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Verdrehte Welt: Embryonenoffensive stößt bei Kirchen auf

Kritik
von Dennis Riehle

Man mag es provozierend nennen, man mag auch nicht sofort den Sinn dahinter verstehen –
und doch ist selten eine Aktion so bildlich wie diese: Die „Embryonenoffensive“ im Saarland
hat vor kurzem ein Projekt gestartet, mit welchem sie im Bundesland rund 300 000 Embryo-
nenmodelle verteilt.

Mit der ausdruckstarken Offensive wollen die Initiatoren auf den Umgang der Gesellschaft
mit dem Thema „Abtreibung“ aufmerksam machen. Die Modelle, welche Embryonen im Lau-
fe des dritten Schwangerschaftsmonats zeigen, werden in der Bevölkerung unter die Bürger
gebracht – und erregen schon nach wenigen Tagen großes Aufsehen.

Es scheint nahezu wie eine verdrehte Welt: Während sich die saarländische Familienministe-
rin dankbar für die Aktion zeigt, sind die Kirchen skeptisch bis ablehnend. Man hätte das
Geld besser in soziale und gesellschaftliche Projekt investieren sollen, heißt es von einigen
Pressestellen in den Bistümern und Landeskirchen.

Und genau damit umgehen die Kirchen wieder einmal geschickt ein Problem, welches in der
Argumentation um das Thema „Abtreibung“ so völlig verständnislos macht, wenn man gera-
de die Aufgabe und Position des Lebensschutzes gerade den christlichen Kirchen zugutehal- 1/2
ten möchte: Soziale Zwecke wie beratende Unterstützung für die betroffenen Frauen, mit
denen diesen die Ohnmacht in deren Konfliktsituation genommen werden soll und die Ent-
scheidung, den richtigen Weg zu gehen, erleichtert wird, sind sicher Möglichkeiten, wie
Frauen nochmals das Bewusstsein um eine Abtreibung und die vielen Angebote zur Hilfe
nach der Geburt auch in schwierigen Lebensumständen dargelegt werden sollen.

Eine wesentliche Frage, weshalb Frauen heute jedoch überhaupt erst in eine leichtfertige
Überlegung kommen, eine Schwangerschaft zu beenden, ist erst zweitrangig das Wissen
darum, mit einem Baby eventuell wirtschaftlich, sozial und psychisch persönlich überfordert
zu sein. Oftmals sind es auch gar nicht mehr diese – zugegebenermaßen legitimen und be-
denkenswerten – Gründe, die tatsächlich den Zweifel über eine Fortsetzung der Schwanger-
schaft so groß werden lassen. Es ist das sichere Wissen, dass Abtreibung in Deutschland
recht einfach möglich ist. Sobald dieses Wissen besteht, werden triftige Gründe für einen
Schwangerschaftsabbruch oftmals gar nicht mehr als nötig angesehen. Eine Abtreibung ist
nach Beratung möglich – und damit kann auch ein unbedachter Umgang mit Geschlechts-
verkehr, wechselnden Partnern und mangelnder Vorsicht bei sexuellen Praktiken seine Be-
stätigung finden. Denn: im Zweifelsfall kann der „Fehler“ ja rückgängig gemacht werden.

Dass mit einem Schwangerschaftsabbruch erhebliche Gewissenskonflikte, Schuldgefühle bis


hin zu dauerhafter psychischer Labilität einhergehen können, kommt in denen von den Kir-
chen so angepriesenen sozialen Hilfestellungen wie den zahlreichen Beratungsstellen oft-
mals viel zu kurz. Der Wert eines Kindes – und damit auch der Wert einer Schwangerschaft –
reduziert sich in einer Gesellschaft aus „Spaß“ auf nahezu null. Das zeigen auch die vielen
Umfragen unter Frauen, die Beruf und Karriere einen größeren Stellenwert zubilligen, als
dem Geschenk eines Kindes.

Und genau diesem elementaren Defizit, welches noch weit vorrangiger ist, als das Eintreten
in den Konflikt und den Entscheidungsprozess um eine Abtreibung, ist die wirkliche Informa-
tion und das Wissen um das, was im Körper einer Frau in einer Schwangerschaft überhaupt
vor sich geht. Man muss feststellen, dass der Biologieunterricht in Deutschland an vielen
Stellen versagt hat, wenn jungen Frauen nicht klar ist, was sie da in einem dritten Schwan-
gerschaftsmonat, in dem bei uns eine Abtreibung noch immer möglich ist, wirklich „entfer-
nen lassen“.

Ja, die Embryonenoffensive ist eine sehr direkte, vielleicht auch harte Form, Menschen be-
wusst zu machen, was Abtreibung bedeutet. Sie spricht nicht lange um den moralisch-
ethischen Prozess herum, den Frauen mit Beratung und anderen sozialen Angeboten durch-
laufen. Sondern sie zeigt mit einem einzigen Modell, dass das, was abgetrieben wird, bereits
sehr viel Ähnlichkeit mit einem Kind hat. Die Modellembryonen machen bewusst, was im
Bauch einer Frau liegt, wenn im dritten Monat abgetrieben wird. Vielen Frauen ist sicher
nicht klar, dass sie solch ein Geschöpf „loswerden“, wenn sie sich für einen Schwanger-
schaftsabbruch entscheiden – und bestimmt wollen viele Frauen dies auch nicht wissen, er-
innern sich bewusst nicht an die Bilder aus dem Schulunterricht, die den Fortlauf einer
Schwangerschaft zeigen. Sehr theoretisch wird in Gesprächen um die Entscheidung des 2/2
Schwangerschaftsabbruches gesprochen, doch handfest, ja, zum Anfassen ist das nicht, was
dort diskutiert wird.

Und hier setzt die Embryonenoffensive an: Nein, kein Schuldgedanke soll Frauen eingeredet
werden, aber doch das Wissen und Bewusstsein um die Wahrheit. Schönreden, das mag
nicht nur im Bereich Abtreibung heute eine Lieblingsbeschäftigung der Kirchen sein. Dass sie
damit aber auch den Frauen, die sie berät und die sie seelsorgerlich unterstützt, etwas vor-
macht, verschleiert und unehrlich ist, das sollten sich die christlichen Vertreter, die die Emb-
ryonenoffensive anprangern, vor Augen führen.

Dennis Riehle
1. Vorsitzender der Christlichen Lebensberatung e.V.
www.christliche-lebensberatung.de // www.christliche-lebensberatung.blogspot.com

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