischen Region ist, zu suchen.
Im Falle des präventiven Verhaltens - und das gilt sowohl für in-
dividuelles als auch für staatliches präventives Verhalten spie-
len Vorstellungen von Krankheitsverursachung eine große Rolle. In-
dividuelles präventives Verhalten ist eigenverantwortliches und
auf den Schutz der eigenen Person zielendes Verhalten, staatlich
präventives Verhalten hingegen, wie die Einrichtung von Primary
Health Care Centers, geschieht aus der Initiative des Staates her-
aus, wobei der Schutz der Bevölkerung gilt, auf die hin das prä-
ventive Verhalten ausgerichtet ist. Festzuhalten ist hier, daß im
Falle der Türkei das individuelle und das staatliche präventive
Verhalten auf sehr unterschiedlichen Vorstellungen von Krankheits-
verursachung basiert. Individuelles Verhalten basiert vorrangig
auf traditionellen Krankheitstheorien, das je nach schulischer
Bildung des Handelnden mehr oder weniger stark mit den Ideen des
westlichen medizinischen Denkens durchsetzt sein kann. Staatliches
präventives Verhalten basiert auf den von der WHO 1978 propagier-
ten und von allen Mitgliederstaaten akzeptierten Vorstellungen ei-
nes präventivorientierten Basisgesundheitssystems, also auf den
Ideen einer naturwissenschaftlich ausgerichteten Medizin.
1. Mechanische Verursachung
Eine einfache mechanische Ursache wird bei von außen kommenden und
sofort sicht- und spürbaren Messerschnitten, Verbrennungen, Kno-
chenbrüchen, Verstauchungen, Verrenkungen, Zerrungen und Tierbis-
sen angenommen. Die resultierenden Wunden, Blutungen und Schwel-
lungen sind ebenfalls äußerlich erkennbar und schmerzen. Diese
konkrete Erfaßbarkeit von Ursache und einer meist auf der Körper-
oberfläche angesiedelten Auswirkung, verbunden mit einem lokali-
sierten, meist sofort auftretenden und länger anhaltenden Schmerz,
führt zu einer Differenzierung der meisten mechanisch hervorgeru-
fenen Krankheiten von denen, die anders verursacht wurden Eine
Sonderform nehmen die durch mechanische Ursachen im Körper inneren
hervorgerufenen krankhaften Zustände ein, die mit "schmutziges
Blut" (pis kan) und "Blutlosigkeit" (kansizlik) bezeichnet werden.
Der geschwollene, die Haut verfärbende Bluterguß, der, wie jeder
in Feke weiß, das Resultat von Zerrungen, Verstauchungen und Kno-
chenbrüchen ist, besteht, wie angenommen wird, aus schmutzigem
Blut. Schmutziges Blut ist immer im Körper vorhanden. Es sammelt
sich, so die Vorstellung bei Verletzungen an bestimmten Stellen,
kann aber auch ohne äußeren Anlaß zu Anschwellungen von Gelenken
und zu extremen Juckreiz am ganzen Körper führen.
Blutlosigkeit kann nicht nur wie ich noch später ausführen werde
durch eine fehlerhafte Kost sondern auch mechanisch durch den Ver-
lust von Blut durch blutende Wunden oder exzessive Menstruation
entstehen. Da Blut und Samen oft miteinander in Verbindung ge-
bracht werden, laufen auch sexuell aktive Männer Gefahr, blutlos
und schwach zu werden (vgl. Türkdogan 1969:38). Eine weitere Son-
derstellung in der mechanischen Ätiologie nehmen die Vorstellungen
über gefallene, verrutschte oder verknotete innere Organe ein.
Schon die Namen der Krankheiten deuten darauf hin: Fallen des Na-
bels (göbek düsmesi), Fallen des Gaumens (damak düsmesi), Band-
scheibenvorfall (be1 kaymagi) und Verknotung der Eingeweide (bar-
sak dügümlenmesi) (vgl. a. Kroeger u.a. 1986:49). Die Organe fal-
len oder verrutschen, wenn jemand zu hart arbeitet, zu schwere Sa-
chen trägt oder von einem hohen Platz herunterspringt. Bei Frauen,
die zu hart arbeiten, können sich außerdem Blutgefäße im Unterleib
verschieben und zu Kinderlosigkeit führen.
Es gibt einige Nahrungsmittel, die als gut und gesund gelten, wenn
sie von Gesunden in Maßen, die jedoch als gefährlich angesehen
werden, wenn sie entweder von Schwachen und Kranken oder sogar von
Gesunden in übergroßen Mengen verzehrt werden. Diese Vorstellung
gilt vor allem fettige Gerichte und für scharfe (aci) und saure
(eksi) Gewürze oder Speisen.
Dem Meiden bestimmter Arten der Nahrung steht der mit dem Ziel der
therapeutischen Wirkung verbundene Verzehr bestimmter Nahrungsmit-
tel gegenüber ([s. Tabelle 47, ...bitte entfernen] s.a. Beyhan und
Baysal 1985). Darunter befinden sich auch Nahrungsmittel (s.u.),
die im Krankheitsfall immer, d.h. unabhängig von der angenommenen
Krankheitsursache, als gesundheitsfördernd gelten. Die populären
und als Panazea zählenden Hausmittel, wie der meist selbstprodu-
zierte Traubensirup und der nur schwer erhältliche Honig werden
vermehrt bei fast jeder Erkrankung gegessen; Honig kann außerdem
noch äußerlich benutzt werden. Da geglaubt wird, daß sie nach dem
Verzehr sofort in das Blut übergehen, werden sie vor allem bei
körperlicher Schwäche und Blutlosigkeit eingenommen.
Gekochtes Fleisch und seine Brühe zählen als hasta corbasi (Suppe
für Kranke) und können bei allen Krankheiten verabreicht werden.
Fleisch, besonders wenn es roh oder halbroh gegessen wird, verbes-
sert wie angenommen wird alle Zustände körperlicher Schwäche und
steigert die Potenz.
Wie mir versichert wurde, soll in den oft gehörten Sprüchen: "Gott
gab uns Krankheit, aber er gab uns auch die Medizin", oder "es
gibt eine Medizin für jede Krankheit" der Begriff "Medizin" iden-
tisch mit "Heilpflanze" sein. Auch soll die Tatsache, daß zum au-
genblicklichen Zeitpunkt mit Pflanzen noch nicht jede Krankheit
wirksam behandelt werden kann, nur darauf zurückzuführen sein, daß
die heilende Pflanze dafür noch nicht gefunden worden ist.
Den Menschen in Feke ist bekannt, daß der Koran (Sure 2: 168, 5:5)
den Verzehr verbotener Fleischsorten im Krankheitsfall und bei
Hunger erlaubt, solange er ohne Verlangen und Lust geschieht. Aber
mit Ausnahme eines Vaters, der nach seinen Angaben seinem an yi-
lancik (s.o.) erkrankten Sohn heimlich Schlangenfleisch verab-
reicht hatte, hörte ich von niemandem, daß er verbotene
Fleischsorten therapeutisch genutzt hat.
Es wird angenommen, daß ein, Übermaß von Kälte oder von Hitze ge-
folgt von Kälte gesundheitsschädigend wirkt. Wenn also eine Person
schwer gearbeitet und dabei viel geschwitzt oder sich lange in der
Sonne aufgehalten hat, dann hat sie viel "Hitze" im Körper akkumu-
liert. Sie hat damit einen für sie potentiell gefährlichen Zustand
erreicht, dessen augenblickliche Gesundheitsrisiken aus Nasenblu-
ten, Sonnenbrand, Hautinfektionen und Hautallergien bestehen. Ho-
hes Fieber ist auch eine mögliche Konsequenz .Eine noch größere
Gefährdung wird nach Meinung der Informanten erreicht wenn sich
eine so erhitzte Person sofort kalten Dingen, wie kalter Zugluft,
kalter Nahrung und kaltem Wasser aussetzt. Besonders gefährlich
ist das Trinken von kaltem Wasser direkt aus dem Kühlschrank nach
einer warmen Mahlzeit. Ein Informant erklärte es so: Nach einer
warmen Mahlzeit "kocht" das Essen im Magen weiter. Wird darüber
nun kaltes Wasser gegossen, dann könne der Magen wie ein heißes
Eisen bersten. Auch Zahnschmelz könne bersten, wenn eine Person
zusammen mit dem Essen kaltes Wasser trinkt.
Bei einer Erkältung müssen Kälte, zügige Luft, kaltes Wasser und
kaltes Essen gemieden werden. Der Kranke zieht sich warm an, ver-
zehrt und trinkt Warmes und macht vieles, von dem angenommen wird,
daß es den Körper erhitzt. Er meidet den Kontakt zu kaltem Wasser,
wäscht ausschließlich Hände und Gesicht, bleibt innerhalb erhitz-
ter Räume und hält die Fenster geschlossen. Zuweilen zieht er sich
zwei bis drei Pullover an und wickelt sich zusätzlich noch in eine
Decke (vgl. Stern 103,1:249). Das Schwitzen gilt dann als gesund.
Wer die Schweißentwicklung noch zusätzlich fördern will, legt sich
in das mit einem heißen Ziegelstein vorgewärmte Bett und wickelt
ein gefaltetes und vorher gewärmtes Halstuch um den Hals. Nach dem
Schwitzen reibt er seinen Körper mit einem zweiten Handtuch tro
ken.
Krankheit und Tod wird zuweilen als der Wille oder die Bestrafung
Gottes für begangene oder nicht begangene Taten und/oder das Er-
gebnis des Wirkens böser Geister, der Zauberei oder des bösen
Blicks gesehen
Der Koran erkennt die Existenz von Geistern (Sure 114), Zauberei
und des bösen Blickes an, verbietet aber jede Beschäftigung mit
diesen Wesen und Kräften (Mershen 1982). Der Volksglaube ignoriert
diese Warnung. Er hat die Vorstellungen darüber elaboriert und
viele Praktiken geschaffen, mit denen diese Wesen und Kräfte im
präventiven und therapeutischen
Von den Frauen im Kindbett wird gesagt, daß sie viele Ängste wäh-
rend der 40 Tage dauernden Post-Partum-Periode ausstünden. Während
dieser Zeit gelten sie als rituell unrein und müssen viele, mit
diesem Zustand assoziierten Verbote beachten. Vor allem dürfen sie
nicht beten. In diesem Zustand sind sie, wie angenommen wird, ex-
trem anfällig für Alpträume, in denen ihnen ein besonderer, die
Erscheinung einer alten Frau annehmender Geist erscheint (vgl. Jo-
hansen 1959, Kroeger u.a 1986:47). Es wird angenommen, daß sich
dieser Geist auf die Brust des Opfers setzt und ihm das Atmen er-
schwert. Wenn diese Alpträume zusammen mit hohem Fieber auftreten,
werden sie albasti genannt.
Auch Neugeborene sind durch diese Art von cin gefährdet. Man
schützt Neugeborene und Wöchnerinnen, indem man einen Gegenstand
aus Eisen, wie ein Messer oder eine Schere, oder auch den Koran
unter das Bett legt (vgl. Johansen 1959:303). Eine Frau im Kind-
bett sollte nie alleine gelassen werden, ebenso sollte keine ande-
re, sich im gleichen Zustand befindliche oder menstruierende Frau
zu Besuch kommen. Ein häufig über das Baby gelegtes rotes und
durchsichtiges Tuch schützt vor allem das Kind.
Die Existenz von Zauberei (büyü) wird im Koran (Sure 2:96, 113:4)
nicht verneint, ihre Ausübung ist aber ausdrücklich verboten. Zau-
berei ist eine mit guter oder böser Absicht an einen Adressaten
gerichtete, von einer Person selbst oder im Auftrag durchgeführte
magische Handlung, bei der auch magische Sprüche zur Anwendung
kommen. Die Handlung wird dabei oft an einem Gegenstand ausgeübt,
der mit dem Adressaten in Berührung war oder kommen wird. Gut ge-
eignet sind Haare und Fäden aus der Kleidung des Adressaten. Die
Handlungen bestehen z.T. aus Verbrennen, Binden von Knoten, und
Wegwerfen (vgl. Kroeger u.a. 1986:46) und symbolisieren somit das
gewünschte Resultat. Magische Sprüche werden über die bei der Zau-
berei verwendeten Gegenstände gesprochen und/oder auf ein Stück
Papier geschrieben. Im letzten Fall haben sie den Charakter eines
Schriftamuletts, welches in der Wohnung des Adressaten versteckt
(vorzugsweise in seinem Bett), in seinen Brunnen geworfen oder un-
ter einem vom Adressaten oft begangenen Weg vergraben wird .
Die Wirkung des bösen Blicks (nazar) wird ebenfalls vom orthodoxen
Islam nicht verneint (Koran, Sure 113:5). Im Volksglauben gilt der
böse Blick als eine nicht unbedingt tödliche, aber zerstörerische
Kraft, der die jungen, schönen, starken, reichen und erfolgreichen
Menschen treffen kann. Besonders gefährdet sind, wie gesagt wird,
schwangere Frauen und Babys. Unerklärliches Unglück und plötzliche
Krankheit, wie plötzliches hohes Fieber, Schwindel, Magen oder
Kopfschmerz sind demnach die typischen Folgen des bösen Blicks.
Die möglichen Opfer sind nicht nur Menschen, sondern auch gesunde
und produktive Haustiere und Bäume. Sogar materieller Besitz kann
durch den bösen Blick Schaden nehmen.
Blaue Perlen sind dabei der populärste Schutz. Sie werden in der
Regel einzeln, zuweilen jedoch auch zu mehreren um den Hals getra-
gen oder mit einer Sicherheitsnadel an der Kleidung befestigt. Sie
werden unauffällig getragen zumeist von Kindern und jungen Mäd-
chen. Sie werden aber auch um den Hals von wertvollen Tieren und
an die Rückspiegel von Autos und Bussen gehängt Sie sind kugelför-
mig und bestehen aus Glas oder Ton. Eine anscheinend moderne Vari-
ante besteht aus blauen runden Glasscheiben mit einem Durchmesser
von 2-4 cm. Handamulette haben gelegentlich auf der Handfläche ein
Auge aufgemalt. Blaue Perlen und Scheiben sind oft mit einem (bzw.
mehreren) stilisierten Auge, d.h. einer von einem weißen oder gel-
ben Ring umgebenen schwarzen Pupille versehen. Das Wort masallah
wird stets über den Fahrersitz des eigenen Autos sowie des jewei-
ligen öffentlichen Fahrzeugs geschrieben. Es ist zudem auf den in-
neren Wänden der Häuser sowie über den jeweiligen Türrahmen zu le-
sen. Es soll Fahrer und Mitfahrer sowie die jeweiligen Hausbewoh-
ner schützen.
Wenden wir uns nun der Selbstbehandlung der Leiden zu, bei denen
vermutet wird, daß sie durch übernatürliche Einwirkung ausgelöst
wurden. Wird geglaubt, daß die Leiden ein Teil des von Gott vorbe-
stimmten Schicksals sind, werden sie oft ohne eigene oder fremde
Intervention akzeptiert. Beten ist dann die einzige Reaktion. In
diesem Fall wird angenommen, daß Gott einem schon gesund macht
falls er es will (vgl. Koran, Sure 26:80)3. Werden die Leiden als
eine Strafe für begangene Sünden gesehen, sind Beten und Bemühun-
gen um ein tugendhaftes Leben die angemessene Reaktion (Theilen
1986: 108). Wird hingegen als Ursache der Krankheit Geisterbefall,
Zauberei oder der böse Blick vermutet, werden neben der Konsulta-
tion traditionaler Heiler auch eigene Maßnahmen mit magischer Qua-
lität ergriffen.
Maßnahmen mit magischer Qualität werden nicht nur bei den ver-
meintlich übernatürlich verursachten, sondern auch bei vielen an-
ders verursachten Erkrankungen ergriffen. So können bei vielen
Krankheiten unabhängig von ihrer vermuteten Genese heilige Wall-
fahrtsorte besucht und Gelübde abgelegt werden (s.u.). Magische
Sprüche und Handlungen, Zahlen und Farbenmagie und die Präferenz
für die rechte Körperseite spielen sowohl bei der Behandlung als
auch bei der Prävention jeder Art von Krankheit eine wichtige Rol-
le.
Wenn Bäume oder Büsche vorhanden sind, binden Besucher gerne ein
Stück Stoff an einen Ast während sie einen stillen Wunsch äußern
oder ein Gelübde aussprechen. Ein Gelübde (adak) kann auch an je-
dem anderen Ort ausgesprochen werden. Es besteht normalerweise aus
dem Versprechen, Gott ein Tier zu opfern und das Fleisch an Nach-
barn und Arme zu verteilen, falls der damit verbundene Wunsch, wie
die Wiederherstellung der eigenen Gesundheit oder die Geburt eines
Kindes, sich erfüllen sollte.
Ungerade Zahlen, besonders 3 und 7 sind bei vielen religiösen
(z.B. die Zah1 3 bei Waschungen), aber auch bei Heilverfahren be-
deutsam. Reinfried (1915:8f.) bemerkt dazu: "Wie bei Zauberzeremo-
nien, so ist die ungerade Zahl auch wichtig bei Heilmethoden...
Der Heilerfolg ist nicht nur bedingt durch die Heilmittel, sondern
auch durch die Zahl ihrer Anwendungen." Die Zahl drei oder sieben
ist oft die verlangte Häufigkeit, mit der eine therapeutische
Handlung oder ein magischer Spruch wiederholt werden muß, um wirk-
sam werden zu können. Drei oder sieben Maulwürfe müssen mit der
bloßen Hand erwürgt werden, bevor diese Hand, auf den Hals eines
Kranken aufgelegt, Halsschmerzen lindern kann. Kinderlose Frauen
müssen zu sieben verschiedenen Häusern gehen, um ein kleines Stück
Stoff bitten und diese Stücke in ein Kleidungsstück für das ge-
wünschte Kind nähen
Zusammenfassung
Mir fällt auf, daß oft kein Unterschied zwischen den generellen
präventiven und den generellen therapeutischen Maßnahmen besteht,
so daß Prävention und Therapie sich hier der gleichen Prinzipien
bedienen. Zu diesen Prinzipien rechne ich erstens die Schonung der
körperlichen Kräfte - und damit verwandt - die Mäßigung beim Essen
und Geschlechtsverkehr, zweitens die innere rituelle und äußere
Reinigung, drittens die Stärkung des Körpers, viertens den Erwerb
magischen Schutzes und fünftens, die Führung eines gottefälligen
Lebens sowie das bewußte Geben oder Erleiden persönlicher Opfer.
Mäßigung, d.h. das Finden des richtigen Mittelmaßes, ist beim Es-
sen, aber auch bei der sexuellen Betätigung einzuhalten. So sind
im Krankheitsfall, aber auch schon bei körperlicher Schwäche z.B.
scharfe oder saure Gewürze und der Verzehr großer Mengen von Bul-
gur insbesondere in roher und gequollener Form, wie im Gericht cig
köfte zu meiden. Übermäßige sexuelle Betätigung kann, wie ich be-
reits ausführte, zu Blutlosigkeit führen und ist deshalb auch bei
Krankheit zu meiden.
Die Stärkung des Körpers ist ein wichtiges präventives sowie the-
rapeutisches Prinzip, die z.B. durch die Einnahme solcher Panazea,
wie Honig und Traubensirup, im Krankheitsfall noch durch den Ver-
zehr von gekochtem Fleisch erreicht werden soll. Der Erwerb und
Besitz magischen Schutzes ist sowohl präventiv als auch therapeu-
tisch sinnvoll. Magischer Schutz wird in dieser Kultur z.B. durch
das Tragen blauer Perlen am Körper, das Aufhängen von Hufeisen im
Haus, das Schlafen auf der rechten Seite und die Bevorzugung un-
gerader Zahlen bei der Wiederholung ritueller und therapeutischer
Maßnahmen erworben. Das Führen eines gottgefälligen Lebens wird
wohl jedem gläubigen Moslem als die wichtigste präventive als auch
therapeutische Maßnahme genereller Art erscheinen. Darunter ist
vor allem eine vermehrte Zuwendung zu Gott, wie das Beten und das
Einhalten religiöser Regeln zu verstehen. Obwohl der Islam seinen
Anhängern im Krankheitsfall z.B. das vorübergehende Aussetzen der
täglichen 5 Gebete, des Fastens, ja sogar des Schweinefleischtabus
gestattet, machen sehr wenige Kranke von diesen Möglichkeiten Ge-
brauch und intensivieren eher ihre religiösen Aktivitäten, soweit
sie es nur körperlich können. Dazu gehört u.a. auch das Erbringen
persönlicher Opfer, wie es z.B. in Wallfahrten und dem Opfern von
Tieren sichtbar wird und für Gesunde wie Kranke einen Verdienst
darstellt.
Im Gegensatz dazu steht das für uns aus der griechischen Humoral-
pathologie bekannte und auch teilweise in unserer Medizin prakti-
zierte Gegensatzprinzip. Seine Logik verlangt, daß die Behandlung
der Krankheitsursache oder der Krankheitserscheinung entgegenge-
setzt sein muß. Es kommt in der Türkei vor allem bei den durch
Kälte verursachten Krankheiten zum Tragen, wo die Förderung des
Schwitzens und die Steigerung der Körperwärme durch z.B. heiße
Tees mit schwarzem Pfeffer, dicke Kleidung oder erwärmte Ziegel-
steine wichtige therapeutische Mittel darstellen. Mit diesem Prin-
zip logisch verknüpft sind solche manuelle Prozeduren, deren Ziel
die Entwirrung verschlungen oder verknotet geglaubter Gedärme, das
Heben oder Zurechtschieben gefallen vermuteter Nabel und Mandeln
aber auch das Schienen und Einrenken nicht nur in der Einbildung
gebrochener Knochen ist.
--- Lieber Friedie: Unterstrichene Texte stellen Korrekturen und minimale Einfü-
gungen dar. Ich habe auch noch einige Kommafehler entdeckt aber nicht korri-
giert. Vielen Dank, die Du Dir für die Mühen, die Du Dir, - besonders mit der
graphischen Gestaltung - machst. Wenn Dir der Text streckenweise zu lange er-
scheinen sollte, könnte ich Dir Vorschläge zur Kürzung machen ...