AUSGEWÄHLTE ESSAYS
IN DREI BÄNDEN
ESSAYS
BAND3
Einleitung . . . 7
Einkehr (I9I7) 27
Palestrina (I9I7) 43
über die Kunst Richard Wagners (I 9 I I) 59
Wie stehen wir heute zu Richard Wagner? (I927) 62
Leiden und Größe Richard Wagners (I933) . . . 64
Richard Wagner und der.>Ring des Nibelungen< (I937) II5
[Zu Wagners Verteidigung] (I940) I36
Wagner und kein Ende (I949) . . . . I43
über die Lehre Spenglers (I922) . . . I46
Die Stellung Freuds in der modernen
Geistesgeschichte (I929) . . I 53
FreudunddieZukunft(I936) . . . . I73
Schopenhauer (I938) . . . . . . . . . I93
Nietzsche's Philosophie im Lichte unserer
Erfahrung (I947) . . . . . . . . . . . 235
Anhang
I. überblick
8
Neugierde lockt. Die Wagner-Sekundärliteratur begegnet gleich-
gültiger Verachtung- statt aus Glasenapp, Wolzogen, Golther
oder Chamberlain lernt Mann aus Nietzsche.
Die Nietzsche-Kenntnis erfaßt im Lauf eines langen Lebens alle
wichtigeren Werke und darüber hinaus manches Entlegene. Die
Frührezeption7 bleibt zugleich die bestimmende: Der Fall Wag-
ner, Die Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik,]enseits
von Gut und Böse, Zur Genealogie der Moral (darin vor allem Was
bedeuten asketische Ideale?), Unzeitgemäße Betrachtungen
(darin vor allem Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das
Leben), Menschliches-Allzumenschlichesund Ecce Homosind bis
1918 die meistzitierten Arbeiten. Manns Interesse galt dem Psy-
chologen, nicht dem Dionysier Nietzsche. Dem Willenzur Macht
und Also sprach Zarathustra konnte er daher nur wenig Ge-
schmack abgewinnen. Auch Götzendämmerung und Der Anti-
christ werden meist unter negativem Vorzeichen herangezogen.
Auch im Falle Nietzsches liest Mann Erinnerungs- und Brieflite-
ratur, um in die intime Psychologie des Philosophen einzudrin-
gen; auch hier spielt Sekundärliteratur nur eine periphere
RolleB.
Die Schopenhauer-Kenntnisse erstrecken sich auf Die Welt als
Wille und Vorstellung (vor allem das 3. und 4· Buch des 1. Bandes
und Verstreutes aus dem Ergänzungsband, z.B. Ober den Tod
und sein Verhältnis zur Unzerstörbarkeit unseres Wesens an sich
und Metaphysik der Geschlechtsliebe) und die meisten der Parerga
und Paralipomena (vor allem Ober die Universitäts-Philosophie,
Transzendente Spekulation über die anscheinende Absichtlichkeit
im Schicksale des einzelnen, Aphorismen zur Lebensweisheit,
Versuch überdasGeistersehn, Ober Religion, Ober Schriftstellerei
und Stil). In geringerem Umfang als bei Nietzsche und Wagner
werden Briefe und Erinnerungsliteratur herangezogen.
Neben den drei großenNamenerscheinen in dieser Ausgabe noch
Pfitzner, Spengler und Freud. Hans Pfitzners Oper Palestrina,
»etwas Letztes und mit Bewußtsein Letztes aus der schopen-
hauerisch-wagnerischen, der romantischen Sphäre« (S. 43), wird
1917 unter tagesaktuellen Gesichtspunkten als Zeugnis eines
»ironischen Konservativismus« (S. 52) angeeignet und den schon
bekannten Horizonten eingegliedert, ohne eine originäre Ein-
flußzone zu begründen. Nach einigen Begegnungen und Briefen
9
reißt der persönliche Kontakt mit Pfitzner 19 33 ab, bedingt durch
dessen Unterschrift unter den Protest der Richard-Wagner-Stadt
München gegen Manns Wagner-Rede von 1933 und durch die
Aktivitäten Pfitzners für kulturpolitische Institutionen des Drit-
ten Reichs.
Oswald Spenglers Untergang des AbendlandeshatThomas Mann
1919 mit großer Zustimmung gelesen und seinen Betrachtungen
eines Unpolitischen an die Seite gestellt. Er sieht Spengler als einen
pessimistischen Konservativen und schreibt:
Ich sehe in dieser Selbstverneinung eine Ironie, die mich aufs tiefste
anspricht, in dieser Resignation eine Haltung, die dem Ethos und Pathos
meines eigenen wirren und leidenden Buches aufs tiefste verwandt ist.9
Wenig später nimmt er Abstand von Spengler auf eine für seine
Denkmethode charakteristische Weise. Er wirft Spengler nun
Inhumanität vor, und zwar, in Rücknahme des Briefzitats, nicht
wegen seiner Lehre, sondern wegen der unironischen An und
Intention ihrer Verkündigung:
Es läge anders, wenn diese Haltung Ironie bärge, wie wir anfänglich
glaubten ... Wirklich kann man eine Sache wie die >Zivilisation<, nach
Spengler der biologisch-unvermeidliche Endzustand jeder Kultur und
nun auch der >abendländischen<, ja prophezeien, nicht damit sie kommt,
sondern damit sie nicht kommt, vorbeugenderweise also, im Sinne geisti-
ger Beschwörung.to
Spenglers Geschichtsmorphologie darf also inhaltlich weiterhin
Gültigkeit beanspruchen - auch bei Thomas Mann wird das 20.
Jahrhunden lebenslang als Verfallsform der abendländischen
Kultur empfunden-, doch muß die Haltung des Geistes zu dieser
Erkenntnis die des Trotzes und Protestes sein. An der Einstellung
zu Spengler vollzieht sich zuerst die bemerkenswene Wandlung
Manns vom Monarchisten zum Republikaner, und es zeigt sich,
daß die Ironie das Tor ist, durch das die Demokratie, zaghaft und
voller Vorbehalte, aber doch immerhin, ihren Einzug nimmt.
Ironie, zuerst nur passive Standhaftigkeit des Geistes gegen das
unerbittlich-Fatale des Verfalls, bereitet den Boden für den akti-
ven Kampf um Vernunft und Würde des Menschen.
Thomas Manns Freud-Kenntnisse bis zum Zauberberg (1924)11
erstrecken sich neben Sekundäraneignung aus der publizistischen
9 In einem unveröffentlichten Brief an Pranz Boll vom 2. I I. I9I9. Den Hinweis
auf diesen Brief verdanke ich Hans-Joachim Sandberg, dessen Forschungen über
die Jahre der Wandlung Thomas Manns von I9I8-I922 auch zum Verhältnis
Spengler- Mann noch manches Neue ans Tageslicht zu bringen versprechen.
10 Von deutscher Republik, XI, 8.op (Essays I1,84).
II Vgl. Jean Finck, Thomas Mann und die Psychoanalyse, Paris 1973.
IO
Diskussion vor allem auf die DreiAbhandlungen zur Sexualtheo-
rie (Wirkung auf Krokowski im Zauberberg) und auf Zeitgemä-
ßes über Krieg und Tod (Wirkung auf die Betrachtungen eines
Unpolitischen). Seit 192.5 setzt eine systematische Freud-Lektüre
ein, die nach dem Zeugnis der Anstreichungen in Manns Exemplar
der Gesammelten Schriften einen repräsentativen Teil der Arbei-
ten des reifen Freud erfaßt. Am meisten beeindruckt haben ihn
wohl Totem und Tabu und Die Zukunft einer Illusion, gut
belegbar ist darüber hinaus die Lektürevonjenseits des Lustprin-
zips, Zur Einführung des Narzißmus, Selbstdarstellung, Die Wi-
derstände gegen die Psychoanalyse und der Neuen Folge der
Vorlesungen. Das Urteil der Forschung über den Freud-Einfluß
ist kontrovers. Auf der einen Seite steht M. Dierks mit seiner im
Detail sorgfältig belegten These, »daß die Begegnung mit Freud
Themas Manns primäre Ideenwelt nicht auf die Probe stellt und
nicht verändert (... ) Die Psychoanalyse wird völlig assimiliert und
erscheint als moderne Legitimation der alten Denkvorbilder«l 2
(v. a. Schopenhauer). Auf der anderen Seite steht Jean Finck, der
mit ebenfalls guten Argumenten die Leistung der Freud-Lektüre
darin erblickt, daß sie vom Lähmenden der Frühwerkspsycholo-
gie - einer nihilistischen Desillusionspsychologie, deren heimli-
che Inhumanität im Phänomen des »Erkenntnisekels« an die
Oberf~äche tritt-, daß sie von diesem Lähmenden befreit zugun-
sten eines humanen" Wissens vom Menschen«.
Eine Lösung verspricht der Blick auf die ]oseph-Romane. Sind sie
ohne Freud denkbar? Sofern man ihren Mythosbegriff pessimi-
stisch auf Schopenhauers nunc stans und auf die Aufhebung des
principii individuationis zurückführt und somit eine ungebro-
chene Konstanz seit dem Frühwerk annimmt, wird man Dierks
rechtgeben. Sofern und insoweit jedoch der ]oseph, »jener der
Freud'schen Welt befreundete Roman« (S. 190) das Hauptwerk
des gewandelten, dem Geiste das Wort redenden und erzieheri-
schen Themas Mann ist, sofern also der Sinn des mythischen
Erzählwerks nicht in einer Bestätigung eines letztlich bindend-
Mythischen, sondern in seiner aufklärerisch-entmythologisie-
renden (wenn auch nostalgischen 13) und humoristischen Behand-
12 M. Dierks, Studien zu Mythos und Psychologie bei Thomas Mann, Bern 1972,
s. '57·
13 Es ist die Verwechslung der subjektiven Sehnsucht nach dem Mythischen mit
einem wirklich bindenden, objektiv gegebenen Mythos, was viele Interpreten
narrt. Der objektive Mythos, im 20. Jahrhundert nur Lüge und Schein, wird aus
intellektueller Wahrhaftigkeit bei Thomas Mann unwiderruflich zerstört, gegen-
wärtig bleibt aber die Trauer über eine gleichwohl norwendige Operation. Das
Mythische im foseph hat also keine archetypische Verbindlichkeit, sondern ist
Spielmaterial des aufgeklärten, freien und desillusionierten Kopfes, der seine
II
lung des Mythos liegt, hat man guten Grund, dies Freud zuzu-
schreiben, denn dies leisten die anderen Quellen des Romans
nicht. Man sieht sich also auf das Problem derWandlungzurück-
verwiesen. Diese war sicher unvollkommen, sofern sie aber doch
unübersehbar vorhanden ist, gehört Freud zu ihren wichtigsten
Bestätigungen, ermöglichte sein Werk doch gerade den Brücken-
schlag zwischen der frühen pessimistischen Metaphysik des Un-
bewußten und der von der Zeitlage geforderten aufklärerischen
Haltung. Nicht im Zeichen Settembrinis, der das Unbewußte
leugnet, sondern im Zeichen Freuds, der es trotz Anerkenntnis
seiner Obermacht zum Gegenstand von Aufklärung macht, fe-
stigt sich Manns demokratische Wandlung.
Wagner, Schopenhauer, Nietzsche, Spengler, Pfitzner, Freud: das
ist eine bunte Reihe, die nicht beanspruchen kann, Themas Manns
musikalischen und philosophischen Kosmos wirklich auszu-
schreiten. Nicht alle Einflüsse und Erfahrungen haben in Essay-
form Niederschlag gefunden. Zum musikalischen Teil wären
ergänzend heranzuziehen weitere Wagneriana des Frühwerks (in
Buddenbrooks, Tristan, Geist und Kunst, Betrachtungen eines
Unpolitischen), einige Passagen über Musik, Tod und Romantik
im Zauberberg und vor allem der große Musiker-Roman Doktor
Faustus. Er allein verläßt die einseitige Fixierung auf Wagner
zugunsten eines musikgeschichtlichen Panoramas von den An-
fängen bis zu Arnold Schönberg. Unter dem Einfluß des musikali-
schen Beraters Theodor W. Adorno und dessen im Manuskript
schon vorliegender Philosophie 'derneuen Musik erweitert sich der
musikalische Horizont noch einmal beträchtlich 14 • Musikalische
und gesellschaftliche Wahrheit, in Manns Blick aufWagnerbisher
weitgehend getrennt, verbinden sich nun zu einerpessimistischen
Gesamtkonzepcion, die Adorno auch als Philosophen für den
Dichter wichtig werden läßt. Frühere Bildungserlebnisse (Wag-
ner, Nietzsche, Freud) bündeln sich in der Philosophie Adornos,
frühere Antipoden (Hegel und Marx) werden in ihrem Lichte ein
Stück weit integrierbar. Adernos Marxismus wirkt dabei weniger
im Sinne einer Gesellschaftsutopie denn als Verstärkung der
Fatalität; indem er noch in den sublimsten Formen der Kunst den
Verrat an eine falsche Gesellschaft aufdeckt, weist er das Kunst-
werk allein auf den Weg der bestimmten Negation, die in dieser
Freiheit jedoch als Leere und Orientierungslosigkeit erfährt und deshalb gerade
mit dem Mythischen spielt: es ist Gegenstand einer Nostalgie, einer sentimen-
talischen Liebe nur, nicht des Glaubens.
14 Gründliche Unterrichtung über das Verhälmis Mann-Adorno erhält man bei
Hansjörg Dörr, Thomas Mann und Adomo, in: Literatu'f'UJissenschaftliches
fahrbuch der Görres-Gesellschaft N.F.11, 1970, S. 285-322.
!2
Härte durchzuhalten allerdings Thomas Manns Sache nicht
war.
Unter den philosophisch bedeutenden Einflüssen wäre ferner
Goethe zu nennen. Anfangs unter der Optik des »Dreigestirns«
gesehen, entwickelt er sich allmählich zu ihrem Gegengewicht
(beginnend, noch ohne rechten Glauben, in der Tod-in- Venedig-
Zeit und durchschlagend seit dem Zauberberg). Da die Goethe-
Essays zum Sachbereich des ersten Bandes dieser Ausgabe gehö-
ren und deshalb hier textlich nicht präsent sind, soll dem nicht
weiter nachgegangen werden.
I6
satz der Kunstmittel), daß er aber zugleich »an künstlerischer
Strenge und Gewissenhaftigkeit beinahe zu Grunde gehe« (dies
der Moralismus )24• Das von Nietzsche aufgedeckte Moment von
Betrug und Charlatanerie akzeptiert er wohl als objektive Be-
schreibung, nicht aber als subjektiv-moralischen Vorwurf an den
Künstler.
DieseUnterscheidung findet in Thomas Manns Augen ihre Legi-
timation bei dem dritten großen Kronzeugen: bei Schopenhauer.
Dessen Überzeugung, daß jeder im Handeln nur sein Sein zur
Entfaltung bringt, ist die Grundlage für die oben zitierte Passage
aus den Betrachtungen, deren Fortsetzung lautet:
Und daraus folgt, daß die objektiven Wirkungen eines Künstlers, auch die
breit bürgerliche Wirkung Wagners, immer für sein eigenes Sein und
Wesen beweisend sind.
Schopenhauers Philosophie, die dem Geiste gegenüber dem Sein
im Guten wie im Bösen keine Chance läßt, ermöglicht es, das
Demagogische und Histrionische, in seiner Wirkung Kalkulierte
in das Wesen des Künstlers aufzunehmen und ihm somit mora-
lisch die Last der Veränderung abzunehmen. Mag das Wesen des
Künstlers objektiv unmoralisch sein, so ist er doch subjektiv
gerettet. Der zitierte Brief an Hesse fährt in diesem Sinne fort:
Aber das ist nachträgliche Psychologie. Bei der Arbeit bin ich unschuldig
und selbstgenügsam.
Die Arbeit des analytischen Geistes, der die Feststellung der
Unmoral betrifft, ist »nachträgliche Psychologie«, nur passiv-
verstehend, nicht eingreifend, das Handeln, das Wesen nicht
verändernd: »Bei der Arbeit bin ich unschuldig«. Im Sinne Nietz-
sches »schuldige« Wirkungsmittel werden schopenhauerisierend
entlastet als notwendige Ausfaltung eines seinerseits unschuldi-
gen Seins:
Jede Kritik, auch die Nietzsche's, neigt dazu, die Wirkungen einer Kunst
als bewußte und berechnende Absicht in den Künstler zurückzuverlegen
und die Idee des Spekulativen zu suggerieren - sehr fälschlich, ganz
irrtümlich und gerade, als ob nicht jeder Künstlergenau das machte, was er
ist, was ihn selber gut und schön dünkt-, als ob es ein Künstlerturn gäbe,
dessen Wirkungen ihm selber ein Gespött und nicht zuerst auch Wirkun-
gen auf ihn, den Künstler, gewesen wären! Möge Unschuld das letzte Wort
sein, das auf eine Kunst anwendbar sei -, der Künstler ist unschuldig.
(S. 105)
Wagner als Vorbild des modernen Künstlers, gesehen in der Optik
Nietzsches, dessen Kritik um ihre Wirkungen gebracht durch das
24 Brief vom 13.6.1910 an S. Lublinski, zitiert nach Thomas-Mann-Studien I,
a.a.O. S. 213.
Palliativ Schopenhauer: dies scheint nach den bisherigen Analy-
sen die Grundkonstellation.
Im Falle Wagners erwies sich, daß Thomas Manns Interesse
wesentlich dem Spannungsfeld von Naivität und Bewußtheit,
Unschuld und gekonnter Inszenierung, mythischer Popularität
und artistischer Realisation galt. Mitgleicher Blickrichtungliest er
Nietzsche. Im Herzen die Sehnsucht nach dem Echten, Natürli-
chen und Unschuldigen, das er sich nur als Unbewußtes und
Geschenktes, nicht aus subjektivem Ehrgeiz Gewolltes vorstellen
kann, sieht er sich doch unauflöslich gekettet an den Bewußtseins-
stand seines Geistes, den er abwechselnd als Emanzipation von
der törichten Naivität preist und als Sündenfall mit unwiderrufli-
cher Vertreibung aus dem Paradies verdammt. Diese Situation hat
Nietzsche als Dekadenz beschrieben. Seine Leistung ist das Ent-
larven der heimlichen Schwäche einer an der Oberfläche starken
und selbstbewußten Zeit, im Falle Wagners das Entlarven des
scheinbar Gesunden, Unschuldigen und Monumentalen als blo-
ßer Stimulantia zum letzten Reiz erschöpfter Nerven, das Entlar-
ven der Größe als einer bloßen Veranstaltung zur Erzielung der
Wirkungen von Größe auf der steten Flucht vor dem nihilisti-
schen Bewußtsein der Sinnlosigkeit dieser ganzen Mühe. Ein
solcher Künstler der Dtkadence ist auch Thomas Manns Gustav
von Aschenbach,
der Dichterall derer, die am Rande der Erschöpfung arbeiten, der über-
bürdeten, schon Aufgeriebenen, sich noch Aufrechthaltenden, all dieser
Moralisten der Leistung, die, schmächtig von Wuchs und spröde von
Mitteln, durch Willensverzückung und kluge Verwaltung sich wenigstens
eine Zeitlang die Wirkungen der Größe abgewinnen.25
Das ist Nietzsches Blick auf Wagner, zugleich Manns Blick auf
sich selbst. Nietzsche ist für ihn »nicht so sehr der Prophet
irgendeines unanschaulichen >Übermenschen<«, sondern »der
unvergleichlich größte und erfahrenste Psychologe der Deka-
denz« (S. 35). Als Nietzsches in allem gegenwärtigen Grundge-
danken betrachtet er den Begriff des Lebens und der Kultur:
Kultur, das ist die Vornehmheit des Lebens, und mit ihr verbunden, als
ihre Quellen und Bedingungen, sind Kunst und Instinkt, während als
Todfeinde und Zerstörervon Kulturund LebenBewußtsein und Erkennt-
nis, die Wissenschaft und endlich die Moral figurieren ... (S. 24 3)
Von Nietzsche hat Thomas Mann damit die Wendung des Be-
wußtseins gegen sich selbst. Wie Nietzsche will er »die radikalste
Psychologie einem anti-radikalen, anti-nihilistischen Willen«
25 Der Tod in Venedig,VIII,4SJf.
dienstbar machen (S. 39), wie Nietzsche weiß er aber auch, daß es
keine bewußte Naivisierung, kein willentliches Unbewußt26 gibt.
Sein Ausweg ist die Ironie27, Ironie als die Selbstverleugnung des
Bewußtseins zugunsten des Lebens erlaubtes, sowohl dem Stande
des Geistes Rechnung zu tragen als auch seiner Dienstbarkeit
gegenüber dem Leben. Ironie ist Nietzsches Demaskierungspsy-
chologie ohne Willen zur Veränderung. (>>Der Ironiker ist konser-
vativ.«28) Ironie ist es, Wagner in der Optik Nietzsches zu sehen
und dennoch zu bejahen. Ironie ist die Selbstthematisierung der
Dekadenz: sie wird nicht mehr, wie bei Wagner, mit kalkulierten
Kraftakten betäubt, sondern ist sich ihrer selbst mit leiser Melan-
cholie bewußt, wobei der Gestus der Ironie das Geständnis ablegt,
es handle sich um eine schwächende, dem Leben nicht hilfreiche
Erkenntnis.
Nietzsche hatte Wagner »entlarvt«, und wenn Mann mit Be-
wußtsein die Larven Wagners wieder aufsetzte, so ging dies nur im
Geiste der Ironie. Thomas Mann ist ein ironischer Wagner, dessen
Mittel verwendend, aber unter Hinweis auf ihren Mangel an
Unschuld. Die Intellektualität der Kunstmittel wird nicht ver-
steckt, sondern vorgezeigt, die Dekadenz wird zugegeben mit
dem Willen zur Distanz von ihr, mit dem Willen zum Leben, aber
ohne die Fähigkeit dazu29. Mit Hilfe der Ironie will Thomas Mann
sowohl Wagner wie auch Nietzsche gerecht werden.
Auch beim Einfluß Schopenhauers handelt es sich primär um die
Rolle des Bewußtseins, und zwar findet sich hier die Grundlage,
von der aus auch Nietzsche gesehen wird. Nietzsche sei Schopen-
hauerianer (S. 228). Psychologe sei er kraftdes schopenhaueri-
schen Befundes, daß nicht der Intellekt den Willen hervorbringt,
sondern umgekehrt:
Der Intellekt als dienendes Werkzeug des Willens: das ist der Quellpunkt
aller Psychologie, einer Verdächtigungs-und Entlarvungspsychologie ...
(S. 247, par. S. 232, S. 202)
Diese etwas klägliche Rolle des Intellekts zieht einige wichtige
Danach nun wäre jeder Mensch das, was er ist, erst infolge seiner
Erkenntnis geworden: er käme als moralische Null auf die Welt,
erkennte die Dinge in dieser und beschlösse darauf, der oder der zu sein,
so oder so zu handeln (... ). Meiner ganzen Grundansicht zufolge
nämlich ist jenes alles eine Umkehrung des wahren Verhältnisses. Der
Wille ist das Erste und Ursprüngliche, die Erkenntnis bloß hinzuge-
kommen, zur Erscheinung des Willens als ein Werkzeug derselben
gehörig. (... ) Darum kann er [der Mensch] nicht beschließen, ein
solcher oder solcher zu sein, noch auch kann er ein anderer werden;
sondern er ist ein für allemal und erkennt sukzessive, was er ist. Bei
jenen will er, was er erkennt, bei mir erkennt er, was er will.30
Während der Mensch und das Dasein im Konkreten und Einzel-
nen durch Erkenntnis nicht verändert werden können, erzielt
Erkenntnis bestenfalls die Distanzierung vom Willen, vom Da-
sein überhaupt im Ganzen. Dies ist eine weitere Basistheorie für
Manns Kunstprinzip der Ironie: im Sinne einer entlarvenden
Selbstkritik des Geistes in seinem schmählichen Verhältnis zum
Leben, die nichts Einzelnes zu verändern beabsichtigt, aber doch
in der Distanz zum Ganzen eine Art Freiheit gewinnt:
Im Menschen also kann der Wille zum völligen Selbstbewußtsein, zum
deutlichen und erschöpfenden Erkennen seines Wesens (... ) gelangen.
Aus dem wirklichen Vorhandensein dieses Grades von Erkenntnis geht
( ...)die Kunst hervor.
30 Die Welt als Wille und Vorstellung§ 55, Werke (hrsg. v. Löhneysen) Band I,
s. 40).
3! ebd. S. 397.
20
in der Optik Schopenhauers nur als ein Beispiel mehr für die
beschämende Dienstbarkeit des Geistes gegenüber dem Leben.
Schopenhauer wirkt lähmend, weil enthistorisierend: er münzt
die Dekadenzsituation aus einer historischen Erfahrung in eine
von der ewigen Handlungsunfähigkeit des Geistes um. Unter
dieser Voraussetzung kann man trotz Nietzsche Wagnerianer
bleiben, sofern man es nicht gläubig, sondern im Geiste der Ironie
tut. Wagner liefert die Mittel der Kunst, Nietzsche ihre Entlar-
vung und Schopenhauer die Grundkonzeption, die es möglich
macht, sowohl die Mittel als auch ihre Entlarvung beizubehalten,
indem die Entlarvung der Mittel als ironisches Selbstdementi des
eigenen Willens verstanden wird. Der Geist macht also Kunst-
werke, an die er gar nicht glaubt, aber er tut dies nicht zum Zwecke
des Betrugs, sondern um in der Form der Ironie zugleich von dem
in ihren Inhalten ausgedrückten Willen zum Leben Abstand zu
gewinnen. Mittels ·Ironie also wird jenes Freiwerden vom Willen
erzielt, das nach Schopenhauer die Leistung der Kunst ist3Z.
Lähmend auf die Impulse der Wagnerkritik wirkte auchSchopen-
hauers Ethik. Thomas Mann bemerkt in Geist und Kunst:
Die Kritiker nehmen die Künstler viel zu bewußt, viel zu moralisch. Sie
glauben nicht genug an die Notwendigkeitund Verantwortungslosigkeit
des künstlerischen Thuns. Sie nehmen an, daß es einem Künstler freige-
standen hätte, ein Werk nicht oder anders zu schaffen, - ein immer
wiederkehrendes Mißverständnis.33
Schopenhauer hatte generell formuliert, es halte sich jeder a priori
in den einzelnen Handlungen für frei in dem Sinne, daß ihm in jedem
gegebenen Fall jede Handlung möglich wäre, und erst a posteriori, aus der
Erfahrung und demNachdenken über die Erfahrung, erkennt er, daß sein
Handeln ganz notwendig hervorgeht aus dem Zusammentreffen des
Charakters mit den Motiven.34
Diese N otwendig~eit ist es, die alle meliorisierenden Hoffnungen
des Geistes als Illusion entlarvt. Auch auf Wagner wird man
Schopenhauers harten Satz anwenden dürfen:
Mit dem strengsten Rechte trägt sonach jedes Wesen das Dasein über-
haupt, sodann das Dasein seiner Art und seiner eigentümlichen Individua-
lität, ganz, wie sie ist, und unter Umgehungen, wie sie sind, in einer Welt,
so, wie sie ist (... ): und in allem, was ihm widerfährt, ja nur widerfahren
kann, geschieht ihm immer Recht.35
32 Vgl. die von Thomas Mann gern zitierte Passage Die Welt als WiUe und
Vorstellung§ 38 (Werke I, z8o), siehe S. 207.
33 Thomas-Mann-Studien I, a.a.O. S. zu.
34 Die Welt als Wille und Vorstellung§ 55 (Werke I, 398).
35 Die Welt als Wille und Vorstellung § 63 (Werke I, 480), zitiert von Thomas
Mann, siehe S. 210.
21
Dem ethischen Grundsatze gemäß, >>daß der bessere Mensch der
ist, welcher zwischen sich und den andern den wenigsten Unter-
schied macht<< 36, weil er die Notwendigkeit auch im andern
erkannt hat, hat Thomas Mann ein gebrochenes Verhältnis zur
Kritik. Wer im anderen die Notwendigkeit erkennt und es daher
ablehnt, subjektive Böswilligkeit (die man ja auch bei sich selbst
nicht annimmt) als Motiv der Handlungen zu unterstellen, dessen
Kritik wird niemals laut und fordernd sein können, vielmehr,
trotzEntlarvungund mittels ihrer, mitleidend und liebend. Wäh-
rend alle Zeitkritik glaubt, irgend jemand hätte seine Sache anders
und besser machen können, ist nach Schopenhauer alles Handeln
nur Entfaltung eines vorausliegenden und nicht ad hoc veränder-
baren Seins, das gelegentliche >>Ausreißversuche<< des Geistes
ohnehin binnen kurzem wieder zurückholt3 7• In Form des Unter-
schieds zwischen »Sein<< und bloßem >>Meinen<< istThomasMann
immer wieder auf diese Auffassungen zurückgekommen, um mit
ihrer Hilfe scheinbare U mdeutungen, scheinbareWandlungenals
tiefere Konstanzen zu enthüllen, sowohl in seinem eigenen Falle 38
wie in dem Nietzsches (siehe S. 4 I), Schopenhauers (siehe S. 228)
oder Wagners (siehe S. I I4). Er lehnt es ab, >>Brüche<< in der
Entwicklung seiner großen Inspiratoren zu sehen (S. 242 ), weil er
Identität schopenhauerisch denkt: es ist nur ein Wille, dem der
Intellekt auf verschiedene Weise dienstbar ist.
Das Sein, nicht die Meinung, den Willen, nicht die dienstbare
Interpretation des Geistes zu sehen bedeutet zugleich, die ästheti-
sche Form und die geistige Grundstimmung einer Aussage, nicht
ihren Inhalt wichtig zu nehmen. Das Ästhetisch-Formale ist
Ausdruck des Seins, das Inhaltliche oft nur des >>Meinens<<. Scho-
penhauer selbst wird ironischerweise so gemessen- >>hervorra-
gend ästhetischer Art<< sei das Vergnügen an einer solchen Phi-
losophie (S. I93), sie wirke weniger durch ihre Moral und Weis-
heitslehre als vielmehr durch ihre Vitalität, >>durch ihre Leiden-
schaft mehr als durch ihre Weisheit<< (S. 2I9). Auch Nietzsches
intellektuell widersprüchliche Philosophie erscheint als bruch-
22
lose Einheit unter dem Gesichtspunkt der ästhetischen Gesamt-
präsentation seines Lebens: >>nur als ästhetisches Phänomen ist es
zu rechtfertigen« (S. 260 ). Die ästhetische Befriedigung erlaubt es,
über inhaltliche Schwächen und Inkonsequenzen hinwegzuse-
hen; das Intellektuelle ist ohnehin >>essentiell wenig entschei-
dend« (S. 94). So wird Schopenhauer trotzseiner intellektuellen
Absage an den Willen zum Leben essentiell als Erotiker verstan-
den, der von der Macht dieses Willens unabsichtlich Zeugnis
ablegt. So wird Nietzsche ungeachtet seiner Verherrlichung des
Lebenswillens als lebensfeindlicher lntellektualist und Literat
verstanden, der Form seines Werkes halber, die seine Inhalte
dementiert: das entscheidende Gewicht liege auf der Frage, was
einer ist, nicht auf jener, was einer will und meint (S. 41). »Nietz-
sche's Lehre also warfür Deutschland weniger neu und revolutio-
nierend (... ) als die Art, in der er lehrte<< (ebd. ).
24
Dennoch sollte man das Pflichtbewußtsein, mit dem er sich gegen
die Prädispositionen seiner geistigen Herkunft zu stemmen sucht,
nicht gering achten. Es bleibt eine bedeutende moralische und
intellektuelle Leistung, sich von solchen Ausgangspunkten her
zum kämpferischen Humanisten zu entwickeln. Die niederzie-
henden Erkenntnisse, die aus Wagner, Nietzsche und Schopen-
hauer zu gewinnen waren, werden zwar nicht wirklich widerlegt,
erweisen sich aber angesichts der Herausforderungen des 20.
Jahrhunderts als so unpraktikabel und verantwortungslos, daß
Thomas Mann sie nicht mehr zum Tragen kommen läßt. Die neue
Maxime lautet vielmehr mit den Worten Sigmund Freuds:
Wir mögen noch so oft betonen, der menschliche Intellekt sei kraftlos im
Vergleich zum menschlichen Triebleben, und recht damit haben. Aber es
ist dochetwas Besonderes um diese Schwäche; die Stimme des Intellekts ist
leise, aber sie ruht nicht, ehe sie sich Gehör geschafft hat. Am Ende, nach
unzählig oft wiederholten Abweisungen, findet sie es doch. (S. 169)
EINKEHR
Doch, auch ich habe teil daran . . . und nun wollen wir der
Einfachheit halber all jene Exküsen übergehen, die selbstver-
ständlich im höchsten Grade am Platze sind, wenn heutigentags
jemand Miene macht, von sich selbst zu reden. »Eine Welt-
wende!« höreich sagen. »Der rechte Augenblick, in der Tat, für
einen mittleren Schriftsteller, unsere Aufmerksamkeit für seine
werte literarische Persönlichkeit in Anspruch zu nehmen!« Das
nenne ich gesunde Ironie. Auf der anderen Seite jedoch überlege
ich, ob eine Weltwende nicht bei Lichte besehen für jedermann
recht wohl der Augenblick ist, in sich zu gehen, mit seinem
Gewissen Rats zu pflegen und eine General-Revision der eigenen
Grundlagen anzusetzen,- begreiflich wenigstens und entschuld-
bar erscheint mir ein solches Bedürfnis dort, wo auch in Hochzei-
ten der äußeren Politik und der >Macht< die innere Politik und die
moralischen Angelegenheiten das beherrschende Interesse blei-
ben. Nur die Sympathie freilich, nicht Gleichgültigkeit oder
Abneigung, wird zu überzeugen sein, daß es sich um Gewissens-
drang handelt, wo die Diagnose auf Selbstverliebtheit und eitle
Anmaßung im entferntesten möglich ist. Indem ich mich an-
schicke, geschmacklos zu sein, muß ich mir ein kleines Publikum
von Freunden, mir bekannten und unbekannten, einbilden dür-
fen: Freunden in dem Sinne, daß ihnen aus dem ernsten und
heiteren Anteil, den sie an meinem früheren Treiben und Schrei-
ben genommen haben, eine gewisse Mitverantwortlichkeit dafür
erwächst und bewußt ist,- Freunden also im Sinn jener Gewis-
sens-Solidarität, die einen Künstler mit seinem wahren Publikum
verbindet und die stark genug sein möge, um auch ihnen, wie mir,
über das zeitlich Gewagte der folgenden Abschnitte hinwegzu-
helfen.
Die Sache fängt damit an, daß mein Recht auf >Patriotismus< mit
gutem Fug bezweifelt werden könnte, denn ich bin kein sehr
richtiger Deutscher. Zu einem Teil romanischen, latein-amerika-
nischen Blutes, war ich von jung aufmehr europäisch-intellektuell
als deutsch -poetisch gerichtet,- ein Unterschied, nein, ein Gegen-
satz, über den, wie ich hoffen muß, von vornherein Einverständ-
nis herrscht, so daß ich nicht weiter darauf zu bestehen brauche.
Ein deutscher Dichter zu sein, wie etwa Gerhart Hauptmann, wie
noch Herbert Eulenberg es ist, habe ich mir nie einzureden
versucht, -wobei ich mich beeile, hinzuzufügen, daß hier keinen
Augenblick vom Range, sondern ausschließlich vom Wesen die
Rede ist. Diejenige Begabung, die sich aus synthetisch-plastischen
und analytisch-kritischen Eigenschaften zusammensetzt und die
Kunstform des Romans als die ihr gemäße ergreift, ist überhaupt
nicht eigentlich deutsch, der Roman selbst keine recht deutsche
Gattung; vorderhand ist es nicht vorstellbar, daß hierzulande-im
>unliterarischen Lande<- ein Schriftsteller, ein Prosaist und Ro-
manschreiber im Bewußtsein der Nation zu repräsentativer Stel-
lung aufsteige, wie der Poet, der reine Synthetiker, der Lyriker
oder Dramatiker es vermag. Ich sage: vorderhand, denn der
Zivilisationsliterat will, daß es anders werde, und er weiß, warum.
Es ist sicher, daß ein Vortreten des Romans oder genauer: des
Gesellschaftsromans im öffentlichen Interesse der exakte Grad-
messer wäre für den Fortschritt jenes Prozesses der Literarisie-
rung, Demokratisierung und ,Vermenschlichung< Deutschlands,
von dem ich sprach, und den anzufeuern die eigentliche Angele-
genheit und Sendung des Zivilisationsliteraten ist.
Kommen wir aufs Persönliche zurück! Ich sagte, ich sei kein sehr
guter und richtiger Deutscher,- und ließ dabei freilich in meinem
Falle jene letzte Vorsicht außer acht, die ich im Falle des Zivilisa-
tionsliteraten sorgfältig walten ließ. Gegen mich selbst darf ich
unbedenklicher vorgehen. Dennoch vergesse ich auch hier nicht
ganz, daß es beinahe zur deutschen Humanität gehört, sich un-
deutsch, und selbst antideutsch aufzuführen; daß eine denNatio-
nalsinn zersetzende Neigung zum Kosmopolitischen nach maß-
geblichemUrteil vomWesender deutschen Nationalität untrenn-
bar ist; daß man seine Deu tschheit möglicherweise verlieren muß,
um sie zu finden; daß ohne einen Zusatz von Fremdem vielleicht
kein höheres Deutschtum möglich ist; daß gerade die exemplari-
schen Deutschen Europäer waren und jede Einschränkung ins
Nichts-als-Deutsche als barbarisch empfunden hätten. Den gro-
ßen Schiller hat noch Fontane einen Halbfremden genannt, und
wenn sein rhetorisches Drama eigentlich im grandsiede zu Hause
ist, so fehlt nicht viel, daß Nietzsche dasWerk des anderen großen
deutschen Theatralikers in die französische Romantik verweist.
Was Goethe betrifft, so sind mindestens die>Wahlverwandtschaf-
ten< formal genommen kein sehr deutsches Werk, wie denn
28
überhaupt die Prosa dieses Schriftstellers zuweilen französiert,
daß es eine Schande ist (eine Erscheinung, die bei dem >Polen<
Nietzsche nicht weiter auffallen kann), während Schopenhauer
seine Paragraphen zunächst ins Lateinische übersetzt zu haben
scheint, um sie dann mit einem Gewinst an erzen-unsterblicher
Präzision ins Deutsche zurückzuübersetzen ... Zu solchen natio-
nalen Unzuverlässigkeiten unserer Großen also hat man sich
gewöhnt, gute Miene zu machen, und sich einfach entschlossen,
dergleichen in den Begriff des höheren Deutschtums aufzuneh7
men. Unterdessen bin ich nicht so toll, das Europäisieren meines
Geschmacks mit meinem Range in Verbindung zu bringen, (aber
von dem sollte ja überhaupt nicht die Rede sein). Es ist kein
Verdienst, wenn es kein Tadel ist, daß intim und exklusiv Deut-
sches mir niemals genügen wollte, daß ich nicht viel damit anzu-
fangen wußte. Mein Blut bedurfte europäischer Reize. Künstle-
risch, literarisch beginnt meine Liebe zum Deutschen genau dort,
wo es europäisch möglich und gültig, europäischer Wirkungen
fähig, jedem Europäer zugänglich wird. Die drei Namen, die ich
zu nennen habe, wenn ich mich nach den Fundamenten meiner
geistig-künstlerischen Bildung frage, dieseNamenfür ein Dreige-
stirn ewig verbundener Geister, das mächtig leuchtend am deut-
schen Himmel hervortritt, - sie bezeichnen nicht intim deutsche,
sondern europäische Ereignisse: Schopenhauer, Nietzsche und
Wagner.
Das kleine, hochgelegene Vorstadtzimmer schwebt mir vor Au-
gen, worin ich, es sind sechzehn Jahre, tagelang hingestreckt auf
ein sonderbar geformtes Langfauteuil oder Kanapee, >Die Welt als
Wille und Vorstellung< las. Einsam-unregelmäßig, weit- und
todsüchtige Jugend - wie sie den Zaubertrank dieser Metaphysik
schlürfte, deren tiefstes Wesen Erotik ist und in der ich die geistige
Quelle der Tristan-Musik erkannte! So liest man nur einmal. Das
kommt nicht wieder. Und welch ein Glück, daß ich ein Erlebnis
wie dieses nicht in mich zu verschließen brauchte, daß eine schöne
Möglichkeit, davon zu zeugen, dafür zu danken, sofort sich
darbot, dichterische Unterkunft unmittelbar dafür bereit war!
Denn zwei Schritte von meinem Kanapee lag aufgeschlagen das
unmöglich und unpraktisch anschwellende Manuskript - Last,
Würde, Heimat und Segen jenes seltsamen J ünglingsalters, höchst
problematisch, was seine öffentlichen Eigenschaften und Aus-
sichten betraf-, welches eben bis zu dem Punkte gediehen war,
daß es galt, Thomas Buddenbrook zu Tode zu bringen. Ihm, der
mir mystisch-dreifach verwandten Gestalt, dem Vater, Sprößling
und Doppelgänger schenkte ich das teure Erlebnis, das hohe
Abenteuer, in sein Leben, dicht vor dem Ende, wob ich es
erzählend ein, denn mir schien, daß es ihm wohl anstehe, - dem
Leidenden, dertapfer standgehalten, dem Moralisten und >Milita-
risten< nach meinem Herzen, dem späten und komplizierten
Bürger, dessen Nerven in seiner Sphäre nicht mehr heimisch sind,
dem Mitregenten einer aristokratischen Stadtdemokratie, wel-
cher, modern und fragwürdig geworden, unherkömmlichen Ge-
schmacks und von entwickelt europäisierenden Bedürfnissen, die
gesunder, enger und echter gebliebene Umgebung zu befremden
und- zu belächeln längst begonnen hat. In der Tat, den Fund, den
Thomas Buddenbrook vor seinem Ende in einem verstaubten
Winkel seines Bücherschrankes machte, - er machte ihn nur
scheinbar zufällig, nicht viele Jahre vorher hatte Europa, das
intellektuelle Europa, mit dem der Mittelstadt-Honoratiore ner-
vös sympathisierte, denselben Fund gemacht, der Pessimismus
Arthur Schopenhauers herrschte, er war große Mode im intellek-
tuellen Europa: denn dieser deutsche Philosoph war kein >deut-
scher Philosoph< mehr im herkömmlichen, unzugänglich-abstru-
sen Sinne- er war wohl freilich sehr deutsch (kann man Philosoph
sein, ohne deutsch zu sein?) - sehr deutsch, insofern er zum
Beispiel durchaus kein Revolutionär, kein Busen-Rhetor und
Menschheitsschmeichler, sondern Metaphysiker, Moralist und
politisch, gelinde gesagt, indifferentwar ... Aber er waretwas sehr
Überraschendes und Dankenswertes darüber hinaus: ein ganz
großer Schriftsteller nämlich, ein Schöngeist und Sprachmeister
von umfassendsten literarischen Wirkungsmöglichkeiten, ein eu-
ropäischer Prosaist, wie es deren vorher unter Deutschen viel-
leicht zwei, drei und keineswegs unter deutschen Philosophen
gegeben hatte ... Ja, das war neu, und die Wirkung davon war
groß: auf das intellektuelle Europa, welches die Mode durch-
machte und >überwand<, auf Thomas Buddenbrook, der starb-,
und auf mich, der nicht starb und dem ein überdeutsches Geistes-
erlebnis zu einer der Quellen seines literarisch so anstößigen
>Patriotismus< wurde.
Es war um dieselbe Zeit, daß meine Passion für das Kunstwerk
Richard Wagners auf ihre Höhe kam oder doch ihrem Höhepunkt
sich näherte: ich sage >Passion<, weil schlichtere Wörter, wie
>Liebe< und >Begeisterung<, die Sache nicht wahrhaft nennen
würden. Die Jahre der größten Hingebungsfähigkeit sind nicht
selten zugleich auch diejenigen der größten psychologischen
Reizbarkeit, welche in meinem Falle durch eine gewisse kritische
Lektüre noch mächtig verschärft wurde; und Hingabe zusammen
mit Erkenntnis - eben dies ist Passion. Die innig-schwerste und
JO
fruchtbarste Erfahrung meiner Jugend war diese, daß Leiden-
schaft hellsichtig- oder ihres Namens nicht wert ist. Blinde Liebe,
nichts als panegyrisch-apotheosierende Liebe- eine schöne Sim-
pelei! Eine gewisse Art approbierter Wagner-Literatur habe ich
nie auch nur lesen können. Jene verschärfend kritische Lektüre
aber, von der ich sprach, war diejenige der Schriften Friedrich
Nietzsche's: insbesondere sofern sie Kritik des Künstlertums,
oder, was bei Nietzsche dasselbe besagt, Wagnerkritik sind. Denn
überall, wo in diesen Schriften vom Künstlerund Künstlerturn die
Rede ist-und es ist auf keine gutmütigeWeise davon die Rede-, da
ist der Name Wagners, sollte er auch im Texte fehlen, unbedenk-
lich einzusetzen: Nietzsche hatte, wenn nicht die Kunst selbst-
aber auch dies könnte man behaupten -, so doch das Phänomen
>Künstler< durchaus an Wagner erlebt und studiert, wie dann der
so viel geringere Nachkömmling das Wagnersehe Kunstwerk
und in ihm beinahe die Kunst selbst durch das Medium dieser
Kritik leidenschaftlich erlebte- und dies in entscheidenden Jah-
ren, so daß all meine Begriffe von Kunst und Künstlerturn auf
immer davon bestimmt, oder, wenn nicht bestimmt, so doch
gefärbt und beeinflußtwurden-und zwar in einem nichts weniger
als herzlich-gläubigen, vielmehr einem nur allzu skeptisch-ver-
schlagenen Sinn.
Erkennende Hingabe, hellsichtige Liebe - das ist Passion. Ich
versichere, daß die Inständigkeit meiner Wagner-Leidenschaft
nicht die mindeste Einbuße dadurch erlitt, daß sie sich in Psycho-
logie und Kritik brach - einer Kritik und Psychologie, die an
Raffinement ihrem zauberischen Gegenstande, wie man weiß,
gewachsen ist. Im Gegenteil, ihren feinsten und schärfsten Stachel
erhielt sie erst eben hierdurch, sie wurde erst eben hierdurch recht
zur Leidenschaft- mit allden Ansprüchen, die eine rechte Passion
an die nervöse Spannkraft nur immer stellen kann. Die Kunst
Wagners, so poetisch, so >deutsch< sie sich geben möge, ist ja an
und für sich eine äußerst moderne, eine nicht eben unschuldige
Kunst: Sie ist klug und sinnig, sehnsüchtig und abgefeimt, sie weiß
betäubende und intellektuell wachhaltende Mittel und Eigen-
schaften auf eine für den Genießenden ohnehin strapaziöseWeise
zu vereinigen. Aber die Beschäftigung mit ihr wird beinahe zum
Laster, sie wird moralisch, wird zur rücksichtslos ethischen Hin-
gabe an das Schädliche und Verzehrende, wenn sie nicht gläubig-
enthusiastisch, sondern mit einer Analyse verquickt ist, deren
gehässigste Erkenntnisse zuletzt eine Form der Verherrlichung
und wiederum nur Ausdruck der Leidenschaft sind. Noch im
>Ecce homo< ist eine Seite über den>T ristan<, welche Beweis genug
JI
wäre, daß Nietzsche's Verhältnis zu Wagner bis in die Paralyse
hinein heftigste Liebe geblieben ist.
Der intellektuelle Name für >Liebe< lautet >Interesse<, und der ist
kein Psycholog, der nicht weiß, daß Interesseeinen nichts weniger
als matten Affekt bedeutet,- vielmehr einen, der zum Beispiel den
der >Bewunderung< an Heftigkeit weit übertrifft. Es ist der eigent-
liche Schriftsteller-Affekt, und Analyse vernichtet ihn nicht nur,
sondern er saugt, sehr anti-spinozistisch, beständig Nahrung aus
ihr. Es ist also nicht der Panegyrikus, es ist die Kritik, und zwar die
böse und selbst gehässige Kritik, ja geradezu das Pamphlet,
vorausgesetzt, daß es geistreich und Produkt der Leidenschaft ist,
- worin passioniertes Interesse sein Genüge findet: die bloße
Lobpreisung schmeckt ihm schal, es findet, daß nichts daraus zu
lernen ist. Ja, sollte es etwa selbst dahin gelangen, den Gegenstand,
die Persönlichkeit, das Problem, für das es brennt, produktiv zu
'feiern, so wird etwas Wunderliches zustande kommen, welches
im Mißverstandenwerden beinahe seine Ehre sucht, ein Erzeugnis
hinterhältiger und verschmitzt irreführender Begeisterung, das
auf den ersten Blick einem Pasquill zum Verwechseln ähnlich
sieht. Ich gab kürzlich ein kleines Beispiel dafür, als ich eine
historisierende Schrift, einen Abriß des Lebens Friedrichs von
Preußen, zur Kriegdiskussion beisteuerte,- ein von den Zeitereig-
nissen eingegebenes, ja abgepreßtes Werkchen, dessen Veröffent-
lichung mir im ersten Augenblick- der Krieg währte noch nicht
lange - von besorgten Freunden dringend widerraten wurde:
und zwar nicht seines die Literatur beleidigenden >Patriotismus<
wegen, sondern aus gerade entgegengesetzten Gründen ...
Ich weiß wohl, wohin ich steuere, wenn ich von diesen Dingen
rede. Nietzsche und Wagner - sie sind beide große Kritiker des
Deutschtums: dieser auf mittelbar-künstlerische, jenerauf unmit-
telbar-schriftstellerische Weise, - wobei, wie es modern ist, die
künstlerische Methode an intellektueller Bewußtheit und Un-
Einfalt der schriftstellerischen nicht nachsteht. Es hat, wie gesagt,
wenn man Nietzsche beiseite nimmt, in Deutschland nie eine
Wagner-Kritik gegeben, -denn das >unliterarische< Volk ist damit
auch das un- und anti-psychologische. Baudelaire und Barres
haben bessere Dinge über Wagner gesagt, als in irgendwelchen
deutschen Wagner-Biographien und -Apologien zu finden sind,
und in diesem Augenblick ist es ein Schwede, W. Peterson-Berger,
der in seinem Buche >Richard Wagner als Kulturerscheinung< uns
Deutschen einige Winke darüber erteilt, in welcher Haltung man
etwa gut tut, sich einer so im ungeheuersten Sinne interessanten
Erscheinung nähern: in demokratisch aufrechter Haltung näm-
32
lieh, die es gestattet, überhaupt etwas davon zu sehen. Der
Schwede spricht da von Wagners Nationalismus, seiner Kunst als
einer national deutschen, und bemerkt, daß die deutsche Volks-
musik die einzige Richtung sei, die von seiner Synthese nicht
umfaßt werde. Zu Charakterisierungszwecken könne er wohl
mitunter, wie in den >Meistersingern< und im >Siegfried<, den
deutschen Volkston anschl?-gen, aber dieser bilde nicht die
Grundlage und den Ausgangspunkt seiner Tondichtung, sei nie-
mals der Ursprung, aus dem sie spontan hervorsprudele, wie bei
Schumann, Schubert und bei Brahms. Es sei notwendig, zwischen
Volkskunst und nationaler Kunst zu unterscheiden; der erstere
Ausdruck ziele nach innen, der letztere nach außen. Wagners
Musik sei mehr national als volkstümlich; sie habe wohl viele
Züge, die namentlich der Ausländer als deutsch empfinde, aber sie
habe dabei ein unverkennbar kosmopolitisches Cachet.- Nun, es
ist leicht, treffend zu sein, wenn man sehr zugespitzt ist. In derTat
ist Wagner als geistige Erscheinung so gewaltig deutsch, daß mir
immer schien, man müsse unbedingt sein Werk mit Leidenschaft
erlebt haben, um von der tiefen Herrlichkeit sowohl wie von der
quälenden Problematik deutschen Wesens irgend etwas- wenn
nicht zu verstehen, so doch zu ahnen. Aber außerdem, daß dieses
Werk eine eruptive Offenbarung deutschen Wesens ist, ist es auch
eine schauspielerische Darstellung davon, und zwar eine Darstel-
lung,. deren Intellektualismus und plakathafte Wirksamkeit bis
zum Grotesken, bis zum Paradisehen geht,- eine Darstellung, die,
sehr roh gesprochen, momentweise nicht völlig über den Ver-
dacht erhaben ist, Beziehungen zur Fremdenindustrie zu unter-
halten, und die bestimmt erscheint, ein neugierig schauderndes
Entente-Publikum zu dem Ausrufe hinzureißen: »Ah, ~a c'est
bien allemand par exemple!«
Wagners Deutschtum also, so wahr und mächtig es sei, ist modern
gebrochen und zersetzt, dekorativ, analytisch, intellektuell, und
seine Faszinationskraft, seine eingeborene Fähigkeit zu kosmo-
politischer, zu planetarischer Wirkung stammt daher. Seine Kunst
ist die sensationellste Selbstdarstellung und Selbstkritik deut-
schen Wesens, die sich erdenken läßt, sie ist danach angetan, selbst
einem Esel von Ausländer das Deutschtum interessant zu machen,
und die leidenschaftliche Beschäftigung mit ihr ist immer zugleich
eine leidenschaftliche Beschäftigung mit diesem Deutschtum
selbst, das sie kritisch-dekorativ verherrlicht. Sie wäre das an und
für sich, aber wie sehr wird sie es erst sein, wenn sie sich von einer
Kritik leiten läßt, die, während sie der Kunst Wagners zu gelten
scheint, in Wahrheit dem Deutschtum im allgemeinen gilt, wenn
33
auch nicht immer so unmittelbar ausgesprochenerweise wie in
jener herrlichen Analyse des Meistersinger-Vorspiels zu Anfang
des Achten Hauptstücks von >Jenseits von Gut und Böse<. In
Wahrheit, wenn Nietzsche als Wagner-Kritiker im Auslande
Rivalen hat, als Kritiker des Deutschtums hat er deren nirgends,
weder draußen noch daheim: er ist es, der bei weitem das Böseste
und Beste darüber gesagt hat, und die Genialität der Beredsam-
keit, die ihn ergreift, die ihn trägt, wenn er auf deutsche Dinge, auf
das Problem des Deutschtums zu reden kommt, ist Zeugnis seines
durchaus leidenschaftlichen Verhältnisses zu diesem Gegenstand.
Von Nietzsche's Deutschfeindlichkeit zu reden, wie es in
Deutschland zuweilen geschieht - das Ausland, dank seinem
weiteren Abstande, sieht richtiger -, ist ebenso plump, wie es
wäre, ihn einen Anti-Wagnerianer zu nennen. Er liebte Frank-
reich aus artistisch-formalen, wenn auch gewiß nicht aus politi-
schen Gründen; aber man zeige mir die Stelle, wo er von Deutsch-
land mit jener Verachtung spricht, die englischer Utilitarismus,
englische Unmusikalität ihm erweckten! Auf ihn, wahrhaftig!
mögen jene politischen Sittenrichter sich nicht berufen, die sich
anmaßen, ihr Volk literarisch zu züchtigen, es mit der klappern-
den Terminologie des westlichen Demokratismus zu schulmei-
stern, aber nie, niemals im Leben ein einziges Wort der erkennen-
den Leidenschaft fanden, welches ihr Recht erhärtet hätte, über
deutsche Dinge auch nur mitzureden ... Ich wollte sagen: der
junge Mensch, den Geschmack und Zeitumstände nötigten, die
Kunst Wagners, die Kritik Nietzsche's zur Grundlage seiner
Kultur zu machen, an ihnen hauptsächlich sich zu bilden, mußte
gleichzeitig der eigenen nationalen Sphäre, mußte des Deutsch-
tums als eines überaus merkwürdigen, zu leidenschaftlicher Kri-
tik anreizenden europäischen Elementes ansichtig werden; eine
Art von psychologisch orientiertem Patriotismus mußte sich
zeitig in ihm ausbilden, der mit politischem Nationalismus natür-
lich überhaupt nichts zu schaffen hatte, aber eine gewisse Reizbar-
keit des nationalen Selbstbewußtseins, eine gewisse Ungeduld
gegen plumpe, der Unwissenheit entspringende Beschimpfungen
dennoch hervorbrachte: in dem Sinne etwa, wie ein Kunstfreund,
der tief durch das Erlebnis Wagners gegangen, aus höheren geisti-
gen Gründen aber zum Gegner dieser Kunst geworden ist, U nge-
duld in sich ausbrechen fühlen wird bei den Schimpfreden rück-
ständig-banausischer Ahnungslosigkeit. >Interesse<, um es umge-
kehrt zu wiederholen, ist der intellektuelle Name eines Affektes,
dessen sentimentaler Name- >Liebe< lautet.
Schopenhauer, Nietzsche und Wagner: ein Dreigestirn ewig ver-
34
bundener Geister. Deutschland, dieWeltstand in seinem Zeichen,
bis gestern, bis heute -wenn auch morgen nicht mehr. Tief und
unlösbar sind ihre Schöpfer- und Herrscherschicksale verknüpft.
Nietzsche nannte Schopenhauer seinen >>großen Lehrer<<; welch
ungeheueres Glück für Wagner das Erlebnis Schopenhauers war,
weiß der Erdkreis; die Freundschaft von Tribschen mochte ster-
ben, - sie ist unsterblich, wie die Tragödie unsterblich ist, die
nachher kam und die nie und nimmermehr eine Trennung, son-
dern eine geistesgeschichtliche Umdeutung und Umbetonung
dieser >Sternenfreundschaft< war. Die drei sind eins. Der ehrfürch-
tige Schüler, dem ihre gewaltigen Lebensläufe zur Kultur gewor-
den, möchte wünschen, von allen dreien auf einmal reden zu
können, so schwer scheint es ihm, auseinanderzuhalten, was er
dem einzelnen verdankt. Wenn ich von Schopenhauer den Mora-
lismus- ein populäreres Wort für dieselbe Sache lautet >Pessimis-
mus< - meiner seelischen Grundstimmung habe, jene Stimmung
von >>Kreuz, Tod und Gruft<<, die schon in meinen ersten Versu-
chen hervortrat: so findet sich diese >>ethische Luft<<, um mit
Nietzsche zu reden, auch bei Wagner; in ihr steht ganz und gar sein
riesenhaftes Werk, und ebensogut auf seinen Einfluß könnte ich
mich berufen. Wenn aber eben diese Grundstimmung mich zum
Verfall.~psychologen machte, so war es Nietzsche, auf den ich
dabei als Meister blickte; denn nicht so sehr der Prophet irgend-
eines unanschaulichen >>Übermenschen« war er mir von Anfang
an, wie zur Zeit seiner Modeherrschaft den meisten, als vielmehr
der unvergleichlich größte und erfahrenste Psychologe der Deka-
denz ...
Selten, denke ich, wird auf einen Nicht-Musiker- und entschiede-
neren Nicht-Dramatiker - der Einfluß Wagners so stark und
bestimmend gewesen sein, wie ich es von mir zu bekennen habe.
Nicht als Musiker, nichtals Dramatiker, auch nicht als >Musikdra-
matiker< wirkte er auf mich, sondern als Künstler überhaupt, als
der moderne Künstlerpar excellence, wie Nietzsche's Kritik mich
gewöhnt hatte ihn zu sehen, und im besonderen als der große
musikalisch -epische Prosaiker und Symboliker, der er ist. Was ich
vom Haushalt der Mittel, von der Wirkung überhaupt - im
Gegensatz zum Effekt, dieser >Wirkung ohne Ursache<-, vom
epischen Geist, vom Anfangen und Enden, vom Stil als einer
geheimnisvollen Anpassung des Persönlichen an das Sachliche,
von der Symbolbildung, von der organischen Geschlossenheitder
Einzel-, der Lebenseinheit des Gesamtwerkes, - was ich von
alldem weiß und zu üben und auszubilden in meinen Grenzen
versucht habe, ich verdanke es der Hingabe an diese Kunst. Heute
35
noch, wenn unverhofft eine beziehungsvolle Wendung, irgendein
abgerissener Klang aus Wagners musikalischem Kosmos mein
Ohr trifft, erschrecke ich vor Freude. Aber dem jungen Men-
schen, für den zu Hause kein Platz war, und der in einer An von
freiwilliger Verbannung in ungeliebter Fremde lebte, war diese
Kunstwelt buchstäblich die Heimat seiner Seele. Schaufahn mit
Konzert auf dem Pincio ... und eingesprengt in das banal genie-
ßende Gewimmel internationaler Eleganz stand der ärmliche und
halb verwahrloste Junge zu Füßen des Podiums unter einem
dickblauen Himmel, der nie aufhöne, ihm auf die Nerven zu
fallen, unter Palmen, die er mißachtete, und empfing, schwach in
den Knien vor Begeisterung, die romantischen Botschaften des
Lohengrin-Vorspiels. Erinnerte er sich solcher Stunden, zwanzig
Jahre später, als Krieg wurde zwischen dem Geist des Lohengrio-
Vorspiels und der internationalen Eleganz? Sind vielleicht solche
Erinnerungen mitschuldig an seiner wahllos-unliterarischen Stel-
lungnahme in diesem Kriege? - Wagner-Demonstration auf
Piazza Colonna! Maestro Vessella, damals Dirigent des Munizi-
pal-Orchesters (mit Kesselpauken: wenn Kesselpauken auf die
Piazza gebracht wurden, so hieß das, daß nicht die dumme
Militärkapelle, sondern das Stadtorchester konzertieren und daß
Wagner auf dem Programm stehen werde) - Vessella also, Ver-
kündiger der deutschen Musik in Rom, spielt die Totenklage um
Siegfried. Jedermann weiß, daß es Skandal geben soll. Der Platz ist
gedrängt voll, alle Balkons sind besetzt. Man hön das Fragment zu
Ende. Dann beginnt in der ganzen Runde der Kampf zwischen
ostentativem Beifall und nationalem Protest. Man schreit »Bis!«
und klatscht in die Hände. Man schreit »Basta!« und pfeift. Es
sieht aus, als ob die Opposition das Feld behaupten werde; aber
Vessella bissien. Diesmal wird schonungslos in das Stück hinein
demonstriert. Pfiffe und Schreie nach einheimischer Musik zerrei-
ßen die piano-Stellen, während beim forte die Zustimmungsrufe
der Enthusiasten die Oberhand haben. Aber nie vergesse ich, wie
unter Evvivas und Abbassos zum zweiten Male das Nothung-
Motiv heraufkam, wie es über dem Straßenkampf der Meinungen
seine gewaltigen Rhythmen entfaltete, und wie auf seinem Höhe-
punkt, zu jener durchdringend schmetternden Dissonanz vor
dem zweimaligen C-Dur-Schlage, ein Triumphgeheullosbrach
und die erschütterte Opposition unwiderstehlich zudeckte, zu-
rücktrieb, auf längere Zeit zu verwirrtem Schweigen brachte ...
Der zwanzigjährige Fremde - fremd hier wie diese Musik, mit
dieser Musik- stand eingekeilt in der Menge auf dem Pflaster. Er
schrie nicht mit, da die Kehle ihm zugeschnürt war. Sein Gesicht,
nach dem Podium spähend, das wütende Italianissimi stürmen
wollten und das von den Musikern mit ihren Instrumenten vertei-
digt wurde, - sein aufwärts gekehrtes Gesicht lächelte im Gefühl
seiner Blässe, und sein Herz pochte in ungestümem Stolz, in
jugendlich krankhafter Empfindung ... Im Stolz worauf? In Liebe
wozu? Nur zu einem umstrittenen Kunstgeschmack?- Wohl
möglich, daß er an Piazza Colonna dachte, zwanzig Jahre später,
im August 1914, und an die nervösen Tränen, die einst beim Siege
des Nothung-Motivs jäh seine Augen überfüllend ihm über das
kalte Gesicht gelaufen waren und die er nicht hatte trocknen
können, weil ein fremdes Volksgedränge ihn hinderte, den Arm
zu heben. Trotzdem, ich täusche mich nicht. Mochte immerhin
das inständige Erlebnis dieser Kunst dem Jüngling zur Quelle
patriotischer Gefühle werden,- es war ein überdeutsches Geistes-
erlebnis, es war ein Erlebnis; das ich mit dem intellektuellen
Europa gemeinsam hatte, wie Thomas Buddenbrook das seine.
Dieser deutsche Musiker war ja kein >deutscher Musiker< mehr im
alten, intimen und echten Sinne. Er war wohl freilich sehr deutsch
(kann man Musiker sein, ohne deutsch zu sein?). Aber es war nicht
das Deutsch-Nationale, Deutsch-Poetische, Deutsch-Romanti-
sche an seiner Kunst, was mich bezauberte - oder doch nur,
insofern dies alles intellektualisiert und in dekorativer Selbstdar-
stellung darin erschien -: es waren vielmehr jene allerstärksten
europäischen Reize, die davon ausgehen und für die Wagners
heutige, fast schon außerdeutsche Stellung Beweis ist. Nein, ich
war nicht deutsch genug, um die tiefe psychologisch-artistische
Verwandtschaft seiner Wirkungsmittel mit denen Zola's und
Ibsens zu übersehen: welche beide vor allem Herren und Meister
des Symbols, der tyrannischen Formel waren, gleich ihm, und von
denen besonders der westliche Romancier, Naturalist und Ro-
mantiker wie er, als sein echter Bruder im Willen und Vermögen
zur Massenbetäubung, Massenüberwältigung erscheint ... Die
>Rougon-Macquart< und der >Ring des Nibelungen<,- der >Wag-
nerianer< denkt das nicht zusammen. Trotzdem gehörtes zusam-
men: für die Anschauung, wenn auch nicht für die Liebe. Denn es
gibt freilich Fälle, in denen der Verstand auf einem Vergleiche
besteht, den der Affekt auf immer von der Hand weisen möchte.
Die >Rougon-Macquart< und der >Ring des Nibelungen<! Man
stellt mich hoffentlich nicht vor die Wahl. Ich fürchte, daß ich
mich >patriotisch< entscheiden würde.
Schopenhauer und Wagner . . . Soll ich auch über den dritten
»Stern der schönsten Höhe« ein Wort des Bekenntnisses sagen?
Ich t:rinnere mich wohl des Lächelnsoderauch Lachens, das ich zu
37
unterdrücken hatte, als einesTages Pariser Literaten, die ich über
Nietzsche aushorchte, mir zu verstehen gaben, er sei im Grunde
nichts anderes als ein guter Leser der französischen Moralisten
und Aphoristiker gewesen. Hätten sie wenigstens Pascal genannt.
Aber sie brachten es nicht über Chamfort hinaus ... Das war
manches Jahr vor dem Kriege, und der Krieg war nicht nötig, um
mich Nietzsche's Deutschheit sehen zu lehren. Auch ist es diese
wohl kaum, worauf man heute bestehen müßte. Die ungeheuere
Männlichkeit seiner Seele, sein Antifeminismus, Antidemokratis-
mus,- was wäre deutscher? Was wäre deutscher als seine Verach-
tung der »modernen Ideen«, der »Ideen des achtzehnten J ahrhun-
derts«, der »französischen Ideen«, auf deren englischem Ur-
sprung er besteht: die Franzosen, sagt er, seien nur ihre Affen,
Schauspieler, Soldaten gewesen- und ihre Opfer; »denn an der
verdammliehen Anglomanie der >modernen Ideen< sei zuletzt die
ame fran~aise so dünn geworden und abgemagert, daß man sich
ihres sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts, ihrer tiefen
leidenschaftlichen Kraft, ihrer erfinderischen Vornehmheit heute
fast mit Unglauben erinnere«. (>Jenseits von Gut und Böse.<)
Einen Absatz weiter ist von der »rasenden Dummheit und dem
lärmenden Maulwerk des demokratischen Bourgeois« die Rede-
nicht ohne jenen »tiefem Ekel«, mit dem der deutsche Geistselbst
sich gegen die anglo-französische Ideenwelt erhoben habe ...
»Mit tiefem Ekel« ... Man sieht, wie gut sich Nietzsche über die
renitente Rolle des deutschen Wesens in der europäischen Gei-
stesgeschichte mit Dostojewski verstand,- er verstand sich ja auch
in anderen Stücken mit ihm aufs beste. »Mittiefem Ekel« ... Da ist
er, der Ursprung dieses Krieges, des deutschen Krieges gegen die
westliche >Zivilisation<! Vor allem aber: wenn Nietzsche's »gro-
ßer Lehrer«, Schopenhauer, nur anti-revolutionär war - aus
pessimistischer Ethik, aus Haß auf den unanständigen Optimis-
mus der Jetztzeit- und Fortschrittsdemagogen -,so war er selbst
anti-radikal in einem bis dahin unerhörten, einem wahrhaft radi-
kalen Sinne und Grade, und in dieser Eigenschaft und Willensmei-
nung kam sein Deutschtum zu einem Elementarausbruch wie in
sonst keiner andern. Denn Anti-Radikalismus- ohne Lob und
Tadel gesagt - ist die spezifische, die unterscheidende und ent-
scheidende Eigenschaft oder Eigenheit des deutschen Geistes:
dies Volk ist das unliterarische eben dadurch, daß es das anti-
radikale ist, oder, um das bloß Verneinende, aber wiederum ohne
Lob und Tadel, ins Positive, höchst Positive zu wenden,- es ist das
Volk des Lebens. Der Lebensbegriff, dieser deutscheste,
goethischste und im höchsten, religiösen Sinn konservative Be-
griff, ist es, den Nietzsche mit neuem Gefühle durchdrungen, mit
einerneuen Schönheit, Kraft und heiligen Unschuld umkleidet,
zum obersten Range erhoben, zur geistigen Herrschaft gefühn
hat. Behauptet Georg Simmel nicht zu Recht, seit Nietzsche sei
>das Leben< zum Schlüsselbegriff aller modernen Weltanschauung
geworden? Auf jeden Fall steht Nietzsche's ganze Moralkritik im
Zeichen dieses Begriffes, und wenn emanzipatorische Kühnheit
im Verhältnis zur Moral bis dahin immer nur ästhetizistischen
Charakter getragen hatte, in Platens Vers: »Vor dem Hochaltar
des Schönen neige sich das Gute selbst« völlig beschlossen gewe-
sen war, so war es Nietzsche, dermitunvergleichlich tieferem und
leidenschaftlicherem Zynismus zum erstenmal die höchsten mo-
ralischen Ideale, die Wahrheit selbst in ihrem W ene für das Leben
philosophisch in Frage stellte, indem er die radikalste Psychologie
einem anti-radikalen, anti-nihilistischen Willen dienstbar machte.
Er hat das >Gute< nicht vor dasTribunaldes Schönen,-vor das des
Lebens selbst hat er es gezogen ... oder wäre das ein und dasselbe?
Hat er das Schöne vielleicht nur mit einem neuen, heiligrauschvol-
len Namen genannt,- mit dem des Lebens? Und war also auch
seine Auflehnung gegen die Moral mehr eines Künstlers und
Liebenden Auflehnung, als eigentlich philosophischer Natur? Ich
habe oft empfunden, daß Nietzsche's Philosophie einem großen
Dichter auf ganz ähnliche Weise zum Glücksfall und Glücksfund
hätte werden können, wie die Schopenhauers dem T ristan-Schöp-
fer: nämlich zur Quelle einer höchsten, erotisch-verschlagensten,
zwischen Leben und Geist spielenden Ironie ... Nietzsche hat
seinen Künstler nicht, oder noch nicht, wie Schopenhauer, gefun-
den. Wenn aber ich auf eine Formel, ein Wort bringen sollte, was
ich ihm geistig zu danken habe, - ich fände kein anderes als eben
dies: die Idee des Lebens, - welche man, wie gesagt, von Goethe
empfangen mag, wenn man sie nicht von Nietzsche empfängt, und
die bei diesem freilich in einem neuen, moderneren, farbigeren
Lichte steht - eine anti-radikale, anti-nihilistische, anti-literari-
sche, eine höchst konservative, eine deutsche Idee, mit der man in
der Tat, bei noch so französierender Prosa, mit noch soviel
Schlachtschitzenblut, noch soviel Oberflächen- und Philoso-
phenhaß auf das> Reich< und das Bauern- und Korpsstudententurn
seines Urhebers- ganz ohne Rettung ein Deutscher ist.
Und dennoch ... der Redende darf das >Einerseits< einer Sache mit
desto entschiedenerem Nachdruck verfechten, je sicherer er un-
terdessen im stillen des >Andererseits< bleibt ... dennoch ist die
Erziehung durch Nietzsche sowenig eine eigentlich und einwand-
frei deutsche Erziehung, wie die durch Schopenhauer und W ag-
39
ner. Ich bitte, an ein Wort, einen Vers Stefan George' s anknüpfen
zu dürfen, die Klage, womit er das herrliche Nietzsche-Poem im
>Siebenten Ring< beschließt. »Sie hätte singen, nicht reden sollen,
diese neue Seele!« ruft er aus- und zitiert damit, wie man weiß
oder auch nicht weiß, einWOrtseines Helden selbst, aus der späten
Vorrede zur >Geburt der Tragödie<, wo jenemAusrufdie Erläute-
rung hinzugefügt ist: »Wie schade, daß ich, was ich damals zu
sagen hatte, nicht als Dichter zu sagen wagte: ich hätte es vielleicht
gekonnt! ... «Vielleicht ... das klingt fast kokett geheimnisvoll.
Der Entwurf eines Empedokles-Dramas ist liegengeblieben, stark
hölderlinisch,- er stammt von 187o-71, aus der Zeit der dionysi-
schen Schrift. Aber darf man es nun aussprechen, daß jenes schöne
Klagewort in George's Munde für George bezeichnender ist als
für den, dem es gilt? Daß der Dichter, der als parnassien begann
und dessen Kunst und Persönlichkeit heute eine ganz deutsche
Angelegenheit ist,- daß George, indem ereinAugenblicksbedau-
ern, das von der Erinnerung an ein irrtümlich-unzukömmliches
und darum gescheitertes, nicht zustandegekommenes U nterneh-
men eingegeben ward, verallgemeinert und auf die Gesamter-
scheinung Nietzsche's bezieht und anwendet, Nietzsche als Ge-
samterscheinung in gewissem Sinne verkennt, in gewissem Sinne
verkleinert? Denn es bedeutet unzweifelhaft eine Verkennung
und Verkleinerung seiner kulturellen Sendung, es bedeutet ein
Augenschließen vor seinen letzten, von ihm nicht gewollten, rein
schicksalsmäßigen Wirkungen, auch nur zu wünschen, daß diese
»strenge und gequälte Stimme« - man kann es nicht schöner sa-
gen-, daß diese Stimme hätte singen mögen, statt >bloß, zu reden,
daß Nietzsche als neuer Hölderlin und deutscher Poet sich hätte
erfüllen sollen, statt zu sein, was er war: nämlich ein Schriftsteller
von oberstem Weltrang; ein Prosaist von noch viel mondäneren
Möglichkeiten als Schopenhauer, sein großer Lehrer; ein Literat
und Feuilletonist höchsten Stils, etwas sehr Ententemäßiges -
seien wir geschmacklos, aber charakteristisch! -, ein europäischer
Intellektueller mit einem Wort, dessen Einfluß auf die Entwick-
lung, den >Fortschritt<, ja! geradezu den politischen Fortschritt
Deutschlands durch kein Empedokles-Fragment, auch nicht
durch irgendwelche Lieder des Prinzen Vogelfrei oder selbst
Dionysos-Dithyramben gekennzeichnet wird, sondern durch
Produktionen, die in Haltung und Geschmack, in ihrer Leichtig-
keit und Bösartigkeit, ihrem Raffinement und ihrem Radikalismus
dermaßen undeutsch und antideutsch sind wie derewig bewunde-
rungswürdige Essay >Was bedeuten asketische Ideale?<.
Es ist nicht zu bezweifeln: Nietzsche hat, unbeschadet der tiefen
40
Deutschheit seines Geistes, durch seinen Europäismus zur kritizi-
stischen Erziehung, zur Intellektualisierung, Psychologisierung,
Literarisierung, Radikalisierung oder, um das politische Wort
nicht zu scheuen, zur Demokratisierung Deutschlands stärker
beigetragen als irgend jemand. Ich stelle fest, daß unser gesamtes
Zivilisationsliteratenturn bei ihm schreiben gelernt hat, -worin
ein Widerspruch liegt, der letzten Endes keiner ist. Nietzsche,
meine Herren Voluntaristen, ist das schlagendste Beispiel dafür,
daß in Hinsicht auf die Entwicklung, den schicksalsmäßigen
>Fortschritt< alles entscheidende Gewicht auf der Frage liegt, was
einer ist (oder was aus einem wird und gemacht wird), nicht auf
jener, was einer will und meint. Er war als Mann deutschen
Schicksals der gute Bruder seines großen Gegenspielers Bismarck,
dessen letzte, unwillkürliche, eigentliche Wirkungen ebenfalls in
demokratischer Richtung verlaufen. Wi,r wollen darauf an seiner
Stelle zurückkommen. Für den Augenblick begnügen wir uns,
festzuhalten, daß Wille, Meinung, Tendenz für die Wirkung, den
Einfluß gerade der größten, der eigentlichen Schicksalsmenschen
auf die Entwicklung im Großen sehr wenig besagen und entschei-
den. Und wenn es mit den Gewaltigen sich so verhält,- wieviel
mehr mit uns Geringen! Ich wüßte hübsche Beispiele anzuführen
für den Widerstreit zwischen Wille und Wirkung, Tendenz und
Natur, - einen Widerstreit, der in der Krisis dieser Zeit unter
offenbar harten inneren Kämpfen akut wurde, subjektiv wurde
und ins Bewußtsein trat, so daß gleichsam über Nacht aus
einem antidemokratisch-konservativ-militaristischen Saulus ein
entente-christlicher Paulus wurde, der sich den seit zwanzig
Monaten bohrenden Stachel aus dem Fleische gerissen und end-
lich sich selbst gefunden hatte. >Bekehrung< - das ist nur ein
anderes Wort für die Entdeckung seiner selbst ...
Nietzsche's Lehre also war für Deutschland weniger neu und
revolutionierend, sie war für die deutsche Entwicklung weniger
wichtig- >wichtig< im guten oder schlimmen Sinne, wie man nun
will -, als die Art, in der er lehrte. Mindestens, allermindestens
ebenso stark wie durch seinen >Militarismus< und sein Macht-
Philosophem hat er durch seine äußerst westliche Methode, als
europäisierenden Prosaist die deutsche Geistigkeit beeinflußt,
und seine ,fortschrittliche<, zivilisatorische Wirkung besteht in
einer ungeheueren Verstärkung, Ermutigung und Schärfung des
Schriftstellertums, des literarischen Kritizismus und Radikalis-
mus in Deutschland. Es geschah in seiner Schule, daß man sich
gewöhnte, den Begriff des Künstlers mit dem des Erkennenden
zusammenfließen zu lassen, so daß die Grenzen von Kunst und
41
Kritik sich verwischten. Er brachte den Bogen neben der Leier als
apollinisches Werkzeug in Erinnerung, er lehrte zu treffen, und
zwar tödlich zu treffen. Er verlieh der deutschen Prosa eine
Sensitivität, Kunstleichtigkeit, Schönheit, Schärfe, Musikalität,
Akzentuiertheit und Leidenschaft- ganz unerhört bis dahin und
von unentrinnbarem Einfluß auf jeden, der nach ihm deutsch zu
schreiben sich erkühnte. Nicht seine Persönlichkeit, o nein! aber
seine Wirkung ähnelt außerordentlich der des in Paris akklimati-
sierten Juden Heinrich Heine, den er pries und den er als Schrift-
steller sich selbst zur Seite stellte, - ähnelt ihr im Schlimmen so
stark wie im Guten ... Dies zu analysieren kann hier nicht meine
Aufgabe sein. Es handelt sich um Feststellungen, die man im
stillen nachprüfen möge. Was ich aber meine, wenn ich sage, daß
die gewaltige Verstärkung des prosaistisch-kritizistischen Ele-
mentes in Deutschland, die Nietzsche bewirkt hat, Fortschritt im
bedenklichsten, politischsten Sinne, im Sinne der >Vermenschli-
chung<, - Fortschritt in westlich-demokratischer Richtung be-
deutet und daß die Erziehung durch ihn nicht gerade das ist, was
man eine Erziehung in deutsch-erhaltendem Geiste nennen
dürfte, das hoffe ich deutlich gemacht zu haben ...
PALESTRINA
Ich bin glücklich, daß der Zusammenhang der Dinge mir zwang-
los Gelegenheit bietet, von einem Erlebnis dieser Kriegszeit zu
reden, das auszusprechen mich sehr verlangt; und ich täte unrecht,
über diese Fügung zu staunen, da das Werk, um das es sich handelt,
mir eben zum Erlebnis so sehr nicht geworden wäre, wenn es den
geistigen Zusammenhängen, denen ich nachgehe, weniger tief und
innig angehörte. Ein Werk also, noch einmal ein fremdes Werk,
doch nicht von französisch-katholischer Empfindsamkeit, son-
dern deutsch, - noch deutsch (denn es hat etwas Spät- und
Verspätetdeutsches und blickt mit geistiger Schwermut, wenn
auch an künstlerischen Energien reich für sein persönliches Teil,
dem Triumphierend-Neuen entgegen). Die >Verkündigung< war
ein Notbehelf, das sehe ich nun. Hier ist dergleichen auf deutsch,
und eine unvergleichlich intimere, unmittelbarere Art der Beja-
hung ist hier möglich ...
Ich hörte Hans Pfitzners musikalische Legende >Palestrina<drei-
mal bisher, und merkwürdig rasch und leicht ist mir das spröde
und kühne Produkt zum Eigentum, zum vertrauten Besitz gewor-
den. Dies Werk, etwas Letztes und mitBewußtsein Letztes aus der
schopenhauerisch-wagnerischen, der romantischen Sphäre, mit
seinen dürerisch-faustischen Wesenszügen, seiner metaphysi-
schen Stimmung, seinem Ethos von »Kreuz, Tod und Gruft«,
seiner Mischung aus Musik, Pessimismus und Humor, -es gehört
durchaus •zur Sache<,- zur Sache dieses Buches, sein Erscheinen in
diesem Augenblick gewährte mirTrostund W ohltatvollkomme-
ner Sympathie, es entsprichtmeinem eigensten Begriff der Huma-
nität, es macht mich positiv, erlöst mich von der Polemik, und
meinem Gefühl ist ein großer Gegenstand damit geboten, an den
es sich dankbar schließen kann, bis es zu eigener Gestaltung
wieder genesen und beruhigt ist, und von dem aus gesehen das
Widerwärtige in wesenlosem Scheine liegt ...
Hatte Pfitzners Musik-Poem mir Neues zu ~agen? Kaum. Aber
viel tief Vertrautes, das zu hören, dessen wieder innezuwerden
mich wohl bis zum Lechzen verlangt haben muß; ja, die außeror-
dentliche Wirkung, die es sofort bei jener ersten morgendlichen
Darstellung vor einem Amphitheater von Fachleuten, zu denen
ich keineswegs gehöre, auf mich ausübte, die Raschheit, mit der
ich es absorbierte, ist nur zu erklären durch eine ungewöhnliche
43
Spannung der Bereitschaft und Empfänglichkeit, welche die Zeit,
das Feindliche der Zeit in mir hervorgebracht hatte. Ich scheue
zurück vor einer Analyse, nicht nur weil ich die erledigende
Wirkung des kritischen Wortes im Grunde hasse, sondern na-
mentlich, weil Zergliederung- Teilung, ein Nacheinander des
Betrachtens bedeutet, die Sonderung des Geistigen vom Künstle-
rischen etwa, wodurch ich das Ganze zu kränken fürchte. Natür-
lich gibt es da nichts als Einheit. Die Kunstaberiststarkan undfür
sich und bezwingt auch solche, die den geistigen Willen, welchem
sie dient, verpönen würden, wennsie ihn verständen. Das Produkt
einer melancholisch abgewandten, ja zeitwidrigen Geistigkeit
kann stark, glücklich und siegreich sein durch das Talent, das ihm
zum Triumph über die Gemüter der Tausende verhilft. Dabei
geschieht es denn freilich, daß für Talent, Kunst, bloße Stilgebung
genommen und wohl gar mit dem Einverständnis des Künstlers
genommen wird, was eigentlich oder doch außerdem etwas ganz
anderes, seelisch weit Unmittelbares ist. Diese archaischen Quin-
ten und Quarten, diese Orgellaute und Kirchenschlüsse- sind sie
nichts als Mimikry und historische Atmosphäre? Bekunden sie
nicht zugleich eine seelischeNeigungund geistige Gestimmtheit,
in der man, fürchte ich, das Gegenteil einer politisch tugendhaften
Neigung und Stimmung erkennen muß? Stellen wir die Frage
zurück! Was siegt, ist das Talent. Bewundern wir dieses!
Weiche hohe Artistik in der Vereinigung nervösester Beweglich-
keit, durchdringender harmonischer Kühnheit mit einem from-
men Väterstil! Man kennt die Meisterschule, in der das erlernt
wurde. Das seelisch Moderne, alles Raffinement dieses Vorhalt-
Geschiebes, wie rein organisch verbindet es sich mit dem, was
musikalisches Milieu, was also demütig-primitiv, Mittelalter,
Kargheit, Grabeshauch, Krypta, Totengerippe ist in dieser ro-
mantischen Partitur! Das holde Thema des Ighino, das sich im
Vorspiel zum dritten Aufzug am schönsten wiederholt, schloß ich
gleich in mein Herz, - dies melodische Persönlichkeitssymbol
eines Kindes voll Wehmut und voll Treue, das gern das Glänzende
und Neue läßt und dem Alten zugewandt bleibt. Die Partie ist
wundervoll; ich glaube, das musikalisch Feinste und Süßeste des
Werkes ist mit ihr verbunden. Wie sehr gewinnt das Wort an
Keuschheit zugleich und Erlösungskraft, wenn es mit Schmerzen
aus der Musik geboren wird, wenn die Musik jene Nöte und
Hemmungen der Seele malt, aus denen das Letzte, das schwere
Wort sich herauskämpft, emporringt: zum Beispiel in den rhyth-
misch unvergleichlichen Takten, die Ighino's Einsatz und Aus-
bruch »Der Gram des alten Vaters-« vorbereiten. Und welche
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eben noch ruhig atmende Brust würde nicht plötzlich - und
unweigerlich jedesmal wieder- von einem Schluchzen erschüt-
tert, wenn die reine Stimme des Kindes von Palestrina's Ruhm
singt, seinem »echtem Ruhm, -
der still und mit der Zeit
Sich um ihn legte wie ein Feierkleid«?
Ein selig-lyrischer Augenblick, des~en Schönheit Selbstbewußt-
sein gewinnt, indem die melodische Phrase sich in lichterer Instru-
mentierung sofort wiederholt. Ganz spät, im dritten Aufzuge,
wird sie noch einmal anspielungsweise gestreift: Dort, wo Ighino
dem Vater versichert, in fernsten Zeiten werde man ihn noch
nennen; und mitNeidempfindet man hier, wie an anderen Stellen,
aufs neue, welche Möglichkeiten der Vereinheitlichung und der
geistreich- oder innig-sinnigen Vertiefung die wagnerisch-moti-
vische Kunstarbeit gewährt ...
Nochmals, ich stelle alles Ethische und Geistige zurück, um
vorderhand ausschließlich die ästhetischen Kräfte und Tugenden
des Werks zu bewundern. Ich überblicke die weitläufige, aber
künstlerisch dicht gefüllte Szenenflucht des ersten Aktes und
finde, daß sie ungewöhnlich schön und leicht, in glücklicher
Notwendigkeit gefügt ist. Dem Gespräch der Knaben folgt der
bewegte Auftritt zwischen Palestrina und dem Prälaten, schon ist
die fahle, von Geisterlauten der Vergangenheit erfüllte Szene der
,. Vorgänger« da, diese innige Vision, die tiefe nächtlich ringende
Unterredung eines Lebenden, fromm und vornehm überliefe-
rungsvollen mit den Meistern ... Sie schwinden, aus Not und
Finsternis schreit der Einsame nach oben, da schwingt die Engels-
stimme sich erschütternd im Kyrie empor, die Gnadenstunde des
Müden bricht an, er neigt sein Ohr zum Schattenmunde der
verstorbenen Geliebten, die Lichtgründe öffnen sich, die unendli-
eben Chöre brechen aus in das Gloria in excelsis, zu all ihren
Harfen singen sie ihm Vollendung und Frieden ... Dann löst sich
die Überspannung, alles verbleicht, erschöpft hängt Palestrina in
seinem Sessel, und nun? Sollte es möglich sein, diesen Akt, der ein
wahres Festspiel zu Ehren schmerzhaften Künstlerturns und eine
Apotheose der Musik ist, nachdem er zu solchen Gesichten
emporgeführt, ohne Ermatten zu schließen? Noch eine Wirkung
hervorzubringen, die solche Steigerung wohl gar überböte? W ei-
che Lust, zu sehen, wie das möglich wird, wie solche Möglichkeit
mit jener köstlichen, erlaubten, ja gebotenen und begeisterungs-
vollen Klugheit, Umsicht und Politik der Kunst von langer Hand
her zubereitet wurde! Gebt acht! Durch das Fenster von Palestri-
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na's Arbeitsstübchen gewahrt man die Kuppeln von Rom. Ganz
früh, am Ende der ersten Szene schon, als Silla, der hoffnungsvolle
Eleve, der's mit den Florentiner Futuristen hält, hinausblickt, hin
über Rom, und sich in gemütlich ironischen Wo;ten von dem
konservativen alten Nest verabschiedet, geht im Orchester, nach
dem majestätisch ausladenden Motiv der Stadt, ein mäßig starkes,
monotones Leiern in Sekunden an, das nicht enden zu wollen
scheint, und dessen Sinn vorderhand unerfindlich ist. Die Leute
tauschten verwunderte und lächelnde Blicke bei dieser sonderba-
ren Begleitung, und da war niemand, der einem so schrullenhaft
nichtssagenden Einfall irgendwelche dramatische Zukunft pro-
phezeit hätte. Ich sage: gebt acht! Seit damals ist in Wirklichkeit
eine reichliche Stunde, illusionsweise aber eine ganze Nacht
vergangen, und eine Welt von Dingen hat sich ereignet. Die
schwindende Engelsglorie hat irdische Morgendämmerung zu-
rückgelassen, rotglühend und rasch hebt sich der Tag über die
Kuppeln draußen, das ist Rom, sein gewaltiges Thema wird breit
und prunkend verkündet im Orchester,- und da, wahrhaftig,
kommt auch das vergessene Leiern von gestern abendwieder in
Gang, es gleicht einem Läuten, ja, das sind Glocken, die Morgen-
glocken von Rom, nicht wirkliche Glocken, nur nachgeahmtvom
Orchester, doch so, wie hundertfach schwingendes, tönendes,
dröhnendes Kirchenglockenerzgetöse überhaupt noch niemals
künstlerisch nachgeahmt wurde, - ein kolossales Schaukeln von
abenteuerlich harmonisierten Sekunden, worin, wie in dem vom
Gehör nicht zu bewältigenden Tosen eines Wasserfalls, sämtliche
Tonhöhen und Schwingungsarten, Donnern, Brummen und
Schmettern mit höchstem Streichergefistel sich mischen, ganz so,
wie es ist, wenn hundertfaches Glockengedröhn die Gesamtatmo-
sphäre in Vibration versetzt zu haben und das Himmelsgewölbe
sprengen zu wollen scheint. Es ist ein ungeheurer Effekt! Der
seitlich im Stuhle schlummernde Meister, die heilige Stadt im
Purpurschein, der durch Fenster hereinfallend die ärmliche Stätte
nächtlicher Schöpferekstase verklärt, und dazu das mächtige
G lockengependel, das nur zurücktritt, während die ausgeschlafe-
nen Knaben die im Zimmer verstreuten Notenblätter sammeln
und ihre paar Repliken wechseln, und das dann seinen gewaltigen
Gang wieder anhebt, bis der Vorhang zusammenfällt.
Ich bewundere es als eine kompositionelle Schönheit, wie die
kraftvolle Gestalt des Kardinals Borromeo, dieses ungebärdigen
Mäzens, die geistlich-geistige Welt Palestrina's mit der Welt der
Realität, derWeltdes zweiten Aktes verbindet. Aber dieser zweite
Akt selbst ist eine kompositionelle Schönheit, wie er in seiner
turbulenten Farbigkeit zwischen dem ersten und dritten steht.
Entgegen dem ästhetischen Spruche der meisten habe ich meine
Freude an dieser möglich gemachten Unmöglichkeit, an einer rein
ideellen Dramatik, die, wenn nicht >Handlung<, so doch geist-
durchleuchtetes, buntes Geschehen ist. Leben im Licht des Ge-
dankens- was kann die Kunst uns Besseres, wasUnterhaltenderes
gewähren? Ich habe tatsächlich urteilen hören: Meyerbeer, histo-
rische Oper. Das ist vollendeter Irrtum. Um alles zu sagen,-
vielleicht war ich persönlich besser als andere gegen dies Mißver-
ständnis gewappnet, vielleicht stand ich von langer Hand her auf
gutem Fuße mit der hier waltenden Absicht: aus historischem
Detail Idee sprechen zu lassen und ihm nur dadurch dramatische
Spannkraft zu geben. Auf jeden Fall greift jeder hier einsetzende
Tadel das Ganze an, die Empfängnis. Man darf glauben, daß dieser
Kompositionsgedanke: Kunst, Leben und wieder Kunstderfrü-
heste Nebel war, das erste, was der Dichter eigentlich sah.
Pessimismus und Humor ... ich habe ihre Zusammengehörigkeit
nie stärker und nie sympathischer empfunden als angesichts des
zweiten Palestrina-Aktes. Der Optimist, der Besserer, mit einem
Wort: der Politiker ist niemals Humorist, er ist pathetisch-rheto-
risch. Der pessimistische Ethiker dagegen, er, den man heute recht
uneigendich den >Ästheten< zu nennen beliebt, wird sich zur Welt
des Willens, der Realität, derSchuld und des harten Geschäftes mit
natürlicher Vorliebe humoristisch verhalten, er wird sie als Künst-
ler pittoresk und komisch sehen, im grellen Kontrast zur stillen
Würde des intellektuellen Lebens: und nur in diesem Kontrast
beruht die Dramatik der Konzil-Szenen, in welchen das Erzeug-
nis jener überschwenglichen Nacht, die wir erlebten, Palestrina's
Messe, zu einem Gegenstand des politischen Handelsgeschäftes
wird. Wahrhaftig, welche Art von Leben und Realität wäre im
Sinn jenes Kontrastes grotesker, tumultuöser und komischer als
die Politik? Der zweite Akt ist nichts anderes als eine bunte und
liebevoll studierte Satire auf die Politik, und zwar auf ihre unmit-
telbar dramatische Form, das Parlament. Daß es ein Parlament
von Geisdichen ist, erhöht die Lächerlichkeit und Unwürde aufs
äußerste. Freilich, Musik ist Urpathos, und so wirkt denn das
Orchestervorspiel, vielleicht das glänzendste Musikstück des
Abends, noch durchaus pathetisch: dies Schmettern, Stürmen,
Stürzen, luftschnappende Hetzen, dessen bewunderungswürdig-
ster Augenblick das viermalige keuchende Ansetzen zum Haupt-
motiv (Klavierauszug S. 174 oben) ist, versinnlicht tragisch Pale-
strina's Wort von der »Bewegung, zu der das Leben unaufhörlich
peitscht«, es ist eine nur allzu edahrungsvolle Schilderung des
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schauderhaften Sansara. Und doch ist es eben das grundpatheti-
sche Wesen der Musik, was, zusammen mit dem Menschlichen,
das überwältigend Komische zeitigt. Ich denke an die Figur des
Patriarchen Abdisu von Assyrien und die Laute von ungeahnter
und phantastischer Lächerlichkeit, die im Orchester sein hierati-
schesJubilieren über »den Tag« und »dieses Werk« und seine mild
verunglückende Parlamentsrede begleiten. Nie überhaupt ist die
ergreifende Komik tapriger Hochbetagtheit, ehrwürdiger Ah-
nungslosigkeit so durchdringend empfunden und zu so wunder-
barer Wirkung erhoben worden.
Der Akt ist kurzweilig, man sage, was man wolle. Der Reichtum
an Akzenten, die Schärfe der Typen, die ideelle Transparenz
verleihen ihm die sublimeUnterhaltsamkeitsiegender Kunst. Der
muntere Bischof von Budoja, der zügellos-anmaßende Spanier,
der süffisante Kardinal Novagerio, in dessen Partie das Folter-
Motiv sein infames Wesen treibt: das Leben ist in Bewegung, die
Kunst setzt ihm spielende Lichter auf, sammelt es zu höchster
Energie;-und welche Heimkehr dann zu ihr selbst, in die reinliche
Schöpferzelle, in die Welt der Einsamkeit und Treue. Der Papst
singt Hexameter ... eine wunderlich große Idee. Der Ausklangist
Resignation und Friede, ist >musikalischer Gedanke< an der Zim-
merorgel, nur leicht gestört von fernen, raschen Evvivas zum
Zirpen der Mandolinen. Und ruhevoll spricht das Orchester das
Schlußwort, das auch das Wort des Anfangs war und ein Geheim-
nis ist ...
Ich sagte noch nichts von Pierluigi Palestrina, dem Musiker-
Helden des Werkes. Ich liebte seine Gestalt von dem Augenblick
an, da er mit dem Prälaten durch die schmale Tür seines Stübchens
trat, die Gestalt des mittelalterlichen Meisters, des Künstlers, wie
populäre Romantik ihn keineswegs sich erträumt, still, sittsam,
schlicht, ohne Anspruch auf >Leidenschaft<, gedämpftundgefaßt,
im Inneren wund, vollleidendwürdiger Haltung.Ich sehe ihn, wie
er, den zarten, schon ergrauenden Kopf zur Seite geneigt, die
Hand aus dem Schultergelenk ein wenig gegen die jungen Schüler
hebt und spricht: »Seid fromm und still.« Unendliche Sympathie
wallt auf ... »Seid fromm und still!« Wie sollte nicht fromm und
still sein, wem Kunstarbeit obliegt? Oder sollte ein solcher gar auf
die Gasse laufen und politisch gestikulieren? ... Aber wenn diese
Künstlergestalt nicht romantisch im wohlfeilen Sinne ist, - Ro-
mantik ist sie dennoch, und zwar eben indem sie den lyrischen
Mittelpunkt des Gedichtes bildet. Romantische Kunst pflegt in
zweifacher Bedeutung >rückwärts gewandte< Kunst zu sein: nicht
nur insofern sie, wie Nietzsche sagt, »angewandte Historie« ist,
sondern auch, indem sie, reflexiv-reflektierend, sich auf das Sub-
jekt zurückwendet. Umgekehrt mindestens ist alle Kunst, welche
die Kunst und den Künstler zum Gegenstande hat - sei die Be-
handlung dieses Gegenstandes auch noch so skeptisch-ironisch-
ist also alle Bekenntniskunst romantische Kunst; und namentlich
hierin, wenn auch aus manchem weiteren Grunde, namentlich als
Künstlerbekenntnis, und zwar als eines von rücksichtslos-radi-
kalster An, ist >Palestrina< ein romantisches Kunstwerk. Was aber
die Politik betrifft, so hoffe man nicht, daß es ohne sie abgeht! Ist es
nie ohne sie abgegangen, nur, daß wir es nicht wußten?
In diesem Augenblick, am Ende des dritten Kriegsjahres, veröf-
fentlicht Pfitzner eine Schrift, betitelt >Futuristengefahr< und
geschrieben »bei Gelegenheit« von Busoni's >Entwurf einerneuen
Ästhetik der Tonkunst<,- dem Programmbuch des musikalischen
Progreß. Gelegentlich ästhetischer Fragen also spricht der deut-
sche Tondichter, er sagt es selbst und bekundet damit seine
Kenntnis der Tatsache, daß die Perspektiven seiner fünfundvier-
zig Seiten überall weit über das bloß Ästhetische hinausreichen.
Wirklich vergriffe man sich kaum im Namen, würde man seine
Broschüre eine politische Streitschrift heißen, - obgleich sie ge-
rade anti-politische, das heißt: konservative Tendenz besitzt.
»Bach und Beethoven«, ruft er, »sollen >als ein Anfang aufzufas-
sen< sein, nicht >als unzuübenreffende Abgeschlossenheiten<.
Hier zeigt sich am allerunverhülltesten diese gewisse Zielstrebig-
keit, die ich von je als allem Wesen der Kunst feindlich und
entgegengesetzt empfunden habe.« Und nachdem er eine Seite
lang die »Zielstrebigkeit« befehdet, gelangt er zu einem jener
präzisen und tiefgegründeten Sätze, wie nur der echte Schriftstel-
ler sie findet: »Nicht die Kunst - der Künstler hat ein Ziel.«
Vonrefflieh! Man sehe aber genau hin: Ist das Ästhetik oder ist es
Politik? Zuletzt ist es wohl etwas Drittes, nämlich Ethik-und also
genau das, was der Geistespolitiker als >Ästhetizismus< bezeich-
net. Aber Anti-Politik ist auch Politik, denn die Politik ist eine
furchtbare Macht: Weißman auchnurvon ihr, so ist man ihrschon
verfallen. Man hat seine Unschuld verloren.
Pfitzner sagt an anderer Stelle- und ich gebe damit ein Zitat, das in
dies Buch eingeht wie kein anderes -: »Nun, wir wollen dem
waltendenWeltgeistnicht in den Arm fallen; was kommen muß,
komme. Ob das, was kommt, schön ist, ist eine andere Frage; und
ob es schöner sein wird als das, was wir schon haben, eine uns
bewegende Frage.« Und edährtfon: »Busoni erhofft sich von der
Zukunft alles für die abendländische Musik und faßt die Gegen-
wan und Vergangenheit auf als einen stammelnden Anfang, als die
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Vorbereitung. Wie aber, wenn es anders wäre? Wenn wir uns auf
einem Höhepunkt befänden oder gar der Höhepunkt schon
überschritten wäre? Wenn unser letztesJahrhundertoder unsere
letzten anderthalb Jahrhunderte die Blütezeit der abendländi-
schen Musik bezeichneten, die Höhe, die eigentliche Glanzpe-
riode, die nie wiederkehren wird und der sich ein Verfall, eine
Dekadenz anschlösse, wie die nach der Blütezeit der griechischen
Tragödie? Mein Gefühl neigt vielmehr zu dieser Ansicht. Schon
Rubinstein hat ernstlich von einem >Finis musicae< gesprochen.
Ob nicht die Aufgabe unserer Zeit, anstatt die Sechsteltöne zu
suchen, in rasendem Tempo vorwärtsstürmen zu wollen, jedes
Errungene einem N euen zuliebe vernichten zu wollen- ob nicht
vielmehr die Aufgabe unserer Zeit eine liebevolle Besinnung
wünschenswen erscheinen ließe auf das, was entstanden ist und
was gegenwärtig entsteht, und zwar nicht nur auf das, was an der
Oberfläche schwimmt? Der Irnum herrscht zu jeder Zeit vor,
aber er hat immer eine andere Färbung. Die Signatur dervorange-
gangenen Zeitepoche mag Philisterei gewesen sein, die Signatur
der heutigen ist sie nicht, viel eher das Gegenteil. Die vorherge-
hende Zeit fragte bei allem Neuen: Ist mir das bequem und
verständlich? Die gegenwärtige fragt: Werde ich mich nicht als
rückständig blamieren? Das ist der ganze Unterschied.«- Es ist
der ganze. Man übenreibt nur leicht, wenn man behauptet, daß
aller Erfolg seit fünfzehn Jahren dieser neuen Philisterei ent-
sprang, welche die ehrsame alte an Lächerlichkeit und Verderb-
lichkeit weit übertrifft; und was der deutsche Musiker da sagt, ist
genau dasselbe, was ein viriler Rationalist, der Däne J ohannes V.
Jensen, in seinem Buch >Unser Zeitalter< ausspricht: »Der Fu-
turismus hat seinen Einzug auch in die Newyorker Salons gehal-
ten. Nie hat ein Moloch Sklavenseelen so inZuchtgehalten wie der
moderne Kommandoruf Fortschritt; selbst die Angelsachsen, von
denen der Begriff common sense doch stammt, beugen sich willig
der Peitsche; denn man willlieber nackt über die Straße gehen, als
dumm sein, gerade wie der alte liebe Kaiser im Märchen.«
>Futuristengefahr< ist ein Kind des Krieges, und es kann also nicht
wundernehmen, daß der Aufsatz politische Färbung zeigt. >Pale-
strina< hingegen entstand vor dem Kriege, - zwei Drittel der
Panitur mindestens lagen fertig vor im August 1914. Dennoch
sind schon nach einem flüchtigen Blick die Linien erkennbar, die
das Werk mit der Streitschrift verbinden, und erstaunlich ist es, zu
sehen, wie Probleme, die der Krieg >demokratisierte<, die er zu
allgemeiner, journalistischer Aktualität erweckte, jede exponiene
Empfindlichkeit längst vorher- und zwar keineswegs akademi-
scherweise und in Mußestunden, sondern bis ins Intimste, bis in
die Produktion hinein - dringlich beschäftigten. Wir glaubten
nicht an den Krieg, - während wir ihn in uns trugen.
Der Vorhang ist noch nicht zehn Minuten offen, als Jung-Silla
bereits in die verfänglichen Verse ausbricht:
Welch herrlich freier Zug geht doch durch unsre Zeit!
lst's nicht bei dem Gedanken schon
Ans heitere Florenz,
Als dürfte sich mein eignes Wesen
Vom dummen Joch der Allgemeinheit lösen,
Und die höchste Stufe erklimmen.
Wie in meiner lieben Kunst die Singestimmen,
Abhängig von jeher, erbärmlich polyphon,
Sich dort befrein zur Einzelexistenz.
0 wüßtest du,
Was hier noch alles flüstert, reden möchte,
Weich dunklere Gedanken, unheimliche -
Für mich der Holzstoß wär' dir noch zu mild!
Und von da ist nicht weit mehr bis zu dem Wunsch und Vorsatz:
Mit off'nen Augen in des Lebens Rachen
Will flieh'n ich aus der Zeit-,
der anachronistisch -schopenhauerischen Umschreibung emes
53
ganz und gar ungehörigen Vorhabens, das denn auch von den
Meistern nicht ohne kategorische Strenge zurückgewiesen wird.
»Dein Erdenpensum, Palestrina«, sagen sie, »dein Erdenpensum
schaff'!«
Den Schlußstein zum Gebäue
Zu fügen sei bereit;
Das ist der Sinn der Zeit.
Wenn Du Dein ganzes Bild aufweist,
Wenn Dein' Gestalt vollkommen,
So, wie sie war entglommen
Von Anbeginn im Schöpfergeist:
Dann strahlst Du hell, dann klingst Du rein,
Pierluigi Du,
An seiner schönen Ketten
Der letzte Stein.
Was wollen die Verse anderes besagen als das prosaischeWortder
Streitschrift: »Nicht die Kunst, der Künstler hat ein Ziel«? Die
gegenteilige Meinung wäre optimistisches Pathos. Palestrina ist
der Mann des pessimistischen Ethos. Wenn die Welt in einer
Richtung ,fonschreitet<, an die man durchaus nicht glaubt, ob-
gleich man solchen Fortschritt als notwendig und unabwendbar
anerkennt und selbst von Natur nicht umhinkam, ihn zu fördern:
dann ist es unmöglich, pathetisch zu sein; der Sinn derZeitnimmt
persönlich-ethischen Charakter an, es gilt »dein Erdenpensum«;
es gilt dein' Gestalt vollkommen zu machen; es gilt auszuhalten,-
ich sage nicht durchzuhalten. Was immer er nun auch sei, -
Palestrina findet die Kraft, es zu sein; und indem er das notwen-
dige Werk schafft, das nur er seiner Natur und zeitlichen Stellung
nach zu schaffen vermögend ist, die Messe, welche neuzeitlich
entwickelte Kunst mit »kirchlichem Gefühl« vereinigt, wird ihm
zugleich das poetische Glück, die Figural-Musik vor der Flamme
zu bewahren, - er wird zum »Retter der Musik« durch eine
erhaltend-schöpferische Tat. Er weiß nun, was er ist, wohin er
gehön und wohin nicht, oder doch, wie weit er hierhin und
donhin gehört; er kennt sein Schicksal, seine Ehre und seinen
Platz, und er »will guter Dinge und friedvoll sein«.
Das ist ja ein vt;rsöhnlicher Fabel-Schluß, und doch hat man
Pfitzners Werk als »hoffnungslos pessimistisch« empfunden, was
sehr begreiflich und berechtigt ist in einem Augenblick, dessen
Optimismus bis zum Revolutionären geht. Wirklich ist der >Pale-
strina< eine Dichtung, die, obwohl ethisch noch höher stehend als
künstlerisch, des fortschrittlichen Optimismus, der politischen
54
Tugend also, völlig entbehrt. Sie ist Romantik nicht nur als
Künstlerbekenntnis, sie ist es viel tiefer hinab, ihrer seelischen
Neigung, ihrer geistigen Stimmung nach; ihre Sympathie gilt
nicht dem Neuen, sondern dem Alten, nicht der Zukunft, sondern
der Vergangenheit, nicht dem Leben, sondern-. Ich weiß nicht,
welche Scheu mich abhält, das Won zu Ende zu sagen, das Formel
und Grundbestimmung aller Romantik ist. Aber hat man be-
merkt, daß die Frauengestalt des Werkes, Lukrezia, nicht dem
Leben gehön, daß sie nur ein Bild ist und ein Schatten? Sie war
Palestrina's Weib, sie starb, und als sie starb, »da ward es trüb in
ihm und leer«, singt Ighino. Aber das ist eine besondere Art von
Trübheit und Leere, fruchtbarer augenscheinlich als manche Hel-
ligkeit und Fülle, denn Palestrina's höchstes Werk geht daraus
hervor, und die Geschiedene ist es, die es ihm einflüsten. Hätte die
Lebende es vermocht? Die Musik, wenn er vor ihrem Bilde steht,
findet Laute von überschwenglicher Schwärmerei, um seine Liebe
zu ihrem Schatten auszudrücken; würde sie soviel Schönheit
hervorzubringen Lust haben anläßlich der Liebe zu einer leben-
den Frau? Geradeheraus gefragt: wäre Palestrina der Mann, und
war er es, eine Lebende so zu lieben, wie er die Tote liebt? Und
allgemein gefragt: Ist der inspirierende Genius dieses Künstlers
überhaupt das Leben und nicht vielmehr-
Es gibt in der Palestrina-Partitur ein Thema- es istwohl eigentlich
das wichtigste von allen, und wir wären schon einmal beinahe
darauf zu sprechen gekommen -, dessen Bedeutung nicht ohne
weiteres klar und das nicht so geradhin bei einem Namen zu
nennen ist, wie etwa das Kaiser-Ferdinand- und das Konzil-Motiv
oder die Motive der Städte Rom, Bologna, Trident. Es ist eine
melodische Figur von außerordentlicher Schönheit, bestehend
aus zwei gleichsam mit wehmütig wissender Bestimmtheit hinge-
stellten Takten, an die eine edel empfundene, hoch aufsteigende
und im Schmuck einer Sechzehntel-Schlußfloskel ergeben zur
Dominante kehrende Kadenz sich fügt. Es erscheint schon im
Vorspiel, im Anschluß an Palestrina's eigentliches archaisches
Thema, und sein Wiederauftreten begleitet oder schafft stets
Augenblicke von geistiger und dichterischer Bedeutsamkeit. Es
beherrscht die musikalische Szene, als der Kardinal den müden
Meister aufforden, das erhaltende und krönende Werk zu schaf-
fen; es erklingt auch, als die Vorgänger ihm »den Sinn der Zeit«
und den seines eigenen Lebens verkünden; und es bildet, unwag-
nerisch-untheatralisch, den ruhevoll-resignierten Abschluß des
ganzen Gedichtes. Was also besagt es? Unzweifelhaft gehön es zu
Palestrina' s Persönlichkeit. Es ist das Symbol für einen Teil seines
Wesens oder für sein Wesen in einer bestimmten Beziehung: das
Symbol seines künstlerischen Schicksals und seiner zeitlichen
Stellung, das metaphysische Wort dafür, daß er kein Anfang,
sondern ein Ende ist, das Motiv des »Schlußsteins«, der Blick der
Schwermut, der Blick zurück ... Aber ich sagte noch nicht, an
welcher Stelle dies Thema noch ausgesprochen wird: dort näm-
lich, wo vom Abscheiden der Lukrezia die Rede ist,- wahrhaftig
und unverkennbar! Es bildet die symphonische Unterströmung
zu jenem Worte Ighino's: »Da wardes trübinihmundleer«;esist
also zugleich das Symbol des seelischen Zustandes, in den Pale-
strina durch den Tod seines Weibes versetzt wurde, das Symbol
seiner rückwärts oder vielmehr hinab, zum Schattenreich, ge-
wandten Liebe, die sich in jener schöpferischen Wundernacht als
inspirierende Kraft erweist; es ist, alles in allem, die zauberhaft
wohlklingende Formel für seine besondere Art der Produktivität,
eine Produktivität des Pessimismus, der Resignation und der
Sehnsucht, eine romantische Produktivität.
An einem Sommerabend zwischen der zweiten und dritten Pale-
strina-Aufführung unterhielt man sich, auf einer Gartenterrasse
sitzend, über das Werk, indemman es, was naheliegt, als Künstler-
drama und als Kunstwerk überhaupt mit den >Meistersingern<
verglich; man stellte lghino gegen David, Palestrina gegen Stol-
zing und Sachs, die Messe gegen das Preislied; man sprach von
Bach und der italienischen Kirchenmusik als stilisierenden Kräf-
ten. Pfitzner sagte: »Der Unterschied drückt sich am sinnfällig-
sten in den szenischen Schlußbildern aus. Am Ende der >Meister-
singer< eine lichtstrahlende Bühne, Volksjubel, Verlöbnis, Glanz
und Gloria; bei mir der freilich auch gefeierte Palestrina allein im
Halbdunkel seines Zimmers unter dem Bild der Verstorbenen an
seiner Orgel träumend. Die >Meistersinger< sind die Apotheose
des Neuen, ein Preis der Zukunft und des Lebens; im >Palestrina<
neigt alles zum Vergangenen, es herrscht darin Sympathie mitdem
Tode.« Man schwieg; und nach seiner Art, einer Musikantenart,
ließ er seine Augen auf eine Sekunde schräg aufwärts ins Vage
entgleiten.
Es ist nicht ohne weiteres verständlich, warum das letzte seiner
Worte mich so sehr erschütterte und erstaunte. Nicht, daß es mir
sachlich überraschend gekommen wäre, es war ja vollkommen an
seinem Platz. Was mich so betroffen machte, war die Formulie-
rung. »Sympathie mit dem Tode« ... ich traute meinen Ohren
nicht. Das Wort war von mir. Vor dem Kriege hatte ich einen
kleinen Roman zu schreiben begonnen, eine Art von pädagogi-
scher Geschichte, in der ein junger Mensch, verschlagen an einen
sittlich gefährlichen Aufenthaltsort, zwischen zwei gleicherma-
ßen schnurrige Erzieher gestellt wurde, zwischen einen italieni-
schen Literaten, Humanisten, Rhetor und Fortschrittsmann und
einen etwas anrüchigen Mystiker, Reaktionär und Advokatender
Anti-Vernunft,- er bekam zu wählen, der gute Junge, zwischen
den Mächten der Tugend und der Verführung, zwischen der
Pflicht und dem Dienst des Lebens und der Faszination der
Verwesung, für die er nicht unempfänglich war; und die Rede-
wendung von der »Sympathie mit dem Tode«,' war ein themati-
scher Bestandteil der Komposition. Nunhörteich sie wörtlich aus
dem Munde des Palestrina-Dichters. Und ohne jede Pointierung,
durchaus improvisationsweise, wie es schien, und nur eben, um
die Dinge beim rechten Namen zu nennen, hatte er sie hingespro-
chen. War das nicht überaus merkwürdig! Um sein pathetisch-
musikalisches Werk recht gründlich zu kennzeichnen, war dieser
bedeutende Zeitgenosse mit genauer Notwendigkeit auf eine
Formel meines ironischen Literaturwerkes verfallen. Wieviel
Brüderlichkeit bedeutet Zeitgenossenschaft ohne weiteres! Und
wieviel Ähnlichkeit in der Richtung der geistigen Arbeit ist nötig,
damit zwei fern voneinander, in ganz verschiedener Kunstsphäre
lebende Arbeiter im Geist sich, äußerlich zusammenhanglos, auf
das gleiche WOrtsymbol für ganze seelische Komplexe einigen!
»Sympathie mit dem Tode« - ein Wort der Tugend und des
Fortschritts ist das nicht. Ist es nicht vielmehr, wie ich sagte,
Formel und Grundbestimmung aller Romantik? Und jenes
schöne, wehmütig-schicksalsvolle Palestrina-Motiv, das wir
nicht gleich zu benennen wußten, es wäre also das Motiv der
schöpferischen Sympathie mit dem Tode, das Motiv der Roman-
tik, das Schlußwort der Romantik? Der Sänger des Palestrina war
derselbe, der in Basel als Evangelist in der Matthäus-Passion auf
Romain Rolland so starken Eindruck machte. Bei Nacht an
seinem Tische sah er ergreifenderweise dem Autor ähnlich: das
bekenntnishafte Gepräge der ganzen Darbietung wurde dadurch
vollkommen. Nicht sowohl um die Krönung der italienischen
Kirchenmusik handelte es sich, sondern um den »letzten Stein«
zum Gebäude der romantischen Oper, um den wehmutsvollen
Ausklang einer national-künstlerischen Bewegung, die mit Hans
Pfitzner, seiner eigenen Einsicht nach, sich ruhmvoll endigt.
Ich will alles sagen,- das ist der Sinn dieses Buches. Der Kompo-
nist des >Armen Heinrich<, der >Rose vom Liebesgarten< und des
>Palestrina<, der bis zum Hochsommer 1914 sich um Politik den
Teufel mochte gekümmert haben, der ein romantischer Künstler,
das heißt: national, aber unpolitisch gewesen war, erfuhr durch
57
den Krieg die unausbleibliche Politisierung seines nationalen·
Empfindens. Nach innen wie nach außen nahin er Stellung mit
einer Entschiedenheit, die bei aller >Literatur<, bei allem kosmo-
politischen Radikalismus nicht wenig anstoßen, nicht wenig Ver-
achtung erregen mußte. Wahrhaftig, dieser Zarte, Inbrünstige
und Vergeistigte nahm Stellung gegen den >Geist<, erwies sich als
>Machtmensch<, ersehnte den kriegerischen Triumph Deutsch-
lands, widmete demonstrativ, als die Wogen des V-Boot-Streites
am höchsten gingen, ein Kammermusikwerk dem Großadmiral
von Tirpitz; mit einem Worte: der nationale Künstler hatte sich
zum antidemokratischen Nationalisten politisiert. Wen wunderte
es? Er war musikalisch-deutsch gewesen wie keiner; sein Instinkt,
sein erhaltender Grundwille hatte aller künstlerischen >Demokra-
tie<, allem europäischen Intellektualismus tief feindlich entgegen-
gestanden; und wenn er gerade darum im Politischen ein fremdes
Wesen hatte erblicken müssen,- es kam der Tag, wo sich erwies,
daß einer bestimmten seelisch-geistigen Verfassung eben doch
eine bestimmte politische Haltung latent innewohnt oder von
weitem entspricht, die einzunehmen unter Weltumständen wie
den gegenwärtigen niemand umhinkann. Kein christlicher Kos-
mopolitismus aber kann mich hindern, im Romantischen und im
Nationalen eine und dieselbe ideelle Macht zu erblicken: die
herrschende des neunzehnten, des >Vorigen< Jahrhunderts. Alle
Zeitkritik verkündete vor dem Kriege das Ende der Romantik; der
>Palestrina< ist der Grabgesang der romantischen Oper. Und die
nationale Idee? Wer wollte mit ganz fester Stimme der Behaup-
tung widersprechen, daß sie in diesem Kriege verbrennt, - in
einem Feuer freilich, so riesenhaft, daß noch in Jahrzehnten der
ganze Himmel davon in Gluten stehen wird? Das neunzehnte
Jahrhundert war national. Wird auch das zwanzigste es sein?
Oder ist Pfitzners Nationalismus, auch er,- »Sympathie mit dem
Tode«?
ÜBER DIE KUNST RICHARD WAGNERS
59
Liebe ohne den Glauben, - denn stets schien es mir pedantisch,
nicht lieben zu können, ohne zu glauben. Es war ein Verhältnis,-
skeptisch, pessimistisch, hellsichtig, fast gehässig, dabei durchaus
leidenschaftlich und von unbeschreiblichem Lebensreiz. Wun-
derbare Stunden tiefen, einsamen Glückes inmitten der Theater-
menge, Stunden voller Schauer und kurzer Seligkeiten, voll von
Wonnen der Nerven und des Intellekts, von Einblicken in rüh-
rende und große Bedeutsamkeiten, wie nur diese nicht zu über-
bietende Kunst sie gewährt!
Heute jedoch glaube ich nicht mehr, wenn ich es jemals glaubte,
daß die Höhe eines Kunstwerks in der Unüberbietbarkeit seiner
Wirkungsmittel bestehe. Und ich meine zu wissen, daß Wagners
Stern am Himmel deutschen Geistes im Sinken begriffen ist.
Ich rede nicht von seiner Theorie. Wäre sie nicht so durchaus
etwas Sekundäres, nicht so ganz nur eine nachträgliche und
überflüssige Verherrlichung seines Talentes, so wäre sein Werk
ohne Zweifel so unhaltbar geworden wie sie, und nie hätte jemand
sie auch nur einen Augenblick ernst genommen ohne das Werk,
das sie, solange man im Theater sitzt, zu beweisen scheint, und das
doch eben nichts weiter beweist als sich selber. Ja, hat überhaupt je
jemand ernstlich an diese Theorie geglaubt? An die Addition von
Malerei, Musik, Wort und Gebärde, dieWagnerfür die Erfüllung
aller künstlerischen Sehnsucht auszugeben die Unbefangenheit
hatte? An eine Rangordnung der Gattungen, in welcher der
>Tasso< dem >Siegfried< nachstünde? Werden denn Wagners
Kunstschriften auch nur gelesen? Woher eigentlich dieser Mangel
an Interesse für den Schriftsteller Wagner? Daher, daß seine
Schriften Parteischriften und nicht Bekenntnisse sind? Daß sie
sein Werk, worin er wahrhaftig in seiner leidenden Größe lebt,
sehr mangelhaft, sehr mißverständlich kommentieren? Man
müßte diese Entschuldigung gelten lassen. Es ist wahr, man kann
aus Wagners Schriften nicht viel über Wagner lernen.
Nein, ich spreche von seinem mächtigen Werke selbst, das heute
beim bourgeoisen Publikum den Höhepunkt seiner Popularität
erreicht hat, von seiner Kunst als Geschmack, als Stil, als Welt-
empfindung. Man lasse sich nicht täuschen durch den Begeiste-
rungslärm der jungen Leute im Stehparterre. In Wahrheit ist heute
in der höheren Jugend viel Wagnerkritik, viel instinktives, wenn
auch stummes Mißtrauen, ja, es muß gesagt werden, viel Gleich-
gültigkeit gegen Wagner vorhanden. Und wie könnte das anders
sein? Wagner ist neunzehntesJahrhundertdurch und durch, ja, er
ist der repräsentative deutsche Künstler dieser Epoche, die viel-
leicht als groß und gewiß als unglückselig im Gedächtnis der
6o
Menschheit fortleben wird. Denke ich aber an das Meisterwerk
des zwanzigsten Jahrhunderts, so schwebt mir etwas vor, was sich
von dem Wagner'schen sehr wesentlich und, wie ich glaube,
vorteilhaft unterscheidet, - irgend etwas ausnehmend Logisches,
Formvolles und Klares, etwas zugleich Strenges und Heiteres, von
nicht geringerer Willensspannung als jenes, aber von kühlerer,
vornehmerer und selbst gesunderer Geistigkeit, etwas, das seine
Größe nicht im Barock-Kolossalischen und seine Schönheit nicht
im Rausche sucht, - eine neue Klassizität, dünkt mich, muß
kommen.
Aber noch immer, wenn unverhofft ein Klang, eine beziehungs-
volle Wendung aus Wagners Werk mein Ohr trifft, erschrecke ich
vor Freude, eine Art Heim- und Jugendweh kommt mich an und
wieder, wie einstmals, unterliegt mein Geist dem klugen und
sinnigen, sehnsüchtigen und abgefeimten Zauber.
WIE STEHEN WIR HEUTE
ZU RICHARD WAGNER?
66
zu hantieren und Monstranzen emporzuheben, mußte sich
schließlich als Bruder des Priesters, ja selbst als Priester fühlen.-
Oft habe ich den Beziehungen nachgehangen, die Wagner und
Jbsen verbinden, und fand es schwer, zwischen der epochalen
Verwandtschaft und einer intimeren noch zu unterscheiden, als
Zeitgenossenschaft sie hervorbringt. Es war mir unmöglich, in
dem Dialog von Ibsens bürgerlichem Schauspiel nicht Mittel,
Wirkungen, Bestrickungen, tiefste Reize wiederzuerkennen, die
mir aus Wagners Klangwelt vertraut waren, nichteine Brüderlich-
keit festzustellen, die wohl zum Teil einfach in ihrer Größe, aber
so vielfach auch in ihrer Art, groß zu sein, bestand. Wieviel
Gemeinsames in der ungeheuren Geschlossenheit, Sphärenrund-
heit, Restlosigkeit ihrer gewaltigen, jugendlich sozialrevolutionä-
ren und alternd ins Mystisch-Zeremonielle verbleichenden Le-
benswerke? >Wenn wir Toten erwachen<, die schaurig gehauchte
Beichte des Werkmenschen, der bereut, die späte, zu späte Liebes-
erklärung an das >Leben< - und >Parsifal<, das Oratorium der
Erlösung -, wie bin ich gewohnt, sie in eins zu sehen, in eins zu
empfinden, die beiden Abschiedsweihespiele und letzten Worte
vor ewigem Schweigen, die zelesten Greisenwerke in ihrer maje-
stätisch-sklerotischen Müdigkeit, dem Schon-mechanisch-ge-
worden-Sein all ihrer Mittel, dem Spätgepräge von Resümee,
Rückschau, Selbstzitat, Auflösung.
War nicht, was man >Finde siede< nannte, ein recht klägliches
Satyrspiel der kleinen Zeit zu dem eigentlichen und verehrungs-
würdigen Ausklang des Jahrhunderts, der sich in den Alterswer-
ken der beiden Magier vollzog? Denn nordische Magier, schlimm
verschmitzte alte Hexenmeister waren sie beide, tief bewandert in
allen Einflüsterungskünsten einer so sinnigen wie ausgepichten
Teufelsartistik, groß in der Organisation der Wirkung, im Kultus
des Kleinsten, in aller Doppelbodigkeit und Symbolbildung, in
diesem Zelebrieren des Einfalls, diesem Poetisieren des Intellektes
-Musiker dabei, wie es sich für Nordmenschen von selbst ver-
steht: nicht nur der eine, der die Musik, bewußt und weil er sie als
Eroberer brauchte, erlernt hatte, sondern auch der andere, auch
Ibsen, obschon nur heimlicher-, geistigerweise und hinter dem
Wort.
Was sie aber gar zumVerwechseln einander ähnlich macht, ist der
von niemandem als möglich geahnte Sublimierungsprozeß, den
unter den Händen des einen wie des anderen eine vorgefundene,
und zwar in geistig bescheidenem Zustandevorgefundene Kunst-
form erfuhr. Diese Kunstform war in Wagners Fall die Oper, im
Falle Ibsens das Gesellschaftsstück. Goethe sagt: »Alles Vollkom-
67
mene in seiner Art muß über seine Art hinausgehen, es muß etwas
anderes, Unvergleichbares werden. In manchen Tönen ist die
Nachtigall noch Vogel, dann steigt sie über ihre Klasse hinüber
und scheint jedem Gefiederten andeuten zu wollen, was eigentlich
Singen heiße.« Ganz so haben Wagner und Ibsen die Oper, das
zivile Schauspiel vollkommen gemacht: sie machten etwas ande-
res, Unvergleichbares daraus. Und selbst jener Rest und Rück-
schlag im Beispiel von Goethe's Nachtigall findet sich bei ihnen
wieder: zuweilen, und zwar bis hoch hinauf, bis in den >Parsifal,
hinein, gibt es bei Wagner noch Oper; zuweilen noch klappert bei
Ibsen dieTechnikdes Dumas-Dramas. Aber beide sind sie schöp-
ferisch in dem perfektionierend-übersteigernden Sinn, daß sie aus
dem Gegebenen das Neue und Ungeahnte entwickeln.
Was erhebt das Werk Wagners geistig so hoch über das Niveau
alles älteren musikalischen Schauspiels? Es sind zwei Mächte, die
sich zu dieser Erhebung zusammenfinden, Mächte und geniale
Begabungen, die man für feindlich einander entgegengesetzt hal-
ten sollte und deren kontradiktorisches Wesen man wirklich
gerade heute wieder gern behauptet: sie heißen Psychologie und
Mythus. Man will ihre Vereinbarkeit leugnen, Psychologie er-
scheint als etwas zu Rationales, als daß man sich entschließen
könnte, etwa kein unüberwindliches Hindernis auf dem Wege ins
mythische Land darin zu erblicken. Sie gilt als Widerspruch zum
Mythischen, wie sie als Widerspruch zum Musikalischen gilt,
obgleich ebendieser Komplex von Psychologie, Mythus und
Musik uns gleich in zwei großen Fällen, in Nietzsche und Wagner,
als organische Wirklichkeit vor Augen steht.
Ober den Psychologen Wagner wäre ein Buch zu schreiben, und
zwar über die psychologische Kunst des Musikers wie des Dich-
ters, sofern diese Eigenschaften bei ihm zu trennen sind. Die
Technik des Erinnerungsmotivs, in der alten Oper gelegentlich
schon verwandt, wird allmählich zu einem tiefsinnig virtuosen
System ausgebaut, das die Musik in einem Maße wie nie zuvor
zum Werkzeug psychologischer Anspielungen, Vertiefungenj
Bezugnahmen macht. Die U mdeutungdes naiv-epischen Z:.luber-
motivs des »Liebestrankes« in ein bloßes Mittel, eine schon
bestehende Leidenschaft frei zu machen- in Wirklichkeit könnte
es reines Wasser sein, was die Liebenden trinken, und nur ihr
Glaube, den Tod getrunken zu haben, löst sie seelisch aus dem
Sittengesetze des Tages-, ist die dichterische Idee eines großen
Psychologen. Wie geht das Dichterische bei WagnervonAnfang
an übers Librettomäßige hinaus -, und zwar weniger sogar im
68
Sprachlichen als im Psychologischen! >>Die düstre Glut<<, sagt der
Holländer in dem schönen Duett mit Senta im zweiten Akt-
73
Vorgeschichten zu entwickeln, ist hierin dem klassischen Drama
viel näher. Und es liegt Humor darin, daß gerade das dramatische
Sinnlichkeitstheorem Wagners ihn auf eine so wundervolle Art
zum Epischen verführte.
Sein Verhältnis zu den Einzelkünsten, aus denen er sein »Gesamt-
kunstwerk« schuf, ist des Nachdenkens wert; es liegt etwas
eigentümlich Dilettantisches darin, wie denn Nietzsche in seiner
wagnerfrommen >Vierten Unzeitgemäßen Betrachtung< über
Wagners Kindheit und Jugend sagt: »Seine Jugend ist die eines
vielseitigen Dilettanten, aus dem nichts Rechtes werden will. Ihn
schränkte keine strenge erb- und familienhafte Kunstübung ein.
Die Malerei, die Dichtkunst, die Schauspielerei, die Musikkamen
ihm so nahe als die gelehrtenhafte Erziehung und Zukunft; wer
oberflächlich hinblickte, möchte meinen, er sei zum Dilettantisie-
ren geboren.« - Tatsächlich und nicht nur oberflächlich, sondern
mit Leidenschaft und Bewunderung hingeblickt, kann man sagen,
auf die Gefahr hin, mißverstanden zu werden, daß Wagners Kunst
ein mit höchster Willenskraft und Intelligenz monurilentalisierter
und ins Geniehafte getriebener Dilettantismus ist. Die Ver-
einigungsidee der Künste selbst hat etwas Dilettantisches und
wäre ohne die mit höchster Kraft vollzogene Unterwerfung ih-
rer aller unter sein ungeheures Ausdrucksgenie im Dilettan-
tischen steckengeblieben. Es ist etwas Zweifelhaftes um seine
Beziehung zu den Künsten; so unsinnig es klingt, haftet ihr
etwas Amusisches an. Italien, die bildende Kunst lassen ihn im
Grunde völlig kalt. Der Wesendonck schreibt er nach Rom:
»Sehen Sie und schauen Sie für mich mit: ich habe es nötig, daß
es jemand für mich tut ... Mit mir hat es da eine eigne Bewandt-
nis: das habe ich wiederholt und endlich am bestimmtesten in
Italien kennengelernt. Ich werde eine Zeitlang durch bedeu-
tende Wirkung auf mein Auge lebhaft ergriffen: aber- es dauert
nicht lang ... Es scheint, daß das Auge mir als Sinn der Wahr-
nehmung der Welt nicht genügt.«
Sehr begreiflich! Er ist ja Ohrenmensch, Musiker und Dichter,
aber seltsam ist es doch, daß er aus Paris an dieselbe Adressatin
schreiben kann: »Ach, was schwelgt das Kind in Raphael und
Malerei! Was ist das schön, lieblich und beruhigend! Nur mich
will das nie einmal berühren! Ich bin immer noch der Vandale, der
seit einem Jahresaufenthalt in Paris nicht dazu gekommen ist, das
Louvre zu besuchen! Sagt Ihnen das nicht alles??«- Nicht alles,
aber doch manches und sonderbar Bezeichnendes. Die Malerei ist
eine große Kunst, so groß wie das Gesamtkunstwerk. Sie hat vor
diesem auf eigene Hand bestanden und tut es nach ihm; aber sie
74
berührt ihn nicht. Er müßte weniger groß sein, daß man sichnicht
dadurch in der Seele der Malerei gekränkt fühlen sollte! Denn die
bildende Kunst hat ihm weder als Vergangenheit noch als leben-
dige Gegenwart etwas zu sagen. Das Große, das neben seinem
Werk aufwächst, die französische impressionistische Malerei,
sieht er kaum, sie geht ihn nichts an. Seine Beziehungen dazu
beschränken sich auf die Tatsache, daß Renoir sein Porträt gemalt
hat- ein Bild, das seinen Gegenstand nicht gerade heroisiert und
ihm nicht sehr gefallen haben wird. Es ist klar, daß er zur Dichtung
ganz anders steht als zur bildenden Kunst. Sie hat ihm, namentlich
durch Shakespeare, sein Leben lang Unendliches gegeben, wenn
auch die Theorie, mit der er sein eigenes Talent glorifizierte, ihn
von den »Literatur-Dichtern«, wie er sagte, fast mitleidig reden
ließ. Aber was liegt daran, da er selbst der Dichtung Gewaltiges
geschenkt, sie mit seinen Werken bereichert hat, - bei denen
freilich nie zu vergessen ist, daß sie nicht gelesen werden sollen,
nicht eigentlich Sprachwerke, sondern »Musikdunst« sind, der
Ergänzung durch Bild, Gebärde, Musik bedürfen underst in ihrer
aller Zusammenwirken sich als Dichtung vollenden. Rein sprach-
lich gesehen, haben sie oft etwas Schwulstiges und Barockes, auch
Kindliches, etwas von großartiger und selbstherrlicher Unberu-
fenheit, -mit Einlagerungen von absoluter Genialität, von Kraft,
Gedrungenheit, Urschönheit, die jeden Zweifel entkräften-und
doch das Bewußtsein nicht auslöschen, daß es sich nicht um
Gebilde handelt, die innerhalb der Kultur der großen europäi-
schen Literatur und Dichtung stehen, sondern abseits davon, als
Anweisungen zu einer theatralischen Ausdrucksveranstaltung,
die unter anderem auch des Wortes bedarf. Ich denke bei jenenins
kühn Dilettantische eingesprengten Sprachgenialitäten besonders
an den >Ring des Nibelungen< und an den >Lohengrin<, der, als
Wortschöpfung genommen, vielleicht. das Reinste, Edelste und
Schönste darstellt, was Wagner gelungen ist.
Sein Genie ist eine dramatische Synthesis der Künste, die nur als
Ganzes, eben als Synthese, den Begriff des echten und legitimen
Werkes erfüllt. Den Bestandteilen, selbst der Musik als solcher
und sofern sie eben nicht Mittel zum Gesamtzweck ist, eignet
etwas Wildwüchsig-Illegitimes, das sich erst im erhabenen Gan-
zen aufhebt. Daß Wagners Verhältnis zur Sprache nicht dasjenige
unserer großen Dichter und Schriftsteller war, daß es der Strenge
und Delikatesse entbehrt, die dort walten, wo die Sprache als
höchstes Gut und anvertrautes Mittelder Kunstempfunden wird,
das zeigen seine Gelegenheitsgedichte, diese verzuckert romanti-
schen Huldigungen und Widmungspoeme an Ludwig den Zwei-
75
ten von Bayern, diese banausisch fidelen Reimereien an Freunde
und Helfer. Jedes hingeworfene Gelegenheitsreimehen Goethe's
ist goldschwere Dichtung und hohe Literatur gegen diese Sprach-
philistereien und versifizierten Männerscherze, bei denen die
Verehrung nur etwas mühsam zu lächeln vermag. Sie halte sich
dafür an Wagners Prosaaufsätze, diese ästhetischen, kulturkriti-
schen Manifeste und Selbsterläuterungen, - Künstlerschriften
von erstaunlicher Gescheitheit und denkerischer Willenskraft, die
man freilich als Sprach- und Geisteswerke nicht mit den kunstphi-
losophischen Arbeiten Schillers, etwa mit dem unsterblichen
Versuch >Über naive und sentimentalische Dichtung<, vergleichen
darf. Etwas schwer Lesbares, zugleich Verschwommenes und
Steifes gehört zu ihnen, wiederum etwas wild- und nebenwüchsig
Dilettantisches; sie gehören nicht eigentlich der Welt großer
deutscher und europäischer Essayistik an, sind nicht eigentlich
Werke eines geborenen Schriftstellers, sondern nebenbei, aus
Not, entstanden. Wagner war alles Einzelne nur aus Not. Glück-
lich, berufen, vollkommen, legitim und groß ist er erst im Großen
und Ganzen.
War er denn nicht auch Musiker nur aus Not, zum Zweck des
überwältigenden Ganzen und durch den Willen? Nietzsche be-
merkt einmal, daß die sogenannte Begabung nicht das W esent-
liche des Genies sein könne. >>Wie wenig Begabung zum Beispiel
bei Richard Wagner«, ruft er aus. >>Gab es je einen Musiker, der
in seinem achtundzwanzigsten Jahr noch so arm war?« Wirklich
wächst Wagners Musik aus zagen, kümmerlichen und unselbstän-
digen Anfängen auf, und diese Anfänge liegen viel später in seinem
Leben als bei großen Musikern sonst. Er selbst sagt:>> Ichentsinne
mich, noch um mein dreißigstesJahrherum mich innerlich zwei-
felhaft befragt zu haben, ob ich denn wirklich das Zeug zu einer
höchsten künstlerischen Individualität besäße: ich konnte in mei-
nen Arbeiten immer noch Einfluß und Nachahmung verspüren
und wagte nur beklommen, auf meine fernere Entwicklung als
durchaus originell Schaffender zu blicken.« Das ist ein Rückblick
aus der Zeit der Meisterschaft, im Jahre r 862. Aber nur drei Jahre
früher, mit sechsundvierzig Jahren, aus Luzern, in Tagen, da es
mit dem >Tristan< durchaus nicht vorwärtsgehen will, schreibt er
an Liszt: »Wie jämmerlich ich mich als Musiker fühle, kann ich
Dir gar nicht stark genug versichern; aus Herzensgrunde halte ich
mich für einen absoluten Stümper. Du solltest mich jetzt nur
manchmal so dasitzen sehen, wenn ich so denke, >es muß doch
gehen< - und dann ans Klavier gerate und einigen miserablen
Dreck zusammengreife, um dann blödsinnig es aufzugeben. Wie
mir da zu Mut ist! -Welch innige Überzeugung von meiner
eigentlichen musikalischen Lumpenhaftigkeit! Und nun kommst
Du, dem es aus allen Poren herausquillt wie Ströme und Quellen
und Wasserfälle, und - da soll ich mir nun noch so etwas sagen
lassen wie Deine Worte. Nicht zu glauben, daß dies völlige Ironie
sei, fällt mir da sehr schwer ... Liebster, das ist eine eigene
Geschichte, und glaub mir, mit mir ist's nicht weit her.«- Das ist
offenbare Depression, ungültig in jedem Wort, und Liszt antwor-
tet denn auch gebührend darauf. Er macht ihm »verrückte Unge-
rechtigkeit gegen sich selbst« zum Vorwurf. Übrigens kennt jeder
Künstler solche plötzliche Scham vor dem Meisterhaften neben
und vor ihm: sie kommt daher, daß jede Kunstübung eine neue
und ihrerseits schon sehr kunstvolle Anpassung des persönlich
und individuell Bedingten an die Kunst überhaupt darstellt und
der einzelne, selbst nach anerkannten, geglückten Leistungen,
beim Vergleich mit fremder Meisterschaft sich plötzlich fragen
kann: wie ist es möglich, mein persönliches Arrangement mit
jenen Dingen überhaupt in einem Atem zu nennen?- Und doch
hat ein solcher Grad von depressiver Selbsterniedrigung, von
Gewissensverzweiflung im Angesicht der Musik bei dem, der im
dritten Akt des >Tristan< hält, etwas Befremdendes und psycholo-
gisch Auffallendes. Wahrhaftig, die diktatorische Selbstgewißheit
von Wagners alten Tagen, als er in den >Bayreuther Blättern< gar
vieles Schöne, Mendelssohn, Schumann und Brahms, zum höhe-
ren Ruhm der eigenen Kunst verspottete und verdammte, - dies
Selbstbewußtsein ist mit vieler früheren Zerknirschung und Ver-
zagtheit vor der Kunst erkauft! Woher kamen diese Anfälle?
Gewiß nur daher, daß er selbst in solchen Augenblicken den
Fehler beging, sein Musikerturn zu isolieren und es so in Vergleich
mit dem Höchsten zu stellen, während es doch ebenso nur sub
specie seines Dichterturns betrachtet werden darf, wie umgekehrt,
- und diesem Fehler hauptsächlich entstammt ja der erbitterte
Widerstand, den seine Musik zu überwinden gehabt hat. Wir, die
wir der Wunderwelt dieser Klänge, ihrer intellektuellen Magie so
viel Beglückung und Entrückung, so viel Staunen über ein selbst-
geschaffenes, ungeheueres Können verdanken, wir begreifen nur
schwer diese Widerstände, diesen Abscheu; wir finden Aus-
drücke, wie sie gegen Wagners Musik gebraucht wurden, Be-
zeichnungen wie »kalt«, »algebraisch«, "formlos«, entsetzlich
mißverständlich und uneinsichtig, von einer dickhäuterischen
Verständnisarmut und U nempfänglichkeit zeugend, und wir sind
geneigt zu glauben, nur aus ganz unmusischerund philisterhafter,
gott- und musikverlassener Sphäre hätten solcheUrteile kommen
77
können. Aber dem war nicht so. Viele, die so urteilen, so urteilen
mußten, waren keine Spießer, es waren künstlerische Seelen und
Geister, Musiker und Liebende der Musik, Menschen, denen das
Schicksal der Musik am Herzen lag und die mit Recht den
Anspruch erhoben, zwischen Musik und Unmusik unterscheiden
zu können - und sie fanden, daß diese Musik keine sei. Ihre
Meinung ist vollkommen geschlagen worden, ihr war eine säku-
lare Niederlage beschieden. Aber wenn sie falsch war, war sie auch
unentschuldbar? Wagners Musik ist so ganz und so gar nicht
Musik, wie die dramatische Unterlage, die sie zur Dichtung
vervollständigt, Literatur ist. Sie ist Psychologie, Symbol, My-
thik, Emphatik - alles; aber nicht Musik in dem reinen und
vollwertigen Sinn jener verwirrten Kunstrichter. Die Texte, um
die sie sich rankt und die sie zum Drama erfüllt, sind nicht
Literatur, aber die Musik ist es. Sie, die wie ein Geysir aus
vorkulturellen Tiefen des Mythos hervorzuschießen scheint (und
nicht nur scheint: sie tut es wirklich), ist in Wahrheit und außer-
dem - gedacht, berechnet, hochintelligent, von ausgepichter
Klugheit, so literarisch konzipiert, wie ihre Texte musikalisch
konzipiert sind. Aufgelöst in ihre Urelernente muß die Musik
dazu dienen, mythische Philosopheme ins Hochrelief zu treiben.
Die unstillbare Chromatik des Liebestodes ist eine literarische
Idee. Das U rströmen des Rheines, die sieben primitiven Akkord-
klötze, die Walhall aufbauen, sind es nicht weniger. Ein berühm-
ter Dirigent, der eben den >Tristan< geleitet hatte, sagte auf dem
Heimweg zu mir: »Es ist gar keine Musik mehr.« Er sagte es im
Sinne unserer gemeinsamen Erschütterung. Aber was wir heute
als bewunderungsvolles Ja aussprechen, wie hätte es nicht anfangs
als zorniges Nein laute.n sollen? Solche Musik wie die von Sieg-
frieds Rheinfahrt oder wie die Totenklage für .den Gefällten,
Stücke von unnennbarer Herrlichkeit für unser Ohr, unseren
Geist, waren nie erhört worden, sie waren unerhört im anstößig-
sten Sinne. Dies Aneinanderreihen symbolischer Motivzitate, die
wie Felsbrocken im Gießbach musikalischer Elementarvorgänge
liegen, als Musik im Sinne Bachs, Mozarts und Beethovens zu
empfinden, war zuviel verlangt. Es war zuviel verlangt, den
Es-Dur-Dreiklang, der das Rheingoldvorspiel ausmacht, bereits
Musik nennen zu sollen. Es war auch keine. Es warein akustischer
Gedanke: der Gedanke des Anfanges aller Dinge. Es war die
selbstherrlich dilettantische Nutzbarmachung der Musik zur
Darstellung einer mythischen Idee. Die Psychoanalyse will wis-
sen, daß die Liebe sich aus lauter Perversitäten zusammensetzte.
Darum bleibt sie doch die Liebe, das göttlichste Phänomen der
78
Welt. Nun denn, das Genie Richard Wagners setzt sich aus lauter
Dilettantismen zusammen.
Aber aus was für welchen! Er ist ein Musiker der Art, daß er auch
die Unmusikalischen zur Musik überredet. Das mag ein Einwand
sein für Esoteriker und Aristokraten der Kunst- aber wenn unter
den Unmusikalischen sich nun Menschen und Artisten wie Bau-
delaire befinden? Für Baudelaire war die Begegnung mit Wagner
einfach die mit der Musik. Er war unmusikalisch, er schrieb es
selbst an Wagner, daß er nichts von der Musik versteheundnichts
gekannt habe als ein paar schöne Stücke von Weber und Beetho-
ven. Und nun eine Hingerissenheit, die ihm den Ehrgeiz eingab,
mit der Sprache zu musizieren, mit ihr allein es Wagner gleichzu-
tun, was weitgehende Folgen für die französische Lyrik gehabt
hat. Solche Erweckte und Proselyten kann eine uneigentliche, eine
Laienmusik sich gefallen lassen; mancher Strenge könnte sie um
solche beneiden, und nicht nur um sie. In dieser exoterischen
Musik gibt es Dinge von einer Genialität und Herrlichkeit, durch
die solche Unterscheidungen der Lächerlichkeit verfallen. Das
Schwanenmotiv aus >Lohengrin< und >Parsifal<; die Sommer-
mondnachtklänge am Schlusse des zweiten Meistersingeraktes
und das Quintett im dritten; die As-Dur-Partie im zweiten Akt
von >Tristan und Isolde< und Tristans Vision der übers Meer
schreitenden Geliebten; die Karfreitagsmusik im >Parsifal< und die
gewaltige Verwandlungsmusik im dritten Akt dieses Werkes; der
herrliche Zwiegesang zwischen Siegfried und Brünnhilde zu An-
fang der >Götterdämmerung< mit der volksliedhaften Intonation
»Willst du mir Minne schenken« und dem hinreißenden» Heil dir,
Brünnhild', prangender Stern!«; gewisse Partien aus der Venus-
berg-Bearbeitung der Tristan-Zeit,- das sind Eingebungen, vor
denen die absolute Musik selbst vor Neid erblassen oder vor
Entzücken erröten könnte. Und dabei ist es Zufall und Willkür,
daß ich gerade sie nenne. Eb~nsogut könnte ich andere anführen
oder an die erstaunliche Kunst erinnern, die Wagner im Abbiegen,
Verändern und Umdeuten eines im musikalischen Verlauf schon
gegebenen Motivs bewährt, wie es etwa im Vorspiel zum dritten
Akt der >Meistersinger< mit Hans Sachsens Schusterlied geschieht,
das uns aus der Humoristik des zweiten Aktes als derber Band-
werkssang bekannt war und nun bei seiner Wiederkehr in diesem
Vorspiel zu ungeahnter Poesie verklärt wird. Oder man denke an
die rhythmische und klangliche Umgestaltung und Neuaus-
legung, die das sogenannte Glaubensmotiv, schon aus den Anfän-
gen der Ouvertüre bekannt, oftmals im Laufe des >Parsifal<
79
und zuerst in der großen Erzählung des Gurnemanz erfährt. Es
ist schwer, von diesen Dingen zu sprechen, wenn einem nur das
Wort zu Verfügung steht, um sie heraufzurufen. Warum wird,
indem ich von Wagners Musik rede, gerade eine solche Einzel-
heit, eine bloße Arabeske, mir im Ohre wach wie die technisch
leicht beschreibbare und im Grunde doch unbeschreibliche
Hornfigur, die in der Totenklage für Siegfried das Liebesmotiv
seiner Eltern harmonisch vorbereitet? Man weiß in solchen
Augenblicken kaum zu unterscheiden, ob es Wagners beson-
dere und persönliche Kunst oder die Musik selbst ist, die man
bewundert und die es einem so antut. Mit einem Wort, es ist
himmlisch - man schämt sich eines Wortes nicht, wie es so
feminin und schwärmerisch eben nur die Musik einem auf die
Lippen zu zwingen vermag. -
Der allgemeine seelische Charakter von Wagners Musik hat etwas
pessimistisch Schweres, langsam Sehnsüchtiges, im Rhythmus
Gebrochenes und aus dunklem Wirrsal nach Erlösung im Schö-
nen Ringendes; es ist die Musik einer beladenen Seele, nicht
tänzerisch zu den Muskeln redend, sondern ein Wühlen, Sich-
schieben und Drängen von unsüdlicher Mühsal, die Lenbachs
Mutterwitz schlagend kennzeichnete, als er eines Tages zu Wag-
ner sagte: »Ihre Musik-ach was, das ist ja ein Lastwagen nach dem
Himmelreich.«- Aber sie ist nicht nur das. über ihrer Seelen-
schwere darf man das Kecke, Stolze und Heitere nicht vergessen,
das sie ebenfalls hervorbringen kann, in den ritterlichen Themen
etwa, den Motiven Lohengrins, Stolzings und Parsifals, nicht das
Elbisch-Naturneckische und Liebliche der Rheintöchterterzette,
den parodischen Witz und gelehrten Übermut des Meistersinger-
vorspiels, auch nicht die Ländlerlustigkeit des Volkstanzes im
dritten Akt. Wagner kann alles. Er ist ein Charakteristiker ohne-
gleichen, und seine Musik als Charakterisierungsmittel verstehen,
heißt sie ohne Maß bewundern. Diese Kunst ist pittoresk, ja
grotesk und auf Distanz berechnet, wie das Theater es verlangt,
aber von einem Erfindungsreichtum auch im Kleinen, einer be-
weglichen Fähigkeit des Eingehens in die Erscheinungen, des
Redens und Gestikulierens aus ihnen heraus, die in solcher Aus-
prägung vorher nie da war. Sie triumphiert in den Einzelfiguren:
in der musikalisch-dichterischen Gestalt des Holländers etwa,
ihrer Umflossenheit von öde und Verdammtheit, ihrerverzwei-
felten Umtostheit von Meereswildnis ... In Loge's elementari-
scher Unberechenbarkeit und tückischer Anmut. Im Geblinzel
und Geknick von Siegfrieds zwergischem Pflegevater. In Heck-
messers närrischer Bosheit und Torheit. Der dionysische Schau-
So
spieler-seine Kunst, seine Künste, wenn man so will-offenbaren
sich in dieser Omnipotenz und Ubiquität der Verwandlung und
Darstellung; er wechselt nicht nur die menschliche Maske, er geht
ein in die Natur, er spricht aus Sturm und Gewitter, aus Blätter-
säuseln und Wellengeglitzer, aus Flammentanz und Regenbogen.
Alberichs Tarnkappe ist das Generalsymbol dieses Vermum-
mungsgenies und imitativen Allvermögens, das im niedrigen
Leben der Kröte, in ihrem schwammigenHüpfen und Kriechen so
wahrhaftig zu Hause ist wie im sorglos sich wiegenden Wolken-
dasein der Asen. Es ist diese charakterisierende Allmacht, die
Werke von solcher seelischen Heterogenität nebeneinander zu
stellen vermag wie die lutherisch derben und deutschen >Meister-
singer< und die todessüchtige, todestrunkene Welt des >Tristan<.
Sie sondert jedes der Werke vom anderen, entwickelt jedes aus
einem Grundlaut, der es von allen anderen unterscheidet, so daß
innerhalb des Gesamtwerkes, das doch selbst ein persönlicher
Kosmos ist, jedes Einzelwerk wiederum eine solche geschlossene
und sternenhafte Einheit bildet. Es gibt musikalische Berührun-
gen und Verbindungen zwischen ihnen, in denen die organische
Einheit des Ganzen sich andeutet. Im >Parsifal< IaufenMeistersin-
gerakzente unter; in der Musik des >Holländer< sind Antizipatio-
nen aus dem >Lohengrin< erlauschbar und in seinem Text solche
Vordeutungen auf die religiöse Verzücktheit der Parsifalsprache
wie die Worte »Ein heil'ger Balsam meinen Wunden- Dem
Schwur, dem hohen Wort entfließt«; im christlichen •Lohengrin<
ergeben die in Ortrud personifizierten heidnischen Rückstände
seiner Sphäre schon Nibelungenklänge. Im ganzen aber ist jedes
Werk auf .eine Art stilistisch gegen die übrigen abgesetzt, die das
Geheimnis des Stiles als Kern der Kunst und fast als die Kunst
selbst sichtbar und fühlbar macht: es ist das Geheimnis der
Vermählung des Persönlichen mit dem Sachlichen. Wagner ist in
jedem Werk ganz er selbst, und jeder Takt darin kann nurvon ihm
sein, zeigt seine unverwechselbare persönliche Formel und Hand-
schrift. Und doch ist jedes zugleich besonders undeinestilistische
Welt für sich, das Produkt einer sachlichen Einfühlsamkeit, die
der persönlichen Eigenwilligkeit die Waage hält und sich rein in
ihr aufhebt. Das stärkste Wunder in diesem Betracht ist vielleicht
das Werk des Siebzigjährigen, der >Parsifal,, der im Erkunden und
Zum-Reden-Bringen entlegener schauerlicher und heiliger Wel-
ten etwas Äußerstes leistet- trotz >T ristan und Isolde< das extrem-
ste unter Wagners Werken und Zeugnis von einer seelisch-stilisti-
schen Anpassungsfähigkeit, die selbst das bei ihm gewohnte Maß
zum Schluß noch überbietet, voll von Lauten, denen man mit
immer neuer Beunruhigung, Neugier und Verzauberung nach-
hängt.
»Eine üble Geschichte das!<< schreibt Wagner im Mai 1859 aus
Luzern, mitten aus der verzehrenden Arbeit am dritten Akt des
>Tristan< heraus, die ihm zu der längst erschauten und entworfe-
nen Figur des Amfortas neue Aufregung bringt. »Eine üble
Geschichte! Denken Sie um des Himmels willen, was da los ist!
Mir ward es plötzlich schrecklich klar: Amfortas ist mein Tristan
des dritten Aktes mit einer undenklichen Steigerung.« -Diese
»Steigerung« ist das unwillkürliche, auf Selbstverwöhnung beru-
hende Lebens- und Wachstumsgesetz seiner Produktion. An den
Qual- und Sündenzerknirschungsakzenten des Amfortas hat er
sein Leben lang geübt. Sie sind schon da in Tannhäusers »Ach,
schwer drückt mich der Sünden Last!«, sie sind im >Tristan< ein
scheinbares Nonplusultra an zerreißendem Ausdruck geworden,
aber im >Parsifal< werden sie, wie er mit Schrecken erkennt, zu
überbieten sein, eine »undenkliche Steigerung« erfahren müssen.
Es handelt sich um ein Auf-die-Spitze-Treiben von Akzenten, zu
denen unbewußt immer stärkere und tiefere Anlässe und Situatio-
nen gesucht werden. Die Stoffe, die Einzelwerke sind Stufen und
sich übersteigernde Abwandlungen einer Einheit des in sich
geschlossenen und sphärenrunden Lebenswerkes, das >sich ent-
wickelt<, aber gewissermaßen von Anfang an da ist. Damit hängt
die Verschachtelung, das Ineinander der Konzeptionen zusam-
men, die es mit sich bringt, daß ein Künstler dieser Art und
geistigen Form es niemals nur mit dem Werk, der Aufgabe zu tun
hat, woran er gerade arbeitet, sondern daß gleichzeitig noch alles
andere mit auf ihm liegt und den produktiven Augenblick belastet.
Etwas scheinbar (nur halb scheinbar) Planmäßiges, Lebensplan-
mäßiges tritt hervor, derart, daß Wagner im Jahre 1862, während
der Komposition der >Meistersinger<, in einem Brief an Bülow aus
Biebrich mit aller Bestimmtheit voraussagt, der >Parsifal< werde
sein letztes Werk sein, rund zwanzig Jahre, bevor er zur Ausfüh-
rung kommt. Denn vorher ist ja der >Siegfried<, in den >Tristan<
und >Meistersinger< eingelegt werden, und die ganze >Götterdäm-
merung< aufzuarbeiten, damit die Lücken des Werkplanes gefüllt
seien. Am >Ring< hat er während des ganzen >Tristan< zu tragen, in
den von Anfang an der >Parsifal< hineinspricht. Dieser ist auch
während der lutherisch gesunden >Meistersinger< gegenwärtig
und wartet tatsächlich seit dem Jahre der DresdnerUraufführung
des >Tannhäuser<, 1845. Ins Jahr 1848 fällt der Prosaentwurf, der
den Nibelungenmythus zum Drama verdichtet, die Niederschrift
von >Siegfrieds Tod<, woraus die >Götterdämmerung< werden soll.
82
Dazwischen aber ist I 846 bis I 847 der> Lohengrin< entstanden und
schon die Handlung der >Meistersinger< skizziert, die ja als Satyr-
spiel und humoristisches Gegenstück zu >Tannhäuser< gehören.
Diesevierziger Jahre, in deren Mitte er zweiunddreißig Jahre alt
wird, bringen eigentlich vom >Holländer< bis zum >Parsifal< den
ganzen Arbeitsplan seines Lebens geschlossen zusammen, der in
den folgenden vier Jahrzehnten, bis I 88 I, ineinander verschach-
telt, in gleichzeitiger innerer Arbeit an allem ausgeführt wird. Sein
Werk hat, genaugenommen, keine Chronologie. Es entsteht zwar
in der Zeit, ist aber von vorhinein und auf einmal da. Das letzte, als
solches weit im voraus erkannt, ausgeführt mit neunundsechzig
Jahren, ist auch insofern Erlösung, als es Ende, Ausgang und
Vollendung bedeutet und nach ihm nichts mehr kommt; die
Arbeit des alten Mannes daran, eines Künstlers, der sich ganz
ausgelebt hat, ist eben nur noch Arbeit hieran,- es ist vollbracht,
das Riesentagwerk, und ein Herz, das unter extremen Zumutun-
gen siebzig Jahre ausgehalten hat, kann in einem letzten Krampf
stillestehen.
93
Nacht ist Heimatund Reich aller Romantik, ihre Entdeckung, im-
mer hat sie sie als die Wahrheit ausgespielt gegen das eitle Wähnen
des Tages, -das Reich der Sensibilität gegen die Vernunft. Ich
vergesse nicht, welchen Eindruck es mir machte, als ich zuerst
Linderhof, das Schloß Ludwigs des kranken und schönheitssüch-
tigen Königs, besuchte und in den Größenverhältnissen der In-
nenräume ebendiese Präponderanz der Nacht ausgedrückt fand.
Die Wohn- und Tagesräume des in wundervoller Bergeinsamkeit
gelegenen Lustschlößchens sind klein und vergleichsweise un-
scheinbar, bloße Kabinette. Nur einen Saal von verhältnismäßig
ungeheueren Maßen gibt es darin, in Gold und Seide und weitläu-
fig schwerer Pracht: das Schlafzimmer mit seinem Prunkbett
unterm Baldachin und flankiert von goldenen Kandelabern, -der
eigentliche Festsaal des Königshauses, der Nacht geweiht. Dies
betonte Dominieren der >schöneren Hälfte< des Tages, der Nacht,
ist ur- und erzromantisch; die Romantik ist darin verbunden mit
allem mütterlich-mondmythischen Kultus, der seit menschlichen
Frühwelten der Sonnenverehrung, der Religion des männlich-
väterlichen Lichtes entgegensteht; und im allgemeinen Bezie-
hungsbann dieser Welt steht Wagners >Tristan<.
Wenn nun aber die Wagnerschriftsteller erklären, >Tristan und
Isolde< sei ein Liebesdrama, das als solches die höchste Bejahung
des Willens zum Leben in sich schließe und darum nichts mit
Schopenhauer zu tun habe; wenn sie darauf bestehen, die darin
besungene Nacht sei die Nacht der Liebe, »WO Liebeswonne uns
lacht«, und solle dies Drama durchaus eine Philosophie enthalten,
so sei diese das genaue Gegenteil der Lehre von der Verneinung
des Willens, und darum eben sei das Werk unabhängig von
Schopenhauers Metaphysik, - so herrscht da eine befremdende
psychologische Unempfindlichkeit. Die Verneinung des Willens
ist der moralisch-intellektuelle Bestandteil von Schopenhauers
Philosophie, deressentiell wenig entscheidend ist. Er ist sekundär.
Sein System ist eine Willensphilosophie von erotischem Grund-
charakter, und eben sofern sie das ist, ist der >Tristan< erfüllt,
durchtränkt von ihr. Die Fackel, deren Erlöschen zu Beginn des
zweiten Aktes des Mysterienspieles im Orchester vom Todesmo-
tiv akzentuiert wird; der verzückte Ausruf der Liebenden »Selbst
dann bin ich die Welt« mit dem Sehnsuchtsmotiv aus derTiefe der
psychologisch-metaphysisch untermalenden Musik, -das sollte
nicht Schopenhauer sein? Wagner ist im >Tristan< nicht weniger
Mythepoet als im >Ring<: auch in dem Liebesdramahandelt es sich
um einen Weltentstehungsmythus. »Sehnsüchtig«, schrieb er
r86o aus Paris an Mathilde W esendonck, »blicke ich oft nach dem
94
Lande Nirwana. Doch Nirwana wird mir schnell wieder T ristan;
Sie kennen die buddhistische W eltentstehungstheorie. EinHauch
trübt die Himmelsklarheit« -und er schreibt die vier chromatisch
aufsteigenden Töne hin, mit denen sein Opus metaphysicum
beginnt und mit denen es aushaucht, das gis-a-ais-h -; »das
schwillt an, verdichtet sich, und in undurchdringlicher Massen-
haftigkeit steht endlich die ganze Weltwiedervor mir.« Es ist der
symbolische Tongedanke, den man als »Sehnsuchtsmotiv« zu
bezeichnen pflegt und der in der Kosmogonie des >Tristan< den
Anfang aller Dinge bedeutet, wie im >Ring< das Es-Dur des
Rheinmotives. Es ist Schopenhauers »Wille«, repräsentiert durch
das, was Schopenhauer den »Brennpunkt des Willens« nannte, das
Liebesverlangen. Und diese mythische Gleichsetzung des süßlei-
dig-weltschöpferischen Prinzips, das zuerst die Himmelsklarheit
des Nichts trübte, mit dem sexuellen Begehren ist dermaßen
schopenhauerisch, daß die Ableugnung der A~epten zum wun-
derlichen Eigensinn wird.
»Wie könnten wir sterben«, fragt Tristan in Wagners erstem
Entwurf, der noch nicht versifizierten Vorform der Dichtung,
»was wäre an uns zu töten, was nicht Liebe wäre? Sind wir nicht
ganz nur Liebe? Kann unsere Liebe je enden? Könnte ich die Liebe
je nicht mehr lieben wollen? Wollt' ich nun sterben, stürbe da die
Liebe, die wir ja doch nur sind?« Die Stelle zeigt die unumwun-
dene dichterische Gleichsetzung von Wille und Liebe. Diese steht
einfach für den Willen zum Leben, der im Tode nichtenden kann,
sondern frei wird aus den bedingenden Fesseln der Individuation.
Es ist übrigens von großem Interesse, wie in dem Drama der
Liebesmythus geistig festgehalten wird und vor jeder historisch-
religiösen Trübung und Störung bewahrt bleibt. Wendungen wie
»Fahr' er zur Hölle oder zum Himmel«, die noch im Entwurf
stehen, fallen bei der Ausführung weg. Das ist ohne Zweifel eine
bewußte Entfärbung vom Historischen, aber sie bleibt auf das
Geistig-Philosophische beschränkt und findet nur diesem zuliebe
statt. Sie geht bewunderungswürdigerweise zusammen mit der
intensivsten landschaftlich-rassenmäßig-kulturellen Koloristik,
einer stilistischen Spezialisierung von unglaubwürdiger Sicher-
heit des Fühlens und Könnens,- Wagners Mimikrykunst trium-
phiertnirgends geheimnisvoller als in der Stilgebung des >T ristan<,
die sich nicht aufs Sprachliche beschränkt, sich nicht in Redewen-
dungen aus dem Geist der höfischen Epik erschöpft, sondern auf
irgendeine intuitiv-geniale Weise das Keltische, eine englisch-
normannisch-französische Atmosphäre in den Wort-Ton-Kom-
plex aufzunehmen und ihn damit zu durchdringen weiß, - mit
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einer Einfühlung, die zu erkennen gibt, wie sehr und eigentlich die
Wagnerische Seele in einer vornationalstaatliehen europäischen
Sphäre beheimatet ist. Nur im Gedanklich-Spekulativen herrscht
die Enthistorisierung und freie Vermenschlichung, im Dienste des
erotischen Mythus. Um seinetwillen werden Himmel und Hölle
ausgeschlossen. Es gibt kein Christentum, das doch als historisch-
atmosphärisch gegeben wäre. Es gibt überhaupt keine Religion.
Es gibt keinen Gott, - niemand nennt ihn, ruft ihn an. Es gibt
ausschließlich erotische Philosophie, atheistische Metaphysik,
den kosmogonischen Mythus, in dem das Sehnsuchtsmotiv die
Welt hervorruft.
Wagners gesunde Art, krank zu sein, seine morbide Art, heroisch
zu sein, ist nur ein Beispiel für das Kontradiktorische und Ver-
schränkte seiner Natur, ihre Doppel- und Mehrdeutigkeit, die
sich uns schon in der Vereinigung scheinbar so widersprechender
Grundanlagen wie der mythischen und der psychologischen be-
kundete. Der Begriff des Romantischen ist noch der tauglichste,
sein Wesen auf einen Nenner zu bringen; aber gerade er ist ja
dermaßen komplex und schillernd, daß er mehr den Verzieht auf
Definition als diese selbst bedeutet.
Nur im Romantischen vereinigen sich die Möglichkeiten von
Popularität und letzter Ausgesuchtheit, reizverwöhnter »Ver-
ruchtheit« (um ein Lieblingswort E. T. A. Hoffmanns zu brau-
chen) der Mittel und Wirkungen- es macht allein jene »doppelte
Optik« möglich, von der Nietzsche anläßlich Wagners spricht
und die zugleich auf die Gröbsten und die Feinsten Rücksicht zu
nehmen weiß - unbewußt natürlich, es wäre banal, hier den
Gedanken des Spekulativen hineinzutragen-, mit dem Effekt, daß
Schöpfungen wie >Lohengrin< Geister wie den Dichterder>Fleurs
du Mal< beseligen und zugleich einer schlichten Erhebung im
Volkstümlichen dienen können, ein Kundry'sches Doppelleben
als Sonntagsopern und Liebesobjekt vielerfahrener, leidender und
überfeinerter Seelen führen. Das Romantische- im Bunde mit der
Musik nun gar, nach der es von Grund aus trachtet und ohne die es
sich nicht zu erfüllen vermochte- kennt keine Exklusivität, kein
»Pathos der Distanz«, es bedeutet niemanden: »Das ist nichts für
dich«; mit einer Seite seines Wesens ist es auch für den Letzten,
und man sage nicht, daß das bei aller großen Kunst so sei. Das
Kindliche mit dem Erhabenen zu vereinigen, mag großer Kunst
auch sonst wohl gelungen sein; die Vereinigung aber des Mär-
chentreuherzigen mit dem Ausgepichten, der Kunstgriff, das
Höchstgeistige als Orgie des Sinnenrausches zu verwirklichen
und >populär< zu machen, die Fähigkeit, das Tiefgroteske in
Abendmahlsweihe und klingelnden Wandlungszauber zu klei-
den, Kunst und Religion in einer Geschlechtsoper von größter
Gewagtheit zu verkoppeln und derlei heilige Künstlerunheilig-
keit mitten in Europa als Theater-Lourdes und Wundergrotte für
die Glaubenslüsternheit einer mürben Spätwelt aufzutun,- dies
alles ist nur romantisch, es ist in der klassisch-humanen, der
eigentlich vornehmen Kunstsphäre durchaus undenkbar. Der
Personenzettel des >Parsifal< - was für eine Gesellschaft im
Grunde! Weiche Häufung extremer und anstößiger Ausgefallen-
heit! Ein von eigener Hand entmannter Zauberer; ein desperates
Doppelwesen aus Verderberin und büßender Magdalena mit
kataleptischen übergangszuständen zwischen den beiden Exi-
stenzformen; ein liebesiecher Oberpriester, der auf die Erlösung
durch einen keuschen Knaben harrt, dieser reine Tor und Erlöser-
knabe selbst, so anders geartet als der aufgeweckte Erwecker
Brünnhilde's und in seiner Art ebenfalls ein Fall entlegener Son-
derbarkeit -:sie erinnern an das Sammelsurium von Unheimlich-
keiten, zusammengepackt in Achim von Arnims berühmter Kut-
sche: die zweideutige Zigeunerhexe, den toten Bärenhäuter, den
Golem in Weibergestalt und den Feldmarschall Cornelius N epos,
der eine unterm Galgen gewachsene Alraunwurzel ist. Der Ver-
gleich mutet blasphemisch an, und doch stammen die feierlichen
Charaktere des >Parsifal< aus derselben Geschmackssphäre eines
romantischen Extremismus wie Arnims skurrile Personnagen;
ihre novellistische Einkleidung würde das leichter erkennbar
machen; nur die mythisierenden und heiligenden Kräfte der
Musik verhüllen die Verwandtschaft, und ihr pathetischer Geist
ist es, aus dem das Ganze sich nichtwie bei dem Literaturromanti-
ker als schaurig-scherzhafter Unfug, sondern als hochreligiöses
Weibespiel gebiert.
Die Reizbarkeit durch das irisierende Problem der Kunst und des
Künstlertums, der melancholische Sinn für die Ironien, die da
zwischenWesenund Wirkung spielen, ist typisch jugendlich, und
ich erinnere mich an manche hierher gehörende Äußerung meiner
jungen Jahre, die kennzeichnend war für die durch Nietzsche's
Kritik hindurchgegangene Wagnerpassion, diktiert von jenem
»Erkenntnisekel«, den man als das Jugendlich-Eigenste von ihm
zu lernen wußte. Nietzsche erklärt, erfasse die Tristanpartiturnur
mit Handschuhen an. »Wer wagt das Wort«, ruft er, »das eigent-
liche Wortfür die ardeurs der Tristan-Musik?« Ich bin der etwas
tantenhaften Komik dieser Fragestellung heute viel zugänglicher
als mit fünfundzwanzig Jahren. Denn was ist da zu wagen?
Sinnlichkeit, ungeheure, spiritualisierte, ins Mystische getriebene
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und mit äußerstem Naturalismus gemalte, durch keine Erfüllung
zu stillende Sinnlichkeit, das ist das »Wort«- und man fragt sich,
woher au'f einmal bei Nietzsche, dem »freien, sehr freien Geiste«,
die Gehässigkeit gegen das Geschlechtliche kommt, das in seiner
Frage auf so psychologisch-denunziatorische Weise angedeutet
wird. Fällt er nicht aus seiner Rolle eines Beschützers des Lebens
gegen die Moral? Kommt nicht der Erzmoralist, der Pastorensohn
zum Vorschein? Er wendet auf den >Tristan< die Mystikerformel
»Wollust der Hölle« an. Gut, und man braucht die Tristanmystik
nur mit derjenigen von Goethe's »Seliger Sehnsucht« und ihrer
»Höheren Begattung« zu vergleichen, um innezuwerden, wie
wenig wir überhaupt uns bei Wagner in Goethischer Sphäre
befinden. Aber wievielleidender die Seelenlage des Abendlandes
im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts gegen die Epoche Goe-
the' s geworden, dafür ist Nietzsche selbst am Ende kein schlechte-
res Beispiel als Wagner. Wirkungen zugleich narkotischer und
aufpeitschender Art, wieWagnersie zeitigt, bringt auch das Meer
hervor - in dessen Angesicht niemand es passend fände, Enthül-
lungspsychologie zu treiben. Was großer Natur recht ist, sollte
großer Kunst billig sein, und Baudelaire, wenn er durchaus posi-
tiv-moralinfrei, in naiver Künstlerbegeisterung von der »Ekstase
aus Wonne und Erkenntnis« spricht, in die das Lohengrinvorspiel
ihn versetzt habe, und von »Räuschen des Opiums« schwärmt,
von der »außerordentlichen Lust, die in den hohen Orten kreist«,
bekundet entschieden mehr Lebensmut und Freigeistigkeit als
Nietzsche mit seiner suspektvollen >Vorsicht<. Nur freilich bleibt
sein Wort von der Wagnerei als von einer »leichteren Sinnlich-
keitsepidemie, die es nicht weiß«, zu Recht bestehen, und eben nur
dieses ,. Die es nicht weiß« ist es, was einem gewissen Klarheitsbe-
dürfnis auf dieN erven fallen magangesichtsvon Wagners roman-
tischer Popularität; es mag einen Grund abgeben, »lieber nicht
dabei zu sein.«
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habe. Aber unser Gefühl, daß dem nicht so gewesen sein könne,
wird durch allerlei mehr oderwenigerauthentische Überlieferun-
gen aus seinem Lebenskreis bestätigt, des Inhalts, daß Ausdauer
sehr oft bei ihm habe für Spontaneität eintreten müssen; daß er
nach eigener Aussage sein Bestes nur mit Hilfe der Reflexion habe
leisten können; durch solche ihm in den Mund gelegten Äußerun-
gen wie: »Ach, ich habe versucht und versucht, nachgedacht und
nachgedacht, bis ich endlich das herausbekam, was ich
brauchte.«
Kurzum, sein Dichter- und Künstlerturn unterhältsowohl Bezie-
hungen zu Perioden, »die von den unseren fernab liegen«, wie es
solchen angehört, in denen die Entwicklung des Großhirns ins
Modern-Intellektualistische sich längst vollzogen hat; und dem
entspricht die unauflösliche Mischung von Dämonie und Bürger-
lichkeit, die sein Wesen ausmacht,- sehr ähnlich wie bei Schopen-
hauer, der gerade hierin ihm zeitgenössisch und individuell aufs
nächste verwandt ist. Der unbürgerliche Extremismus seiner
Natur, den er der Musik in die Schuhe schiebt- »Sie macht mich
nun einmal eigentlich ganz zum exklamativen Menschen«, sagte
er, »und das Ausrufungszeichen ist im Grunde die einzige mir
genügende Interpunktion, sobald ich meine Töne verlasse!«-,
dieser Extremismus äußert sich in dem enthusiastischen Charak-
ter aller seiner Zustände, namentlich der depressiven; er tritt
zutage in seinen äußeren Schicksalen (denn Schicksal ist ja nur
Auswirkung des Charakters), in seinem Mißverhältnis zur Welt,
seinem zerrissenen, verfemten, gehetzten, hin und her geworfe-
nen Leben, wie er es in dramatischer Lyrik durch den Mund seines
Wehwalt-Siegmund ausspricht: »Mich drängt' es zu Männern
und Frauen: wie viel ich traf, wo ich siefand, ob ich um Freund, um
Frauen warb,- immer doch war ich geächtet, Unheillag auf mir.
Was rechtes je ich riet, andern dünkte es arg; was schlimm immer
mir schien, andre gaben ihm Gunst. In Fehde fiel ich, wo ich mich
fand; Zorn traf mich, wohin ich zog; gehrt' ich nach Wonne,
weckt' ich nur Weh.«- Da kommt jedesWortaus Erfahrung; es ist
keines darin, das nicht genau auf sein eigenes Leben gemünzt
wäre, und nichts anderes sagen diese schönen Verse, als was er in
Prosa an Mathilde Wesendonck schreibt: »-da mich die Welt,
genau genommen, doch eigentlich nicht will«, oder an ihren
Mann: »-daß ich so schwer in dieserWeltunterzubringen bin, so
daß es an tausend Irrungen dabei nichtfehlen kann. Es ist eine liebe
Not mit mir ... So sind wir denn, dieWeltund ich, zwei Starrköpfe
gegeneinander, von denen natürlich der mit dem dünneren Schä-
del eingeschlagen werden muß - wovon ich wahrscheinlich oft
IOO
meine nervösen Kopfschmerzen habe.« - Diese verzweifelte
Scherzhaftigkeit gehört zum Bilde. Gelegentlich- um sein acht-
undvierzigstes Jahr- spricht er von der »tollen Laune«, mit der er,
in Weimar, alle Welt erfreut habe, und zwar einfach, weil er nicht
.ernst werden dürfe, überhaupt nicht mehr, ohne in fast auflösende
Weichheit zu verfallen. »Dies ist ein Fehler meines Temperamen-
tes, der jetzt immer mehrüberband nimmt: ich wehre dem noch,
so gut ich kann, denn es ist mir, als ob ich mich einmal geradezu
verweinen müßte.«- Welche ausschweifende Schwäche! Welche
Kapellmeister-Kreisler-Exzentrizität! Er hat das leidenschaftli-
che Auf und Ab, die wilde und tragische Pathetik seines Wesens,
ganz ins Schwarze, Verfluchte und nach Ruhe, Erlösung
Schmachtende stilisiert, am eindrucksvollsten im >Holländer<
gemalt, es zur Belebung und Färbung dieser Figur wundervoll
benutzt: es sind die großen Intervalle, in denen die Gesangspartie
des Holländers hin und her wogt, womit allein schon, und beson-
ders charakteristisch, dieser Eindruck wilder Bewegtheit erzielt
wird.
Nein, das ist kein bürgerlicher Mensch im Sinne irgendwelcher
Regelrechtheit und Angepaßtheit. Und doch ist die Luft der
Bürgerlichkeit um ihn, die Luft seines Zeitalters, wie sie um
Schopenhauer, den kapitalistischen Philosophen, ist: der morali-
stische Pessimismus, die Verfallsstimmung mit Musik, die echt
neunzehntesJahrhundertsind und die es mit Monumentalität, mit
großer Form verbindet, als sei Größe das Zubehörder Moral. Um
ihn, sage ich, ist die Atmosphäre des Bürgerlichen, und zwar nicht
nur in dieser allgemeinen Bedeutung, sondern in einerviel persön-
licheren noch. Ich will nicht darauf bestehen, daß er ein Revolutio-
när von x848, ein Mittelklassenkämpfer und also ein politischer
Bürger war; denn er war es auf seine besondere Weise, als Künstler
und im Interesse seiner Kunst, die revolutionär war und für die er
sich ideelle Vorteile, verbesserte Wirkungsbedingungen vom
Umsturz des Bestehenden versprach. Aber intimere Züge seiner
Persönlichkeit muten mitten in aller Genialität und Besessenheit
ausgesprochen bürgerlich an, so wenn er nach dem Einzuge ins
Asyl auf dem grünen Hügel bei Zürich aus dem Gefühl des
Behagens an Liszt schreibt: »Alles ist nach Wunsch und Bedürfnis
für die Dauer hergerichtet und eingeräumt; alles steht am Platz,
wo es stehen soll. Mein Arbeitszimmer ist mit der Dir bekannten
Pedanterie und eleganten Behaglichkeit hergerichtet; der Ar-
beitstisch steht an dem großen Fenster ... « Die pedantische
Ordnung und auch die bürgerliche Eleganz der Umgebung, die er
zur Arbeit braucht, stimmen zu dem Einschlage von überlegtheit
IOI
und klugem Kunstfleiß, dessen die Dämonie seiner Produktion
nicht entbehrt und der eben ihr bürgerliches Teil ausmacht: seine
spätere Selbstinszenierung als >Deutscher Meister< mitder Dürer-
mütze hatte ihre gute innere und natürliche Berechtigung, und
man täte unrecht, über dem Feuerflüssig-Vulkanischen in dieser
Produktion das altdeutsch-kunstmeisterliche Element zu überse-
hen- das Treublickend-Geduldige, Handwerksfromme und Sin-
nig-Arbeitsame, das auch darin und ihr wesentlich ist. An Otto
Wesendonck schreibt er: Ȇber den Stand meiner Arbeit lassen
Sie sich kurz berichten. Als ich sie ergriff, gab ich mich der
Hoffnung hin, sie in vorzüglicher Schnelle beenden zu können ...
Teils war ich von Sorgen und Kummer aller Art so sehr gefangen,
daß ich an und für sich oft lange Zeit zur Produktion unfähig war;
teils aber lernte ich auch bald mein eigentümliches Verhalten zu
meinen jetzigen Arbeiten (die ich nun einmal durchaus nicht
flüchtig machen kann, sondern an denen ich nur so weit Gefallen
finden darf, als ich das kleinste Detail davon nur guten Einfällen
verdanke und es demgemäß ausarbeite) so fest und unveränderlich
erkennen, daß ich auf eine nur so hingeworfene, skizzenhafte
Arbeit, wie sie einzig in der kurzen Zeit möglich gewesen wäre,
verzichten mußte.« -Das ist die »Treue und Redlichkeit«, die
Schopenhauer von seinen kaufmännischen Vorfahren geerbt und
ins Intellektuelle übertragen zu haben erklärte. Es ist Solidität,
bürgerliche Arbeitsakkuratesse, wie sie sich in seinen keineswegs
hingewühlten, sondern höchst sorgfältig-reinlichen Partituren
spiegelt, - derjenigen seines entrücktesten Werkes zumal,
der Tristanpartitur, einem Musterbild klarer, penibler Kalli-
graphie.
Es ist nun aber sogar nicht zu leugnen, daß Wagners Liebhaberei
für bürgerliche Eleganz eine Neigung zur Ausartung zeigt, die
starke Neigung, einen Charakter anzunehmen, der nichts mehr
mit deutschem sechzehnten Jahrhundert, Meisterwürde und Dü-
rermütze zu tun hat, sondern schlimmes internationales neun-
zehntes Jahrhundert ist- mit einem Worte: den Charakter des
Bourgeoisen. Der nicht nur altbürgerliche, sondern modern
bourgeoise Einschlag in seiner menschlichen und künstlerischen
Persönlichkeit ist unverkennbar- der Geschmack am Üppigen,
am Luxus, am Reichtum, Samt und Seide und Gründerzeitpracht:
ein Zug des Privatlebens zunächst, der aber tief ins Geistige und
Künstlerische reicht. Am Ende sind Wagners Kunst und das
Makartbukett(mit Pfauenfedern), das die gesteppten und vergol-
deten Salons der Bourgeoisie schmückte; ein und derselben zeit-
lichen und ästhetischen Herkunft, und es ist bekannt, daß er
102
beabsichtigte, sich von Makart Kulissen malen zu lassen. An Frau
Ritter schreibt er: »Ich habe seit einiger Zeit wieder einen Narren
am Luxus (wer sich denken kann, was er mir ersetzen soll, wird
mich allerdings für sehr genügsam halten): des Vormittags setze
ich mich in diesem Luxus hin und arbeite: -das ist nun das
Notwendigste, und ein Vormittag ohne Arbeit ist ein Tag in der
Hölle ... « - Man weiß nicht, was bürgerlicher anmutet: die
Luxusliebe oder daß ein Vormittag ohne Arbeit so ganz unerträg-
lich erscheint. Aber wir nähern uns hier dem Punkt, wo das
Bourgeoise ins unheimlich Künstlerische, Tolle und Anrüchige
zurückschlägt, ein Gepräge rührender und ehrwürdig interessan-
ter Krankhaftigkeit annimmt, worauf das Wort »bürgerlich«
schon wieder durchaus nicht mehr passen will, - dem wunder-
lichen Gebiete der Stimulation, das Wagner in einem Brief an Liszt
mit recht zurückhaltendenWortenumschreibt: »Doch eigentlich
nur mit wahrer Verzweiflung nehme ich immer wieder die Kunst
auf: geschieht dies und muß ich wieder der Wirklichkeit entsagen,
-muß ich mich wieder in die Wellen der künstlerischen Phantasie
stürzen, um mich in einer eingebildeten Weh zu befriedigen, so
muß wenigstens meiner Phantasie auch geholfen, meine Einbil-
dungskraft muß unterstützt werden. Ich kann dann nicht wie ein
Hund leben, ich kann mich nicht auf Stroh betten und mich in
Fusel erquicken: ich muß irgendwie mich geschmeichelt fühlen,
wenn meinem Geist das blutig schwere Werk der Bildung einer
unvorhandenen Weh gelingen soll ... Als ich jetzt wieder den Plan
der Nibelungen und ihrer wirklichen Ausführung faßte, mußte
vieles dazu wirken, um mir die nötige künstlerisch-wollüstige
Stimmung zu geben: ich mußte ein besseres Leben, als zuletzt,
führen können!« - Der »Narr«, den er »am Luxus hat«, das
sclimeichlerische Mittel, das seiner Einbildungskraft zu Hilfe
kommen muß, ist bekannt. Es sind die eiderdaunengefütterten
seidenen Schlafröcke, in die er sich hüllt, die mit Blenden und
Rosengirlanden gezierten Atlasbettdecken, unter denen er
schläft, diese tastbaren Andeutungen verschwenderischer Üppig-
keit, für die er Schulden zu Tausenden macht. Die bunten Atlasge-
wänder sind der Luxus, in dem er sich vormittags zur Arbeit, zum
blutig schwerenWerke setzt. Mit ihnen ausstaffiert, gewinnt er die
»künstlerisch-wollüstige Stimmung«, urnordische Heroik, hehre
Natursymbolik heraufzuführen, den sonnenblonden Helden-
knaben am sprühenden Amboß sein Siegschwert schmieden zu
lassen,- Bilder, die die Brust deutscherJugendvon Hochgefühlen
männlicher Herrlichkeit schwellen lassen.
Der Gegensatz beweist nicht das mindeste. Niemand empfindet
I03
Schillers faule Äpfel im Pult, von deren Geruch Goethe beinahe
ohnmächtig geworden wäre, als Argument gegen die echte Erha-
benheit seines Werkes. Wagners Arbeitsbedingungen waren zu-
fällig kostspieliger, und übrigens könnte man sich kostümliehe
Nachhilfen denken, mönchische, soldatische etwa, die dem stren-
gen Kunstdienste besser entsprächen als Atlasschlafröcke. Aber
hier wie dort handelt es sich um ein Stück harmlos-unheimlicher
Künstlerpathologie, von der nur Spießbürger sich verwirren las-
sen. Ein Unterschied freilich ist nicht wegzuleugnen. In Schillers
Werk ist nichts von den faulen Äpfeln, deren Moderduft ihn
stimulierte. Aber wer wollte verkennen, daß der Atlas auf irgend-
eine Weise auch in Wagners Werk enthalten ist? Es ist wahr:
Schillers idealistischer Wille verwirklicht sich in der Wirkung
seines Werkes, in der Art, wie es die Menschheit eroberte, reiner
und unzweideutiger, als Wagners ethische Gesinnung sich in der
Wirkungsart seines Werkes ausprägt. Seine kulturreformatori-
sche Meinung war gegen die Kunst als Luxus, gegen den Luxus in
der Kunst gerichtet, sie galt der Reinigung, Vergeistigung des
Operntheaters, dessen Begriff ihm schlechthin mitdemder Kunst
zusammenfiel. Er nannte Rossini verächtlich »den im üppigsten
Schoße des Luxus dahinlächeln den, wollüstigen Sohn Italias«, die
italienische Opernmusik überhaupt eine »Lustdirne«, die franzö-
sische eine »kaltlächelnde Kokette.« Äußert dieser kunstmorali-
sche Haß und Gegenwille sich mit vollem Glück in dem Wesen
und den Mitteln seiner Kunst, in dem, wodurch sie die bürgerliche
Gesellschaft Europas und der Welt in ihren Bann zog und sich
unterwarf? Ist es nicht das Wonnevolle, das Sinnlich-Zehrende,
Sinnlich-Verzehrende, das Schwerberauschende, Hypnotisch-
Streichende, das dick und üppig Abgesteppte, mit einem Worte
das höchst Luxuriöse seiner Musik, was ihr die bürgerlichen
Massen in die Arme trieb? Eichendorff, in dem Liede von den
kecken Gesellen, deren einer sein Leben in böser Lust vertut,
spricht, um das Element der Verführung zu kennzeichnen, von
den »buhlenden Wogen«, von »der Wogen farbig klingendem
Schlund.« Das ist wunderbar. Nur ein Romantiker vermag so
suggestiv die Sünde zu schildern, und Wagner hat es ihm im
>Tannhäuser< und >Parsifal< darin gleichgetan. Aber ist nicht auch
sein Orchester ein solcher »farbig klingender Schlund«, aus dem
man, wie Eichendorffs junger Fant, »müde und alt« erwacht?
Wenn etwas an diesen Fragen zu bejahen ist, so handelt es sich um
das, was man eine »tragische Antinomie« nennt, um einen der
Gegensätze und verschlungenen Widersprüche in Wagners W e-
sen, denen wir hier nachhängen. Ihrer sind viele; und da ein gut
104
Teil dav,on das Verhältnis von Meinung und Wirkung betrifft, ist
es sehr wichtig, die vollkommene und ehrwürdige Reinheit und
Idealität seines Künstlerturns zu betonen und jedes Mißverständ-
nis davon abzuwehren, das sich aus der Massigkeit, dem massen-
berückenden Charakter von Wagners Erfolg ergeben könnte.
Jede Kritik, auch die Nietzsche's, neigt dazu, die Wirkungeneiner
Kunst als bewußte und berechnende Absicht in den Künstler
zurückzuverlegen und die Idee des Spekulativen zu suggerieren-
sehr fälschlich, ganz irnümlich und gerade, als ob nicht jeder
Künstler genau das machte, was er ist, was ihn selber gut und schön
dünkt -, als ob es ein Künstlerturn gäbe, dessen Wirkungen ihm
selber ein Gespött und nicht zuerst auch Wirkungen auf ihn, den
Künstler, gewesen wären! Möge Unschuld das letzte Wort sein,
das auf eine Kunst anwendbar sei, -der Künstler ist unschuldig.
Ein Monstreerfolg, wie Wagners Musiktheater ihn •erzielt< hat, ist
großer Kunst sonst überhaupt niemals zugefallen. Der Erdball ist,
fünfzig Jahre nach des Meisters Tode, allabendlich in diese Musik
eingehüllt. Imperialistisch-weltunterwerfende, gewaltig aga-
r;ante, despotische, aufwiegelnd-demagogische Elemente sind
enthalten in dieser Kunst des Theaters und der Massenerschütte-
rung, die auf Ehrgeiz, ungeheuren cäsarischen Machtwillen als auf
ihr eigentliches Agens schließen lassen könnten. Die Wahrheit
sieht anders aus. »So viel sage ich Ihnen«., schreibt Wagner aus
Paris an die Geliebte, »nur das Gefühl meiner Reinheit gibt mir
diese Kraft. Ich fühle mich rein: ich weiß in meinem tiefsten
Inneren, daß ich stets für andere, nie für mich wirkte; und meine
steten Leiden sind mir des Zeugen.« Wenn das nicht wahr ist, so ist
es doch dermaßen wahrhaftig, daß jede Skepsis verstummt. Er
weiß von keinem Ehrgeiz. »Aus Größe, Ruhm und Volksherr-
schaft«, versichert er Liszt, »mache ich mirgar nichts.«- Auch aus
Volksherrschaft nicht? Vielleicht in der milden,. meisterlichen
Form der Volkstümlichkeit, wie sie als Ideal, Wunschtraum,
1
Das ist das äußerste und höchste Wort dieser Welt, ihre Krönung,
ihr Triumph, geprägt und gesättigt von ihrem Geiste, dessen
europäische, mystisch- sinnliche Artistik durch Wagner und den
frühen Nietzsche die Stilisierung ins Deutsch-Bildungsmäßige
erhält, die Beziehung auf die Tragödie, mit den Richtpunkten
Euripides, Shakespeare und Beethoven. Nietzsche, in seiner Ge-
reiztheit durch eine gewisse deutsche Unklarheit in psychologi-
schen Dingen, korrigiert das später reuig, indem er Wagners
europäische Artistik überbetont und sein deutsches Meisterturn
verhöhnt. Mit Unrecht. Wagners Deutschtum war echt und
mächtig. Und daß das Romantische auf deutsch und in der Maske
treuen Meistertums auf seinen Gipfel kam und seinen Welterfolg
beging, war ihm seinem Wesen nach vorbestimmt.
Ein letztes Wort über Wagner als Geist, über sein Verhältnis zu
Vergangenheit und Zukunft. Denn auch hier besteht eine Dop-
peltheit und Verschränktheit scheinbarer Widersprüche inseinem
Charakter, die dem Gegensatz von Deutschtum und Europäismus
entspricht. Es sind reaktionäre Züge in Wagners Erscheinung,
Züge von Rückwärtsgewandtheit und dunklem Vergangenheits-
kult; man könnte die Vorliebe fürs Mystische und Mythisch-
Ursagenhafte, den protestantischen Nationalismus der >Meister-
singer< sowohl als das Katholisieren im >Parsifal<, die Neigung
zum Mittelalter, Ritter- und Fürstenwesen, zu Wundern und
Glaubensinbrunst in diesem Sinne deuten. Und doch verbietet
jedes Gefühl für die eigentliche und wahreNaturdieses durch und
durch auf Neuerung, Änderung, Befreiung gestellten Künstler-
turns es aufs strikteste, seine Sprache und Ausdrucksweise wört-
lich zu nehmen und nicht als das, was sie ist: ein Künstleridiom
eben sehr uneigentlicher Art, mit dem auf Schritt und Tritt ganz
anderes, vollkommen Revolutionäres gemeint ist. Diesen bei aller
seelischen Schwere und Todesverbundenheit lebengeladenen und
stürmisch-progressiven Schöpfergeist, den Verherrlicher des aus
freiester Liebe geborenen Weltzertrümmerers; diesen verwege-
nen musikalischen Neuerer, der im >T ristan< mit einem Fuß schon
IIJ
auf atonalem Boden steht und dessengleichen man heute ganz
sicher einen Kulturbolschewisten nennen würde; diesen Mann
des Volkes, der Macht, Geld, Gewalt und Krieg sein Leben lang
innig verneint hat und sein Festtheater, was auch die Epoche
daraus gemacht haben möge, einer klassenlosen Gemeinschaft zu
errichten gedachte: ihn kann kein Geist des frommen oder bruta-
len Zurück- es darf ihn jeder zukünftig gerichtete Wille für sich in
Anspruch nehmen.
Aber es ist müßig, große Männer aus der Verewigung insJetzt zu
beschwören, um ihnen ihre - etwaige - Meinung über Probleme
gegenwärtigen Lebens abzufragen, die ihnen so nicht gestellt
waren und denen sie geistesfremd sind. Wie würde Richard
Wagner sich stellen zu unseren Fragen, Nöten und Aufgaben?
Dies »würde« ist hohl und phantomhaft, es ist keine Denkbarkeit.
Meinungen sind sekundär, schon zu ihrer Zeit; wie sehr sind sie
es erst später! Was bleibt, ist der Mensch und das Produkt seines
Kampfes, sein Werk. Begnügen wir uns, Wagners Werk zu vereh-
ren als ein gewaltiges und vieldeutiges Phänomen deutschen und
abendländischen Lebens, von dem tiefste Reize ausgehen werden
allezeit auf Kunst und Erkenntnis.
RICHARD WAGNER
UND DER >RING DES NIBELUNGEN<
Ich bin Ihnen sehr dankbar für die freundliche Zusendung der
November-Ausgabe Ihrer Zeitschrift, die den Artikel von Peter
Viereck, >Hitlerund Richard Wagner<, enthält. Sie nehmen an, daß
ich als eingestandener Bewunderer der Kunst Richard Wagners
gegen diesen Aufsatz viel einzuwenden habe und gestimmt sein
müsse, gegen ihn zu protestieren. Ich muß Sie enttäuschen. Das ist
nicht der Fall. Ich habe Herrn Vierecks Arbeit mit fast unausge-
setzter Zustimmung gelesen und halte sie für außerordentlich
verdienstvoll. Zum ersten Mal, soviel ich sehe, in Amerika, erfah-
ren hier diese verzwickten und peinlichen Verhältnisse, die Bezie-
hungen, welche unbestreitbar zwischen der Wagner'schen Sphäre
und dem nationalsozialistischen Unheil bestehen, eine scharfe
und unerbittliche Analyse, die vieler sentimentalen Ahnungs-
losigkeit den Garaus machen wird. Die Bestürzung, Verwirrung
und Desillusionierung, die sie in manchen gutgläubigen Köpfen
und Herzen anrichten mag, ist keine andere, als die, welche die
Erkenntnis überhaupt zunächst erregt, und muß in den Kauf
genommen werden um des Dienstes willen, der der Wahrheit
damit erwiesen wird.
Ich kann das bittere Gelächter nur zu wohl verstehen, das Ihren
Mitarbeiter ankam, als er bei jenem fashionablen Wagner-Kon-
zert den Sprecher festlich unterscheiden hörte zwischen dem
Deutschland Hitlers und dem Deutschland Wagners, welches
nämlich ein Deutschland der freien Kunst, der rassischen Duld-
samkeit und der Demokratie sei. Freie Kunst - das lasse ich mir
noch gefallen. Sie waren in der Tat sehrfreie Kunst, diese gefühl-
voll-intellektuellen Meisterwerke eines musikalisch-dramati-
schen Histrionengenies, die da in einer klassisch-humanistisch
gestimmten Welt ihren von empörtem Widerspruch und Hohn-
gelächter um brandeten Siegeszug antraten, und es ist ganz gewiß,
daß man Wagner zu seiner Zeit, hätte es das Wort schon gegeben,
einen Kultur-Bolschewisten genannt haben würde. Aber rassi-
sche Duldsamkeit? Demokratie? Da sieht es böse aus. Nietzsche
hatte mit Wagner noch nicht öffentlich gebrochen, und er hielt
sich wohl selbst noch für seinen Anhänger, als er sich schon
notierte: »Meistersinger- gegen die Zivilisation. Das Deutsche
gegen das Französische.« Das ist nochnicht Polemik, nur Feststel-
lung. Aber eine Art von Übergang von rein kritischer Erkenntnis
zur Absage an Wagners Deutschtum ist es bereits, und es läßt die
Tatsache sinnvoll erscheinen, daß es den >Meistersingern< be-
stimmt war, zur Lieblingsoper unseres armen Herrn Hitler zu
werden.
Wenn zweien dasselbe gefällt und einer davon ist minderwertig-
ist es dann auch der Gegenstand? Man lese das unvergleichliche
Stück Prosa, das Nietzsche dem >Meistersinger<-Vorspiel gewid-
met hat. Man lese wieder die berühmte Seite im >Ecce homo< über
den >Tristan<. Einer der frühesten Wagnerianer war Baudelaire.
Wen er, neben dem Autor des >Lohengrin<, besonders liebte, war
Edgar Allan Poe. Die Zusammenstellung, befremdlich bis zur
Unfaßbarkeit für deutsche Ohren (wenn »deutsch« denn ein
Synonym für kompletten Psychologiemangel ist), zeigt, werund
was Wagner eigentlich war- abgesehen davon, daß er ein »deut-
scher Meister« und »gegen die Zivilisation« war: nämlich ein
europäischer Künstler von ausgeprägtestem Raffinement, ein mit
allen Wassern romantischer Verführung gewaschener Tröster,
Beglücker, Bezauberer leidender und vielerfahrener Seelen, des-
sen Produktion nicht zufällig eine Weltwirkung geübt hat, wie sie
keinem Deutschen hohen Ranges sonst je beschieden gewesen ist;
der Schöpfer der überwältigendsten dramatischen Vision und
Schaustellung, die das moderne Abendland zu bieten hat, ein
genauso kluger wie seelenvoll-sinniger Regisseur des Mythos,
dessen unbändiger Begeisterungsdrang alle emotionellen Ele-
mente seines Jahrhunderts, das revolutionär-demokratische so-
wohl wie das nationalistische, in sein Wirkungssystem einbezog,
wie das späterd 'Annunzio in viel kleinerem Maßstab nachgeahmt
hat.
Nietzsche hat von der »doppelten Optik« gesprochen, von der
Wagners Riesentalent bestimmt sei, seinem Ehrgeiz, zugleich die
Gröbsten und die Feinsten zu gewinnen. Es ist ihm gelungen, und
die Folge ist ein gewisses Unbehagen, das ein Teil seiner Bewunde-
rer in Gesellschaft des anderen Teiles empfindet. Eine weitere
Folge der ambitiösen Zweideutigkeit dieser Kunst ist eine eben-
solche Zweideutigkeit aller höheren Kritik, deren Gegenstand sie
ist: einer solchen wird immer etwas Zwiespältiges und leiden-
schaftlich Ironisches anhaften, sie wird sich aus Hingerissenheit
und Mißtrauen eigentümlich zusammensetzen und an jene Liebe
der Philosophie zum »Leben« erinnern, von der Nietzsche sagt,
daß sie die Liebe zu einem Weibe sei, das »uns Zweifel macht«.
Wagner ist eines der schwierigsten, das psychologische Gewissen
am tiefsten herausfordernde, darum aber auch eines der faszinie-
137
rendsten Vorkommnisse der Kunst- und Geistesgeschichte,-und
was mich betroffen macht, ist, daß Herr Viereck, in seinem
vorzüglichen Artikel, den Anschein erweckt, als hätte ich mich
recht stumpf erwiesen vor der Bedenklichkeit des Phänomens und
zu der simplistischen Auffassung beigetragen, Wagner sei ein
eindeutiger Vertreter des »guten Deutschland« im Gegensatz zu
dem bösen des Herrn Hitler. Er führt an, was ich in einem
Vortrage über Wagners kunst-philosophische Elaborate gesagt
habe- führt es nicht ganz richtig, oder doch nicht vollständig an.
Ich habe gesagt, Wagners Künstlerschriften seien Aufsätze von
erstaunlichem Scharfsinn, die aber den Charakter der Propaganda
pro domo trügen und mit eigentlicher großer Essayistik nichts zu
tun hätten. Ober das Deutsch, in dem diese »Künstlerschriften«
abgefaßt sind, und das, rein als Prosa genommen und von allem
Inhalt abgesehen, zweifellos etwas stark Nationalsozialistisches
hat, habe ich damals aus Zartgefühl geschwiegen. Schließlich
handelte es sich um eine Festrede, die ausländische Gesellschaften,
Amsterdam, Paris, zum fünfzigsten Todestage Richard Wagners
von mir gefordert hatten. Aber Herr Viereck vergißt oder weiß
nicht, daß es genau diese Festrede vom Jahre 33 war, die den
Ausschlag für meine Emigration oder, richtiger gesagt, meine
Nicht-Rückkehr nach Deutschland gab, da ihre Begeisterung von
einer Gebrochenheit war, welche dieNazis in blinde Wut versetzt
hatte. Diesem Getier ist die Nuance, was dem Stieredas rote Tuch.
Aber die Nuance ist nun gerade, was bei jederUnterhaltungüber
Wagner das Aller-unentbehrlichste bleibt.
Darf ich sagen, daß ich in Herrn Vierecks einsichtsreicher W ag-
ner-Charakteristik die Nuance ein wenig vermisse? Ich meine die
Nuance der Liebe, der leidenschaftlichen persönlichen Erfahrung
in dieser schließlich doch über alle Maßen begabten und bewun-
dernswerten Kunst? Wagner hat in naivem Staunen von seinen
Werken als von »Wunderwerken« gesprochen. Schließlich-es ist
das richtige Wort. Keine Bezeichnung paßt besser auf diese
beispiellosen Manifestationen, und auf nichts sonst in der Ge-
schichte künstlerischer Hervorbringung paßt sie besser,- möge
auch, von uns aus, nicht einmal etwas unbedingt Höchstes damit
gesagt und gemeint sein. Wir wären gar nicht so sehr versucht,
anderes teure und unentbehrliche Kultur- und Seelengut, den
•Hamlet< etwa, die •lphigenie< oder auch die Neunte Symphonie,
als •Wunderwerke< zu bezeichnen. Aber die •Tristan<-Partitur-
namentlich in ihrer seelisch kaum faßbaren und fast vexatorischen
Nachbarschaft mit den >Meistersingern<- und dies beides wieder
als bloße Erholung von dem minutiösen Riesengedankenbau des
IJ8
>Ringes< genommen - das ist Wunderwerk. Es ist das Werk einer
wahren Eruption von Talent und Genie, das zugleich tief ernste
und bedrückende Werk eines ebenso seelenvollen wie vor Klug-
heit trunkenen Zauberers.
Es ist ein vollkommen einmaliger und - man muß das immer
wieder einräumen- geistig höchst kritisierbarer Fall, diese Kom-
bination von Dichter- und Musikertum, bei der notwendig beide
Qualitäten etwas von der Reinheit ihres Charakters einbüßen und
zu etwas anderem werden, als was sie gewöhnlich, in großen und
kleinen Fällen, sind. Wagner war Musiker als Dichterund Dichter
als Musiker; sein Verhältnis zur Dichtung war das des Musikers,
so daß seine Sprache durch die Musik in einen Primitiv-Zustand
zurückgezwungen wurde und seine Dramen ohne Musik nur
halbe Dichtungen waren; und sein Verhältnis zur Musik warnicht
rein musikalisch, sondern dichterisch auf die Weise, daß das
Geistige, die Symbolik der Musik, ihr Bedeutungsreiz und Bezie-
hungszauber dies Verhältnis entscheidend bestimmt. Aus dieser
ins absolut Großartige gesteigerten Zwitterbegabung erwuchs der
>Ring des Nibelungen< -ein Produkt sui generis, ein scheinbar aus
aller Modernität tretendes und doch nach der Verfeinerung,
Bewußtheit und entwickelten Spätheit seiner Mittel extrem mo-
dernes Werk, primitiv nach seinem Pathos und seinem roman-
tisch-revolutionären Willen: ein mit Musik und weis~agender
Natur verwachsenes Weltgedicht, worin die Ur-Elemente des
Daseins agieren, Tag und Nacht Zwiesprache halten, mythische
Grundtypen der Menschheit, die Lichten und Goldhaarig-Froh-
gemuten und die im Haß, Gram und Aufruhr Brütenden sich in
tiefsinniger Märchenhandlung begegnen. Das Ungeheueredaran
ist ein epischer Radikalismus, für den ich die Begeisterung nie
verlernen werde: dieser Radikalismus des Anfangens, dieses Zu-
rückgehen zumUrsprungund Erzbeginn aller Dinge, der Urzelle,
dem ersten Kontra-Es des Vorspieles vom Vorspiel, diese Beses-
senheit, eine musikalische Kosmogonie, ja einen musikalischen
Kosmos selbst zu erbauen und mit tiefsinnig organischem Bios zu
begaben,- das tönende Schaugedicht von der Welt Anfang und
Ende. Man nenne die Mischung aus Dichter- und Musikerturn
charlatanesk und unrein- sie ist es, ich gebe es zu. Es gibt Fälle, bei
denen man alles mögliche zugeben mag, und es bleibt immer etwas
überwältigendes zurück. Parallelismus von dichterischer Ding-
welt und Musik macht den epischen Anfang der Welt zugleich
zum Anfang der Musik: ihr Mythos ist verwoben mit demjenigen
der Welt, und vor unseren Sinnen erwächst eine mythische Phi-
losophie und ein Schöpfungspoem der Musik, vollzieht sich ihre
IJ9
Entfaltung zu einer reichgefügten Symbolwelt aus dem Es-dur-
Dreiklang der strömenden Rheinestiefe.
Es handelt sich um ein ungeheuer und exemplarisch deutsches
Werk - eine beunruhigende Feststellung, wenn man der von
Herrn Viereck aufgedeckten Beziehungen gedenkt. Sie führt zu
Identifikationen, an deren Ableugnung uns heute alles gelegen
sein müßte. Aber die Wahrheit ist es: nur aus deutschem Geist
konnte dies Werk kommen. Vielleicht- nicht sicher- hat jüdi-
sches Blut Anteil daran: gewisse Eigenschaften dieser Kunst, ihre
Sinnlichkeit und ihre Intellektualität sprechen dafür. Aber
deutsch ist sie vor allem und im höchsten Grade. Sie ist der
deutsche Beitrag zur Monumental-Kunst des neunzehnten Jahr-
hunderts, die bei anderen Nationen vorzüglich in der Gestalt der
großen sozialen Romandichtung erscheint. Dickens, Thackeray,
Tolstoi, Dostojewski, Balzac, Zola-ihre mit demselben Hang zur
moralistischen Größe getürmten Werke sind europäisches neun-
zehntes Jahrhundert, literarisch-gesellschaftskritische, soziale
Welt. Der deutsche Beitrag, die deutsche Erscheinungsform die-
ser Größe weiß vom Gesellschaftlichen nichts und will nichts
davon wissen; denn das Gesellschaftliche ist nicht musikalisch
und überhaupt nicht kunstfähig. Kunstfähig ist allein das My-
thisch-Rein-Menschliche, die unhistorisch-zeitlose U rpoesie der
Natur und des Herzens: so will es der deutsche Geist; es ist sein
Instinkt, lange vor jeder bewußten Entscheidung. Mit dem sym-
bolischenNaturalismusder Rougon-Macquart-Serie etwahat der
>Ring des Nibelungen< alles mögliche Zeitpsychologische ge-
meinsam. Aber der wesentliche und typische nationale Unter-
schied ist der Gesellschaftsgeist des französischen, der mythisch-
urpoetische Geist des deutschen Werkes. Die alte, verwickelte
Frage »Was ist deutsch?« findet vielleicht mit der Feststellung
dieses Unterschieds ihre bündigste Beantwortung. Der deutsche
Geist ist sozial und politisch wesep.tlich uninteressiert; im Tief-
sten ist diese Sphäre ihm fremd. Seine Leistungen erlauben nicht,
diese Tatsache rein negativ zu werten. Und doch kann man hier
von einem Vakuum, einem Manko und Ausfall sprechen, und es
ist wahr, daß in ausgesprochen sozialer und politischer Zeit, wie
der unsrigen, dieser oft so fruchtbare Ausfall einen verhängnisvol-
len, ja katastrophalen Charakter annimmt: angesichts zeitlicher
Probleme führt er zu Lösungsversuchen, die arge Ausweichungen
sind und das Gepräge mythischer Surrogate für das. wirklich
Soziale tragen. Aber damit sind wir beim National-Sozia-
lismus.
National-Sozialismus heißt: »Ich will überhaupt das Soziale
nicht, ich will das Volksmärchen.« Er ist damit, versteht sich, auf
seine allermildeste, allergeistigste Formel gebracht. Daß er außer-
dem, realiter, eine schmutzige Barbarei ist, kommt daher, daß im
politischen Bereich das Märchen zur Lüge wird.
National-Sozialismus, in all seiner unsäglichen empirischen Ge-
meinheit, ist die tragische Konsequenz der mythischen Politik-
fremdheit des deutschen Geistes. -Sie sehen, ich gehe ein wenig
weiter als Herr Viereck. Ich finde das nazistische Element nicht
nur in Wagners fragwürdiger »Literatur«, ich finde es auch in
seiner »Musik«, in seinem ebenso, wenn auch in einem erhabene-
ren Sinne, fragwürdigen Werk, -ob ich es gleich so geliebt habe,
daß ich noch heute, wenn irgendein abgerissener Klang aus dieser
Beziehungswelt mein Ohr trifft, erschüttert aufhorche. Die Be-
geisterung, die es erzeugt, das Gefühl von Herrlichkeit, das uns so
oft davor erfaßt und das nur mit Gefühlen zu vergleichen ist, die
die größte Natur, Hochgebirgsgipfel im Abendschein, das bran-
dende Meer in uns erregt, darf nicht vergessen machen, daß dieses
Werk, welches »gegen die Zivilisation«, gegen die ganze Kultur
und Bildung gerichtet und gedichtet ist, wie sie seit der Renais-
sance herrschend gewesen war, aus der bürgerlich-humanisti-
schen Epoche auf dieselbe Art und Weise heraustritt wie der
Hitlerismus; daß es mit seinem Wagalaweia und seinerStabreime-
rei, sejner Mischung aus Urtümlichkeit und Zukünftigkeit, sei-
nem Appell an eine klassenlose Volklichkeit, seinem mythisch-
reaktionären Revolutionarismus die genauegeistige Vorform der
»metapolitischen« Bewegung ist, die heute den Schrecken der
Welt bildet, und die geschlagen werden muß, wenn es zu einer
wirklichen gesellschaftlichen Neuordnung in Europa kommen
soll.
Machen wir uns nichts vor. Der Nationalsozialismus muß ge-
schlagen werden, das heißt praktisch heute leider: Deutschland
muß geschlagen werden. Es meint das aber, in einem sehr be-
stimmten Sinn, auch geistig. Denn es gibt nur ein Deutschland,
nicht zwei, nicht ein böses und ein gutes, und Hitler, in allseiner
Elendigkeit, ist kein Zufall: nie wäre er möglich geworden ohne
psychologische Vorbedingungen, die tiefer zu suchen sind, als in
Inflation, Arbeitslosigkeit, kapitalistischer Spekulation und poli-
tischer Intrige. Aber wahr ist, daß Völker nicht immer dasselbe
Gesicht bieten, und daß es auf Zeit und Umstände ankommt, wie
ihre konstanten Eigenschaften sich ausnehmen. Deutschland
nimmt sich heute fürchterlich aus. Es ist die Qual der Welt,-nicht
weil es »böse«, sondern geradeweil es zugleichauch »gut« ist, eine
Tatsache, auf die der angelsächsische Humor sich sehr wohl
versteht, wenn er durch den Mund des vortrefflichen Harold
Nicolson feststellt: >> The German character is one ofthefinest but
most inconvenient developments of human nature!<<
Deutschland muß geschlagen werden, das heißt: es muß genötigt
werden, alles, was auch sein eigener Traditionsfundus aus frühe-
ren Jahrhunderten an gesellschaftsfreundlichen Elementen birgt,
zu reaktivieren, um fähig zu sein, sich in die europäische Konföde-
ration, die Staatengesellschaft einzufügen, für die Europa reif ist,
und die von jedem Volke Opfer an staatlicher Souveränität und
nationalem Egoismus verlangen wird. Dieser Krieg wird zu
Deutschlands Gunsten geführt - im Augenblick wäre es wohl
zuviel verlangt, daß Deutschland das einsähe. Er wird geführt zur
Herstellung eines Zustandes, welcher Deutschland vom Fluche
der Machtpolitik befreit, unter dem es verdirbt wie kein anderes
Volk; für ein befriedetes, ein entpolitisiertes Europa, in dessen
Atmosphäre allein Deutschland groß und glücklich sein kann,
weil sie seinenWerken die politischeUnschuldund der Bewunde-
rung dafür das gute Gewissen zurückgibt, so daß sie nicht länger
seufzen muß: Es ist groß, es ist herrlich, aber es ist ••gegen die
Zivilisation<<.
WAGNER UND KEIN ENDE
An Emil Preetorius
Es hat doch länger gedauert, als ich wünschte, bis Ihrem Brief die
Wagner-Schrift nachfolgte. Wie sehr ich selber dem Gegenstand
verhaftet bleibe, zeigte mir die Spannung, mit der ich - bei soviel
Lese-Ansprüchen- gleich nach dem Büchlein griff und die bis
zum letzten Worte anhielt, während ich es in einem Zuge las. Dies
Austrinken auf einen Zug kommt bei mir seltel;l vor; ich ermüde
leicht, aber bei diesem Thema und dieser klug und liebevoll
eindringenden, aus tiefer Beschäftigung kommenden Darstellung
oder Darlegung war daran nicht zu denken. Auch reißt die Rede ja
mit, weil sie sich beständig erhebt: Zuerst scheint das Problem nur
unter dem Gesichtspunkt des modernen Ausstattungskünstlers
gefaßt- und der Satz, daß gerade unter diesem Gesichtspunkt »die
überzeitliche Geltung des Wagnerwerkes, die Möglichkeit seiner
weiter dauernden Wirkung zu einer ganz besonderen, höchst
nachdenklichen und schwer beantwortbaren Frage wird«, bleibt
wohl wirklich der Zentralsatz des Ganzen. Aber dann wächst das
Buch und weitet sich über alle spezielle Fragestellung hinaus zu
einer aus Eingeweihtheit kühnen Umschreibung und Explizie-
rung des ganzen kolossalen Phänomens überhaupt,- und wenn es
dabei dann manchmal- ohne daß man je vergäße, daß man einen
ästhetisch-philosophisch hochkultivierten Sprecher vor sichhat-
etwas zu pompös, verschwollen und >deutsch< zugeht, nun, so
können Sie nichts dafür, die Sache will's und bringt es mit sich.
Ach, diese Sache! Ich wollte, wir könnten bei TeeundZigaretten
drei Stunden darüber mündlich dischkurieren. Wir würden uns
gut verstehen in unserem Enthusiasmus, - und in seinen skepti-
schen Brechungen. In Ihrem Essay glauben SieWagnern allzuviel,
lassen unwillkürlich und notwendigerweise zuviel wegvon dem,
was gräßlich an ihm war, und verklären noch seinen Welterfolg,
daß es fast schon ans Unerlaubte grenzt. Glauben Sie ernsthaft-
Sie können es ja gar nicht glauben!- daß dieser Siegeszug über die
bourgeoise Welt der Sehnsucht zu danken ist, »zurückzutauchen
in den wiedervereinenden Abgrund und die heiligeN acht«,- und
nicht vielmehr der deutschen Mischung aus Barbarismus und
Raffinement, mit der ja auch Bismarck E uropaunterworfen hat,-
plus einem Erotizismus, wie er in Gesellschaft noch nie exhibiert
143
worden war? Können Sie die Pariser Venusbergmusik noch gut
hören? Es ist ja wirklich zuweilen unappetitlich. Und, wieder
anders: Können Sie Hans Sachsens Theatersinnigkeit noch recht
vertragen, die Gans, Evchen traut, den >Juden im Dorn<, Beck-
messer? Dabei ist dessen Pantomime, bis er das Lied findet,
einfach glänzend, das Vorspiel zu dem Akt ganz herrlich, das
Quintett ein wunderschönes Stück. überhaupt ein Können, ein
Talent, eine Vortragskunst-nicht zu sagen. Aber Manieren dabei,
ein Anspruch, eine Selbstverherrlichung und mystagogische
Selbstinszenierung- auch nicht zu sagen und zu ertragen. Warum
nun gerade dieses Werk, das es, bei persönlichster Synthese, doch
überallher hat, volkschaffend und welterlösend sein soll, das
wissen die Götter. Es ist da, in Wagners Bramarbasieren, ewigem
Perorieren, Allein-reden-Wollen, über alles Mitreden-Wollen
eine namenlose Unbescheidenheit, die Hitler vorbildet,- gewiß,
es ist viel >Hitler< in Wagner, und das haben Sie ausgelassen,
mußten es natürlich auslassen,- wie sollten Sie das Werk, dem Sie
dienen, mit Hitler in Verbindung bringen! Es hat lange genug mit
ihm in Verbindung gestanden.
Der zweite Akt >Tristan<, finde ich jetzt, mit seinem metaphysi-
schen Wonneweben, ist mehr etwas für junge Leute, die mit ihrer
Sexualität nicht wo ein und aus wissen. Aber als ich mir neulich
den ersten in seiner realistischen Dramatik wieder einmal vor-
führte, war ich vollständig begeistert. Der Gesang der Isolde von
dem »Kahn, der klein und schwach -«, die gespannte Szene
zwischen den beiden, beginnend mit »Begehrt, Herrin, was Ihr
wünscht« und beherrscht von dem einleitenden Thema,. Wüßtest
- du nicht, was ich - begehre«, - es schlägt an Ausdruckskraft
schlechthin alles. Und dabei ist die Sprache hier noch durch die
epische Vorlage in reinen stilistischen Grenzen gehalten. Den-
noch, deri ganzen >Tristan< könnte ich nicht mehr aushalten. Wohl
aber den >Lohengrin<, dessen Vorspiel vielleicht das Wunderbar-
ste ist, was er überhaupt geschrieben hat, und den ich in seiner
blau-silbernen Schönheit wohl immer noch am innigsten liebe -es
ist eine echte, bleibende, bei jedem Kontakt sich erneuernde
Jugendliebe. Ich habe noch eine alte Platte von der »goldischen
Delia« (die neulich hier leider ihren Liederabend mit Walter
wegen Unpäßlichkeit vorzeitig abbrechen mußte) als Eisa mit
dem »Einsam in trüben Tagen« und bei dem Einsatz der pp-
Trompete, wenn es heißt: ,. In lichter Waffen Scheine - ein Ritter
nahte da«, bin ich jedesmal helles Entzücken wie mit achtzehn
Jahren,- es ist der Gipfel der Romantik.
Ich möchte wohl den >Lohengrin< in Ihrer Ausstattung sehen!
144
Aber haben Sie nie den >Parsifal< gemacht? Das Alterswerk, viel
unterschätzt, ist doch eigentlich das Aller-Interessanteste. Die
großartigste Musik ist noch darin (Verwandlung im 111. Akt), und
die Figur der Kundry ist zweifellos seine höchste dichterische
Errungenschaft. Er wußte es.
So lange Briefe, mein Herr, schreibe ich sonst nie mehr. Ich werde
eben wieder jung, wenn es mit Wagner anfängt. Haben Sie Dank
für die Anregung und Wiederaufregung, die Ihr Buch mir ge-
bracht hat!
Auch Ihren schönen, sehr schönen Nachruf auf W olfskehl habe
ich damals erhalten und mit Rührung gelesen. Der ganze Mann iri
seiner Einzigartigkeit wurde mir wieder lebendig durch Ihren
warmen, liebenden Anruf.
Leben Sie recht wohl, und vielen Erfolg überall in der Welt!
[1949]
ÜBER DIE LEHRE SPENGLERS
Dies ist, in großen und groben Zügen, der Inhalt des Hauptwerkes
von Anhur Schopenhauer, welchem er den Titel gab: >Die Welt als
Wille und Vorstellung<, - eine höchst sachliche Überschrift, die
aber in dreiWortennicht nur den Inhalt des Buches, sondern auch
.den Menschen, der es schuf, in seiner machtvollen Dunkelheit und
ebenso gewaltigen Helle, seiner tiefen Sinnlichkeit und strengen
lauteren Geistigkeit, seiner Leidenschaft und seinem Erlösungs-
drange vollkommen ausspricht. Es ist ein Phänomen von einem
Buch, dessen Gedanke, im Titel auf die kürzeste Formel gebracht
und in jeder Zeile gegenwärtig, nur einer ist und in den vier
Abschnitten oder besser: symphonischen Sätzen, aus denen es
sich aufbaut, zur vollständigsten und allseitigsten .Entfaltung
gelangt - ein Buch, in sich selber ruhend, von sich selbst durch-
drungen, sich selber bestätigend, indem es ist und tut, was es sagt
215
und lehrt: Überall, wo man es aufschlägt, ist es ganz da, braucht
aber, um sich in Zeit und Raum zu verwirklichen, die ganze
Vielfältigkeit seiner Erscheinung, die sich auf mehr als dreizehn-
hundert Druckseiten, in fünfundzwanzigtausend Druckzeilen
entfaltet, während es in Wirklichkeit ein >nunc stans< ist, die
stehende Gegenwart seines Gedankens, so daß, wie auf nichts
anderes, die Verse des >Divan< darauf passen.
Dein Lied ist drehend wie das Sterngewölbe,
Anfang und Ende immerfort dasselbe,
Und, was die Mitte bringt, ist offenbar
Das, was zu Ende bleibt und anfangs war.
Es ist ein Werk von solcher kosmischen Geschlossenheit und
einschließenden Gedankenkraft, daß man eine sonderbare Erfah-
rung damit macht: Hat es einen längere Zeit beschäftigt, so kommt
einem alles andere - aber auch alles -, was man zwischendurch
oder gleich danach liest, fremd, unbelehrt, unrichtig, willkürlich
vor, undiszipliniert von der Wahrheit ... Der Wahrheit? Ist es
denn so wahr? Ja, im Sinne höchster und zwingendster Aufrich-
tigkeit. Aber das Adjektiv bedeutet ein Ausweichen. Bringt und
enthält es die Wahrheit? Schopenhauer hat das nicht so klippund
klar, nicht mit dem fast lästerlichen Anspruch behauptet, mit dem
Hegel es tat, der seinen Schülern erklärte: »Meine Herren, ich
kann wohl sagen: Ich rede nicht nur die Wahrheit, ich bin die
Wahrheit.« Das entsprechende Resurne Schopenhauers lautet:
»Die Menschheit hat Einiges von mir gelernt, was sie nie wieder
vergessen wird.« Ich finde das sowohl weltmännischer wie be-
scheidener, wie auch annehmbarer. Um Annehmbarkeit aber
handelt es sich, wenn man von Wahrheit spricht. Die Wahrheit,
scheint mir, ist nicht an Worte gebunden, sie fällt nicht mit einem
bestimmten Wortlaut zusammen, - vielleicht sogar ist das ihr
Haupt-Kriterium. Daß man, was Schopenhauer sagt, nie wieder
vergißt, wird daran liegen, daß es nicht gerade an die Worte
gebunden ist, die er dafür braucht, daß man dem Gesagten auch
andere Worte unterlegen könnte, -und doch würde ein Gefühls-
kern, ein Wahrheitserlebnis bleiben, so annehmbar, so hieb- und
stichfest, so richtig, wie ich es sonst in der Philosophie nicht
gefunden habe. Man kann damit leben und sterben,- namentlich
sterben: ich wage zu behaupten, daß die schopenhauerische
Wahrheit, daß ihre Annehmbarkeit in der letzten Stunde standzu-
halten, und zwar mühelos, ohne Denkanstrengung, ohne Worte
standzuhalten geeignet ist. Nicht umsonst sagt Schopenhauer:
»Der Tod ist der eigentliche inspirierende Gen~us oder der Musa-
n6
get der Philosophie ... Schwerlich sogar würde, auch ohne den
Tod, philosophiert werden.« Er ist ein großer Kenner und Künder
des Todes- zu dem Schönsten, man möchte sagen Tiefsten (aber
seinWerk ist überall gleich tief), was er geschrieben hat, gehört das
große Kapitel im zweiten Bande der >Welt als Wille und Vorstel-
lung<: >Über den Tod und sein Verhältnis zur Unzerstörbarkeit
unseres Wesens an sich<. Und diese Kennerschaft hängt mit
seinem ethischen Pessimismus zusammen, der mehr als eine
Lehre, der ein Charakter, eine künstlerische Gesinnung, eine
Lebensluft ist, für den der noch junge Nietzsche seine Liebe
gesteht, wenn er sagt: »Mir behagt an Wagner, was mir an
Schopenhauer behagt: Die ethische Luft, der faustische Duft,
Kreuz, Tod und Gruft.« Es ist die geistige Lebensluft der zweiten
Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts,- Jugend- und Heimatluft
für uns, die wir heute die Sechzig überschritten haben. Wir mögen
in manchen Stücken über sie hinausgekommen sein; aber daß wir
ihr dankbare Anhänglichkeit bewahren, dafür ist diese kleine
Abhandlung ein Zeugnis.- Auch Musik gehört zu dieser ethisch-
pessimistischen Lebensluft: Schopenhauer ist sehr musikalisch:
wiederholt nannte ich sein Hauptwerk eine viersätzige Sympho-
nie; und in ihrem dritten, dem »Objekt der Kunst« gewidmeten
Satz hat er die Musik gefeiert wie kein anderer Denker es je getan,-
einen völlig besonderen Platz weist er ihr nicht neben, sondern
über den anderen Künsten zu, weil sie nicht, wie diese, Abbild der
Erscheinung, sondern unmittelbar Abbild des Willens selbst sei
und also zu allem Physischen derWeltdas Metaphysische, zu aller
Erscheinung das Ding an sich darstelle. Seine Philosophie legt die
Vermutung nahe, daß auch hier der Intellekt dem Willen dient,
und daß Schopenhauer nicht die Musik liebte, weil er ihr solche
metaphysische Bedeutung zumaß, sondern daß er dies tat, weil er
sie liebte. Diese Liebe aber, soviel ist gewiß, steht in unmittelba-
rem seelischen Zusammenhange mit seiner Kennerschaft in Din-
gen des Todes, und er hätte wohl sagen können: »Schwerlich sogar
würde, auch ohne den Tod, musiziert werden.«
>>Wer sich für das Leben interessiert«, habe ich im >Zauberberg<
gesagt, »der interessiert sich namentlich für den Tod.« Das ist die
Spur Schopenhauers, tief eingedrückt, haltbar für das ganze Le-
ben. Es wäre auch schopenhauerisch gewesen, wenn ich hinzuge-
fügt hätte: »Wer sich für den Tod interessiert, der sucht in ihm das
Leben«; und ich habe es, wenn auch weniger epigrammatisch,
gesagt: als ganz junger Dichter, als es galt, den Helden meines
J ugendromans, Thomas Buddenbrook, zu Tode zu bringen, und
als ich es ihm gönnte, jenes große Kapitel> über den Tod< zu lesen,
217
unter dessen frischem Eindruck ich eben selbst, der dreiundzwan-
zig- oder vierundzwanzigjährige Autor, stand. Es war ein großes
Glück, und in meinen Erinnerungen habe ich gelegentlich davon
erzählt, daß ich ein Erlebnis wie dieses nicht in mich zu verschlie-
ßen brauchte, daß eine schöne Möglichkeit, davon zu zeugen,
dafür zu danken, sofort sich darbot, dichterische Unterkunft
unmittelbar dafür bereit war. Ihm, dem leidenden Helden meines
Bürger-Romans, des Werkes, das Last, Würde, Heimat und Segen
meines Jünglingsalters war, schenkte ich das teure Erlebnis,
das hohe Abenteuer, in sein Leben, dicht vor dem Ende, wob
ich es erzählend ein und ließ ihn im Tode das Leben finden, die
Erlösung aus den Fesseln seiner müden Individualität, die
Befreiung .von einer Lebensrolle, die er symbolisch genommen
und mit Tapferkeit und Klugheit repräsentiert, die aber
s~inem Geist, seinem Weltverlangen niemals genuggetan hatte
und ihm ein Hindernis gewesen war, etwas anderes und Besseres
zusem.
Schopenhauer ist recht etwas für junge Leute, - gewiß aus dem
Grunde, weil seine Philosophie die Konzeption eines jungen
Mannes ist. Als >Die Welt als Wille und Vorstellung< erschien, der
erste Band, der das System enthält, I 8I 8, war er ein Dreißigjähri-
ger, aber die Ausarbeitung hatte vier Jahre gedauert, und die
Gedankenerlebnisse, aus denen der Kristall zusammenschoß,
liegen zweifellos noch weiter zurück: er war, als sein Buch sich in
ihm bildete, kaum älter als ich, als ich es las. Er ist zum alten Manne
geworden über der Ausgestaltung, sammelnden Kommentie-
rung, zähen und unermüdlichen Sicherung und Erhärtung dessen,
was ein Geschenk seiner Jugend war, so daß er das seltsame
Schauspiel eines Greises bietet, der sich bis zum letzten Augen-
blick, in unheimlicher Treue, umseinJugendwe~kmüht. Aberein
solches blieb es im Innersten, und nicht umsonst weist Nietzsche
auf diese Früh-Empfängnis hin, indem er sagt, daß man die
Philosophie seiner Jahre habe, und daß Schopenhauers Weltge-
dicht das Gepräge des Lebensalters trage, in welchem das Eroti-
sche dominiert. Und der Sinn für den Tod- darf man hinzufügen;
denn junge Leute sind mit dem Tode viel vertrauter und wissen
viel mehr von ihm als alte, weil sie mehr von der Liebe wissen.
Todes-Erotik als musikalisch-logisches Gedankensystem, gebo-
ren aus einer enormen Spannung von Geist und Sinnlichkeit -
einer Spannung, deren Ergebnis und überspringender Funke eben
Erotik ist: das ist das Erlebnis verwandt entgegenkommender
Jugend mit dieser Philosophie, die sie nicht moralisch, sondern
vital, sondern persönlich versteht, - nicht nach ihrer Lehre, ich
2I8
meine: nach ihrer Predigt, sondern nach ihrem Wesen, -und die
sie recht damit versteht.
»Wo ich sein werde, wenn ich tot bin?<< fragt Thomas Budden-
brook. >>Aber es ist so leuchtend klar, so überwältigend einfach! In
allen denen werde ich sein, die je und je Ich gesagt haben, sagen und
sagen werden: besonders aber in denen, die es voller, kräftiger,
fröhlicher sagen ... Irgendwo in der Welt wächst ein Knabe auf,
gut ausgerüstet und wohl gelungen, begabt, seine Fähigkeiten zu
entwickeln, gerade gewachsen und ungetrübt, rein, grausam und
munter, einervon diesen Menschen, deren Anblick das Glückder
Glücklichen erhöht und die Unglücklichen zur Verzweiflung
treibt:- Das ist mein Sohn. Das bin ich, bald ... bald ... sobald der
Tod mich von dem armseligen Wahne befreit, ich sei nicht sowohl
er wie ich ... Habe ich je das Leben gehaßt, dies reine, grausame
und starke Leben? Torheit und Mißverständnis! Nur mich selbst
habe ich gehaßt, dafür, daß ich es nicht ertragen könnte. Aber ich
liebe euch ... ich liebe euch alle, ihr Glücklichen, und bald werde
ich aufhören, durch eine enge Haft von euch ausgeschlossen zu
sein; bald wird das in mir, was euch liebt, wird meine Liebe zu euch
frei werden und bei und in euch sein ... bei und in euch allen!-«
Man verzeihe doch die Wiederanführung dieser Jugend-Lyrik,
eingegeben von dem Rausch, in den ein metaphysischer Zauber-
trank den Zwanzigjährigen versetzt hatte! Ich bezeuge, daß die
organische Erschütterung, die er bedeutete, nur mitderverglichen
werden kann, welche die erste Bekanntschaft mit der Liebe und
dem Geschlecht in der jungen Seele erzeugt, -und dieser Vergleich
ist nicht zufällig. Das Zitat aber geschieht, um zu zeigen, daß man
im Sinn eines Philosophen denken kann, ohne im geringsten nach
seinem Sinn zu denken, will sagen: daß man sich seiner Gedanken
bedienen- und dabei denken kann, wie er durchaus nicht gedacht
haben will. Hier dachte freilich einer, der außer Schopenhauer
auch schon Nietzsche gelesen hatte und das eine Erlebnis ins
andere hineintrug, die sonderbarste Vermischung mit ihnen an-
stellte. Aber worauf es mir ankommt, ist der naive Mißbrauch
einer Philosophie, den gerade Künstler sich wohl zu >schulden<
kommen lassen, und auf den ich hindeutete, als ich sagte, daß eine
Philosophie oft weniger durch die Moral und Weisheitslehre
wirkt, die die intellektuelle Blüte ihrer Vitalität ist, als durch diese
Vitalität selbst, ihr Essentielles und Persönliches, - durch ihre
Leidenschaft also mehr als durch ihre Weisheit. Auf diese Weise
werden Künstler oft zu >Verrätern< einer Philosophie, und so
wurde Schopenhauer von Wagner >verstanden<, als dieser sein
erotisches Mysterienspiel >Tristan und Isolde< gleichsam in den
219
Schutz von Schopenhauers Metaphysik stellte. Was von Schopen-
hauer auf Wagner wirkte und worin dieser sich wiedererkannte,
war die Welterklärung aus dem »Willen<<, dem Triebe, die eroti-
sche Konzeption der Welt (das Geschlecht als >>Brennpunkt des
Willens«), von der die T ristan-Musikund ihre Sehnsuchtskosmo-
gonie bestimmt sind. Man hat bestritten, daß der >Tristan< von
schopenhauerischer Philosophie beeinflußt sei, -mit Recht, so-
weit die »Verneinung des Willens<< in Frage kommt: denn es
handelt sich ja um ein Liebesgedicht, und in der Liebe, im Ge-
schlecht bejaht sich der Wille am stärksten. Aber eben als Liebes-
mysterium ist das Werk bis ins Letzte schopenhauerisch gefärbt.
Es wird darin gleichsam die erotische Süßigkeit, die berauschende
Essenz aus der Philosophie Schopenhauers gesogen, die Weisheit
aber liegengelassen.
So gehen Künstler mit einer Philosophie um, -sie >Verstehen< sie
auf ihre Art, eine emotionelle Art: denn nur zu emotionellen, zu
Leidenschafts-Ergebnissen braucht die Kunst ja zu kommen,
nicht zu moralischen, wozu die Philosophie, als eine Lehrerin,
sich jederzeit angehalten fühlte. Mochte sie auch keine staatlich
besoldete >>Universitäts-Philosophie<<, mochte sie auch »nieman-
dem untertan« sein- es war doch zu wünschen, daß ihre morali-
schen Ergebnisse möglichst mit der herrschenden Moral - im
Abendland also der christlichen - übereinstimmten, daß sie als
Weisheitsergebnis dem religiösen Ergebnis entsprachen und es
bestätigten. Man möge selbst Atheist sein - und Schopenhauer
war es-: ist man nur Metaphysiker, so bleibt es immer möglich, zu
Resultaten zu gelangen, die die Forderungen religiöser Moral, von
einer andern Seite her, in wünschenswerter Weise bekräftigen.
Schopenhauer hatte das Glück und fand die Möglichkeit, aus
höchst sensualistisch -leidenschaftlichen Erlebnis-Voraussetzun-
gen zu höchst moralischen Lehr-Ergebnissen zu kommen: zu
einer mit dem Christentum übereinstimmenden Mitleids- und
Erlösungslehre, die aus dem illusionären Charakter des Lebens,
dem Blendwerk des principii individuationis abgeleitet wird:
Mitleid, christliche Liebe, die Aufhebung des Egoismus ergeben
sich aus der Erkenntnis, welche die Täuschung des Ich und Du, des
Schleiers der Maja durchschaut. Eine solche Obereinstimmung
kann den Philosophen nicht überraschen, wenn er, wie Schopen-
hauer es tat, einen Parallelismus zwischen Religion und Philoso-
phie statuiert und in jener >>Metaphysik fürs Volk<< sieht, welche,
da sie auf die große Masse des Menschengeschlechts berechnet ist,
die Wahrheit bloß in allegorischer Gestalt bieten kann, während
die Philosophie sie in ihrer Reinheit spendet. Er selbst sagt: »Die
220
moralischen Resultate des Christentums, bis zur höchsten As-
kese, findet man bei mir rationell und im Zusammenhang der
Dinge begründet: während sie es im Christentum durch bloße
Fabeln sind. Der Glaube an diese schwindet täglich mehr: daher
wird man sich zu meiner Philosophie wenden müssen.« Aber die
Auffassung, daß es sich bei Religion und Philosophie nur um den
Unterschied von exoterischer und esoterischer Wahrheit handele,
von denen die eine unannehmbar geworden sei, so daß nun die
andere für sie einspringen müsse,- diese Auffassung hindert nicht,
daß auch für das Gewissen des Philosophen nicht die religiöse
Moral es ist, die der Bestätigung durch die Philosophie bedarf,
sondern umgekehrt; und für mich ist kein Zweifel, daß ein
Philosoph durch die Obereinstimmung der moralischen Ergeb-
nisse seiner Welterklärung mit den Lehren der Religion sich über
die Wahrheit seiner Philosophie sehr beruhigt findet, und daß
auch Schopenhauer sich als Philosoph dadurch legitimiert fühlte.
»Niemandem war er untertan.« Aber daß sein Denken ihn bei-
spielsweise zur ethischen Verurteilung des Selbstmords führte,
weil nämlich darin der Wille zum Leben sich bejahe, statt sich zu
verneinen, dafür war er seinem Denken doch dankbar, denn -
»Ungefähr sagt das der Pfarrer auch, nur mit ein bißchen andern
Worten.«
Im Grunde hatte er Glück. Sowenig wie mit der Religion geriet er
mit dem Staat in Konflikt, und zwar gerade dank der Geringschät-
zung, die er ihm entgegenbrachte und die ihn in der Hegel'schen
Staatsvergottung die größte aller Philistereien erblicken ließ. Sei-
nerseits beurteilte er den Staat als ein notwendiges übel und
versicherte diejenigen seiner kritiklosen und nachsichtsvollen
Nicht-Einmischung, »welche die schwere Aufgabe haben, Men-
schen zu regieren, d. h. unter vielen Millionen eines, der großen
Mehrzahl nach, grenzenlos egoistischen, ungerechten, unbilligen,
unredlichen, neidischen, boshaften und dabei sehr beschränkten
und querköpfigen Geschlechtes, Gesetz, Ordnung, Ruhe und
Friede aufrechtzuerhalten und die Wenigen, denen irgendein
Besitz zu Teil geworden, zu schützen gegen die Unzahl derer,
welche nichts als ihre Körperkräfte haben«.- Das lautet grimmig
und erheiternd, es erregt manche Zustimmung in uns. Aber nähert
diese Auffassung des Staates als einer Schutzanstalt für den Besitz
sich nicht ebenso, nurvon einer andern Seite her, der» Philisterei «,
wie Hegels Apotheose der Politik und seine Bienenstock-Lehre
vom Staate als Gipfelpunkt alles menschlichen Strebens und als
»absolut vollendetem ethischem Organismus«? Wir kennen die
widermenschlichen Schrecken einer Doktrin, nach welcher es die
221
Bestimmung des Menschen wäre, im Staate aufzugehen, kennen
sie aus ihren Konsequenzen: denn der Faschismus sowohl wie der
Kommunismus kommen vonHegelher, und Schopenhauer selbst
hat die gedankliche Weiterführung der Hegel' sehen Staats-Verab-
solutierung zum Kommunismus noch mit Augen gesehen. Aber
so völlig wir die Empörung mitempfinden, die er einer Staatstota-
lität entgegenbrachte, durch welche, wie er sagte, »das hohe Ziel
unseres Daseyns ganz den Augen entrückt wird«: -der Totalität
des Menschlichen, von der das Politisch-Soziale ein Teil ist,
scheint uns denn doch auch wieder nicht gedient mit dem ironi-
schen Verzicht des philosophischen Klein-Kapitalisten auf jede
Einmischung in diese Sphäre, dem Verzicht des Geistes auf jede
politische Leidenschaft, nach dem Wahlspruch: >>Ich danke Gott
an jedem Morgen, daß ich nicht brauch' fürs Heil'ge Röm'sche
Reich zu sorgen« -einem Wahlspruch, wie er dem Staate so passen
könnte, einer wahren Philisterei und Drückebergerei und einer
Devise, von der man kaum versteht, wie ein geistiger Kämpfer
gleich Schopenhauer sie sich zu eigen machen konnte.
Zur Erklärung einer solchen, dem vollkommensten politischen
Konservatismus gleichkommenden »interesselosen Anschau-
ung« des Staates genügt natürlich nicht das tief besorgte Interesse
Schopenhauers an der Erhaltung seines kleinen, aber für den
philosophischen Junggesellen ausreichenden, von seirtem Vater,
einem Danziger Kaufmann, ererbten Vermögens; ein berechtigtes
und im Grunde hoch geistiges Interesse: denn dieser bürgerliche
Besitz, zu dessen Büttel er in loyaler Naivität den Staat degra-
dierte, war sein ein und alles, seine Stütze und sein Stab in dieser
niederträchtigen Welt, er schuf ihm soziale Freiheit, die U nabhän-
gigkeit und Einsamkeit, die er brauchte, seinWerk zu tun; und je
unfähiger er sich fühlte, sich - etwa in einem Amte - selber sein
Brot zu verdienen, desto dankbarer war er dem seligen Heinrich
Floris Schopenhauer zeit seines Lebens für die unschätzbare
Hinterlassenschaft.- Aber seine apolitisch-antipolitische, id est
konservative Gesinnung wurzelt selbstverständlich tiefer, sie er-
gibt sich aus seiner Philosophie, für die eine Verbesserung und
Höherführung der Welt als der Erscheinung eines an sich bösen
und schuldhaften Prinzips, des Willens, grundsätzlich ausge-
schlossen ist, und die auf Erlösung, nicht auf Befreiung zielt. Wie
sollte ein Denken, für das die Freiheit jenseits der Erscheinung
liegt, mit der Idee politischer Freiheitviel anzufangen wissen? Vor
allem aber erklärt sich die politische Indifferenz dieser Philoso-
phie aus ihrem Objektivismus, aus dem Heilswert, den sie der
objektiven Anschauung, und ihr allein, zuschreibt. Für Schopen-
222
hauerist ja Genialität nichts anderes als Objektivität, dasheißtdie
Fähigkeit, sich rein anschauend zu verhalten, nur als erkennendes
Subjekt, als »klares Weltauge«. Hier berührt er sich mit Goethe,
den er grenzenlos bewunderte, und auf dessen prägende Wirkung
ja ebenfalls die Politikfremdheit der deutschen Bildung zurück-
geht. Die Philosophie, erklärt Schopenhauer, fragt nicht nach dem
Woher und Wohin und Warum, sondern allein nach dem Was der
Welt: sie hat das in allen Relationen erscheinende, selbst aber
ihnen nicht unterworfene, immer sich gleicheWesender Welt, die
Ideen derselben, zum Gegenstand. Von solcher Erkenntnis geht,
wie die Kunst, so auch die Philosophie - es geht davon endlich
auch diejenige Gemütsverfassung aus, die zur Heiligkeit und zur
Erlösung der Welt führt. Kunst und Philosophie sind also quieti-
stisch (denn reiner Objektivismus ist Quietismus). Sie wollen
beileibe nichts ändern, sondern nur anschauen. Auf den >Fort-
schritt< ist Schopenhauer daher sehr schlecht zu sprechen und
noch schlechter auf das politische Handeln des Volkes, die Revo-
lution. Sein Verhalten im Jahre I848 war von einer grimmigen
Mesq uinerie und Komik- man kann es nicht anders sagen. Nicht
im mindesten war sein Herz bei denen, die, schwärmerisch genug,
dem deutschen öffentlichen Lebendamals eine Richtung zu geben
hofften, welche die ganze Geschichte Europas bis aufunsereTage
zum glücklicheren bestimmt hätte und die im Interesse jedes
geistigen Menschen lag: die demokratische Richtung. Das Volk
nannte er nicht anders als »die souveräne Canaille« und lieh dem
Offizier, der von seiner Wohnung aus die Barrikaden-Männer
rekognoszierte, ostentativ seinen »doppelten Opernkucker«, da-
mit er besser auf sie schießen lassen könnte. Ja, in seinem Testa-
ment setzte er »den in Berlinerrichteten Fonds zur Unterstützung
der in den Aufruhr- und Empörungskämpfen der Jahre I 848 und
I 849 für Aufrechterhaltung und Herstellung der gesetzlichen
Ordnung in Deutschland invalide gewordenen preußischen
Soldaten, wie auch der Hinterbliebenen solcher, die in jenen
Kämpfen gefallen«, zu seinem Universalerben ein.
Noch einmal, sein Anti-Revolutionarismus gründet in seinem
Weltbilde; und nicht erst logisch-gedanklich tut er das, sondern
schon stimmungsmäßig: er ist eine Grundgesinnung, zugehörig
seinem Moralismus, seinem ethischen Pessimismus, jener Stim-
mung von »Kreuz, Tod und Gruft«, die mit psychologischer
Notwendigkeit der Rhetorik; dem Freiheitspathos, dem Mensch-
heitskult abhold ist. Er ist anti-revolutionär aus pessimistischer
Ethik, aus Haß auf den unanständigen Optimismus der Jetztzeit-
und Fortschrittsdemagogie:- und alles in allem, es ist um ihn die
223
Luft einer gewissen, nur zu vertrauten, nur zu heimatlich anmu-
tenden deutschen Geistesbürgerlichkeit, -deutsch eben, weil sie
geistig ist und weil ihre Innerlichkeit, ihr konservativer Radikalis-
mus, ihre absolute Fremdheit gegen jeden demokratischen Prag-
matismus, ihre »reine Genialität«, ihre verwegeneUnfreiheit, ihre
tiefe Politiklosigkeit eine spezifisch deutsche Möglichkeit und
Gesetzmäßigkeit ist. In dieseWeltgehörte Arthur Schopenhauer,
-ein Bürger mit dem Stich und Stigma des Genies, das seine Figur
ins Groteske hebt, aber ein Bürger unweigerlich bis ins Geistigste
und Persönlichste. Man braucht nur sein Leben anzusehen: seine
hanseatisch-kaufmännische Herkunft, die Seßhaftigkeit des stets
mit altmodischer Eleganz gekleideteten älteren Herrn in Frank-
furt am Main, die kantisch-pedantische Unwandelbarkeit und
Pünktlichkeit seines Tageslaufes: seine behutsame Gesundheits-
pflege auf Grund guter physiologischer Kenntnisse- »Nicht dem
Vergnügen, sondern der Schmerzlosigkeit geht der Vernünftige
nach-«; seine Genauigkeit als Kapitalist (er schrieb jeden Pfennig
auf und hat sein kleines Vermögen durch kluge Wirtschaft im
Laufe seines Lebens verdoppelt); die Ruhe, Zähigkeit, Sparsam-
keit, Gleichmäßigkeit seiner Arbeitsmethode (-er produzierte für
den Druck ausschließlich während der ersten beiden Morgen-
stunden und schrieb an Goethe, daß Treue und Redlichkeit die
von ihm aus dem Praktischen ins Theoretische und Intellektuelle
übertragenen Eigenschaften seien, die das Wesen seiner Leistun-
gen und Erfolge ausmachten): das alles zeugt ebenso stark für die
Bürgerlichkeit seines menschlichen Teils, wie es Ausdruck bür-
gerlicher Geistigkeit war, daß er das romantische Mittelalter,
Pfaffentrug und Ritterwesen so entschieden yerabscheute und
durchaus auf klassischer Humanität bestehen zu sollen meinte,
obwohl-
Hier gibt es eine Menge »Übwohls«, die Schopenhauers Huma-
nismus und Klassizismus in Frage stellen und eher dafür sprechen,
ihn einen Romantiker zu nennen, jedenfalls aber dazu anhalten,
die Elemente seines komplexen Wesens zu unterscheiden. Im
engeren, gelehrten Sinn, als Kenner und Beherrscher der alten
Sprachen und Literaturen war Schopenhauer nun gewiß einmal
ein außerordentlicher Humanist: damals, als dervon seinem Vater
zum Kaufmann bestimmte junge Mann, der sich die drängende
Lust zu den Wissenschaften mit der Erlaubnis zu einer großen
Bildungsreise durch Europa hatte abkaufen lassen, nach dem Tode
seines Vaters dann dennoch zum Studium hinübergewechseltwar,
hatte er in Weimar, wo seine Mutter, die Hofrätin und Roman-
schriftstellerin Johanna Schopenhauer, eine gute Bekannte
224
Goethe's, lebte, unter der Anleitung eines jungen Gymnasial-
lehrers das Griechische und Lateinische mit wahrem Feuereifer
betrieben und seinen Lehrer durch reißende Fortschritte in Er-
staunen gesetzt. Er schrieb fließend lateinisch, und die ungezähl-
ten Zitate aus antiken Autoren in seinen Schriften zeugen von
einer so intimen wie ausgebreiteten klassischen Belesenheit. Bei
griechischen Anführungen fügt er regelmäßig eine tadellose latei-
nische Übersetzung hinzu. Übrigens aber war seine literarische
Bildung keineswegs nur humanistisch: sie erstreckte sich auf das
europäische Schrifttum aller Jahrhunderte, denn seine Geläufig-
keit in modernen Sprachen datierte sogar von früher her als die in
den alten, und seine Bücher sind mit Zitaten aus englischen,
französischen, italienischen, spanischen Schriftstellern, auch aus
deutscher Dichtung, besonders aus Goethe und aus der Mystik,
fast noch reichlicher gespickt als mit antiken. Das gibt ihnen etwas
Weltläufiges, überfachliches, Gelehrtenhaftes, Mondän-Litera-
risches: und dem entspricht, daß sein philologisch-humanisti-
sches Rüstzeug ergänzt wird durch höchst positive naturwissen-
schaftliche Kenntnisse, zu denen er schon als junger Student, in
Göttingen, den Grund gelegt und mit deren Ergänzung er durch
sein ganzes Leben beschäftigt war, da er sie zur Stütze und
empirischen Befestigung seiner Metaphysik brauchte.
Klassischer Humanist ist Schopenhauer vor allem als Ästhetiker,
in seiner Theorie des Schönen: seine Lehrmeinung, die das Genie
als reinste Objektivität bestimmt, ist durchaus apollinisch-
goethisch: auf Goethe beruft er sich, auf seiner Seite glaubt er zu
stehen, fühlt sich als >Klassiker< und ist es sehr weitgehend nach
seinem Denken und Urteilen, nämlich in jenem deutschbürgerlich
humanen Sinn, von dem ich sprach, und der ihn feudale Ehren-
Narreteien sowohl wie frömmlerisch-obskurantistische Neigun-
gen, denN eu-Katholizismus seiner Zeit verachten läßt. Er ehrt die
Allegorik des Christentums als einer pessimistischen Erlösungs-
religion, spricht aber von den verschiedenen »Landesreligionen«
überhaupt mit philosophischer Überlegenheit, und seine religiöse
>Begabung< ist, bei einer so starken metaphysischen, im ganzen
schwach zu nennen: Man lese nur, was er gelegentlich da und dort
über Glauben, Götter- und Gottesdienst äußert, - es ist nicht
weniger rationalistisch als etwa Freuds Auslassungen über die
religiöse »Illusion«.
In all diesen Dingen also ist Schopenhauer ganz klassisch -rational
gerichteter Humanist. Ich willaberweiter gehen und das Wichtig-
ste sagen. Er ist, so paradox es klingen mag, bei aller Misanthropie
und all dessen ungeachtet, was er über den Korruptionszustand
225
des Lebens überhaupt, wie über die Fratzenhaftigkeit des Men-
schengenus im besonderen zu sagen und zu klagen weiß,-isttrotz
aller Verzweiflung darüber, in eine wie miserable Gesellschaft
man gerät, wenn man als Mensch geboren wird, ein Verehrer des
Menschen nach seiner Idee, von stolzer, humaner Ehrfurcht
erfüllt vor der »Krone der Schöpfung«, die ihm, ganz wie dem
Autor der Genesis, der Mensch, diese höchste und eni:wickeltste
Objektivation des Willens bedeutet. Diese bedeutungsvollste
Form seines Humanismus gehtdurchaus Hand in Handmit seiner
politischen Skepsis, seinem Anti-Revolutionarismus, und ver-
trägt sich stillschweigend damit. Der Mensch ist ihm ehrwürdig,
denn er ist das erkennende Wesen. Zwar ist alle Erkenntnis
grundsätzlich dem Willen unterworfen, da sie ihm ja entsprossen
ist, gleichwie der Kopf dem Rumpf. Auch ist bei den Tieren diese
Dienstbarkeit des Intellekts gar niemals aufzuheben. Man sehe
aber nur den Unterschied bei Mensch und Tier im Verhältnisdes
Kopfes zum Rumpf! Im unteren Tierreich sind beide ganz ver-
wachsen und bei allen Tieren ist der Kopf zur Erde gerichtet, wo
die Objekte des Willens liegen, ja selbst bei den oberen sind Kopf
und Rumpf noch viel mehr eines als beim Menschen, dessen
Haupt (hier sagt Schopenhauer »Haupt« statt Kopf) dem Leibe
frei aufgesetzt erscheint, von ihm getragen, nicht ihm dienend.
»Diesen menschlichen Vorzug stellt im höchsten Grade der Apoll
von Belvedere dar: das weitumherblickende Haupt des Musen-
gottes steht so frei auf den Schultern, daß es dem Leibe ganz
entwunden, der Sorge für ihn nicht mehr unterthan scheint.«
Kann man humanistischer assoziieren? Nicht umsonst erblickt er
die Würde des Menschen im Bildes des Musengottes. Es ist ein
tiefes und eigentümliches In-Eins-Sehen von Kunst, Erkenntnis
und menschlicher Leidenswürde, das sich in diesem Bilde offen-
bart- ein pessimistischer Humanismus, der, da Humanismus sonst
wesentlich optimistisch-rhetorisch gefärbt erscheint, etwas ganz
Neues und, so wage ich zu behaupten, sehr Zukünftiges im
Bereich der Gesinnung .darstellt: Im Menschen, der obersten
Objektivation des Willens, ist dieser von der hellsten Erkenntnis
beleuchtet; aber im gleichen Maß, wie die Erkenntnis zu Deutlich-
keit gelangt, das Bewußtsein sich steigert, wächst auch das Leiden,
welches folglich seinen höchsten Grad im Menschen erreicht, und
zwar wiederum in individuell verschiedenem Grade,- im Genius
kommst sie auf ihren Gipfel. »Es bestimmt die Rangordnung, wie
tief einer leiden kann«, sagte Nietzsche, in vollständiger Abhän-
gigkeit bis zuletzt von Schopenhauers Aristokratismus der Lei-
densfähigkeit, der adelnden Berufenheit des Menschen und seiner
226
höchsten Ausprägung, des Genius, zum Leiden. Es ist diese
Berufenheit, aus der sich die beiden großen Möglichkeiten erge-
ben, die Schopenhauers Humanismus dem Menschen zuschreibt:
sie heißen Kunstund H eiligung. Menschlich allein ist die Möglich-
keit des ästhetischen Zustandes als willensfreier Anschauung der
Ideen; menschlich und nur menschlich ist die Möglichkeit der
endgültig erlösenden Selbstverneinung des Willens zum Leben in
der Steigerung des Künstlers zum asketischen Heiligen. Dem
Menschen ist die Möglichkeit der Korrektur gewähn, die den
großen Irrtum und Fehltritt des Seins rückgängig macht: höchste
Einsicht, die ihm zuteil wird, indem er sich das ganze Leid der
Welt zu eigen macht, kann ihn zur Resignation und zur Willens-
umkehr führen. Und so ist der Mensch die geheimeHoffnungder
Welt und aller Kreatur, zu welchem gleichsam alle Wesen sich
vertrauensvoll hindrängen, und auf den sie wie auf ihren mög-
lichen Erlöser und Heiland blicken.
Das ist eine Konzeption von großer mystischer Schönheit, worin
eine humane Ehrfurcht vor der Sendung des Menschen sich
ausdrückt, die alle Misanthropie, allen Menschenekel Schopen-
hauers überwiegt und rektifiziert. Es ist dies, worauf es mir
ankommt: Die Vereinigung von Pessimismus und Humanität, die
geistige Erfahrung, die Schopenhauer gewährt, daß das eine das
andere keineswegs ausschließt und daß man nicht Schönredner
und Menschheitsschmeichler zu sein braucht, um Humanist zu
sein. Wenig beirrt mich dabei die Frage nach der Wahrheitvon
Schopenhauers Interpretationen, besonders seiner von Kant
übernommenen Auslegung des Schönen und des ästhetischen
Zustandes, der berühmten »Interesselosigkeit«, über die der im
psychologischen Raffinement soviel fortgeschrittenere Nietzsche
sich nicht zu Unrecht lustig machte. Nietzsche, der Dionysier,
wandte sich gegendie Vermoralisierungder Kunst und des Künst-
lertums, dessen Steigerung und Vollendung der asketische Heilige
sein sollte: gegen die angebliche Negativität der produktiven und
rezeptiven ästhetischen Lust, als des Loskommens von der Tonur
des Willens; gegen die Negativität der Lust überhaupt, den Pessi-
mismus selbst also, der für ihn schon in der Konfrontierung einer
»wahren Welt« und einer» Welt der Erscheinung« lag, und den er
schon bei Kant witterte und nachwies. Er notiert ohne Kommen-
tar (der Kommentar erübrigt sich), daß Kant erklärt habe: »Diese
Sätze des Grafen N erri (eines italienischen Philosophen des acht-
zehnten Jahrhundens) unterschreibe ich in voller Überzeugung:
11 solo principio motore dell' uomo eil dolore. 11 dolore precede
ogni piacere. 11 piacere non eun essere positivo.«-Wardas so sehr
227
gegen den Sinn dessen, bei dem man lesen kann: »Die Lust ist eine
Form des Schmerzes«? Jedenfalls war es seiner anti-christlichen
Willensmeinung entgegen, welche um der Erde und des Lebens
willen durchaus keine »wahre Welt« wahrhaben wollte. Das
hindert nicht, daß sich, gerade in aestheticis, seine Herkunft von
Schopenhauer, auch zur Zeit des Apostatentums, nie verleugnet.
Denn wenn es in >Welt als Wille und Vorstellung< hieß, daß »Das
An-Sich des Lebens, der Wille, das Dasein selbst, einstetes Leiden
und teils jämmerlich, teils schrecklich ist; dasselbe hingegen als
Vorstellung allein, rein angeschaut, oder durch die Kunst wieder-
holt, frei von Qual, ein bedeutsames Schauspiel gewährt«, - so
greift Nietzsche diese Rechtfertigung des Lebens als eines ästheti-
schen Schauspiels und Schönheitsphänomens vollkommen auf,
nicht anders, als Schopenhauer die »Interesselosigkeit« aufgreift:
nämlich indem er dem Gedanken Schopenhauers nur die geistige
Wendung ins Antimoralisch-trunken-Bejahende gibt, in einen
Dionysismus der Lebensrechtfertigung, in welchem freilich
Schopenhauers moralistisch-lebensverneinender Pessimismus
schwer wiederzuerkennen ist, worin dieser aber doch in anderer
Färbung, mit anderem Vorzeichen und veränderter Gebärde
fortlebt. Stellen wir fest, daß man zum Antagonisten eines Den-
kers werden und doch geistig vollkommen sein Schüler bleiben
kann. Hört man, zum Beispiel, auf, Marxist zu sein, indem man
Marxens Lehre auf den Kopf stellt und gewisse wirtschaftliche
Haltungen aus dem Ideologischen, Religiösen ableitet, statt des
Umgekehrten? So blieb Nietzsche Schopenhauerianer. Vor dem
zweifelhaften Titel eines Optimisten schützt ihn der Begriff des
Heroischen, der in seinen Dionysismus einschlägig ist und der aus
dem Pessimismus kommt. Man wird Anstand nehmen, von Opti-
mismus zu reden, wo es sich um einen bacchantischen Pessimis-
mus handelt, um eine Form der Lebensbejahung also, die nicht
primär und naiv, sondern eine Überwindung, ein Trotzdem, dem
Leiden abgewonnen ist. Das Heroische aber findet sich auch bei
Schopenhauer: »Das Glück ist unmöglich: das Höchst-Erreich-
bare ist ein heroischer Lebenslauf.« -
Was nun aber davor warnt, Schopenhauers humanistische Gesin-
nung, seine klassisch-apollinischen Willensmeinungen wörtlich
und eigentlich zu nehmen, was vielmehr in seinem Fall, wie in so
manchem andern, dazu anhält, zwischen Meinung und Wesen zu
unterscheiden und den Menschen nicht mit seinen Urteilen zu
verwechseln, das ist sein Extremismus, eine grotesk-dualistische
Kontrasthaftigkeit seiner Natur, die man als romantisch im pitto-
reskesten Sinn des Wortes ansprechen muß, und die ihn von
228
Goethe's Sphäre weiter entfernt, als sein Bewußtsein es sich je
träumen ließ. - Ich sagte, daß Schopenhauer sich durchaus im
Kamischen hielt, als er den ästhetischen Zustand als die Losrei-
ßung der Erkenntnis vom Willen bestimmte, wobei das Subjekt
aufhöre, ein bloß indiyiduelles zu sein und reines willenloses
Subjekt der Erkenntnis werde. Aber Kant, nach seiner unemotio-
neilen Natur, wäre nie darauf verfallen, das »Ding an sich« als
Wille, Trieb, dunkle Leidenschaft zu bestimmen, von welcher der
künstlerische Zustand vorübergehende Erlösung gewähre; und
seine Ästhetik der Interesselosigkeit ist nicht das moralische
Ergebnis eines romantisch-emotionellen Dualismus von Wille
und Vorstellung, einer Weltkonzeption des Kontrastes von Sinn-
lichkeit und Askese mit allen Schrecken und dämonischen Qualen
der einen und allen Befriedigungsseligkeiten der andern Seite,
sondern, im Vergleich damit, kühlster Spiritualismus. Askese
heißt Abtötung. Aber bei Kant gab es nichtviel abzutöten, er hätte
zur Beschreibung des ästhetischen Zustandes nie die vehementen
Bilder überschwenglicher Dankbarkeit gefunden, die Schopen-
hauer dabei nur so zuströmten. Askese gehört zu einer romanti-
schen Kontrastwelt und hat furchtbare Erlebnisse des Willens, des
Triebes, der Leidenschaft, ein tiefes Leiden daranzur Vorausset-
zung. Den Heiligen als Vollender des Künstlers hat der Trieb-
Philosoph und Emotionalist Schopenhauer entdeckt, - nicht das
zwar unerbittliche, aber weit mäßiger temperierte Denkerturn
Kants, dem die furchtbar geistreichen Spannungen von Schopen-
hauers Kontrastwelt mit den Polen des Gehirns und der Geni-
talien durchaus fremd waren.
Es gab selten einen ausdrucksvolleren, erschöpfenderen Buchti-
tel, als den von Schopenhauers Hauptwerk, - seinem einzigen
Werk im Grunde, welches seinen einzigen Gedanken entwickelt,
und für das alles weitere, in einem zweiundsiebzigjährigen Leben
Geschriebene nur. beharrlich zusammengetragener Beleg und
insistierende Stütze ist. »Die Welt als Wille und Vorstellung«,-
das ist nicht nur dieser Gedanke, auf seine kürzeste Formel
gebracht, es ist auch der Mann, der Mensch, die Person, das Leben,
das Leiden. Die Willenstriebe dieses Menschen, besonders seine
S~xualität, müssen überaus stark und gefährlich gewesen sein,
torturierend wie die mythologischen Bilder, mit denen er die Fron
des Willens beschreibt, - sie müssen der Gewalt seines
Erkenntnistriebes, seiner klaren und mächtigen Geistigkeit auf
eine so widerstreitende Weiseentsprochen haben, daß eine furcht-
bar radikaleZweiheitund Zerrissenheit der Erfahrung und tiefstes
Erlösungsverlangen, die geistige Verneinung des Leben selbst, die
229
Beschuldigung seines An-Sich als böse, irrsälig und schuldhaftdas
in einem hohen Sinn groteske Ergebnis war. Das Geschlecht ist für
Schopenhauer der »Brennpunkt des Willens«, in seiner körperli-
chen Objektivation der Gegenpol des Gehirns, des Repräsentan-
ten der Erkenntnis. Daß, offenbar, beide Sphären bei ihm eine das
Durchschnittliche weit übersteigende Gewalt besaßen, spräche an
sich nur für die Fülle und Kraft seiner Gesamtnatur; was ihn zum
>Pessimisten< und Weltverneiner macht, ist eben nurdas durchaus
feindlich-kontradiktorische, ausschließende Leiden bringende
Verhältnis, in welchem die Sphären zueinander stehen, und das
übrigens nicht hindert, seinen Pessimismus das mißverständliche
Geistesprodukt der Fülle und Kraft zu nennen. Bipolarisch,
kontrast-und konflikthaft, qualvoll-heftig erlebt er die Welt als
Trieb und Geist, Leidenschaft und Erkenntnis, »Wille« und
»Vorstellung«. Wie, wenn er ihre Einheit in seinem Künstlertum,
seinem Genie gefunden, wenn er verstanden hätte, daß Genie
durchaus nicht stillgelegte Sinnlichkeit und ausgehängter Wille,-
Kunst nicht spirituelle Objektivität bedeutet, sondern daß sie die
produktive und lebenerhöhende Vereinigung undWechseldurch-
dringung der beiden Sphären ist,- bezaubernder, als jede für sich,
Geschlecht oder Geist, je sein kann? Daß Künstlertum, Schöpfer-
turn, nichts anderes ist und auch in ihm nichts anderes war als
vergeistigte Sinnlichkeit und vom Geschlecht her genialisierter
Geist? Goethe sah und erlebte das alles ganz anders als der
Pessimist Schopenhauer: glücklicher, gesunder, heiterer, >klassi-
scher<, unpathologischer - das Wort »pathologisch« in einem
geistigen, nicht klinischen Sinn verstanden- ich will also sagen:
unromantischer. Für ihn waren Geschlecht und Geist, »Idee und
Liebe«, die stärksten Lebensreize, und er dichtete: »Denn das
Leben ist die Liebe und des Lebens Leben- Geist.« Bei Schopen-
hauer dagegen schlägt die geniale Verstärkung beider Sphären ins
Asketische um. Ihm ist das Geschlecht eine teuflische Störung der
reinen Kontemplation und die Erkenntnis jene Verneinung des
Geschlechts, welche spricht: »Wenn dich dein Auge ärgert, so
reiße es aus.« Erkenntnis als »Friede der Seele«, Kunst als Quietiv,
als erlösender, zur Willenlosigkeit erlöster Zustand »reiner« An-
schauung und der Künstler als Vorstufe des über den Willen zum
Leben überhaupt hinausgekommenen Heiligen,- das ist Scho-
penhauer, und noch einmal: soweit diese Auffassung des Geistes
und der Kunst apollinisch-objektivistisch ist, berührt sie sich mit
der Goethe's und zeigt klassischen Charakter. Ihr Extremismus
und Asketismus aber ist ausgesprochen romantisch in einem Sinn
des Wortes, der Goethe's Geschmack, wie wir am besten aus
230
seinem Verhalten zu Heinrich von Kleist wissen, gar sehr entge-
gen war; und mit entsprechenden Gefühlen mag er >Die Welt als
Wille und Vorstellung< gelesen haben: zustimmend manchem
Ergebnis, aber wesentlich ablehnend und »hypochondrisch« be-
rührt,- und so hat er es kopfschüttelnd beiseite gelegt; tatsächlich
weiß man, daß er nach einem Anlauf neugieriger Anteilnahmedas
Buch nicht zu Ende gelesen hat.
Die Fremdheit eines großen Mannes gegen den andern, die not-
wendige Selbstsucht ist, darf uns nicht beirren. Auch Goethe
vereinigte in sich, auf seine gesegnetere Art, das Klassische mit
dem Romantischen, -das ist sogar eine der Formeln, auf die man
seine Größe bringen mag. Es ist bei Schopenhauer nicht anders:
auch seiner Größe ist die Vereinigung der beiden Geistesrichtun-
gen eher zugute zu rechnen, als daß sie ihr Abtrag täte, -sofern
nämlich Größe vereinigend, zusammenfassend ist, die Epoche
resümierend. Schopenhauer faßt vieles zusammen, seine Lehre
birgt viele Elemente: idealistische, naturphilosophische, ja pan-
theistische: und daß seine Persönlichkeit stark genug ist, diese
Elemente, wie eben auch das Klassische und Romantische, zu
binden, sie zu etwas ganz Neuern und Einmaligem zusammen-
zuschmelzen, so daß von Eklektizismus nicht im entferntesten
die Rede sein kann, das ist das Entscheidende.
Im Grunde wollen Termini und Alternativen wie >klassisch< und
•romantisch< auf ihn nicht passen: weder das eine noch das andere
tut seiner Seelenlage genug, die eine spätere ist als diejenige, für
welche jene zeitlich verwandten Gegensatz-Begriffe eine Rolle
spielten. Er steht näher zu uns als die Geister, die' dieser Unter-
schied beschäftigte, und die sich nach ihm ordneten: Schopenhau-
ers Geistesform, jene gewisse dualistisch-groteske Überreiztheit
und überheiztheit seines Genies, ist weniger romantisch als
modern, - und ich möchte in diese Bezeichnung sehr vieles legen,
sie aber im ganzen auf eine abendländische Seelenlage beziehen,
deren Leidenderwerden in dem Jahrhundert zwischen Goethe
und Nietzsche nur zu deutlich in die Augen springt. In dieser
Beziehung steht Schopenhauer zwischen Goethe und Nietzsche,
er bildet den Übergang zwischen ihnen,- >moderner<, leidender,
schwieriger als Goethe, aber sehr viel >klassischer<, robuster,
gesunder als Nietzsche, -woraus man ersehen mag, daß Optimis-
mus und Pessimismus, Bejahung oder Verneinung des Lebens
nichts mit Gesundheit und Krankheit zu tun haben. Gesundheit
und Krankheit als Werturteile sind aus dem Grunde mit soviel
Vorsicht auf das Menschlich-Geistige anzuwenden, weil sie bio-
logische Begriffe sind, die Natur des Menschen aber im Biologi-
231
sehen nicht aufgeht. Schwerlich jedoch wird zu behaupten sein,
Nietzsche's dionysisch antichristlicher Enthusiasmus sei persön-
lich etwas Gesünderes und Robusteres gewesen als Schopenhau-
ers Lebensingrimm, noch auch, er habe objektiv und geistig mehr
Gesundheit in die Welt gebracht. Viel zu viel und auf eine verwir-
rende Weise hat Nietzsche mit diesem biologischen Gegensatz
gearbeitet und eine falsche Gesundheit auf den Plan gerufen, die
heute das Geistige, woran Europa genesen könnte, zertrampelt.
Er selbst aber bedeutet einen Schritt weiter im Leiden, im Raffine-
ment und in der Modernität - besonders in der Eigenschaft, in
der er so ausgesprochen wie nirgends sonst der Schüler Schopen-
hauers ist, nämlich als Psycholog.
Schopenhauer, als Psycholog des Willens, ist der Vater aller
modernen Seelenkunde: von ihm geht, über den psychologischen
Radikalismus Nietzsche's, eine gerade Linie zu Freud und denen,
die seine Tiefenpsychologie ausbauten und auf die Geisteswissen-
schaften anwandten. Nietzsche' s Intellekt-Feindschaft und Anti-
Sokratismus ist nichts als die philosophische Bejahung und Ver-
herrlichung von Schopenhauers Entdeckung des Willensprimats,
seiner pessimistischen Einsicht in das sekundäre und dienende
Verhältnis des Intellektes zum Willen. Diese Einsicht, die im
klassischen Sinn nicht eben humane Feststellung, daß der Intellekt
dazu da ist, dem Willen gefällig zu sein, ihn zu rechtfertigen, ihn
mit oft sehr scheinbaren und selbstbetrügerischen Motiven zu
versehen", dieTriebe zu rationalisieren, birgt eine skeptisch -pessi-
mistische Psychologie, eine Seelenkunde durchschauender U ner-
bittlichkeit, die dem, was wir Psychoanalyse nennen, nicht nur
vorgearbeitet hat, sondern diese selbst schon ist. Im Grunde ist alle
Psychologie Entlarvung und ironisch-naturalistischer Scharf-
blick für das vexatorische Verhältnis von Geist und Trieb. Es
entspricht ganz der mystischen Natur-Konnivenz der •Wahlver-
wandtschaften<, wenn Goethe in diesem Roman den schon ver-
liebten Eduard nach dem ersten Zusammensein mit Ottilie sagen
läßt: »Sie ist eine unterhaltende Person« -und seine Frau ihm
antwortet: »Unterhaltend? Sie hat ja den Mund nicht aufgetan!«
Schopenhauer hat gewiß seine Freude gehabt an dieser Pointe. Sie
ist eine artige, noch klassisch-heitere Illustration seines Satzes,
daß man eine Sache nicht will, weil man sie als gut erkennt,
sondern daß man sie gut findet, weil man sie will.
Er selbst sagt zum Beispiel: »Doch ist zu bemerken, daß man, um
sich selbst zu täuschen, sich scheinbare Übereilungen vorbereitet,
die eigentlich heimlich überlegte Handlungen sind. Denn wir
betrügen und schmeichelnniemandem durch so feine Kunstgriffe,
2J2
als uns selbst.« In dieser beiläufigen Anmerkung sind ganze
Kapitel, ja Bände der analytischen Entlarvungs-Psychologie in
nuce enthalten, - wie später so oft in Nietzsche's Aphoristik
Freud'sche Erkenntnisse und Enthüllungen blitzartig vorwegge-
nommen sind. In einer Wiener Rede über Freud habe ich darauf
hingewiesen, daß Schopenhauers finsteres Willensreich mit dem,
was Freud das »Unbewußte«, das »Es« nennt, durchaus identisch
ist- wie andererseits Schopenhauers »Intellekt« demFreud'schen
»Ich«, diesem der Außenwelt zugekehrten Teil der Seele, durch-
aus entspricht. -
Das eigentliche Thema einer heutigen Rekapitulation und Be-
trachtung des Schopenhauer'schen Weltbildes, das Motiv für die
erinnerungsvolle Beschwörung seiner geistigen Gestalt vor einer
Generation, die wenig mehr von ihm weiß, ist das Verhältnis von
Pessimismus und Humanität: Es ist der Wunsch, einer Gegen-
wart, deren Humanitätsgefühlsich in schwerer Krise befindet, das
Erlebnis der eigenartigen Verbindung zu überliefern, welche
Melancholie und Menschenstolz in dieser Philosophie eingegan-
gen sind. Schopenhauers Pessimismus, das ist seine Humanität.
SeineWelterklärung aus dem Willen, seine Einsicht in die Oberge-
walt der Triebe und die Herabsetzung der ehemals göttlichen
Vernunft, des Geistes, des Intellekts zu einem bloßen Werkzeug
der Lebenssicherung ist anti-klassisch und ihrem Wesen nach
inhuman. Aber in der pessimistischen Färbung seiner Lehre eben
und daß sie ihn zur Weltverneinung und zum Ideal der Askese
führt, daß dieser große und leidenserfahrene Schriftsteller, der die
Prosa unserer großen humanen Bildungsepoche schrieb, den
Menschen aus dem Biologischen und aus der Natur heraushebt,
seine fühlende und erkennende Seele zum Schauplatz der Wil-
lensumkehr macht und den möglichen Heiland aller Kreatur in
ihm sieht: darin liegt seine Humanität, seine Geistigkeit.
Das zwanzigste Jahrhundert hat sich in seinem ersten Drittel rein
rückschlägig gegen den klassischen Rationalismus und Intellek-
tualismus verhalten und sich einer Bewunderung des Unbewuß-
ten, einer Verherrlichung des Instinktes ergeben, die es dem
•Leben< glaubte schuldig zu sein und dieden schlechten Instinkten
nur allzu gute Tage bereitet hat. Oft ist hier pessimistische Er-
kenntnis in Schadenfreude umgeschlagen, die geistige Anerken-
nung bitterer Wahrheiten in den Haß auf den Geist selbst und die
Verachtung für ihn, gegen den man sich ohne jede Generosität auf
die Seite des Lebens schlug: auf die Seite des Stärkeren also; denn
wenn irgend etwas gewiß und erwiesen ist, so dies, daß das Leben
vom Geist und von der Erkenntnis nichts zu fürchten hat und
233
nicht jenes, sondern der Geist der schwächere, schutzbedürftige
Teil auf Erden ist.
Aber auch die Anti-Humanität unserer Tage ist zuletzt ein huma-
nes Experiment, eine einseitige Beantwortung der ewig sich stel-
lenden Frage nach dem Wesen und Schicksal des Menschen.
Fühlbar bedarf sie einer das Gleichgewicht herstellenden Korrek-
tur, und ich meine, daß die hier erinnerte Philosophie dabei gute
Dienste leisten kann. Ich nannte Schopenhauer >modern< - ich
hätte ihn zukünftig nennen sollen. Die Elemente seiner Persön-
lichkeit, ihr hell-dunkler Zusammenklang, die Mischung von
Voltaire und Jakob Böhme in ihm, das Paradox seiner klassisch-
klaren Prosa, dievom Untersten, Nächtigsten kündet, seine stolze
Misanthropie, die nie die Ehrfurcht vor der Idee des Menschen
verleugnet, kurz, was ich seine pessimistische Humanität nannte,
erscheint mir voll von Zukunftsstimmung und verheißt seinem
Gedankenwerk nach modischem Ruhm und halber Vergessenheit
vielleicht noch eine tiefe und fruchtbare menschliche Wirkung.
Seine geistige Sinnlichkeit, seine Lehre, die Leben war, daß Er-
kenntnis, Denken, Philosophie nicht nur Sache des Kopfes, son-
dern des ganzen Menschen mit Herz und Sinn, mit Leib und Seele
sind- sein Künstlertum, mit einem Wort, gehört einer Mensch-
lichkeit jenseits von Vernunftdürre und Instinktvergottung an
und mag behilflich sein, sie hervorzubringen. Denn die Kunst, den
Menschen begleitend auf seinem mühsamen Wege zu sich selbst,
war immer schon am Ziel.
NIETZSCHE'S PHILOSOPHIE IM LICHTE
UNSERER ERFAHRUNG
Als zu Anfang des Jahres 1889 von Turin und Basel her die
Nachricht von Nietzsche's geistigem Zusammenbruch sich ver-
breitete, mag mancher von denen, die, über Europa hin verstreut,
bereits ein Wissen um die schicksalsvolle Größe des Mannes
hatten, Ophelia's Klageruf bei sich wiederholt haben:
0, what a noble mind is here o'erthrown!
0, welch ein edler Geist ist hier zerstört!
Und auch von den Kennzeichnungen der nachfolgenden Verse,
die das schauerliche Unglück bejamm~rn, daß solche hochgebie-
tende Vernunft, durch Schwärmerei zerrüttet, »blasted by ec-
stasy«, nun mißtönt wie verstimmte Glocken, treffen viele genau
auf Nietzsche zu,- nicht zuletzt die Wendung, in welche die
Trauemde ihre Lobpreisung zusammenfaßt: »The observ' d of all
observers«, was Schlegel übersetzt: »Das Merkziel der Betrach-
ter.« Wir würden dafür das Wort "faszinierend« gebrauchen, und
wahrlich, nach einer Gestalt, faszinierender als die des Einsiedlers
von Sils Maria, sieht man sich in aller Weltliteratur und Geistes-
geschichte vergebens um. Es ist aber eine Faszination, derjenigen
nahe verwandt, die von Shakespeare's Charakterschöpfung, dem
melancholischen Dänenprinzen, durch die Jahrhunderte aus-
geht.
Nietzsche, der Denker und Schriftsteller, »the mould of form«
oder >>der Bildung Muster«, wie Ophelia ihn nennen würde, war
eine Erscheinung von ungeheuerer, das Europäische resumieren-
der, kultureller Fülle und Komplexität, welche vieles Vergangene
in sich aufgenommen hatte, das sie in mehr oderweniger bewußter
Nachahmung und Nachfolge erinnerte, wiederholte, auf mythi-
sche Art wieder gegenwärtig machte, und ich zweifle nicht, daß
der große Liebhaber der Maske des hamletischen Zuges in dem
tragischen Lebensschauspiel, das er bot- ich möchte fast sagen:
das er veranstaltete, wohl gewahr war. Was mich, den ergriffen
sich versenkenden Leser und »Betrachter« der nächstfolgenden
Generation, betrifft, so habe ich diese Verwandtschaft früh emp-
funden und dabei die Gefühlsmischung erfahren, die gerade für
das jugendliche Gemüt etwas so Neues, Aufwühlendes und Ver-
tiefendes hat: die Mischung von Ehrfurcht und Erbarmen. Sie ist
235
mir niemals fremd geworden. Es ist das tragische Mitleid mit einer
überlasteten, über-beauftragten Seele, welche zum Wissen nur
berufen, nicht eigentlich dazu geboren war und, wie Hamlet,
daran zerbrach; mit einer zarten, feinen, gütigen, liebebedürfti-
gen, auf. edle Freundschaft gestellten und für die Einsamkeit gar
nicht gemachten Seele, der gerade dies: tiefste, kälteste Einsam-
keit, die Einsamkeit des Verbrechers, verhängt war; mit einer
ursprünglich tief pietätvollen, ganz zur Verehrung gestimmten,
an fromme Traditionen gebundenen Geistigkeit, die vom Schick-
sal gleichsam an den Haaren in ein wildes und trunkenes, jeder
Pietät entsagendes, gegen die eigene Natur tobendes Propheten-
turn der barbarisch strotzenden Kraft, der Gewissensverhärtung,
des Bösen gezerrt wurde.
Man muß einen Blick auf die Herkunft dieses Geistes werfen, den
Einflüssen nachgehen, die an der Bildung seiner Persönlichkeit
arbeiteten, und zwar ohne daß seine Natur sie im geringsten als
ungemäß empfunden hätte, -um der unwahrscheinlichen Aben-
teuerlichkeit seiner Lebenskurve, ihrervölligen Unvoraussehbar-
keit innezuwerden. In mitteldeutscher Ländlichkeit geboren
1 844, vierJahrevor dem Versuch einer bürgerlichen Revolution in
Deutschland, stammt Nietzsche von Vaters- wie Muttersseite aus
angesehenen Pastorenfamilien. Von seinem Großvater gibt es
ironischerweise eine Schrift über >Die immer währende Dauer des
Christentums, zur Beruhigung bei der gegenwärtigen Gährung<.
Sein Vater war etwas wie ein Hofmann, Erzieher der preußischen
Prinzessinnen, und verdankte seine PEarrstelle der Gunst Fried-
rich Wilhelms IV. Sinn für aristokratische Formen, Sittenstrenge,
Ehrgefühl, peinliche Ordnungsliebe waren denn auch in seinem
Elternhause heimisch. Der Knabe lebte nach des Vaters frühem
Tode in der kirchenfrommen und royalistischen Beamtenstadt
Naumburg. Er wird als »ungeheuer artig« geschildert, als ein
notorischer Musterknabe von gesittetem Ernst und einem from-
men Pathos, das ihm denN amen >>der kleine Pastor« einträgt. Man
kennt die charakteristische Anekdote, wie er bei einem Platzregen
gemessenen und würdigen Schrittes von der Schule nach Hause
geht,-weil die Schulregeln den Kindern ein sittsames Betragen auf
der Straße zur Pflicht machen. Seine gymnasiale Bildung wird
glänzend vollendet in der berühmten Klosterzucht von Schul-
pforta. Er neigt zur Theologie, außerdem zur Musik, entschließt
sich aber zur klassischen Philologie und Studien sie in Leipzig
unter einem strengen Methodikernamens Ritschl. Seine Erfolge
sind deran, daß er, kaum daß er seiner Militärpflicht als Artillerist
nachgekommen ist, fast ein Jüngling noch, aufs akademische
236
Katheder berufen wird, und zwar in der ernsten und frommen,
patrizisch regierten Stadt Basel.
Man hat das Bild einer hochbegabten Edel-Normalität, die eine
Laufbahn der Korrektheit auf vornehmem Niveau zu gewährlei-
sten scheint. Statt dessen, von dieser Basis, welch ein Getrieben-
werden ins Weglose! Welch ein Sich-Versteigen in tödliche Hö-
hen! Das Wort »verstiegen«, zum moralischen und geistigen
Urteil geworden, stammt aus der Alpinistensprache und bezeich-
net die Situation, wo es im Hochgestein weder vorwärts noch
rückwärts mehr geht und der Bergsteiger verloren ist. Dies Wort
anzuwenden auf den Mann, der sicher nicht nur der größte
Philosoph des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts, sondern
einer der unerschrockensten Helden überhaupt im Reich des
Gedankens war, klingt wie Philisterei. Aber J acob Burckhardt, zu
dem Nietzsche wie zu einem Vater aufblickte, war kein Philister,
und doch hat er die Neigung, ja den Willen zum Sich-Versteigen
und zur tödlichen Verirrung früh schon der Geistesrichtung des
jüngeren Freundes angemerkt und sich weislich von ihm getrennt,
ihn mit einer gewissen Gleichgültigkeit, die Goethe'scher Selbst-
schutz war, fallenlassen ...
Was war es, was Nietzsche ins Unwegsame trieb, ihn unter
Qualen dort hinaufgeißelte und ihn den Martertod am Kreuz des
Gedankens sterben ließ? Sein Schicksal- und sein Schicksal war
sein Genie. Aber dieses Genie hat noch einen anderen Namen. Er
lautet: Krankheit- dies Wort nicht in dem vagen und allgemeinen
Sinn genommen, in welchem es sich so leicht mit dem Begriff des
Genies verbindet, sondern in einem so spezifischen und klini-
schen Verstande, daß man sich wiederum dem Verdacht des
Banausenturns und dem Vorwurf aussetzt, man wolle die schöpfe-
rische Lebensleistung eines Geistes damit entwerten, der als
Sprachkünstler, Denker, Psychologe die ganze Atmosphäre sei-
ner Epoche verändert hat. Das wäre ein Mißverständnis. Oft ist
gesagt worden, und ich sage es wieder: Krankheit ist etwas bloß
Formales, bei dem es darauf ankommt, womit es sich verbindet,
womit es sich erfüllt. Es kommt darauf an, wer krank ist: ein
Durchschnittsdummkopf, bei welchem die Krankheit des geisti-
gen und kulturellen Aspektes freilich entbehrt, oder ein Nietz-
sche, ein Dostojewski. Das Medizinisch-Pathologische ist eine
Seite der Wahrheit, ihre naturalistische sozusagen, und wer die
Wahrheit als Ganzes liebt und willens ist, ihr unbedingt die Ehre
zu geben, wird nicht aus geistiger Prüderie irgendeinen Gesichts-
punkt verleugnen, unter dem sie gesehen werden kann. Man hat es
dem Arzte Möbius sehr verübelt, daß er ein Buch geschrieben hat,
237
worin er die Entwicklungsgeschichte Nietzsche's als die Ge-
schichte einer progressiven Paralyse fachmännisch darstellt. Ich
habe an der Entrüstung darüber nie teilnehmen können. Der
Mann sagt, auf seine Weise, die unbestreitbare Wahrheit.
Im Jahre 1865 erzählt der einundzwanzigjährige Nietzsche sei-
nem Studienfreunde Paul Deussen, dem späteren berühmten
Sanskritisten und Vedanta-Forscher, eine sonderbare Geschichte.
Der junge Mann hatte allein einen Ausflug nach Köln gemacht und
dort einen Dienstmann engagiert, damit er ihm die Sehenswürdig-
keiten der Stadt zeige. Das geht den ganzen Nachmittag und
schließlich, gegen Abend, fordert Nietzsche seinen Führer auf,
ihm ein empfehlenswertes Restaurant zu zeigen. Der Kerl aber,
der für mich die Gestalt eines recht unheimlichen Sendboten
angenommen hat, führt ihn in ein Freudenhaus. Der Jüngling, rein
wie ein Mädchen, ganz Geist, ganz Gelehrsamkeit, ganz fromme
Scheu, sieht sich, so sagt er, plötzlich umgeben von einem halben
Dutzend Erscheinungen in Flitter und Gaze, die ihn erwartungs-
voll ansehen. Zwischen ihnen hindurch geht der junge Musiker,
Philolog und Schopenhauer-Verehrer instinktiv auf ein Klavier
zu, das er im Hintergrunde des teuflischen Salons gewahrt und
worin er (das sind seine Worte) »das einzige seelenhafte Wesen in
der Gesellschaft« erblickt, und schlägt einige Akkorde an. Das löst
seinen Bann, seine Erstarrung, und er gewinnt das Freie, er vermag
zu fliehen.
Am nächsten Tage hat er dem Kameraden dies Erlebnis gewiß
unter Lachen erzählt. Weichen Eindruck es auf ihn gemacht, war
ihm nicht bewußt. Es war aber nicht mehr und nicht weniger, als
was die Psychologen ein >Trauma< nennen, eine Erschütterung,
deren wachsende, die Phantasie nie wieder loslassende Nachwir-
kung von der Empfänglichkeit des Heiligen für die Sünde zeugt.
Im vierten Teil des >Zarathustra<, entstanden zwanzig Jahre spä-
ter, findet sich, in dem Kapitel >Unter Töchtern der Wüste<, ein
orientalisierendes Gedicht, dessen gräßliche Scherzhaftigkeit eine
kasteite Sinnlichkeit und ihre Nöte, bei schon gelockerten Hem-
mungen, mit qualvoller Geschmacklosigkeit verrät. In diesem
Gedicht von den »allerliebsten Freundinnen und Mädchen-Kat-
zen Dudu und Suleika«, einem erotischen Wachtraum von peinli-
cher Humorigkeit, sind die »Flatter- und Flitterröckchen« jener
Kölner gewerbetreibenden Damen wieder da, noch immer da. Die
»Erscheinungen in Flitter und Gaze« von damals habensichtlich
zu den wonnigen Wüstentöchtern Modell gestanden, und von
diesen ist es nicht weit mehr, es sind nur noch vier Jahre, bis zur
Baseler Klinik, wo der Kranke zu Protokoll gibt, er habe sich
2J8
zweimal in früheren Jahren spezifisch infiziert. DieJenaer Kran-
kengeschichte nennt für das erste dieser Mißgeschicke das Jahr
1866. EinJahr also, nachdem er aus jenemKölnerHause geflohen,
kehrt er, ohne diabolische Führung diesmal, an einen solchen Ort
zurück und zieht sich- einige sagen: absichtlich, als Selbstbestra-
fung- zu, was sein Leben zerrütten, aber auch ungeheuer steigern
wird-, ja, wovon auch teils glückliche, teils fatale Reizwirkungen
auf eine ganze Epoche ausgehen sollen.
Was ihn nach wenigen Jahren aus seinem Baseler akademischen
Amte fortbegehren läßt, ist eine Mischung von zunehmender
Kränklichkeit und .Freiheitsdrang, die im Grunde dasselbe sind.
Früh schon hat der junge Verehrer Wagners und Schopenhauers
Kunst und Philosophie als die wahren Führer des Lebens ausgeru-
fen - gegen die Geschichte, von der sein Lehrfach, die Philologie,
ein Zweig ist. Er wendet sich ab von ihr, läßt sich krankheitshalber
pensionieren und lebt fortan ohne jede Bindung, als bescheidener
Zimmerherr, an internationalen Plätzen haliens, Süd-Frank-
reichs, des Schweizer Hochgebirges, wo er seine stilistisch blen-
denden, von kühnen Beleidigungen seiner Zeit funkelnden, psy-
chologisch immer radikaleren, in immer grellerem Weißlicht
aufstrahlenden Bücher schreibt. Brieflich nennt er sich »einen
Menschen, der nichts mehr wünscht als täglich irgendeinen beru-
higenden Glauben zu verlieren, der in dieser täglich größeren
Befreiung des Geistes sein Glück sucht und findet. Vielleicht daß
ich sogar noch mehr Freigeist sein will, als ich es sein kann!« -Das
ist ein Geständnis, sehr früh, schon 1876, abgelegt; es ist die
Antizipation seines Schicksals, seines Zerbrechens; das Vorwis-
sen eines Menschen, der getrieben sein wird, sich an Erkenntnis
Grausameres zuzumuten, als ein Gemüt ertragen kann, und der
der Weh das Schauspiel einer erschütternden Selbstkreuzigung
bieten wird.
Unter sein Werk hätte er wohl, wie jener Maler, schreiben kön-
nen: »In doloribus pinxi.« In mehr als einem Sinn, demgeistigen
wie dem körperlichen, hätte er damit die Wahrheit gesagt. 188o
bekennt er dem Arzt Dr. Eiser: >>Meine Existenz ist einefürchter-
liche Last: ich hätte sie längst von mir abgeworfen, wenn ich nicht
die lehrreichsten Proben und Experimente auf geistig-sittlichem
Gebiete gerade in diesem Zustande des Leidens und der fast
absoluten Entsagung machte ... Beständiger Schmerz, mehrere
Stunden des Tages ein der Seekrankheit eng verwandtes Gefühl,
eine Halblähmung, wo mir das Reden schwer wird, zur Abwechs-
lung wütende Anfälle (der letzte nötigte mich, drei Tage und
Nächte lang zu erbrechen, ich dürstete nach dem Tode) ... Könnte
239
ich Ihnen das Fortwährende beschreiben, den beständigen
Schmerz und Druck im Kopf, auf den Augen, und jenes läh-
mungsartige Gesamtgefühl vom Kopf bis in die Fußspitzen! ... «-
Seine scheinbar vollkommene Unwissenheit - und die seiner
Ärzte obendrein!- über die Natur und Quelle dieser Leiden ist
schwer zu begreifen. Daß sie vom Gehirn ausgehen, wird ihm
allmählich zur Gewißheit, und er hält sich hier für hereditär
belastet: Sein Vater, meint er, sei an >>Gehirnerweichung« zu-
grunde gegangen, - was bestimmt nicht wahr ist; der Pastor
Nietzsche starb durch einen bloßen Unfall an einer Gehirnverlet-
zung durch einen Sturz. Jenes völlige Nicht-Wissen aber, oderdie
Dissimulation des Wissens, von dem Ursprung seiner Krankheit
ist nur aus der Tatsache zu erklären, daß sie mit seinem Genie
verschränkt und verbunden war, daß dieses sich mit ihr entfaltete,
- und daß alles einem genialen Psychologen zum Objekt demas 7
kierender Erkemitnis werden kann, nur nicht das eigene Genie.
Es ist vielmehr der Gegenstand staunender Bewunderung, über-
schwenglichen Selbstgefühls, krasser Hybris. In voller Naivität
verherrlicht Nietzsche die beseligende Kehrseite seines Leidens,
diese euphorischen Schadloshaltungen und überkompensatio-
nen, die zum Bilde gehören. Er tut es am großartigsten in dem fast
schon hemmungslosen Spätwerk >Ecce homo<, dort wo er den
körperlich und geistig unerhört gehobenen Zustand preist, worin
er in unglaublich kurzer Zeit seine Zarathustra-Dichtung hervor-
brachte. Die Seite ist ein stilistisches Meisterstück, sprachlich ein
wahrer tour de force, zu vergleichen nur etwa der wundervollen
Analyse des Meistersinger-Vorspiels in >Jenseits von Gut und
Böse< und der dionysischen Darstelllung des Kosmos am Ende des
•Willens zur Macht<. »Hat jemand«, fragt er im >Ecce homo<,
>>Ende des neunzehnten Jahrhunderts, einen deutlichen Begriff
davon, was Dichter starker Zeitalter Inspiration nannten? Im
andren Falle will ich's beschreiben.« Und nun beginnt eine Schil-
derung von Erleuchtungen, Entzückungen, Elevationen, Einflü-
sterungen, göttlicher Kraft- und Machtgefühle, die er nicht umhin
kann, als etwas Atavistisches, Dämonisch-Rückschlägiges, ande-
ren, »stärkeren« und gottnäheren Zuständen der Menschheit
Angehöriges und aus den psychischeil Möglichkeiten unserer
schwächlich-vernünftigen Epoche Herausfallendes zu emp-
finden. Und dabei beschreibt er >in Wahrheit< - aber was ist
Wahrheit: das Erlebnis oder die Medizin?- einen verderblichen
Reizungszustand, der dem paralytischen Kollaps höhnend
vorangeht.
Jeder wird zugeben, daß es hektische, von entgleitender Vernunft
zeugende Ausschreitungen des Selbstbewußtseins sind, wenn
Nietzsche den >Zarathustra< eine Tat nennt, an der gemessen der
ganze Rest von menschlichem Tun als arm und bedingt erscheint,
wenn er behauptet, daß ein Goethe, ein Shakespeare, ein Dante
nicht einen Augenblick in der Höhe dieses Buches zu atmen
wissen würde, und daß der Geist und die Güte aller großen Seelen
zusammen genommen nicht imstande wären, nur eine Rede Zara-
thustra's hervorzubringen. Natürlich muß es ein großer Genuß
sein, dergleichen niederzuschreiben, aber ich finde es unerlaubt.
übrigens mag es sein, daß ich nur meine eigenen Grenzen fest-
stelle, wenn ich weitergehe und bekenne, daß mir überhaupt das
Verhältnis Nietzsche's zu dem Zarathustra-Werk dasjenige blin-
der Überschätzung zu sein scheint. Es ist, dank seiner biblischen
Attitude, das >populärste< seiner Bücher geworden, aber es ist bei
weitem nicht sein bestes Buch. Nietzsche war vor allem ein großer
Kritiker und Kultur-Philosoph, ein aus der Schule Schopenhauers
kommender europäischer Prosaist und Essayist obersten Ranges,
dessen Genie zur Zeit von >Jenseits von Gut und Böse< und der
>Genealogie der Moral< auf seinen Scheitelpunkt kam. EinDichter
mag weniger sein als solch ein Kritiker, aber zu diesem Weniger
reichte es nicht, oder doch nur in einzelnen lyrischen Augenblik-
ken, nicht für ein ausgedehntesWerk von kreativer Ursprünglich-
keit. Dieser gesiebt- und gestaltlose Unhold und Flügelmann
Zarathustra mit der Rosenkrone des Lachensauf dem unkenntli-
chen Haupt, seinem »Werdet hart!« und seinen Tänzerbeinen ist
keine Schöpfung, er ist Rhetorik, erregter Wortwitz, gequälte
·stimme und zweifelhafte Prophetie, ein Schemen von hilfloser
Grandezza, oft rührend und allermeist peinlich - eine an der
Grenze des Lächerlichen schwankende Unfigur.
Indem ich so spreche, erinnere ich mich an die verzweifelte
Grausamkeit, mit der Nietzsche über vieles, eigentlich über alles
ihm Ehrwürdige gesprochen hat: über Wagner, über die Musik im
allgemeinen, über die Moral, über das Christentum, - ich hätte
beinahe gesagt: auch über das Deutschtum,- und wie er bei den
wütendsten kritischen Ausfällen gegen diese im Innersten stets
hochgehaltenen Werte und Mächte offenbar nicht das Gefühl
hatte, ihnen wirklich zu nahe zu treten, sondern, wie es scheint, die
fürchterlichsten gegen sie geschleuderten Beleidigungen als eine
Form der Huldigung empfand. überWagnerhat er Dinge gesagt,
daß man seinen Sinnen nicht traut, wenn er im >Ecce homo<
plötzlich von der heiligen Stunde die Rede ist, in der Richard
Wagner in Venedig starb. Wieso, fragt man sich, Tränen in den
Augen, ist diese Sterbestunde auf einmal »heilig«, wenn Wagner
der üble Histrione, der verderbte Verderber war, als den Nietz-
sche ihn hundertmal geschildert hat?- Bei seinem Freunde, dem
Musiker Peter Gast, entschuldigt er sich wegen seiner beständigen
Auseinandersetzung mit dem Christentum: es sei eben das beste
Stück idealen Lebens, das er wirklich kennengelernt habe. Zuletzt
sei er der Nachkomme ganzer Geschlechter von christlichen
Geistlichen und glaube, »nie in seinem Herzen gegen das Chri-
stentum gemein gewesen« zu sein. Nein, aber er hat es mit sich
überschlagender Stimme »den einen unsterblichen Schandfleck
der Menschheit« genannt - nicht ohne sich zugleich über die
Behauptung lustig zu machen, daß der Germane irgendwie für das
Christentum vorgebildet und vorbestimmt gewesen sei: Der
faule, aber kriegerische und raubsüchtige Bärenhäuter, der sinn-
lich kalte Jagdliebhaber und Biertrinker, der es nicht höher als bis
zu einer rechten und schlechten Indianerreligion gebracht und
noch vor zehnhundert Jahren Menschen auf Opfersteinen ge-
schlachtet habe, .::.. was habe er zu schaffen mit der höchsten, von
Rabbinerverstand geschärften moralischen Subtilität, mit der
orientalischen Feinheit des Christentums!- Die Wertverteilung
ist klar und erheiternd. Seiner Autobiographie gibt der »Anti-
christ« den allerchristlichsten Titel >Ecce Homo<. Und letzte
Wahnsinnszettel unterzeichnet er »Der Gekreuzigte«.
Man kann sagen, daß Nietzsche's Verhältnis zu den Vorzugs-
gegenständen seiner Kritik schlechthin das der Leidenschaft war:
einer Leidenschaft, im Grunde ohne bestimmtes Vorzeichen,
denn das negative wechselt beständig ins positive hinüber. Noch
kurz vor dem Ende seines geistigen Lebens schreibt er eine Seite
über den >Tristaq.<, die von Begeisterung vibriert. Andererseits hat
er schon zur Zeit seiner scheinbar unbedingtesten Wagner-Jün-
gerschaft, bevor er für die Außenwelt die Festschrift >Richard
Wagner in Bayreuth< verfaßte, gegen Baseler Vertraute Äußerun-
gen über den >Lohengrin< getan- von so distanziertem Scharf-
blick, daß sie über anderthalb Jahrzehnte hin den >Fall Wagner<
vorwegnahmen. In Nietzsche's Verhältnis zu Wagner ist kein
Bruch, was man auch sagen möge. Die Welt will immer einen
Bruch sehen im Leben und Werk großer Männer. Sie fand ihn bei
Tolstoi, wo alles eiserne Konsequenz, alles Späte im Frühen
psychologisch vorgebildet ist. Sie fand ihn bei Wagner selbst, in
dessen Entwicklung die gleiche unverbrüchliche Kontinuität und
Logik waltet. Es ist mit Nietzsche nicht anders. So sehr sein
größtenteils aphoristisches Werk in tausend farbigen Facetten
spielt, so viel an der Oberfläche liegende Widersprüche ihm
nachzuweisen sind, - er war von Anfang ganz da, war immer
derselbe, und in den Schriften des jugendlichen Professors, den
>Unzeitgemäßen Betrachtungen<, der >Gebun der Tragödie<, der
Abhandlung >Der Philosoph< von I 873liegen nicht nurdie Keime
seiner späteren Lehrbotschaft, sondern diese, eine frohe Botschaft
nach seiner Meinung, ist bereits vollkommen und fertig in ihnen
enthalten. Was sich ändert, ist allein die Akzentuierung, die immer
frenetischer, die Stimmlage, die immer schriller, die Gebärde, die
immer grotesker und fürchterlicher wird. Was sich änden, ist die
Schreibweise, die, hochmusikalisch von jeher, aus der würdigen,
etwas altfränkisch-gelehnenhaft gefärbten Zucht und Gebunden-
heit deutsch-humanistischer Überlieferung allmählich in einem
unheimlich mondänen und hektisch heiteren, zuletzt mit der
Schellenkappe des Weltenspaßmachers sich schmückenden
über-Feuilletonismus entartet.
Nicht genug aber ist die vollkommene Einheitlichkeit und Ge-
schlossenheit von Nietzsche's Lebenswerk zu betonen. In der
Nachfolge Schopenhauers, dessen Schüler er blieb, auchals erden
Meister längst verleugnet hatte, hat er eigentlich sein Leben lang
nur einen überall gegenwärtigen Gedanken variiert, ausgebaut,
eingeprägt, welcher, anfangs in voller Gesundheit und mit unbe-
streitbarer zeitkritischer Berechtigung auftretend, im Lauf der
Jahre einer mänadischen Verwilderung anheimfällt, so daß man
Nietzsche's Geschichte die Verfallsgeschichte dieses Gedankens
nennen kann.
W eieher ist es? -Man muß ihn in seine Ingredienzien, seine in ihm
streitenden Teile zerlegen, um ihn zu verstehen. Sie heißen, bunt
durcheinander aufgeführt: Leben, Kultur, Bewußtsein oder Er-
kenntnis, Kunst, Vornehmheit, Moral, Instinkt. In diesem Ideen-
komplex dominiert der Begriff der Kultur. Er ist dem Leben selbst
fast gleichgesetzt: Kultur, das ist die Vornehmheit des Lebens,
und mit ihr verbunden, als ihre Quellen und Bedingungen, sind
Kunst und Instinkt, während als Todfeinde und Zerstörer von
Kultur und Leben Bewußtsein und Erkenntnis, die Wissenschaft
und endlich die Moral figurieren, -die Moral, welche als W ahrerin
derWahrheitdem Leben ans Leben geht, da diese ganz wesentlich
auf Schein, Kunst, Täuschung, Perspektive, Illusion beruht und
der Irnum der Vater des Lebendigen ist.
Er hat von Schopenhauer den Satz ererbt, daß »das Leben als
Vorstellung allein, rein angeschaut oder durch die Kunst wieder-
holt, ein bedeutsames Schauspiel ist«, den Satz also, daß nur als
ästhetisches Phänomen das Leben zu rechtfertigen ist. Das Leben
ist Kunst und Schein, nichts weiter, und darum steht höher als die
Wahrheit (die eine Angelegenheit der Moral ist) die Weisheit(als
243
Sache der Kultur und des Lebens)- eine tragisch-ironische Weis-
heit, welche der Wissenschaft aus künstlerischem Instinkt, um der
Kultur willen, Grenzen setzt und den obersten Wert, das Leben,
nach zwei Seiten hin verteidigt: gegen den Pessimismus der
Lebensverleumderund Fürsprecher des Jenseitsoderdes Nirwana
- und gegen den Optimismus der Vernünftler und W eltverbesse-
rer, die vom Erdenglück aller, von Gerechtigkeit fabeln und derri
sozialistischen Sklavenaufstand vorarbeiten. Nietzsche hat diese
tragische Weisheit, die das Leben in allseiner Falschheit, Härteund
Grausamkeit segnet, auf den Namen des Dionysos getauft.
Der Name des trunkenen Gottes erscheint zuerst in der ästhe-
tisch-mystischen Jugendschrift von der >Geburt der Tragödie aus
dem Geiste der Musik<, wo das Dionysische als künstlerisch-
seelische Verfassung dem Kunstprinzip apollinischer Distan-
ziertheit und Objektivität entgegengestellt wird, sehr ähnlich, wie
Schiller in seinem berühmten Essay das »Naive« dem »Sentimen-
talischen« gegenüberstellt. Hierfällt zum erstenmal dasWortvom
»theoretischen Menschen«, und die Kampfstellung gegen Sokra-
tes, den Erztyp dieses theoretischen Menschen, wird bezogen:
gegen Sokrates, den Verächter des Instinktes, den Verherrlicher
des Bewußtseins, der lehrte, daß nur gut sein kann, was bewußt ist,
den Feind des Dionysos und den Mörder der Tragödie. Von ihm
stammt, nach Nietzsche, eine alexandrische Wissenschaftskultur,
blaß, gelehrtenhaft, mythosfremd, lebensfremd, eine Kultur, in
der Optimismus und Vernunftglaube gesiegt haben, derprakti-
sche und theoretische Utilitarismus, welcher, gleich der Demo-
kratie selbst, ein Symptom ab sinkender Kraft und der physiologi-
schen Ermüdung ist. Der Mensch dieser sokratischen, antitragi-
schen Kultur, der theoretische Mensch, will nichts mehr ganz
haben, mit aller natürlichen Grausamkeit der Dinge, verzärtelt
wie er ist durch optimistische Betrachtung. Aber, so hältder junge
Nietzsche sich überzeugt, die Zeit des sokratischen Menschen ist
vorüber. Ein neues Geschlecht, heroisch, verwegen, verachtungs-
voll gegen alle Schwächlichkeitsdoktrinen betritt den Schauplatz,
ein allmähliches Erwachen des dionysischen Geistes ist festzu-
stellen in unserer gegenwärtigen Welt, derWeltvon I 870, aus den
dionysischen Tiefen des deutschen Geistes, der deutschen Musik,
der deutschen Philosophie, vollzieht sich die Wiedergeburt der
Tragödie.
Er hat sich später über seinen Glauben von damals an den deut-
schen Geist verzweifelt lustig gemacht- und darüber, was er alles
in ihn hineingelegt hat, nämlich sich selbst. Er selbst, in der Tat, ist
in diesem noch mild-human, noch schwärmerisch-romantisch
getönten Vorspiel seiner Philosophie schon vollständig enthalten,
und auch die Welt-Perspektive, der Blick auf die abendländische
Gesamtkultur ist schon da, wenn es ihm auch vor allem noch um
die deutsche Kultur zu tun ist, an deren hohe Sendung er glaubt,
die er aber in größter Gefahr sieht, durch Bismarcks Machtstaats-
Gründung, durch Politik, demokratische Vermittelmäßigung
und selbstgefällige Siegessattheit dieser Sendung verlustig zu
gehen. Seine glänzende Diatribe gegen das altersschwache und
vergnügte Buch des Theologen David Strauß >Der alte und der
neue Glaube< ist das unmittelbarste Beispiel für diese Kritik eines
Philisteriums der Saturiertheit, das den deutschen GeistallerTiefe
zu berauben droht. Und es hat etwas Erschütterndes, wie schon
hier der jugendliche Denker prophetische Blicke vorauswirft auf
das eigene Schicksal, das wie ein tragischer Lebensplan offen vor
ihm zu liegen scheint. Ich meine die Stelle, wo er die ethische
Feigheit des vulgären Aufklärers Strauß verhöhnt, der sich wohl
hüte, aus seinem Darwinismus, aus dem bell um omnium contra
omnes und dem Vorrecht des Stärkeren MOralvorschriften für das
Leben abzuleiten, sondern sich immer nur in kräftigen Ausfällen
gegen Pfaffen undWunder gefalle, bei denen man den Philisterfür
sich habe. Er selbst, das weiß er in seiner Tiefe schon, wird das
Äußerste tun und selbst den Wahnwitz nicht scheuen, um den
Philister gegen sich zu haben.
Es ist die zweite der >Unzeitgemäßen Betrachtungen<, betitelt
.Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben<, worin
jener Grundgedanke seines Lebens, von dem ich sprach, am
vollkommensten, wenn auch noch in einer speziellen kritischen
Einkleidung präformiert ist. Die bewundernswerte Abhandlung
ist im Grunde nur eine große Variation des Harnlet-Wortes von
der »angebornen Farbe der Entschließung«, die von »des Gedan-
ken Blässe angekränkelt« wird. DerTitel istinsofern inkorrekt, als
von dem Nutzen der Historie kaum- und desto mehr von ihrem
Nachteil für das Leben, das teure, heilige, ästhetisch gerechtfer-
tigte, die Rede ist. Man hat das neunzehnte Jahrhundert das
historische Zeitalter genannt, und in Wahrheit hat es den histori-
schen Sinn überhaupt erst hervorgebracht und entwickelt, von
dem frühere Kulturen, eben als Kulturen, als künstlerisch in sich
geschlossene Lebenssysteme, wenig oder gar nichts wußten.
Nietzsche spricht geradezu von der »historischen Krankheit«, die
das Leben und seine Spontaneität zum Erlahmen bringe. Bildung,
das sei heutzutage historische Bildung. Aber die Griechen hätten
überhaupt keine historische Bildung gekannt, und man werde ja
wohl Anstand nehmen, die Griechen ungebildet zu nennen.
Historie, um der reinen Erkenntnis willen, nicht zumZwecke des
Lebens betrieben und ohne das Gegengewicht »plastischer Bega-
bung«, schöpferischer Unbefangenheit, ist mörderisch, ist der
Tod. Ein historisches Phänomen in seiner Erkanntheit- ist tot.
Um eine wissenschaftlich erkannte Religion zum Beispiel ist es
geschehen, sie ist am Ende. Die historisch-kritische Behandlung
des Christentums, sagt Nietzsche mit konservativer Besorgnis,
löst es in reines Wissen um das Christentum auf. Bei der histori-
schen Prüfung der Religion, sagt er, »kommen Dinge zu Tage, die
die pietätvolle Illusionsstimmung, in der alles, was leben will,
allein leben kann, notwendig zerstören«. Nur in Liebe, umschat-
tet von der Illusion der Liebe, schafftder Mensch. Historie müßte
als Kunstwerk traktiert werden, um kulturschöpferisch zu sein,-
aber das liefe dem analytischen und unkünstlerischen Zugder Zeit
zuwider. Historie treibt die Instinkte aus. Von ihr gebildet, oder
verbildet, vermag der Mensch nicht mehr, »die Zügel hängen zu
lassen« und naiv zu handeln, dem »göttlichen Tier« vertrauend.
Histode unterschätzt stets das Werdende und lähmt die Tat, die
immer Pietäten verletzen muß. Was sie lehrt und schafft, ist
Gerechtigkeit. Aber das Leben braucht keine Gerechtigkeit, es
braucht Ungerechtigkeit, es ist wesentlich ungerecht. »Es gehört
sehr viel Kraft dazu«, sagt Nietzsche (und man zweifelt, ob ersieh
diese Kraft zutraut), »leben zu können und zu vergessen, inwie-
fern leben und ungerecht sein eins sind.« Auf das Vergessen-
Können aber kommt alles an. Er will das U nhistorische: die Kunst
und Kraft, vergessen zu können und sich in einen begrenzten
Horizont einzuschließen, - eine Forderung, leichter erhoben als
erfüllt, so möchte man hinzusetzen. Denn mit einem begrenzten
Horizont wird man geboren, sich künstlich darin einzuschließen,
ist eine ästhetische Mummerei und eine Verleugnungdes Schick-
sals, aus der schwerlich etwas Echtes und Rechtes kommen kann.
Aber Nietzsche, sehrschönerund edler Weise, will das Oberhisto-
rische, welches den Blick vom Werden ablenkt hin zu dem, was
dem Dasein den Charakter des Ewigen und Seienden gibt, zu
Kunst und Religion. Der Feind ist die Wissenschaft, denn sie sieht
und kennt nur Historie und Werden, kein Seiendes, Ewiges; sie
haßt das Vergessen als den Tod des Wissens und sucht alle
Horizont-Umschränkungen aufzuheben. Alles Lebendige aber
braucht eine schützende Atmosphäre, einen geheimnisvollen
Dunstkreis und umhüllenden Wahn. Ein durch Wissenschaft
beherrschtes Leben ist viel weniger Leben als eines, das nicht
durch Wissen, sondern durch Instinkte und kräftige Wahnbilder
beherrscht wird ...
Bei den »kräftigen Wahnbildern« denken wir heute an Sorel und
sein Buch >Sur Ia violence<, worin proletarischer Syndikalismus
und Faschismus noch eines sind, und das den Massenmythos,
ganz unabhängig von Wahrheit oder Unwahrheit, für den unent-
behrlichen Motor der Geschichte erklärt. Wir fragen uns auch, ob
es nicht besser wäre, die Massen in Respekt vor Vernunft und
Wahrheit zu halten und dabei ihre Forderung nach Gerechtigkeit
zu ehren,- als den Massenmythos zu pflanzen und von ,. kräftigen
Wahnbildern« beherrschte Horden auf die Menschheit loszulas-
sen. Wer tut das heute und zu welchem Zweck? Zu dem der Kultur
gewiß nicht. - Aber Nietzsche weiß nichts von Massen und will
nichts von ihnen wissen. »Der Teufel hole· sie«, sagt er, »und die
Statistik!« Er will und verkündet eine Zeit, in der man sich,
unhistorisch-überhistorisch, aller Konstruktionen des Weltpro-
zesses oder auch der Menschheitsgeschichte weislich enthält,
überhaupt nicht mehr die Massen betrachtet, sondern die Großen,
Zeitlos-Gleichzeitigen, die über das historische Gewimmel hin-
weg ihr Geistergespräch führen. Das Ziel der Menschheit, sagt er,
liegt nicht am Ende, sondern in ihren höchsten Exemplaren. Das
ist sein Individualismus: ein ästhetischer Genie- und Heroenkult,
den er von Schopenhauer übernommen hat, zusammen mit der
Einprägung, daß das Glück unmöglich und das einzig Mögliche
und Menschenwürdige ein heroischer Lebenslauf ist. In Nietz-
sche's Umformung, im Verein mit seiner Anbetung des starken
und schönen Lebens, ergibt das einen heroischen Ästhetizismus,
zu dessen Schutzherrn er den Gott der Tragödie, Dionysos,
ausruft. Es ist eben dieser dionysische Ästhetizismus, welcher den
späteren Nietzsche zum größten Kritiker und Psychologen der
Moral macht, den die Geistesgeschichte kennt.
Zum Psychologen ist er geboren, die Psychologie ist seine Urlei-
denschaft: Erkenntnis und Psychologie, das ist ihm im Grunde ein
und dieselbe Passion, und es ist ein Wahrzeichen der ganzen
inneren Widersprüchlichkeit dieses großen und leidenden Gei-
stes, daß er, dem das Leben weit höher als das Erkennen gilt, so
vollkommen und unrettbar der Psychologie verfallen ist. Psycho-
loge ist er allein schon kraft des schopenhauerischen Befundes,
daß nicht der Intellekt den Willen hervorbringt, sondern umge-
kehrt, daß nicht der Intellekt das Primäre und Herrschende ist,
sondern der Wille, zu dem der Intellekt in einem rein bedienten-
haften Verhältnis steht. Der Intellekt als dienendes Werkzeug des
Willens: das ist der Quellpunkt aller Psychologie, einer Verdäch-
tigungs-und Entlarvungspsychologie, und Nietzsche, als Anwalt
des Lebens, wirft sich der Moral-Psychologie in die Arme, er
verdächtigt alle »guten« Triebe der Herkunft aus schlimmen und
ruft die »bösen« als die vornehmen und lebenerhöhenden aus. Das
ist »die Umwertung aller Werte«.
Was früher Sokratismus, »der theoretische Mensch«, Bewußtheit,
historische Krankheit hieß, das heißt nun schlechthin »Moral«,
insonderheit »christliche Moral«, die als etwas durch und durch
Giftiges, Rankünöses und Lebensfeindliches enthüllt wird,- und
nun darf man nicht vergessen, daß Nietzsche's Moralkritik zum
Teil etwas Unpersönliches, seiner Epoche allgemein Angehöriges
ist. Es ist die Zeit um die Jahrhundertwende, die Zeit des ersten
Anrennens der europäischen Intelligenz gegen die verheuchelte
Moral des viktorianischen, des bürgerlichen Zeitalters: in dieses
Bild fügt Nietzsche's wütender Kampf gegen die Moral sich bis zu
einem gewissen Grade und oft in überraschender Familienähn-
lichkeit ein. Es ist überraschend, die nahe Verwandtschaft man-
cher Aper~us von Nietzsche mit den keineswegs nureitlenAttak-
ken auf die Moral festzustellen, mit denen ungefähr gleichzeitig
Oscar Wilde, der englische Ästhet, sein Publikum chokierte und
zum Lachen brachte. Wenn Wilde erklärt: »For, tryaswemay, we
cannot get behind the appearance of things to reality. And the
terrible reason may be that there is no reality in thingsapart from
their appearances«; wenn er von der» Wahrheit der Masken« und
von dem »Verfall der Lüge« spricht, wenn er ausbricht: »To me
beauty is the wonder of wonders.lt is only shallow people who do
not judge by appearances. The true mystery of the world is the
visible, not the invisible«; wenn er die Wahrheit etwas so Persön-
liches nennt, daß niemals ein und dieselbe Wahrheit von zwei
Geistern gewürdigt werden kann, wenn er sagt: »Every impulse
that we strive tostrangle broods in the mind, and poisons us ... The
only way to get rid of a temptation is to yield to it«, und »Don't be
led astray into the paths of virtue!«- so könnte das alles sehrwohl
bei Nietzsche stehen. Und wenn man andererseits bei diesem liest:
»Der Ernst, dieses unmißverständliche Abzeichen des mühsame-
ren Stoffwechsels.«- »In der Kunst heiligt sich die Lüge und hat
der Wille zur Täuschung das gute Gewissen auf seiner Seite.« -
»Wir sind grundsätzlich geneigt zu behaupten, daß die falschesten
Urteile uns die unentbehrlichsten sind.«-» Es ist nicht mehr als ein
moralisches Vorurteil, daß Wahrheit mehrwertistals Schein« -so
ist unter diesen Sätzen keiner, der nicht in einervon Oscar Wilde' s
Komödien vorkommen könnte and get to laugh in the St. Jame
Theatre. Wollte man Wilde sehr loben, so verglich man seine
Stücke mit Sheridans ·The School for Scandak Vieles bei Nietz-
sche scheint aus dieser Schule zu stammen.
Natürlich hat die Zusammenstellung Nietzsche' s mit Wilde etwas
fast Sakrilegisches, denn dieser war ein dandy, der deutsche
Philosoph aber etwas wie ein Heiliger des Immoralismus. Und
doch gewinnt durch das mehr oder weniger gewollte Märtyrer-
tum seines Lebensendes, das Zuchthaus von Reading, Wilde's
dandyism einen Anflug von Heiligkeit, der Nietzsche's ganze
Sympathie erweckt hätte. Was ihn mit Sokrates versöhnte, war der
Schierlingsbecher, das Ende, der Opfertod, dessen Eindruck auf
die griechische Jugend und auf Plato er für unüberschätzbar hält.
Und die Person des Jesus von Nazareth ließ er unberührt von
seinem Haß auf das historische Christentum, abermals um des
Endes, des Kreuzes willen, das er in tiefster Seele liebte, und auf
das er selber willentlich zuschritt.
Sein Leben war Rausch und Leiden - eine hochkünstlerische
Verfassung, mythologisch gesprochen die Vereinigung des Dio-
nysos mit dem Gekreuzigten. Den Thyrsus schwingendhat er das
starke und schöne, das amoralisch triumphierende Leben eksta-
tisch verherrlicht und es gegen jede Verkümmerung durch den
Geist verteidigt -und zugleich dem Leiden Huldigungen darge-
bracht wie keiner. »Es bestimmt die Rangordnung«, sagt er, »wie
tief einer leiden kann.« Das istnichtdas Wort eines Anti-Morali-
sten. Es hat auch nichts von Anti-Moralismus, wenn er schreibt:
»Was Qual und Entsagung betrifft, so darf sich das Leben meiner
letzten Jahre mit dem jedes Asketen irgend einer Zeit messen.«
Denn er schreibt das nicht Mitleid heischend, sondern mit Stolz:
»Ich will«, sagt er, »es so schwer haben, wienur irgendein Mensch
es hat.« Schwer hat er es sich gemacht, schwer bis zur Heiligkeit,
denn Schopenhauers Heiliger blieb ihm im Grunde immer der
höchste Typus, und der »heroische Lebenslauf«, das ist der
Lebenslauf des Heiligen; Was definiert den Heiligen? Daß er
nichts von allem tut, was er möchte, und alles, was er nicht möchte.
So hat Nietzsche gelebt: »Allem entsagend, was ich verehrte, der
Verehrung selbst entsagend ... Du sollst Herr über dich werden,
Herr auch über die eigenen Tugenden.« Das ist der »Akt des sich
selbst Oberspringens«, von dem Novalis einmal spricht, und von
dem er meint, daß er überall der höchste sei. Dieser »Akt« nun (ein
Artisten- und Akrobatenausdruck) hat bei Nietzsche so gar nichts
übermütig-Gekonntes und Tänzerisches. Alles »Tänzerische« in
seinem Gehaben ist Velleität und im höchsten Grade unange-
nehm. Sondern es ist ein blutiges Sich-ins-eigene-Fleisch-Schnei-
den, Kasteiung, Moralismus. Sein Wahrheitsbegriff selbst ist
asketisch: denn Wahrheit ist ihm, was wehe tut, und er würde
jeder Wahrheit mißtrauen, die ihm wohltäte. »Unter den Kräf-
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ten«, sagt er, »die die Moral großzog, war die Wahrhaftigkeit:
diese wendet sich endlich gegen die Moral, entdeckt ihre T eleolo-
gie, ihre interessierte Betrachtung ... « Sein »Immoralismus« ist
also die Selbstaufhebung der Moral aus Wahrhaftigkeit. Aber daß
dies eine Art von Überschwang und Luxuriieren der Moral ist,
deutet er an, wenn er voneinem Erbreichtum an Moralität spricht,
die viel verschwenden und zum Fenster hinauswerfen kann, ohne
dadurch sonderlich zu verarmen.
Dies alles steht hinter den Atrozitäten und trunkenen Botschaften
von Macht, Gewalt, Grausamkeit und politischem Betrug, zu
welchen sein Gedanke des Lebens als Kunstwerk und einer vom
Instinkt beherrschten, unreflektierten Kultur in den späteren
Schriften glänzend degeneriert. Als ein öffentlich Urteilender
einmal schrieb, Nietzsche plädiere für die Abschaffung aller
anständigen Gefühle, da wardersoMißverstandenevölligvorden
Kopf geschlagen. »Sehr verbunden!« sagte er höhnisch. Denn er
hatte es alles sehr nobel und menschenfreundlich, im Sinn eines
höheren, tieferen, stolzeren, schöneren Menschentums gemeint
und sich sozusagen >nichts dabei gedacht< - jedenfalls nichts
Schlechtes, wenn auch eine Menge Böses. Denn alles, was Tiefe
hat, ist böse; das Leben selbst ist tief böse, es ist nicht von der
Moral ausgedacht, es weiß nichts von >Wahrheit<, sondern beruht
auf Schein und künstlerischer Lüge, es spricht der Tugend Hohn,
denn es ist wesentlich Ruchlosigkeit und Ausbeutung,- und, sagt
Nietzsche, es gibt einen Pessimismus der Stärke, eine intellektu-
elle Vorneigung für das Harte, Schauerliche, Böse, Problemati-
sche des Daseins aus Wohlsein, aus Fülle des Daseins. Dieses
»Wohlsein«, diese »Fülle des Daseins« schreibt der kranke Eu-
phoriker sich zu und macht es zu seiner Sache, die bisher vernein-
ten, vor allem vom Christentum verneinten, Seiten des Lebens als
seine bejahenswertesten auszurufen. Das Leben über alles!
Warum? Das hat er nie gesagt. Er hat nie einen Grund dafür
angegeben, warum das Leben etwas unbedingt Anbetungswürdi-
ges und höchst Erhaltenswertes ist, sondern hat nur erklärt, Leben
gehe über Erkennen, denn mit dem Leben vernichte das Erkennen
sich selbst. Er setze das Leben voraus und habe also an ihm das
Interesse der Selbsterhaltung. Es scheint also, das Leben muß sein,
damit es was zu erkennen gebe. Uns ist aber doch, als reiche diese
Logik nicht aus für seine begeisterte Protektion des Lebens. Wenn
er die Schöpfung eines Gottes darin sähe, so müßte man seine
Frömmigkeit ehren, auch wenn man persönlich wenig Anlaß
fände, vor dem explodierenden Weltall der modernen Physik auf
die Stirn zu fallen. Er sieht aber eine massive und sinnlose Ausge-
burt des Willens zur Macht darin, über deren Sinnlosigkeit und
kolossale Unmoralität eben man sich zu entzücken habe. Sein
Huldigungsruf ist nicht »Hosianna!« sondern »Evoe!«, und der
Ruf hat außerordentlich gebrochenen und gequälten Klang. Er
soll verleugnen, daß im Menschen etwas über-Biologisches ist,
das im Interesse am Leben nicht aufgeht, die Möglichkeit einer
Distanzierung von diesem Interesse, eine kritische Ungebunden-
heit, die vielleicht das ist, was Nietzsche »Moral« nennt, und die
dem lieben Leben zwar nie etwas Ernstliches anhaben wird-dazu
ist dieses viel zu unverbesserlich -, aber als leises Korrektiv und
Gewissensschärfung wirken mag, wie das Christentum es immer
nur getan hat. »Es gibt keinen festen Punkt außerhalb des Le-
bens«, sagt Nietzsche, »VOn dem aus über das Dasein reflektiert
werden könnte, keine Instanz, vor der das Leben sich schämen
könnte.« Wirklich nicht? Man hat das Gefühl, daß doch eine da ist,
und möge es nicht die Moral sein, so ist es schlechthin der Geist des
Menschen, die Humanität selbst als Kritik, Ironie und Freiheit,
verbunden mit dem richtenden Wort. »Das Leben hat keinen
Richter über sich«? Aber im Menschen kommen doch irgendwie
Natur und Leben über sich selbst hinaus, sie verlieren in ihm ihre
Unschuld, sie bekommen Geist- und Geist ist die Selbstkritik des
Lebens. Dieses humane Etwas in uns hat einen zweifelnden Blick
des Mitleids für eine »Gesundheitslehre« des Lebens, die in noch
nüchternen Tagen sich nur gegen die historische Krankheit rich-
tet, aber dann in eine mänadische Wut gegen die Wahrheit, Moral,
Religion, Menschlichkeit, gegen alles ausartet, was zu einer leidli-
chen Zähmung des wilden Lebens dienen kann.
Soviel ich sehe, sind es zwei Irrtümer, die das Denken Nietzsche' s
verstören und ihm verhängnisvoll werden. Der erste ist eine
völlige, man muß annehmen: geflissentliche Verkennung des
Machtverhältnisses zwischen Instinkt und Intellekt auf Erden, so,
als sei dieser das gefährlich Dominierende, und höchste Notzeit
sei es, den Instinkt vor ihm zu retten. Wenn man bedenkt, wie
völlig bei der großen Mehrzahl der Menschen der Wille, der Trieb,
das Interesse den Intellekt, die Vernunft, das Rechtsgefühl beherr-
schen und niederhalten, so gewinnt die Meinung etwas Absurdes,
man müsse den Intellekt überwinden durch den Instinkt. Nur
historisch, aus einer philosophischen Augenblickssituation, als
Korrektur rationalistischer Saturiertheit, ist diese Meinung zu
erklären, und sofort bedarf sie der Gegen-Korrektur. Als ob es
nötig wäre, das Leben gegen den Geist zu verteidigen! Als ob die
geringste Gefahr bestünde, daß es je zu geistig zugehen könnte auf
Erden! Die einfachste Generosität sollte dazu anhalten, das
schwache Flämmchen der Vernunft, des Geistes, der Gerechtig-
keit zu hüten und zu schützen, statt sich auf die Seite der Macht
und des instinkthaften Lebens zu schlagen und sich in einer
korybantischen Überschätzung seiner »verneinten« Seiten, des
Verbrechens zu gefallen, -dessen Schwachsinn wir Heutigen
erlebt haben. Nietzsche tut-und hatdamitviel Unheil angerichtet
-, als sei es das moralische Bewußtsein, das dem Leben, wie
Mephistopheles, die kalte Teufelsfaust entgegenstrecke. Für mein
Teil sehe ich nichts besonders Teuflisches in dem Gedanken
(einem alten Mystiker-Gedanken), daß einmal durch den Men-
schengeist das Leben aufgehoben werden könnte, - womit es ja
gute, unendlich gute Weile hat. Die Gefahr, daß das Leben auf
diesem Stern sich durch die Vervollkommnung der Atombombe
selber aufhebt, ist wesentlich dringender. Aber auch das ist un-
wahrscheinlich. Das Leben ist eine zähe Katze, und eine solche ist
die Menschheit.
Der zweite von Nietzsche's Irrtümern ist das ganz und garfalsche
Verhältnis, in das er Leben und Moral zueinander bringt, wenn er
sie als Gegensätze behandelt. DieWahrheit ist, daß sie zusammen-
gehören. Ethik ist Lebensstütze, und der moralische Mensch ein
rechter Lebensbürger,- vielleicht etwas langweilig, aber höchst
nützlich. Der wahre Gegensatz ist der von Ethik und Asthetik.
Nicht die Moral, die Schönheit ist todverbunden, wie viele Dich-
ter gesagt und gesungen haben,- Nietzsche sollte es nicht wissen?
»Als Sokrates und Plato anfingen, von Wahrheit und Gerechtig-
keit zu sprechen«, sagt er einmal, »da waren sie keine Griechen
mehr, sondern Juden- oder ich weiß nicht was.« Nun, die Juden
haben sich, dank ihrer Moralität, als gute und ausharrende Kinder
des Lebens erwiesen. Sie haben, nebst ihrer Religion, ihrem
Glauben an einen gerechten Gott, die Jahrtausende überdauert,
während das liederliche Ästheten- und Artistenvölkchen der
Griechen sehr bald vom Schauplatz der Geschichte verschwun-
den ist.
Aber Nietzsche, fern allem Rassen-Antisemitismus, sieht aller-
dings im Judentum die Wiege des Christentums und in diesem,
mit Recht, aber mit Abscheu, den Keim der Demokratie, der
Französischen Revolution und der verhaßten »modernen Ideen«,
die sein schmetterndes Wort als Herdentier-Moral brandmarkt.
»Krämer, Christen, Kühe, Weiber, Engländer und andere Demo-
kraten«, sagt er; denn den Ursprung der »modernen Ideen« sieht
er in England (die Franzosen, meint er, warennurihre Soldaten),
und was er an diesen Ideen verachtet und verflucht, ist ihr Utilita-
nsmus und Eudämonismus, ihre Erhebung von Frieden und
Erdenglück zu höchsten Wünschbarkeiten,- während auf solche
gemeinen und weichlichenWerte der vornehme, der tragische, der
heroische Mensch doch mit Füßen tritt. Dieser ist notwendig ein
Krieger, hart gegen sich und andere, bereit zur Opferung seiner
selbst und anderer. Was er dem Christentum vor allem zum
Vorwurf macht, ist, daß es das Individuum zu solcher Wichtigkeit
erhob, daß man es nicht mehr opfern konnte. Aber, sagt er, die
Gattung bestehe nur durch Menschenopfer, und Christentum sei
das Gegenprinzip gegen die Selektion. Es hat tatsächlichdie Kraft,
die Verantwortlichkeit, die hohe Pflicht, Menschen zu opfern,
heruntergebracht und abgeschwächt und für Jahrtausende, bis zu
Nietzsche hin, die Entstehung jener Energie der Größe verhin-
dert, welche »durch Züchtung und andererseits durch Vernich-
tung von Millionen Mißratener den zukünftigen Menschen ge-
staltet und nicht zugrunde geht an dem nie dagewesenen Leid, das
er schafft«.- Wer hat jüngst die Kraft zu dieser Verantwortung
besessen, diese Größe frech sich zugemutet und die hohe Pflicht,
Menschen hekatombenweise zu opfern, ohne Wanken erfüllt?
Eine crapule größenwahnsinniger Kleinbürger, bei deren Anblick
Nietzsche sofort von schwerster Migräne mit allen ihren Begleit-
erscheinungen befallen worden wäre.
Er hat es nicht erlebt. Er hat auch seit dem altmodischen Chasse-
pot- und Zündnadelgewehr-Kriege von I 870 keinen Krieg mehr
erlebt und kann daher, aus lauter Haß auf die christlich -demokra-
tische Glücksphilanthropie, in Verherrlichungen des Krieges
schwelgen, die uns heute anmuten wie das Gerede eines erhitzten
Knaben. Daß die gute Sache den Krieg heilige, ist ihm viel zu
moralisch: es ist der gute Krieg, der jede Sache heiligt. »Die
Wertung, mit der heute die verschiedenen Formen der Sozietät
beurteilt werden«, schreibt er, »ist ganz und gar eins mit jener,
welche dem Frieden einen höheren Wert zuerteilt als dem Krieg:
abe~ dies Urteil ist antibiologisch, ist selbst eine Ausgeburt der
decadence des Lebens ... Das Leben ist eine Folge des Kriegs, die
Gesellschaft selbst ein Mittel zum Krieg.« Kein Gedanke daran,
daß es vielleicht nicht schlecht wäre, wenn man versuchte, aus der
Gesellschaft etwas anderes zu machen als ein Mittel zum Kriege.
Sie ist ein Naturprodukt, das, wie das Leben selbst, auf unmorali-
schen Voraussetzungen beruht, Voraussetzungen, welche anzu-
tasten einem tückischen Anschlag auf das Leben gleichkommt.
»Man hat auf das große Leben verzichtet«, ruft er, »wenn manauf
den Krieg verzichtet hat.« Auf das Leben und aufdie Kultur; denn
diese bedarf zu ihrer Erfrischung der gründlichen Rückfälle in die
Barbarei, und es ist eitel Schwärmerei, von der Menschheit an
l53
Kultur und Größe noch irgend etwas zu erwarten, wenn sie
verlernt hat, Krieg zu führen. Er verachtet alle nationalistische
Borniertheit. Aber diese Verachtung ist offenbar ein esoterisches
Vorrecht einzelner, denn er beschreibt Ausbrüche von nationali-
stischem Macht- und Opferrausch mit einer Begeisterung, die
keinen Zweifelläßt, daß er den Völkern, denMassendas »kräftige
Wahnbild« des Nationalismus zu erhalten wünscht.
Es ist hier eine Einschaltung nötig. Wir haben die Erfahrung
gemacht, daß es um den unbedingten Pazifismus unter Umstän-
den eine mehr als fragwürdige, eine lügenhafte und niederträch-
tige Sache sein kann. Jahrelang war er über Europa und über die
Welt hin nichts als die Maske faschistischer Sympathien, und
wahre Friedensfreunde haben den Frieden von München, den
1938 die Demokratien mit dem Faschismus schlossen, angeblich
um den Völkern den Krieg zu ersparen, als den tiefsten Punkt der
europäischen Geschichte empfunden. Der Krieg gegen Hitler,
oder vielmehr die bloße Bereitschaft dazu, die genügt hätte, ist
ersehnt worden von diesen Friedensfreunden. Wenn man sich
aber vor Augen stellt - und es stellt sich einem vor Augen! -,
welches Verderben in jedem Sinne des WOrtes selbst der für die
Menschheit geführte Krieg zeitigt, welche Entsittlichung, welche
Entfesselung gierig egoistischer und antisozialer Triebe; wenn
man, belehrt durch das schon Erlebte, sich ein ungefähres Bild
davon macht, wie die Erde erst nach dem nächsten, dem dritten
Weltkrieg aussehen wird - aussehen würde -, so erscheinen
einem Nietzsche's Rodomontaden von der kulturerhaltenden
und selektiven Funktion des Krieges als die Phantasien eines
Unerfahrenen, des Sohnes einer langen Friedens- und Sekuritäts-
epoche mit >mündelsicheren Anlagen<, welche sich an sich selbst
zu langweilen beginnt.
Da er übrigens mit erstaunlichem prophetischem Vorgefühl eine
Folge ungeheurer Kriege und Explosionen, ja das klassische
Zeitalter des Krieges voraussagt, »worauf Spätere mit Neid und
Ehrfurcht blicken werden«, so scheint es ja um die humanitäre
Entartung und Verschneidung der Menschheit noch nicht so
gefährlich bestellt zu sein, und man sieht den Grund nicht ein,
weshalb sie zu dem selektiven Gemetzel noch philosophisch
angespornt werden muß. Will diese Philosophie die moralischen
Skrupel beseitigen, die den kommenden Greueln etwa im Wege
sind? Will sie die Menschheit für das prachtvoll Bevorstehende in
Form bringen? Aber sie tut es auf eine voluptuöse Weise, die-
nicht etwa, wie beabsichtigt, unseren moralischen Protest hervor-
ruft, sondern uns weh und bange macht um den edlen Geist, der
hier wollüstig gegen sich selber wütet. über bloße Erziehung zur
Männlichkeit geht es peinlich hinaus, wenn mittelalterliche For-
men der Folter aufgezählt, beschrieben und empfohlen werden
mit einer Genüßlichkeit, die ihre Spuren in zeitgenössischer
deutscher Literatur hinterlassen hat. Es grenzt ans Gemeine,
wenn »Zärtlingen zum Trost« die geringere Schmerzfähigkeit
niedriger Rassen, der Neger etwa, zu bedenken gegeben wird.
Und wenn dann der Sang von der »Blonden Bestie« sich erhebt,
»dem frohlockenden Ungeheuer«, dem Typus Mensch, der »Von
der scheußlichen Abfolge von Mord, Niederbrennung, Schän-
dung, Folter mit Übermut heimkommt wie von einem Studenten-
streich«, so ist das Bild des infantilen Sadismus vollkommen, und
unsere Seele windet sich in Pein.
Es ist der Romantiker Novalis, ein Geist von Nietzsche's Familie
also, der die schlagendste Kritik dieser Geisteshaltung gegeben
hat. »Das Ideal der Sittlichkeit«, sagt er, »hat keinen gefährliche-
renNebenbuhlerals das Ideal der höchsten Stärke, des kräftigsten
Lebens, was man auch das Ideal der ästhetischen Größe (im
Grunde sehr richtig, der Meinung nach aber sehr falsch) benannt
hat. Es ist das Maximum des Barbaren und hat leider in diesen
Zeiten der verwildernden Kultur gerade unter den größesten
Schwächlingen sehr viele Anhänger erhalten. Der Mensch wird
durch dieses Ideal zum Tier-Geiste- eine Vermischung, deren
brutaler Witz eben eine brutale Anziehungskraft für Schwäch-
linge hat.«
Das ist nicht zu übertreffen. Hat Nietzsche die Stelle gekannt?
Man kann nicht daran zweifeln. Aber er hat sich durch sie in seinen
trunkenen, bewußt trunkenen und darum im Grunde nicht ernst
gemeinten Provokationen des »Ideals der Sittlichkeit« nicht stö-
ren lassen. Was Novalis das Ideal der ästhetischen Größe, das
Maximum des Barbaren, den Menschen als Tier-Geist nennt, das
ist Nietzsche's Übermensch, und er schildert ihn als die »Aus-
scheidung eines Luxus-Überschusses der Menschheit, in welcher
eine stärkere Art, ein höherer Typus ans Licht tritt, der andere
Entstehungs- und andere Erhaltungsbedingungen hat als der
Durchschnittsmensch«. Es sind die zukünftigen Herren der Erde,
ist der prangende Tyrannentyp, zu dessen Erzeugung die Demo-
kratie gerade recht ist und der sie denn auch als Instrument
benutzen, seine neue Moral in machiavellistischer Anknüpfung an
das bestehende Sittengesetz unter diesen Worten einführen' muß.
Denn diese Schreckensutopie von Größe, Stärke und Schönheit
lügt bei weitem lieber, als daß sie die Wahrheit sagt,- es kostet
mehr Geist und Willen. Der Übermensch ist der Mensch, »indem
die spezifischen Eigenschaften des Lebens - Unrecht, Lüge,
Ausbeutung-am größten sind«.
Es wäre die letzte Inhumanität, alldiesen schrillen und gequälten
Herausforderungen mit Spott und Schimpf- und bloße Dumm-
heit, ihnen mit moralischer Entrüstung zu begegnen. Wir haben
ein Harnletschicksal vor uns, ein tragisches Schicksal über die
Kraft gehender Erkenntnis, das Ehrfurcht einflößt und Erbar-
men. »Ich glaube«, sagt Nietzsche einmal, »ich habe einiges aus
der Seele des höchsten Menschen erraten - vielleicht geht jeder
zugrunde, der ihn errät.« Er ist daranzugrunde gegangen, und zu
vielfach sind die Atrozitäten seines Lehrens von unendlich rüh-
rendem lyrischen Leid, von tiefen Liebesblicken, von Lauten
schwermütigster Sehnsucht nach demTau der Liebe für das dürre,
das regenlose Land seiner Einsamkeit durchzogen, als daß Hohn
oder Abscheu vor solchem Ecce Homo-Bilde sich hervorwagen
dürfen. Aber etwas in die Enge getrieben sieht unsere Verehrung
sich freilich, wenn der von Nietzsche hundenmal verhöhnte und
als giftiger Hasser höheren Lebens angeprangerte »Sozialismus
der unterworfenen Kaste« uns nachweist, daß sein Übermensch
nichts anderes ist als die Idealisierung des faschistischen Führers,
und daß er selbst mit seinem ganzen Philosophieren ein Schrittma-
cher, Mitschöpfer und Ideensouffleur des europäischen -, des
Welt-Faschismus gewesen ist. Unterderhand bin ich geneigt, hier
Ursache und Wirkung umzukehren und nicht zu glauben, daß
Nietzsche den Faschismus gemacht hat, sondern der Faschismus
ihn,- will sagen: politikfern im Grunde und unschuldig-geistig,
hat er als sensibelstes Ausdrucks- und Registrierinstrument mit
seinem Macht-Philosophen den heraufsteigenden Imperialismus
vorempfunden und die faschistische Epoche des Abendlandes, in
der wir leben und trotz dem militärischen Sieg über den Faschis-
mus noch lange leben werden, als zitterndeN adel angekündigt.
Als Denker, der mit seinem ganzen Wesen von Anbeginn aus dem
Bürgerlichen heraustrat, hat er die faschistische Komponente der
nachbürgerlichen Zeit scheinbar bejaht und die sozialistische
verneint, weil diese die moralische war, und weil er Moral über-
haupt mit bürgerlicher Moral verwechselte. Aberdem Einfluß des
sozialistischen Elements im Kommenden hat seine Empfindlich-
keit sich gar nicht entziehen können, und das ist es, was die
Sozialisten verkennen, die ihn als Faschisten pursang verrufen. Es
ist so einfach nicht,- so viel für diese Vereinfachung vorgebracht
werden kann. Wahr ist es: seine heroische Glücksverachtung, die
etwas sehr Persönliches und politisch schlecht verwendbar war,
hat ihn verleitet, in jedem Willen zur Abstellung der entehrend-
zs6
sten sozialen und ökonomischen Mißstände, des vermeidbaren
Leidens auf Erden das verächtliche Verlangen nach dem »grünen
Weideglück der Herdentiere« zu sehen. Nicht umsonst ist sein
Wort vom >>gefährlichen Leben« ins Italienische übersetzt wor-
den und in den Argotdes Faschismus eingegangen. Alles, was er in
letzter Überreiztheit gegen Moral, Humanität, Mitleid, Christen-
tum und für die schöne Ruchlosigkeit, den Krieg, das Böse gesagt
hat, war leider geeignet, in der Schund-Ideologie des Faschismus
seinen Platz zu finden, und Verirrungen wie seine >Moral für
Ärzte< mit der Vorschrift der Krankentötung und Kastrierung der
Minderwertigen, seine Einprägung von der Notwendigkeit der
Sklaverei, dazu manche seiner rassehygienischen Auslese-, Züch-
tungs-, Ehevorschriften sind tatsächlich, wenn auch vielleicht
ohne wissentliche Bezugnahme auf ihn, in die Theorie und Praxis
des Nationalsozialismus übergegangen. Wenn das Wort wahr ist:
"An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen«, so steht es schlimm um
Nietzsche. Bei Spengler, seinem klugen Affen, ist der Herren-
mensch seines Traumes zum modernen »Tatsachenmenschen
großen Stils«, zu dem über Leichen gehenden Raub- und Profit-
menschen, zum Geldmagnaten, Rüstungsindustriellen, zum
deutschen Generaldirektor geworden, der den Faschismus finan-
ziert, - kurz, Nietzsche wird bei ihm in stupider Eindeutigkeit
zum philosophischen Patron des Imperialismus, - von dem er in
Wahrheit nichts verstanden hat. Wie hätte er sonst dem Händler-,
dem Krämergeist, den er für pazifistisch hält, auf Schritt und Tritt
seine Verachtung erweisen und ihm den heldischen, den Geist des
Soldatenturns rühmend entgegenstellen können? Das Bündnis
von Industrialismus und Militarismus, ihre politische Einheit, in
welcher der Imperialismus besteht, und daß es der Geist des
Verdienens ist, der die Kriege macht, das hat sein >>aristokratischer
Radikalismus« überhaupt nicht gesehen.
Man sollte sich doch nicht täuschen lassen: Der Faschismus als
Massenfang, als letzte Pöbelei und elendestes Kultur-Banau-
sentum, das je Geschichte gemacht hat, ist dem Geiste dessen, für
den alles sich um die Frage »Was ist vornehm?« drehte, im tiefsten
fremd; er liegt ganz außerhalb seiner Einbildungskraft, und daß
das deutsche Bürgertum den Nazi-Einbruch mit Nietzsche's
Träumen von kulturerneuernder Barbarei verwechselte, war das
plumpste aller Mißverständnisse. Ich rede nicht von seinem ver-
achtungsvollen Hinwegsehen über allen Nation,alismus, seinem
Haß auf das >Reich< und die verdummende deutsche Machtpoli-
tik, seinem Europäertum, seinem Hohn auf den Antisemitismus
und den gesamten RasseschwindeL Aber ich wiederhole, daß der
157
sozialistische Einschlag in seiner Vision nachbürgerlichen Lebens
ebenso stark ist wie derjenige, den man den faschistischen nennen
kann. Was ist es denn, wenn Zarathustra ruft: »Ich beschwöre
euch, meine Brüder, bleibt der Erdetreu! Nicht mehr den Kopf in
den Sand der himmlischen Dinge stecken, sondern frei ihn tragen,
einen Erdenkopf, der der Erde Sinn schafft! ... Führt gleich mir die
verflogene Tugend zur Erde zurück - ja, zurück zu Liebe und
Leben: daß sie der Erde einen Sinn gebe, einen Menschensinn I«?
Es bedeutet den Willen, das Materielle mit Menschlichem zu
durchdringen, den Materialismus des Geistes, es ist Sozia-
lismus.
Sein Kulturbegriff hat hie und da eine starke sozialistische, jeden-
falls nicht mehr bürgerliche Färbung. Er wendet sich gegen das
Auseinanderfallen von Gebildeten und Ungebildeten, und sein
jugendlicher Wagnerismus meint vor allem dies: das Ende der
Renaissance-Kultur, dieses Groß-Zeitalters der Bürgerlichkeit,
eine Kunst für Hoch und Niedrig, keine höchsten Beglückungen
mehr, die nicht den Herzen aller gemein wären.
Von Arbeiterfeindschaft zeugt es nicht, es zeugt vom Gegenteil,
wenn er sagt: »Die Arbeiter sollen als Soldaten empfinden lernen:
ein Honorar, ein Gehalt, aber keine Bezahlung. Sie sollen einmal
leben wie jetzt die Bürger; aber über ihnen, sich durch Bedürfnis-
losigkeit auszeichnend, die höhere Kaste, also ärmer und einfa-
cher, aber im Besitz der Macht.« Und er hat sonderbare Anwei-
sungen gegeben, den Besitz moralischer zu machen: »Man halte
alle Arbeitswege zum kleinen Vermögen offen«, sagt er, »aber
verhindere die mühelose, die plötzliche Bereicherung, man ziehe
alle Zweige des Transports und Handels, welche der Anhäufung
großer Vermögen günstig sind, also namentlich den Geldhandel,
aus den Händen der Privaten und Privatgesellschaften - und
betrachte ebenso die Zuviel- wie die Nichts-Besitzer als gemein-
gefährliche Wesen.« -Der Nichts-Besitzer als bedrohliche Bestie
in den Augen des philosophischen Kleinkapitalisten: das stammt
von Schopenhauer. Die Gefährlichkeit des Zuviel-Besitzers hat
Nietzsche dazugelernt. .
Um 1875, vor mehr als siebzig Jahren, prophezeit er, nicht gerade
mit Enthusiasmus, sondern einfach als Konsequenz der siegenden
Demokratie, einen europäischen Völkerbund, »in welchem jedes
einzelne Volk, nach geographischen Zweckmäßigkeiten abge-
grenzt, die Stellung eines Kantons und dessen Sonderrechte inne-
hat«. Die Perspektive ist damals noch rein europäisch. Im Lauf des
folgenden Jahrzehnts weitet sie sich ins Globale und Universelle.
Er spricht von der unvermeidlich bevorstehenden Wirtschafts-
2.58
Gesamtverwaltung der Erde. Er ruft nach möglichst vielen inter-
nationalen Mächten- »um die Welt-Perspektive einzuüben«. Sein
Glaube an Europa schwankt. »Die Europäer bilden sich im
Grunde ein, jetzt den höheren Menschen auf der Erde darzustel-
len. Die asiatischen Menschen sind hundertmal großartiger als die
europäischen.« Andererseits hält er für möglich, daß in der Welt
der Zukunft der geistige Einfluß in den Händen des typischen
Europäers sein könnte, einer Synthese der europäischen Vergan-
genheit im höchsten geistigen Typ. [»Die Herrschaft der Erde-
angelsächsisch. Das deutsche Element ist ein gutes Element, es
versteht nicht zu herrschen.«] Dann wieder sieht er das Ineinan-
derwachsen der deutschen und slawischen Rasse und Deutsch-
land als eine vorslawische Station, einem panslawischen Europa
den Weg bereitend. Das HeraufkommenRußlands als Weltmacht
ist ihm vollkommen klar: »Die Gewalt geteilt zwischen Slawen
und Angelsachsen und Europa als Griechenland unter der Herr-
schaft Roms.«
Für einen Ausflug ins Weltpolitische, unternommen von einem
Geist, dem es im Grunde nur um die Aufgabe der Kultur zu tun ist,
den Philosophen, den Künstler und den Heiligen zu erzeugen,
sind das frappante Ergebnisse. Er sieht, über annähernd ein
Jahrhundert hinweg, ungefähr was wir Heutigen sehen. Denn die
Welt, ein neu sich bildendes Weltbild, ist eine Einheit, und wohin,
nach welcher Seite immer eine so ungeheure Reizbarkeit sich
wendet und vortastet, erfühlt sie das Neue, das Kommende und
zeigt es an. Nietzsche nimmt, rein intuitiv, Ergebnissedermoder-
nen Physik vorweg durch seine Bekämpfung der mechanistischen
W eltinterpretation, seine Leugnung einer kausal determinierten
Welt, des klassischen »Naturgesetzes«, der Wiederkehr identi-
scher Fälle. »Es gibt kein zweites Mal.« Es gibt auch keine
Berechenbarkeit, nach der auf eine bestimmte Ursache eine be-
stimmte Wirkung folgen müßte. Die Auslegung eines Geschehens
nach Ursache und Wirkung ist falsch. Es handelt sich um einen
Kampfzweier an Macht ungleicher Elemente, ein Neu-Arrange-
ment von Kräften, wobei der neue Zustand etwas Grundverschie-
denes vom alten, keineswegs dessen Wirkung ist. Dynamik also
statt Logik und Mechanik. Nietzsche's »naturwissenschaftliche
Ahnungen«, um Helmholtz' Wort über Goethe au~zunehmen,
sind geistig tendenziös, sie wollen etwas, sie ordnen sich seinem
Macht-Philosophem, seinem Anti-Rationalismus ein und dienen
seiner Erhebung des Lebens über das Gesetz,- weil das Gesetz als
solches schon etwas »Moralisches« hat. Aber wie es um diese
Tendenz nun stehe- vor der Naturwissenschaft, der das »Gesetz«
259
sich unterdessen zur bloßen Wahrscheinlichkeit abgeschwächt
hat und die am Kausalbegriff weitgehend irre geworden ist, hat er
recht behalten.
Wie mit jedem Gedanken, den er gedacht hat, tritt er mit seinen
physikalischen Ideen aus der bürgerlichenWeltklassischer Ratio-
nalität in eine neue, in der er selbst seiner Herkunft nach der
Fremdeste ist. Ein Sozialismus, der ihm das nicht zugut rechnen
will, erregt die Vermutung, daß er selbst der Bürgerlichkeit weit
mehr angehört, als er weiß. Die Beurteilung Nietzsche's als eines
zentrumslosen Aphoristikers ist aufzugeben: seine Philosophie
ist so gut wie die Schopenhauers ein durchorganisiertes System,
entwickelt aus einem einzigen, alles durchdringenden Grundge-
danken. Aber dieser Grund- und Ausgangsgedanke ist nun frei-
lich radikal ästhetischer Art, - wodurch allein sein Schauen und
Denken in unversöhnlichen Gegensatz zu allem Sozialismus gera-
ten muß. Es gibt zuletzt nur zwei Gesinnungen und innere
Haltungen: die ästhetische und die moralistische, und der Sozia-
lismus ist streng moralische Weltansicht. Nietzsche dagegen ist
der vollkommenste und rettungsloseste Ästhet, den die Ge-
schichte des Geistes kennt, und seine Voraussetzung, die seinen
dionysischen Pessimismus in sich enthält: daß nämlich das Leben
nur als ästhetisches Phänomen zu rechtfertigen sei, trifft genaue-
stens auf ihn, sein Leben, sein Denk- und Dichtwerk zu,- nur als
ästhetisches Phänomen ist es zu rechtfertigen, zu verstehen, zu
verehren, bewußt, bis in die Selbst-Mythologisierung des letzten
Augenblicks und bis in denWahnsinnhinein ist dieses Leben eine
künstlerische Darbietung, nicht nur dem wundervollen Aus-
druck, sondern dem innersten Wesen nach,- ein lyrisch-tragi-
sches Schauspiel von höchster Faszination.
Es ist merkwürdig genug, obgleich wohl verständlich, daß die
erste Form, in der der europäische Geist gegen die Gesamtmoral
des bürgerlichen Zeitalters rebellierte, der Ästhetizismus war.
Nicht umsonst habe ich Nietzsche und Wilde zusammen genannt
-als Revoltierende, und zwar im Namen der Schönheit Revoltie-
rende gehören sie zusammen, möge auch bei dem deutschen
Tafelbrecher die Revolte ungeheuer viel tiefer gehen und unge-
heuer viel mehr an Leiden, Entsagung, Selbstüberwindung ko-
sten. Bei sozialistischen Kritikern, namentlich russischen, habe
ich wohl gelesen, die ästhetischen Apercrus und Urteile Nietz-
sche's seien oft von bewundernswerter Feinheit, in moralisch-
politischen Dingen aber sei er ein Barbar. Diese Distinktion ist
naiv, denn Nietzsche's Verherrlichung des Barbarischen ist nichts
weiter als eine Ausschweifung seiner ästhetischen Trunkenheit,
260
und allerdings verrät sie eine Nachbarschaft, über die wir allen
Grund haben nachzudenken: die Nachbarschaft eben von Ästhe-
tizismus und Barbarei. Diese unheimliche Nähe wurde gegen
Ende des neunzehnten Jahrhunderts noch nicht gesehen, gefühlt,
gefürchtet,- sonst hätte Georg Brandes, ein Jude und liberaler
Schriftsteller, den »aristokratischen Radikalismus« des deutschen
Philosophen nicht als neue Nuance entdecken und Propaganda-
Vorlesungen darüber halten können: ein Zeichen für das damals
noch herrschende Sicherheitsgefühl, die Sorglosigkeit des zur
Neige gehenden bürgerlichen Zeitalters,- ein Zeichen aber auch,
daß der gewiegte dänische Kritiker Nietzsche' s Barbarismus nicht
ernst, nicht eigentlich nahm, ihn cum grano salis verstand,-woran
er sehr recht tat.
Durch Nietzsche's Ästhetizismus, der eine rasende Verleugnung
des Geistes ist zugunsten des schönen, starken und ruchlosen
Lebens, die Selbstverleugnung eines Menschen also, der tief am
Leben leidet, kommt etwas Uneigentliches, Unverantwortliches,
Unverlässiges und Leidenschaftlich-Gespieltes in seine philoso-
phischen Ergüsse, ein Element tiefster Ironie, woran das Ver-
ständnis des schlichteren Lesers scheitern muß. Was er bietet, ist
nicht nur Kunst, - eine Kunst ist es auch, ihn zu lesen, und
keinerlei Plumpheit und Geradheit ist zulässig, jederlei Verschla-
genheit, Ironie, Reserve erforderlich bei seiner Lektüre. Wer
Nietzsche >eigentlich< nimmt, wörtlich nimmt, wer ihm glaubt, ist
verloren. Mit ihm wahrhaftig steht es wie mit Seneca, den er einen
Menschen nennt, dem man immer sein 0 hr, aber niemals »Treu
und Glauben« schenken sollte. Sind Beispiele nötig? Der Leser des
>Fall Wagner< etwa traut seinen Augen nicht, wenn in einem Brief
an den Musiker Carl Fuchs vom Jahre 1888 plötzlich zu lesen ist:
»Das, was ich über Bizet sage, dürfen Sie nicht ernst nehmen; so
wie ich bin, kommt Bizet tausend Mal für mich nicht in Betracht.
Aber als ironische Antithese gegenWagnerwirkt es sehr stark ... «
Das bleibt übrig, >Unter uns< geredet, von dem verzückten Loblied
auf >Carmen< im >Fall Wagner<. Es ist verblüffend, aber es ist noch
gar nichts. In einem weiteren Brief an denselben Adressaten gibt er
Ratschläge, wie am besten über ihn als Psychologen, Schriftsteller,
Immoralisten zu schreiben sei: nämlich nicht urteilend mit Nein
und Ja, sondern charakterisierend in geistiger Neutralität. »Es ist
durchaus nicht nötig, nicht einmal erwünscht, Partei dabei für
mich zu nehmen: im Gegenteil, eine Dosis Neugierde, wie vor
einem fremden Gewächs, mit einem ironischen Widerstande,
schien mir eine unvergleichlich intelligentere Stellung zu mir.-
Verzeihung! Ich schrieb eben einige Naivitäten - ein kleines
.261
Rezept, sich glücklich aus etwas Unmöglichem herauszu-
ziehen ... «
Hat je ein Autor auf seltsamere Art vor sich gewarnt?-» Antilibe-
ral bis zur Bosheit« nennt er sich. Antiliberal aus Bosheit, aus
Drang nach Provokation, wäre richtiger. Als 1888 der Kaiser der
hundert Tage, Friedrich 111., der englisch verheiratete Liberale,
stirbt, ist Nietzsche bewegt und niedergeschlagen wie der ganze
deutsche Liberalismus. »Zuletzt war er ein kleines Schimmerlicht
von freiem Gedanken, die letzte Hoffnung für Deutschland. Jetzt
beginnt das Regiment Stöcker:- ich ziehe die Konsequenz und
weiß bereits, daß nunmehr mein >Wille zur Macht< zuerst in
Deutschland konfisziert werden wird ... «- Nun, es wird nichts
konfisziert. Der Geist der liberalen· Epoche ist noch zu stark, es
darf in Deutschland alles gesagt werden. In der Trauer Nietzsche's
um Friedrich aber kommt unversehens etwas ganz Schlichtes,
Einfaches und Un-Paradoxales - man kann sagen, es kommt
die Wahrheit zum Vorschein: die natürliche Liebe des Geistes-
menschen, des Schriftstellers zur Freiheit, die seine Lebensluft
ist, - und auf einmal liegt das ganze ästhetische Phantasie-
werk von Sklaverei, Krieg, Gewalt, herrlicher Grausamkeit
irgendwo fern im Lichte unverantwortlichen Spiels und farbiger
Theorie.
Er hat sein Leben lang den »theoretischen Menschen« vermale-
deit, aber er selbst ist dieser theoreti~che Mensch par excellence
und in Reinkultur, sein Denken ist absolute Genialität, unprag-
matisch zum Äußersten, bar jeder pädagogischen Verantwor-
tung, von tiefer Politiklosigkeit, es ist in Wahrheit ohne Beziehung
zum Leben, dem geliebten, verteidigten, über alles erhobenen,
und nie hat er sich die geringste Sorge darum gemacht; wie seine
Lehren sich in praktischer, politischer Wirklichkeit ausnehmen
würden. Das haben auch die zehntausend Dozenten des Irrationa-
len nicht getan, die in seinem Schatten, über ganz Deutschland hin,
wie Pilze aus dem Boden wuchsen. Kein Wunder! Denn nichts
konnte im Grunde der deutschen Anlage genehmer sein als sein
ästhetischer Theoretizismus. Auch gegen die Deutschen, diese
Verderber der europäischen Geschichte, hat er seine schweflich-
ten kritischen Blitze geschleudert und schließlich kein gutes Haar
an ihnen gelassen. Aber wer, zuletzt, war deutscher als er, wer hat
den Deutschen alles noch einmal exemplarisch vorgemacht, wo-
durch sie der Welt eine Not und ein Schrecken geworden sind und
sich zugrunde gerichtet haben: die romantische Leidenschaft, den
Drang zur ewigen Ich-Entfaltung ins Grenzenlose ohne festen
Gegenstand, den Willen, der frei ist, weil er kein Ziel hat und ins
262
Unendliche geht? Als die Laster der Deutschen hat erden Trunk
und den Hang zum Selbstmord bezeichnet. Ihre Gefahr liege in
allem, was die Verstandeskräfte bindet und die Affekte entfesselt,
»denn der deutsche Affekt ist gegen den eigenen Nutzen gerichtet
und selbstzerstörerisch wie der des Trunkenbolds. Die Begeiste-
rung selber ist in Deutschland weniger wert als anderwärts, denn
sie ist unfruchtbar«.-Wie nennt Zarathustra sich? »Selbstkenner-
Selbsthenker.«-
In mehr als einem Sinn ist Nietzsche historisch geworden. Er hat
Geschichte gemacht, fürchterliche Geschichte, und übertrieb
nicht, wenn er sich »ein Verhängnis« nannte. Seine Einsamkeit hat
er ästhetisch übertrieben. Er gehört, allerdings in extrem deut-
scher Gestalt, einer allgemein abendländischen Bewegung an, die
Namen wie Kierkegaard, Bergson und viele andere zu den ihren
zählt und eine geistesgeschichtliche Revolte ist gegen den klassi-
schen Vernunftglauben des achtzehnten und neunzehnten Jahr-
hunderts. Sie hat ihr Werk getan- oder nur insofern noch nicht
vollendet, als seine notwendige Fortsetzung die Rekonstituierung
der menschlichen Vernunft auf neuer Grundlage, die Eroberung
eines Humanitätsbegriffs ist, der gegen den selbstgefälligverflach-
ten der Bürgerzeit an Tiefe gewonnen hat.
Die Verteidigung des Instinkts gegen Vernunft und Bewußtheit
war eine zeitliche Korrektur. Die dauernde, ewig notwendige
Korrektur bleibt die des Lebens durch den Geist-oderdie Moral,
wenn man will. Wie zeitgebunden, wie theoretisch auch, wie
unerfahren mutet uns Nietzsche's Romantisierung des Bösen
heute an! Wir haben es in seiner ganzen Miserabilität kennenge-
lernt und sind nicht mehr Ästheten genug, uns vor dem Bekennt-
nis des Guten zu fürchten, uns so trivialer Begriffe und Leitbilder
zu schämen wie Wahrheit, Freiheit, Gerechtigkeit. Zuletztgehört
der Ästhetizismus, in dessen Zeichen die freien Geister sich gegen
die Bürger-Moral wandten, selbst dem bürgerlichen Zeitalter an,
und dieses überschreiten heißt heraustreten aus einer ästhetischen
Epoche in eine moralische und soziale. Eine ästhetische Weltan-
schauung ist schlechterdings unfähig, den Problemen gerecht zu
werden, deren Lösung uns obliegt,- so sehr Nietzsche's Genie
dazu beigetragen hat, die neue Atmosphäre zu schaffen. Einmal
vermutet er, daß in der kommenden Welt seiner Vision die
religiösen Kräfte immer noch stark genug sein könnten zu einer
atheistischen Religion ala Buddha, welche über die Unterschiede
der Konfessionen hinwegstriche - und die Wissenschaft hätte
nichts gegen ein neues Ideal. »Aber allgemeine Menschenliebe«,
fügt er vorsorglich hinzu, »wird es nicht sein!«-Und wenn es nun
263
gerade dies wäre? -Es brauchte die optimistisch-idyllische Liebe
zum >Menschengeschlecht< nicht zu sein, der das achtzehnte
Jahrhundert sanfte Tränen weihte und der übrigens die Gesittung
ungeheuere Fonschritte verdankt. Wenn aber Nietzsche verkün-
det: »Gott ist tOt«- ein Beschluß, der für ihn das schwerste aller
Opfer bedeutete-, zu wessen Ehrung, zu wessen Erhöhung tat er
es, als zu der des Menschen? Wenn er Atheist war, wenn er es zu
sein vermochte, so war er es, und klinge dasWortnoch so pastoral-
empfindsam, aus Menschenliebe. Er muß es sich gefallen lassen,
ein Humanist genannt zu werden, wie er es dulden muß, daß man
seine Moral-Kritik als eine letzte Form der Aufklärung begreift.
Die überkonfessionelle Religiosität, von der er spricht, kann ich
mir nicht anders vorstellen als gebunden an die Idee des Men-
schen, als einen religiös fundienen und getönten Humanismus,
der, vielerfahren, durch vieles hindurchgegangen, alles Wissen
ums Untere und Dämonische hineinnähme in seine Ehrung des
menschlichen Geheimnisses.
Religion ist Ehrfurcht,- die Ehrfurcht zuerst vor dem Geheimnis,
das der Mensch ist. Sofern es um neue Ordnung, neue Bindung,
die Anpassung der menschlichen Gesellschaft an die Erforder-
nisse der Weltstunde geht, ist gewiß mit Konferenzbeschlüssen,
technischen Maßnahmen, juridischen Institutionen wenig getan,
und World Government bleibt rationale Utopie. Notwendig
zuerst ist dieWandlungdes geistigen Klimas, ein neu es Gefühl für
die Schwierigkeit und den Adel des Menschseins, eine alles durch-
waltende Grundgesinnung, der niemand sich entzieht, die jeder
im Innersten als Richter anerkennt. Für ihre Entstehung und
Befestigung kann der Dichter und Künstler, unmerklich von oben
ins Untere, Breite wirkend, einiges tun. Aber sie wird nicht gelehn
und gemacht, sie wird erlebt und erlitten.
Daß Philosophie nicht kalte Abstraktion, sondern Erleben, Erlei-
den und Opfenat für die Menschheit ist, war Nietzsche's Wissen
und Beispiel. Er ist dabei zu den Firnen grotesken Irnums empor-
getrieben worden, aber die Zukunft war in Wahrheit das Land
seiner Liebe, und den Kommenden, wie uns, deren Jugend ihm
Unendliches dankt, wird er als eine Gestalt von zaner und ehr-
würdiger Tragik, umlohnt vomWetterleuchten dieser Zeitwende,
vor Augen stehen.
Editionshinweise mit Sekundärliteratur
EINKEHR
268
35 'Wirkung ohne Ursache<: eine Definition Richard Wagners in Oper und
Drama, Schriften 111, 301.
35 vom Stil: offenbar von Wagner, Fundon nicht ermittelt.
36 Konzert auf dem Pincio: Die Schilderung geht zurück auf Themas
Manns Aufenthalt in Rom im Herbst 1895, vielleicht auch 1897. Vgl.
Mendelssohn S. 209-21 1.
36 Vessella: Alessandro Vessella, Orchesterleiter in Rom.
37 Rougon-Macquart: Zola, Les Rougon-Macquart. Histoire naturelle et
sociale d'une famille sous le Second Empire, Romanzyklus in 20 Bänden
1871-1893·
37 •Stern der schönsten Höhe•: aus Goethes Gedicht Zwischen beiden
Welten, Werke 1, 491 (•Lida! Glück der nächsten Nähe, I William!
Stern der schönsten Höhe, I Euch verdank ich, was ich bin.•) Vermit-
telt von Benram, vgl. Thomas Mann an Ernst Bertram, Pfullingen 1960,
s. 34·
38 Pariser Literaten: Themas Mann muß um 1910 in Paris gewesen sein,
obgleich sich über diese Reise nichts Genaues ausmachen läßt (vgl.
Mendelssohn S. 764ff).
38 Pascal: Nietzsche hat Pascal zwar als Christen abgelehnt, ihn je-
doch als lehrreichsten und redlichsten Fall von Christentum geschätzt:
• ... Pascal, den ich beinahe liebe, weil er mich unendlich belehn hat; der
einzige logische Christ• (Werke III, 133 5).
38 Chamfort: eigentlich Sebastien Roch Nicolas, I74I-I794• satirischer
Schriftsteller, Jakobiner.
38 Verachtung der •modernen Ideen•: ]emeits von Gut und Böse, Werke
II, 720.
38 •rasenden Dummheit•: ebd. S. 7~1.
38 •mit tiefem Ekel.: ebd. S. 720.
39 Georg Simmel: frei referien nach Simmel, Philosophische Kultur,
Leipzig 1911, S. 4 (• ... wenn für Nietzsche und Bergsen das Leben als
solches die eigentliche Wirklichkeit und den letzten Wen bedeutet,
nicht durch irgendwelche, gleichsam substanziellen Inhalte bestimmt,
sondern diese erst seinerseits schaffend und ordnend ... •).
39 Platens Vers: aus Neue Ghaselen Nr. XXII, Sämtliche Werke, hrsg. v.
M. Koch und E. Petzet, Leipzig o. J ., Band 3, S. 115.
39 Schlachtschitzenblut: Schlachtschitzen hießen die Adeligen in Polen.
Nietzsches Vorfahren waren nach Ecce Homo (Werke II, 1073)
polnische Edelleute.
40 Nietzsche-Poem: Stefan George, Nietzsche, in: Der siebente Ring, Berlin
1931, S. 12f (= Gesamtausgabe VI/VII).
4o wie man weiß oder auch nicht weiß: Themas Mann wußte nicht,
sondern erfragte die Herkunft des Zitats am 19. 5. 1916 brieflich bei
Ernst Bertram. (·Bitte, rasch: Wieso ist >Sie hätte singen sollen, nicht
reden< ein Citat? Welches ist die Stelle? Wie lautet sie. Postkane
genÜgt•.- Thomas Mann an Ernst Bertram, a.a.O. S. 32).
40 ein Wort seines Helden selbst: Nietzsche, Die Geburt der Tragödie,
Werke I, 12.
40 Entwurf eines Empedokles-Dramas: Musarienausgabe Band 111.
40 eine ganz deutsche Angelegenheit: Stefan George, 1868-1933• im
Frühwerk vom französischen l'art pour l'art inspiriert (Baudelaire,
Mallanne, •Parnasse Contemporain•), hatte sich im Ersten Weltkrieg
durch die später in dem Band Das neue Reich gesammelten Dichtungen
auch als Prophet einer •nationalen Wiedergebun« einen Namen
gemacht.
40 •strenge und gequälte Stimme•: George, Nietzsche, a.a.O.:
Und wenn die strenge und gequälte stimme
Dann wie ein Ioblied tönt in blaue nacht
Und helle flut-so klagt: sie hätte singen
Nicht reden sollen diese neue seele!
40 Lieder des Prinzen Vogelfrei: Werke II, 26 I -2 74·
40 Dionysos-Dithyramben: Werke II, 1236-1267.
40 , Was bedeuten asketische Ideale?<: in: Zur Genealogie der Moral, Werke
II, 839-900.
41 an seiner Stelle zurückkommen: Betrachtungen GW XII, 240, allgemein
s. 235-246.
41 ein entente-christlicher Paulus: nicht ermittelt. Es könnte sich um
Richard Dehmel handeln. Dehmel war 1914 begeistert in den Krieg
gezogen, war von der Wirklichkeit bald enttäuscht und trat dann
Anfang 1916 als Kriegskritiker auf, den •Frieden der Seele• wünschend.
Er schreibt 1916: •Es ist die bitterste Selbstüberwindung, für eine Sache
weiterkämpfen zu müssen, deren menschlichen Unwen man zu spät
erkannt hat<<, und nennt das damalige Deutschland einen •Staat von
Profit- und Karrieremachern, von genußsüchtigen Philistern und
machtsüchtigen Barbaren• (nach Julius Bab, Richard Dehmel, Leipzig
1926, s. 367f).
41 Bogen und Leier: über die Quellen des Doppelsymbols, das die Bände
der Stockholmer Ausgabe schmückt, unterrichtet Georg Potempa:
Bogen und Leier, eine Symbolfigur bei Thomas Mann, Oldenburg 1968.
PALESTRINA
Der Enthusiasmus, mit dem Thomas Mann im Sommer 1917 Pfitzners Oper
Palestn·na aufnahm (vgl. Mendelssohn S. IIIo--IIIj), verdankte· sich dem
Bewußtsein, eine über Wagner hinausgehende, aktuelle musikalische Gestal-
tung seiner eigenen damaligen Seelenstimmung vor sich zu haben. Die zwei
Hauptstichwane dieser Seelenstimmung sind ••ironischer Konservatismus•
(S. 52) und •Sympathie mit dem Tode<< (S. 56-58). Pfitzners Musik ist somit
ein Beispiel für die Liebe ohne Glauben, mit der Thomas Mann die alte, im
Krieg endgültig zerfallende Welt bedenkt.
Der Inhalt der Oper in Kürze: Am Anfang sprechen Palestrinas treuer Sohn
Ighino und sein abtrünniger Schüler Silla (ein Neutöner und emanzipations-
seliger ·Zivilisationskomponist• in Manns Augen) über des Meisters Schaf-
fenskrise. Dieser tritt auf mit dem Kardinal Borromeo, der ihn aufforden, für
die Schlußsitzung des Trienter Konzils eine alle versöhnende Messe zu
schreiben. Palestrina lehnt ab, schreibt jedoch, inspirien von Erscheinungen
verstorbener Komponisten (der »Vorläufer•) und seiner toten Frau, die
Messe in einer Nacht nieder. Borromeo, der davon nichts weiß, verspricht
dem Konzil die Messe trotz der Ablehnung und läßt Palestrina zur
Erreichung seiner Zwecke gefangennehmen. Ighino liefen seinen Henkern
die rettende Komposition aus, die das über die Frage der Verbannung der
alten Musik in Streit geratene Konzil versöhnt und Palestrina rehabilitien; er
wird am Ende mit Ehren überhäuft.
43 •Verkündigung<: Thomas Mann hatte in den vorausgehenden Zeilen
über Paul Claudels Drama L'annonce faite a Marie {I9U) gespro-
chen.
43 · •Kreuz, Tod und Gruft~: s. S. z68. Im Zeichen dieses Zitats stand
Manns Pfitzner-Rezeption, vgl. Mendelssohn S. IIII, Briefe I, I37 (an
B. Walter am Z4. 6. I7).
43 in wesenlosem Scheine: Anspielung auf Goethes Verse im Epilog zur
Glocke: •Denn unter uns, in wesenlosem Scheine I Liegt, was uns alle
bändigt, das Gemeine• (Werke 2, 97).
43 jener ersten morgendlichen Darstellung: Uraufführung unter Bruno
Walter arn u. 6. I9I7·
44 die Meisterschule: Hinweis auf Wagner.
44 •Der Gram des alten Vaters~: Hans Pfitzner, Palestrina. Musikalische
Legende, Berlin I9I6, S. 3r.
45 •echtem Ruhm~: ebd. S. 36.
45 in fernsten Zeiten: ebd. S. 359·
46 Kirchenglockenerzgetöse: ebd. S. I6 und S. I63 ff. Die hier geschilderten
Eindrücke klingen noch im ersten Kapitel des Romans Der Erwählte
nach (GWVII, 9).
47 Meyerbeer, historische Oper: hier verächtlich für die effektvollen
Erfolgsstücke von G. Meyerbeer.
47 •Bewegung, zu der das Leben~: a.a.O. S. I03 f.
48 Sansara: im Sanskrit die sich ewig wiederholende Erneuerung des
Lebens mit allen seinen Leiden. Bei Thomas Mann wohl nach Schopen-
hauer ·die Welt der steten Wiedergeburten, des Gelüstes und Verlan-
gens, der Sinnentäuschung und wandelbaren Formen, des Geborenwer-
dens, A!terns, Eckrankens und Sterbens• (Werke Ik6SI)·
48 •den Tag• und •dieses Werk..~ a.a.O...S. Z49:
48 •Seid fromm und stilk ebd. S". 48.
48 •angewandte l{jstoriei: nicht ermittelt.
49 •Futuristengefahr<:.Leipzig/München I9I7, auch in H. Pfitzner, Gesam-
melte Schriften, Augsburg I9z6, Band I, S. I85-zz3.
49 Busoni's •Entwurf_: Ferruccio Busoni, Entwurf einerneuen .ifsthetik der
Tonkunst (I907, I9I6).
49 ·Bach und Beethoven~: Pfitzner, Futuristengefahr, a.a.O. S. I95·
49 •Nicht die Kunst•: ebd. S. I96.
49 ,.if.sthetizismus<: Vorwurf Heinrich Manns in Zola (•Literarischer
Ästhetizismus war auch hier der Vorbote politischer Laster•, Die
weißen Blätter 2, I9I5, S. I36o).
49 •Nun, wirwoOe._n dem waltenden Weltgeist~: Pfitzner, Futuristengefahr,
a.a.O. S. uo.
49 •Busoni erhofft~: ebd. S. zzof.
50 Johannes V. Jensen: dänischer Schriftsteller, das Zitat in Unser Zeitalter
{I9I6), Berlin I9I8, S. Z73·
5I • Welch herrlich freier Zug~: Pfitzner, Palestrina, a.a.O. S. I3 ff.
5I •mit elastisch-hoffnungsfreudigen Bewegungen•: ebd. S. I3·
SI •Ich weiß,- doch Silla glaubt•: ebd. S. SI f.
5I •Ihr droht ihm nicht einmal•: ebd. S. 52ff.
5z •krank in seiner Seele•: ebd. S. 6o.
52 •0 wüßtest du~: ebd. S. I02.
sz •Und wenn's der Papst•: ebd. S. 97·
52 nach Schwefel riecht: ebd. S. IOO.
53 •Der Kreis der Hochgestimmten~: ebd. S. u9ff.
53 •Nicht ich- nicht ich•: ebd. S. UI ff.
53 »in der Mitte sich des Lebens•: ebd. S. I05.
53 •Ihr lebtet stark.: ebd. S. 127ff.
53 »Mit offnen Augen•: ebd. S. u8.
54 »Dein Erdenpensum•: ebd. S. I46.
54 »Den Schlußstein zum Gebäue•: ebd. S. I42ff.
54 »kirchlichem Gefühl•: ebd. S. 84.
54 »Retter der Musik•: ebd. S. J4I, S. 364ff.
54 »will guter Dinge•: ebd. S. 368.
54 »hoffnungslos P..essimistisch•: nicht ermittelt.
55 »da ward es trub•: a.a.O. S. 40.
55 »den Sinn der Zeit•: ebd. S. I42.
56 unterhielt man sich: Pfitzner besuchte Thomas Mann am I5. 6. I9I7
(vgl. Mendelssohn S. III3-II I5)·
56 »Sympathie mit dem Tode•: Die Formel taucht zuerst in Thomas Manns
Brief an P. Amann vom 3· 8. I9I 5 auf, dann in den Betrachtungen und
im Zauberberg (GW III, 906).
56 einen kleinen Roman: Thomas Mann arbeitete vom Juli I9I3 bis Mitte
I9I 5 an der ersten Fassung des Romans Der Zauberberg, von dem
damals etwa die Hälfte (bis zum Kapitel Walpurgisnacht) fenig war.
57 Sänger des Palestrina: Kar! Erb.
57 Romain Rolland: Rolland hatte als Wortführer des europäischen
Pazifismus auf Manns Gedanken im Kriege (I9I4) mit einem Artikel Les
Idoles geantwortet, der in sein weit verbreitetes Anti-Kriegs-Buch Au
dessus de Ia melee (I9I5) aufgenommen wurde. Er besuchte am Io. 3·
I9I7 in Basel die Matthäuspassion (vgl. Brief vom I I. 3· I9I7, in Cahiers
Romain Rolland II, Paris I96o, S. 255).
58 Wogen des V-Boot-Streites: Internationale Diskussion über die rechtli-
che und menschliche Zulässigkeit der Versenkung zahlreicher Handels-
und auch Passagierschiffe im Jahre I9I5 als Maßnahme des Admirals
Tirpitz im Handelskrieg gegen die englische Blockade.
58 ein Kammermusikwerk: Es handelt sich nicht um ein Kammermusik-
werk, sondern um die Komposition Zwei deutsche Gesänge für Bariton
und Großes Orchester, I9I51I6 (op. 25). ·
Erstdruck unter dem Titel Auseinandersetzung mit Richard Wagner in: Der
Merker 2, Wien Juli I9II, Nr. I9ho. GW X, 84o-842.
Die Miszelle stammt aus dem Zusammenhang des nicht realisierten Groß-
Essays Geist und Kunst (I909-I9I I), des Versuchs über das Theater (I9o8)
und der Erzählung Der Tod in Venedig (I912). In ihrer Ankündigung einer
•neuen Klassizität• markiert sie einen vorübergehenden Versuch, von
Wagner Abstand zu nehmen (vgl. Lehnert S. 99-I08, Wysling, Thomas
Mann Studien I, Bern/München I967, S. 123-233).
Brief an einen Opernspielleiter vom 15. 11. 1927. Erstdruck in: Die
Forderung des Tages, Berlin 1930. GW X, 893-896.
1.73
Welt abendländischer Hoch- und Spätromantik tut sich auf bei seinem
Namen, eine Welt des Pessimismus, der Kennerschaft seltener Rauschgifte
und einer Überfeinerung der Sinne ... « (S. I 12 ). Die Rede, die kurz nach der
nationalsozialistischen Machtergreifung gehalten wurde, führte zu einem
scharfen Angriff nationalistischer Wagnerianer - •Wir empfinden Wagner
als musikalisch-dramatischen Ausdruck tiefsten deutschen Gefühls, das wir
nicht durch ästhetisierenden Snobismus beleidigen lassen wollen« (Protest
der Richard-Wagner-Stadt München, Schröter Dok. 78)- und wurde so zum
Anlaß für Manns Emigration (vgl. Koppen, Decadent, S. 1.I2-1.I7)· Zu den
Unterzeichnern des Protests gehörte neben dem Komponisten Richard
Strauß, dem Staatsoperndirektor Hans Knappertsbusch, dem Tonkunstaka-
demiepräsidenten Siegmund von Hauseggerund vielen anderen auch der von
Thomas Mann friiher gefeierte Hans Pfitzner, was den Dichter zu einer
Antwort veranlaßte, die die kulturpolitische Wirkung des Wagner-Essays
und seine Stellung im Mannsehen Oeuvre gut beschreibt (GW XIII, 78-91.).
Vgl. Th. Mann, Tagebücher I9JJ-I9J4, Frankfurt I977• S. pf, 54, I3of
u.ö.
274
»Psychologie und Mythus schließen sich jedoch ebenso aus wie
Sokratismus und Musik« (S. CCLI). Vgl. Lehnen S. I06, Wysling,
Thomas-Mann-Studien 1/1, Bern/München I974• S. I67-I8o
68 »Liebestrankes~: in Tristan und /solde.
69 »Die düstre Glut~: Der fliegende Holländer 11, 3 (Schriften I, 279).
69 »Die Liebe•: Quelle nicht ermittelt.
70 »Brennpunkt des Willens•: Schopenhauer, Die Welt als Wille und
Vorstellung, §6o (» ... sind die Genitalien der eigentliche Brennpunkt des
Willens und folglich der entgegengesetzte Pol des Gehirns, des Reprä-
sentanten der Erkenntnis ... «, Werke I, 452).
70 die wilde Gralsbotin: im Brief vom August I86o an M. Wesendonck, in:
Richard Wagner an Mathi/de Wesendonck, Berlin 17 I904, S. 243.
70 »Seitdem mir dies aufgegangen~: ebd.
70 »Namentlich gehtmir~:am 2. 3· I859 an M. Wesendonck, ebd. S. uo.
70 Höllenrose: Anrede Kundrys durch Klingsor Szene 11, I (Schriften X,
345)·
70 im Entwurf: Wagner, Entwürfe zu ·Die Meistersinger von Nürnberg<,
•Tristan und /solde<, •Parsifa/,, Leipzig I907, S. I84.
7I Sprache des •Einst<: im Folgenden mehrere Anspielungen aus dem
Bereich des eben in Arbeit befindlichen Romans ]oseph und seine
Brüder, vgl. z.B. GW IV, 32 (•Einst•), IV, 7I (Tammuz), V, 1279ff
(Weltenklatsch) u.a.m.
7I »Eines wilden Ebers Wut~: Götterdämmerung 111, 2 (Schriften VI,
248f).
72 Die Passion: Die folgende Passage ist übernommen aus Uber die Kunst
Richard Wagners, siehe S. 6o.
72 Baudelaire: Der Bericht über Baudelaires letzte Tage mit dem Zitat
(»souri d'allegressec) stammt aus Nietzsches Brief an PeterGast vom 26.
2. I888, Werke 111, I21k -
72 »Den habe ich sehr gf!liebt•: nicht ermittelt.
72 Wagners Theorie: Das Folgende bezieht sich vor allem auf Oper und
Drama, Schriften 111, 222-320; IV, I-229.
73 die Entstehungsgeschichte: berichtet in Wagners Mitteilung an meine
Freunde, Schriften IV, 34I-343·
73 Grillparzer zum Beispiel: in seiner Selbstbiographie, Sämtliche Werke,
München I965, Band IV, S. 88. (Die Passage ist leicht verändert
übernommen aus Versuch über das Theater, GW X, 27).
74 »Seine fugend~: Nietzsche, Werke I, 371. Die 4· Unzeitgemäße
Betrachtung ist noch vor dem Bruch mit Wagner geschrieben.
74 •Sehen Sie und schauen Sie~: Wagner am I. I. I86o an M. Wesendonck,
a.a.O. S. 203.
74 »Ach, was schwelgt•: am 30. 9· I86o, ebd. S. 249.
75 Renoir: Auguste Renoir porträtierte Wagner am I5. I. I882 in
Palermo.
75 •Literatur-Dichtern•: Siehe S. 272.
75 Gelegenheitsgedichte: Thomas Mann besaß die von F. Glasenapp
herausgegebene Edition der Gedichte, Berlin I905. Einige »fidele
Reimereien« auch in den nachweislich benützten Erinnerungen Emil
Heckels, in: Briefe Richard Wagners an Emi/ Hecke/, Berlin I 899.
76 • Wie wenig Begabung•: Nachlaßnotizen zum Fall Wagner, Musarien-
ausgabe XVII, 3I4·
76 ·Ich entsinne mich~: Brief vom 9· 6. I862 an M. Wesendonck, a.a.O.
S. 305.
76 »Wie jämmerlich•: am 8. 5· I859 an Liszt, a.a.O. Band 11, S. 250.
275
77 •ve"ückte Ungerechtigkeit~: Liszt am 14. 5· 1859 an Wagner, ebd. Il,
2p.
77 in den •Bayreuther Blättern<: z.B. Schriften X, 149-151, 170.
78 Ein berühmter Dirigent: vermutlich Bruno Walter, der von 1914 bis
1924 in München in Manns Nachbarschaft wohnte (vgl. Mendelssohn
S. 956, B. Walter, Thema und Variationen. Erinnerungen und Gedan-
ken, Stockholm 1947).
79 Baudelaire ... an Wagner: am 17. 2. 186o, Baudelaire, Co"espondance,
Paris 1973, Band I, S. 672~74.
So Lenbachs Mutterwitz: Franz von Lenbach, 1836-1904, Maler in Mün-
chen (Wagnerponrät). Quelle nicht ermittelt, möglicherweise aus
Gesprächen. Das Zitat findet sich bereits in dem 1901 benützten
Notizbuch 4, vgl. Wysling, Thomas-Mann-Studien /, S. 200 (»Fracht-
wagen nach dem Himmelreich«).
81 »Ein heil'ger Balsam•: Der fliegende Holländer Il, 3 (Schriften I, 28! ).
82 •Eine üble Geschichte das•: an M. Wesendonck am 30. 5· 1859, a.a.O.
S. 144, mit Abweichungen (•Das ist denn nun aber keine üble
Geschichte das ... • ).
82 »Ach, schwer drückt mich•: Tannhäuser I, 3 (Schriften Il, 13).
82 in einem Brief an Bülow: zitien nach Wagner, Entwürfe, a.a.O. S. 40.
83 »denkt er täglich an den Tod•: wörtlich nicht ermittelt, der Sache nach
z.B. im Brief an Liszt vom 11. 2. 1853, a.a.O. Band Il, S. 219.
83 •Meine Nerven•: am 11. 11. 1852 an Luise Brockhaus, in: Richard
Wagner, Familienbriefe, Berlin 1907, S. 191.
84 •Ich bin sehr nervenkrank•: am 30. 12. 1852 an Cecilie Avenarius,
Familienbriefe a.a.O. S. 194·
84 »Die echte Geduld•: Novalis, Schriften III, Stuttgart 2 1960, S. 291.
84 Schopenhauer: Paralipomena § 111, Werke V, 243·
84 •In Wahrheit•: Fundon nicht ermittelt. •
84 »Vor einem fahre•: am i.I. 11. 1852 an Luise Brockhaus, Familienbriefe
a.a.O. S. 191.
85 »Und so etwas•: am 30. 5· 1859 an M. Wesendonck, a.a.O. S. 145.
85 »Mit mir geht es•: am 9· 11. 1852 an Liszt, a.a.O. Band I, S. 199·
85 Paradis artificiel: Ein Buch von Baudelaire über Haschisch, Opium und
Wein trägt den Titel Les Paradis artificiels.
85 »Da will ich mich neu taufen Llssen•: am 30. 3· 1853 an Liszt, a.a.O.
Band Il, S. 23d.
85 •Je m'en fichisme•: die Haltung des •Ihr könnt mich alle•.
86 »SO immerund ewi~: am 3· 10. 1858 an M. Wesendonck, a.a.O. S. 55·
86 »Vorstellung• - •Rad des /xion•:-schopenhauer schreibt, im Zustand
ästhetischer Kontemplation, der die Welt nur Vörstellung,-nicht Wille
sei, stehe das Rad des Ixion still (Die Welt als Wille und Vorstellung,
§38, Werke I, 28o). Ixion wurde nach der griechischen Sage zur Strafe
für seine Vergehen von Zeus mit Schlangen an ein ewig um die Erde
kreisendes glühendes Rad gefesselt.
87 Tolstoi'sche Ve'f'Wer/ung der Kunst: Der späte Tolstoi distanziene sich
von seinen großen Romanen und kritisierte eine nur ästhetische
Kunstauffassung. »Die Kunst hat keine Existenzberechtigung, sobald
sie nicht für das Volk bestimmt ist.• (Im Anhang zu Tolstois Studie Was
ist Kunst? Berlin 1898, S. 109. Vgl. auch Tolstoi, Gegen die moderne
Kunst, Berlin 1898).
87 langer, stürmischer Brief: vom 5. 10. 18 58, a.a.O. S. 56-6o, von Thomas
Mann frei und mit ironischen Spitzen wiedergegeben.
87 Goethe konstatiert: in: Maximen und Reflexionen, Werke 9, 503.
88 ·Kind! Dieser >Tristan«<: an M. Wesendonck Io. 4· I859, a.a.O. S. I23·
88 Nietzsche: in Ecce Homo, Werke II, I090.
88 ·kein ernstes Wort mehr•: berichtet in Heckeis Erinnerungen, a.a.O.
S. I45 •
88 •Sehr oft•, schreibt er: ebd. S. I03.
89 •Richard Wagner, Oberkirchenrat•: Von Nietzsche selbst berichtet in
Ecce Homo, Werke II, II22.
90 •In diesem Augenblick-: nicht ermittelt.
90 Philosophie Artbur Schopenhauers: Die seit September I 8 54 einsetzende
Schopenhauer-Lektüre markiert die endgültige Abwendung Wagners
von den Idealen der I 848er Revolution.
90 •Mein Freund Schopenhauer•: mehrmals, z.B. in den Briefen an M.
Wesendonck, a.a.O. S. 62, 79, IIO.
90 •Ein Himmelsgeschenk-: Ende I854 an Liszt, a.a.O. Band I, S. 45·
90 »Aber einen Freund•: Brief an M. Wesendonck 22. 7· I86o, a.a.O.
s. 239f.
9I •Lebt man denn•: Derwest-östliche Divan, Buch des Unmuts, Werke 3,
J26.
9I •Eine ungekannte, große und dankbare Zufriedenheit•: Buddenbrooks,
GW I, 654 (Themas Buddenbrooks Schopenhauer-Erlebnis).
92 Brennpunkt des Willens: siehe S. 275·
92 den ästhetischen Zustand: Schopenhauer, Die Welt als Wille und
Vorstellung, § 38 u. ö.
92 heroischer Lebenslauf" siehe S. i94.
92 in wagneroffiziellen Werken: bezieht sich hier auf das Buch des
deutschnationalen Wagnerianers H. St. Chamberlain, Richard Wagner
(I895), München 7 I923. über Tristan und Isolde heißt es dort: »Es zeigt
sich dieses herrliche Werk weder metaphysisch noch moralisch von
Schopenhauer abhängig• (S. 205 ). ·
92 • Verbindung, die auch für den Tod•: Novalis, Schriften I, Darmstadt
I960, S. q8.
92 •Muß immer der Morgen•: Hymnen an die Nacht, Schriften I,
Darmstadt 3 I977, S. I33·
93 •Nachtgeweihte•: Tristan und Jsolde II, 2 (Schriften VII, 43) und
Novalis, Hymnen an die Nacht, a.a.O. S. IJJ. Zum Thema Wagner-
Novalis vgl. E. Koppen, Wagnerismus, S. I85f.
93 • Wir sind unsterblich•: F. Schlegel, Lucinde (I799), Kritische Friedrich-
Schlegel-Ausgabe Band 5, München/Zürich I962, S. I I, dort auch die
folgenden Zitate.
93 •Enthusiasmus der Wollust•: ebd. S. 12.
93 auf den Schlaf: ebd. S. 26f.
93 •0 ewige Sehnsucht•: ebd. S. So.
93 >Die fröhliche Wissenschaft<: In der Idylle über den Müßiggang spricht
Schlegel von der •fröhlichen Wissenschaft der Poesie• (ebd. S. 25).
94 mütterlich-mondmythischen Kultus: Die Quelle dieser aus dem Zusam-
menhang des Josephromans stammenden Formulierungen ist das Werk
von J. J. Bachofen, Der Mythus von Orient und Occident (Titel vom
Herausgeber), München I926. Dort z.B. S. 255: •Der Mond aber
beherrscht die Nacht, wie die Sonne den Tag. Das Mutterrecht kann
also mit gleicher Wahrheit dem Mond und der Nacht, wie das
Vaterrecht der Sonne und dem Tage, beigelegt werden.•
94 die Wagnerschriftsteller: Die indirekt wiedergegebenen Zitate stammen
aus Chamberlains genanntem Wagner-Buch, a.a.O. S. 204f.
94 •wo Liebeswonne•: Chamberlain, ebd. S. 205, ungenau zitiert nach
2 77
94 Tristan und Isolde Il, 2 (Schriften VII, 44).
94 »Selbst dann bin ich die Welt•: Tristan und Isolde Il, 2 (Schriften VII,
45). Zur Deutung der Stelle als Hinweis auf Wagners »Welterotik« siehe
Betrachtungen eines Unpolitischen, GW XII, I09.
94 »Sehnsüchtig•: am 3· 3· I86o an M. Wesendonck, a.a.O. S. 2I7·
9 5 »Wie könnten wir sterben•: Richard Wagner, Entwürfe, a.a.O. S. I 53.
95 »Fahr' er zur Hölle•: ebd. S. 33·
96 »doppelte Optik«: Aus dem Nachlaß der Achtzigerjahre, Werke III, 515·
Die von Thomas Mann sehr häufig herangezogene Stelle lautet im
Zusammenhang: ·Die Scheidung in >Publikum< und >Zönakel<: im
ersten muß man heute Scharlatan sein, im zweiten will man Virtuose
sein und nichts weiter! Obergreifend über diese Scheidung unsere
spezifischen >Genies< des Jahrhunderts, groß für beides; große Scharla-
tanerie Victor Hugos und Richard Wagners, aber gepaart mit so viel
echtem Virtuosentum, daß sie auch den Raffiniertesten im Sinne der
Kunst selbst genug taten. Daher der Mangel an Größe: sie haben eine
wechselnde Optik, bald in Hinsicht auf die gröbsten Bedürfnisse, bald
in Hinsicht auf die raffiniertesten.• (Vgl. Wysling, Thomas Mann
Studien I, S. I33)·
96 •Pathos der Distanz•: eine Formulierung, die Nietzsche in Der
Antichrist im Zusammenhang einer Kritik der Lehre •gleiche Rechte für
alle• aristokratisch im Sinne von •Mut zu Sonderrechten, zu Herr-
schaftsrechten, zu einem Ehrfurchtsgefühl vor sich und seinesgleichen•
gebraucht (Werke li, uo6).
97 Zauberer: K.lingsor.
97 Doppe/wesen: Kundry.
97 Oberpriester: Arnfortas.
97 Erlöserknabe:Parsifal.
97 Amims berühmter Kutsche: in: Achim von Arnims Erzählung Isabe/la
von A"gypten.
97 •Erkenntniseke/.: Selbstzitat, vgl. Tonio Kröger, GW VIII, 300 und
Lebensabriß, GW XI, I Iof.
97 • Wer wagt das Wort•: Nachlaßnotiz aus Kunst und Künstler, Musarien-
ausgabe XVII, 337·
98 • Wollust der Hölle•: •Die Welt ist arm für den, der niemals krank genug
für diese •Wollust der Hölle< gewesen ist: es ist erlaubt, es ist fast
geboten, hier eine Mystiker-Formel anzuwenden.« (Nietzsche, Ecce
Homo, Werke Il, I092).
98 Goethe's •Seliger Sehnsucht•: Der west-östliche Divan, Buch des
Werke 3• 299·
I 98 Sängers,
•Räuschen des Opiums• - »Ekstase aus Wonne und Erkenntnis~:
Baudelaire, Richard Wagner et ·Tannhäuser< a Paris, CEuvres Completes
III, Paris I925, S. 207 und S. 208.
98 auch das Meer: Die Verbindung der Wagnersehen Musik mit dem Meer,
so legitim sie in Manns Gedankenwelt paßt, kann hier auch von
Baudelaire inspiriert sein, der in dem erwähnten Brief an Wagner
schreibt: •i'ai eprouve souvent un sentiment d'une nature assez bizarre,
c'est l'orgueil et Ia jouissance de comprendre, de me laisser penetrer,
envahir, volupte vraiment sensuelle, et qui ressemble a celle de monter
dans l'air ou de rouler sur Ia mer• (a.a.O. S. 673).
98 •leichteren Sinnlichkeitsepidemie•: Nietzsche, Nachlaßnotiz aus Kunst
und Künstler, Musarienausgabe XVII, 337· .
98 •atemlose Entzücken•: Wagner, Uber Schauspieler und Sänger, Schrif-
ten IX, I 82 (Gedächtniszitat).
99 Bernard Shaw: In seiner Schrift The Perfeet Wagnerite (I 898) sieht Shaw
Wagners Kontakte mit Bakunin während der I848er Revolution in der
Gestalt Siegfrieds weiterwirken (vgl. Shaw, Selected Prose, London
I95J• z.B. S. 253). Ober Manns Shaw-Kenntnisse siehe Essays /,
s. 24-JI·
99 •Bauchredner Gottes•: nicht ermittelt.
99 •Schlagen wir die Kraft der Reflexion•: am I. I. I847 an Eduard
Hanslick, Sämtliche Briefe, hrsg. v. G. Strobel und W. Wolf, Band II,
Leipzig I970, S. 538.
100 •Ach, ich habe versucht•: berichtet von Ferdinand Praeger, hier nach H.
St. Chamberlain (Hrsg.): Richard Wagner. Echte Briefe an Ferdinand
Praeger, Bayreuth o. J., S. 4f.
IOO •Sie macht mich nun einmal•: am 28. 9· I861 an M. Wesendonck, a.a.O.
s. 285.
IOO ·Mich drängt' es•: Die Walküre, Schriften VI, 9·
IOO •-da mich die Welt•: an M. Wesendonck am 3· Io. I858, a.a.O. S. 55·
IOO •- daß ich so schwer•: am 22. 5· I855 an Otto Wesendonck, in: Briefe
Richard Wagners an Otto Wesendonck, Berlin I905, S. 26.
IOO •tollen Laune•: an M. Wesendonck am I9· 8. I86I, a.a.O. S. 279·
IOO ·Dies ist ein Fehler•: ebd.
IOI Kapellmeister-Kreis/er-Exzentrizität: Vgl. Kreisleriana in E.T.A. Hoff-
manns Phantasiestücken in Callots Manier.
IOI •Alles ist .nach Wunsch•: am 8. 5· I857 an Liszt, a.a.O. Band II,
S. I62.
I02 ·Ober den Stand meiner Arbeit•: am 26. 7· I862 an 0. Wesendonck,
a.a.O. S. Io6
I02 •Treue und Redlichkeit•: aus Schopenhauers Brief an Goethe vom I I.
II. I8I5, in: Der Briefwechsel Artbur Schopenhauers, München 1929,
Band I, S. I9I.
I02 Makartbukett: ein angeblich von dem Maler Hans Makan (I84o-I884)
erfundener Dekorationsstrauß aus getrockneten und teilweise gefärbten
Fflanzen.
I03 •Ich habe seit einiger Zeit•: am 20. I. I854 an Julie Ritter, in: Richard
Wagners Briefe an julie Ritter, München I920, S. 94·
I03 •Doch ei{entlich nur•: am I5· I. I854 an Liszt, a.a.O. Band II, S. 4·
I04 Schillers jaule Apfel: Schiller soll den Geruch faulender Äpfel in seinem
Pult als stimulierend geschätzt haben.
I04 .den im üppigsten Schoße des Luxus•: Wagner, Oper und Drama,
Schriften III, 2 55.
I04 •Lustdirne•: Wagner, ebd. S. 3I7.
I04 •kaltlächelnde Kokette•: ebd. S. 3 I8.
I04 Eichendorff" Die zwei Gesellen, Sämtliche Werke, hrsg. v. Kosch/Sauer,
Regensburg o. J. (I92I ff), Band I, S. 7·
I05 •So viel sage ich Ihnen•: am 22. 7· I86o an M. Wesendonck, a.a.O.
s. 239·
I05 •Aus Größe, Ruhm und Volksherrschaft•: am 12. 7· 1856, a.a.O. Band
II, s. IJI.
I05 •ganze Schul•: Wagner, Die Meistersinger von Nürnberg, I. Aufzug
(Schriften VII, I 86). ·
106 •Quand Ia populace•: nicht ermittelt. Da originale Voltaire-Lektüre
sicher nicht in größerem Umfang stattgefunden hat, stammt das Zitat
wahrscheinlich aus der (von mir nur teilweise durchgesehenen) Litera-
tur, die Thomas Mann für Zwecke seines geplanten Romans über
Friedrich den Großen durchgearbeitet hat.
'-79
106 ~Häßliche, kleine, gewaltsame Naturen~: am 10. 10. 1859 an M.
Wesendonck, a.a.O. S. 185.
106 ~selbst dann bin ich die Welt•: siehe S. 278.
106 ~Denn das sehe ich•: am 27. 10. 1859 an 0. Wesendonck, a.a.O. S. 74·
107 ~Wirkung ohne Ursache•: siehe S. 269.
108 ~Was wollen die Deutschen~: nicht ermittelt.
108 ~ruchlosen• Optimismus: Zurückgehend auf ein Won Schopenhauers,
dem der Optimismus als •eine wahrhaft ruchlose Denkungsan«, •als ein
bitterer Hohn über die namenlosen Leiden der Menschheit• erschien
(Die Welt als Wille und Vorstellung §59, Werke I, 447). Hier angeregt
von Nietzsches Darstellung im Fall Wagner, Werke II, 911 (•Wagner
schämte sich• ).
108 ~Wer sich unter der Politik hinwegstiehlt•: Im Originalzusammenhang
hat die Stelle einen etwas anderen Sinn: •So ist die Kunst des Dichters
zur Politik geworden: keiner kann dichten, ohne zu politisieren. Nie
wird aber der Politiker Dichter werden, als wenn er eben aufhört,
Politiker zu sein: in einer rein politischen Welt nicht Politiker zu sein,
heißt aber soviel als gar nicht existieren; wer sich jetzt noch unter der
Politik hinwegstiehlt, belügt sich nur um sein eigenes Dasein. Der
Dichter kann nicht eher vorhanden sein, als bis wir keine Politik mehr
haben.• (Oper und Drama, im Zusammenhang einer Erörterung über
moderne Romandichtung, Schriften IV; 53).
108 •Ach, wie bin ich voll Enthusiasmus•: am 8. S· 1859 an Liszt, a.a.O.
Band II, S. 249.
108 •Es ist ein elendes Land~: am 3· _8. 1863 an M. Wesendonck, a.a.O.
s. 319·
109 •0 ja! der Sultan•: Die Szene wird berichtet bei Emil Hecke!, a.a.O.
s.
100.
109 Hecke/: über Emil Hecke!, den Initiator der Wagner-Vereine und
(zusammen mit Kar! Tausig) Förderer des Festspielhausbaus, siehe
Glasenapp, Das Leben Richard Wagners, Band 4• Leipzig 4 1908, S.
J61-J6J. Das Zitat findet sich bei Hecke;!, a.a.O. S. 4·
109 Gedicht an das deutsche Heer: A}i-das deutsche Heer vor Paris, Gedicht
über die Kaiserkröniing am 18. 1. 1971, Schriften IX, If.
109 •Eine Kapitulation<: Lustspiel Wagners über die Verhältnisse im belager-
ten Paris 1870/71, Schriften IX, 3-41.
109 ,Ober die Aufführung<: Mit dieser Mitteilung und Aufforderung an die
Freunde seiner Kunst vom April 1871 begann Wagner, für den
Gedanken des später in Bayreuth errichteten Festspielhauses zu
werben. ·
109 •Ich hätte nicht gedacht•: berichtet z.B. bei Glasenapp, a.a.O. Bands.
Leipzig 5 1912, S. 286.
110 Schon früher einmal: Siehe S. 3If. Die gesamte Passage ist fast wörtlich
von dort übernommen.
110 Wilhelm Peterson~Berger: Siehe S. 268.
111 •Sie werden der Sache dessen dienen•: Baudelaire am IJ. 7· 1849,
Correspondance, a.a.O. Band I, S. 1 S7·
112 ~Wenn Baudelaire•: Nachlaßnotiz zum Fall Wagner, Musarionausgabe
XVII, JSI f.
112 Brief ..., worin Wagner: Thomas Manns Quelle war der bereits
genannte Brief Nietzsches an Peter Gast vom 26. 2. 1888, wo der
betreffende Brief Wagners vollständig zitien wird und wo der gesamte
Sachverhalt Baudelaire-Wagner im Zusammenhang dargestellt ist.
112 Tannhäuser-Schrift: Siehe S. 268.
z8o
II2 sonderbare Zusammenstellung: Die Kombination Baudelaire- Poe-
Wagner- Delacroix hat Thomas Mann aus Nietzsches Vorstudien zum
Fall Wagner, Musarionausgabe XVII.
II2 Träumen Hoffmann-Kreislers: Vgl. Kreisleriana Nr. 5 in E.T.A. Hoff-
manns Phantasiestücken in Callots Manier.
I I 2 •art suggestif•: nicht ermittelt.
II2 •d'aller au dela, plus outre que l'humanite•: in Barres' La Mort de
Venise heißt es über Wagners Tristan und lsolde: •Je ne souhaite a
personne de se soumettre aux influences de cette sublime tragedie, car ce
qu'elle met dans notre sang, c'est une irritation monelle, le besoin d'aller
au dela plus outre que l'humanite.« (Barres, Amori et dolori sacrum,
Paris I92I, S. 95). Die Barcescharakteristik Thomas Manns spielt an auf
Du sang, de Ia volupte, de Ia mort (I 894) und auf den Nationalismus des
späten Barres z.B. in LeGenie duRhin (I92I). Vgl. GW IX, 8p f, XII,
624-626, Essays II, S. 349·
II2 ·Sind es Wellen•: Tristan und lsolde, Schriften VII, 8of.
I I 4 Kulturbolschewisten: rechtsradikales Schlagwon für die avantgardisti-
sche Intelligenz in Kunst und Wissenschaft, den Vorwurf der Deka-
denz, des Radikalismus und des volksfremden Intellektualismus enthal-
tend.
Mit Rücksicht auf den festlichen Anlaß tritt hier der Dekadenzgedanke
zurück zugunsten einer Deutung des Rings als zeitloser Sozialutopie. Nicht
infolge •gewisser sinnlicher, nervöser und intellektueller Reize• (infolge
ihrer Dekadenz also) gebühn Wagners Kunst ihr Erfolg, sondern weil sie
•sozial-sittlich weit hinaus zielt über alle kapitalistisch-bürgerliche Ordnung
in eine von Machtwahn und Geldherrschaft befreite, auf Gerechtigkeit und
Liebe gegründete, brüderliche Menschenwelt« (S. I22). Dabei versucht
Mann, Wagners Prophetie vor ihrem Mißbrauch durch den Nationalsozialis-
mus in Schutz zu nehmen- und ihr Zukünftiges zu retten. Im Vergleich zu
Wagners unpolitischer Utopie trägt die faschistische Wagner-Rezeption •das
Gepräge mythischer Surrogate für das wirklich Soziale• (S. I 34).
ZU WAGNERS VERTEIDIGUNG
Der Leserbrief bestreitet nicht, sondern bestätigt die These, daß Wagners
Werk eine geistige Vorform des Nationalsozialismus sei, sofern jenes wie
dieser aus der traditionellen Politikfremdheit des deutschen Geistes die
Konsequenz nicht sozialer Reform, sondern des Selbstbetrugs mit mythi-
schen Surrogaten zieht. Das kann die Bewunderung Wagners allerdings nicht
zerstören: •Es gibt Fälle, bei denen man alles mögliche zugeben mag, und es
bleibt immer etwas überwältigendes zurück« (s. I39)·
I36 Artikel von Peter Viereck: Hit/er and Richard Wagner, in: Common
Sense 8, New York Nov. I939• S. 3-6. Dort wird im wesentlichen
Wagners politischer Werdegang anband seiner in USA fast völlig
unbekannten Prosaschriften nachgezeichnet.
I36 Sie nehmen an: Der Begleitbrief des Common-Sense-Herausgebers
Alfred M. Bingham ist im Thomas-Mann-Archiv Zürich nicht er-
halten.
I36 jenem fashionablen Wagner-Konzert: Vierecks Artikel beginnt mit den
Sätzen: »At a recent and typically fashionable American concert of
Wagnerian music, a speaker explained the concert somewhat like this:
•Here in free America, we honor tonight not the Germany of Hitler, of
dictatorship and persecution, but the Germany of Richard Wagner, of
free art and racial tolerance and democracy<.«
I36 Nietzsche: Siehe S. 63.
I37 das unvergleichliche Stück Prosa: Siehe S. 273·
I37 die berühmte Seite im •Ecce Homo<: Siehe S. 268.
I37 Baudelaire: Siehe S. I I2.
I37 d'Annunzio: Gabriele d'Annunzio, I863-I938, italienischer Dichter
und Politiker, in seiner Frühzeit Ästhetizist und Wagnerianer, später
Nationalist und Faschist. Von Thomas Mann in den Betrachtungen
eines Unpolitischen scharf attackiert (z. B. XII, 577).
I37 doppelte Optik: Siehe S. 278.
I37 »uns Zweifel macht•:Die fröhliche Wissenschaft, Werke II, I3.
I38 Herr Viereck ... führt an: Viereck zitiert aus Leiden und Größe Richard
Wagners den Ausdruck •essays of astanishing intelligence« (•Künstler-
schriften von erstaunlicher Gescheitheit•, hier S. 76) und verbindet diese
Aussage mit der Mitteilung, daß Wagners politische Schriften auch
Hitlers Lieblingslektüre seien - eine zweifellos unfaire Kombinatorik.
Das einseitige Zitieren setzt sich fort. Der Satz •lt is the Volk-soul that
speaks through Wagner• wird als Beleg für Wagners Nähe zur
völkischen Ideologie verwendet, obgleich er bei Thomas Mann sogleich
relativiert wird (hier S. 99). Es bleibt jedoch bei solchen kleinen
Nadelstichen, eine direkte Polemik gegen Mann wird nicht geführt.
I 38 Ich habe gesagt: Siehe S. 76.
IJ8 die Nuance: Erinnerung an Nietzsches Feststellung, das Verständnis
Wagners setze •die Finger für nuances• voraus (Werke II, I090).
I38 »Wunderwerke•: Brief vom 27. IO. I8S9 an 0. Wesendonck (Siehe
s. I24)·
I40 Sie ist der deutsche Beitrag: Die folgende Passage ist gekürzt über-
nommen aus Richard Wagner und der ·Ring des Nibelungen•,
S. IJJ-IJ4.
I4I nur ein Deutschland: Die hier schon I940 begegnende Formel spielt
später im Zusammenhang der Kollektivschuldthese im Vortrag Deutsch-
land und die Deutschen (I94S) eine zentrale Rolle (vgl. Essays 1_1, 28I ff,
373)·
I42 Harold Nicolson: britischer Diplomat und politischer Schriftsteller,
damals von Thomas Mann mit Sympathie gelesen (vgl. Briefe II, I3o).
Zitat nicht ermittelt.
WAGNER UND KEIN ENDE
Der Graphik~r und Bühnenbildner Emil Preetorius, vor 1933 mit Thomas
Mann befreundet, leitete von 1931-1939 die szenische Ausstattung der
Wagner-Festspiele. Angesichts seiner hier zitierten Wagner-Schrift sieht sich
Mann zu einer sehr ambivalenten Stellungnahme veranlaßt, in der unter dem
Eindruck der nationalsozialistischen Wagner-Rezeption die Frage nach der
Mitschuld der Kulturschaffenden Deutschlands am Dritten Reich den alten
Wagner-Enthusiasmus mit abschätzigen Urteilen durchsetzt.
14J »Wagner und kein Ende•: Der Titel ist ein Nietzsche-Zitat aus den
Nachlaßnotizen zum Fall Wagner, Musarionausgabe XVII, 31.3· ·
143 Ihrem Brief: vom 18. 9· 1949, unveröffentlicht (im Thomas-Mann-
Archiv Zürich).
143 die Wagner-Schrift: E. Preetorius, Wagner, Bild und Vision, Frank-
furel949·
143 »die überzeitliche Geltung•: ebd. S. 31 (in der 2. Auflage von 1942. noch
nicht enthalten).
143 »Zurückzutauchen•: ebd. S. 35, mit Lesefehlern (•Der Siegeszug solchen
Werkes aber über die ganze Welt ist zuletzt ein erschütterndes Zeugnis
dafür, wie isoliert, wie müde die Menschen geworden sind, wie
sehnsüchtig danach, zurückzutauchen in den wiedervereinenden All-
grund, in das schützende, wärmende Dunkel, in jene >heilige Nacht<, aus
der ein >öder, neidbereiter Tag< als überhellte, isolierende Bewußtheit so
schmerzhaft sie gerissen. •)
144 die Gans, Evchen traut, den •Juden im Dorn•, Beckmesser: nationali-
stisch und antisemitisch gedeutete Züge in: Die Meistersinger von
Nürnberg.
144 »Kahn, der klein und schwach•: Schriften 7, 10 (Gedächtniszitat).
144 ·Begehrt, Herrin•: ebd.
144 »Wüßtest- du nicht•: ebd.
144 »goldischen Delia•: Die Sängerin Delia Reinhardt (in Preetorius'
Darmstädter Mundart), damals als Sopranistin an der Münchener Oper
unter Bruno Walter.
144 ·Einsam in trüben Tagen•: Lohengrin, Schriften .z, 69.
144 pp: pianissimo.
144 •In lichter Waffen Scheine•: ebd. S. 70.
145 Nachruf auf Wo/fskehl: nicht ermittelt.
Nach gelegentlicher und meist oberflächlich oder aus zweiter Hand erfolgen-
der Information setzt seit Ende 192 5 eine ziemlich gründliche Beschäftigung
mit einigen Feeudsehen Schriften ein (v. a. mit Totem und Tabu, im Hinblick
auf die Erfordernisse des foseph-Romans). Die Rede verwendet Freud als
willkommenen Zeugen im geistig-politischen Tageskampf gegen den präfa-
schistischen Irrationalismus; als einen Zeugen vor allem, der es erlaubte, das
Interesse für das Mythische und Unbewußte progressiv zu verstehen, dem
Faschismus aus den Händen zu nehmen und ins Humane umzufunktionie-
ren (vgl. GW XI, 658).
Die zweite große Freud-Rede steht ganz im Banne der durch die Arbeit an
joseph und seine Brüder gegebenen Thematik der Bewährung des Humanen
vor dem Mythisch-Unbewußten. Freuds Verhältnis von Ich und Es wird
dabei im Medium des Schopenhauerschen Theorems der Dienstbarkeit des
Intellekts gegenüber dem »Willen• gesehen. Um dieses Verhältnis nicht, wie
ini Irrationalismus der •intellektuellen Faschisten•, in eine inhumane Unter-
werfung des Geistes unter das Unbewußte ausarten zu lassen, entwickelt
Thomas Mann eine Konzeption, die zwar den Priniat des Unbewußten
anerkennt, aber dem Ich wenigstens die Fähigkeit zumißt, mit Bewußtsein
und Freiheit in den Spuren des Mythos zu gehen, wenn auch nicht, sie kraft
autonomer Geistigkeit zu verlassen. Der Effekt der Psychoanalyse ist in
diesem Sinne die »Herstellung eines ironisch-künstlerischen und dabei nicht
notwendigerweise unfrommen Verhälmisses zum Unbewußten• (S. 191).
293
schießend auf das Militär in der Fahrgasse, dessen Gegenschüsse das
Haus erschüttern: plötzliche Stimmen und Geholler an meiner ver-
schlossenen Stubenthüre: ich, denkend, es sei die souveräne Kanaille,
verrammle die Thür mit der Stange: jetzt geschehn gefährliche Stöße
gegen dieselbe: endlich die feine Stimme meiner Magd: •es sind nur
einige Oesterreicher!< Sogleich öffne ich diesen werthen Freunden: 20
blauhosige Stockböhmen stürzen herein, um aus meinen Fenstern auf
die Souveränen zu schießen; besinnen sich aber bald, es gienge vom
nächsten Hause besser. Aus dem ersten Stock rekognoscirt der Officier
das Pack hinter der Barrikade: sogleich schicke ich ihm den großen
doppelten Opernkucker (... )• (Der Briefwechsel Artbur Schopenhauers,
München 1929, Band I, S. 638f).
223 in seinem Testament: zitiert nach Eduard Grisebach, Schopenhauer.
Geschichte seines Lebens, Berlin 1897, S. 219.
224 »Nicht dem Vergnügen•: Aristoteles, Nikomachische Ethik, hier nach
Schopenhauer, Aphorismen zur Lebensweisheit, Werke IV, 483.
224 schrieb an Goethe: am 11. 11. 1815, Briefwechsela.a.O. Band I, S. 191.
1.1.4 fohanna Schopenhauer: 1766-1838, lebte seit 1806 in Weimar und
unterhielt einen auch von Goethe geschätzten literarischen Salon.
225 Neu-Katholizismus: Uber die Universitäts-Philosophie, Werke IV, 180.
225 •Landesreligionen•: ebd. S. 178-180.
1.1.5 Freuds Auslassungen: Vgl. Die Zukunft einer Illusion (1927), Studien-
ausgabe Band IX, Frankfurt 1974, S. 135-189.
1.1.6 den Unterschied bei Mensch und Tier: Die Passage gibt den letzten
Absatz von §33 WWV wieder (Werke I, 256).
226 ·Diesen menschlichen Vorzug•: ebd.
1.1.6 •Es bestimmt die Rangordnung•: Jenseits von Gut und Böse, Werke II,
744 (Gedächmiszitat).
1.1.7 Nietzsche sich ... lustig machte: Was bedeuten asketische Ideale?, Werke
II, 847·
1.27 •Diese Sätze des Grafen Nerri•: Aus dem Nachlaß der Achtzigerjahre,
Werke III, 419 (recte: Verri).
228 ·Die Lust ist eine Form des Schmerzes•: Nietzsche, ebd. III, 473·
1.1.8 •das An-sich des Lebens•: WWV §52, Werke I, 372. ·
228 Marxens Lehre auf den Kopf' Der Hinweis zielt auf die Bücher von Max
Weber (Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, 1905)
und Ernst Troeltsch (Die Bedeutung des Protestantismus für die
Entstehung der modernen Welt, 1911). Vgl. Betrachtungen eines Unpoli-
tischen GW XII, 145.
21.8 »Das Glück ist unmöglich•: dem Sinne nach oftmals in den Aphorismen
zur Lebensweisheit, wörtlich nicht ermittelt.
1.30 •Denn das Leben ist die Liebe•: Der west-östliche Divan, Buch Suleika,
Werke 3, 356.
1. 30 • Wenn dich dein Auge ärgert•: Mt 5, 1.9.
1.31 Verhalten zu Heinrich von Kleist: Kleists Genie erschien Goethe nur als
krankhafte Überhitzung. Zu seinem harten Urteil über ihn siehe K.
Mommsen, Kleists Kampf mit Goethe, Heidelberg 1974.
1.31. die heute das Geistige(...) zertrampelt: Der Nationalsozialismus berief
sich auf Nietzsches Prophezeiung eines von der dekadenten Kränklich-
keit der Zeit gesundeten Übermenschen.
1.31. •Sie ist eine unterhaltende Person•: Die Wahlverwandtschaften, Werke
9, 51 (Gedächmiszitat).
1.31. •Doch ist zu bemerken•: WWV §55, Werke I, 408.
1.31. habe ich darauf hingewiesen: Siehe S. 180.
1.94
NIETZSCHE'S PHILOSOPHIE IM LICHTE
UNSERER ERFAHRUNG
295
z4o •Hat jemand•: Ecce Homo, a.a.O.
Z4I den ·Zarathustra< eine Tat nennt: Ecce Homo, Werke II, II34f.
Z4I heiligen Stunde: Werke II, I n8.
z4z entschuldigt er sich: am ZI. 7· I88I, Gesammelte BriefeBand IV, Leipzig
I908, s. 69.
z4z •den einen unsterblichen Schandfleck«: Der Antichrist, Werke II,
IZ35·
Z4Z daß der Germane: Nachlaßnotiz aus der Morgenröte-Zeit, Musarien-
ausgabe XI, 73.
24z •Der Gekreuzigte•: am 4· I. I 889 an Peter Gast und an Georg Brandes,
Werke 111, IJ50.
z4z eine Seite über den •Tristan•: Ecce Homo, Werke II, I09I f.
z4z ·Richard Wagner in Bayreuth<: in Unzeitgemäße Betrachtungen, Werke
I, 367-434.
z4z Jfußerungen über den •Lohengrin<: zu Overbeck nach Podach, a.a.O.
s. 67.
z4z bei Tolstoi: die Entwicklung des Dichters vom Romancier zum ethi-
schen Sozialisten.
z4z bei Wagner: die Entwicklung vom demokratischen Revolutionär zum
kulturellen Exponenten des Kaiserreichs.
Z43 •das Leben als Vorstellung•: Die Welt als Wille und Vorstellung §p
(Werke I, z89).
Z43 ·nur als ästhetisches Phänomen: Nietzsche, Die Geburt der Tragödie,
Werke I, 40 und I3I.
Z44 in seinem berühmten Essay: Ober naive und sentimentalische Dich-
tung.
Z44 •theoretischen Menschen•: Die Geburt der Tragödie, Werke I, 84.
Z44 verzweifelt lustig gemacht: Versuch einer Selbstkritik, Werke I, I6f.
Z45 ·Der alte und der neue Glaube<: Im ersten Stück der Unzeitgemäßen
Betrachtungen, Werke I, I37-z07.
Z45 die ethische Feigheit: ebd. S. I67f.
Z4 5 •angebomen Farbe der Entschließung•: Shakespeare, Harnlet 111, I.
Z45 ·historischen Krankheit•: in: Vom Nutzen und Nachteil der Historie für
das Leben, Werke I, z8I.
Z45 Bildung: ebd. S. z3zf.
z46 Ein historisches Phänomen: ebd. S. zi8.
z46 Religion zum Beispiel: ebd. S. zp.
z46 ·die Zügel hängen lassen•: ebd. S. 238.
z46 •Es gehört sehr viel Kraft dazu•: ebd. S. n9.
z46 das Unhistarische-das Uberhistorische: ebd. S. z81.
z46 schützende Atmosphäre: ebd. S. z54.
Z47 Sore/: Georges Sore!, Reflexions sur Ia vio/ence, Paris I9o8 u.ö. Das
Buch entfaltete seine größte Wirkung im geistigen Vorfeld des interna-
tionalen Faschismus.
Z47 •Der Teufel hole sie•: Vom Nutzen und Nachteil der Historie, Werke I,
Z7J.
Z47 ein heroischer Lebenslauf· Siehe S. Z94·
z47 Das Ziel der Menschheit: Vom Nutzen und Nachteil der Historie, Werke
I, Z70-
Z48 •Umwertung aller Werte•: geplanter Untertitel des Willens zur Macht.
z48 Oscar Wilde: Die Zitate sind übernommen aus dem Th. Mann am 7··7·
I 946 von Ida Herz übersandten· Buch The Life of Oscar Wilde von
Hesketh Pearson, London I946, S. ZIO, zoo, I64, zo3, zoo, I9Z (in der
Reihenfolge der Zitate).
248 •Der Ernst•: Was bedeuten asketische Ideale?, Werke II, 892.
248 •In der Kunst•: ebd.
248 • Wir sind grundsätzlich geneigt•: jenseits von Gut und Böse, Werke II,
569.
248 •Es ist nicht mehr als ein moralisches Vorurteil•: ebd. S. 599·
248. ·The School for Scandal<: Vgl. Pearson, a.a.O. S. 259.
249 Thyrsus: der Stab der Bacchantinnen.
249 •Es bestimmt die Rangordnung•: jenseits von Gut und Böse, Werke II,
744·
249 •Was Qual und Entsagung•: am '4· I. 188o an Malwida von Meysen-
bug, Gesammelte Briefe III, 2, Berlin/Leipzig 1905, S. 587.
249 •Ich will es so schwer haben•: nicht ermittelt (möglicherweise zitien
nach J oel, ebd. ).
249 Schopenhauers Heiliger: Siehe S. 293·
249 •Allem entsagend•: nicht ermittelt.
249 ·Akt des sich selbst Uberspringens•: Novalis II, 556, vielleicht
auch zitien nach Joel, a.a.O. S. 79 (Anstreichung in Th. Manns Hand-
exemplar).
249 •Unter den Kräften•: Aus dem Nachlaß der Achtzigerjahre, Werke III,
852.
250 Erbreichtum an Moralität: ebd. S. 648.
250 ein öffentlich Urteilender: namens Dr. Widmann, berichtet von Nietz-
sche selbst in Ecce Homo, Werke II, IIOO.
250 Pessimismus der Stärke: Versuch einer Selbstkritik, Werke I, 9f.
250 Leben gehe über Erkennen: Vom Nutzen und Nachteil der Historie,
Werke I, 282.
251 •Es gibt keinen festen Punkt•: nicht ermittelt.
2p •Das Leben•: nicht ermittelt.
252 •Als Sokrates und Plato•: Aus dem Nachlaß der Achtzigerjahre, Werke
III, 730 (Gedächtniszitat).
252 Herdentier-Moral: jenseits von Gut und Böse, Werke II, 659f.
152 •Krämer, Christen•: Götzendämmerung, Werke II, 1015.
252 in England: jenseits von Gut und Böse, Werke II, 710.
153 •durch Züchtung•: Aus dem Nachlaß der Achtzigerjahre, Werke 111,
427f.
153 ·Die Wertung•: ebd. S. 786.
153 •Man hat auf das große Leben verzichtet•: Götzendämmerung, Werke
II, 967.
154 Frieden von München: Im Münchener Abkommen von 1938 überließen
England und Frankreich aus Furcht vor dem Ausbruch eines Krieges
das Sudetenland kampflos an Deutschland, was Hitler zur Besetzung
eines großen Teils der Tschechoslowakei ausnützte.
2 54 das klassische Zeitalter des Krieges: Die fröhliche Wissenschaft, Werke li,
236.
255 Formen der Folter: Zur Genealogie der Moral, Werke II, 8o3.
155 Spuren in zeitgenössischer Literatur: nach E. Heftrich, Zauberbergmu-
sik, Frankfun 1975, S. 309 ein Hinweis auf Manns Zauberberg (Naphta)
und Doktor Faustus.
255 ·Zärtlingen zum Trost•: Zur Genealogie der Moral, Werke li, 809.
255 ·Blonden Bestie•: ebd. S. 786.
25 5 •Das Ideal der Sittlichkeit•: Novalis II, 576.
155 •Ausscheidung eines Luxus-Uberschusses•: Aus dem Nachlaß der Acht-
zigerjahre, Werke III, 628.
15 5 •in dem die spezifischen Eigenschaften•: nicht ermittelt.
297
256 •Ich glaube•, sagt Nietzsche: Aus dem Nachlaß der Achtzigerjahre,
Werke III, 439·
256 •Sozialismus der unterworfenen Kaste•: nicht ermittelt.
257 •grünen Weideglück<: Gedächtniszitat aus Jenseits von Gut und Böse,
Werke II, 6o6.
257 •Moral für Arzte<: Götzendämmerung, Werke II, 101o-1012: •Eine
neue Verantwortlichkeit schaffen, die des Arztes, für alle Fälle, wo das
höchste Interesse des Lebens, des aufsteigenden Lebens, das rücksichts-
loseste Nieder- und Beiseite-Drängen des entartenden Lebens ver-
langt ... «.
257 • Tatsachenmenschen großen Stils•: nach Spengler, Der Untergang des
Abendlandes, München 1972, S. 447, vgl. auch S. I I uff.
257 •aristokratischer Radikalismus•: s. u. (Georg Brandes).
257 • Was ist vornehm?•: 9· Hauptstück von Jenseits von Gut und Böse,
Werke II, i27-756, u.ö.
258 •Ich beschwöre euch•: Also sprach Zarathustra, Werke II, 338 (nicht
wörtlich).
258 ·Die Arbeiter sollen als Soldaten•: Aus dem Nachlaß der Achtzigerjahre,
Werke III, 558 und 843 (in den älteren Ausgaben unter dem Titel Der
Wille zur Macht als Aphorismen Nr. 763 und 764 direkt aufeinander-
folgend).
258 •Man halte alle Arbeitswege•: Menschliches, Allzumenschliches, Werke
I, 989.
258 einen europäischen Völkerbund: Menschliches, Allzumenschliches,
Werke I, 991.
259 •um die Welt-Perspektive einzuüben•: nicht ermittelt.
259 ·Die Europäer•: Nachlaß-Studien aus der Umwertungszeit, Musarion-
ausgabe XVI, 350.
259 ·Die Herrschaft der Erde•: nicht ermittelt, ebenso die beiden folgenden
Zitate.
259 Helmholtz: Hermann von Helmholtz, Physiker und Physiologe
1821-1894. Vgl. Ober Goethe's naturwissenschaftliche Arbeiten, in:
Helmholtz, Populäre wissenschaftliche Vorträge, Braunschweig 1865
u.ö.
260 sozialistischen Kritikern: nicht ermittelt.
261 Georg Brandes: Der dänische Kritiker, dessen Hauptströmungen der
Literatur des 19. Jahrhunderts (Berlin 3 1924) Thomas Mann relativ
gut kannte, gehörte zu den ersten Entdeckern Nietzsches, kündigte
1888 in Kopenhagen Vorlesungen an über •den tyske filosof Fried-
rich Nietzsche• und veröffentlichte ein Nietzsche-Buch mit
dem Titel En afhandling om aristokratisk radikalisme (Kopenhagen
1899)·
261 Seneca: in einem Brief vom 3· 8. 1883 an Peter Gast, Gesammelte Briefe
IV, Leipzig 1908, S. 167.
261 •Das was ich über Bizet sage•: am 27. 12. 1888, Gesammelte Briefe I,
a.a.O. S. 407.
261 •Es ist durchaus nicht nötig•: am 29. 7· 1888 an Carl Fuchs, Gesammelte
Briefe I, a.a.O. S. 390.
262 •Antiliberal<: Götzendämmerung, Werke II, 1016 (im Originalzusam-
menhang keine Selbstaussage Nietzsches).
262 ·Zuletzt war er•: am 20. 7· 1888 an P. Gast, a.a.O. S. 389.
262 Regiment Stöcker: Der Hofprediger Adolf Stöcker, Antisemit, Gründer
einer christlich-sozialen Partei, setzte auf den Kronprinzen Wilhelm
große Hoffnungen, wurde aber am Ende von ihm fallengelassen.
263 Laster der Deutschen: Morgenröte,Werke I, I I 58.
26 3 •Selbstkenner - Selbsthenker•: Dionysos-Dithyramben, Werke II,
I2p.
263 •ein Verhängnis•: Ecce Homo, Werke II, I I p.
263 in der kommenden Welt: Nachlaßstudien aus der Morgenröte-Zeit,
Musarionausgabe XI, I23·
264 •Gott ist tot•: Also sprach Zarathustra, passim.
Anhang
•i"!:q I
SACH- UND SCHLAGWORTREGISTER
ZU DEN BÄNDEN 1-111
(mit Marle Kurzke)
abgeschmackt II 244
Abgrund zwischen geistig Realisiertem und zurückgebliebener sozialer und
ökonomischer Wirklichkeit I I 8 I
das Absolute II 20I
abstrakt und mystisch II 285,292
Achtsamkeit auf die Regungen des Weltgeistes II I 7I
Achtzehntes Jahrhundert I 2 I 8
Ästhet III 47
Ästhetik III 5I
Ästhetik und Ethik I I 59
ästhetisch Ill I93, 243, 260
ästhetische Erziehung II 38
das Ästhetische und das Moralische II 33 I
Ästhetizismus I I22; II IOI; Ill 49, 247, 26o, 263
Ästhetizismus und Barbarei Ill 26 I
Aktivismus, Aktivist II 46f, 49f, I09
Allotria II 328
Altes und Neues Ill I65 f
American Peace Crusade II 3 I 6
Amerika I 38; II 262f, 28I, 312-3I5, 320
amor fati II 69
Anarchie I 35
Anbetung der Fakten Ill I 24
Anch'io sono pittore I 2I6
Anfang I 245
Angst II I64
Antidemokratismus I 229
Antike III I 87
Antikommunismus II 258, 3I6--3I8
Anti-Radikalismus III 38
antirevolutionär aus pessimistischer Ethik Ill 22 3
Antisemitismus I Io7; II 24I
appeasement II 2 57
Arbeit I I 58, I64, I67, 208; II 258
Arbeiterklasse, Arbeiterschaft I I64; II Ioo f, I I9 f, 129-I44, I p; Ill 258
Aristokratie, aristokratisch I 24I; II 207
Aristokratismus I 235; II 39
Askese I 36
Atombombe Ill 252
Aufklärung I 256; II 225, 294; Ill 153 ff, I57f, I62, I65, I67, I69, 264
Ausdruck III 89
Ausdrucks- und Registrierinstrument (Nietzsche) Ill 256
303
Befreiungskriege II 2 56
Behagen I zzo
Belebung II 326
Bescheidenheit I S9, I47• I67, 234; II 45, 47f, 327, 329; Ill I9I
Bewunderung Ill I I 5 ff
Bewußtes und Unbewußtes (s. a. >unbewußt< u. a.) I 24S
Bewußtmachung des Unbewußten Ill I6o, I72
Bewußtsein I 352; II IJ4; 111 IS9
Bildung II I63
Bildungsroman I 350; II 332
Biographie I SI
blauäugig gehorsame und stramme Biederkeit II I IS
Bloßstellung einer Idee durch ihre Verwirklichung II 267
Blüthnerflügel I 363
Blut I 257
das Böse (s. a. >gut und böse<) Ill 2I3
Bogen und Leier Ill 42
Boheme II 32S f
Bohemien I 29
Bolschewismus II 254f
Bourgeois I 29; Ill I02 f
Bruch II 59; 111 66, 242
Bruder II 39
Budengeläut II u 7
BündnisvonJunkenum,GeneralitätundSchwerindustrie II 253 ff; Ill 224
bürgerliches Zeitalter I So, 216-244
vom Bürgerlich-Individuellen zum Mythisch-Typischen 111 IS5
Bürgerlichkeit I u6f,2I9,2ZI,H7>351; II III; Ill Ioof,I5S
Bürgenum I 230; II uS,Ip,22S; Ill IoS
Bürgertum an der Seite der Sozialdemokratie II I 24
Bürgertum und Sozialismus II I I 9
Bund der Völker gegen ihre Regierungen II I 37
Bundesrepublik Deutschland II 3 I9 ff
cant II 36
•a cautious radical and daring conservative• I 37
der Charakter ist eine mythische Rolle Ill I S5
Christentum I 327; II So, I9I, 234f, 24I, 26o; Ill I 55, zzof, 242,253
das Chthonische II I I 5; 111 I 57
chthonisches Gelichter I 257
Cinema I 324
communist activity II 3 I 6
Familie I I01.
Fanatismus II III, II7
Faschismus I 1.57; II I95• I98 ff, 209, 1.16, 1.38 f, 1.45> 1.54 f, 3 II, 334 f;
111 256
Fatalismus 111 I47
Fest I 358; 111 I7J, I88 .
Film I 362, 366
Finanzreformplan II I IO
Fin de siede 111 67
Fixsternhimmel I 1.4I
Fertigmachen I 1.1.2
Fluch des Goldes 111 I 35
Folterkeller II 1.99
Form I I67; II I09
Fortschritt I I48, 31.8; Ill 41., IH f
Frankreich I 37, 48, Iu; II 31.-35, 11.4, 31.3 ff
Franzose I 1.37f; II 40
Frau I 30, II I
•The Freeman< II 3I6-3I8
Freiheit I 331.ff, 370; II 69, u6, n8-z44;1.56, 1.58, 1.87-1.90; Ill zo9,1.61.
Freiheit und Gleichheit II 79f, 1.35 ff, 1.60
Fremdheit des Romans in Deutschland I 354
Frieden II 38-40, 64 f, 309
Frieden von München (I938) II 1.57; III 1.54
Furcht I 356, 36I, 364f
Futurismus II I4I
306
Gedanke- Sinn (s. a. >Sein und Meinen<, >Meinung<) II 59
Geduld I 223; III 84
Gefühlslosigkei t I 44
Gegenrevolution II 254
Gegenrevolution gegen den philosophischen Intellektualismus und Ratio-
nalismus der Aufklärung II 294
Gehässigkeit I 224
Geheimnis III 264
Geist (s. a. •Intellekt<) I 59, 187, 210, 363, 369f; II 23, 41, 44, 5of, 109,
IJ5, I20, I67, 205, 333; Jll I65, 233
Geist der Erzählung I 344
Geist, deutscher 111 I40
Geist, epischer I 344, 346f; III 35
Geistfeindlichkeit 111 I 62, I 65
geistfreundlich II IOI, I20
der Geistige II 50 f
der Geist (ist) in ein moralisches Zeitalter eingetreten II 244
Geist und Buchstabe I 254
Geist und Leben I I q, 364; II 4I ff; III I98, 251 f
Geist und Sinnlichkeit II 4 5; III 21 8
Geist und Wirklichkeit II 100, I20, IJ2, I35 f, I92, JIO; 111 I66
Geldherrschaft II 2 I 9
Gemeinschaft II I 3 I f, 260
•Gemeinschaft• und >>Gesellschaft• II 99
Gemüt und Sinnlichkeit I I05
General-Revision der eigenen Grundlagen 111 27
Genie I I68, 236,249, 333; II 23, 226; 111 84, 237
Genius der Epik I 346
Gerechtigkeit II 212
Germanisten-Romantik II I I 5
Geruch von Blut und Schande II 304
Geschichtsschreibung II 29 5
Geschlecht (s. a. >Erotik< u. a.) I 59, 63, Sr, 171
Gesellschaft, gesellschaftlich II p6; 111 I40
Gesellschaft, bürgerliche II 328 f; 111 121
Gesellschaftsidee II, ror
Gesellschaftskritik, konservative II 334
das Gesellschaftliche (ist) nicht kunstfähig II 25 I
das Gesellschaftliche ist nicht musikalisch 111 r 33
Gesellschaftsroman I I 9 I
Gesetz II 85
gesinnungs-und wertungslos-objektives Dichterturn I 231
Gestalt I 49 f
Gesundheit (s. a. >Krankheit<) I 53, r68
Gesundheit des deutschen Volkes II 124
Gesundheit, falsche 111 232
Gesundheit und Krankheit I 62, I76f, 236; 111 2JI
Gewalt II r r 6, I 66, 200
Gewissen I 170; II 44, 47, 50, 203
Gewissen, ästhetisches I 309
Gewissen, soziales II 259
Gewissensfreiheit I 332
Glaube II 336
Gleichheit (s. a. >Freiheit und Gleichheit<) II 258
Glück I 209 f; 111 I48
Gnade I 46, 278; II 28I, 298, 307
Gott I 45; II I33, I84; Ill I82f
Gottseibeiuns der Bourgeoisie II 258
Grammophon I 362
Griechenland und Moskau II I02
Grundtorheit unserer Epoche II 258
das Gute I I22, I95; II 3JI, 336; Ill 39, 2I3
gut und böse II 244
Händlerturn I 3 I
Hakenkreuz II 248
Hals in Pelz geschmiegt II 5I
Handeln II 50; Ill 209
Haß II 222
Hegemonie des deutschen Geistes Ill 62
Heiliger Ill 87, 208, 2I4f
Heiliger und Verbrecher I I 68
Heilsarmee-Allüren II I I 7
Heimatkunst I I oo
Heimweh I IDO-I02
Heiterkeit II I So
»Herabsteigen• eines Dichters auf den Markt II I 50
Heraustreten aus einer ästhetischen Epoche in eine moralische und soziale
111 263
Herkunft I 216, 24 I
Herumtrampeln auf Vernunft und Zivilisation I 330
Herzasthma des Exils II 302
Historie 111 24 5 f
Hochmut des Intellektes II 284
Hölle I I7o
Hoffnung II 23 I
Hoffnungen des Jahres I945 II 3I9
Homoerotik I II8-12o; II 89
homosexuelle Anlage I 35
das Humane (s. a. >Mensch< u. a.) II I33, IJ5
humanes Problem als eine Totalität (s. a. >Totalität des Humanen<) II I 50
Humanismus I I09, I22; II 26I; Ill I90, 264
Humanismus, christlicher II 234
Humanismus, militanter II 172
Humanismus, pessimistischer Ill 226 f
Humanismus, sozialer II 276, 298, 307
Humanität I 59, 62, I8I, 2I4, 257; II 67, 76, 86, 93, I8I, I92, 333;
111 251
Humanität des Willens II 2I9
Humor I 45,306, 3I9, 338
308
Inkorrektheit I 104
Innerlichkeit II 132f, IJS, 193· 285,288,293 f, 296,Jo6, 332; Ill 108,224
Innerlichkeit, machtgeschützte Ill 108
Innerlichkeit und Gesellschaft II 133
Inspiration I 174; III 240
In-Spuren-Gehen Ill 189
Instinkt und Intellekt Ill 2 51 f
Intellekt (s. a. >Geist<) Ill 194, 202, 206, 232, 247, 251 f
» Intellektbestie« II 169
intellektualer Roman II 84; III 147
lntellektualisierung, Psychologisierung, Literarisierung, Radikalisierung
III 41
interessant I 142, 350; II 223, 266f; Ill 87
Interesse I 93; II 222, 311; Ill 32, 34• 169,206
Iraszibilität I 252
Ironie I 47, 84, 91, 120, 14of, 234, 278, 347; II 41-58, 84, 186, 122, 291,
2,94• 329; Ill 39· 198, 207, 261
Irome gegen den Ruhm I 166
Ironie ist Erotik II 41
der Ironiker ist konservativ II 41
ironisch I 158, 231; Ill 183, 186
ironische Ablehnung des Elementarischen I 301
ironische Auflösung der Form I JI4
ironische Politik II 49
das Irrationale I 257, 329
Irrationalismus II 168, 245; Ill 163, 172
Italien II 141
Kaisertum, soziales II 30
Kapitalismus I 16o; II 161, 254f, 286
Kaufmann, königlicher II 233
Kindheit I 3 58
das Kindliche I 203
Kirche I 36; II 76
Kirche, katholische II 118, 176
Klasse II 100, 13o-133
Klasse, sozialistische II 1o 1
Klassenidee II 120
Klassenkampf II 212
Klassizität, das Klassische I 244; Ill 61
das Klassische und das Romantische Ill 231
das Kollektive II 163
kollektive Aktionen unter Intellektuellen II 160
Kollektivschuld II 266--268, 273, 279
Komik I 45
Kommunismus I 36; II 258, 312, 335; Ill 222,318
Kommunistenhaß eine Gefahr II 318
kommunistisch I 243
konservativ I 94,231, 238; II 45, 52, 55f, 75, 1p; III 1p, 156
Konservativismus, Konservatismus (s. a. >Revolution<, >Radikalismus<
u. a.) I 91; II 36, 4d, 53 f, 97; Ill 52 f, 164, 172, 222
Konservativismus, ironischer Ill 52
Konservativismus und Revolution, konservativ und revolutionär, konserva-
tive Revolution I 66, 93; II I87f
konservativ und radikal II 43
Konzentrationslager II 299
kosmologische Weltbetrachtung I 3 I 5
Krankheit I I68, I75; II 9d, I07, 295; Ill 84, 88, I75f, 237
•Kreuz, Tod und Gruft• I p,; Ill 35, 43, 223
Krieg II 24, 27, 3I, 40, 48, 57, 86, 90, I64f, I7I, I82f, 2I2, 2I4, 2I7, JII,
3 I4 f; III 38, 253 f
Krieg ist Lüge II 65
Krieg ist Romantik II 64
Krieg, totaler II 274
Kritik I 352>369-373; II 42, 83; III 3d
Kritik der neudeutschen Mittelschule II 46
Kritik des Lebens I 247; II 46 f, 330
Kritiker I 370 ff
Kritizismus des Künstlers II 327
Künstler I 50, I02, 333, 37I; II I38, I6o, 224,260,326-329, 33I; Ill 3I,
35· 85, 89, I05, I98
der Künstler ist unschuldig Ill I05
Künstler sind kranke Adler I 333
Kultur II 23, 30, 84, 96ff, I20, I3of; Ill 243
Kulturbolschewismus II I 37
Kulturidee II IOI
Kulturkonservatismus I 363-367
Kultur, proletarische II I 30
Kulturschwund I 2I4
Kultur und Zivilisation II 23; Ill I48-Ip
Kunst I 33, 44, 47-53, 59, III, qo, q8, I96, 202f, 233, 333, 347; II 24,
42f, I09f, I34, I86, 227,327, 329> 336; Ill 3I, 72, 85ff, I6I, I98, 206f
Kunst als ein politisches Instrument II 47
Kunst als Quietiv Ill 230
Kunst, apollinische I 347
Kunst, deutsche II I 42
Kunst und Krieg II 24 f
Kunst und Kritik II 330; III 4I f
Kunst und Moral II 326
Kunst und Politik II 24 3
Landwirtschaft II I 43
langweilig I 350
Leben (s. a. >Geist und Leben<, >Kritik des Lebens<, >Tod< u. a.) I 49, 53,
I66, I75f, 234, 257, 356, 363; II 4I, 43, 46f, 56, 92, IOO, II3, 115;
Ill 38 f, I64, I87, 2oof, 233, 243, 245 f, 250, 260
Leben als ein ästhetisches Schauspiel Ill 228
Lebensbürgerlichkeit I 23 5
Lebensdienst II 92
Lebensform I 247
Lebensfreundlichkeit II 9 5
Lebensphilosophie I 363; II II5
Lebenspoesie II 64
Lebensreiz Ill 6o
Leben und Moral Ill 2 52
310
Leben und Tod II I62
Lebenswahrheit I I 58
lebenswidrig II 67
Leben, zitathaftes Ill I88
Leiden 111 203 f, 249
Leidenschaft und Weisheit 111 2I9f
Leitmotiv I 79• 354; 111 59, 65 f, 68
Lesebuch I I 24
Liberalismus II 242 f
Liberalismuskritik II I 39 f
Lidice II 269
Liebe I 52, 258, 278; II 38, 86; Ill 32, 34, 69f, 78, I I5, 2I4
Liebe ohne Glauben 111 6o
Liebe und Tod I 115; II 9d; 111 92f
Literatur II 55; 111 78
literarisch I I 52; Ill 78
Literarisierung, Demokratisierung und »Vermenschlichung« Deutschlands
111 28
Lübeck II 283
Lufthunnen II 275
lumpige Zeit I 362
Luxus Ill I02 ff
Lyrik, psychologische I I70
Lyrik und Kritik II 330
Macht II 270
Macht gegen den Geist II 294
machtgeschützte Innerlichkeit Ill Io8
Machtkombination von Junkertum, Armee und Industrie II 253 ff
Männlichkeit I 59• 250
Maidanek II 277
Mann, großer, Männer, große II 227, 290; III 6s, Io6
Marxismus, marxistisch II 73· 110, 119 f, I30, I p, I92 f, 254
•marxistischer Schriftsteller« II I49
Masse II I64ff; 111 247
Materialismus I 204; II uo, 135, I93
Mechanismus I 362 f
Meer I I82fo3o4f, 346; II 9d; 111 98
Meer und Epik I I83
Meinungen, Meinen I I 58; II 96, I03; Ill 4I, I05, II4
Melancholie II 4 5
Mensch I I62; II IJ3, I92, 203; Ill 226
Menschlichkeit I 59, 62; II 38 f, 6o
Militarismus II 29
Mimikrykunst 111 95
Mitleid I 45; 111 2I4
Mitte, deutsche I 2I9; II 76, 93
Mittelstandsideen II 245
Mittlerturn II 227
Modernität II 83
Mohn I 306
Mond II 227; 111 I98
Moral (s. a. >Ethik<) II 26, I88
Moral ist Gesellschaftsgeist II 232
311
Moral, ironische I I40
moralisch I zo8
Moralist, sozialer II 33 I
morbider und schon halb parodistischer Nachhall großen Deutschtums
II 305
Mord, politischer II 50
Musik I z6, 48, 6I f, 353; II z85; III 43, 78, uo, 12.9, IJI, ZI7
Musik, intellektuelle I 6I
Mutterrecht (s. a. >Bachofen<) I 2.57
Mutterschoß Ill I 57
Mystik, technisiene II 2.67
Mystik und Ethik II 93
mythische Surrogate für das wirklich Soziale II zp; Ill I34• I40
mythisch-reaktionärer Revolutionarismus Ill I4I
Mythos, Mythus I 79, 94, I94• 2.44, 32.9f; II I7o, zp; Ill 65, 7I, 78,
u9f, uzf, IJ3, I 59· I84-I90
Mythos und Psychologie I 93 f; 111 68, I90
312
Oppositionsstellung II 6o
Oppositionsstellung gegen Wirklichkeit, Leben, Gesellschaft II 330
Optimismus III 54
Ordnung I 35; II 255
Ordnung, wirtschaftliche II 251
Originale II 284
Ornithologie I 82
313
Rasse I I30
Rassenphantasma II 292
Raubtier II I 33
raunende Beschwörer des Imperfekts I 344
Rausch I 247; II I64
Reaktion I 255; II 66, 75; III I 57, I64, I66
reaktionär I 238; II I37, 250; Ill II3, I6o, I72
reaktionär und zukünftig II 250
Reaktion als Revolution Ill I 66
Reaktion und Fortschritt Ill I 54
Realismus I 228
Recht II 200
Reflexion III 99 f, u8 f
Reformation II 293
Reform der Besitzordnung II 213
Reform, soziale II 2 I 9
Regression des Menschlichen I 2I4
Reizbarkeit I 2 52
Reizbarkeit, psychologische Ill I75
Religion, Religiosität, das Religiöse I 44-47, 254f; II 38, IJJ; III I82,
264
Renaissance I 2I 9
Repräsentant II I 79
Republik II 59-93
Republik ist ein Schicksal II 69
Republik, soziale II 127, I37, I44
Restauration II I 37
Revolution, revolutionär (s. a. >Konservatismus und Revolution<) II 75,
25J, 289, 29I; Ill I2I, I56f, I59f, I64
Revolutionär I 37
Revolutionär, konservativer (Luther) II 286
Revolution I 848 Ill 22 3
Revolution, archaische II 250
Revolution, christliche II I 69
Revolution der leeren Gewalt II 240
Revolution, französische II 3 I, 289, 333
Revolution, russische II 3 I I
Revolution und Reaktion II I39
Revolution wider den Geist Ill I65
Rhetor-Demagog II 48.
Ritter zwischen Tod und Teufel Ill I75
Rittertum II 86
Roman I 6of,J43-354>367; II I 58, I75 f, 33I; III .z8
Roman, intellektualer II 84; III I47
Romancier I 352
Romanindustrie II 175
Romantik, romantisch I 58-63, II5, IJ2; II 66, nf, So, 82f, 9rf, 294ff;
Ill 48, 55, 57f, 92, 94, 96f, I 58, I6off, I70ff, 1.28, 230
Romantik, politische II I I 5
Romantik und Aufklärung III I 54
Romantizismus, hochtechnisierter II 1.95
Rückschlag II I I 5 f
Rückzugsgefecht romantisch-apolitischer Bürgerlichkeit II 95, I49
Ruhm II 5I
JI4
Russe, menschlicher II 40
russisch-uferlose Art Ill 147
Rußland I 163, 166; II 2I2, 3 I I
Sachlichkeit I 363
Saint-Simonismus II 233
Sansara III 48
Scham II 48, J29
Schamhaftigkeit II I 84
Schauspieler I 372 f
schauspielerisch Ill I I I
Scheu und Schüchternheit vor dem Wirklichen II 50
Schlaflosigkeit, ehrenhafte I I 6 I
Schleier der Maja Ill 2Ioff, 2I4
Schönheit,dasSchöne I II7,I22; II 42,45,92,33I; Ill 39,I93f,252
Schönheit und Tod I I 15
Schöpfung I 259
Schriftsteiler (s. a. >Dichter und Schriftsteiler<) II 62
Schuld I I7of
Schule II 47
Schwäche von Geist und Vernunft Ill I 57
Schwärmer I 2 33
Schweiz II 302
Seekrankbei t I 3o 5
seelisch-moralisch (statt politisch) II 57
Sein 111 209
Sein und Handeln (esse- operari) Ill 209
Sein und Meinen (s. a. >Meinung<) II I03; Ill 41
Sein und Wirken II 54 f
Selbstbiographie I I So
Selbsterkenntnis II 96
Selbstkritik II 297
Selbstmord I 22I; Ill 205
Selbstzitat 111 59
Sendung I 246
Sexualität (s. a. >Erotik<, >Geschlecht<) Ill I7I, 229 f
Shuffleboard I 317
Sieg der Seele über die Mehrzahl II 28
Sieg, deutscher II 249
Simplizität II II 8
das Sinnliche und das Geistige I 3 58
Sinnlichkeit 111 97 f
das Sittliche I I 22
Skepsis als Leidenschaft I 2 53
Slawenturn II So
Snob (Spengler) 111 I 52
Solidarität aiier Geistigen II 333
Sozialdemokratie, sozialdemokratisch II II7, II9, I2I, I29, Ip, 258, 32I
das Soziale II 76, I 33
Sozialisierung der Rohstoffe II 2 I 3
Sozialismus I p, I63; II 62, 8I, Ioof, I09, I20, 13off, IJ5, I6of, I92ff,
209, 2II ff, 233 f, 258, 275 f, 3II f; III I08, I22, I7I, 256,258
Sozialismus, christlicher II 2 34
Sozialismus, humaner II J2 5
315
Sozialist I 27, 29, s 1
Spiel I 358
Sport I 363 f; II 116
Sprache I 24 7; 111 7S
Sprung aus dem Fenster II 189, 2p, 268
Staat II 76; 111 221 f
Staatskapitalismus II 239, 275
Staatssozialismus II 239
Staatswesen, das keine Bürger hat II 6o
Standpunktlosigkeit I 1s 8
Sterben Ill 21 6
Stil 111 81
Stimulation 111 103
Südtirol II 116
Symbolbildung 111 3S
Sympathie mit dem Abgrund II 26
Sympathiemitdem Tod I 238; II 9d,9s; 111 s6ff, 164
JI6
Vaterland II 138
Verantwortung des deutschen Volkes für den Nationalsozialismus II 247
Verbesserung des gesellschaftlichen Zustandes I 213-21 5
Verbrechen I 170; II 292
Verbrecher, das Verbrecherische I 171; II 109
Verfall I 349
Verdienste, angeborene Ill 210
das verdienstlos Göttliche I 21 o
Verführung zum Tode II 296
Vergessen I 318
Verhunzung II 164, 224, 227, 265
Verinnerlichung I 349
Verlegenheit I 233
Vernichtungslager II 277
Vernunft I 365; II 109, 246
Vernunft und Blut I 257
Versailler Yenrag II 113, 123 f
Verwirrung des Gefühls I 272 f
Verzicht auf Machtpolitik II 321 f
victrix causa Diis placuit, sed victa Catoni II 53
viel »Hitler• in Wagner Ill 144
Völkerbund III 258
die Völkischen II 99
Vokabular der Revolution II 185
Volk II 250
Volksbewegungen des ausgehenden Mittelalters II 2 58
Volksgemeinschaft II 131, 212
Volksmärchen II 251
Volksseele III 99
Volkstümlichkeit III 120
Vornehmheit I 62, 235; II 84; Ill 152
Vorstellung Ill 201
waffenlos II 11 3
Wagalaweia II 250; Ill 122
Wahnbilder III 246f
Wahnsinn I 72
Wahrheit I 167,181, 248f, 253f; II 17of; Ill 175,216
Wahrheit und Schönheit III 193
» Wahrheits•-Erlebnisse bedeuten dem Künstler neue Spielreize Ill 89
Wanderredner der Demokratie II 33 5
Was tun? I 156, 158, 161, 167
Weiblichkeit I 59
Weigerung, sich definieren und festlegen zu lassen I 36
Weizenpreis II 143
Weltgeist II 171, 2p; Ill 134
das Weltläufige I 240
Weltliteratur I 239, 296
Welt, neue I 244
Welt nicht die alleinige Schöpfung Gottes, sondern ein Gemeinschaftswerk
mit jemandem anders II 292
Weltreform, soziale II 298
Welt, soziale I 24 3
Weltstaat II 298
317
Weltverbesserung II 326
Werk I 334; 111 62 f, 126
Wert I 278
Widerstand II 273
Wiederaufrüstung II 319-325
Wiedererkennen 111 I 84
Wiederherstellung II 260
Wille 111 2oo-203, 206
Wille der Völker II I36
Willensfreiheit 111 209
Wirkung II 43; 111 35, 59f, 67, I05> I37
Wissenschaft 111 I97
Wollust II 87, 9I
Wonnen der Nerven und des Intellekts 111 6o, 72, I I 5
World Government bleibt rationale Utopie Ill 264
Würde II 118
Würde des Menschen II 202
Wunder der wiedergeborenen Unbefangenheit II 226
Zahlenzauber II 28 5
Zeit I 3I5; II 324f; 111 I97
Zeitökonomie I 22 5
Zerreden I 49
Zivilisation II 23-37; 111 I49 ff
Zivilisationsliterat Ill 28, 4 I
Zürich 111 I25
Zukunft 111 159, I 90 ff
in (... ) Zurückgezogenheit memen persönlichen Aufgaben (... ) leben
IIIp
Zweifel II 336
Zwiespalt, deutscher Ill I I9
NAMENREGISTER
ZU DEN BÄNDEN 1-111
(mit Marle Kurzke)
319
Bizet, Georges III 2.6 I
Björnson, Björnstjerne II I 54
Blei, Franz I 66
Blum,Leon II 2.o7,2.II
Boccaccio, Giovanni I 40,32.3
Böck, Johann Michael I 2.06
Böhme,Jakob I 59; III 2.34
Börne, Ludwig Ill Io8
Bonn, Ferdinand I 373
Bonnier, Kar! Otto (genannt Ake) II 31.7
Borgia, Cesare II I 67
Boulez, Pierre II 32.4
Bourget, Paul I I 48
Brahm, Otto (eigentlich Abrahamsohn) I 2.5- 36I
Brahms, Johannes I 362.; Ill 33, 77• 90
Brandes, Georg (eigentlich Morris Cohen) I 372.; III I62., 2.61
Brecht, Bertolt I p; II I75
Brennen, Hans I 370
Brentano, Bernard von II I75
Brentano, Clemens I 2.55, 2.97, 354
Bretschneider, Heinrich Gotdried I 2.2.4
Briand, Aristide II I 22., 2.45
Brockhaus, Clara III I 2. 5
Brod, Max I 45
Bruckner, Ferdinand (eigentlich Theodor Tagger) I p
Brunetiere, Ferdinand I 37
Buber, Martin I 298
Buchau (eigentlich Buchan), Berta von I I03
Buddha, Gautama Ill 87, 2.63
Bülow, Hans von I 372.; Ill 82.
Burckhardt, Jacob II 54; III 2.37
Burke, Edmund II 333 f
Busoni, Ferruccio Ill 49
Byrnes, James II 314
Byron, George Gordon Noel, 6. Baron I 2.2.0, 2.37
J20
Churchill, Sir Winston Spencer I 30
Claudel, Paul I 36; II I05
Clemenceau, Georges I 238; II 33, u3
Cocteau, Jean II 324
Comte, Auguste II 323
Conrad, Joseph (eigtl. JozefTeodor Konrad Nale~z Korzeniowski) I 32, 37
Constant, Benjamin II 228
Corinth, Lovis II 208
Coster, Charles Theodore Henri de I 298
Creuzer, Georg Friedrich III I 57
Croce, Benedetto Ill I47
Cruikshank, George I I34
Faulkner, William I 38
Feuerbach, Ludwig Ill 90
Fichte, Johann Gottlieb I 224; II I09
Fielding, Henry I 351
Figueroa, Christoval Suarez de I 3I 9
Fiori, Ernesto de I 364
Firdusi I 345, 347f
Flauben, Gustave I 44, 297; II 91
Fontane, Theodor I 86-94, Ioo, Io2, 353; II 55; Ill 28
J2.I
Fouque, Friedrich, Freiherr de Ia Motte-Fouque I 129, 134, 139, 141 f
France, Anatole (eigtl. Jaques Anatole Thibault) I 36
Franco, Bahamonte, Francisco II 220
Frank, Leonhard II 174
Franz von Assisi I 40
Freud, Sigmund I 35; II 226; 111 69, 153-192, 225, 232 f
Frey, Alexander Moritz II 175
Friedrich 1., Kaiser, gen. Barbarossa II 283
Friedrich 111., Kaiser von Deutschland 111 262
Friedrich II., der Große, König von Preußen II 27f, 202, 307; 111 32
Friedrich Wilhelm 1., König von Preußen II 82
Friedrich Wilhelm II., König von Preußen I Ii8
Friedrich Wilhelm III., König von Preußen I 130
Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen 111 236
Fritzsche, Hans II 300
Fuchs, Carl Dorius Johannes 111 261
322
Grimm, Jacob Ludwig Kar! I 25; III I 57
Grimm, Wilhelm I 25; III I 57
Grosz, George I 364
Grote (Verlagsbuchhandlung) I I 34
Guerard, Alben Joseph I 3I-38
Gundolf, Friedeich (eigentlich Gundelfinger) I 58; III I47
Gutzkow, Kar! Ferdinand I 353
Ibsen, Henrik I 24, 27-30, 83-85, 9I, 359; II sz, 62, I 54-I65, I67;
Ill 37> 67f, 7J, I29, I77f
313
Iffland, August Wilhelm I zo6
lmmennann, Kar! Leberecht I 353
Machiavelli, Niecola II I 67
Maeterlinck, Maurice II 36
Mahler, Gustav II 85> 259; Ill I48
Maistre, Joseph Marie de II 333, 335
Makart, Hans III I o3
Mallarme, Stephane I 92
Mann, Heinrich II I04, I 56, I74• I76
Mann, Klaus I 32
Manning, Henry E. II 252
Mare, Franz II 208
Marinetti, Filippo Tommaso II I4I
Marschner, Heinrich Ill Io8
Marx, Kar! I 27; II I02, I67, 258; Ill Ip, 228
Masaryk, Thomas Garrigue II 207
Maßmann, Hans Ferdinand II 290
Maupassant, Guy de I I46, 297
Maurras, Charles I 37
McCoy, David II 309
Melville, Herman I 37• 298 f
Mendelssohn, Moses I 250
Mendelssohn-Banholdy, Felix u6; Ill 77, II7
Mendes-France, Pierre II 325
Merck, Johann Heinrich I 228
Mereschkowski,DimitriSergejewitsch I 72f, I69, I72, I74• I85.352; II 83
Merimee, Prosper I 66, 297, 372
Metternich-Winneberg-Beilstein, Clemens Lotbar Fürst von I 238
Meyer, Conrad Ferdinand I 3 53
Meyerbeer, Giacomo (eigtl. Jakob Liebermann Beer) Ill 47
Michelangelo Buonarotti (eigtl. Michelangelo di Ludovico di Lionardo di
Buonarotto Simoni) I 30; II 270; Ill 64
Michelet, Jules II 333
Minne, George I 55
Misinowa, Lidija I I65
Möbius, Paul Julius III 237
Mörike, Eduard I 40
Moliere (eigtl. Jean-Baptiste Poquelin) 28, I79• 239, 259f
Molo, Walter von II 30I, 303, 305, 308
Moltke, Helmut Graf von II 55
Montaigne, Michel Eyquem de I 93
Morris, James I 92
Mozan, WolfgangAmadeus I 24I; II 259,285; Ill 78, II7
Müller, Adam Heinrich I 259; II 52; 111 I 57
Müller, Friedrich von I 232
Mussolini, Benito II IOS, I4I, 207
Napoleon 1., Kaiser der Franzosen I 30; II 227, 236, 256, 288, 290;
Ill I06, I08, I 50, I 87
Nerri, Graf s. Verri, Graf
Newton, Isaac II I30, I92
Nicolai, Friedeich I 224
Nicolson, Harold 111 I42
Nietzsche, Friedeich August Ludwig Ill 240
Nietzsche, Friedeich Wilhelm I 29f, 35f, 52, 6I, 65f, 89, u2f, u8f, I64,
I68 f, I72-I77· 24I f, 25 5· 257· 259>327>352· 369; II JI, 52· 54 ff, 7I, 74·
8of, 89, 98, II8, I30f, I34f, I67, I90, I93 f, I99> 206,251, 286f, 295,297,
31.2, JJI, 334; Ill 27-42, 48, 63, 66, 68f, 72, 74• 76, 88, 90, 93> 96-99,
I05, I09, III, II3, I36f, I47f, Ip, I5J ff, I 57> I59f, I62, I65, I70, I74ff,
I8o, I95• I99• 218 f, 226ff, 23I ff, 235-264
Nisami I 345
Nolde, Emil II 208
Novalis (eigtl. Friedeich Leopold Freiherr von Hardenberg) I 40, 59, 62,
350, 354; II 6I f, 64, 66ff, 70, 72,75-87,89, 9I ff; Ill 84, 92, I48, I 52,
I 59> I6I f, I70f, I74> 249, 255
Novelli, Ermete I 360
J2.8
Toynbee, Philip II 335
Trebitsch, Siegfried I 24
Tschaikowski, Peter Iljitsch II 27I
Tschechow, Anton Pawlowitsch I I46-I67
Tunney, James Joseph (Gene) I 364
Turgenjew, Iwan Sergejewitsch I 95f, IOI, Ipf, I72, I83f, I87, 297;
II 24, I 54
Xauregui I 3I9
331
LiteratureandHider(I9J4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II, I54
·MaßundWert<(I937) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II, ISS
Meerfahrtmit>DonQuijote<(I934) . . . . . . . . . . . . . . . I, 300
Nietzsche'sPhilosophieimLichteunsererErfahrung(I947) .. Ill, 2.35
Palestrina(I9I7) . . . . . . . . . . . .... Ill, 43
RedeüberdasTheater(I92.8) . . . . . . . . . . . . . . . . . I, 354
RedeüberLessing(I92.9) . . . . . . . . . . . . . . . . . . I, 2.44
[Rede vor Arbeitemin Wien](I932.) . . . . . . . . . . . . II, 12.9
RichardWagnerundder•RingdesNibelungen<(I937) . . . , Ill, 115
SchicksalundAufgabe(I944) . II, 2.45
Schopenhauer(I938) . . . . . . . . . . . . .. Ill, I93
TheodorStortn(I930) . . . . . . . . . . I, 94
[UberdieKritik](I90S) . . . . . . . . . I, 369
UberdieKunstRichardWagners(I911) . Ill, 59
UberdieLehreSpenglers(I92.2.) . . . . Ill, I46
UbereineSzenevonWedekind(I9I4) I, 69
[OberHeinrichHeine](I92.7) . . . . I, 112.
VersuchüberSchiller(I955) . . . . . I, 2.0I
VersuchüberTschechow(I954) . . . I, I46
VomkommendenSiegderDemokratie(I938) II, I97
VondeutscherRepublik(I92.2.) . . . . . . . II, 59
WagnerundkeinEnde(I949) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ill, I43
WarumichnichtnachDeutschlandzurückgehe(I945) . . . . II, 30I
Waswirverlangenmüssen(I932.) . . . . . . . . . . . II, 12.6
Weltfrieden?(I9I7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II, 38
WiestehenwirheutezuRichardWagner?(I92.7) . . . . . . . . Ill, 62.
ZumsechzigstenGeburtstagRicardaHuchs(I92.4) . . . I, 58
Zur amerikanischenAusgabevon Kafkas >Schloß< (I 94I) I, 43
[Zu Wagners Verteidigung] (I 940) . . . . . . . . . . . . . . . . Ill, I 36
NACHTRÄGE UND BERICHTIGUNGEN
ZU ESSAYS II
In der Einleitung:
S. u Anm. u: Siehe S. 362.
In den Texterläuterungen:
28 über den Krieg: ... Die Information stammt aus Josef Popper,
Voltaire, Dresden 1905, S. 204-208.
41 .. die Bejahung~: ... Siehe S. 348.
45 »göttlich und sichtbar~: Die Stelle findet sich nicht wönlich bei
Platon, man kann jedoch in diesem Falle ihre Genese nachzeichnen.
Bei Platon steht im Phaidros: »Nurdie Schönheit ist zugleich sichtbar
und liebenswürdig« (übersetzt von R. Kassner, Jena 2 1910, S. 44).
Thomas Mann exzerpien die Stelle in einer Notiz für den Tod in
Venedig in folgender Form: »Nur die Schönheit ist zugleich sichtbar
(sinnlich wahrnehmbar, sinnlich auszuhalten) und liebenswürdig,
d.h. ein Teil des Göttlichen, der ewigen Harmonie« (Mendelssohn
S. 88o). Im Tod in Venedig wird daraus: »Denn die Schönheit,
Phaidros, merke das wohl, nur die Schönheit ist göttlich und sichtbar
zugleich, und so ist sie denn also des Sinnlichen Weg, ist, kleiner
Phaidros, der Weg des Künstlers zum Geiste« (GW VIII, 521).
Thomas Mann zitien also nicht Platon, sondern GustavvonAschen-
bach.
59 nur der Betrachtende: Siehe S. 343·
87 Anschauen sei bereits: Novalis, a.a.O. Band 111, S. 275·
95 »Sympathie mit dem Tode~: Siehe S. 348.
98 Nietzsche schrieb: Siehe S. 346.
105 Barres: Siehe S. 349·
109 individualistischen Müßiggang: Siehe S. 361.
uo Ich sprach einmal: in Neujahrswunsch an die Menschheit, GW X,
897·
u6 Novemberverbrecher:SieheS. 353·
131 »Derreligiöse Mensch.r: Siehe S. 350.
333
I 34 •Dritte Reich<: siehe S. 348.
I34 »Mit Menschlichem~: ... Direkte Quelle warwohl Bertram, Nietz-
sche, Berlin I9I8, S. 202.
I45-I57 Oberdiejahre I933 und I934istmanmittlerweilegenauunter-
richtet durch die Publikation der Tagebücher I9JJ-J4, Frankfurt
I 977, die über Manns Kritik des Nationalsozialismus viele aufschluß-
reiche Passagen enthalten.
I90 »unter ihr fortstehlen~: aus Wagners Oper und Drama, dem Origi-
nalzusammenhang jedoch völlig entfremdet (siehe in diesem Band
S. 28o).
I97 Whitman: Siehe S. 346.
24 5 Briand: Siehe S. 3 53.
252 »Wenn der Deutsche~: Siehe S. 362.
255 Feldmarschall Göring: Siehe S. 358.
262 Roosevelt: Siehe S. 364.
266 Es ist ein Streit: Siehe S. 368.
266 im ·Dritten Reich<: Siehe S. 348.
268 Ein boshafter Franzose: Siehe S. 362.
275 >München<: Siehe S. 370.
275 Göring:SieheS. 358.
28I amerikanischer Bürger: Siehe S. 372.
28 5 Schmucke: ... Das Argument von den Deutschen als unmelodischen
Harmonikern mochte Th. Mann erstmals wohl von Bertram haben,
vgl. dessen Nietzsche, Berlin I9I8, S. II7f (Hinweis H.-J. Sand-
berg).
287 Bauernaufstand: . .. Die gesamte Passage über Luther ist angeregtvon
einem Brief Nietzsches an PeterGast vom 5. Io. I 879 (Gesammelte
Briefe IV, Leipzig I9o8, S. 25 f).
292 Göring-Konzern: Siehe S. 358.
293 >Lob der Torheit<: ... Das Zitat stammt aus Triumph und Tragik des
Erasmus von Rotterdamvon Stefan Zwc:ig(Wien I 93 5, S. 2 I 5), das die
ganze Konzeption Luther - Erasmus 'entscheidend mitprägte (vgl.
Tagebücher I9JJ-I9J4, Frankfurt I977• S. 497).
293 »auf seinen Hals~: ... Wohl nach St. Zweig, a.a.O. S. I94f.
296 Goethe: Siehe S. 348.
30I Wagner-Aufsatz: Siehe S. 357·
302 Rene Schickele: Siehe S. 360.
303 amerikanischer Bürger: Siehe S. 372.
305 Himmler: Siehe S. 372.
305 ausbürgerte: Siehe S. 359·
309 peace rally: ... Näheres in Die Entstehung des Doktor Faustus,
GWXI,289.
312 »Will man Sklaven~: Nietzsche, Götzendämmerung, Werke II,
IOI7·
312 großen Präsidenten: ... siehe S. 364.
po Amerikaner: Siehe S. 372.
p6 »des Lebens Leben.-: Siehe S. 3 55.
334 Knut Hamsun: Siehe S. 363.
334