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Drei Monate ist die Mama-Oma jetzt tot. Sie ist der erste tote Mensch, den ich in
meinem Leben gesehen habe. Und es war auch meine erste Beerdigung. Trotzdem:
Fr mich ist sie immer noch nicht gestorben - ich kann es nicht begreifen, dass sie
nicht mehr da ist. Es fllt mir immer noch schwer, von ihr in der Vergangenheit zu
sprechen: Ich sage immer noch "Oma ist" oder "Oma hat". Komisch, jemanden, den
man liebt, sterben zu sehen, hatte ich mir dramatischer vorgestellt. Und auch meine
Gefhle hatte ich mir anders gedacht. Richtig traurig bin ich nicht. Eher froh, dass
ich meine Oma so lange hatte. So konnten wir viel Zeit miteinander verbringen und
uns gut kennen lernen. Ihr ganzes Leben hat sie in Anekdoten immer wieder erzhlt.
Oma war eine groartige Geschichtenerzhlerin. Die Grundgeschichten waren
immer wieder die gleichen, aber die Details ihrer Erzhlungen gestaltete sie immer
wieder anders. Ein bisschen viel Fantasie hatte sie schon, aber wenigstens konnte
ich so die gleichen Geschichten immer wieder hren. Die Oma hat einen
unglaublichen Optimismus versprht. Wenn ich heute mal Probleme habe, denke ich
mir: "Die Oma hat es in ihrem Leben auch immer wieder geschafft." Als der Opa ihr
beim Holzhacken aus Versehen die Axt ber den Kopf gezogen hat, wollte sie nicht
zum Arzt, aus Angst, ihr Mann wrde vor Gericht kommen. Das war typisch fr sie:
den Kopf fr andere hinhalten, sozusagen. Sie war immer fr alle da und hat allen
geholfen und gegeben. Nur annehmen konnte sie nichts. Die Weihnachtsgeschenke
hat sie im nchsten Jahr im gleichen Papier anderen Familienmitgliedern geschenkt.
Weil wir das wussten, haben wir ihr irgendwann nur noch Bcher und Pralinen
geschenkt, die konnte sie problemlos weitergeben. Einmal habe ich ihr Topflappen
gehkelt, die hat sie tatschlich behalten und aufgehngt. Ihre Sturheit, nichts von
anderen haben zu wollen, war allerdings oft sehr anstrengend. Da hat sie uns
Enkeln gezeigt, wie man es sich auch unntig schwer machen kann. Aber ihr Mut
und ihr Durchhaltevermgen waren ansteckend. Auch ihre Groherzigkeit. Als der
Opa mal eine Geliebte hatte, das war nach dem vierten Kind, ist sie bse geworden:
"Du nimmst meinen Kindern nicht den Vater weg", hat sie die Frau angeschrien, als
sie die beiden in flagranti erwischt hat. Die Nebenbuhlerin, die auch noch im selben
Ort wohnte, hat sie verprgelt. Und meinen Opa nach Hause mitgenommen. Der
war ihr dann bis zu seinem Lebensende treu.